Nordkorea 2000
Die Selbstbehauptungsbemühungen eines geächteten Staatswesens oder: Diplomatie mit einem „Schurkenstaat“

Die Öffentlichkeit ist überrascht. Nicht nur, weil der „erwartete Kollaps Nordkoreas ausgeblieben“ ist; der neue Kim wird plötzlich auch noch hoffähig im Westen. Gestern noch „der letzte Hort des Stalinismus“ und „Schurkenstaat“, heute ein „Wettbewerb um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen“?! Geht das nicht ein bisschen schnell? – fragen sich da die skeptisch-linientreuen Meinungsbildner, die von einer endgültigen Abdankung des „Regimes“ noch nicht berichten können und wie selbstverständlich von dem Urteilsspruch ihrer Regierungen ausgehen, dass es für diesen Staat keine Existenzberechtigung gibt.

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Nordkorea 2000
Die Selbstbehauptungsbemühungen eines geächteten Staatswesens
oder: Diplomatie mit einem „Schurkenstaat“

Die Öffentlichkeit ist überrascht. Nicht nur, weil der „erwartete Kollaps Nordkoreas ausgeblieben“ ist; der neue Kim wird plötzlich auch noch hoffähig im Westen. Gestern noch „der letzte Hort des Stalinismus“ und „Schurkenstaat“, heute ein „Wettbewerb um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen“?! Geht das nicht ein bisschen schnell? – fragen sich da die skeptisch-linientreuen Meinungsbildner, die von einer endgültigen Abdankung des „Regimes“ noch nicht berichten können und wie selbstverständlich von dem Urteilsspruch ihrer Regierungen ausgehen, dass es für diesen Staat keine Existenzberechtigung gibt.

1. Das „kommunistische Nordkorea“ tritt nicht mit dem Ostblock ab. Damit zieht es sich das Urteil eines „Relikts des Kalten Krieges“, sprich eine erneuerte Kampfansage der USA zu.

Für die Demokratische Volksrepublik Nordkorea war die friedliche Preisgabe der realsozialistischen Systemalternative zum Kapitalismus eine Katastrophe. Der damit eingeleitete Zusammenbruch des östlichen Staatenbündnisses rührte an die Grundlagen der eigenen Existenz. Denn die Volksrepublik war Bestandteil dieses Weltsystems, sie hatte in ihm den entscheidenden Rückhalt für ihre Staatsräson. Diese besteht in dem anspruchsvollen Grundsatz, dass Nordkorea – mit seinem „Sozialismus im Dienste des Volkes“ – der alleinige und einzig legitime Repräsentant einer unabhängigen koreanischen Nation ist, deren südliche Hälfte noch von der amerikanisch-imperialistischen Besatzungsmacht samt dem von ihr installierten Ausbeutungssystem befreit werden muss. Als „Hauptaufgabe der koreanischen Revolution“ unter dem „großen Führer“ Kim Il Sung galt demzufolge die Losung, dass „die Verwirklichung der Souveränität der Volksmassen“, sprich die Sicherung eines „freien Lebens als souveräne Nation“, zusammenfällt mit dem „Sieg über den Imperialismus“. Auch wenn dieses Ziel nicht erreicht wurde, so konnte der nordkoreanische Staat doch zur Verteidigung seiner Existenz auf den Rückhalt der verbündeten sowjetischen Weltmacht zählen sowie auf die Lieferung notwendiger ökonomischer Mittel, über die er selbst nicht oder nicht in ausreichendem Maße verfügte. Für die Sowjetunion wie auch für die Volksrepublik China, dem Hauptverbündeten im Koreakrieg,[1] war Nordkorea ein Frontstaat, also ein strategischer Vorposten gegen den Westen. Mit deren Wende zum System der „Marktwirtschaft“ – von dessen größerer Effizienz bei der Menschenbenutzung man endlich auch profitieren wollte –, wurde auch die „besondere Freundschaft“ zur nordkoreanischen Volksrepublik hinfällig. Das hatte harte Konsequenzen: Die Lieferung von Öl wurde eingestellt und die militärischen Beistandsversprechen zurückgezogen.[2] Das seiner Bündnispartner ledige Nordkorea begeht nun ein – in den Augen der Sieger des Kalten Krieges – besonders verwerfliches Verbrechen: Es gibt nicht auf, sondern hält an seinem Staatsprogramm fest, kritisiert sogar die „fehlende Prinzipientreue“ der ehemaligen Bündnispartner. Diese Demonstration des eigenen Durchhaltewillens bringt Nordkorea über das klassische Verdikt „kommunistischer Unmenschlichkeit“ hinaus das zusätzliche Kennzeichen eines anachronistischen Staates ein: Nordkorea ist ab sofort „der letzte Hort des Stalinismus“. Das so aktualisierte Feindbild ist eine erneuerte Kampfansage. Sie liefert – mit dem Verweis auf die vom Westen bereits eingefahrenen Erfolge – dem Gegner die Zusicherung gleich mit, dass alle seine Versuche, sich als Alternative gegen den Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft behaupten zu wollen, chancenlos sind.

2. Das Programm der militärischen Selbstbehauptung aus eigener Kraft und inmitten einer feindlichen Staatenwelt ruiniert die ökonomische Basis des Landes und bringt ihm das Attribut eines „Schurkenstaates“ ein.

Ohne die aus der Existenz des sozialistischen Staatenblocks bezogenen Mittel sieht sich Nordkorea vor die Frage gestellt, wie der Staat künftig, auf sich allein gestellt, die amerikanisch-westliche Feindschaft überstehen kann. Grundlage für alle neuen Berechnungen ist ein verstärktes Programm zur nationalen militärischen Selbstbehauptung.

a) Um die eigene staatliche Autonomie zu wahren, soll eine militärische Abschreckungskapazität aufgebaut werden, die Maß nimmt an der Bedrohung, der das Land sich ausgesetzt sieht. Da der Hauptgegner der Volksrepublik Korea kein geringerer als die militärische Supermacht USA ist, die zudem in Japan und Südkorea über potente Kriegspartner in der Region verfügt, bedarf es der Fähigkeit zu einer ziemlich großkalibrigen militärischen Gegendrohung – sonst ist diese für fremde Machthaber bekanntlich nicht „glaubwürdig“! Wenn das eigene Kriegspotential so weit reichen soll, dem übermächtigen Feind eine Kalkulation aufzuzwingen hinsichtlich der Opfer und „Unkosten“, welche eine kriegerische Auseinandersetzung für die amerikanische Nation und/oder die von ihr beschirmten regionalen Verbündeten mit sich bringen könnte – dann braucht es die Option einer atomaren oder vergleichbar vernichtenden Schlagandrohung. Und nicht weniger als die Entwicklung und Herstellung solcher Waffen hat sich die nordkoreanische Regierung vorgenommen. Das Aufrüstungsprogramm bezweckt den Erwerb von atomaren und anderen „Massenvernichtungswaffen“ sowie von weit reichenden Träger-Raketen, die in der Lage sind, die amerikanischen Verbündeten und möglichst auch das US-Territorium selbst zu bedrohen; und das als Ergänzung zur Unterhaltung einer riesigen Armee, die, wenn schon nicht zum Überrennen des Südens fähig, so doch einer Eroberung des heimischen Territoriums erfolgreich im Wege steht. Bei ihrem Bemühen um einen rüstungstechnologischen Sprung nach vorn können die Nordkoreaner offenkundig einige Fortschritte verzeichnen.

b) Eine entsprechende Würdigung von Seiten der USA findet jedenfalls statt. Der „Griff zur Bombe“ und zur Raketentechnik wird als Verstoß gegen so ziemlich alle Rüstungsverbots-Verträge, als ungeheuere Anmaßung eines ansonsten „maroden Systems“, als Beweis aggressiver Absichten und – schon ehrlicher – als nicht hinnehmbarer Versuch gewertet, der Weltordnungsmacht Nr. 1 die Freiheit zur Durchsetzung der „internationalen Rechtsordnung“ zu bestreiten. Der Unwille Nordkoreas, sich den Diktaten der von Amerika ausgerufenen „Neuen Weltordnung“ zu beugen, d.h. den inkriminierten Staatszweck aufzugeben, die Illegitimität der eigenen Hoheit einzugestehen und sich seinen künftigen Status von den USA zuweisen zu lassen, ist Grund genug, diesem „kommunistischen Relikt“ ein weiteres Etikett anzuheften: Nordkorea ist ein „Schurkenstaat“ par excellence! Das heißt ein notorischer Störenfried in der nun endlich einheitlich, freiheitlich und friedlich gewordenen Neuen Weltordnung. Als solcher ist er politisch geächtet, jederzeit von der Anwendung der überlegenen Gewalt des Rechts bedroht und von der Fortsetzung eines umfassenden wirtschaftlichen Embargos betroffen.[3] Das nordkoreanische Staatswesen steht auf der amerikanischen Abschussliste – und diese ist ja inzwischen die maßgebliche in der Welt – ganz oben.

c) Dass sich Nordkorea mit seinem Bemühen um militärische Selbstbehauptung erst recht jede Menge Anfeindungen von außen, vor allem von den USA zuzieht, ist das Eine. Die andere Konsequenz betrifft den inneren Zustand der Nation und ist nicht minder existentiell. Der nationalen Kraftanstrengung zur Mobilisierung militärischen Potentials, welches auch der „Volks-Staat“ Nordkorea zum letztendlich entscheidenden, folglich ersten Mittel der Nation erklärt, müssen nämlich massenhaft Ressourcen des Landes, menschliche wie sachliche, geopfert werden.[4] Diese stehen für die Produktion zivilen Reichtums nicht (mehr) zur Verfügung; ihr steigender Gebrauch für den Bedarf der in Not geratenen Staatsgewalt übersteigt die ökonomischen Kapazitäten, über die sie gebietet. Das (Über-)Lebensmittel der nationalen Herrschaft, die Waffen zum Erhalt ihrer „Unabhängigkeit“, erweist sich als unverträglich mit den elementaren (Über-)Lebensbedürfnissen der Bürger: Die Reproduktion der Gesellschaft bricht in demselben Maße zusammen, in dem sich die Produktivkräfte des Landes an dem anspruchsvollen Maßstab der Selbstbehauptung gegen die kapitalistische Weltmacht praktisch zu bewähren haben.

Der Mangel am wichtigsten Grundstoff (Öl = Energie) und an dringend nötigen Warenlieferungen (Ersatzteile) aus Russland und China; das mit dem westlichen Embargo durchgesetzte Verbot, die Ausfälle durch Käufe anderswo zu kompensieren; der Versuch, zum Zwecke des Devisenerwerbs Raketentechnik an andere „Schurkenstaaten“ zu verkaufen: eher ein weiteres Eingeständnis der Not; das Leiden unter besonders widrigen Naturbedingungen – Sturmfluten und Überschwemmungen machen die Ernten einer ohnehin von ungünstigen klimatischen und geographischen Verhältnissen gebeutelten Landwirtschaft kaputt: dies alles sind die Verlaufsformen einer Aufzehrung der ökonomischen Substanz, die zum Zusammenbruch großer Teile der Industrieproduktion, des Transports und der wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung bis zur Hungersnot führt. Rückwirkungen auf den „privilegierten“ militärischen Sektor, sprich die Kampfkraft der Armee, sind gleichfalls unvermeidlich.[5]

d) Drittens schließlich lassen die Rückwirkungen des inneren Notstandes auf das Außenverhältnis nicht auf sich warten. Natürlich reagiert der Westen zufrieden und mit Häme auf die grassierende Hungersnot, da sie sein Feindbild vom ebenso menschenverachtenden wie unfähigen stalinistischen Regime ins Recht setzt. Unter wohlfeiler Abstraktion von der Kampfansage, mit der die USA diesen Staat erklärtermaßen klein kriegen wollen, verbreiten die Propagandisten legitimer Gewalt ihre wohldifferenzierte moralische Verurteilung unerwünschter Machtambitionen. Nach dem Motto: „Obwohl die Menschen nicht genug zu beißen haben, schafft sich das Regime Atomraketen an!“ Als ob irgendeine legitime Atommacht zuerst alle Hungernden speisen würde, bevor sie sich besagte „Massenvernichtungsmittel“ zulegt. Dass Nordkorea solche nach allgemeinem Dafürhalten nicht zustehen, hat zwar absolut nichts mit der Ernährungslage im Land zu tun, aber in diesem Falle lässt sich der ganz normale Zynismus staatlicher Selbstbehauptung, die nicht erst im Krieg über Leichen geht, als besondere Barbarei anprangern. Die gehört bestraft, da ist man sich einig.

Mehr als die westliche Propaganda stört die nordkoreanische Regierung der materielle Effekt, der den mit dem Rüstungsprogramm verfolgten Autonomieanspruch unhaltbar macht. In dem Maße, wie die nationale Ökonomie die pure physische Erhaltung des Volkes nicht mehr leistet, wird der Staat erst recht erpressbar. Er ist angewiesen auf auswärtige Mittel, d.h. auf Mittel in den Händen von Mächten, die der eigenen Herrschaft gerade die Existenzberechtigung bestreiten.

3. Die prekären Folgen des unerschütterlichen Selbstbehauptungs-Kampfes sind für die Regierung Nordkoreas kein Grund, ihr Ziel aufzugeben. Wohl aber ist sie um eine politische Diplomatie bemüht, um sich die existenzbedrohende Konfrontation mit den USA und deren asiatisch-pazifischen Vorposten Japan und Südkorea zu ersparen. Die sehen in der „Öffnung“ Nordkoreas dessen Notlage und somit eine günstige Gelegenheit zu systematischer Erpressung.

a) Die Volksrepublik Nordkorea strebt nicht nur den Besitz hocheffizienter Waffen an. Sie bietet ihren Gegnern zugleich den Verzicht auf von Amerika inkriminierte Rüstungsprojekte an, wenn die USA im Gegenzug von ihrer Feindschaft ablassen, die Souveränitätsrechte des nordkoreanischen Staates anerkennen, das ökonomische Embargo aufheben und die Zugeständnisse an die amerikanischen Forderungen mit Hilfslieferungen und wirtschaftlicher Unterstützung honorieren.

Gewiss handelt es sich um einen, gemessen an den normalen Gepflogenheiten der Weltpolitik, merkwürdigen politischen Einsatz von Waffen, die Staaten für gewöhnlich als das Mittel ihrer Souveränität schätzen und hüten. Welche Politiker stellen schon höchst einseitig und vor einer Kriegs-Niederlage ihre Gewaltmittel, die wuchtigsten zumal, zur Disposition! Immerhin begibt sich die koreanische Nation der freien Verfügung über die „letzten Mittel“ ihrer militärischen Schlagkraft, wenn sie deren Produktion von der Genehmigung fremder Staaten und sogar ihres „Hauptfeindes“ abhängig macht. Die Gesuche um ein Tauschgeschäft ‚Rüstung gegen Anerkennung‘ künden indes nicht nur von einer Notlage, d.h. von einer schon in Gang befindlichen Entmachtung Nordkoreas – gerade in Folge der Konzentration aller Kräfte auf die militärische Machtsicherung. Sie künden gleichzeitig und immer noch von dem Willen der Führung des Landes, an der nationalen Zielsetzung festzuhalten. Denn die Gegenleistung, die sie verlangt, ist ja genau das Gut, dessen Verweigerung sie zur „Bombe“ greifen lässt. Anerkennung setzt sie mit Sicherheit, mit einer Art Bestandsgarantie gleich, und seit sie auf eine „Verhandlungslösung“ in diesem Sinne hofft, firmieren die USA auch nicht mehr als „Hauptfeind“.

b) Die USA steigen auf die Verhandlungsbereitschaft Nordkoreas ein – und legen die Agenda fest. Mit dem einzigen Betreff: Atomare und sonstige Abschreckungsmittel. Dass ihre Strategie-Experten erst nach dem Zerfall des Ostblocks, dann während der Hungersnot, beim Tod des „verehrten Führers“ Kim Il Sung und bis heute immer wieder den „Kollaps“ der nordkoreanischen Volksrepublik „erwarten“, heißt ja nicht, dass die Politiker untätig abwarten auf ein „Ende mit einem Winseln oder mit einem Knall“. Sich dergestalt „abhängig zu machen“ von einem „Regime, welches das Land sehr stark unter Kontrolle hat“, halten sie für „unklug“ (Nordkorea-Koordinator W. Perry). Sie sehen in der Notlage des auf sich allein gestellten „Regimes“ sowie in den Berechnungen seiner Führer, die sie „Öffnung“ nennen, eine brauchbare Grundlage für das Ausprobieren einer neuartigen Diplomatie mit einem Schurkenstaat.[6]

Diese neue Sorte Rüstungs-Diplomatie mit einem erklärten Bösewicht, der keine Anerkennung verdient, besteht in einer doppelten Erpressung: Erstens erklärt man sich prinzipiell dazu bereit, einen Verzicht Nordkoreas auf Rüstungsunterfangen – die man zuvor als nicht hinnehmbar, also als Kriegsgrund definiert hat – materiell und ideell zu belohnen. Das gilt freilich nur und in dem Maße, wie die Volksrepublik die amerikanisch diktierten Bedingungen erfüllt, worüber selbstverständlich wiederum einzig die USA befinden. Und zweitens legt man im und für den Fall des Zuwiderhandelns – wohl wissend um die militärischen Kräfteverhältnisse und die inneren Drangsale des Kontrahenten – die stets verfügbare andere Option auf den Tisch: die der politischen Quarantäne, des ökonomischen Aushungerns und der offenen Kriegsdrohung. Der „Haken“ des diplomatischen Weges, mit dem der nordkoreanische Führer und seine Gefolgschaft folglich immer wieder konfrontiert werden, ist eben der, dass die USA einen Zweck verfolgen, der dem Nordkoreas diametral entgegensetzt ist. Die Bedingung für die in Aussicht gestellte Beendigung der Feindschaft gegenüber dem „Schurkenstaat“ ist nämlich – aus amerikanischer Sicht – die Preisgabe der autonomen und darin widerspenstigen Staatsräson; oder positiv: die Unterwerfung Nordkoreas unter die von den USA ausgehenden Direktiven der Neuen Weltordnung.

c) Dementsprechend sieht auch der Verlauf der Verhandlungen aus, die immer wieder aufgenommen werden und immer wieder scheitern, weil und solange beide Seiten an ihren konträren Positionen festhalten:

– Nach massiven militärischen Drohungen der USA bietet Nordkorea im „Rahmenabkommen“ mit den USA von 1994 das „Einfrieren“ seines Atomprogramms an: die Demontage der graphitmoderierten Atomenergie-Anlage, die von den USA als Produktionsanlage von Plutonium für Atombomben inkriminiert wird. Im Gegenzug werden die Lieferung zweier „unschädlicher“ Leichtwasserreaktoren und von Öl zugesagt. Nordkorea verspricht sich von dem Deal die „Bewegung hin zur vollen Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen“. Es setzt auf die Aufnahme von regulären diplomatischen Beziehungen und respektvolle Kooperation an Stelle von Boykott und Kriegsdrohung. Tatsächlich hebt ein Streit an über die Durchführung von Vor-Ort-Inspektionen, die Frage der Lieferanten, die Konditionen der Installierung und Finanzierung der neuen Reaktoren, deren Bau so immer wieder verzögert wird. Die Umsetzung der anderen „Gegenleistungen“ erfolgt gar nicht bzw. wohl dosiert, das heißt ohne Rücksicht auf die Notlage Nordkoreas. An deren Überwindung haben die USA selbstredend kein Interesse; alle Zugeständnisse dienen ja bloß als Hebel, weitere Abstriche an Nordkoreas militärischen Ambitionen und mehr eigene Kontroll-Kompetenzen zu erzwingen. Öl wird manchmal geliefert, dann wieder nicht; Hilfsgüter für die Hungernden und Verhungernden kommen, wenn überhaupt, nur im Tausch gegen die Preisgabe von Hoheitsrechten ins Land – sofern die Regierung nämlich „Transparenz“ und „Überwachung der Verteilung“ durch auswärtige Kontrolleure gewährleistet. Nordkorea droht die Wiederaufnahme des Atomprogramms an. Die USA drohen ihrerseits mit einem „Rückfall in den Kalten Krieg“, den selbstverständlich das „kommunistische Regime“ heraufbeschwört, von dem es heißt, dass es heimlich an der Produktion von „WMD“ (Weapons of Mass Destruction)-Artikeln weiterarbeitet. Was wohl auch stimmt.

– Ab 1997 finden „Vierergespräche“ statt, in denen die USA und Südkorea – unter Beteiligung Chinas – den neuen Kim testen wollen, wieweit er zur Erfüllung der amerikanischen Auflagen für „Frieden und Versöhnung“ in der Region bereit ist. Bezeichnenderweise ist eine Tagesordnung vorgesehen, die den für Nordkorea entscheidenden Punkt – den Abzug der US-Truppen aus Südkorea – erst gar nicht vorsieht. Statt der verlangten „Friedensverhandlungen“ zwischen den Signatarstaaten des Waffenstillstandsabkommens nach dem Koreakrieg, den USA und der Volksrepublik Nordkorea, gibt es also „Friedensgespräche“, in denen die Friedens-„Fähigkeit“ Nordkoreas auf dem Prüfstand steht. Die Unterhändler des Landes versuchen folglich, „ihr“ Thema zur Sprache zu bringen und die eigene Forderung zu einem offiziellen Tagesordnungs-Punkt zu machen. Vergeblich.

– Bei der „Raketenfrage“, die nur eine ist, weil die Amerikaner das Recht der Nordkoreaner auf die Entwicklung eigener Raketen kategorisch in Frage stellen, wiederholt sich dasselbe Muster wie bei der Atomfrage. 1998 testet Nordkorea eine mehrstufige Rakete (4000 km), die, ohne vorherige Anmeldung, über Japan hinwegfliegt. Gerechtfertigt wird der Versuch als legitime Arbeit an dem Projekt, Forschungssatelliten ins All zu schießen; gemeint ist er vor allem als Demonstration eigener (Kriegs-)Fähigkeiten. Die USA begründen ab sofort ihr Projekt einer Nationalen Raketen-Abwehr (NMD) mit der Angriffsgefahr, die von künftigen Langstreckenraketen Nordkoreas ausgeht; Japan will sich an der Dislozierung eines regionalen „Theater Missile Defense“-Systems (TMD) beteiligen.[7] Ein Jahr nach dem Versuch kündigt Nordkorea ein Test-Moratorium für Langstreckenraketen an. Die Clinton-Regierung „erleichtert“ daraufhin das Embargo, um ein ‚Weiter so!‘ zu erwirken. Sie nimmt das Moratorium als einen „ersten Schritt“, der aber natürlich nicht ausreicht. Das ganze Raketenprogramm ist fällig. Nordkorea bietet einen dauerhaften Teststopp als Verhandlungsmasse an – gegen die Bereitschaft der USA, ihre Forschungssatelliten ins All zu transportieren, also gegen die Perspektive einer technologischen Kooperation. Die USA trauen ihren Ohren bzw. dem Übermittler der Botschaft, dem russischen Präsidenten Putin nicht, versprechen aber die „Prüfung“ der wahren Absichten Pjöngjangs. Die Aussicht auf ein Ende des Boykotts und den Übergang zu „normalen Beziehungen“, also das, was Nordkorea einst für den Verzicht aufs Atomprogramm versprochen wurde, taucht nun als Gegenleistung bei Aufgabe des Raketenprogramms wieder auf.

– Diesen Oktober schließlich schickt Kim Jong Il seinen Vizemarschall Rok nach Washington, der von Präsident Clinton persönlich empfangen wird und dafür schriftlich bestätigt, dass sein Land „alle Formen des Terrorismus“ ablehnt. Der Abgesandte bekräftigt die Möglichkeit, dem „Wunsch“ der USA entsprechend in Zukunft auf die „Proliferation“ von Raketen an Länder wie den Iran und Pakistan zu verzichten, falls dem Staat die dadurch wegfallenden Einnahmen aus seiner „einzigen Devisenquelle“ ersetzt werden und Nordkorea von der „schwarzen Liste“ der „den Terrorismus fördernden Staaten“ gestrichen wird. Dies ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, Zugang zu amerikanischer Auslandshilfe und zu Krediten internationaler Finanzorganisationen zu erhalten. Die amerikanische Regierung findet das Angebot zum Proliferations-Verzicht ermutigend, muss eine finanzielle Entschädigung Nordkoreas jedoch ablehnen, um nicht „andere Staaten zu ermutigen, sich in Raketen-Erpressung zu engagieren“ (International Herald Tribune, 25.10.00). Sie fordert glaubwürdige Beweise des nordkoreanischen Anti-Terrorismus – und erklärt abermals das gesamte Raketenprogramm des Landes zum Casus belli.[8]

– Die amerikanische Außenministerin Albright fährt anschließend zum „ersten hochrangigen Besuch“ nach Pjöngjang, um zu sondieren, wie weit „Chairman Kim“ persönlich zum Einlenken entschlossen ist. Das Ergebnis der Reise: Kim freut sich über so viel Ehre. Er führt dem Gast unabgesprochen ein „kommunistisches Massenballett“ vor, um damit zu beweisen, wie sehr das Volk hinter seinem Staat und Führer steht. Und er fordert eine Abkehr vom Kalten Krieg gegen sein Land. Frau Albright erklärt, dass Präsident Clinton erst dann zu einer Visite in Nordkorea bereit sei, wenn die ihr zugesagte Raketen(stopp)-Gesprächsrunde Erfolge zeitigt.

Fazit: Was Nordkorea als politischen Preis für einseitige „freiwillige“ Rüstungsbeschränkung fordert – eine Anerkennung seines volksrepublikanischen Staates, welche wirtschaftliche Kooperation ermöglicht und Sicherheitsgarantien umfasst, – bekommt es nicht; außer wenn es sich als Ärgernis und Schranke der von Amerika vorgesehenen Welt- und Regionalordnung aus dem Verkehr zieht. Denn wie die Verhandlungsführung der USA demonstriert, laufen alle Konditionen für einen amerikanischen Verzicht auf Feindschaft darauf hinaus, dass Nordkorea auf die Fähigkeit zur Abschreckung, und damit zu echter Gegenwehr im Kriegsfall, – also auch auf den Willen zur Behauptung seiner nicht lizenzierten Staatsräson verzichten muss.

d) Die politische Berechnung Nordkoreas, durch Beweise der eigenen friedlichen Absichten den feindlichen Druck zu reduzieren und durch stetige Erweiterung der Konzessionsbereitschaft – auf alle Felder der strategischen Rüstung – einen endgültigen „Durchbruch“ zu erreichen, wird andauernd von einem Rückfall in die pure Konfrontation bedroht. Schließlich lebt das ganze diplomatische Prozedere mit den unterschiedlichen, jeweils unter Vorbehalt angebotenen Zugeständnissen von dem Generalvorbehalt der Nichtanerkennung Nordkoreas durch die oberste Weltordnungsbehörde USA.[9]

Da Nordkorea die erpresserische Logik zu spüren bekommt, dass berechnendes Nachgeben gegenüber einer überlegenen Macht stets weitere Nachgiebigkeit erfordert, sieht es sich immer wieder gezwungen zu demonstrieren, dass seine Friedensgesuche nicht mit nachlassender Abwehrbereitschaft und -fähigkeit zu verwechseln sind. Die eigene Entschlossenheit, zu deren Beweis man regelrechte Provokationen inszeniert, soll die Notwendigkeit von Fortschritten bei der „Normalisierung der Beziehungen“ anmahnen. Diese Botschaft schließt immer noch ein: Notfalls wird man eben die geforderte Anerkennung erzwingen. Deshalb will man, bei allem punktuellen und vorläufigen Verzicht auf die Umsetzung von Rüstungsentwicklungen, auf die Verfügung über die dafür nötigen Fähigkeiten auch nicht verzichten. Jedenfalls bislang nicht. Die Überstrapazierung der wirtschaftlichen und technischen wie menschlichen Ressourcen für militärische Kraftanstrengungen will man sich ersparen; sich angesichts westlicher Kapitulationsimperative seiner militärischen Optionen zu begeben, will man aber ebenso vermeiden…

4. Auf der Suche nach neuen ökonomischen Quellen, welche die fehlenden Ressourcen für das eigene nationale Unabhängigkeitsprogramm ersetzen können, entdeckt die nordkoreanische Volksrepublik den reichen Bruder im Süden. Der bisherige „Statthalter des Hauptfeindes“ im – nach wie vor als Ganzes betrachteten und beanspruchten – „eigenen Land“ soll in den Kampf um nationale Autonomie einbezogen werden. Dabei verändert sich das Staatsprogramm, das auf diese Weise gerettet werden soll.

Wenn Nordkorea nun zur Behebung eigener Nöte auf die Funktionalisierung der gewachsenen Wirtschaftsmacht Südkoreas setzt, dann ist zuallererst eine „Versöhnungspolitik“ mit der Nachbarrepublik angesagt. Als Voraussetzung, ohne die nichts geht.

Die Hinwendung zum Süden beruft sich auf die immer schon behauptete Zuständigkeit für das „koreanische Volk“ und dessen Befreiung zu echter Unabhängigkeit. Mehr noch: Sie propagiert die historische Chance zur längst überfälligen nationalen Wiedervereinigung, dieses grundlegenden Anliegens und Endziels des nordkoreanischen Anti-Imperialismus. Die Regierung des Nordens tritt also nicht mit der Bitte um Überlebenshilfe, sondern als selbstbewusstes politisches Subjekt an, das den von ihr verkörperten Willen zur Autonomie auch im Süden verankern will. Die Hilfe, die man will, soll nicht bloß die Produktion und Versorgung daheim ankurbeln, sondern (damit) zugleich dem Ziel einer machtvollen Selbständigkeit der gesamten koreanischen Nation dienen, als deren Vorkämpfer man sich seit der „Spaltung“ des Landes versteht.

Die eingeleitete Versöhnungspolitik zieht allerdings nachhaltige Abstriche an bisherigen Grundsätzen nordkoreanischer Politik nach sich:

Erstens in Bezug auf den Alleinvertretungsanspruch: Man verabschiedet sich von der entschiedenen Nichtanerkennung des „Marionetten-Staates“ namens Südkorea, dieses unwürdigen Regimes von Amerikas Gnaden, das die „Spaltung des Landes“ betreibt, den „unveräußerlichen Boden Koreas“ an den imperialistischen Feind ausliefert und deshalb vom Volk zu stürzen ist. Man vollzieht die Wende zu vertraglichen Beziehungen mit dem Staat Südkorea, verpflichtet sich auf wechselseitigen Respekt und den Verzicht auf kriegerische Optionen oder sonstige Subversion „zum Zweck der Zerstörung des anderen Seite“ (Grundlagenvertrag von 1992). Man besinnt sich darauf, dass es sich bei allen Differenzen doch immerhin um Korea, um koreanische Politiker handelt, zumal wenn die Regierung des Brudervolkes ihrerseits Angebote zur Aussöhnung macht. So gesehen ist die strenge Abgrenzung von gestern fehl am Platze, womit auch die feindseligen Kampagnen überholt sind. Die Ideologie wird den neuen „Realitäten“ angepasst!

Zweitens in Bezug auf den Anti-Imperialismus: Der Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Süden ist nicht mehr die Voraussetzung für alle weiteren Schritte zur „vollen Souveränität“ des koreanischen Volkes; die Bereitschaft Seouls, Verhandlungen über das Ende der „amerikanischen Besatzung“ in Gang zu bringen, gilt nicht mehr als Bedingung für jede bilaterale Verständigung mit den Politikern des Südens. Das Kalkül, die Mittel Südkoreas zu instrumentalisieren, ist auf die Zustimmung der politischen Sachwalter des dortigen Reichtums angewiesen. Also setzt man auf vertragliche Vereinbarungen, die nicht an den „noch“ im Lande stationierten 37000 US-Soldaten scheitern dürfen. Und damit gilt der Verhandlungspartner nicht mehr als amerikanische Kreatur, sondern als eine von zwei nationalbewussten Regierungen, mit der man – ab sofort – gemeinsam das Werk der Emanzipation Koreas aus imperialistischer Bevormundung angehen will.[10]

Drittens in Bezug auf den Anti-Kapitalismus: Der ist nicht mehr der unverzichtbare soziale Inhalt der Befreiung aller Koreaner zum autonomen Staatsvolk, die sozialistische Revolution im Süden nicht mehr die unverzichtbare Basis einer „echten“ Volkseinheit und wirtschaftlichen Kooperation. Stattdessen setzt man jetzt positiv auf das kapitalistische Wirtschaftspotential Südkoreas und auf die Addition der Errungenschaften beider Teilstaaten, also auf die schöpferische Ergänzung von moralischer Avantgarde-Kraft des Nordens und materieller Potenz des Südens. Damit ist ausgerechnet das Kapital, aus dem der Reichtum Südkoreas besteht, eingeladen, in der realsozialistischen Volksrepublik tätig zu werden, „um die ausgeglichene Entwicklung der nationalen Ökonomie zu fördern“ (Gemeinsame Erklärung, 15.6.). Als ob Kapital sich als Entwicklungshilfe für einen daniederliegenden Sozialismus ge- bzw. missbrauchen ließe. Die südkoreanischen Unternehmens-Konglomerate („Chaebols“) sind jedenfalls nicht mehr die unumstrittenen „Klassenfeinde“, sondern – zumindest auch – als „Investoren“ zur Erneuerung der „ökonomischen Basis“ des Nordens willkommen.

Viertens in Bezug auf das Wiedervereinigungs-Modell: Dieses sieht eine friedliche Koexistenz ehedem als unvereinbar definierter Staats- und Gesellschaftsordnungen vor. Um das Überleben des von allen Seiten angefeindeten eigenen Staatsprojekts zu sichern, verzichtet man auf dessen Durchsetzung im Süden: Eine „Konföderation“ wird angestrebt, in welcher der „Unterdrückerstaat“ von gestern seine Teilnahmeberechtigung im Rahmen und Namen einer gesamtkoreanischen politischen Identität erhält. Die propagierte Losung „Eine Nation, ein Staat, zwei Systeme!“ hält man für eine realistische Strategie, d.h. verhandlungsfähig für Südkorea und akzeptabel für Amerika.[11] Also wirbt ein modifizierter Nationalismus gegenüber seinem staatlichen Kontrahenten in Seoul wie gegenüber dem eigenen Volk dafür, die historische Gelegenheit zur Wiedererlangung einer einheitlichen koreanischen Souveränität „wahrzunehmen“. Und gleichzeitig warnt sich die Regierung selbst vor der damit verbundenen „ernsten Gefahr“: Der designierte Partner, der kapitalistische Süden nämlich, könnte im Zuge der „gemeinsamen Umsetzung“ des Projekts womöglich beabsichtigen, das System des Nordens zu „absorbieren“ und somit abzuschaffen.[12]

Was sich Nordkoreas Regierung als positives Resultat des neuen Weges mit all seinen Abstrichen an den traditionellen Staats-Dogmen verspricht, ist damit auch klar: Die Einlösung der Idee der einen koreanischen Nation käme auf jeden Fall voran. Das bleibt von der nordkoreanischen Staatsräson – und demgegenüber sind alle anderen „Werte“ offenbar ziemlich interpretations- und wandlungsfähig. Worauf die Regierung von Pjöngjang sogar sehr stolz ist. Dass der Patriotismus – das Bekenntnis zur unteilbaren eigenen Herrschaft – die Hauptsache ist, der sie sich als Anwältin einer zur Hälfte besetzten Nation widmet, verkündet sie inzwischen selbst. Seit dem historischen Sommergipfel der beiden Kims frohlockt sie: „Dies ist ein epochaler Schritt zur Wiedervereinigung.“ Womit das Versprechen einhergeht, dass man in jeder Frage zu konstruktiven Kompromissen bereit sei, wenn die Regierung des Südens sich dieser gemeinsamen Verpflichtung nur aufrichtig stelle.

5. Die Republik Südkorea sieht in der mit ihrer Hilfe herbeigeführten politisch-militärischen Bedrängnis sowie in dem ökonomischen Niedergang des „kommunistischen Feindstaates auf koreanischem Boden“ ihrerseits die historische Chance, um eine Politik der friedlichen Eroberung des Nordens auf den Weg zu bringen. Die überlegene ökonomische Macht dient als Hebel, die Kriegsallianz mit Amerika als Fundament für eine nationale Offensive, mit der Südkorea seinen gewachsenen imperialistischen Ansprüchen ein größeres Gewicht verleihen will.

Wenn die südkoreanische Regierung des Kim Dae Jung auf die nordkoreanischen Versöhnungs-Angebote einsteigt und selbst die Initiative ergreift, dann ebenfalls nicht aus später Reue wegen der unversöhnlich-kriegsträchtigen Konfrontationspolitik im Verhältnis zum „Brudervolk“. Was sie treibt, ist die Berechnung, dass die Bedingungen für die Einlösung des Zwecks der jahrzehntelangen Feindschaft günstig sind. Der nennt sich auch im Süden „Wiedervereinigung“ – schließlich betrachtet man in Seoul ebenfalls die ganze Halbinsel als nationales Ganzes und sich selber als den einzig wahren und würdigen Repräsentanten Gesamtkoreas. Ein Akt der Freundschaft ist die „Sonnenscheinpolitik“ Südkoreas also keineswegs, auch wenn sie einige Modifikationen in der staatlichen Ideologie wie politischen Praxis mit sich bringt. Schließlich war Nordkorea, dem man nun „die Hand reicht“ und Hilfe in der Not anbietet, bis vor kurzem noch ein „Unrechtsstaat“, mit dessen Bürgern Kontakt aufzunehmen ein Schwerverbrechen, weil Vaterlandsverrat war.

a) Jetzt schickt die Regierung von Seoul ihre Lieblingsbürger, die erfolgreichen Profitmacher des „Tigerstaats“, zu pioniermäßigen Aufbauleistungen in das danieder liegende Arbeiterparadies, und das geschieht nicht, um die darbende Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Was jeder schon daran sehen kann, dass die Fernsehanstalten ihren Zuschauern fleißig berichten, dass die versprochenen Reissäcke nicht ausgeliefert werden, weil man gegen den Willen Nordkoreas auf dem Aufdruck des edlen Spenders besteht. Wenn der Norden wegen der Ehre der Nation seine Leute lieber „Gras fressen“ lässt, sofern es noch wächst, so lässt der Süden selbige lieber verrecken als darauf zu verzichten, den Hunger als Argument für das System überlegener Menschenbenutzung und seine Herrschaft auszuschlachten.

Einer besonders in Südkorea beliebten Version zufolge geht es bei der Zulassung von Warenhandel und Investitionen in den Norden vor allem um die „Stabilisierung“ der Not leidenden „staatlichen Ordnung“ im Nachbarland. Denn deren „Kollaps“ müsse verhindert werden, weil der Leidtragende vor allem Südkorea sein würde (von wegen Flüchtlingsströme, Hungerleidermassen, herrenlose Armee usw.). Die Wahrheit ist auch das nicht.[13] Man hat zuvor ja selber fleißig zur politischen Isolierung und ökonomischen Abriegelung des Nordens beigetragen. Die Reihenfolge ist eine andere: Da der erwartete Kollaps Nordkoreas ausgeblieben ist, hat die neue Regierung Südkoreas sich dazu entschlossen, die ihr verfügbaren politischen und wirtschaftlichen Mittel einzusetzen, um die Schwäche und den – daraus resultierenden – „Öffnungswillen“ des Nordens in ein Instrument seiner Aufweichung zu verwandeln. Das selbstbewusste Motto lautet: Das wachsende Interesse an Investitionen im Norden gibt Südkorea wachsenden Einfluss auf Ereignisse im Norden. Egal wie stolz, laut oder entschlossen der Norden gegenüber der Außenwelt auftritt, er kann seine Ökonomie nicht aufrechterhalten und sein Volk nicht ernähren. (Der Präsident, International Herald Tribune, 24.6.1999)

So will die „Sonnenscheinpolitik“ für die sukzessive Brechung der bis heute so ärgerlich-selbständigen Macht Nordkoreas sorgen.

b) Hauptmittel soll der Export von Kapital in ein Land sein, das über keines verfügt. Das ist – wenn schon der Antrag aus Pjöngjang besteht – ein guter Grund, um im Interesse eines produktiven und „für beide Seiten“ nützlichen Geschäftemachens gewisse Bedingungen einzufordern, ganz sachzwangmäßig, versteht sich. Dabei berät man die eingeschworenen Gegner des Kapitalismus gerne; und bei der Bereitstellung der materiellen Voraussetzungen für die Freizügigkeit von Waren und Kapital, z.B. beim Bau einer Nord-Süd-Eisenbahnroute, lässt man sich nicht lumpen. Denn mit den angestrebten wirtschaftlichen Beziehungen will der südkoreanische Staat nicht bloß seinen Konzernen künftige Geldquellen erschließen, sondern sich materiell im bisher verschlossenen Landesteil festsetzen. Er will im falschen System eigene, für die andere Seite lebensnotwendige Mittel einpflanzen und darüber Einfluss auf die Politik des Ex-Feindes gewinnen.

Südkorea besteht darauf, dass die ökonomische „Annäherung“ von wechselseitigen Familienbesuchen flankiert wird. Die politischen Sachwalter des kapitalistischen Systems gehen selbstredend davon aus, dass solche – aus der deutschen Ostpolitik hinreichend bekannten – „menschlichen Erleichterungen“ die „künstlichen Grenzen“ zwischen beiden Staaten aufweichen. Sie setzen darauf, dass die Kontakte zu den armen Brüdern und Schwestern so gut wie automatisch die Botschaft von der Güte des „reichen Südens“ und seiner Demokratie befördern und so zur Untergrabung der Loyalität und Delegitimierung des „kommunistischen Regimes“ beitragen.[14]

c) Ausgangspunkt für das Einsteigen der südkoreanischen Regierung auf die Annäherungsversuche des Nordens ist in der Tat – wie aus alledem hervorgeht – das Selbstbewusstsein gewachsener Stärke; und das betrifft nicht nur die Akkumulation kapitalistischen Reichtums, sondern auch die eigene politische Macht in der Region, die schon lange nicht mehr als bloß abhängige Variable der amerikanischen Schutzmacht fungiert. Inzwischen ist der ehemalige westliche Frontstaat Südkorea auch von Russland und China, den ehemaligen Freunden des kommunistischen Nordkorea, diplomatisch anerkannt. Dennoch ist und bleibt die „Sicherheitsallianz“ mit den USA in letzter Instanz die entscheidende Basis des nationalen Erfolgs und – deswegen – aller Kalkulationen, die auf eine Mehrung dieses Erfolgs zielen.[15] Die politische und militärische Rückendeckung durch die amerikanische Weltmacht soll genutzt werden für die Restauration eines gesamtkoreanischen Staatswesens zu den Bedingungen Südkoreas. Das Gelingen dieses Unternehmens soll gleichzeitig den Aufstieg des Staates zu neuer nationaler Größe begründen, dem der Rang einer Regionalmacht aus eigener Kraft nicht mehr zu bestreiten ist, und so die weitere Emanzipation des Landes von der amerikanischen Vormacht ermöglichen.

d) Kein Wunder, dass der Süden alle Korea betreffenden Aktionen der Amerikaner nach eigenen Gesichtspunkten beurteilt. So herrscht „Besorgnis in Regierungskreisen“ über den „Durchbruch zwischen Nordkorea und den USA“, den der Besuch der US-Außenministerin in Pjöngjang angeblich bedeutet. Denn ein solcher könnte der traditionellen Linie Nordkoreas wieder Auftrieb geben, derzufolge sich die Durchsetzung der staatlichen Selbstbehauptungsinteressen, und damit auch die Lösung der „nationalen Frage“, nur in „direkten Verhandlungen“ mit Amerika entscheiden lässt. Man fürchtet, dass damit der Stachel für eine innerkoreanische „Versöhnungspolitik“ des Nordens, und das heißt: für seine Erpressbarkeit durch den Süden, relativiert wird. Dadurch wäre die eigene strategische Rolle als Protagonist und Wegbereiter der „Öffnung“ Nordkoreas entwertet und man selbst den unberechenbaren Konjunkturen der amerikanisch-nordkoreanischen Konfrontationspolitik ausgeliefert. So zeigt sich, dass das Drehbuch für die Beseitigung der „Relikte des Kalten Krieges“, sprich die Entmachtung der Volksrepublik Nordkorea und die damit programmierte Neu-Aufmischung des gesamten Machthaushaltes in der Region, noch alle Mal von Amerika geschrieben wird.

6. Die USA betrachten und behandeln den „Schurkenstaat“ Nordkorea als eine akute Bedrohung für die nationale und internationale Sicherheit. Mit ihrer asiatisch-pazifischen Militärallianz zielen sie auf eine Befriedung der Region, die weit über die Unterwerfung Nordkoreas hinausweist.

a) Die oberste Weltordnungsmacht lässt sich die Verantwortung für die angestrebte Entmachtung Nordkoreas nicht aus der Hand nehmen. Sie tritt wie immer nicht als bloße Partei an, die ihre Interessen gegen die eines anderen Staats durchzusetzen trachtet, sondern als berufener Manager für die Machtordnung in der ganzen Region.[16] Dafür, dass diese auch funktional ausfällt, d.h. dem Vorherrschaftsanspruch der „einzigen Supermacht“ gerecht wird, ist die Präsenz ihrer allseitig überlegenen Militärmaschinerie die entscheidende Voraussetzung. Ehrlich, wie sie sind, bestehen die Amerikaner folglich darauf, dass das strategische Bündnis von USA, Japan und Südkorea das wichtigste Mittel ist und bleibt, um die so definierten „Herausforderungen“ in der Region zu bewältigen. Auf dieser eindeutigen Basis ist den Verbündeten der Einsatz von Diplomatie mit dem „Sorgenstaat“ erlaubt; er ist sogar erwünscht – sofern er den von den USA vorgegebenen Zielen dient. Also wird auch bei den Initiativen der Verbündeten im Verhältnis zu Nordkorea sorgsam darüber gewacht, ob hier nicht auf eigene nationale Rechnung gehandelt wird, die womöglich die von Amerika anvisierte Endlösung gefährdet.

b) Die Beurteilung der „Sonnenscheinpolitik“ des südlichen Kim fällt in Washington ambivalent aus. Es wird sorgfältig darauf geachtet, dass diese auch wirklich als Mittel der Brechung nordkoreanischer Eigenständigkeit und Resistenz fungiert und nicht etwa ein „marodes Regime“ ökonomisch stärkt und dadurch auch politisch stabilisiert. Das wäre ja ein Hereinfallen auf die List des keineswegs geläuterten „Schurken“![17] Nur als die US-Politik ergänzende und unterfütternde Unterwanderungsstrategie geht die „Sonnenschein“-Offensive in Ordnung. Misstrauen erweckt jedes Anzeichen eines störenden Emanzipationswillens, den man in Seoul durchaus auch am Werk sieht – zum Beispiel in der Unzufriedenheit mit dem Status der US-Truppen, in dem Bedürfnis nach Ausbau der eigenen Raketenrüstung oder in den Beschwerden über amerikanische Alleingänge in Bezug auf Nordkorea. Deshalb schauen die USA auch hier nicht einfach zu. Sie sorgen für eine permanente organisierte Betreuung des Verbündeten, dem Amerika im Gegenzug zur verlangten Unterordnung durchaus erweiterte Rechte (z.B. ein neues Statut für US-Truppen und eigene Raketen mit maximal 500 km Reichweite) zugesteht.[18] Dem Freund Kim Dae Jung wird vorbeugend klargemacht, dass sich ein Großkorea mit einer anderen Staatsräson als der des bisherigen US-Vorpostens Südkorea verbietet. Die „Wiedervereinigung“, welche die USA unterstützen, muss das US-geführte Bündnis mit den Staaten der pazifischen „Gegenküste“ stärken, wie weiland 1989/90 nur ein Großdeutschland in Frage kam, das seinen nationalen Zugewinn in die NATO einbringt und damit der militärisch-politischen Führung Amerikas unterstellt.

c) Dieses Essential ist schließlich vor allem deshalb so wichtig, weil die Führungsmacht USA immer das große Ganze im Auge hat. Die Ausschaltung des Störenfrieds Nordkorea ist funktioneller Bestandteil einer umfangreicheren politischen Tagesordnung für diese Weltgegend: Die oberste Priorität gilt dem Heraushalten (bzw. soweit noch nötig, dem Herausdrängen) Russlands aus ehemaligen Positionen, vor allem aber der Einbindung und Eindämmung Chinas, das als „aufstrebende Weltmacht“ und designierter Hauptrivale im asiatisch-pazifischen Raum das besondere Augenmerk der USA verdient. So dient das Fertigmachen Nordkoreas auch und gerade dem Ziel, die gesamte koreanische Halbinsel für die strategische Abschirmung Chinas zu präparieren. Dabei ist noch der spezielle Witz bemerkenswert, dass die von Amerika praktizierte Methode einer friedlich-erpresserischen – mit diplomatischen Angeboten operierenden – Bekämpfung Nordkoreas nicht zuletzt darauf berechnet ist, die ehemalige Schutzmacht Nordkoreas auch noch an der gegen sie gerichteten Ordnungs-Politik zu beteiligen.[19]

d) Demzufolge gilt es natürlich aufzupassen, dass Russland oder China die durch die amerikanische Korea-Offensive entstandene Notlage Nordkoreas nicht zu ihren Gunsten ausnutzen. Die Reise des russischen Präsidenten Putin nach Pjöngjang sowie verstärkte bilaterale Kontakte zwischen Peking und Kim Jong Il signalisieren der amerikanischen Regierung die Gefahr der Wiedereröffnung einer strategischen Kooperation, die nicht nur einen erklärten Feindstaat stützen würde. Sie würde auch das eigene „Konzept“ der Einhegung der konkurrierenden Großmächte, sprich die beanspruchte exklusive Oberhoheit über das „Kräftegleichgewicht in der Region“ torpedieren. Aber auch die europäischen Verbündeten, die politischen Hauptkonkurrenten im westlichen Lager, stellen eine potenzielle Störquelle für die amerikanische Regie dar. Selbstverständlich nimmt die Regierung in Washington den „allgemeinen Run auf Pjöngjang“ wahr. Der verdankt sich eindeutig der Tatsache, dass die Führer Europas den regen diplomatischen Aktivitäten zwischen den USA und Nordkorea entnehmen, dass der kommunistische Exot in Fernost jetzt mit friedlichen Mitteln zur Räson gebracht werden soll und kann, dass also die Politik des „Wandels durch Annäherung“ womöglich auch dort vor einem erfolgreichen Ende steht. So gesehen ist das ehedem geächtete Land freigegeben und steht als Objekt imperialistischer Begierde zur Verfügung. Und schon beginnt der Wettbewerb darum, rechtzeitig, d.h. möglichst zuerst den Fuß in die offene Türe zu stellen und damit den politischen Einfluss der eigenen Nation auf Kosten der Mitbewerber zu sichern. Gerade die gegenwärtige Zwischenlage erscheint günstig für europäische Einmischung. Solange Nordkorea von den Pressionen der USA bedrängt wird und einen friedlichen Ausweg sucht, kann man sich selbst als Nutznießer der harten „amerikanischen Linie“ und ihrer Erfolge ins Spiel bringen. Man kann sich den nach neuen Partnern Ausschau haltenden Herrschaften in Pjöngjang als unbelastete Adresse oder gar als Wiedervereinigungs-Fachmann aufdrängen, diplomatische Anerkennung – natürlich geknüpft an eigene Bedingungen – versprechen und vollziehen und so ein Stück „vorausschauende Asienpolitik“ „gestalten“.[20]

Das anti-amerikanische Element dieses Öffnungs-Wettlaufs seitens der europäischen Partner kann der US-Regierung nicht entgehen. Als Rezept bietet sich, wie immer in diesen Fällen, die demonstrative Klarstellung der eigenen Führerschaft an. Im Fall Nordkoreas heißt das, sich auch an die Spitze der diplomatischen Bearbeitung des „Regimes“ zu stellen, die Maßstäbe des verlangten Wohlverhaltens unmissverständlich festzulegen – und bei Bedarf zwischendurch immer wieder darauf hinzuweisen, dass bei Nichterfüllung der Imperative die Gewaltfrage pur auf dem Tisch liegt. Eine Drohung, die nicht nur den „letzten Kommunisten“ gilt, sondern auch die imperialistischen Konkurrenten betrifft, die mit ihnen – „übereilt“ – ins Geschäft kommen wollen.

[1] Der Koreakrieg von 1950 bis 1953, der erste große „Stellvertreterkrieg“ zwischen „kommunistischem Osten“ und „freiem Westen“, in welchem Nordkorea von der VR China und Südkorea maßgeblich von den USA unterstützt wurde, endete mit einem Waffenstillstandsabkommen, das die „Teilung des Landes“ und damit den unversöhnlichen Gegensatz beider Staaten bekräftigte. Diese befinden sich nach wie vor offiziell im Kriegszustand, ihre Armeen stehen sich beiderseits der Demarkationslinie kampfbereit gegenüber.

[2] Mit der diplomatischen Anerkennung Südkoreas durch die Sowjetunion (1990) und durch China (1992) sowie mit der Rücknahme ihres Vetos gegen eine selbständige UNO-Mitgliedschaft Südkoreas unterlaufen die früheren Schutzmächte den Alleinvertretungsanspruch Nordkoreas. In seiner Konfrontation mit dem Westen ist Nordkorea damit auch von ihrer Seite die völkerrechtliche Legitimation und politische Rückendeckung entzogen. Folgerichtig kündigen Russland und China 1994, als die USA Nordkorea wegen seines Atomprogramms mit Krieg bedrohen, auch ihre militärischen Beistandsverpflichtungen.

[3] Das von den USA 1953 nach dem Waffenstillstand gemäß ihrem „Trading with the Enemy Act“ verhängte umfassende Embargo gegen Nordkorea gilt für Warenhandel und Finanzgeschäfte aller Art, auch über Drittländer, und es bleibt unter der doppelten Feindbestimmung als erstens „kommunistisches Regime“ und zweitens „Schurkenstaat“ natürlich auch nach dem Erfolg im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion in Kraft.

[4] Die Arbeiterpartei Nordkoreas besteht darauf, das die Armee das nationale Lebensmittel ist: Die Politik der Partei, der Armee Vorrang zu geben, ist die unabhängigste Politik, um der Revolution den Weg aus eigener Kraft zu bahnen… Wenn sozialistische Politik wirklich unabhängig sein soll, müssen militärische Angelegenheiten vorrangig behandelt und die militärischen Kräfte in jeder Hinsicht gestärkt werden… Es ist möglich, mit ökonomischen Schwierigkeiten fertig zu werden. Aber ist einmal die militärische Macht geschwächt, dann wird das Werk der Nation, das von ewigem Wert ist, zusammenbrechen… Die militärische Konfrontation ist eine Frage auf Leben und Tod, die darüber entscheidet, ob das Volk in Unabhängigkeit leben kann oder der kolonialistischen Sklaverei des Imperialismus verfällt. Oder andersherum: Unabhängigkeit und Selbstversorgung in der Wirtschaft sind nur möglich, wenn es eine Selbständigkeit in der Verteidigung gibt. (KCNA, 16.6.1999)

[5] So freut sich das US-Verteidigungsministerium inzwischen öffentlich darüber, dass Nordkorea aufgrund seiner ökonomischen Schwäche die Fähigkeit verloren hat, Südkorea mit konventionellen Waffen zu erobern. (Bericht des Pentagon, 1998, laut International Herald Tribune, 28.11.98)

[6] Dafür macht sich auch die Nordkorea-Kommission unter Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister W. Perry nach einer Inspektionsreise durchs Feindesland stark: Wir sollten nicht erwarten, dass das nordkoreanische Regime einfach kollabieren würde, selbst dann nicht, wenn die USA Druck auf es ausüben. Deshalb sollten wir mit der Regierung in Pjöngjang, so wie sie ist, verhandeln. (17.9.1999) Durch Verhandeln und gezielten Einsatz der ökonomischen Waffe den militärischen Druck ergänzen, um das überholte „Regime“ zum Einknicken zu bewegen, lautet die Devise.

[7] Vgl. dazu: Wozu brauchen die USA ein Nationales Raketenabwehrsystem? in GegenStandpunkt 3-2000, S.131.

[8] Dementsprechend reden beide Seiten bei ihrer „diplomatischen Annäherung“ einerseits meilenweit aneinander vorbei, wenn sie sich wechselseitig über die Bedingungen ihres Entgegenkommens in Kenntnis setzen: Nordkorea: Der Vorsitzende Kim Jong Il wird bestimmt die sehr wichtige politische Entscheidung treffen, die gegenwärtigen bilateralen Beziehungen der Konfrontation und Feindseligkeit in ein Verhältnis der Freundschaft, der Kooperation und des guten Willens zu verwandeln, wenn und sobald die Volksrepublik Nordkorea und unsere Führung überzeugt sind, dass sie von den USA starke und konkrete Sicherheitsgarantien für die staatliche Souveränität und die territoriale Integrität der Demokratischen Volksrepublik Korea erhalten. (Vizemarschall Jo Myong Rok beim Essen mit der amerikanischen Außenministerin, 10.10.00) USA: Wenn das Regime von Pjöngjang zu seinem Wort steht und sich an die Erfordernisse amerikanischen Rechts hält, könnte das bedeuten, dass die USA Nordkorea von der Liste von Staaten streichen würden, die den Terrorismus fördern. (Büro des State Department, 6.10.00) Andererseits aber kommt eben nur so ein diplomatischer Dialog zustande, in dem die eine Seite Souveränitätsgarantien beansprucht, während die andere Seite die Erfüllung ihrer Rechtsnormen ultimativ zur Voraussetzung macht, um die andere Seite überhaupt als Verhandlungspartner anzuerkennen.

[9] Die Diplomatie mit einem Schurken ist deshalb auch in den USA selbst sehr umstritten. Während die US-Regierung sich zugute hält, Nordkorea sukzessive zur Öffnung und zum Verzicht auf militärische Programme bewegt, also erpresst zu haben, moniert die Opposition das Reinfallen der USA auf eine „Erpressungsstrategie“ des Feindstaats. Der Vorwurf lautet, dass Nordkorea lediglich „sein marodes System sanieren“, also mit fremder Hilfe über die Krise kommen will. Deshalb komme es auf die „Bettlertour“ daher, so dass „wir Amerikaner zahlen“, während sie kassieren, ohne dass „das Regime“ von seiner dissidenten Staatsräson Abstand nehme. Demnach sei es ein schwerer Fehler, „die Kommunisten“ diplomatisch zu hofieren; besser sei es, das Land bluten und hungern zu lassen und den militärischen Druck zu erhöhen. So erinnert die Opposition immer wieder an den Maßstab, an dem sich die Diplomatie mit einem Schurkenstaat messen lassen muss – und will.

[10] Dies ist auch die nordkoreanische Interpretation der auf dem „spektakulären Gipfel“ am 15. Juni dieses Jahres verabschiedeten Gemeinsamen Erklärung von Nord und Süd, deren Artikel 1 so lautet: Der Norden und der Süden stimmten überein, die Frage der Wiedervereinigung des Landes auf unabhängige Weise durch konzertierte Anstrengungen der koreanischen Nation zu lösen, die dafür verantwortlich ist.

[11] Nordkorea setzt dementsprechend auch auf den indirekten Effekt, den die „Annäherung“ an Südkorea für das Verhältnis zu den USA haben könnte. Die „Entspannung“ auf der Halbinsel sowie „die Verpflichtung auf eine friedliche Wiedervereinigung“ könnten und müssten doch eigentlich dazu führen, dass auch die USA ihre Feindschaft gegenüber Nordkorea begraben, ihre Erpressungsversuche aufgeben und ihre überflüssig gewordenen Truppen abziehen.

[12] So sieht sich der „geliebte Führer“ Kim Jong Il immer wieder bemüßigt, die Prinzipienfestigkeit seines „Kommunismus“ zu beteuern, der sich nicht vom Kapitalismus auffressen lassen will. Kürzlich zum Beispiel so: Kim bestand darauf, das er für eine Reform der Ökonomie des Landes ohne die Einführung von ausländischem Kapital sorgen werde. (…) Kim stellte fest, dass das Land die Basis hat für eine eigene, selbständige und selbsttragende Wirtschaft und deshalb nicht nach der Pfeife der anderen tanzen sollte. (…) Kim betonte, dass der Import von ausländischem Kapital zum Bankrott, zum Kollaps und der eventuellen Zerstörung des Landes führen würde. (KCNA, 31.9.00) – Fragt sich, ob südkoreanisches Kapital ausländisches Kapital ist oder schon ideell eingeheimatetes? Ein paar Wochen nach dieser Stellungnahme wird jedenfalls gemeldet, dass zwischen Nord- und Südkorea vier Abkommen „mit Vorbildcharakter“ unterzeichnet wurden, die das Risiko für südkoreanische Unternehmen, die im kommunistischen Norden investieren wollen, kräftig reduzieren. Vereinbart wurden Investitionsschutz, direkter Kapitaltransfer, Abwicklung des Zahlungsverkehrs per Dollarkonten oder sonstige „akzeptable“ Währung, Ende der Doppelbesteuerung etc. (Süddeutsche Zeitung, 13.11.2000)

[13] Das Ideal, die eigene Nation ohne Krieg um „den anderen Teil des Vaterlandes“ zu erweitern und sich dabei möglichst alle Lasten und Kosten zu ersparen, in diesem Sinne also von Deutschland zu lernen, mag es ja wirklich geben. Es kündet einerseits von der Sorge, dass das Land sich – zumal mit Blick auf die Krisenträchtigkeit der eigenen Ökonomie – übernehmen könnte. Andererseits leben die kühnen Planspiele von einer sanften Wiedervereinigung, welche den Nordstaat langsam, aber sicher entmachtet, reformiert und so reif macht für eine spätere Gratis-Annexion, von einer dreisten Unterstellung: Sie tun so, als ob die Machtfrage im Grunde längst zu eigenen Gunsten entschieden wäre, also eine Übernahme des „maroden“ Nordens selbstverständlich allein zu den eigenen Konditionen erfolgen kann und wird. Wenn die Regierung des Kim Dae Jung deshalb betont, dass die Wiedervereinigung eine Sache von Jahrzehnten ist, so dient dies drittens der Beruhigung der Opposition im Lande, die eine „Hofierung und Stabilisierung des kommunistischen Nordens“ auf Kosten des Südens anprangert.

[14] Der Norden hat mit den „menschlichen Kontakten“ seinerseits kein grundsätzliches Problem, da er sich von Anfang an als der entschiedene Vorkämpfer gegen die nationale „Spaltung“ verstanden hat und mit dem Vorzeigen der rührenden Familienbilder einen Erfolg seiner Wiedervereinigungspolitik reklamieren kann. Zum Beweis dafür, dass es dem Süden ernst ist mit der nationalen Versöhnung, verlangt er allerdings die Freilassung von inhaftierten Spionen, die doch bloß wegen ihrer ehrenwerten national-antiimperialistischen Gesinnung gefangen gehalten worden seien.

[15] Unsere Engagement-Politik basiert auf einer festen Haltung in Sicherheitsfragen und kann daher als Politik aus überlegener Position bezeichnet werden. Denn Südkorea ist dem Norden in jeder Hinsicht weit überlegen und ist daher berechtigt, zu einer solchen Option zu greifen. Die Engagement-Politik ist keine Appeasement-Politik – wie Kritiker sagen… Die Umsetzung dieser Politik bringt vielmehr den Ruf nach starken Abwehrkräften, die jedes militärische Eindringen aus dem Norden verhindern, geradezu hervor. Die Abschreckung von Seiten Seouls basiert auf starken unabhängigen militärischen Kräften und der Sicherheitsallianz mit den USA, als einem wichtigen Faktor für den Erfolg der Engagement Politik. (Choi Sung, Sekretär für Wiedervereinigungsfragen)

[16] Das klingt dann so: Wir wollen, dass sich die Länder in der Region sicher fühlen vor der Drohung des Krieges. Wir wollen, dass jede Nation partizipiert am internationalen System und die globalen Normen beachtet. (State Department, International Herald Tribune, 25.10.2000)

[17] So warnt Verteidigungsminister Cohen auf dem Höhepunkt der diplomatischen Aktivitäten zwischen den USA und Nordkorea mit Nachdruck: „Nordkorea stellt keine geringere Bedrohung dar als bislang. Deshalb ist eine starke militärische Abschreckung nötig.“ (28.9.2000)

[18] Das Statement bei einem der Koordinationstreffen zwischen den USA und der Republik Korea (ROK) formuliert klassisch, was für die USA die Erfolgsbedingung der Koreapolitik ist. Die Amerikaner geben die richtige Linie vor, und die ganze Welt hat ihr zu folgen, dann ist der Sieg gewiss: Die zwei Minister teilten die Ansicht, dass das inter-koreanische Gipfeltreffen das Ergebnis von vier Faktoren war: a) der Engagement-Politik gegenüber Nordkorea, die von den USA und der ROK konsequent verfolgt wurde; b) der festen ROK-USA-Sicherheitsallianz; c) der trilateralen Koordination zwischen ROK, Japan und USA; und d) der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. (21.9.2000)

[19] Dementsprechend haben die USA die chinesische Regierung vor einigen Jahren zur Teilnahme an den Verhandlungen mit Nord- und Südkorea eingeladen; seitdem gibt es die „Vierergespräche“. Als Basis für eine erfolgreiche Einbindung betrachten die USA das Interesse Chinas, zur Beseitigung des gefährlichen „Krisenherdes Korea“ beizutragen. Der chinesische Standpunkt ist allerdings dem amerikanischen ziemlich entgegengesetzt. Peking plädiert für eine Denuklearisierung der Halbinsel und das Ende der militärischen US-Präsenz; es sieht sich von dem amerikanischen Vorherrschaftswillen in der Region selbst bedroht und verspricht sich von einem Atomwaffenverzicht Nordkoreas nicht zuletzt, dass die Amerikaner von den Projekten eines Nationalen und eines Regionalen Raketenabwehrsystems ablassen.

[20] Nach Italien haben auch Deutschland und Großbritannien die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nordkorea angekündigt. Beide Staaten betonen gleichzeitig, dies bedeute „auf keinen Fall eine Billigung des Regimes“ (Englands Außenminister Cook), sondern biete mehr Möglichkeiten der „Einwirkung“ auf Nordkorea. Vor allem in Sachen Abrüstung, Annäherung an Südkorea und Beachtung der Menschenrechte. Laut dem deutschen Staatsminister Volmer sind das die „drei Bedingungen“, um „dem Wunsch Pjöngjangs nach diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland entgegenzukommen“. (Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 18. und 20.10.2000)