Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Anfang November versammeln sich lokale und überregionale Aktionsbündnisse zu Demonstrationen gegen den Aufmarsch diverser Neonazis in einigen Städten. Folgendes Flugblatt des GegenStandpunkts richtet sich an die antifaschistischen Demonstranten:
Die Nazis passen nicht zu Deutschland – ihre Parolen schon
Neonazis marschieren mal wieder auf. Antifaschisten demonstrieren dagegen, dass die Rechtsradikalen undemokratische, ausländerfeindliche, rassistische oder nationalistische Parolen grölen: „Ausländer raus!“, „Volksgemeinschaft statt Globalisierung!“ oder „Arbeitsplätze für Deutsche!“
Sie finden das öffentliche Auftreten von Neonazis mindestens unwürdig für Stadt und Land. Ein „brauner Aufmarsch“ hätte in München, Dresden oder Hamburg nichts verloren, er würde zu dem demokratischen Deutschland von heute nicht passen, weshalb kritische Bürger den Nazis ein „buntes Bündnis“ entgegenstellen. Nur: Haben sie sich eigentlich schon mal ernsthaft gefragt, was da nicht passen soll? Haben sie sich wirklich schon mal Rechenschaft darüber abgelegt, was an dem politischen Programm von Rechtsradikalen, denen die „rote Karte“ gezeigt werden soll, so grundsätzlich unverträglich mit dem offiziellen deutschen Staatsprogramm der Regierung Merkel sein soll?
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“
- „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche – sozial geht nur national!“
- „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!“
- „Die globale Krise zerstört unsere Wirtschaft – kauft deutsche Produkte!“ – „Volksgemeinschaft statt Globalisierung!“
- „Raus aus Afghanistan – kein Blut für die USA!“
Anfang November versammeln sich lokale und überregionale Aktionsbündnisse zu Demonstrationen gegen den Aufmarsch diverser Neonazis in einigen Städten. Folgendes Flugblatt des GegenStandpunkts richtet sich an die antifaschistischen Demonstranten:
Die Nazis passen nicht zu Deutschland – ihre Parolen schon
Neonazis marschieren mal wieder auf. Ihr demonstriert
dagegen, dass die Rechtsradikalen undemokratische,
ausländerfeindliche, rassistische oder nationalistische
Parolen grölen: Ausländer raus!
,
Volksgemeinschaft statt Globalisierung!
oder
Arbeitsplätze für Deutsche!
Einige von euch finden das öffentliche Auftreten von Neonazis mindestens unwürdig für Stadt und Land. Ein „brauner Aufmarsch“ hätte in München, Dresden oder Hamburg nichts verloren, er würde zu dem demokratischen Deutschland von heute nicht passen, weshalb ihr den Nazis ein „buntes Bündnis“ entgegenstellt. Nur: Habt ihr euch eigentlich schon mal ernsthaft gefragt, was da nicht passen soll? Habt ihr euch wirklich schon mal Rechenschaft darüber abgelegt, was an dem politischen Programm von Rechtsradikalen, denen ihr die „rote Karte“ zeigen wollt, so grundsätzlich unverträglich mit dem offiziellen deutschen Staatsprogramm der Regierung Merkel sein soll?
Andere von euch sind dagegen der Meinung, dass sich die
Neonazis gar nicht, wie so oft behauptet, am Rande der
Gesellschaft
befinden, sondern mit ihren Ideologien
die herrschenden Verhältnisse nur auf die Spitze
treiben
. Faschisten kommen nach euren Worten aus
der Mitte der Gesellschaft.
Bloß: Wie kommt ihr dann
auf die Idee, ausgerechnet die rechte Splitterguppe, die
von der Mitte der Gesellschaft
geächtet und
ausgegrenzt wird, zu eurem Hauptgegner zu erklären? Nehmt
ihr eure eigene Kritik an dem ausbeuterischen und
nationalistischen Normalzustand
dieser Gesellschaft
überhaupt ernst, wenn ihr ihn vordringlich und zu
allererst bei den Faschisten kritisieren und bekämpfen
wollt?
Schaut man sich die Parolen der Braunen einmal an, fragt man sich schon: Gegen welchen demokratischen Konsens verstoßen die eigentlich?
„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“
Klar, sagen tut das so niemand unter
den gewählten Politikern, sie haben es sogar verboten.
Schließlich haben sie ja auch Millionen ausländischer
Arbeitskräfte nach Deutschland karren lassen, damit sie
ihren billigen Dienst an der deutschen Nation verrichten.
Zahllose unter ihnen dürfen das nicht mehr, sie sind
überflüssig gemacht worden, weshalb alle regierenden
Demokraten heute ein Ausländerproblem haben.
Tagtäglich verkünden sie, dass wir Ausländer brauchen,
die uns nützen, und keine, die uns ausnützen.
Der
Bundespräsident heißt am Nationalfeiertag Ausländer
willkommen, wenn und nur wenn sie sich
in Deutschland nützlich machen. Sind das keine
klaren Ansagen, nach welchen Maßstäben die deutsche
Obrigkeit von heute die Menschen sortiert? Denn
die Umkehrung, dass zigtausende arbeitslos gemachte
Ausländer hier eigentlich nichts mehr verloren
haben, weil sie tendenziell in unsere Sozialsysteme
einwandern
, ist in dieser großherzigen Einladung ja
mit enthalten. Eine schöne Lebensperspektive für
Ausländer – unter den Generalverdacht des
Schmarotzers am deutschen Sozialstaat gestellt
zu werden! Und einige Tausend fliegen jedes Jahr sowieso
raus, weil sie den politischen Opportunitäten des
Asylrechts oder den Bestimmungen des Ausländerrechts
nicht genügen.
Echten Deutschen kann das nun tatsächlich nicht passieren; die genießen das Privileg, garantiert bis zur Bahre von der deutschen Herrschaft regiert zu werden, einer Herrschaft, die am eigenen Volk seine verlässliche Staatstreue, seine unerschütterliche Parteilichkeit für die deutsche Nation schätzt – weil sie eine überaus positive Bedingung zum Regieren ist, gerade wenn sich im Volk die Gründe für Unzufriedenheit durch Armut und Elend häufen.
Die deutschen Bürger danken dieses großartige Privileg ihrer Obrigkeit zutiefst, indem sie ungefähr so patriotisch denken, wie es die Nazi-Parole sagt – und zwar im Regelfall umso radikaler, je beschissener ihre soziale Lage ist. Sie haben, arbeitslos oder nicht, die Lektion gelernt, die Unzufriedenheit mit ihrer Lage – und davon künden die zahllosen Beschwerden über ebenso zahllose Ungerechtigkeiten – in eine patriotische Anspruchshaltung an ihre Obrigkeit münden zu lassen: Ihr Staat soll ihnen beistehen in ihrem Elend! Als Deutsche verlangen sie von ihren politischen Herren Besserstellung – und das heißt immer, die oberste Gewalt soll mit den anderen, in diesem Fall den Ausländern, härter umspringen, auch wenn die die gleiche marktwirtschaftliche Not leiden wie sie selbst.
Aus diesem allgegenwärtigen staatsbürgerlichen Sumpf erwachsen Rechtsradikale: Die nehmen die Erwartung, dass die politischen Herren exklusiv für sie zuständig sind, bitter ernst und sind von den Taten ihrer demokratischen Regierung tief enttäuscht. Die Kalkulationen demokratischer Ausländerpolitik deuten sie sich als Schwäche und Verrat an den berechtigten Ansprüchen des deutschen Volkes, so dass sie von eben dieser Staatsgewalt ohne Umschweife und direkt fordern: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“
„Arbeitsplätze zuerst für Deutsche – sozial geht nur national!“
Was stört euch an dieser Forderung der Braunen nach
Arbeitsplätzen? Ist es vor allem das zuerst für
Deutsche
? Dieser ausländerfeindliche Zusatz ist der
Mitte dieser Gesellschaft
doch gar nicht so fremd.
Die Mehrheit aller Deutschen, die auf Arbeit angewiesen
sind, hat ihn im Kopf, wenn sie „3 Millionen Arbeitslose“
und „3 Millionen Ausländer in Deutschland“ gegeneinander
aufrechnen: Deutsche verlangen vom Staat eine
Vorzugsbehandlung, damit sie und nicht
die Falschen mit einem Arbeitsplatz über die Runden
kommen. Es geht um ihren Lebensunterhalt, und da schauen
sie als Erstes zugleich demutsvoll und fordernd nach
oben, zur Obrigkeit, von der sie Hilfe
erwarten, ausgerechnet von der Herrschaft, die den
ganzen kapitalistischen Laden eingerichtet hat, ihn
zusammenhält und ihnen all dieses kapitalistische Elend
eingebrockt hat! Hilfe verlangen sie ausgerechnet gegen
ihre ausländischen Klassenbrüder: Denen soll der Staat
ihre schäbigen Arbeits- und Lebensverhältnisse in diesem
Land verwehren. Die sind ein deutsches Privileg:
eine ebenso bescheidene wie gemeine
Forderung.
Aber wer hat schon was gegen die Forderung nach
Arbeitsplätzen
, diesem hohen, nationalen Gut?
Gegen diese Forderung ist man nur, wenn man weiß, was
Arbeitsplätze wirklich sind: nämlich das
marktwirtschaftliche Elend, dass die
Lebensinteressen der Mehrzahl der Leute von
kapitalistischen Geldinteressen abhängig gemacht
sind. Leute, die kein nennenswertes Geldeigentum haben,
müssen für Lohn arbeiten. Und dieser Zwang, sich
fremden Interessen dienstbar machen zu müssen, schließt
noch nicht einmal ein, dass man dann auch die Gelegenheit
dazu erhält – die stiftet nämlich streng
marktwirtschaftlich die unternehmerische Kalkulation mit
der Arbeit: diese Kalkulation entscheidet allein darüber,
ob man überhaupt und wer sich an einem Arbeitsplatz
nützlich machen kann. Wenn diese das ganze Leben
bestimmende Abhängigkeit durchgesetzt und anerkannt ist,
dann haben Arbeitnehmer dieses grundverkehrte,
systemnützliche und von der Politik deshalb auch
anerkannte Bedürfnis nach Beschäftigung: Sie
betteln um Arbeitsplätze – haargenau so wie NPDler sie
als Erfüllung deutscher Arbeiterträume fordern! Und wenn
man sich das Bedürfnis nach Beschäftigung und Hilfe vom
Staat zur schlechten Gewohnheit gemacht hat, dann
leuchtet es einem auch ein, wenn Merkel oder Gabriel
ausrufen: Sozial ist, was Arbeit schafft!
Wenn die
deutsche Politik einen deutschen Baukonzern vor der
Übernahme durch einen spanischen schützt, wenn sie
Niedriglöhne durchsetzt, damit in Deutschland rentabel
gearbeitet wird, dann rettet sie deutsche
Arbeitsplätze!
– und bedient das Bewusstsein
systemtreuer Arbeiter mit der volksfreundlich-verlogenen
Formulierung für Standortpolitik, die die Förderung der
deutschen Wirtschaft mit einem nationalen
Sozialdienst gleichsetzt. Ist da noch ein
Unterschied auszumachen zu der Parole Sozial geht nur
national!
?
„Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!“
Dass Rechtsradikale mit ihrem Nationalstolz sich selbst
feiern, um Fremde auszugrenzen, das ist euch klar, und
das könnt ihr nicht leiden. Aber was sagt ihr, wenn sich
die Kanzlerin oder der Präsident aufbaut und Fremden, die
in Deutschland vielleicht arbeiten und leben wollen,
zuruft: Wir sind eine Wertegemeinschaft!
Fällt
euch da auch auf, dass hier ein Anführer seiner
Gemeinschaft ein penetrantes Selbstlob
zuspricht? Dieses Selbstlob ist zugleich eine Drohung: Da
wird nämlich den Fremden, die sich hier aufhalten wollen,
der Maßstab aufgemacht, dem sie sich bedingungslos
anzupassen haben. Ein Lob an die eigene Adresse,
das schon überhaupt keine Begründung mehr braucht,
was an dieser deutschen Gemeinschaft so toll
sein soll, weil der Begriff der „abendländischen“,
„westlichen“ oder eben: „deutschen Werte“ für sich schon
sagt, dass alle Mitglieder den höchsten und besten
Prinzipien dienen? Genau so, als spitzenmäßige
Wertegemeinschaft, wollen demokratische Politiker ihre
Nation verstanden wissen und ermuntern auf diese Art ihre
deutschen Bürger, auf sich als Deutsche stolz zu
sein!
Diese Ermunterung findet beim angesprochenen Volk ein
bombiges Echo, das wisst ihr auch: Erstens in der
soliden, politisch stets abrufbaren Abneigung gegen
Fremde. Zweitens lässt sich das Volk keine noch
so blöde Gelegenheit, die ihm von oben geboten wird,
entgehen, sein verkehrtes Bedürfnis nach einer höheren
verschworenen Gemeinschaft, die einen stolz macht, zu
befriedigen: unsere Lena
, unser Aufschwung
,
die Fußball-Nationalmannschaft, wir sind Papst!
usw. usf. – Verkehrt schon deswegen, weil es im
marktwirtschaftlichen Alltag dieser deutschen
Gemeinschaft von beinharten Gegensätzen nur so wimmelt.
Gegensätze, die übrigens gerade das sogenannte „einfache
Volk“, Arbeitnehmer, Arbeitslose, Mieter usw. sehr genau
kennt und jeden Tag sehr unangenehm zu spüren bekommt.
Für gute Patrioten sind das jedoch nur Widrigkeiten, die
unbeachtlich sind, wenn man einem so großartigen
nationalen Kollektiv angehören darf. Das bietet mit viel
Einbildung eine gemütliche Heimat, wichtiger aber noch:
Der Stolz auf dieses vorzügliche Kollektiv erlaubt, die
Fremden, die der Glanz der Zugehörigkeit zu diesem
Kollektiv nicht veredelt, von oben herab anzuschauen, ja
zu verachten.
Was unterscheidet eigentlich diese allseits praktizierte und anerkannte Unsitte von den Rechtsradikalen? Ist es am Ende nur die rohe, ungehobelte, mit Knobelbechern und Braunhemd demonstrativ vorgetragene Art, die anständige Deutsche stört? Die Nazis nehmen sich heraus, ihren nationalistischen Stolz ungebremst zur Schau zu stellen. Aber sind denn Fahnenschwenken, Grölen und Gesichter-Anmalen beim Public-Viewing ganz was anderes und haben mit diesem nationalistischen Stolz nichts zu tun?
„Die globale Krise zerstört unsere Wirtschaft – kauft deutsche Produkte!“ – „Volksgemeinschaft statt Globalisierung!“
So tönen Neonazis zur Weltwirtschaftskrise. Auf die Tour,
Deutschland als Opfer auszugeben –
unverantwortliche Geldhäuser in Amerika waren die
Haupttäter – haben sich auch Merkel, Steinbrück, Schäuble
usw. verstanden. Aber das war nur der Auftakt zum Angriff
auf andere Staaten: Jetzt werden „wir“ die
niederkonkurrieren. Deutschland soll stärker aus
der Krise hinausgehen als …; Frankreich geht es
nichts an, wenn wir durch Lohnsenkungsrunden den
Rest von Europa niederkonkurrieren; die Griechen
sollen für ihre Erfolgslosigkeit zahlen, damit unser
Euro nicht kaputt geht. Das sind nichts anderes als
die gar nicht „gestrigen“, sondern demokratisch-aktuellen
Ansprüche und Zurechtweisungen, mit denen die deutsche
Regierung mit all ihrer Macht Schaden von der
deutschen Nation abwendet und anderen Nationen
aufhalst: Ein verdienendes Bankenwesen, wachsende
Unternehmensbilanzen und eine erfolgreiche Währung für
den deutschen Standort – das sind die
Sorgeobjekte der Politiker, denen sie alle anderen
Lebensinteressen, sei es in Deutschland oder anderswo,
bedingungslos unterordnen. Eine nationale Öffentlichkeit
verdolmetscht mit einem gigantischen Propagandaaufwand
diese Staatssorgen den Leuten, die von ihrer
Hände Arbeit leben müssen, als ihre eigenen Interessen:
Unsere Wirtschaft
muss gut durch die Krise kommen.
Dass deutsche Produkte
von den Deutschen gekauft
werden sollen, damit unsere Wirtschaft
nicht an
der Krise leidet, diese Parole der Neonazis ist den
regierenden Standortpolitikern allerdings wirklich zu
bescheiden – die senken mit Leih-, Kurzarbeit, ihrer
Niedriglohn- und Armenpolitik dermaßen den Preis der
Arbeit, dass die ganze Welt an deutschen
Produkten als unwiderstehlichem kapitalistischem Angebot
nicht vorbeikommt. Dass sie anderen Staatsführern da und
dort auch mal Zugeständnisse machen, das ist deswegen
auch alles andere als eine nationale Schwäche,
wie die Rechtsradikalen meinen, wenn sie Merkel,
Westerwelle und Co die „Globalisierung“ als Verrat an
der deutschen Volksgemeinschaft
vorwerfen. Das gehört
vielmehr mit zu dem Instrumentarium, mit dem moderne
Weltmarktstrategen kühl kalkulierend der deutschen
Wirtschaft den globalisierten Markt erschließen
und sichern.
„Raus aus Afghanistan – kein Blut für die USA!“
Da haben die Nazis doch wirklich „in die Mitte der Gesellschaft“ getroffen. Wer ist, die Regierenden eingeschlossen, mit diesem Krieg schon zufrieden? Längst werden Abzugspläne geschmiedet, seit Kriegsbeginn wird mit den USA um die Kriegslasten gestritten, weil Verlauf und Ergebnis für die Nation zu wünschen übrig lassen. Diese Skepsis verwechselt auch niemand mit einer Gegnerschaft gegen Krieg überhaupt: Dass der Einsatz von Waffen und Volk ein legitimes Mittel demokratischer Politik ist, daran haben sich längst alle gewöhnt, bis auf eine als weltfremd verschriene kleine Minderheit bei den Linken vielleicht.
Nur: Ein Krieg muss sich eben lohnen, für die
Nation, und da beschleicht mit jedem aus Afghanistan
heimkehrenden Zinksarg Rechtsradikale ein besonders
starker Zweifel, weil sie der offiziellen
Kriegslegende, wie jeder andere gestandene
Nationalist auch, misstrauen: Dass deutsche Soldaten
sterben bloß für „Brunnenbau“, „Mädchenschulen“
und „Demokratie“ „dort hinten“, das ist für
jeden national denkenden Deutschen sowieso eine Zumutung.
Wenn Krieg geführt wird, dann für die machtvolle
Durchsetzung deutscher Staatsinteressen gegen
alle anderen. Eine Regierung, die mit – in den Augen der
Neo-Nazis – so windelweichen Begründungen daherkommt,
will damit vertuschen, dass sie sich in Wahrheit als
Lakai fremder Interessen betätigt, wenn sie ihre
Truppen nach Afghanistan schickt. Sie lässt sich
einspannen für einen „US-Krieg“, weswegen die Neonazis
die Behauptung, dass Deutschland am Hindukusch
verteidigt wird
, nur für eine Ausrede einer schwachen
Regierung halten, die Deutschland an die USA verkauft. So
vermögen sie überhaupt keinen deutschen Ertrag
mehr zu erkennen, weil sie die übergeordneten
Kalkulationen der deutschen Kriegsherren mit NATO, UN und
USA verpassen: Deutschland kämpft in Afghanistan eben um
seine Rolle in seinen Bündnissen, es setzt auf
sein Gewicht in der UN als Instrument deutscher
Weltpolitik und kalkuliert bis auf Weiteres mit
den USA. Die schöne Problemlage einer modernen
Mittelmacht, deretwegen sich aber eben
eindeutige Parolen gegen die
Führungsmacht verbieten!
*
Eine ordentliche Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Rechtsradikalen um all diese Parolen findet nicht statt. Von den Rechten ohnehin nicht: Rechtsradikale sind Gegner der Demokratie, weil sie ihre nationalen Anliegen von der schlecht bedient, ja verraten sehen, und sie greifen diesen Staat an. Aber auch gute Demokraten führen diese Auseinandersetzung nicht: Was die Sorge um und die Begeisterung für die nationale Sache angeht, unterscheiden sie sich ja gar nicht von den Rechtsradikalen, können sie also auch gar nicht kritisieren. Eins können sie aber schon: Die Neonazis mit dem Hinweis auf die Verbrechen, die ihre Vorläufer in Deutschland und der Welt angerichtet haben, ächten, und – wenn es regierende Demokraten für opportun halten – mit den Mitteln der staatlichen Gewalt verfolgen. Den Beweis für die Güte und Überlegenheit der Demokratie führt die demokratische Herrschaft also ausschließlich so, dass sie ihr Gewaltmonopol gegen eine unliebsame Konkurrenz ins Feld führt und durchsetzt. Da findet eine Konkurrenz um die Herrschaft statt. Die Konkurrenten sind sich spinnefeind, das ist oberdeutlich. Aber ist es deswegen richtig, in dieser Konkurrenz Partei zu ergreifen und sich am Ende auch noch mit dem Zuschlagen der Staatsgewalt gemein zu machen, es sogar zu fordern? Irgendwie konsequent ist das offensichtlich schon, wenn man alles, was man an der bundesdeutschen Demokratie für kritikabel hält, zurückstellt hinter das alles überragende Anliegen, die Demokratie zu verteidigen.