Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
2 x Osterweiterung:
Die imperialistische Konkurrenz um Europa kommt voran
Am 1. April 2004 nimmt die Nato 7 neue Mitglieder in Osteuropa auf. Am 1. Mai zieht die EU nach und erweitert sich um die schon vor ein paar Jahren zur Nato hinzugekommenen sowie einige der neuen Pakt-Mitglieder. Der Zuwachs an neuen Mitgliedern bedeutet für beide Bündnisse, die sich nach Osteuropa hin ausdehnen, keinen Zuwachs an materiellen Potenzen. Nato und EU betreiben die feste, unwiderrufliche Einordnung Osteuropas in ihren jeweiligen politischen Zuständigkeitsbereich.
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Systematischer Katalog
2 x Osterweiterung:
Die imperialistische Konkurrenz um
Europa kommt voran
1.
Am 1. April 2004 nimmt die NATO sieben neue Mitglieder in Osteuropa auf. Am 1. Mai zieht die EU nach und erweitert sich um die schon vor ein paar Jahren zur NATO hinzugekommenen sowie einige der neuen Pakt-Mitglieder. Amerikanische und europäische Staatenlenker beglückwünschen sich wechselseitig zur „Einheit des Kontinents“.
Das erinnert an das alte Ergänzungsverhältnis zwischen den beiden Bündnissystemen: Die NATO organisiert einen militärischen Block, der die wichtigsten kapitalistischen Nationen diesseits und jenseits des Nordatlantiks umfasst, und legt die Mitglieder auf eine hauptsächlich von Washington bestimmte einheitliche Sicherheitspolitik fest; einheitlich sowohl, was die Definition des zu bekämpfenden Gegners, als auch, was Art und Mittel seiner Bekämpfung sowie das Kommando über die militärischen Potenzen des Bündnisses betrifft. Die EU organisiert den politökonomischen Zusammenhalt des „europäischen Pfeilers“, baut sich zur Weltwirtschaftsmacht auf, die fähig werden will, dem Heimatland der Dollar-Ökonomie erfolgreich Konkurrenz zu machen; damit dient sie jedoch zugleich der gemeinsamen „westlichen Sache“, garantiert nämlich und entwickelt die kapitalistische Leistungstüchtigkeit der strategisch nach amerikanischen Vorgaben kooperierenden Partner, also die materielle Basis der gemeinschaftlichen Militärmacht.
So ähnlich möchten es die neuen doppelten Bündnispartner
auch sehen: Von der Allianz mit der Weltmacht USA
erwarten sie sich die Sicherung ihrer nationalen
Existenz, unbedingten Schutz vor der „russischen Gefahr“,
die ihrer nationalistischen Einschätzung nach von der
zerstörten sowjetischen Weltmacht noch übrig geblieben
ist, außerdem die Zuweisung eines respektablen
strategischen Stellenwerts an ihre Nation, den diese sich
allein nicht zu verschaffen vermag. Von ihrer
Unions-Mitgliedschaft versprechen sie sich eine Garantie
ihres ökonomischen Bestands, sogar eines Erfolgs als
Kapitalstandort, zumindest eine gute Versicherung gegen
völligen Misserfolg, nicht zuletzt durch Teilhabe am
EU-Haushalt. NATO is security, the EU is
modernization. One cannot exist without the other, the
processes are intertwined.
(Polens Ministerpräsident Miller, IHT,
31.3.)
Vom Standpunkt der Bündnisse selbst, d.h. ihrer maßgeblichen Führungsmächte aus nimmt sich die Sache allerdings gründlich anders aus.
2.
Der Zuwachs an neuen Mitgliedern bedeutet für beide Bündnisse, die sich nach Osteuropa hin ausdehnen, keinen Zuwachs an materiellen Potenzen. Europas Kapitalisten wissen aus den neuen Standorten im östlichen Billiglohn-Wunderland natürlich das Ihre zu machen. Dass damit die EU insgesamt reicher würde, behaupten aber nicht einmal die Wirtschaftspolitiker, die voller Stolz auf das neu hinzukommende Millionenheer von ‚Konsumenten‘ verweisen; auf deren Arbeitskraft haben die ‚Arbeitsmärkte‘ des ‚alten Europa‘ schon gleich nicht gewartet. Ebenso wenig verstärken die neuen NATO-Mitglieder mit den Überresten ihrer einst angeblich so bedrohlich gewesenen Rüstung die militärische Schlagkraft der Allianz; geschweige denn so, dass die NATO jetzt zu kriegerischen Taten fähig würde, die sie bislang nicht hingekriegt hätte.
Aber das ist offenbar auch gar nicht Sinn und Zweck der Ost-Ausdehnung der beiden Bündnisse. Der EU wie der NATO, den USA als unbestrittener Führungsmacht des einen, Deutschland und Frankreich als keineswegs unangefochtenen Führungsmächten des andern Clubs geht es um die Ausweitung und Festigung eines politischen Besitzstandes in einem sehr grundsätzlichen Sinn. Sie betreiben die feste, unwiderrufliche Einordnung Osteuropas in ihren jeweiligen politischen Zuständigkeitsbereich, die Ausrichtung der angeschlossenen Nationen mit ihrer Staatsräson, d.h. mit allen Prämissen und Grundsätzen ihrer inneren wie äußeren Politik, an ihren Ordnungs-, Zugriffs- und Beherrschungs-Interessen.
3.
Diese Interessen decken sich in einem nicht unwichtigen Punkt: EU-Strategen wie US-Weltpolitiker wollen die Verdrängung Russlands aus ihrem Europa vollenden.
Für die amerikanische Regierung ist der Einbau der neuen
EU-Mitglieder in die NATO die logische Konsequenz,
nämlich die notwendige Absicherung und ein entscheidender
Schritt zur strategischen und weltpolitischen Ausnutzung
ihres Sieges im Kalten Krieg: Von der Ostsee bis zum
Schwarzen Meer
steht ehemaliges Feindesland ihrer
Kriegsmacht offen und zu Gebote. Wenn Außenminister
Powell eigens mit Moskau konferiert, um Freund
Putin
zu versichern, die Expansion der NATO bis an
die russische Westgrenze sowie die prompte Stationierung
von F-16-Flugzeugen in den ehemals sowjetischen
Baltenrepubliken – zur Grenzkontrolle
– wäre
keineswegs gegen Russland gerichtet, dann weiß er um die
Zumutung, die Amerika Russland serviert, und setzt gleich
noch die nächste Zumutung oben drauf, nämlich dass Moskau
sich fügt und die Verwandlung Osteuropas in NATO-Land
anerkennt; andernfalls müsste er an der Aufrichtigkeit
der russischen „Freundschaft“ zweifeln. Das passt zum
Vorgehen der EU, die ihre äußerst sakrosankte
„Außengrenze“ kräftig Richtung Moskau verschiebt und
damit überhaupt sämtliche Beziehungen über die Westgrenze
der GUS hinweg ihrem Kontrollregime unterwirft. Sie
vollzieht damit praktisch und alltagswirksam die
Ausgrenzung der russischen Rest-Macht aus Europa, die
Amerika will, und die NATO garantiert die strategische
Degradierung Russlands, von der die EU bei ihrer
Inbesitznahme Osteuropas ausgeht.
Damit hat es sich aber auch schon mit den deckungsgleichen Interessen. Was den oberhoheitlichen Besitzanspruch selber betrifft, den EU-Strategen und US-Weltpolitiker auf ihre östlichen Neuerwerbungen erheben und mit deren Aufnahme in ihr jeweiliges Bündnis einzulösen gedenken, so deckt und ergänzt sich da überhaupt nichts.
4.
Amerika packt die Osteuropäer vermittels der NATO bei ihrer letzten Existenzfrage: der Sicherheit ihres Bestands als souveräne, weltpolitisch beachtete Mitglieder des globalen Gewaltgeschäfts. Darüber stiftet es Abhängigkeiten, verschafft sich bestimmenden Einfluss auf nationale Haushaltsentscheidungen, regiert auch in die Wirtschaftspolitik der Anschlussländer hinein und drängt ihnen so den Vasallenstatus auf, den die Altmitglieder der Allianz gerade loswerden wollen – nicht zuletzt vermittels der Erweiterung ihrer Union. Denn mit der packen die großen Wirtschaftsmächte der EU ihre neuen Partner bei deren ökonomischer Existenz- und Erfolgsfrage, um sich den Osten des Kontinents nicht bloß markttechnisch, sondern strategisch einzuverleiben: als Bestandteil ihrer Verfügungsmacht über Europa und dessen weltpolitische Geschicke; als Zuwachs, der ihre vorrangige, wenn nicht sogar exklusive Zuständigkeit für den alten Kontinent und damit ihre Bedeutung als – entstehende – kontinentale Großmacht beglaubigt und durchsetzen hilft.
Die Vollmitgliedschaft, die den Neuen formell gleiche Rechte in beiden Bündnissen gewährt, ist gewissermaßen der Preis, den die jeweiligen Führungsmächte für deren Vereinnahmung und die Festigung ihrer strategischen Zuständigkeit für Europa zahlen. Die USA zahlen ihn leicht; in ihrer Allianz ist die Führungsfrage von vornherein entschieden, Mitgliedschaft mit Unterordnung ziemlich gleichbedeutend. Die EU schreibt dagegen ihren Widerspruch fort, dass die Einbindung der schwächeren Mitglieder, die die führenden Mächte für ihren Hoheitsanspruch über den ganzen Kontinent brauchen, nur zu der Bedingung zu haben ist, dass sie freiwillig erfolgt und allen Beteiligten eigene, auch abweichende politische Berechnungen gestattet bleiben. Das ändert freilich nichts an der „Räson“ der Union und schon gar nichts an der Absicht, in der ihre Führungsmächte die Osterweiterung betreiben. Deren Absicht geht eben dahin, sich als maßgebliche, letztlich als alleinzuständige europäische Ordnungsmacht aufzubauen und ihren Kontinent insgesamt dem dominierenden strategischen Zugriff der USA Stück um Stück zu entziehen.
Die doppelte Osterweiterung „des Westens“ ist somit Teil des zunehmend fundamentalen inner-„westlichen“ Machtkampfs: der Konkurrenz zwischen Europas relativen Großmächten Deutschland und Frankreich und der absoluten Weltmacht USA um die politische Vormundschaft über den Osten Europas und damit um die Beherrschung des alten Kontinents insgesamt. In diesem Konkurrenzkampf sieht die europäische Seite sich zu mehr heuchlerischen Beschönigungen und Dementis genötigt als die amerikanische, vor allem aus Rücksicht auf die Überlegenheit der immer noch verbündeten Weltmacht. Dabei spekulieren Europas Anführer jedoch in kaum verhohlenem Zynismus auf die „überzeugende“ Wirkung der institutionellen Zwänge und ökonomischen Sachzwänge, die die Mitgliedschaft im europäischen Club für die neu aufgemachten Kapital-Standorte im Osten mit sich bringt. Über die und auf deren Rücken, mit konkurrierenden Erpressungsmanövern, führen beide Seiten ihren Kampf um die Macht über Europa.
5.
Den neuen Bündnispartnern bleibt das auch keineswegs verborgen. Sie kommen nicht umhin zu realisieren, dass ihre Hoffnung auf einander sinnreich ergänzende Dienste beider Bündnisse an ihrem nationalen Neuaufbau illusionär ist. Ihr Interesse, in der Allianz mit Amerika ihre strategische „Heimat“, in der Union mit dem ‚alten Europa‘ eine ökonomische Erfolgsgarantie zu finden, ist damit freilich nicht weg: Sie haben kein anderes; Alternativen haben sie weder in Betracht gezogen noch zugelassen. So versuchen sie, aus ihrer doppelten Funktionalisierung für entgegengesetzte Macht- und Zuständigkeitsansprüche das Beste zu machen, nämlich aus ihrer Einordnung in das eine Bündnis ein politisches Instrument zur Selbstbehauptung in dem andern. Dabei kommt allerdings auch nicht viel mehr heraus als ein Offenbarungseid über das Resultat ihres unbedingten Anschlusswillens: Jetzt müssen sie zwei Herren dienen, die gerade an ihnen, nämlich in der Frage ihrer weltpolitischen Bevormundung und Vereinnahmung, den eigenen Konkurrenzkampf vorantreiben.
Das ist die Freiheit, die der Imperialismus des 21. Jahrhunderts seinen osteuropäischen Neuerwerbungen zu bieten hat.