Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das Memorandum von Wye-Plantation:
Israel lässt sich ein Abkommen aufnötigen, den Frieden mit den Palästinensern aber nicht
Die USA als oberste Aufsichtsmacht im Nahen Osten sehen durch die Eskalation der Konfrontation zwischen Israel und Palästinensern ihre eigenen Interessen gefährdet und drängen auf die Wiederaufnahme des „Friedensprozesses“. Israel will gar nicht verhandeln, sieht sich dazu aber genötigt, während Arafat die für erfolgreiche Diplomatie notwendigen Gewaltmittel fehlen. Heraus kommt ein Abkommen, das seinem Inhalt nach mit einem gemeinsamen Willen nichts zu tun hat.
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Systematischer Katalog
Das Memorandum von
Wye-Plantation:
Israel läßt sich ein Abkommen
aufnötigen, den Frieden mit den Palästinensern aber
nicht
Am Abend des 23. Oktober besiegeln Netanjahu, Arafat und
Clinton mit einer feierlichen Unterschrifts-Zeremonie ein
neues Interims-Abkommen zur Umsetzung des Oslo-Vertrags
von 1995. Clinton betont seinen Respekt vor beiden
Kontrahenten: Netanjahu habe sich entschlossen für
Israels Sicherheit
eingesetzt, Arafat zäh die
Interessen seines Volkes
verteidigt, bei beiden sei
aber letztlich der ehrliche Wunsch, eine friedliche
Lösung zu finden
, vorherrschend gewesen. Mit dem
Abkommen sei deswegen der Versuch gelungen, das
Vertrauen wiederherzustellen und die Hoffnung auf Frieden
zu erneuern.
Arafat und Netanjahu danken sich
anschließend wechselseitig für den jeweiligen Beitrag zu
dem gelungenen Werk und insbesondere Clinton für seine
aufopferungsvolle Vermittlung. Für die rührselige
Abteilung bei der Inszenierung des gemeinsamen
Friedenswillens sorgt die Anwesenheit des von seinem
Krebs gezeichneten jordanischen Königs, den man dafür
eigens aus dem Sanatorium in die erlauchte Runde geholt
hat.
Die US-Politiker, als Initiatoren der Konferenz,
beschwören deswegen krampfhaft den Geist der Versöhnung,
weil die Kontrahenten aus ihrer nach wie vor bestehenden
Feindschaft kaum einen Hehl machen. Keiner der Redner
läßt es sich im übrigen nehmen, neben den obligatorischen
Phrasen über die Sehnsucht nach Frieden deutliche Spitzen
gegenüber den anderen Beteiligten los zu werden. Clinton
verwahrt sich noch einmal entschieden gegen den Versuch
der Israelis, als Gegenleistung für die Unterschrift die
Freilassung ihres Spions Pollard zu erpressen. Außerdem
ermahnt er die Vertragspartner eindringlich, sich auch
ernsthaft um die Umsetzung des Vertrags zu kümmern.
Netanjahu betont, wie ein Löwe gekämpft zu haben
,
um den Palästinensern möglichst wenig Land abtreten zu
müssen, und daß ihn jeder Zentimeter reue. Ihm sei es
aber immerhin gelungen, viele Löcher im ‚Schweizer
Käse‘ von Oslo zu stopfen
und die Palästinenser zu
einer wirksameren Terrorbekämpfung
zu zwingen.
Arafat beruft sich auf die Grundidee von Oslo
und
hebt hervor, jetzt könnten endlich neue, auf
Gleichheit basierende Beziehungen
zwischen den
Palästinensern und Israel anbrechen. Und er nervt die
israelische Delegation sichtlich damit, den
palästinensischen Flüchtlingen im Ausland die baldige
Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu versprechen.
Offensichtlich ist das Abkommen zwar formell ein
Kompromiß, es ändert aber nichts an der Unvereinbarkeit
der Ziele, die die beiden Kontrahenten verfolgen. Arafat
sieht in dem Vertrag den letzten Strohhalm, an den er
sich klammern kann, um den Anspruch der Palästinenser auf
einen eigenen Staat wach zu halten. Netanjahu versucht
nach wie vor, sein Projekt Großisrael zu realisieren.
Deswegen ist er bemüht, sich möglichst wenig
Verpflichtungen einzuhandeln, die ihn dabei behindern
könnten. Zwar lobt er das Abkommen, weil es unser
Leben sicherer macht
, gewollt hat er den Vertrag aber
nicht. Lediglich die Amerikaner sind zufrieden. Das
Abkommen dokumentiert, daß sie den nahöstlichen
Friedensprozeß unter Kontrolle haben. Ihre Oberaufsicht
über die Region gilt nach wie vor.
*
Für Israels Regierung ist das neue Interims-Abkommen insofern ein Rückschlag, als sie für sich längst beschlossen hatte, aus dem Oslo-Friedensprozeß, den Rabin mit Arafat unter Anleitung der USA in Gang gebracht hatte, auszusteigen. Fast zwei Jahre lang ist es ihr gelungen, sich sämtlichen Verpflichtungen aus dem Hebron-Vertrag, dem ersten Interims-Abkommen, auf das sich Netanjahu zu Beginn seiner Amtszeit widerwillig verpflichten mußte, zu entziehen. Spätestens Mitte dieses Jahres hätte die dritte und letzte Rückzugsphase der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten beendet sein müssen. Die Verhandlungen über den endgültigen Status der von den Palästinensern autonom verwalteten Gebiete hätten längst beginnen müssen; ebenso die Verhandlungen über den Status von Jerusalem und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge. Als Vorwand für die Weigerung, den Oslo-Prozeß fortzuführen, diente Netanjahu die Behauptung, Arafat vernachlässige seine vertragliche Verpflichtung, den palästinensischen Terror zu bekämpfen. Der Hinweis auf die Bedrohung von Israels Sicherheit reichte stets, bei den USA Verständnis dafür zu erhalten, daß ein weiterer Rückzug der israelischen Armee unzumutbar wäre. Gleichzeitig machten Netanjahu und seine Regierung aber aus dem wirklichen Grund keinen Hehl, daß sie ganz Palästina als Eigentum der Juden betrachten und eigentlich die Rückgabe von Territorium für mit den nationalen Interessen nicht vereinbar halten. Entsprechend intensiv wurde die Landnahme durch jüdische Siedler gefördert und der Aufbau einer israelischen Infrastruktur in den besetzten Gebieten vorangetrieben. Umgekehrt wurde alles getan, um den ökonomischen Aufbau der palästinensisch verwalteten Gebiete zu behindern.
*
Mit ihrer praktischen Kündigung des Oslo-Prozesses blamierte die Netanjahu-Mannschaft Arafats Politik, durch eine Verständigung mit Israel auf einen Palästinenserstaat hinzuarbeiten. Auch wenn sich der PLO-Vorsitzender inzwischen gern Präsident nennen läßt, praktisch ist er nichts anderes als der von Israels Gnaden abhängige Verwalter eines Palästinenserghettos. Seine vornehmste Aufgabe besteht darin, die palästinensische Opposition gegen die Besatzungsmacht niederzuhalten. Die von Israel versprochene Gegenleistung, mehr Autonomie für die Palästinenser zu gewähren, wird ihm beharrlich verweigert. In provozierender Weise wird ihm vorgeführt, wie ohnmächtig er ist und wie ungehindert sich Israel all die Rechte einfach nimmt, die es für sich beansprucht. Als Folge der durch Israel bewirkten und auch durchaus beabsichtigten Demontage Arafats bekamen die radikalen Kräfte bei den Palästinensern, insbesondere Hamas, wieder starken Zulauf. Die Attentate auf israelische Militärposten und Bürger häuften sich. Und sie kamen wie auf Bestellung, belegten sie doch, daß Netanjahus Sorge um Israels Sicherheit berechtigt ist, weil Arafat für Israels Sicherheit nicht Sorge tragen will oder kann. Auf israelischer Seite fühlten sich die radikalen Siedler durch die Politik ihrer Regierung ermuntert, sich endgültig als die Herren in ganz Palästina aufzuführen. Palästinenser, die sich gegen die Okkupation ihres Landes zur Wehr setzten, wurden von bewaffneten Siedlern angegriffen, palästinensische Attentate mit denen israelischer Radikaler vergolten.
Arafat sah schließlich keine andere Möglichkeit mehr, auf
die Ansprüche der Palästinenser noch einmal aufmerksam zu
machen und auch seine Glaubwürdigkeit als PLO-Führer zu
retten, als mit der Ausrufung eines Palästinenserstaates
spätestens zum 4. Mai 1999
zu drohen. Laut Vertrag
sollte nämlich bis zu diesem Termin der Oslo-Prozeß
abgeschlossen sein. Wenn Israel bis dahin keine
territorialen Zugeständnisse gemacht habe, so Arafat,
seien die Palästinenser an keinerlei Verpflichtungen aus
den Verträgen mehr gebunden.
Netanjahu reagierte auf diesen Vorstoß wie auf eine günstige Gelegenheit, sein Ziel endlich durchzusetzen und drohte seinerseits, daß für diesen Fall die israelische Armee wieder in alle palästinensischen Gebiete einmarschieren und die Autonomie ein für allemal beendet sein würde.
*
Offensichtlich ist den USA diese krisenhafte Zuspitzung der Lage im Nahen Osten zu weit gegangen. Daß Netanjahu sich gegenüber sämtlichen amerikanischen Vermittlungsbemühungen, den Oslo-Prozeß in Gang zu halten, stur gestellt hatte, war den USA weiter kein Problem. Solange die Autonomiebehörde die radikalen Palästinenser unter Kontrolle hielt, Arafat ohne Erfolg die EU und Rußland zu mehr Engagement im Nahen Osten aufforderte, sich mangels Alternative dann doch immer wieder hilfesuchend an die US-Vermittler wandte und vertrösten ließ, lief der Friedensprozeß in ihrem Sinne. Mit der Ausrufung eines Palästinenserstaates könnte aber eine Lage mit unkalkulierbaren Folgen entstehen. Zu einem Krieg zwischen israelischem Militär und palästinensischer Guerilla wollten es die USA keinesfalls kommen lassen. Clinton & Co sahen in der sich anbahnenden Konfrontation eine ernste Gefahr für das von Amerika im Nahen Osten kontrollierte Kräfteverhältnis zwischen Israel und der arabischen Welt. Nicht auszuschließen war auch die Einmischung anderer Mächte, die nur auf die Gelegenheit warten, sich – aus Sicht Clintons – störend bei der Ordnung des Nahen Ostens bemerkbar zu machen.
Darum intervenierten die Vereinigten Staaten und stellten
klar: Israel wird von den USA zwar als Vormacht im Nahen
Osten gefördert, muß sich aber in das strategische
Konzept Amerikas fügen. Und das würde durcheinander
gebracht, wenn Netanjahu Israels militärische
Überlegenheit gegenüber der arabischen Welt gegen die
Palästinenser in Anschlag bringt, um sein Projekt
Großisrael durchzusetzen. Die US-Politiker pochen darauf,
daß sich Israel an ihr Ordnungsprogramm für den Nahen
Osten hält: erstens Koexistenz und Kooperation zwischen
Israel und den arabischen Nachbarn, inklusive eines
Arrangements mit den Palästinensern; zweitens Bildung
einer gemeinsamen Front aller mit Amerika verbündeten
Staaten im Nahen Osten gegenüber den Terrorstaaten
Iran und Irak.
Deswegen hat Clinton darauf bestanden, daß sich Netanjahu und Arafat auf ein neues Interims-Abkommen zur Fortführung des Friedensprozesses verständigen. Um Netanjahus Widerstand zu brechen und ihn zur Anerkennung der US-Führungsrolle zu zwingen, drohte Washington ihm sogar mit der Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die Vereinigten Staaten. Der Nötigung durch die Weltmacht Nr. 1 haben sich die israelischen Politiker schließlich gebeugt, dafür haben sie aber den Preis für ihre Unterschrift so hoch wie möglich getrieben.
*
Israel hat im Wye-Abkommen nicht nur durchgesetzt, den
Palästinensern möglichst wenig Land zusichern zu müssen;
viel entscheidender ist, daß das Territorium, das den
Palästinensern mit dem neuen Abkommen in Aussicht steht,
sich zum Staatsgebiet nicht eignet. In Oslo konnte Arafat
noch hoffen, daß letztlich mindestens 80% der besetzten
Gebiete den Palästinensern übertragen würden. Der Rest
hätte aus Enklaven von jüdischen Siedlungen oder
strategisch wichtigen Gebieten bestanden, die unter
israelischer Hoheit verblieben wären. Nach der jetzigen
Vertragslage muß er davon ausgehen, daß Israel
bestenfalls knapp 40% der besetzten Gebiete aus seiner
Kontrolle entläßt. Dabei handelt es sich um kein in sich
geschlossenes Land, sondern um eine Vielzahl von Enklaven
in israelisch kontrolliertem Gebiet. Der ungehinderte
Verkehr zwischen den einzelnen Landflecken ist bisher
weder zugesichert noch werden die Palästinenser jemals
das Recht – geschweige denn die Mittel – besitzen,
sichere Passagen
gegen Israels Willen zu
verteidigen. Sämtliche Auslandskontakte der Palästinenser
müssen zudem über israelisches Staatsgebiet abgewickelt
werden oder unterliegen – wie etwa der Flughafen im
Gazastreifen – israelischen Sicherheits-Kontrollen.
Faktisch haben sich Netanjahu und Scharon noch nicht
einmal dazu wirklich bereit erklärt, weiteres Land an die
Palästinenser abzutreten. Sie haben eine Reihe offener
Fragen und Bedingungen in das Memorandum eingebaut, in
der unverhüllten Absicht, unter Berufung auf ungelöste
Probleme oder nicht erbrachte Leistungen der Gegenseite
die gemachten Zugeständnisse im Laufe der Zeit wieder zu
revidieren. Fest vereinbart ist lediglich die zweite
Rückzugsphase
; dabei erhalten die Palästinenser nur
für etwa die Hälfte ihres Gebiets die volle
Zuständigkeit, für die andere Hälfte behält sich Israel
die Kontrolle in Sicherheitsfragen vor. Ob und wann diese
auf die Palästinenser übergeht, soll in – lediglich in
Aussicht gestellten – Verhandlungen über die dritte
Rückzugsphase und den endgültigen Status
geklärt
werden. Außerdem hat Netanjahus Mannschaft durchgesetzt,
daß der jetzt vereinbarte Rückzug, in Stufen
erfolgt. Jede Stufe setzt auf palästinensischer Seite die
Erfüllung festgelegter Vorleistungen voraus. Dadurch hat
Israel erstens ein permanentes Druckmittel gegenüber
Arafat in der Hand, daß er seinen Verpflichtungen auch
nachkommt. Zweitens verfügt es damit über eine jederzeit
anwendbare Ausstiegsklausel aus dem Vertrag. Wie leicht
es für Israel ist, sich mit der Behauptung durchzusetzen,
daß die Palästinenser-Polizei zu wenig für die
Terrorbekämpfung tut, haben Netanjahu & Co in den letzten
beiden Jahre hinlänglich gezeigt. Vor allem aber hat
Israel sich nicht auf einen Siedlungsstopp festlegen
lassen. Die Regierung Netanjahu sieht sich also weiterhin
berechtigt, Fakten durch die Enteignung palästinensischen
Bodens und Sachzwänge zu schaffen, die die Infrastruktur
der Gebiete und deren Sicherheit betreffen. Seit der
Unterschrift unter den Vertrag macht sie davon wieder
ausgiebig Gebrauch.
Dem Minimum verbindlicher Zugeständnisse auf seiten der Israelis steht allerdings ein Maximum an Verpflichtungen auf seiten der Palästinenser gegenüber.
*
Der größte Teil des Wye-Abkommens besteht aus einer Liste
detaillierter Vorschriften darüber, wie die
Autonomie-Behörde die palästinensische Opposition gegen
die israelische Besatzung zu bekämpfen hat. Die
Palästinenser-Verwaltung (PA) ist verpflichtet, alle
Personen, die verdächtigt sind, Gewalt- oder
Terrorakte begangen oder begünstigt zu haben
,
festzunehmen. Die PA hat per Gesetz Import, Herstellung,
Verkauf, Bestellung oder Besitz von Waffen, soweit nicht
genehmigt, zu kriminalisieren und polizeilich zu
verfolgen. Sämtliche illegalen Waffen sind einzusammeln
und zu vernichten. Die PA hat einen Erlaß herauszugeben,
wonach jede Form der Aufhetzung zu Gewalt und Terror zu
unterbinden ist. Zu jeder dieser Aufgaben wird eine
Kommission aus Palästinensern und CIA-Leuten gebildet,
die entsprechende Arbeitspläne entgegennimmt und
genehmigt, ständig auf dem Laufenden gehalten wird und
die Arbeit der zuständigen Organe überwacht. Darüber
hinaus verpflichtet sich die Autonomiebehörde zu
kontinuierlicher, intensiver und umfassender
Zusammenarbeit
mit den israelischen
Sicherheitsorganen. Zusätzlich zu dieser bilateralen
Sicherheitskooperation wird ein
amerikanisch-israelisch-palästinensisches
Sicherheitskomitee gebildet, das mindestens 14tägig die
aktuellen Bedrohungen einschätzt und alle Hindernisse für
eine effektive Sicherheitszusammenarbeit beseitigt. Die
palästinensische Seite ist diesem Gremium zur
vollständigen Information über die Ergebnisse ihrer
Nachforschungen in Sachen Terrorismus verpflichtet.
Schließlich hat die PA eine vollständige Liste der
palästinensischen Polizisten an Israel zu übergeben.
Netanjahu hat also durchgesetzt, was Arafat sich in Oslo sicherlich nicht hat träumen lassen: Die einzige Zweckbestimmung der Palästinenserautonomie, die Israel gelten läßt, ist die gewaltsame Unterdrückung palästinensischen Aufbegehrens gegen die Besatzungsmacht. Arafat muß sich als Unteraufseher einer von Palästinensern bewohnten israelischen Sicherheitszone bewähren. Alles, was seine Autonomieverwaltung beschließt, bedarf der Konzession durch die israelische Regierung und unterliegt deren Sicherheits-Kontrolle.
Um sich vor der Willkür der israelischen Aufsicht zu
schützen, die der PA in der Vergangenheit stets den
Vorwurf gemacht hat, sie würde ihre Verpflichtung
vernachlässigen, den Terror zu bekämpfen, kommt Arafat
die verstärkte Einbeziehung der Amerikaner gelegen. Er
hofft, daß die US-Sicherheitsexperten ihn wegen seiner
Bemühungen gegenüber unberechtigten Vorwürfen in Schutz
nehmen und die USA Israel zu den vertraglich festgelegten
Konzessionen drängen. Für diese vage Aussicht handelt er
sich allerdings ein, daß er sich bei der Bekämpfung des
Terrors nicht nur nach den Ansprüchen der Israelis,
sondern auch nach denen der Amerikaner richten muß. Durch
die von ihm verlangte intensive und vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit der CIA hat er von Tag zu Tag mehr das
zu werden, was seine Gegner aus dem Lager der militanten
Palästinenser ihm vorwerfen, Handlanger der Israelis und
Marionette der CIA. Durch die Zustimmung zum Wye-Abkommen
hat der PLO-Chef seine Glaubwürdigkeit als Kämpfer für
die Freiheit des palästinensischen Volkes
und die
arabische Sache
erheblich ramponiert.
*
Die Quittung für seine Unterschrift unter das Wye-Abkommen erhält Arafat umgehend. Auf einer Kundgebung bei Beirut wird er vom Führer des Hizbullah in Anwesenheit vom Hamas- und Jihad-Vertretern des Verrats beschuldigt. Als Rache wird sein Sturz bzw. seine Ermordung gefordert. In Israel beeilen sich Hamas und Jihad, Attentate auszuüben, um das Wye-Abkommen zu kippen, in den Autonomiegebieten gibt es schließlich heftige Proteste. Der PLO-Chef läßt sich dadurch nicht beeindrucken. Um umgekehrt Israel mit seiner Vertragstreue zu beeindrucken und sich die Sympathie der Amerikaner zu sichern, legt er umgehend einen Terrorbekämpfungsplan vor und nach wenigen Tagen die von Israel geforderte Liste von 30 radikalen Palästinensern, deren Verhaftung die Palästinenserpolizei zusichert. Bei der Hälfte der aufgeführten Personen kann er bei der Abgabe der Liste bereits Vollzug melden. Hamas-Führer Scheich Jassin wird wegen anti-israelischer Hetze unter Hausarrest gestellt und nach den Attentaten von Hamas und Jihad werden über hundert weitere radikale Palästinenser eingesperrt.
Arafat hat sich auf die ihm von Netanjahu und Clinton
zugedachte Rolle also eingestellt, weil er keine andere
Chance sieht, sich als Chef der Palästinenser-Autonomie
zu halten. Nach dem Attentat auf dem Jerusalemer Markt
geht er dazu noch in die Offensive: Er beschuldigt
äußere und regionale Kräfte, illegale Gruppierungen
unter den Palästinensern zu Terroroperationen
anzutreiben
. Die Palästinenser-Führung habe Belege,
daß Teheran über den Hizbullah im Libanon den
palästinensischen Jihad mit Geld und Ausbildung
unterstütze. Der PLO-Chef macht sich inzwischen also zum
Sprachrohr der amerikanischen Hetze gegen
Terrorgruppierungen
und Terrorstaaten
und
sucht die arabischen Nachbarn, Syrien und Jordanien,
unter Druck zu setzen, damit sie den Exilpalästinensern,
die dem Kampf gegen Israel nicht abschwören wollen, das
Handwerk legen.
*
Die israelische Regierung findet für Arafats Wende ein
paar anerkennende Worte, an ihrer Haltung gegenüber der
Palästinenser-Autonomie ändert das aber nichts. Kaum
zurück in Israel läßt Netanjahu erkennen, daß sich weder
an seinem Ziel noch an seiner Strategie etwas verändern
wird. Auf die „Attentate der Islamisten“ gibt er – wie er
es selbst nennt – eine „zionistische“ Antwort: Er
genehmigt den Ausbau von Siedlungen in der Westbank und
den zusätzlichen Bau von Verbindungsstraßen, die weitere
Landenteignungen bedeuten. Um seinen Sieg bei den
Verhandlungen herauszustreichen, erteilt er auch für die
Siedlungs-Projekte Baugenehmigungen, die in der
Vergangenheit zu harten Auseinandersetzungen mit den
Palästinensern führten, nämlich für Har Homa und Ras
al-Amud in Jerusalem. Dabei betont er, daß seiner Ansicht
nach Israel in der Frage, was den Status von Jerusalem
betrifft, keinerlei Bindungen mehr unterliege. Bei der
Interpretation der vertraglichen Bestimmungen nimmt sich
die israelische Seite alle Freiheiten: Die Feststellung
der CIA-Kontrolleure, die Palästinenser hätten
verabredungsgemäß den Plan zur Terrorbekämpfung erstellt,
zählt nicht, Israel behält sich selbst die Entscheidung
darüber vor und verlangt zusätzliche Vorleistungen. Laut
Vertrag tritt das Wye-Abkommen mit seiner Unterschrift in
Kraft. Netanjahu besteht aber auf einer Ratifizierung
durch Regierung und Parlament, schließlich sei Israel
keine Bananenrepublik
. Es finden sich genügend
Vorwände, diese Abstimmung – und damit das Inkrafttreten
des Vertrags – mehrere Male zu verschieben. Schließlich
erklärt die Regierung Netanjahu, Vorbedingung für die
Erfüllung israelischer Zusagen sei u.a. eine
Erklärung
zur Aufhebung antiisraelischer Passagen
in der PLO-Charta. Auch wenn in Wye-Plantation eine
Einigung zu diesem Punkt erfolgt ist, läßt Netanjahu in
dieser Frage nicht locker und besteht auf einer Revision
des Verfahrens. Arafat soll nicht nur die 700 Mitglieder
des Palästinensischen Nationalrats zu einer Sitzung des
Exekutivausschusses der PLO einladen, um die
Streichung der Passagen noch einmal zu bekräftigen.
Israel verlangt einen formellen Beschluß durch
den Nationalrat selbst. Für Netanjahus Regierung
hat diese Frage nämlich einen hohen Symbolwert: Sie will
von den Palästinensern das offizielle Eingeständnis eines
Verbrechens gegenüber den Juden, deren Recht
auf Inbesitznahme des Landes ihrer Väter
streitig
gemacht zu haben. Mit dem förmlichen Verzicht auf ganz
Palästina
sollen nicht nur die PLO, sondern sämtliche
Fraktionen des Nationalrats die bedingungslose
Unterordnung unter den israelischen Staat und die
Anerkennung der Besitzrechte, die er für sich reklamiert,
und seiner Sicherheitsinteressen besiegeln. Darum wollen
Netanjahu & Co sich auch nicht mit dem Wye-Kompromiß
begnügen, nach dem Clinton durch seine Anwesenheit bei
der Sitzung des Exekutivausschusses der PLO die Garantie
dafür übernehmen sollte, daß die Palästinenser das
Existenzrecht Israels nie mehr bestreiten werden. Sie
verlangen von den Palästinensern hochoffiziell die
Bestätigung und Anerkennung von Israels Sieg über ihre
eigenen Ansprüche. Im übrigen weiß Jerusalem nur zu gut,
daß Arafat weder eine ordnungsgemäße Zusammenkunft des
Nationalrats – zu ihm gehören nämlich zahlreiche im
Ausland lebende Führer radikaler Strömungen – noch die
notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Abstimmung
erreichen kann; daß damit also eine Vorbedingung gestellt
ist, die Israel sämtlicher Verpflichtungen aus dem
Memorandum enthebt.
Die palästinensische Autonomiebehörde beharrt darauf, daß
sie nur die Verpflichtungen erfüllen wird, auf die sie
sich im Wye-Memorandum hat festlegen lassen. Auf Bitten
des PLO-Chefs haben sich die USA inzwischen bereit
erklärt, erneut ihren Nahost-Beautragten Ross als
Vermittler in die Region zu entsenden; mehr hat er nicht
in die diplomatische Waagschale zu werfen als das bißchen
Deckungsgleichheit zwischen seinem Autonomie-Interesse
und Amerikas Rolle als Notar und Kontrolleur des
Friedensprozesses
. Dabei braucht sich Arafat nicht
der Illusion hinzugeben, die Amerikaner würden sich – um
der Gerechtigkeit oder der Einhaltung des Vertrags willen
– für die Sache der Palästinenser stark machen. Der
Maßstab dafür, ob und wie weit sie Israels Politiker
notfalls bremsen, ist einzig und allein das amerikanische
Interesse, daß die Zuständigkeit der USA als
Aufsichtsmacht respektiert wird. In ihrem strategischen
Konzept für den Nahen Osten spielt ansonsten Israel nach
wie vor die wichtigste Rolle: Wenige Tage nach der
Unterzeichnung des Wye-Abkommens unterzeichnen Clinton in
Washington und parallel dazu Netanjahu in Jerusalem ein
Militär-Memorandum. Darin heißt es: Ein gemeinsames
Planungskomitee soll Empfehlungen formulieren, um die
amerikanisch-israelischen strategischen und militärischen
Beziehungen sowie die technologische Kooperation
aufzuwerten.