Die neue „Strategische Partnerschaft“ USA-Indien:
Indien – Adressat und Nutznießer amerikanischer Weltordnungsbedürfnisse: Als Großmacht von Amerika anerkannt, gefördert und gefordert

Die amerikanische Regierung gibt ihre Vorbehalte gegen Indiens Atomwaffenbesitz auf und vereinbart mit der indischen Regierung eine umfassende Zusammenarbeit im Bereich der Atomtechnologie. Washington garantiert die Lieferung von Nukleartechnik und atomarem Brennstoff. Indien seinerseits lässt sich dazu herbei, eine Trennung seiner atomaren Anlagen in einen ‚zivilen‘ und einen ‚militärischen‘ Komplex vorzunehmen, die zivile Abteilung der Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur zu unterstellen und als Atomwaffenbesitzer die Bedingungen des ‚Non Proliferation Treaty‘ – Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen – zu erfüllen.

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Die neue „strategische Partnerschaft“ USA-Indien:
Indien – Adressat und Nutznießer amerikanischer Weltordnungsbedürfnisse: Als Großmacht von Amerika anerkannt, gefördert und gefordert

Mitten in den Auseinandersetzungen mit dem Iran um die Beendigung seines Atomprogramms gibt die amerikanische Regierung ihre Vorbehalte gegen Indiens Atomwaffenbesitz auf und vereinbart mit der indischen Regierung eine umfassende Zusammenarbeit im Bereich der Atomtechnologie. Washington garantiert die Lieferung von Nukleartechnik und atomarem Brennstoff, Indien seinerseits lässt sich dazu herbei, eine Trennung seiner atomaren Anlagen in einen ‚zivilen‘ und einen ‚militärischen‘ Komplex vorzunehmen, die zivile Abteilung der Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur zu unterstellen und als Atomwaffenbesitzer die Bedingungen des ‚Non Proliferation Treaty‘ (NPT) – Abkommen über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen – zu erfüllen. Darüber hinaus wird zwischen beiden Ländern eine Kooperation auch im nichtatomaren Energiebereich einschließlich der Beteiligung Indiens an der Entwicklung neuer Kraftwerkstypen beschlossen, ferner eine weitreichende Zusammenarbeit in Militär- und Rüstungsfragen, die Ausstattung Indiens mit US-Rüstungsgütern, ein gemeinsames Satellitenprogramm – kurz: Die wesentlichen Bereiche staatlicher Machtentfaltung Indiens werden durch die USA gefördert und bilden den Kern einer neuen „globalen strategischen Partnerschaft“ zwischen den beiden Ländern – diplomatisch untermauert mit Absichtserklärungen zur „Intensivierung“ der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Eine ziemlich radikale Kehrtwende amerikanischer Politik.

1. Der neue Status Indiens in der Gewaltkonkurrenz: Anerkannte Atommacht durch US-Beschluss und mit US-Förderung

Damit beendet die amerikanische Regierung eine 30-jährige Ächtung der indischen Atommachtanstrengungen – ohne Rücksicht auf die Bestimmungen des NPT und im eklatanten Gegensatz zu ihrer Politik gegenüber dem Iran. Während sie beim Iran, der als Vertragsmitglied auf sein Recht zur zivilen Nutzung pocht, kategorisch auf Einstellung seines Atomprogramms beharrt und die Weltgemeinschaft auf eine neue Auslegung des Vertragswerks im Sinne eines weitreichenden Verbots auch ‚friedlicher‘ Nutzungsweisen festlegt, um – so die allgemein anerkannte Begründung – die Gefahr einer militärischen Nutzung zu unterbinden, erteilt sie Indien, das den Beitritt zum NTP verweigert, sich nie auf eine zivile Nutzung beschränkt, sich im Gegenteil mit allen Kräften und am Ende erfolgreich um die Fähigkeit zum Bau ‚der Bombe‘ bemüht hat, ihren diplomatischen Segen und leistet materielle Unterstützung – zwar alles mit der Behauptung, damit Indien in die NPT-Aufsicht hineinzuholen, aber doch erkenntlich gegen die Bestimmungen des Vertrags und deren eigene bisherige Anwendung im Fall Indiens.

Ab sofort also ist Indien von den USA anerkannte und geförderte Atommacht. Mit dieser Anerkennung wird aus der mit der Atombombe erworbenen Fähigkeit, Kriegsdrohungen härtesten Kalibers mit Auswirkungen auf die Machtverhältnisse und -interessen über die Region hinaus in die Welt zu setzen, ein von der obersten Weltmacht bestätigter Anspruch auf besonderen Respekt, der dieser so ausgestatteten Macht im Staatenverkehr zusteht. Der von den USA gefasste Entschluss zur ‚Legalisierung‘ der indischen Nuklearwaffen ist zugleich eine eindeutige politische Vorgabe. Er schließt wie selbstverständlich die Unterstellung ein, dass der Rest der Staatenwelt – die atomaren „haves“ wie „have-nots“ – nicht darum herumkommt, seinerseits die Beförderung Indiens anzuerkennen – weil und sofern sie von Amerika als weltpolitische ‚Tatsache‘ serviert wird. Die Zubilligung eines Rechts auf Atomwaffenbesitz macht aus der „bloßen“ Potenz, andere Mächte faktisch zu Kalkulationen mit diesem zerstörerischen Arsenal zu zwingen, einen besonderen Status in der Staatenwelt: Indiens Atomwaffen sind nicht mehr angefeindetes Objekt der etablierten Atom-, d.h. auch Atomkontrollmächte, sondern Grundlage für eine besondere Geltung des Landes. So und soweit gehört das Land jetzt irgendwie zum Kreis der herausgehobenen Mächte, die – institutionell verankert in der besonderen Rolle der Atomwaffenbesitzer im Nichtverbreitungsvertrag sowie bei den alten Atommächten in ihrer Stellung im Sicherheitsrat – als in alle globalen Konfliktfälle involvierte, für ihre Regelung zuständige, mithin als besondere weltpolitische Größen firmieren. Um diesen Rang einer zu atomarer Rüstung (gleich-)berechtigten Nation und um die Respektierung einer durch ultimative Abschreckungsfähigkeiten untermauerten weltpolitischen Unabhängigkeit hat Indien immer gerungen und dementsprechend einen festen Sitz im UNO-Sicherheitsrat gefordert, der diesen Anspruch befestigt; und in etwa einen solchen Status hat Indien jetzt dank der USA erhalten. Aus einem mit Sanktionen bedachten Problemfall amerikanischer Weltkontrolle wird also eine von den USA anerkannte Macht erster Güteklasse – auf Kosten der anderen Atommächte, denen eine Atommacht Nr. 6 mit Sonderbeziehungen zu Amerika an die Seite gestellt wird, ohne dass sie diese Revision auf der obersten Ebene imperialistischer Machtkompetenzfragen bestellt, mitbeschlossen und geregelt hätten. Mit der Willkür einer Macht, die nach ihren Interessen über die Auslegung und Anwendung internationaler Verträge entscheidet, behandeln die USA die Fortschritte Indiens auf dem Feld der obersten Gewaltmittel und seine daran geknüpften Machtambitionen nicht mehr als einen zu bekämpfenden Verstoß gegen amerikanische Weltordnungsvorstellungen, sondern erheben sie in den Rang einer positiven Grundlage für alle zwischenstaatlichen Beziehungen und betätigen sich sogar als Ausstatter dieser Staatsgewalt im Aufstieg: Indien ist Weltmacht und unser Freund. (Bush) Sie tun das ohne Not; nicht, weil sie ihre Sicherheit gefährdet sehen oder gar so etwas wie ein „atomares Patt“ mit Indien drohte – wie einst im Falle der Sowjetunion, als sich die USA wegen der Vernichtungskapazität des Feindes einen Kalten Krieg lang zu einer faktischen wie diplomatischen Respektierung der feindlichen Weltmacht genötigt sahen.

Die Kehrtwende im Fall Indien enthält einerseits das Eingeständnis, dass die bisherige Strategie der USA gegenüber Indien nicht zur amerikanischen Zufriedenheit aufgegangen ist. Indien hat nicht nur als Gründungsmitglied der „Blockfreien“ den Atomwaffensperrvertrag als Diktat der etablierten Atommächte abgelehnt; das Land hat es auch den gegenteiligen amerikanischen Bemühungen zum Trotz unter Mitwirkung der Konkurrenten Amerikas geschafft, sich eine Atomindustrie und Atomwaffen zu verschaffen. Diese Konkurrenten haben – wie im übrigen die Weltmacht selber – die indische Ökonomie als „Wachstumsmarkt“ schätzen gelernt und dem Land darüber zu ökonomischen und technologischen Fortschritten verholfen. Dem indischen Streben nach Atomtechnologie und nuklearem Brennstoff haben dafür in Frage kommende Nationen, insbesondere Russland, nicht widerstehen wollen und Neu Delhi den beschlossenen Sanktionen zum Trotz bei Planung, Bau und Betrieb von Atomreaktoren unterstützt. Und auch für den Bedarf der indischen Armee, Luftwaffe und Marine nach modernem Kriegsgerät haben sich bereitwillige Lieferanten gefunden, neben Moskau Israel und Frankreich. Indien hat sich also erfolgreich als aufstrebende Großmacht positioniert – und das gegen amerikanischen Willen und außerhalb amerikanischen Einflusses.

Die Feststellung, dass Indien mit seiner durch die Atombombe angereicherten Gewaltmaschinerie durchaus in neuer Weise in der Lage, also im Ernstfall auch willens ist, zwischenstaatliche Auseinandersetzungen heraufzubeschwören, ist andererseits natürlich keineswegs ein Grund für die Weltmacht, dem eingerissenen Zustand recht zu geben. Wenn in diesem Fall die Selbstkritik, Indien mit der Sanktionspolitik eher noch unberechenbarer gemacht zu haben, in eine „strategische Partnerschaft“ mündet, dann liegt das an der Berechnung Washingtons, dass sich aus Indien als Großmacht mit diesem Potenzial ein für Amerika nützlicher Partner machen lässt. Indien ist Nutznießer eines amerikanischen Programms, das in diesem Fall nicht auf Verhinderung, sondern auf Ausnutzung der Ambitionen und Gewaltmittel für amerikanische Weltaufsicht zielt: Der Präsident der globalen Führungsnation nimmt sich vor und traut Amerika selbstverständlich zu, eine Atom- und zu neuer weltpolitischer Geltung drängende Großmacht zu fördern und dadurch für die strategischen Berechnungen Amerikas zu funktionalisieren. Er verspricht sich davon, den Nationalismus dieser Großmacht für die Kontrollbedürfnisse der USA produktiv zu machen. Durch amerikanische Statuszuweisung und Förderung soll Indien zur berechenbaren Hilfsmacht amerikanischer Weltkontrolle werden, nämlich den amerikanischen Zugriff auf Asien grundlegend verbessern – ein veritables Weltmachtprogramm.[1]

2. Die beiden ‚größten Demokratien‘ der Welt vereint unter amerikanischer Führung: Die amerikanischen Perspektiven für die indische Großmacht

Ein indischer Beitrag zur strategischen Kontrolle Asiens durch die USA

Washington hält es inzwischen für dringend geboten, sich als zuständige und entscheidende Aufsichtsmacht in Asien neu zur Geltung zu bringen. In den Worten der ‚Nationalen Sicherheitsstrategie 2006‘:

„Die Vereinigten Staaten sind eine pazifische Nation mit extensiven Interessen im gesamten Ost- und Südostasien… Süd- and Zentralasien ist eine Region von großer strategischer Wichtigkeit, in der amerikanische Interessen und Werte engagiert sind wie niemals zuvor.“

Diese ‚Engagements‘ sind nach amerikanischem Dafürhalten keineswegs so gesichert, die Staaten der Region insgesamt keineswegs so ausgerichtet, die ‚Interessen und Werte‘ der Vereinigten Staaten also keineswegs so verankert, wie es sein sollte. Wenn die US-Außenministerin Rice Verständnis dafür erkennen lässt, dass Staaten ihre eigenen wirtschaftlichen Nöte als wichtiger einstufen als die geostrategischen Interessen Washingtons (NZZ, 2.5.05), dann stellt sie ja nicht diese Interessen Washingtons zur Disposition. Sie erläutert vielmehr den asiatischen Nationalisten, dass erstens die strategischen Gesichtspunkte Amerikas in Bezug auf die Staaten der Region selbstverständlich viel höher angesiedelt sind als die ‚begrenzten‘ nationalen Sichtweisen und „Nöte“ dieser Staaten; dass zweitens deren Anliegen bei den USA durchaus auf Verständnis stoßen; dass sie deswegen – richtig verstanden – keineswegs im Gegensatz zu den übergeordneten amerikanischen Ansprüchen an die gesamte Region stehen und stehen bleiben sollen; dass sie im Gegenteil am ehesten zum Zuge kommen, wenn Staaten wie Indien ihrerseits das rechte ‚Verständnis‘ für Amerikas ‚geostrategische‘ Bedürfnisse aufbringen, also ihre Interessen an denen ausrichten und relativieren. So drückt die amerikanische Außenministerin durchaus passend das Angebot zu einer ‚Partnerschaft‘ aus, in der die USA den nationalen Belangen der regionalen Machthaber einen – mehr oder weniger gewichtigen – Platz in ihrem strategischen Konzept gewähren, sich selber als übergreifende Macht die nationalen Berechnungen zunutze machen und in ihrem Sinne zulassen, unterbinden, lenken wollen. So etwa also denkt sich Washington das neue Verhältnis zu Indien: Es rechnet mit dessen Ambitionen, verspricht sie zu fördern, um entsprechende Gegenleistungen zu fordern. Aus ungebührlichen Machtanstrengungen von gestern werden heute von Amerika für legitim erklärte nationale Rechte, damit aber auch lauter verantwortungsvolle Pflichten, die Amerika einem starken Indien zugedacht hat.

Die Versicherung:

„Indien ist jetzt bereit, globale Verpflichtungen in Kooperation mit den USA in einer Art zu schultern, wie es für eine Großmacht angemessen ist,“ (Nationale Sicherheits-Strategie der USA, 2006)

ist also Angebot und Auftrag in einem; genauso die neuerliche Entdeckung Washingtons, dass es sich bei Indien um die größte Demokratie der Welt handelt, was die globale Demokratiezentrale ja nicht daran gehindert hat, bis neulich mit dieser ‚demokratischen‘ Macht durchaus reservierter und feindseliger zu verfahren.

Amerika hat seinen Blick auf Indien geändert, nicht weil Indien sich von sich aus in irgendeinem proamerikanischen Sinn gewandelt hätte oder verlässlicher geworden wäre, sondern weil sich die Gewichte amerikanischer Beurteilung in Bezug auf Asien verschoben haben und die amerikanischen Strategen Gefahren und Feinde ausgemacht haben, bei deren Bekämpfung Indien nach US-Vorstellung behilflich sein kann und soll.

Ein Partner für die Eindämmung Chinas

In dieser aufstrebenden Nation, die den USA ihren Führungsanspruch in der Region und darüber hinaus ausdrücklich bestreitet, hat die amerikanische Führung die eigentliche unberechenbare Größe und Gefahr in Asien entdeckt; ein mit seinem Übergang zum Kapitalismus nicht bescheiden, sondern konkurrenzwillig und -tüchtig gewordenes Großreich, dessen politische Führung sich mit ihren Machtambition amerikanischen Regieanweisungen erfolgreich entzieht; dessen fortgesetzte nationale Anstrengungen, sich zu einer Weltwirtschafts- und Großmacht aufzuschwingen, weit gediehen sind und erwarten lassen, dass China seine Ablehnung „jedes Hegemoniestrebens“ künftig noch entschiedener gegen die USA zur Geltung bringen wird; und dessen Politik in den Augen der USA deswegen einen eklatanten Verstoß gegen den Weg zu ‚nationaler Größe‘ darstellt, den Amerika sich für dieses Land vorstellt:

„Mit Sorge sehen die USA den rapide wachsenden Militäretat Pekings und die von chinesischer Seite genährte Vorstellung, dass Chinas Macht eines Tages so weit wachsen könnte, dass die USA in Asien keine Rolle mehr zu spielen hätten.“ (So der politische Berater von Bush, Tellis, SZ, 30.3.06) „Indem China moderne militärische Fähigkeiten ausbaut, die seine Nachbarn in der asiatisch-pazifischen Region bedrohen können, folgt das Land einer überholten Politik, die letztendlich das eigene Streben nach nationaler Größe behindern wird. Mit der Zeit wird China feststellen, dass gesellschaftliche und politische Freiheit die einzige Quelle nationaler Größe sind.“ (Nationale Sicherheitsstrategie)

Gegen diese Bedrohung beabsichtigt Washington nicht nur seine eigene Abschreckungsmacht, sondern auch Indien als ‚Gegengewicht‘ aufzubauen – was nichts Geringeres bedeutet, als dass Indien beauftragt und befähigt werden soll, sich als Macht aufzuführen, die ziemlich genau all das will und kann, was an China als so unsachgemäß und bedrohlich definiert wird: seine militärischen Fähigkeiten ausbauen, seine Macht wachsen lassen, seine Nachbarn in der asiatisch-pazifischen Region bei Bedarf bedrohen – das alles aber als ‚Gegen-Macht‘ gegen China; mit einem auf den asiatischen Konkurrenten zielenden Bedrohungspotenzial, das dessen Atomwaffen entwertet; mit politischen und militärischen Beziehungen, die grundsätzlich gegen China gerichtet und an Amerika ausgerichtet sind; also so und zu dem Zweck, dass die USA in Asien auf Dauer die entscheidende ‚Rolle‘ spielen.

„Warum sollte Amerika die atomare Kapazität Indiens in einer Art und Weise zügeln, die zur dauerhaften nuklearen Dominanz Chinas über das demokratische Indien führte?“ (ehem. US-Botschafter und jetziger Sicherheitsberater R. Blackwill) „Condoleezza Rice räumte ein, ihre Regierung strebe mit dem Vertrag eine Wende amerikanischer Außenpolitik an, um den Einfluss der USA in der Region angesichts der wachsenden Rolle Chinas zu sichern.“ (SZ, 6.3.06)

Die amerikanische Regierung zielt darauf, die Konkurrenz zwischen den beiden asiatischen Großmächten produktiv zu machen, indem sie sich hinter die eine Macht stellt, damit diese als Beschränkung der anderen fungiert, deren Fortschritte die USA als die aktuelle Hauptgefahr für Asien und darüber hinaus ausgemacht haben. Die USA wollen sich nicht bloß als letzte Entscheidungsinstanz von außen und mittels eigener Gewalt betätigen, sondern mittels asiatischer Bundesgenossen in die laufende asiatische Machtkonkurrenz einklinken: der einen Macht Kompetenzen zuteilen, die andere dadurch beschränken, die regionalen Gegensätze in diesem Sinne moderieren, anheizen oder auch mäßigen – ganz wie es amerikanischer Aufsicht nützt. Es geht um ‚Einfluss‘ ausdrücklich in der Form von Drohpotentialen, mit denen die USA China ‚zügeln‘ wollen. Indien soll als Teil amerikanischer Abschreckung gegenüber China fungieren – das ist der imperialistische Gehalt der Rolle eines ‚Gegengewichts‘ zu China, welche die USA für Indien im Auge haben.[2] Strategische Berechnungen dieser Art sind den USA eine Kehrtwende ihrer Indien-Politik wert.

Für das Gelingen sieht man im Weißem Haus ausreichend Ansatzpunkte:

„Die indische Weltsicht ist anders als die chinesische, weil Delhi das amerikanische Engagement in der Region nicht grundsätzlich in Frage stelle. Außerdem geht von Indien keine Gefahr für Amerikas Sicherheit aus – anders als von China, das 18 Interkontinentalraketen auf amerikanische Städte gerichtet habe.“ (ebd.)

Dahinter tritt die Sorge vor unberechenbaren indischen Machtambitionen gegenwärtig zurück. Zumal Indien als Macht, die sich mit der Befriedung von 150 Millionen Moslems auskennt und nicht dem Verdacht terroristischen Sumpfs unterliegt, eine weitere gewichtige Rolle zugedacht ist.

Nützliche Dienste bei der Erledigung des ‚Terrorismus‘ und der Kontrolle seines Waffenpotenzials

Die amerikanische Unterscheidung zwischen ‚guten‘ und ‚bösen‘ Staaten soll selbstverständlich künftig auch für indische Politiker als Diskriminierungskriterium ihrer näheren oder weiteren Umgebung Gültigkeit besitzen. In diesem Sinne sollen sich die Nachfahren Gandhis am amerikanisch initiierten ‚regime-change‘-Programm beteiligen und sich gegen ‚Islamismus‘, ‚Fundamentalismus‘ und ‚Terrorismus‘ wenden. Bei letzterem soll die politische Klasse in Indien allerdings nicht an Kaschmir und Pakistan denken, also Abstand nehmen von der Vorrangigkeit seiner ‚nationalen Frage‘. Statt dessen soll sie Pakistan als „major not-Nato-ally“ der Amerikaner im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan und im pakistanischen Grenzland respektieren, um mit ihm gemeinsam den Terrorismus zu bekämpfen (Bush, Dawn, 3.3.06). Zum Iran sind dagegen schlechte Beziehungen das Gebot der Stunde. Deshalb verlangt Washington von Indien – wie von Pakistan auch –, das eigene Energieversorgungsinteresse zurückzustellen und das geplante Gas-Pipeline-Projekt mit Iran aufzugeben und das von den USA initiierte Vorgehen gegen Iran im Rahmen der Internationalen Atombehörde IAEO diplomatisch zu unterstützen. Außerdem soll sich Indien in neuer Verantwortung als Atommacht die verschärften US-Sicherheitsbedürfnisse hinsichtlich der Nichtweiterverbreitung von atomaren Waffensystemen zu eigen machen, sich an der Initiative zur Verhinderung der Weiterverbreitung von ABC-Waffen über See beteiligen und zur Sicherung der Seewege gegen terroristische Angriffe auf Containerschiffe beitragen…

Das Angebot zu ‚sinnvoller‘ Machtentfaltung schließt also für den neuen indischen Partner einen ganzen Katalog von Aufträgen und Verpflichtungen ein. Sorgen soll die umfassende „strategische Partnerschaft“ deshalb auch für Verlässlichkeit in der Zuordnung Indiens zur amerikanischen Weltmacht.

Die strategische Anbindung der indischen Großmacht und die Ausschaltung von Konkurrenten Amerikas

Die amerikanische Regierung macht sich an dem kleinen Kunststück zu schaffen, eine ambitionierte Macht mit zusätzlichen Mitteln zu versehen und dadurch deren proamerikanische Ausrichtung sicherstellen zu wollen. Was Amerika bei China als Gefahr ausgemacht hat, soll im Falle Indiens durch dessen Aufwertung und materielle Ausstattung verhindert werden. Die neue ‚strategische Partnerschaft‘ zielt darauf, bestimmenden Einfluss zu erobern auf die elementaren, für die nationale Macht entscheidenden – eben ‚strategischen‘ – Mittel und darüber auf die politischen Grundsatzentscheidungen Neu Delhis. Diesem Programm dient die Belieferung des indischen Militärs genauso wie die weit reichende Kooperation bei der Atomtechnologie und Energieversorgung. Die Bush-Regierung betätigt sich dabei nicht nur als maßgebliche Instanz für die Zulassung indischer Atommacht und verknüpft ihre Statuszuweisung mit Auflagen, die ihre Unterhändler als Bedingung für das Atomabkommen in der Tasche haben – Atomtestverzicht und Kontrollen der für zivil erklärten Anlagen durch die IAEO. Sie macht sich auch daran zu schaffen, durch enge Zusammenarbeit die atomare Energiegewinnung Indiens in Amerika genehme Bahnen zu lenken, Indien in das amerikanische Programm zur Entwicklung neuer Kraftwerk- und Reaktortypen einzubauen, das Programm eines eigenen indischen Brennstoffkreislaufs nach Möglichkeit hinfällig zu machen. Und sie fasst eine Rüstungskooperation ins Auge, die die Lieferung militärischen Geräts jeder Art bis hin zu Raketenabwehrsystemen, Produktionskooperation und Technologietransfer sowie gemeinsame Manöver vorsieht, in deren Rahmen also ein umfassender Um- und Ausbau des indischen Militärs mit amerikanischen Mitteln und zugleich damit der Einbau amerikanischer Kompetenz in Indiens Gewalthaushalt stattfinden soll. Diese materielle Unterstützung der indischen Großmachtstellung ist dazu gedacht und ja auch geeignet, mit dem Ausbau der Großmachtfähigkeiten zugleich Abhängigkeiten der Gegenseite zu stiften, die in deren nationale Berechnungen als bestimmender Faktor eingehen. Die Bush-Regierung geht davon aus, dass die Zurücknahme der Ausgrenzung und Sanktionen, die Anerkennung Indiens als Atommacht, die daran geknüpften umfassenden Angebote auf allen Ebenen staatlicher Machtentfaltung genügend Gewicht haben, um Indiens politischer Klasse klarzumachen, dass das Land nur an der Seite Amerikas verlässlich vorankommt, also gut daran tut, sich auf die Rolle einer proamerikanischen Macht festzulegen und ihre damit unvereinbaren Rechnungen mit Dritten aufzugeben.[3]

Gleichzeitig soll damit nämlich der Einfluss anderer Staaten zurückgedrängt werden, die mit Indien in all den Bereichen im Geschäft sind, die jetzt von den USA als Bestandteil seiner strategischen Partnerschaft mit Indien mit Beschlag belegt werden. Das betrifft insbesondere Russland, das, als Erbschaft aus den Zeiten des Kalten Krieges, bisher Indiens bevorzugter Lieferant von Waffen und Atomtechnologie gewesen und geblieben ist – noch heute sind über 50% der Rüstungsgüter russischer Herkunft und ist Russland Hauptadresse für die Lieferung atomarer Technologie. Diese Rolle will die Bush-Regierung Russland ab-, damit die Rolle der – weit überlegenen – Bündnismacht Indiens übernehmen und auch gleich die Kontrolle über die konkurrierenden Aktivitäten der übrigen Anwärter ausüben.[4] Sie reklamiert mit der einseitig vollzogenen Legalisierung des indischen Atomsektors nicht nur die Stellung der bevorrechtigten Zulassungsinstanz zu den Geschäfts- und Einflussgelegenheiten in diesem ‚sensiblen‘ Bereich. Sie regelt auch die näheren Konditionen mit Indien – und sie reserviert sich die führende Rolle in dem damit eröffneten weiten Feld technologischer, geschäftlicher und militärischer Kooperation, für die die USA von Haus aus beste Voraussetzungen an technischem Know-how, geschäftlicher Wucht und weltpolitischer Entscheidungsfreiheit mitbringen. Konkurrierende Anbieter sollen damit ausgeschaltet oder auf untergeordnete Lieferdienste festgelegt werden.

3. Indiens neues Aufstiegsprogramm: Mehr Freiheiten als Großmacht durch selbstbewusste Kooperation mit der Supermacht

Das alles sieht man in Neu Delhi freilich etwas anders. Weil die USA Indiens strategische Interessen nicht bestreiten, sondern in ihre eigene Strategie einbinden wollen, sieht sich die indische Seite in ihren Ambitionen als asiatische Führungsmacht bestätigt. Sie begreift die ‚Strategische Partnerschaft‘ als endgültigen Schritt zur Anerkennung, die ihrer selbst erworbenen Macht den Status verleiht, auf den Indien aus war, findet das nur zu gerecht, fasst die strategischen Möglichkeiten ins Auge, die ihr mit dem neuen Verhältnis zu den USA eröffnet werden, verbucht die Aufwertung insbesondere gegenüber China als entscheidenden Fortschritt und ist angetan von dem Zuwachs an weltpolitischem Gewicht und an Möglichkeiten machtvollen Auftretens, den das Land sich damit erobert. Es gewinnt die Unterstützung seines vormaligen Hauptkontrahenten in Rüstungsfragen– und damit mehr Freiraum für die Verfolgung seiner nationalen Aufstiegsambitionen. Es erhält ungehinderten Zugang zu Brennmaterial und zu Atomtechnologie, außerdem die allerhöchste Lizenz und materielle Unterstützung bei dem Bestreben, seine militärischen Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Das alles verbucht man indischerseits selbstverständlich als Erfolg der bisher bewiesenen Entschlossenheit, sich nicht ein- und unterordnen zu lassen, Erpressungen und Sanktionen nicht zu beugen – und meint sich aus all diesen Gründen den ‚Preis‘ leisten zu können, den man für den Zugewinn zu zahlen hat: die Aufgabe der strikten Unabhängigkeit, die diese Fortschritte eingebracht hat.

Freilich, ein Widerspruch ist und bleibt es schon für eine emanzipationswillige aufstrebende Großmacht vom Kaliber Indiens, die eigenen Freiheiten durch eine weitgehende Bindung an die Weltmacht erweitern zu wollen, welche an ihrem Unterordnungsbedarf keinen Zweifel lässt. Und mit ihrem Interesse an einer Beendigung der ‚Isolierung‘ und ihrer Bereitschaft zu einer solch umfassenden Bündnispartnerschaft gesteht die bisher so auf ‚Selbständigkeit‘ bedachte Führung ja auch ein, dass ihre Leistungen bei der Atomrüstung erst durch die Anerkennung der wirklichen und einzigen Weltmacht und den darüber eröffneten Zugang zu auswärtigen Ressourcen so zur Geltung kommen, wie es die Nation beansprucht, aber aus eigener Macht eben nicht erzwingen kann; dass entscheidende Zugewinne in der Machtkonkurrenz angesichts der amerikanischen Dominanz also eher mit als gegen die amerikanische Vormacht zu erreichen sind, deswegen aber auch das Eingehen auf deren strategische Berechnungen erforderlich ist. Das wird von den indischen Nationalisten, die auf solche Gewinne aus sind, als durchaus zwiespältig erfahren.[5] Wenn Premierminister Singh nicht müde wird zu betonen, dass Indien seine Souveränitätsrechte bzgl. aller Maßnahmen behält, die nötig sind, um seine Interessen zu wahren (Statement im Parlament, 24.3.06), dann verrät das die Befürchtungen innerhalb der politischen Klasse, Indien könnte mit seiner Kehrtwende entscheidend an Souveränität verlieren und gegen seine Interessen für die Weltmacht Amerika eingespannt werden – aber auch den festen Willen, es dahin keinesfalls kommen zu lassen.

4. Die Verlaufsformen einer wunderbaren Freundschaft mit keineswegs gleichen imperialistischen Perspektiven

Was für Amerika ein erster entscheidender Schritt dazu ist, Indien durch Aufwertung und Aufrüstung für sein Hegemonieprogramm zu instrumentalisieren und verlässlich einzugemeinden, das soll nach indischer Lesart also der Bestätigung und Fortschreibung des neuen weltpolitischen Gewichts dienen, die dem Land gewisse Zugeständnisse wert sind: nützliche Verbindungen zu den USA, aber keinesfalls Unterordnung unter sie. Damit ist ein weites Feld des Ringens eröffnet, wie die „strategische Partnerschaft“ ausgestaltet werden soll.

Das betrifft zunächst das Nuklearabkommen selbst, das ja an die elementaren Grundlagen der indischen Macht rührt. Die Trennung der „zivilen“ von der „militärischen“ Nutzung der Atomenergie ist der für beide Seiten heikelste Punkt der Vereinbarung: An ihr entscheidet sich, in welchem Umfang das indische Atomprogramm der Kontrolle unterstellt und die Freiheit zum Ausbau der Atomstreitmacht beschränkt wird; die USA wollen möglichst viel der „zivilen“ Abteilung zuschlagen und damit der internationalen, sprich ihrer Kontrolle unterwerfen, Indien umgekehrt möglichst viel seiner Atomindustrie als „militärisch“ deklarieren und unkontrolliert halten. Bis jetzt sind die genauen Bestimmungen immer noch nicht endgültig festgelegt.[6] Auch die Ratifizierung des Rahmenabkommens in den jeweiligen nationalen Parlamenten ist noch nicht abgeschlossen.

Gleichzeitig ist längst der praktische Kampf im Gange, inwieweit das Bündnis mit den USA sich in einen Zugewinn an Handlungsspielraum für indische Interessen ummünzen lässt. Die nationalen Sachwalter des indischen Großmachtaufstiegs verfolgen dabei eine doppelte Strategie. Mit dem neuen Gewicht einer anerkannten Atommacht mit besonderen Beziehungen zur amerikanischen Weltmacht im Rücken bringen sie ihre Nation jetzt erst recht als potenten Konkurrenten, drohfähige Macht und insofern gewichtige Adresse für nützliche Beziehungen bei Dritten ins Spiel. Zugleich tritt Neu-Delhi denen und Washington gegenüber demonstrativ als eigenständige Kraft auf. Um einer in allen politischen Lagern Indiens befürchteten einseitigen Abhängigkeit von den USA aus dem Wege zu gehen, ergänzt und konterkariert Neu-Delhi die Sonderbeziehungen zu den USA mit bilateralen Abkommen oder bereits bestehenden Kooperationsabkommen mit Konkurrenten Amerikas, insbesondere Russland – auch und gerade auf dem atomaren Feld. Es schließt sich zwar der Resolution gegen die Atompolitik des Iran an: Das Pipelineprojekt mit Iran und seine Beziehungen mit Iran und Syrien gibt Delhi aber keineswegs auf, sondern verpasst ihnen im Gegenteil ausdrücklich auch den Titel „strategisch“. Und auch gegenüber seinem Hauptkonkurrenten China nutzt Indien seine neue Stärke keineswegs streng im Sinne amerikanischer Eindämmungsinteressen, sondern führt seine „strategische Partnerschaft“ mit China fort: Die beiden Mächte verhandeln nämlich schon seit längerem über eine Beilegung ihrer Grenzkonflikte, fassen die Verlängerung der geplanten Iran-Pakistan-Indien-Pipeline nach China sowie die Einrichtung einer gemeinsamen Freihandelszone ins Auge, beschließen einen Fünfjahresplan zur Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und des Handels – und treten gemeinsam für den Abzug von US-Truppen aus Zentralasien ein.

So macht die indische Regierung ihren Willen geltend, Indiens ‚Rolle‘ als asiatische Großmacht nicht gemäß den strategischen Kalkulationen der USA einengen zu lassen und jede einseitige Festlegung auf amerikanische Konfliktlinien zurückzuweisen. Sie macht sich anheischig, mit ihrem durch die USA neu zugestandenen Status gegenüber ihrem neuen, auf einseitige Festlegung dringenden ‚Partner‘ eine in ihrem Sinne ‚multipolare Weltordnung‘ voranzubringen. Schließlich geht es nicht nur den USA sondern auch Indien um Machtverschiebungen elementarer Natur. Das trauen sich Indiens Führer mit ihrem durch Jahrzehnte geschärften nationalen Selbstbewusstsein nämlich schon zu: das amerikanische Angebot einer tragenden Rolle in der US-Strategie für sich zu instrumentalisieren und sich über die darin eingeschlossenen Anforderungen soweit hinwegzusetzen, wie es ihre nationalen Berechnungen gebieten. Und sie bedienen sich dabei, soweit es geht, der von den strategischen Übergängen amerikanischer ‚Asienpolitik‘ geschädigten imperialistischen Konkurrenten.

5. Die Gegenstrategien der imperialistisch Betroffenen

Von dieser neuen ‚strategischen Partnerschaft‘ Amerikas mit einem Staat vom Kaliber Indiens sind die Gewaltverhältnisse und zu veranschlagenden Gewaltmittel, also die strategischen Interessen aller entscheidenden Staaten betroffen – und so ist es ja auch von den USA in erster und von Indien in zweiter Linie gemeint.

Der unmittelbare Adressat und Gegner China

sieht sich damit konfrontiert, dass seine Position gegenüber dem indischen Atomprogramm von den USA faktisch zunichte gemacht wird. Als die asiatische Atommacht hat China im Interesse seiner Vormachtstellung stets verlangt, dass Indien abrüstet und als ‚have not‘ dem NPT beitritt, also auf einer Ächtung Indiens bestanden und von ihr profitiert. Jetzt wird China diese Sonderstellung streitig gemacht, der Hauptkonkurrent um die Rolle der asiatischen Führungsmacht von Washington aufgewertet und ausgerüstet. Und das ausdrücklich, weil die USA Peking eine konkurrierende Macht gegenüberstellen wollen, die – mit ähnlichen Voraussetzungen, was Volksmassen, ökonomisches Wachstum, militärische und jetzt eben auch atomare Schlagkraft angeht – China Fesseln anlegt. Also eine Bedrohung neuer Art: Die Führung in Peking hat sich darauf einzurichten, dass Washington von einer Bekämpfung des chinesischen Aufstiegsprogramms nicht ablässt, im Gegenteil auf eine strategische Einkreisung des Landes hinarbeitet. Daher sieht sie sich genötigt, mit ihrem regionalen Konkurrenten, der jetzt in entscheidenden Machtbelangen endgültig gleichrangig zu werden droht, neu zu kalkulieren: einerseits sich zu wappnen gegen Indiens gewachsenen Ansprüche und Möglichkeiten, ihnen Geltung zu verschaffen; andererseits sich mit Indien über die zwischenstaatlichen Territorial- und anderen Gegensätze und über gemeinsame Interessen zu verständigen – mit dem ausdrücklichen Ziel, sich mit dem Kontrahenten darüber einig zu werden, keinesfalls eine ‚amerikanische Dominanz‘ in Asien zuzulassen, und so die amerikanische Politik der Einkreisung und Isolierung zu unterlaufen.

Betroffen und geschädigt sehen sich aber auch

Alte Bündnispartner der USA in der Region

Pakistan, inzwischen auch atomar bewaffnet, wird von seinem bisherigen Förderer USA die Aufwertung zur Atommacht, also die Gleichstellung mit Indien verweigert; und eine entscheidende Grundlage seiner Machtstellung, die von Amerika bislang gewünschte und geförderte Rolle einer Indien beschränkenden, eben schon wieder ‚Gegen-Macht‘ wird untergraben. Es sieht sich damit konfrontiert, dass sein großer Nachbar, gegen den es sich mit seinen territorialen Ansprüchen in Kaschmir und mit seinen sonstigen Interessen in der Region behaupten will und muss, eine politische Aufwertung und einen militärischen Machtzuwachs erfährt, dem es nichts entsprechendes entgegenzusetzen hat. Pakistan muss erfahren, dass seine proamerikanische Ausrichtung und seine Dienste im amerikanischen Anti-Terror-Kampf nicht mit einer Anerkennung und Befestigung seiner Machtposition einhergehen. Seine Regierung ist daher zunehmend der nationalistischen Kritik ausgesetzt, sie unterwerfe sich amerikanischen Interessen und betreibe einen Ausverkauf nationaler Interessen.

Was den Haupt-Verbündeten der USA, Japan, betrifft, so ist für den die Aufwertung Indiens zum ‚Gegengewicht‘ gegen China mit anerkanntem Atommachtstatus eine weitere wuchtige Bestätigung dafür, dass er für den Machtkampf in und um Asien, den Amerika entfacht, nicht gerüstet ist.[7]

Die anderen Atommächte und Konkurrenten der USA

sehen sich ebenfalls herausgefordert durch die amerikanische Initiative – nicht nur in ihrer Rolle als Atomkontrollmächte und als konkurrierende Ausrüster Indiens, sondern vor allem auch als Mächte, die weltpolitisch mitzuentscheiden haben. Dass Amerika sich als das herausgehobene Subjekt betätigt, das den anderen vier alten Atommächten Indien als eine strategische Größe zur Seite stellt, dass es also mit der Unterstellung bricht, die alten Atomwaffenhüter seien im Prinzip gleichwertige Kontrollmächte, damit die oberste Waffenfrage ausdrücklich zum Gegenstand einseitiger amerikanischer Diplomatie macht, die diese Frage gemäß amerikanischer Unterscheidungen von ‚Freund‘ und ‚Feind‘ und nicht mehr im Sinne einer gemeinschaftlichen Kontrolle über den Rest der Welt behandelt – dagegen erhebt sich zwar kein offener Einspruch.[8] Um so nachdrücklicher melden sich die betroffenen Staaten als Konkurrenten auf der neuen Grundlage an, die die US-Regierung mit ihrem eigenmächtigen Vorgehen hergestellt hat und mit der sie die Konkurrenz um die einflussträchtigen Artikel in ihrem Sinne gleich mit entschieden und in die richtigen Bahnen gelenkt haben will. Sie verstehen und behandeln die Legalisierung durch die USA als endlich gegebene Erlaubnis zum freien Verkehr mit Indien in Atom- und anderen Fragen, also als Eröffnung des Wettbewerbs um die Ausstattung Indiens mit strategischen Gütern und um Geschäfte und einflussreiche Beziehungen zu diesem für alle imperialistischen Interessen jetzt noch wichtigeren Aufsteiger. Insbesondere Russland verstärkt seine Bemühungen, mit seinen besonderen Beziehungen aus Zeiten des Ost-West-Gegensatzes Grundlagen für eine enge ‚Partnerschaft mit Indien für das 21. Jahrhundert‘ zu legen und sich bei Kraftwerksbau, Brennstoffversorgung und auf militärischem Gebiet gegen das von Amerika initiierte Programm und auch gegen laufende amerikanische Einsprüche zu behaupten.[9] Auch Frankreich macht sich daran, die eigenmächtige amerikanische Statuszuweisung an Indien als Gelegenheit für jetzt ja erlaubte Atomgeschäfte und damit politischen Einflussgewinn auszunutzen. Es äußert schon seit längerem den Wunsch nach Aufhebung der Sanktionen und hat schon zu Beginn des Jahres ein Vorabkommen über umfassende nukleare Kooperation mit der indischen Seite abgeschlossen. Die entscheidenden Staaten ringen also darum, Amerika keinesfalls die unbestrittene Führerschaft und den geschäftlichen wie politischen Gewinn zu überlassen, den die Bedienung des Bedarfs eines solchen aufstrebenden Landes nach den materiellen Grundlagen, die kapitalistischer Erfolg und staatliches Gewicht in der Machtkonkurrenz heutzutage erfordern, einbringt. Alle machen sich daran zu schaffen, mit Indien im Geschäft zu bleiben und die ‚guten Beziehungen‘ auszubauen, die diese elementaren Grundlagen von Geschäft und Gewalt – Energie, Militär – betreffen. Und alle denken dabei ausdrücklich an den entscheidenden Ertrag, den sie den USA streitig machen wollen, soweit ihre Macht reicht: materiell abgesicherten Gewinn an Einfluss auf eine wachsende indische Macht – ‚strategische Positionen‘ also in der globalen Gewaltkonkurrenz.

Das zu mehr globaler ‚Verantwortung‘ aufgerufene Deutschland

kann da selbstverständlich nicht abseits stehen. Es geht ja längst davon aus, dass ihm auch ohne offiziellen Atommachtstatus und Sicherheitsratsveto eine diesem Status gleichgewichtige Rolle zusteht. So ist auch in Berlin die amerikanische Botschaft angekommen, dass mit Indien als Großmacht neu zu rechnen ist. Bei einem Besuch des indischen Premiers Singh in der Bundesrepublik Ende April haben Deutschland und Indien deshalb vereinbart, ihre strategische Partnerschaft … zu vertiefen. (Gemeinsame deutsch-indische Erklärung, 23.4.06) In Kopie der US-indischen Partnerschaft wird der Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen angekündigt, umfassende Kooperationen in Rüstungsfragen werden vereinbart, Atom-Exporte und so eine Teilhabe am Regelbruch (Singh) durch die Bush-Regierung in Aussicht gestellt und überhaupt umfassende wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit einschließlich der Weltraumforschung angepeilt. Das Bestreben Indiens, einer einseitigen Abhängigkeit von den USA bei der Ausstattung und Wahrnehmung seiner Großmachtrolle vorzubeugen, wird von Kanzlerin Merkel als Sachwalterin deutscher Interessen genutzt, um ihrerseits als weltpolitisches Subjekt tätig zu werden, das Indien umfassend protegiert und dadurch das eigene Gewicht mehrt. Gegen wen diese Politik gerichtet ist, ist kein Geheimnis:

„Deutsche Regierungsberater halten es für möglich, trotz der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten auch in Südasien eine von Washington unabhängige Politik verfolgen und damit die eigenen nationalen Spielräume ausweiten zu können.“ (German-Foreign-Policy.com, 24.4.06)

Die US-Regierung mischt das Kräfteverhältnis in Asien neu auf, stattet Indien mit entsprechendem Material aus, um es als Hilfsmacht eines Abschreckungsprogramms gegen China aufzustellen, das selbstverständlich mit Kriegslagen in atomaren Dimensionen kalkuliert. Und Deutschland ist es sich als imperialistischer Konkurrent schuldig, dieses Projekt Amerikas als Vorlage für ein eigenständiges Einwirken auf die globalen Gewaltverhältnisse zu nutzen. So geht „Friedenserhaltung“ auf Weltmachtniveau – mit eigenen „strategischen Partnerschaften“.

[1] Wie als Gegenprobe zur Konzession an Indien verweigert der US-Präsident auf derselben Reise Pakistan, seinem alten Verbündeten sowie Erzfeind Indiens, eine vergleichbare Rolle. Den Willen, Länder nach ihrer Tauglichkeit für Amerikas politisch-strategischen Zugriff auf die Region zu sortieren, drückt Bush als Eigenschaft der betroffenen Länder aus: Pakistan und Indien sind zwei unterschiedliche Staaten, mit unterschiedlichen Bedürfnissen und einer unterschiedlichen Geschichte.

[2] Das alles ist den Begutachtern der globalen Szene selbstverständlich, wenn sie über „Machtgleichgewichte“ und „–verschiebungen“ räsonieren, auf die es Amerika abgesehen hat: Sie zählen indische Bomben und Raketen, rechnen die staatliche Verfügung über Uran, Wirtschaftskraft und Volk in „strategisches Gewicht“ um – und verstehen unbesehen, was die USA wie ein physikalisches Gesetz ansagen: Das „Kräfteverhältnis“ in Asien muss sich ändern, damit die Lage stabil wird; Indien muss und darf kriegsfähiger werden, damit der Friede sicherer wird. Länder und Völker aufmischen, um die Welt in Ordnung zu bringen: Wem dies rohe Programm des modernen Imperialismus zusteht und wem nicht – dafür entwickelt der geschulte Verstand unparteilicher Berichterstatter so viel Verständnis wie ihnen selbstverständlich ist, dass Beschaffung und Einsatz von Tötungsgerät der Lizenz einer Weltmacht obliegen soll, die über der Konkurrenz der Waffen stehend die Berechtigung staatlichen Besitzes und Gebrauchs prüft, genehmigt oder verurteilt. Kritik am „Atom-Deal“ üben westliche Meinungsmacher deshalb in der Manier ideeller Strategen, Diplomaten und Hüter des Weltfriedens: Ob es ‚gelingt‘, China durch Aufrüstung Indiens einzudämmen; ob man Indien damit nicht bloß ‚groß‘ und selber unberechenbar macht; ob Bush nicht ein falsches Signal an die Adresse Irans sendet, wenn er Indien mit Brennmaterial beliefern will…

[3] Kein Wunder, dass in Amerika interne Zweifel aufkommen. Schließlich gewährt Amerika einer auf ihre Selbständigkeit pochenden Großmacht ‚Partnerschaft‘ und Zugang zu militärischen Gewaltmitteln, die diese im geraden Gegenteil zur amerikanischen Intention zu eigenmächtigen Taten animieren könnten, so die kritische Sicht auf das US-indische Atomabkommen, die in der Forderung nach mehr Kontrolle über das indische Atomprogramm mündet. Darüber hinaus bemängeln Kritiker im US-Kongress, dass die getroffene Vereinbarung die Glaubwürdigkeit der USA bei ihrem aktuellen Kampf gegen ‚Schurkenstaaten‘ wie Iran oder Nordkorea untergrabe: Demokratische und republikanische Opponenten des Abkommens sagen, dass Indiens Zugeständnis, Inspektionen einiger Anlagen seines Nuklearprogramms zuzulassen, bedeutungslos ist, wenn das Land zugleich ein militärisches Nuklearprogramm aufrechterhält, das von solchen Inspektionen ausgenommen ist. Kritiker bemängeln auch, dass der Schnelle Brüter unter militärischer Kontrolle, daher ohne Inspektionen, verbleibt; dies würde Indien erlauben, viel mehr Atomwaffen zu entwickeln, und das noch schneller als in der Vergangenheit… Außerdem, so die Kritiker des Deals, würde damit ein doppelter Standard gesetzt, wenn man Indien Zugang zu Nukleartechnologie gewährt, was es für Amerika und seine Alliierten schwerer machen wird, Iran davon zu überzeugen, seine Atomwaffenambitionen aufzugeben. (NYT, 2.3.2006) Die inneramerikanische Kritik zeugt von dem Anspruch, sich eines fähigen Bündnispartners versichern, dessen Machtpotenzen aber zugleich unter Kontrolle nehmen zu wollen, der hier den Maßstab für Einwände bildet.

[4] 2004 hat sie erfolgreich darauf gedrängt, dass die Kontrollstaaten Russlands Wunsch nach einer Sonderregelung für seinen geplanten Nuklearexport nach Indien ablehnen, und noch jetzt stellt sie gegenüber der russischen Zusage für Uranlieferungen an Indien klar: Erst wenn Amerika seine Embargo-Gesetze gegenüber Indien verändert und in der Folge die Nuclear Supplier Group ihre Richtlinien angepasst habe, seien andere Länder ‚frei‘, nukleartechnologisch mit Indien zusammenzuarbeiten (US-Außenstaatssekretär Burns, laut FAZ, 18.3.06).

[5] Kein Wunder, dass auch in Indien dieser neue Weg heftig umstritten ist. Kritiker monieren, das Nuklearabkommen käme einer Aufgabe der Souveränität über das eigene Atomprogramm gleich und gefährde zudem den Aufbau eines umfangreichen Nukleararsenals, wie es für die indische Großmacht nötig sei. Sie warnen vor einer Knebelung und Sabotage eigener atomarer Forschungsprogramme – Indien, mit den weltweit größten Reserven an Thorium gesegnet, arbeitet an der Entwicklung von Thorium-Reaktoren, die das Land unabhängig von auswärtigem Brennstoff machen. Aber auch der generelle Verlust außenpolitischer Autonomie wird angeprangert, dass nämlich das Abkommen dazu angetan sei, Indien zu einem Juniorpartner der USA zu machen, um deren globale Ambitionen zu erfüllen. Und für eine dieser unwürdigen Rolle entsprechenden Willfährigkeit lässt sich auch sogleich ein Beweis finden: das überraschende Votum der indischen Regierung für die IAEA-Resolution gegen den Iran im September 2005. (Prabodh Panda lt. Arms Control Today, Jan-Feb 2006)

[6] Die letztgültige Fassung des Abkommens beinhaltet im Wesentlichen: Indien deklariert 14 seiner aktuell 22 Atomanlagen als „zivil“; der in Entwicklung befindliche ‚Schnelle Brüter‘ gehört nicht dazu. Diese vierzehn Anlagen sind der Kontrolle der IAEA zu unterstellen, zunächst in einem Zeitraum von 2006 – 2014; genaue Modalitäten über Art und Zeitabstände der Überprüfungen sind noch zwischen Indien und der IAEA auszuhandeln. Indien hat sich außerdem verpflichtet, alle zukünftigen „zivilen“ Anlagen – Brüter oder konventionell – einem Kontrollregime zu unterwerfen. Im Gegenzug verpflichtet sich Amerika, jederzeit genügend Brennstoff für die „zivilen“ Reaktoren zu liefern und innerhalb der NSG für einen vollständigen Zugang zum internationalen Markt für Nuklearbrennstoff zu sorgen.

[7] Über die imperialistischen Drangsale Japans in der neuen amerikanischen Weltordnung ist im GegenStandpunkt 2-06 das Nötige vermerkt.

[8] Es bleibt abzuwarten, wie und wieweit Einwände und Vorbehalte geltend gemacht werden, wenn demnächst die nachträgliche Zustimmung der anderen Atommächte sowie der erweiterten Gruppe von derzeit 45 NSG-Staaten gefragt ist, die sich auf Drängen der USA – als Antwort auf Indiens erste erfolgreiche Atombombenversuche 1974 – darauf verpflichtet haben, gemeinsame Richtlinien zur Exportbeschränkung bei Atomtechnologie und Atombrennstoff gegenüber Staaten umzusetzen, die nicht den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben und sich der Atomkontrollbehörde unterstellt haben. Die USA jedenfalls haben längst neue Richtlinien und Fakten für den Umgang mit Indien gesetzt, und die Atommächte, außer China, sowie entscheidende Atomtechnologie exportierende Länder wie Deutschland haben ihre Zustimmung signalisiert.

[9] Russland lässt sich nicht davon abbringen, Indien beim Bau zweier Kernreaktoren im Süden des Landes zu unterstützen, und weist die US-Kritik an dieser Zusammenarbeit mit dem Argument zurück, die entsprechenden Verträge seien bereits vor den 1998 in der NSG beschlossenen Sanktionen unterzeichnet worden. Außerdem hat es Anfang März zugesagt, trotz des noch bestehenden Embargos 60 Tonnen Uran zu liefern, sowie Gas- und Öllieferabkommen abgeschlossen. Indien und Russland halten gemeinsame Manöver zu Land und zu See ab. Indien erwägt den Kauf eines ausgemusterten Flugzeugträgers von Russland sowie den Erwerb nuklear angetriebener U-Boote. Auch politisch präsentiert sich Russland als Alternative, erkennt den indischen Standpunkt an, demgemäß Kaschmir ein bilaterales, indo-pakistanisches Problem ist und stellt sich damit gegen die US-Ansicht, dass der Anti-Terrorkampf eine ‚Internationalisierung‘ dieses Konfliktes nötig mache.