Pegida beweist es:
Ausländerfeindschaft braucht keine Ausländer – ein beleidigtes „Wir Volk“ ist sich selbst genug
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Tausende bis
Zehntausende, die im Herbst und Winter als „patriotische
Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ demonstriert
haben, allen Ernstes für eine Senkung des
Betreuungsschlüssels für Asylsuchende
oder ein
Asylantragsverfahren in Anlehnung an das holländische bzw.
Schweizer Modell
oder sexuelle Selbstbestimmung
und gegen Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche,
verbotene Organisationen
sorgen wollen. Viel
wahrscheinlicher ist, dass sie auch die anderen 15 Punkte des
Positionspapiers der Pegida
vom Dezember ’14 nicht
weiter studiert haben. Ohne Anleitung durch intellektuelle
Wortführer wären sie auch kaum auf die Schnapsidee gekommen,
ihre gewohnten gewöhnlichen Lebensverhältnisse für eine
christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur
auszugeben. In der Hauptsache werden sie sich aber schon
einig gewesen sein, untereinander wie mit ihren Anführern:
Mit den tatsächlich herrschenden, das Alltagsleben
bestimmenden Verhältnissen sind sie ebenso unzufrieden wie
mit der Politik, die – wie und inwiefern auch immer – für
diese Verhältnisse verantwortlich ist; und für ihre
Unzufriedenheit haben sie einen Grund ausgemacht, oder
jedenfalls äußern sie ihre Missbilligung ihrer Lebenslage
unter einem Gesichtspunkt, der helle Empörung rechtfertigt:
Es gibt zu viele Fremde im Land...
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Siehe auch
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Das Volk definiert sich: Nicht die Gemeinheiten der Konkurrenz sind es, die uns ausmachen – unsere gemeinschaftliche Teilhabe daran macht uns so unverwechselbar
- Das Recht auf Vertrautheit sortiert, wer und was hierher und was sich überhaupt gehört
- Das reale Deutschland, mit dem Maßstab „Heimat“ vermessen: Alles so fremd hier!
- Die Lösung: Mehr Anerkennung für Einheimische durch Diskriminierung der Fremden
- Pegida-Kritik von oben: Alles Verständnis für Patriotismus – kein Verständnis für Unzufriedenheit!
- „Bunt“ gegen „Braun“: Gute Patrioten bekämpfen schlechte Patrioten mit Ausgrenzung
Pegida beweist es:
Ausländerfeindschaft braucht keine
Ausländer – ein beleidigtes „Wir Volk“ ist sich selbst
genug
Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Tausende bis
Zehntausende, die im Herbst und Winter als „patriotische
Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“
demonstriert haben, allen Ernstes für eine Senkung des
Betreuungsschlüssels für Asylsuchende
oder ein
Asylantragsverfahren in Anlehnung an das holländische
bzw. Schweizer Modell
oder sexuelle
Selbstbestimmung
und gegen Waffenlieferungen an
verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen
sorgen wollen. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie auch
die anderen 15 Punkte des Positionspapiers der
Pegida
vom Dezember ’14 nicht weiter studiert haben.
Ohne Anleitung durch intellektuelle Wortführer wären sie
auch kaum auf die Schnapsidee gekommen, ihre gewohnten
gewöhnlichen Lebensverhältnisse für eine
christlich-jüdisch geprägte Abendlandkultur
auszugeben. In der Hauptsache werden sie sich aber schon
einig gewesen sein, untereinander wie mit ihren
Anführern: Mit den tatsächlich herrschenden, das
Alltagsleben bestimmenden Verhältnissen sind sie ebenso
unzufrieden wie mit der Politik, die – wie und inwiefern
auch immer – für diese Verhältnisse verantwortlich ist;
und für ihre Unzufriedenheit haben sie einen Grund
ausgemacht, oder jedenfalls äußern sie ihre Missbilligung
ihrer Lebenslage unter einem Gesichtspunkt, der helle
Empörung rechtfertigt: Es gibt zu viele Fremde
im Land; fremdländische Sitten aller Art machen sich weit
über Gebühr breit – in ihrer Umgebung oder jedenfalls in
ihrer Wahrnehmung. Dieses Urteil ist immun gegen
relativierende Zahlenverhältnisse wie gegen die gerne in
kritischer Absicht gestellte Frage, was sie denn
eigentlich so stört an den angeblich so fremdartigen
Leuten und Gebräuchen. Denn es bedient sich zwar aller
möglichen Befunde und Behauptungen über Minarette und
Verbrechensraten, folgt aber überhaupt nicht aus denen.
Was sich darin äußert, ist das tief ins Empfinden
eingebildete, entsprechend beharrliche Bewusstsein eines
verletzten Rechts: des Anrechts, zusammen mit
seinesgleichen aus- und abschließend darüber zu
bestimmen, wer hierher und was sich hier überhaupt
gehört. Wer im Sinne von Pegida demonstriert, der geht
ganz fraglos davon aus, dass ihm und seinesgleichen ein
Monopol auf Entscheidung darüber, an welche Richtlinien
für anständiges Benehmen man sich hierzulande zu halten
hat, zusteht – eigentlich; denn die Wirklichkeit
sieht anders aus: Alle Beschwerden gelten ja dem Umstand,
dass gegen dieses Recht allenthalben und immerzu
verstoßen wird.
Das Volk definiert sich: Nicht die Gemeinheiten der Konkurrenz sind es, die uns ausmachen – unsere gemeinschaftliche Teilhabe daran macht uns so unverwechselbar
Gefällt und demonstrativ geltend gemacht wird dieses
Urteil vom Standpunkt eines Kollektivs, das in der gern
gerufenen Parole Wir sind das Volk!
beim Namen
genannt wird. So, wie die Protestierer sich dazu
bekennen, weist dieses Kollektiv zwei nicht ganz
widerspruchsfrei, dafür sehr eng zusammenhängende
Eigenschaften auf. Man begreift sich da als befugter
Repräsentant einer politischen Größe: jenes
deutschen Volkes, das als real existierende Größe durch
etliche wenig erbauliche Bestimmungen charakterisiert
ist; als da wären: Konkurrenz ums Geld als Geschäfts- und
alleiniges Lebensmittel; höchst unterschiedliche
Lebensverhältnisse je nach Mitteln für den täglichen
Konkurrenzkampf und je nach den darin errungenen Erfolgen
und erlittenen Niederlagen; eine öffentliche Gewalt, die
dieses Ensemble von Interessengegensätzen nicht nur
zwangsweise zusammenhält, sondern für sich und ihren
Auftritt als Konkurrent eigener Art in der Staatenwelt in
Anspruch nimmt, die dadurch die antagonistischen
Konkurrenzbemühungen ihrer Bürger zum Dienst am von ihr
definierten Gemeinwohl ausgestaltet und den im Lande
herrschenden Konkurrenzbedingungen und
marktwirtschaftsgemäßen Lebensgewohnheiten ihren
besonderen nationalen Zuschnitt und Charakter verleiht;
usw. Im Bekenntnis zu sich als „Wir Volk“ bleibt von
diesen Inhalten eines Daseins unter deutscher Staatsregie
aber nur das abstrakte Resultat übrig, dass
hierzulande spezifische Lebensgewohnheiten
herrschen – wobei das „herrschen“ durchaus wörtlich zu
nehmen ist: Dass in diesen Sitten und Gebräuchen auf der
einen Seite ein umfängliches Vorschriftenwesen, auf der
anderen Seite dauernde Anpassung stecken, ordnende Gewalt
und Unterordnung, das wird zwar ohne seinen wirklichen
Inhalt, in so abstrakter Form aber durchaus mit gedacht
und gemeint. Viel entscheidender als der schnöde markt-
und staatswirtschaftliche Inhalt des wirklichen
Volkslebens ist dabei die Fiktion, unter die das
bekennende Volk seine reale politische Identität
subsumiert: Man denkt, empfindet, tut so, als wäre durch
die nationale Besonderheit der kapitalistischen
Konkurrenzgesellschaft, der man angehört, eine wahre und
eigentliche Gemeinschaft definiert, die die
Identität ihrer Mitglieder viel grundsätzlicher bestimmt
als alle politischen, ökonomischen und daraus sich
ergebenden sonstigen Interessengegensätze und
Konkurrenzdrangsale. In direktem Widerspruch zu den
konkurrenzkämpferischen Berechnungen und Bemühungen, die
den bürgerlichen Alltag ausmachen, stilisiert sich das
„Wir Volk“ zum ungemütlichen Gegenbild: als eine auf
waldursprüngliche Vertrautheit gegründete
Solidargemeinschaft mit ihrem eigenen schönen
Sittenkodex. In dessen Namen tritt man dann allerdings
durchaus anspruchsvoll und fordernd auf, nämlich als das
kollektive Subjekt, das gerade wegen seiner gewohnten und
gewohnheitsmäßigen Anpassung an die national herrschenden
Verhältnisse ein exklusives Recht auf die Maßregelung der
Lebensführung aller Anwesenden hat. Die Betroffenheit
durch die Ordnungsgewalt des Staates wird von
vornherein wahrgenommen als Zuständigkeit dafür,
dass allgemein befolgt wird, was „die Allgemeinheit“
verlangt und die zur besonderen Hausordnung
uminterpretierten Verfügungen der nationalen Obrigkeit
mitsamt den dadurch etablierten gesellschaftlichen
Sachzwängen vorschreiben.
Das Recht auf Vertrautheit sortiert, wer und was hierher und was sich überhaupt gehört
Was in dieser fiktiven Hausordnung alles drinsteht, ist genauso wenig vorab festgelegt wie ein trennscharfes Kriterium dafür, wer zu deren berufenen Hütern zählt – der Verweis auf den deutschen Pass wäre für Pegida-Anhänger eher sachfremd und Anlass zu der kritischen Nachfrage, wem der denn überhaupt zusteht. Sie selber rechnen sich auf alle Fälle zum „Wir Volk“. Und an den Sitten, für die das Stichwort „Abendland“ herhalten darf und als deren kollektiver Blockwart die Demonstranten sich verstehen, ist nur eines, das aber ganz entscheidend: dass eben dieses Kollektiv darüber zu entscheiden hat. Dass „Wir“ das Sagen haben, darauf kommt es so sehr an, dass schon ziemlich beliebig ist, was man zu sagen haben möchte. Für manche, unzufriedene Rentner z.B. oder ideelle Armutsbetreuer, mag zu einer anständigen Volkssolidarität ein anständiges Altersruhegeld gehören; aber dass viele das nicht kriegen, ist nicht für sich genommen ein Skandal, sondern unter dem Gesichtspunkt, dass „Fremde“ auch was kriegen – dass die ganz bestimmt sogar mehr kriegen als arme Deutsche, ist kein rechnerisch ermittelter Befund, sondern aus der Tatsache deduziert, dass solche Volksfremde, obwohl nicht hierher gehörig, überhaupt etwas kriegen: ein Urteil vom Standpunkt der Volksgemeinschaftsmoral. Andere finden, dass zu viel geklaut und eingebrochen wird im Land; Gesichtspunkt der Empörung darüber ist der Anteil der Ausländer am nationalen Verbrechertum, der schon deswegen mit Sicherheit überproportional ist, weil es für nicht-eingeborene Verbrecher überhaupt keine erträgliche Proportion gibt.
Das reale Deutschland, mit dem Maßstab „Heimat“ vermessen: Alles so fremd hier!
Für die Lebensverhältnisse, in deren monopolistischer Handhabung das „Wir Volk“ sich gestört findet, steht das äußerst werthaltige Stichwort „Heimat“; und das hat keine bestimmten Lebensumstände zum Inhalt, sondern drückt die Fiktion eines Rechts auf Vertrautheit aus – was an Sachen dazu gehört, von Kirchtürmen bis zu Straßenbahnen, und was im Bereich zwischen Kopftüchern und kyrillischen Buchstaben alles nicht, das darf jeder, der sich zu Deutschland bekennt, selber festlegen, eben weil es ja auf nichts anderes ankommt als eben dies: über solche Sachen „das Sagen“ zu haben und nicht „überfremdet“ zu werden. „Heimat“ ist das Quidproquo, mit dem eine national verfasste Klassengesellschaft sich einbildet, im Grunde eine naturwüchsige Gemeinschaft zu sein und diese Idylle mit gar nicht nur latenter Gewaltbereitschaft gegen „Fremde“ verteidigen zu müssen, denen man anlastet, dass nichts an dieser Fiktion wahr ist. Dementsprechend folgt die Qualität, „fremd“ und dadurch störend zu sein, nicht aus den Merkmalen, die – in unterschiedlicher Zusammensetzung und Gewichtung – als Belegmaterial angeführt zu werden pflegen (und die, um das wenigstens nebenher zu erwähnen, allesamt minder bedeutsam sind als die Änderungen an den herrschenden Lebensverhältnissen, die der kapitalistische Fortschritt mit sich bringt!). Auch da verhält es sich umgekehrt: Selbstbewusste Bürger, unzufrieden – wie und warum auch immer – mit der real existierenden Konkurrenz und ihrem Abschneiden und Status darin, finden dadurch ihr Recht auf Teilhabe am idealen Gegenbild einer national umschriebenen Wohlfühlgemeinschaft verletzt; offensichtlich kommen also die Eingeborenen in ihrem eigenen Land nicht zu dem Ihren; damit ist auch schon klar, dass nicht Hergehörige die eigentliche Ordnung der Dinge stören. Die zu identifizieren, macht einem Volk, dessen Weltbild sich aus der 1. Person Plural herleitet, keine Mühe; die jeweils aktuell gültigen Kriterien finden so sicher und so rasch Verbreitung wie die Direktiven, mit denen ein Staat sein Volk tatsächlich regiert.
Die Lösung: Mehr Anerkennung für Einheimische durch Diskriminierung der Fremden
Eben diese real existierende politische Herrschaft ist
für ein echt empörtes Volk mit seinen „Wutbürgern“ der
genuine Adressat aller Beschwerden. Schon der Aufschrei
Wir sind das Volk!
ist eine Klage darüber, dass
die Obrigkeit sich ihrem Volk entfremdet hat, und soll
die Herrschenden an ihr wahres Fürsorgeobjekt erinnern
oder gleich wegen Pflichtvergessenheit verurteilen. Dass
man als Volk unter der Regie eines staatlichen
Gewaltapparats steht und mit den eigenen
Lebensverhältnissen dadurch festgelegt ist, das ist in
dieser Klage und Anklage ebenso präsent wie die Umdrehung
dieses Verhältnisses: die Idee einer Verpflichtung der
Herrschaft, ihren Bürgern irgendwie erkennbar eine
Anerkennung als Kollektivsubjekt seiner
Lebensverhältnisse und als wahrer und eigentlicher „Herr
im Haus“ zuteil werden zu lassen. Alle Unzufriedenheit
gilt den eigenen Regierenden – unter dem einen und
einzigen Gesichtspunkt, dass die es an Ausgrenzung des
„Fremdländischen“ fehlen lassen; andernfalls wäre das
Volk ja bei sich zu Hause, und zu Empörung gäbe es keinen
Grund im fremdlingsfreien Heimatstall. Mustergültig
bringen die Initiatoren der Pegida-Proteste mit der
Forderung nach einer Ergänzung des Grundgesetzes um
Volksentscheide auf den Punkt, worum es geht:
Was das Volk zu entscheiden haben soll, ergibt
sich für wahre Patrioten ganz von selbst aus der
Institution des Volksentscheids als solcher; mit der wäre
nämlich der Monopolanspruch des großen „Wir“ darauf, im
eigenen Land das Sagen zu haben, folglich Fremdbestimmung
durch Heimatfremdes nicht dulden zu müssen,
staatsrechtlich und verbindlich für die Regierenden
festgeschrieben. Dann steht fest: Die Höchsten Gewalten
gewähren ihren angestammten Untertanen das Exklusivrecht
auf Anerkennung als Kollektivsubjekt der Nation und
machen ihnen dieses Privileg auf die einzige Art spürbar,
auf die das zu haben ist, nämlich durch nachdrückliche
Diskriminierung der „Fremden“ und Eliminierung alles
„Fremdländischen“. So geht Heimat!
Pegida-Kritik von oben: Alles Verständnis für Patriotismus – kein Verständnis für Unzufriedenheit!
Mit ihrer Empörung und ihrem Protest stoßen die „patriotischen Europäer“ aus Dresden und anderswo auf entschiedenen Widerstand. Zuerst bei den Politikern, die sich eine grundsätzliche Pflichtvergessenheit gegenüber ihrem Volk, schon gleich in der Frage einer angemessenen Diskriminierung von Asylanten und Migranten, nun wirklich nicht nachsagen lassen. Die haben außerdem einen innen- und einen außenpolitischen Grund, die Pegida-Leute nicht einfach gewähren und sich womöglich zu einer Sachsens Grenzen überschreitenden Bewegung auswachsen zu lassen. Die Bedingungen des inneren Friedens, darin eingeschlossen diejenigen des gültigen gesellschaftlichen Umgangs mit Religionen im Allgemeinen, dem Islam im Besonderen und Parallelgesellschaften überhaupt, bestimmen immer noch die herrschenden Parteien, nicht „die Straße“; und für die Maßgeblichen hat immer noch das Interesse an Benutzung und Vereinnahmung rechtmäßig anwesender Ausländer Vorrang vor einer minderheitlichen Sondermeinung, deren Anhänger womöglich nicht bloß die Gesundheit fremdländisch erscheinender Nachbarn, sondern das staatliche Gewaltmonopol gefährden. Zu Deutschlands Status als europäische Führungsmacht und als weltpolitische Größe, die unter diplomatischer Bemühung hoher und höchster politmoralischer Titel in den Gewaltgebrauch anderer Souveräne hineinregiert, passt eine ausländerfeindliche nationale Front, die zudem Erinnerungen an Großdeutschlands letzten großen Weltkriegseinsatz heraufbeschwört, schon gleich nicht; da machen die Repräsentanten des wohlmeinenden deutschen Imperialismus sich gleich Sorgen, mit dem Image der Nation könnte die Glaubwürdigkeit ihres Auftritts als maßregelnde Instanz Schaden nehmen und damit mindestens eine bewährte Technik, womöglich auch ein Stück des Erfolgs ihrer Weltpolitik. Aus beiden Gründen sind „klare Worte“, i.e. eine offizielle Ausgrenzung des marschierenden Patriotismus aus dem schwarzrotgoldenen Verfassungsbogen angesagt.
Dabei wird dem patriotischen Anliegen als solchem keineswegs die Anerkennung verweigert. Das Gefühl der zumindest drohenden Überfremdung, zu dem sich der Monopolanspruch auf herrschende Sitten im Land bei den Pegida-Anhängern verfestigt hat, wird sehr entgegenkommend mit dem Versprechen quittiert, von Staats wegen in all den Belangen härter zuzugreifen, an denen der aufgeregte Ausländerhass sich festmacht, in denen er freilich gar nicht seinen Grund hat, mit deren Erledigung er daher auch nicht auszuräumen, allenfalls mundtot zu machen ist: Kriminelle Ausländer werden, nötigenfalls durch kopfstarke Sonderkommissionen, mit Hochdruck verfolgt, Flüchtlinge ohne gesetzeskonformen Asylgrund beschleunigt abgeschoben, dagebliebene Migranten mit gesteigerten Integrationsforderungen und -maßnahmen behelligt, muslimische Gemeinden zur Ablieferung bedingungsloser Loyalitätserklärungen genötigt. Wo frisch eingetroffene Opfer der gemütlichen Weltordnung zeitweilig aufbewahrt werden, will man den Eingeborenen deren befristete Anwesenheit „besser erklären“. Dass viele Zugereiste sich mit der Erledigung besonders schlecht bezahlter Drecksarbeiten nützlich machen, manche eine angeblich drohende Facharbeiterlücke schließen helfen könnten, soll das aufgeregte Herrenvolk auch mal wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Und außerdem sei alles gar nicht so schlimm wie behauptet. So wird der Ausländerhass von oben sanft heruntergebremst.
Dass das nationalistische Rechtsbewusstsein genau damit zugleich ins Recht gesetzt wird, ist überhaupt nicht schlimm, insofern vielmehr ganz passend, als es Europas regierenden Patrioten ja wirklich nicht um eine Zurückweisung der patriotischen Volksmeinung geht, sondern um deren Ausnutzung für eine verlässliche Volksmoral im Allgemeinen und einen wahlwirksamen Beifall für ihre volksnahe Politik im Besonderen. Für diesen guten Zweck ziehen die Parteien einen Trennungsstrich zwischen guter Vaterlandsliebe und nicht mehr akzeptablem Extremismus. Der verläuft genau da, wo der volkstümliche „Herr im Haus“-Standpunkt, mit dem sich eine national politisierte Unzufriedenheit der Regierten zu Wort meldet, nicht mehr in die Bereitschaft einmündet, alle Entscheidungskompetenz dem politischen Establishment zu überlassen, sondern in eine Ablehnung umschlägt, die nicht bloß die aktuell Regierenden, sondern auch deren etablierte, als staatsdienlich anerkannte Opposition trifft. Gegen ein Zuviel an Unzufriedenheit mit dem real existierenden Herrschaftssystem richtet sich die obrigkeitliche Zurückweisung der empörten Patrioten; deswegen auch ausdrücklich nicht gegen das mit seiner eigenen Gesinnung umworbene Fußvolk, soweit sich das noch umwerben lässt, vielmehr gegen die Pegida-Organisatoren, von denen die in Herrschaftsverantwortung vereinten Politiker sich keine Konkurrenz machen lassen wollen. Zumal eine Partei sich sofort in Stellung bringt, die die Ablehnung des politischen Establishments in Stimmen für sich verwandeln will.
„Bunt“ gegen „Braun“: Gute Patrioten bekämpfen schlechte Patrioten mit Ausgrenzung
Unter diesem Gesichtspunkt dürften die regierenden und
oppositionell mitregierenden Patrioten an der Mehrheit
der ihrerseits demonstrationsbereiten Pegida-Gegner ihre
Freude haben. An der Flüchtlings-, Asyl- und überhaupt
Ausländerpolitik der Berliner Regierung hat man in den
Kreisen nicht allzu viel auszusetzen – jedenfalls nicht,
dass sie zu lasch und fremdenfreundlich wäre; das
bisweilen mit eingebrachte Bedenken, sie wäre zu hart, ja
sogar ein bisschen unmenschlich, lässt sich von oben
herab locker mit dem heuchlerischen Bescheid vereinnahmen
und neutralisieren, gerade im Sinne solcher Kritik und
einer allgemein durchsetzbaren „Willkommenskultur“ bliebe
den Zuständigen angesichts der herrschenden Volksstimmung
gar nichts anderes übrig, als den Bürgersinn nicht zu
überfordern und Härte gegen Illegale zu demonstrieren.
Auf jeden Fall wird den Pegida-Leuten von ihren Gegnern
und wortmächtigsten Kritikern – ganz im Sinne der
Regierenden – zuerst und vor allem entgegengehalten, für
ihre Beschwerden gäbe es so gut wie gar keine
Rechtfertigung durch stichhaltige Befunde: kaum Ausländer
in Sachsen, weit und breit keine Moschee... Und wo die
Feinde der demonstrierenden Ausländerfeindschaft über
solche als Widerlegung und Korrektur falscher Ansichten
gemeinten Hinweise hinausgehen, da legen sie mit ihren
Parolen Kein Platz für Nazis!
, Bunt statt
Braun!
und Schande für Deutschland!
Bekenntnisse ab, die in Sachen Vaterlandsliebe dem
Patriotismus der „patriotischen Europäer“ in nichts
nachstehen. Damit wollen sie nämlich festgestellt haben,
dass Ausländerhass sich für anständige Deutsche nicht
gehört und insoweit nicht wirklich zu Deutschland gehört.
Ein dermaßen kontrafaktisches Urteil entspringt
ersichtlich nicht einer Analyse der „braunen Ideologie“
und ihrer Verankerung in enttäuschter Heimatliebe,
sondern einer Gesinnung, die auf das wahre und
eigentliche deutsche Volk und seine weltoffene
Einstellung nichts kommen lassen will: ein Standpunkt,
dem die Wahrnehmung der national verfassten
kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft unter dem
Idealbild einer von moralischen Grundsätzen und guten
Sitten zusammengehaltenen Wertegemeinschaft genauso
geläufig und selbstverständlich ist wie den rechten
Abendland-Verteidigern. Auch da sieht man sich als
Sachwalter der guten Sitten, die sich fürs heimische Volk
gehören, und grenzt dementsprechend die „hässlichen
Deutschen“, die völlig grundlos rechtsradikales Zeug
vertreten, aus dem vorgestellten nationalen Grundkonsens
aus.
Von deren „Wir Volk“-Gesinnung unterscheidet sich dieser Anti-Pegida-Patriotismus entscheidend darin, dass er fürs Ethos der Volksgemeinschaft, das er sauber halten will, ein anderes, bestimmteres höchstes Kriterium kennt als das pure Recht darauf, „Herr im eigenen Haus“ zu sein: Dass unterschiedslos jedem Menschen Respekt gebührt, auch wenn er von anderswo herkommt als aus dem angestammten Verantwortungsbereich der sittlichen Hausmeister des deutschen Volkes, das möchte man da schon beachtet wissen. Den Lebensverhältnissen, vor denen so viele Leute weglaufen, und denen, in die sie hineinlaufen, wird das große Glück entgegengesetzt, ein Recht auf menschliche Anerkennung, auf Mitleid im Zweifelsfall, zugebilligt zu bekommen. Diese Großzügigkeit verfechten die „Bunten“ ihrerseits sehr entschieden unter dem Gesichtspunkt der nationalen Ehre: als Haltung, die von allen Mitbürgern zu fordern ist, weil fremdenfeindliche Gemeinheiten das Idealbild vom guten deutschen Volk beschmutzen würden. Ihre Identifikation mit der eigenen Nation und deren Bürgerschaft nehmen diese netten Patrioten so ernst, dass sie ihre gehässigen Mitbürger glatt als „Schande für Deutschland“ empfinden und sich für solche Typen schämen. Mehr Volkssolidarität geht kaum, als auch noch in den Figuren, deren Gesinnung man zutiefst verachtet, die Stammesverwandten zu sehen, die einem das eigene patriotische Selbstbild kaputt und die Liebe zur gemeinsamen Heimat schwer machen.
Für ihren Kampf gegen die „braunen“ Nestbeschmutzer bekommen die Moralisten einer „bunten“, weltoffenen Volksgemeinschaft viel Anerkennung von denen, die die deutsche Konkurrenzgesellschaft regieren und den heimischen Kapitalstandort auf weltweiten Konkurrenzerfolg trimmen, und Beifall von denen, die die Moral des deutschen Imperialismus von Berufs wegen repräsentieren; da reihen sich schon mal echt Prominente, ein Minister oder der Bundespräsident in eine imaginäre oder sogar eine real existierende Lichterkette ein. Diejenigen freilich, die es mit einer „Willkommenskultur“ auch für unerwünschte Migranten politisch ernst meinen, kriegen es leicht mit anderen Reaktionen zu tun. Je entschiedener und tatkräftiger sie für ihr Bild von einem hochanständigen Vaterland eintreten, umso eher geraten sie mit dem wirklichen Garanten der herrschenden nationalen Sitten aneinander. Für die Staatsmacht kommt es nämlich in Sachen des nationalen Anstands allemal zuerst und entscheidend darauf an, dass sie in allen politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungsfragen die letzte Instanz ist und sich das Heft nicht – noch nicht einmal von Kirchenleuten mit ihrem frommen Ersatz-Asyl – aus der Hand nehmen lässt. In der Abteilung Demonstrationsrecht achtet sie daher streng auf ihr Gewaltmonopol, bei den Pegida-Gegnern genauso streng wie – je nach politischer Orientierung der zuständigen Polizeiführung auch schon mal ein bisschen schärfer als – bei den kampfbereiten Rettern des „jüdisch-christlich geprägten Abendlands“. Wo es um die wirkliche Ordnung im Land geht, da machen die Höchsten Gewalten zwischen den einen und den anderen Liebhabern einer sittlich intakten Heimat keinen Unterschied – oder wenn, dann am ehesten den, dass ihnen der Wunsch nach einer ordentlich durchgreifenden öffentlichen Gewalt allemal näherliegt als ein Patriotismus, der sich in einer ausländerrechtlich grenzwertigen „Willkommenskultur“ für Migranten und Asylanten gefällt. Doch warum die real existierende Staatsgewalt ausgerechnet ihre idealistischen Weltverbesserer nicht recht leiden kann: Das haben die noch nie verstanden.