Der Radikaldemokrat Jörg Haider

„Populist und Demagoge“ Haider von der FPÖ stachelt den österreichischen Nationalismus an: als „Inländerfreund“ ist er unzufrieden mit dem „ausländerfreundlichen“ Österreich; als Vergangenheitsbewältiger will er das geheuchelte nationale Schämen über Österreichs faschistische Vergangenheit begraben; als Kritiker der Altparteien will er den Staat gegen Einzelinteressen schlagkräftiger machen; als politisch visionärer Weltpolitiker schließlich will er eine stärkere imperialistische Macht Österreich mit Deutschland in Europa.

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Der Radikaldemokrat Jörg Haider

Die „Gefahr von rechts“ heißt in Österreich Jörg Haider. Dieser wird von aufrechten Demokraten beschuldigt, mit „menschenverachtenden“ Forderungen, einer „untragbaren Rechtslastigkeit“ und „völkischen“ Ideen „die Bundesregierung vor sich her“ zu treiben und „immer weiter nach rechts“ zu ziehen. Offensichtlich ist ihnen aufgefallen, daß sich die Standpunkte der regierenden Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP und der des „menschenverachtenden“ Politikers zum Verwechseln ähnlich sind. Das ist es aber gar nicht, was sie aufregt. Mit ganz viel Verständnis für die Methoden der demokratischen Parteienkonkurrenz lassen sie es sich einleuchten, daß die demokratische Bundesregierung, konfrontiert mit dem zunehmenden Erfolg der rechten Oppositionspartei, sich beeilt, deren Politik zu betreiben – um den Aufstieg der rechten Gefahr zu bremsen. Wenn aus ihrem Befund, die Regierung sei dabei unter Zugzwang geraten, überhaupt ein Vorwurf herauszuhören ist, dann der, daß sie ihrem Konkurrenten nicht zuvorgekommen ist.

Von besagten Demokraten läßt man sich also besser nicht sagen, was von Haider zu halten ist. Es ist nämlich nicht zu übersehen, daß sie dem FPÖ-Mann in der Sache nichts entgegenzusetzen haben und nichts entgegensetzen wollen. Sie stört der Erfolg des politischen Konkurrenten, der ihnen gerade deswegen so ärgerlich und unerträglich ist, weil er von einem Standpunkt aus gegen sie Punkte macht, den sie teilen, den sie mit ihrer Politik selbst in die Welt setzen und den sie deswegen nur schlecht entkräften können. Wo die demokratische Regierung die maßgeblichen „Probleme“ der Nation aufwirft, die die Politik zu lösen habe, klagt Haider die Regierungsverantwortlichen des Versäumnisses an, die Lösung dieser Probleme nicht entschieden genug voranzutreiben. Der Zugzwang, dem sich die demokratischen Parteien ausgesetzt sehen wollen, funktioniert eben genau umgekehrt. Sie drängen auf die Bewältigung des „Ausländerproblems“, sie pflegen eine vom Willen zur Säuberung des Staates und seiner Institutionen getragene Skandalkultur, sie bestehen auf einer Neudefinition der Rolle Österreichs in Europa, und sie bezichtigen sich bei alledem wechselseitig der Unfähigkeit, die nationalen Probleme angemessen anzupacken. So lassen sie Haider, der an all diese Problemdefinitionen anknüpft, als den konsequentesten Vertreter ihrer nationalen Anliegen erscheinen, wenn der auf Vollzug dringt. Was ihnen gegen diesen radikalen Verfechter ihrer Anliegen einfällt, ist dementsprechend matt. Sie beschimpfen ihn als „Demagogen“ und „Populisten“, der auf ihrer Politik sein Süppchen kocht und mit ihren Parolen ein Volk verführt, das eigentlich ihnen nachlaufen soll; sie grenzen ihn mit der Erinnerung an „Methoden der Vergangenheit“ aus dem Kreis der Demokraten aus und werfen ihm seinen „Führer- und Personenkult“ vor, als wäre Führungsstärke für sie ein Fremdwort und keine Tugend. Mit solchen Angriffen schauen sie regelmäßig ziemlich alt aus. Haider sonnt sich in der Rolle des Ausgegrenzten, nimmt sie als Beleg für die Radikalität seiner Opposition und setzt die Ausgrenzer in Fernsehshows regelmäßig damit ins Unrecht, daß er schon vor zehn Jahren und damals unter größten Anfeindungen das gefordert hat, was die Schlappmänner von der Regierung zum Schaden der Nation heute erst in Angriff nehmen.

Der Unterschied zwischen den regierenden Demokraten und Haider ist insoweit also nur der zwischen den Machern österreichischer Politik und demjenigen, der dieser Politik vorauseilend fehlende Entschlossenheit nachsagt. Dieser Unterschied ist jedoch nicht zu vernachlässigen. Er begründet die Besonderheit eines Politikers, der für die Anstachelung des österreichischen Nationalismus einiges tut und damit Erfolg hat. Dem „politischen Erneuerer“ schlägt nicht nur aus dem eigenen Lager offene Bewunderung entgegen. Von der meist gelesenen österreichischen Tageszeitung werden ihm die Qualitäten eines „heimlichen opinion leader“ attestiert. Und damit hat sie gar nicht so unrecht.

Der „Inländerfreund“

Einen Importstopp für Asylanten und all die anderen Ausländer, die als menschliche Konkursmasse des abgedankten Sozialismus und bedroht von Armut und Krieg durch die neuen Machthaber nach Österreich immigrieren wollen, fordert nicht nur Haider. Im Unterschied zu den regierenden Demokraten, die diesen Importstopp betreiben, fordert er ihn als „Inländerfreund“. Er polemisiert gegen den Standpunkt der Ausländerfreundlichkeit, weil er in ihm die Gefahr einer Vernachlässigung des österreichischen Nationalismus sieht. Unter der Parole „Österreich zuerst“ klagt er die Regierenden an, den „lieben Landsleuten“ ein Privileg gegenüber Ausländern vorzuenthalten und zuzulassen, daß Ausländer „österreichischen Arbeitnehmern Arbeitsplätze stehlen“. Den von der demokratischen Ausländerpolitik praktizierten Rassismus, der von dem Prinzip ausgeht, daß die Angehörigen fremder Nationen von Staats wegen anders zu behandeln sind als die Inländer, daß ihnen die Rechte nicht zu gewähren sind, die Österreichern gewährt werden, benutzt Haider als Hebel, seinen Landsleuten ins nationale Gewissen zu reden. Er bietet ihnen an, ihre Lage in die Probleme ihrer Nation zu übersetzen, ihre Lage also zu vergessen und ihr Recht als Österreicher verletzt zu sehen. Dafür, daß dieses Unrecht an der Nation aus der Welt kommt, will er sie mobilisieren. Daß diese Mobilisierung, der er durch eine Volksbefragung Gewicht verleihen will, im Wahlkreuz für seine Partei ihren Zweck erfüllt hat, nimmt nichts davon weg, daß sich dieser Mann einiges vorgenommen hat. Jedenfalls mehr, als ein paar Ausländer außer Landes zu bringen – mit der Schaffung von Arbeitsplätzen hat er ohnehin nichts zu tun: Er will den nationalistischen Volkswillen für eine Aufmöbelung der österreichischen Nation vereinnahmen. Wenn er seinen Cheftheoretiker das Recht der Deutschösterreicher auf die völkische Interpretation der österreichischen Identität betonen läßt, dann besteht Haider auf einem einheitlichen Volkswillen zur Nation. Und damit nimmt er eine Neudefinition des Staatsvolks vor, die einen Gegensatz zur gültigen Staatsräson enthält. Mit seiner Deutschtümelei bricht er ein Stück weit mit dem alten Selbstverständnis Österreichs als Staat, der dezidiert nicht völkisch sein will, sondern verschiedene Nationalitäten unter sich beheimatet und integriert und seine speziellen „Beziehungen“ daraus ableitet.

Das wird ihm von aufrechten Österreichern angekreidet. Und zwar deswegen, weil sein nationaler Ehrgeiz ihn nicht nur mit irgendwelchen Zuständen in Österreich unzufrieden werden läßt. Sondern mit Österreich. Dafür beruft er sich auf einen Titel, unter dem Österreich schon mal annektiert und in eine riesige Niederlage hineingezogen wurde: die deutsche Volkszugehörigkeit.

Der Vergangenheitsbewältiger

Berührungsängste zum Nationalsozialismus kann man Haider nicht vorwerfen. Er gibt nämlich damit an, keine zu haben. Und geht damit gegen seine demokratischen Konkurrenten in die Offensive. Er hält ihnen vor, daß solche Berührungsängste nur zu Konsequenzen führen, die auch ihnen nicht recht sein können; nach dem Muster: Mit ihrer moralischen Totalverurteilung des Faschismus versagen sie der „Kriegsgeneration“, die damals „ihre Pflicht erfüllt“ hat, die verdiente Anerkennung für ihren Einsatz für die Nation, den demokratische Politiker in anderen Zusammenhängen als höchste Ehre ihrer Untertanen behandeln und in Anspruch nehmen. Haider weiß sehr genau, welche Antifaschisten er in den österreichischen Demokraten vor sich hat. Solche nämlich, die es ebenso wie er gewohnt sind, das Volk für sämtliche fälligen Dienste an der Nation einzuspannen und in dieser Rolle zu verehren. Ihre Distanzierung vom Faschismus ist eben keine von dessen politischen Grundsätzen und Tugenden, sondern von deren angeblichem Mißbrauch; eine Veranstaltung der – nach dem Krieg gebotenen und zur bislang gültigen Staatsdoktrin erhobenen – Staatsmoral, die den demokratischen Staat, weil nicht Faschismus, ins Licht der unwidersprechlich guten Herrschaft rückt. Von dieser Sorte „Vergangenheitsbewältigung“ hat Haider noch nie etwas gehalten; ihrer Revision gelten seine freizügigen Auskünfte über die guten Seiten des Nationalsozialismus. Den Vorwurf, daß Österreich „mitgemacht“ habe, und die Aufforderung, sich endlich einmal dafür zu schämen – was am „Fall Waldheim“ aufgekommen ist –, lehnt er als Demütigung der Nation ab. Vom nationalen Zweck des offiziellen österreichischen Antifaschismus her, die unwidersprechliche Güte der Nation zu beschwören, hält er die Zerknirschung über die Untaten von Österreichern und die öffentliche Selbstbezichtigung für unwürdig und greift diese Veranstaltung mit seinen Bekenntnissen zur nationalen Kontinuität an.

Damit kommt Haider nicht nur bei österreichischen Nationalisten an, die das moralische Selbstverständnis ihrer Nation für längst revisionsbedürftig halten und die darin enthaltene Erinnerung an den verlorenen Krieg endlich tilgen wollen, weil sie den zukünftigen Weg ihrer Nation anspruchsvoller definieren. Haider ist auch gern gesehener Gast in Deutschland – auf Parteitagen der FDP beispielsweise. Das liegt daran, daß auch deutsche Nationalisten die Schuldfrage ad acta legen wollen, die in der antifaschistischen Tour der Staatslegitimation enthalten ist, weil sie von den vermehrten und keinen Einwand duldenden Ansprüchen ihrer Nation her denken und es ihnen deswegen ganz und gar unpassend vorkommt, daß sie sich etwas vorhalten zu lassen hat. Als in der ganzen Welt eingemischte Nation stellt Deutschland bei der Revision seiner Staatsmoral allerdings zusätzliche Berechnungen an. Sein Bild im Ausland als Nation, die „aus der Geschichte gelernt“ und sich gründlich zum Guten bekehrt hat, soll niemand ankratzen können – gerade dann nicht, wenn mit Europa so unübersehbar die deutsche Führungsrolle vorankommen soll. Die soll keiner mit unpassenden Erinnerungen an Hitler moralisch in Frage stellen können. Deswegen erhebt Deutschland einen Monopolanspruch auf seine Anti-Hitler-Traditionen; und deswegen sind Bekenntnisse zur nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland weniger erwünscht.

Außer sie kommen von einem Österreicher. Der kann mit seiner Offenherzigkeit als Österreicher Deutschland nicht in Verruf bringen, aber mit seiner direkten Art aussprechen, daß sich Deutschland nichts vorzuwerfen hat.

Der Kritiker des „Kammerunwesens“ und der „Altparteien“

An öffentlichen Skandalen über Parteienfilz, über Fälle von Amtsmißbrauch, Korruption und politischen Intrigen fehlt es in Österreich nicht. Auch in diesem Land ist es üblich, nicht die Macht zu kritisieren, zu der ein politisches Amt befugt, sondern das Personal zu begutachten, das sie ausübt. Der Maßstab politischer Kritik, der die Skandalkultur beflügelt, ist der Standpunkt gelungener Herrschaft, der manchem Amtsinhaber den Vorwurf einträgt, sich persönlicher Vorteile wegen am Auftrag seines Amtes vergangen zu haben. Insofern ist es auch gar nicht originell, wenn Haider über die Inhaber der ersten Ämter des Staates als eine Bande von „Kriminellen“ & „Tachinierern“, „Hedonisten“ & „Korruptionisten“ herzieht, die einen „Mauschelverein“ von „Bonzokraten“ unterhalten. Was aber schon aus solchen Tiraden hervorgeht, ist, daß sich hier einer aufstellt, der es bei dem Öffentlich-Machen von Skandalen und ihrer internen Abwicklung nicht belassen will. Haider fühlt sich berufen, aufzuräumen mit den Verhältnissen, in denen sich die Führungsschicht Österreichs eingerichtet hat. Dabei ist er so radikal, die Institutionen dafür zu kritisieren, daß sie die öffentlich gemachten Schiebereien von Posten und Finanzen zulassen und befördern. Das System von Kammern beispielsweise, in dem die Interessenvertreter der arbeitenden Klasse in die Regelung der Notwendigkeiten „der Wirtschaft“ eingebunden sind, erklärt er zum Relikt der „Ostblockisierung“ Österreichs. Das ist natürlich ganz unerträglich für einen, der „Österreich zuerst“ denkt. Ihn stört an dem von ihm so genannten „Kammerunwesen“ die Institutionalisierung von gesellschaftlichen Interessen, an der er nicht die durch den Staat beschränkte und in staatsnützliche Bahnen gelenkte Geltung dieser Interessen entdeckt, sondern ihre Geltung. Die berechnende Rücksichtnahme des Staats auf Interessen, die ihm nützlich sind, und ihre Institutionalisierung kommen ihm wie eine Beschränkung der Durchsetzungskraft des Staates vor. Nach derselben Logik kritisiert Haider die „Altparteien“ und ihren eingerichteten Proporz. Alles, was in der Nation nicht klappt, führt er darauf zurück, daß die Parteien und Interessensverbände die Besetzung von Staatsämtern unter sich ausmachen und darüber kein entschlossener Führungswille zustande käme. Für die Bereinigung dieses Skandals macht er sich stark. Er wirbt für sich und seine FPÖ mit dem Versprechen, einen Systemkampf gegen die verrotteten „Altparteien“ zu führen, und will damit an die Macht gewählt werden. Das ist vom Verfahren her ziemlich systemkonform und unterscheidet sich darin auch nicht von dem, was seine Konkurrenten wollen. Die versprochene Aufräumaktion geht jedoch immerhin der Idee nach so weit, daß sie den Sinn von Institutionen – Kammern und Proporz – mit in Frage stellt, die zum Aufbau des österreichischen Staats gehörten.

Der „politische Visionär“ und die Weltpolitik

Die Zeiten, in denen es Österreich (unter Kreisky) gelungen war, aus seiner Neutralität im Ost-West-Gegensatz eine eigenständige außenpolitische Rolle zu gewinnen, sind schon länger vorbei. Mit der Verabschiedung der Sowjetunion aus der Weltpolitik war für diese Sonderrolle die Grundlage entfallen, und seither leidet jeder aufrechte Österreicher unter der Neutralitätserklärung und den damit verbundenen staatsvertraglichen Souveränitätsbeschränkungen – Anschlußverbot, außenpolitisches Mitspracherecht der Signatarmächte, Rüstungsbeschränkungen etc. Solange es die Sowjetunion noch gab, war es der Bundesregierung nicht möglich, die Neutralität Österreichs offiziell zu kündigen. Bis zuletzt bestand die Sowjetunion auf der militärischen Neutralisierung des politisch wie ökonomisch in den Westen bereits eingemeindeten Österreich. Eben in diesen Zeiten hat Haider der allgemeinen nationalen Unzufriedenheit Ausdruck verliehen und als erster gefordert, daß nicht nur für Deutschland, sondern auch für Österreich die Nachkriegsauflagen zu fallen haben. Daß Haider als Oppositionspolitiker, unbelastet von den außenpolitischen Berechnungen einer amtierenden Regierung und mit der nötigen Unverfrorenheit gegenüber einer Weltmacht, die Forderung nach Vollsouveränität als erster gestellt hat, trägt ihm heute den Ruf eines „politischen Visionärs“ ein. Und selbst seine Kritiker aus der Regierung müssen ihm nachträglich in der Sache recht geben: Schließlich haben sie die Auflösung des Ostblocks sofort als Gelegenheit für Österreich erfaßt, sich sicherheitspolitisch neu zu definieren. Inzwischen steht mit dem Beitritt zum künftigen Europa die Teilnahme Österreichs an der projektierten Politischen und Militärischen Union fest. Und der neue Bundespräsident hat dafür den wohlklingenden Titel „Solidarität“ mit dem noch zu gründenden europäischen Kriegsbündnis in Umlauf gebracht. Über diesen erreichten Stand ist Haider bereits einen Schritt hinaus. Vom selben Standpunkt österreichischer Souveränität, der ihn zum Kritiker außenpolitischer Rücksichtnahmen auf die Sowjetunion werden ließ, kritisiert er heute an der Verhandlungsführung der Regierung über den Beitritt Österreichs zu Europa, daß es Österreich nicht nötig habe, „um jeden Preis“ mitzumachen: „Der EG-Beitritt ist nicht unverzichtbar. Auch ohne die EG werden wir nicht zum Armenhaus.“ Mit demselben Anspruch, mit dem er es gegenüber der Sowjetunion nicht dulden wollte, daß eine auswärtige Nation Österreich Bedingungen aufmacht, tritt Haider nun der EG und ihren Führungsmächten entgegen. Nur ist die EG nicht die Sowjetunion. Wo sich letztere in ihrem Bemühen um gute Beziehungen mit den westlichen Staaten von diesen einiges gefallen ließ – und anderes, Grundlegendes, wegen dem großen Weltgegensatz gar nicht erst zur Debatte stand –, machen die Führungsmächte Europas die guten Beziehungen, die sie zu anderen Staaten pflegen, von der Erfüllung ihrer Bedingungen abhängig und spielen dabei Abhängigkeiten aus. Das weiß auch Haider, wenn er so auftrumpft, als könnte die EG Österreich auch egal sein: „Kein Armenhaus“ ist ja sicher nicht der Maßstab, den dieser Mann für österreichische Größe gelten läßt. Er formuliert so bloß den österreichischen Beitrittswillen als politisches Ideal: Der kleine Beitrittskandidat diktiert der EG seine Bedingungen – das lernt der Österreicher von den Dänen!

Die deutsch-österreichischen Ideen des Jörg Haider und die österreichische Wirklichkeit

Wie Haider denkt, ist ziemlich klar. Er leidet an der relativen Bedeutungslosigkeit Österreichs und hat dabei offensichtlich die „Vision“ einer imperialistischen Macht, die dazu befähigt ist, ihren Interessen selbständig Geltung zu verschaffen. Die alten außenpolitischen Rücksichtnahmen erscheinen ihm als Fesseln des österreichischen Machtanspruchs, die es zu überwinden gilt. Dafür will er die Potenzen dieses Staats auf Vordermann bringen. Aus diesem interessierten Blickwinkel entdeckt er in der österreichischen Gesellschaft lauter Vernachlässigungen der nationalen Sache.

Daß er solche Gedanken als Österreicher denkt, macht seinen Widerspruch aus. Die Ansprüche, die er für Österreich formuliert, sind für die Mittel, über die dieser Staat verfügt, eine Nummer zu groß. Von diesen Ansprüchen her sind seine deutschnationalen Einfälle gar nicht so abwegig. Er hat offensichtlich eine Vorstellung von einem Weg, auf dem die Realisierung seiner ehrgeizigen nationalen Ansprüche zu haben wäre: mit Deutschland in Europa. Sein Problem liegt darin, daß in Deutschland nur ein sehr bedingtes und in der EG gar kein Interesse an einem Vorzugsmitglied Österreich besteht – und daß die nationalen Mittel, sich eine Sonderbehandlung zu ertrotzen, nicht ausreichen. Deswegen setzt er alles daran, aus Österreich mehr zu machen als es ist.