Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Pilotenstreik bei der Lufthansa
Klassenkampf einmal anders
Piloten der Lufthansa machen einen richtigen Streik für 30-35% Gehaltserhöhung. Die Öffentlichkeit macht deutlich, dass auch der Lebensunterhalt von Besserverdienenden sich nicht verträgt mit dem Anspruch von Unternehmen auf Gewinn. Als Bollwerk gegen so solche überzogenen Forderungen preist die Gewerkschaft den Flächentarifvertrag an und kritisiert die Lufthansa darin, den „provozierenden“ Arbeitskampf im Namen der Standortsicherung nicht schärfer zu verurteilen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Pilotenstreik bei der
Lufthansa
Klassenkampf einmal anders
Wer hätte das gedacht, dass es in der tarifpolitischen Friedhofslandschaft der Republik, mit ihren zur Gewohnheit gewordenen Nominallohnerhöhungen alle ein bis zwei Jahre, die die zwischenzeitlich eingetretenen Reallohnsenkungen festzuschreiben pflegen, tatsächlich noch zu einer Störung der Totenruhe kommen würde? Mitten im Frühjahr 2001 brechen da welche aus einem sicher geglaubten „Konsens der Vernünftigen“ aus und streiken „ohne Maß und Anstand“ für sage und schreibe 30 bis 35% Lohnerhöhung. Wer hätte außerdem gedacht, dass diese erfrischende Initiative ausgerechnet von einer Berufsgruppe ausgeht, die bislang vor allem durch elitäres Gehabe und das zu Filmehren gelangte Image bekannt geworden ist, auf allen Kontinenten möblierte Zimmer zur Kontaktpflege mit Einheimischen zu unterhalten? Vielleicht stimmt das ja gar nicht; es sind jedenfalls die Lufthansa-Piloten, die streiken, und sie streiken wirklich, ohne sich den ansonsten üblichen Jux fünfminütiger „Warnstreiks“ in der Mittagspause anzutun. Ganze Flugtage fallen mehr oder weniger aus, und die Nation wundert sich.
*
Dabei mussten die Herren der Lüfte sich nicht einmal groß
verbiegen, um den Wandel vom Kapitän mit Bordgewalt zum
Vorreiter des Klassenkampfs wenigstens vorübergehend zu
vollziehen. Überzeugt von der Bedeutung und
Unersetzlichkeit ihrer Funktionen für den Arbeitgeber und
die Geschäftswelt insgesamt, erlauben sie sich einfach
dieselben Rechnungen, die die Lufthansa und andere
Kapitalisten jeden Tag anstellen: Einen Nachholbedarf
gegenüber europäischen Konkurrenten
haben sie bei
ihren Gehältern ausgemacht, den zu befriedigen schon
deshalb nur recht und billig ist, weil sie vor einigen
Jahren Abstriche am Lohn – der Umfang entspricht
etwa der jetzigen Forderung – zur Unternehmenssanierung
hingenommen haben. Nun, da die Gewinnsituation der
Lufthansa sich enorm gebessert hat, verlangen sie
sozusagen nur ihren Sanierungsbeitrag zurück. Die
Argumente mit dem Vergleich zur ausländischen Konkurrenz
und dem notwendigen Ausgleich vergangener Verluste kennt
man, wo es einem x-beliebigen Unternehmen um seine
Gewinne geht; die Piloten geben hier
ausnahmsweise die am eigenen Einkommen interessierte
Gegenpartei ab und fordern ein ähnliches Entgegenkommen
für ihren Lohn; wobei sie sich durch den
Umstand, dass Gewinne in der Regel nur auf Kosten der
Löhne zu steigern sind und viceversa, nicht übermäßig
irritieren lassen. Das hat ja auch seinen guten Grund:
Die Pilotenvereinigung „Cockpit“, die sich dem Vernehmen
nach bei ihrem Tarifstreit von Investmentbankern beraten
lässt, hat zur Kenntnis genommen, dass dank der
Zurückhaltung weniger gut beratener Teile der
Lufthansa-Belegschaft – „ver.di“ und Vorgänger haben im
März irgendwas um die 3,5% ausgehandelt – eben genügend
Geld in der Unternehmenskasse ist, um die Aufstockungen
in der Gehaltsklasse der 2-300.000-DM-Jahresverdiener
auch ohne Existenzgefährdung des Betriebs zu gestatten.
Dem sachkundigen Befund, dass in ihrem Fall der
Interessensgegensatz von Lohnarbeit und Kapital
wahrhaftig verträglich sein könnte, wenn man nur
etwas nachhilft, widerspricht nicht einmal der
Arbeitgeber ganz und gar, solange das Beispiel nicht
Schule macht und auf die oberen Jobgruppen beschränkt
bleibt.
*
Freilich: Selbst in diesem Fall erfordert das Interesse der Gehaltsempfänger einen Arbeitskampf, weil die Gegenseite sich keinen Pfennig Gewinn ohne Not abhandeln läßt und die Tatsache, dass sie gut verdient, eher für einen Zwang zu tariflicher Unnachgiebigkeit hält als umgekehrt. Die feschen Jungs (und Mädels) vom Cockpit lassen auch hier nichts anbrennen und bleiben ihrer unerwarteten Rolle als proletarische Avantgarde ein weiteres Mal treu. Von symbolischen Aktionen mit der Aussage- und Durchschlagskraft der in der Tasche geballten Faust halten sie nichts, weil das zu ihrer Forderung genausowenig passen würde wie ihre unbekümmerte Forderung zur Tarifgestaltung der Gewerkschaften, die lieber die Öffentlichkeit mit virtueller Streikbereitschaft und praktizierter „Gesamtverantwortung“ beeindrucken. („Cockpit“ selbst begründet die Existenz des kleinen, aber feinen Vereins mit dem Schwund an Kampfkraft, der mit dem Beitritt zu einer großen Gewerkschaft verbunden wäre.) Also drohen sie nicht nur mit der Arbeitseinstellung, sondern bleiben ihren Flugzeugen jeweils donnerstags hinreichend komplett fern, um dem Betrieb ziemliche Organisationsprobleme und einen Verlust von ca. 50 Millionen pro Streiktag zu bescheren; statt selbst am heftigsten vor einem möglichen Bröckeln der Streikfront zu warnen, als sich die Sache in die Länge zieht, spielen sie vor laufender Kamera mit dem Gedanken, dass man notfalls auch zu unangekündigten Arbeitsniederlegungen greifen und die Auswirkungen für das Unternehmen vollends unkalkulierbar machen könnte; und sogar das zwischenzeitlich arrangierte Einschalten des alten Vielfliegers Genscher als Schlichter wird noch mit dem Spott bedacht, die Lufthansa brauche wahrscheinlich einen neutralen Schiedsspruch, um ihre unvermeidliche Annäherung an die „überzogenen“ und überhaupt nicht „in die Landschaft“ passenden Forderungen der Streikenden nicht allzu sehr als hilfloses Einknicken erscheinen zu lassen. Schirmmütze ab, Herr Kapitän!
*
Angesichts solch ungewohnter Szenen stellt die
Öffentlichkeit, einträchtig wie immer, wochenlang nur
eine Frage: Die Piloten heben ab – wer streikt als
nächstes?
(Titel einer PHOENIX-Sendung) Mit einem
gewissen Hang zur Übertreibung wird so getan, als würde
das Beispiel der Piloten demnächst dort für Nachahmer
sorgen, wo es überhaupt nicht hingehört, in den
„normalen“ Arbeitsverhältnissen nämlich – bei der
Lufthansa immerhin ist schon von Unmut der Flugbegleiter
und des Bodenpersonals mit den Gewerkschaftsabschlüssen
zu hören –, um dann nachdrücklich vor so überspannten
Ideen zu warnen. Die journalistischen Anhänger deutscher
Wirtschaftserfolge sind sich anscheinend gar nicht im
Unklaren darüber, dass die durchschnittlichen
Lohnempfänger mindestens ebenso viel Grund zum
Arbeitskampf hätten wie die „überdurchschnittlich
bezahlten Top-Angestellten“ im Flieger. Um so mehr
betätigen sie sich als gesellschaftliches Frühwarnsystem,
das auch und gerade angesichts der allgemeinen Ruhe an
der Tariffront, wo weder von Streiks noch von
Streikdrohungen etwas zu sehen ist, die „Schamlosigkeit“
der aus dem Rahmen fallenden Piloten nicht genug geißeln
und den Rest der Arbeitnehmer nicht genug beschwören
kann, bescheiden zu bleiben und sich durch „überzogene“
Ansprüche anderer ja nicht anstecken zu lassen. Das
Verfahren des wirtschaftsfreundlichen Agitprop ist dabei
von bestechender Einfachheit: Statt sich auf die
Beweisführung zu verlegen, dass entschieden mehr Lohn
heutzutage sowieso nicht nötig ist – das hält
die Propagandatruppe offenbar selbst für unglaubhaft –,
wird die Lage der arbeitenden Klasse ohne die sonst
üblichen Beschönigungen zitiert, um einen unverschämten
moralischen Vergleich anzustellen. Wie
unanständig
die Piloten sind, erschließt sich
nämlich erst richtig beim Blick auf eine
Tariflandschaft, die insgesamt gekennzeichnet ist von
anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsflaute und
Forderungen nach einer Nullrunde
(tz). Wenn schon hierzulande keiner „was
kriegt“ und zu fordern hat außer den Herren mit der
„Nullrunde“, muss man doch fragen, ob die vom Cockpit
eigentlich noch wüßten, in welcher Welt sie leben
(FAZ). In dieser schönsten
aller Welten brüskiert man … alle anderen
Arbeitnehmer
(tz)
bekanntermaßen dadurch, dass man etwas fordert, was sonst
auch niemandem zugestanden wird; während diejenigen, die
dem Arbeitsmann niedrige Löhne plus Arbeitslosigkeit
bescheren, überhaupt niemanden brüskieren, weil sie keine
„anderen Arbeitnehmer“ sind, sondern nur ihrem Geschäft
nachgehen. So dass auch die Schlußfolgerung keineswegs
mißverständlich ist: Das falsche Signal, das sie
(die Piloten) aussenden,
heißt: Wenn du ein Monopol hast, nutze es bedingungslos
aus! Vergiß, wem du es zu verdanken hast! Ignoriere, wem
du damit schadest!
(BamS)
Vom „Monopol“ gewisser Teile der Gesellschaft auf die
„Schaffung von Arbeitsplätzen“ ist hier ersichtlich nicht
die Rede. Die Hetze geht gegen Leute, die sich glatt
trauen, den Spieß einmal herumzudrehen und aus ihrem
„Monopol“ auf den Steuerknüppel Gehalt herauszuschlagen –
statt dafür so dankbar zu sein, dass sie jeden
zugemuteten Schaden selber tragen. Und sie gilt
keineswegs bloß den paar Ausreißern von „Cockpit“,
sondern will sich vorbeugend mit dem breiten Publikum
darüber verständigen, dass es sich für überhaupt
keinen lohnarbeitenden
„Arbeitsplatz-Monopolisten“ – welche Berufsgruppe wäre
heutzutage denn schon entbehrlich! – gehört, in
Lohnfragen den eigenen Nutzen zu verfolgen. Geschädigt
werden dadurch nämlich allemal – die lieben Kollegen.
Denn das ist doch wohl klar und völlig unvermeidlich –
unterstellt jedenfalls die empörte öffentliche Meinung
und findet das überhaupt nicht unanständig –,
dass die um ihre wohlverdienten Gewinnmargen gebrachte
Kapitalseite sich an anderen Belegschaftsteilen schadlos
hält, wenn sie irgendwem mehr zahlen muss, und unter
Ausnutzung ihres „Monopols“ dem Verlust von
Wettbewerbsfähigkeit
(Die
Welt) dort entgegenwirkt, wo wettbewerbsfähige
Gewinne nun einmal hergestellt werden: bei ihren
Lohnarbeitern – den andern eben, die anständigerweise
immer daran denken, wem sie die Gnade eines
Arbeitsplatzes zu verdanken haben. Lohn- und
Gehaltsforderungen, wenn sie nicht von vornherein mit der
„Ergebnisplanung“ des Betriebs abgesprochen sind, sind
folglich unsolidarisch, weil eine allgemeine
Besserstellung der Lohnabhängigen mit den
Gewinninteressen der Arbeitgeber sowieso ganz unbedingt
und unter allen Umständen überhaupt unvereinbar ist –
verkünden unisono die weitblickenden Arbeiteranwälte aus
Presse, Funk und Fernsehen, die diese tiefe Erkenntnis
wahrscheinlich für maßlos unterbezahlt halten; als
wollten sie die angeschmierten Proleten mit der Nase
darauf stoßen, dass sie es als Lohnarbeiter in
diesem herrlichen System mit Anstand nie zu etwas
bringen.
Doch die Sorge haben die beflissenen Meinungsbildner mit dem erhobenen Zeigefinger ganz offensichtlich nicht: dass ihre engagierte Aufklärung über die Unverträglichkeit von gescheitem Arbeitsentgelt und Gewinn als Hetze gegen das Lohnsystem genommen werden könnte. Sie wissen sich im Einklang mit ihrem Publikum, wenn sie mit unverfrorener Offenheit den kategorischen Imperativ der Lohnarbeit auf den Punkt bringen: Klassensolidarität verlangt Lohnverzicht – klar: wo bliebe, wenn die Ausbeutung lahmgelegt würde, die ausgebeutete Klasse! Ihr Geraune von „falschen Signalen“ und der womöglich demnächst ins Haus stehenden, unerträglichen Streikwelle lebt ersichtlich davon, dass es die ausgemalten Gefahren – leider – gar nicht gibt und der Vergleich, den die arbeitende Menschheit mit der fliegenden Avantgarde anstellen soll, schon nicht verkehrt aufgefasst wird. Unbeschadet einzelner Wortmeldungen – in der erwähnten PHOENIX-Sendung durfte ein Ostberliner darauf hinweisen, dass bei ihm und seinesgleichen drei Viertel des Einkommens allein für die Miete draufgehen und eine für ihn spürbare Lohnerhöhung ungefähr bei 300% liegen müßte – hält die Mehrheit ihre kümmerliche Situation, als ob sie sich diese freiwillig herausgesucht hätte, allen Ernstes für eine Anstandsfrage und 30%ige Lohnforderungen dementsprechend für ungehörig. Lieber wird den Piloten ihr Einkommen mitsamt der zusätzlichen Ansprüche geneidet, als sich die Frage so zu stellen, wieviel man selbst fordern müsste, wenn schon die Topverdiener 30% für angemessen halten. Schade, dass niemand auf gute Beispiele und deren lehrreiche öffentliche Ausdeutung etwas gibt!
*
Die öffentlichen Ermahnungen sind deswegen so überflüssig und kommen deswegen so gut an – das Leserbriefecho von unten ist überwältigend und wahrscheinlich noch nicht einmal prokapitalistisch ausgesiebt! –, weil die Organe der real existierenden Klassensolidarität, die Gewerkschaften, den Imperativ der Bescheidenheit selber seit langem befolgen und weder Scham noch Scheu haben, sich anlässlich des Pilotenstreiks offensiv dazu zu bekennen. Sie fühlen sich nämlich herausgefordert: Wenn bessere Arbeitnehmer für unerhörte Lohnerhöhungsprozente streiken, und das auch noch effektiv, dann nehmen die berufsmäßigen Arbeitervertreter das gerade nicht als Zwischenfall aus einer fremden Welt der Besserverdienenden, sondern als durchaus realistisches Vorbild für ihre Leute – und fürchten das schlechte Beispiel. Da wird nirgends – und sei es eine klammheimliche – Freude laut über den Kampfgeist, der auch außerhalb der Gewerkschaften herrscht (am Ende womöglich ergänzt durch den Hinweis, wieviel mehr man durch Mitgliedschaft in einer großen Organisation erreichen könnte); schlicht den Mund halten (im Sinne einer Teilung von Aufgabengebieten: sollen die ihre Sache machen, wir machen unsere) kommt ebenso wenig in Frage. Die Gewerkschaften halten dagegen – nachdrücklicher als selbst die Lufthansa!
Erstens wird bemängelt, dass die
Öffentlichkeit in der Verurteilung der Piloten nicht
weit genug geht. Deutliche Worte der Kritik
äußerte Zwickel jetzt in Frankfurt … auch an den Medien.
‚Kühl‘ werde der Streik der Piloten behandelt, sagte
Zwickel, und ‚nicht als Standort-Nachteil‘
bewertet.
[1] Diese Argumentationslinie hat
der oberste Metaller bei anderen
Tarifauseinandersetzungen kennen und schätzen gelernt,
weshalb er es für unfair hält, dass der Schaden fürs
große Ganze, mit dessen Vermeidung er die vergleichsweise
lächerlichen Abschlüsse seines Vereins sonst immer
begründet, hier in diesem Ausnahmefall einmal nicht so
hoch gehängt wird. Das ist seiner Ansicht nach nicht nur
ungerecht und kurzsichtig, sondern gefährlich.
Zweitens täuschen sich die Pressefritzen
nämlich, wenn sie die Piloten zu sehr als Ausnahme
behandeln (auch wenn sie das gar nicht tun). Dabei
wäre es nach Zwickels Einschätzung und der seines
Stellvertreters Jürgen Peters durchaus wert, dass der
Konflikt bei der Lufthansa mehr Aufmerksamkeit fände.
Immerhin kennt sich ein IG-Metall-Chef, was falsche
Signale für Beschäftigte angeht, aufgrund zahlreicher
Betriebsbesichtigungen allemal besser aus als ein
hereingeschneiter Reporter. Bislang ‚war Ruhe an der
Nachschlagsfront‘, berichten beide Gewerkschaftsführer,
wenngleich an der Basis
(aha!) über den
zweijährigen Tarifabschluss in der Metallindustrie und
die niedrigen Zuwachsraten beim Einkommen (dieses Jahr
2,1 Prozent) durchaus gemurrt werde. Was die Piloten
derzeit vorführten, könne aber ‚provozieren‘.
Und
damit es nicht so weit kommt, muss man – natürlich nicht
selber Nachschläge aushandeln, damit „die Basis“ keinen
Grund mehr zu „murren“ hat, sondern – eben jedem vor
Augen führen, was die vom Cockpit für ein
unverantwortliches Pack sind. Womöglich verführen die mit
ihrem Sozialdarwinismus
(dieses Verbrechen
diagnostiziert Frau Mönig-Raane, stellvertretende
ver.di-Vorsitzende, bei den Piloten) noch „die Kollegen“
zum Eigennutz, und die standortbewusste Gewerkschaft
kriegt ihre liebe Not damit!
Drittens darf das nicht sein, weil sonst
eine der wertvollsten Errungenschaften des deutschen
Sozialstaats in Gefahr geriete. Die gewerkschaftliche
Tarifgestaltung – sagt einer, der es wissen muss – ist es
doch, die „das Gemeinwohl“ bisher vor wildgewordenen
Arbeitern und dreisten Lohnansprüchen bewahrt hat. Da
können wir ein paar dahergelaufene Piloten überhaupt
nicht brauchen, die falsche Begehrlichkeiten wecken und
darüber die Einheit, die eine solidarische
Gewerkschaft stiftet, ins Wanken bringen. Nach Meinung
des Duos Zwickel-Peters zeigt der Lufthansa-Streit, wie
wertvoll der Flächentarif ist.
(Wertvoll für wen?
Keine Frage:) Der orientiere sich am Gemeinwohl, sagt
Zwickel und erinnert daran, dass die IG Metall sich seit
Jahren mit Tarifverträgen bescheidet, die sich nach dem
wirtschaftlichen Stand der Gesamtentwicklung
orientieren.
Mit dem schönen Eingeständnis, dass die
‚übermächtigen Sachzwänge‘, von denen die Gewerkschaft
sich einen Lohnverzicht nach dem andern diktieren lässt,
in Wahrheit weder Zwang noch Sache sind, sondern eine
Frage der wirtschaftlich-gemeinnützlichen „Orientierung“,
der Gewerkschaft nämlich, wird gleichzeitig die alte
Ideologie richtig gestellt, wonach der Flächentarif zum
Schutz vor untertariflichen
Betriebsvereinbarungen da ist – im Gegenteil, er schützt
vor übertariflichen Unbescheidenheiten. Das
sollen sich Staat, Kapitalisten und ihre Öffentlichkeit
mal zu Herzen nehmen, die immer noch nicht recht wissen
oder nicht wahrhaben wollen, was sie an ihrem
gewerkschaftlichen Flankenschutz haben.[2]
Die Krönung ihrer sachdienlichen Auskünfte besteht
viertens also darin, dass die
Gewerkschaftsbosse in ihrem Bemühen, die
Wirtschaftsdienlichkeit ihrer „Interessenvertretung“
hervorzuheben, lauter Wahrheiten aussprechen. Dass bei
den Tarifrunden immer so wenig für die vertretenen
Mitglieder herauskommt, liegt tatsächlich nicht an den
fehlenden Möglichkeiten ihrer Gewerkschaft,
sondern an deren Willen. Sähe der anders aus,
z.B. so ähnlich wie derjenige der Lufthansa-Piloten, dann
wäre was los im Land und die Vereinbarkeit von
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse wirklich mal auf
eine Bewährungsprobe gestellt. Ein Gewerkschafter weiß
immer noch, dass die Druckmittel, die „unersetzbare“ und
mit einem jobspezifischen „Monopol“ versehene
Airbusfahrer einsetzen können, so exklusiv gar
nicht sind. ‚Alle Räder still‘ stehen lassen: das
könnten alle anderen Arbeitnehmer auch. Bloß: Die
tun es nicht! Die Kollegen nehmen Rücksicht
– auf
die Unternehmen nämlich, denen die IG Metall nicht mehr
an Lohn abverlangen will, als diese eingedenk der
„Gesamtentwicklung“ von sich aus für zumutbar halten.
Würden sie
– die braven Gewerkschafter – ihre
Ziele auf die Metall- und Elektrobranche einengen, sähen
die Abschlüsse besser aus. ‚Solidarische Tarifpolitik‘
nennt Zwickel das, und Peters sekundiert ihm, dass es für
die IG Metall kein Kunststück wäre, die Piloten
nachzuahmen. Mit ein paar Streikenden in Datenanlagen von
Metallfirmen, könnte sie flugs ziemlich viel
Durcheinander anrichten.
Macht sie aber nicht, so dass der Klassenkampf weiterhin eine einseitige Angelegenheit bleibt und Ausrutscher wie der Lufthansa-Streik auch für Gewerkschafter nur eines sind: eine Störung des normalen Geschäftsgangs.
[1] Dieses und die folgenden Zitate aus einem Bericht der FR vom 16.5. über eine Pressekonferenz der IG Metall-Vorstände Zwickel und Peters.
[2] Ein Teil der Öffentlichkeit tut das auch: Der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung fällt ein, dass die Piloten eigentlich bloß den Imperativ der Flexibilisierung befolgen, den sie nicht müde wird Arbeitnehmern und Gewerkschaften um die Ohren zu hauen, und sie stellt offen und schamlos klar: So herum war „Flexibilisierung“ nie gemeint; zur Abwehr erratischer Lohnerhöhungen, da muss der Sachverstand sich doch tatsächlich einmal korrigieren – an so etwas hat er einfach überhaupt nicht mehr gedacht! –, ist ein total unflexibler Flächentarifvertrag nicht das Schlechteste. Was natürlich überhaupt nicht gegen die nach wie vor gebieterisch vorgetragene Forderung nach richtig verstandener Flexibilisierung spricht: Nach unten müssen die vielen unerträglichen „Verkrustungen“ nach wie vor aufgebrochen werden. (Nach dem Pilotenstreik vielleicht sogar mehr denn je!)