Korrespondenz zur Wohnungsfrage im Kapitalismus

Eine Korrespondenz zur Kritik der politischen Ökonomie des Grundeigentums.

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Korrespondenz zur Wohnungsfrage im Kapitalismus

Zuschrift zu einer Veranstaltung

Hallo, ich habe inhaltliche Anfragen und Kritik zum Vortrag ‚Die Wohnungsfrage im Kapitalismus‘, Dezember 2019... Im ersten Teil des Vortrags ist die Rede vom Grundeigentum, dieses wird zugleich synonym mit den darauf stehenden Immobilien gesetzt. Ich bin damit (als Tischler und Architekt, aber auch als Freund dieses Vortrags und einer Theorie, die an juristischer als auch an ökonomischer Gleichheit interessiert ist) nicht einverstanden.

1. Es ist doch falsch, den Teil der Wohnungsproduktion/Vermessung/Planung/Bauleistungen und die darin verwirklichte Arbeitszeit der Handwerker zu vernachlässigen. Oder nicht? Habe ich das total falsch verstanden?

2. Es ist doch falsch, nicht zu differenzieren zwischen einem hochwertigeren und einem minderwertigeren Produkt (andere Materialien, evtl. höherer Arbeitseinsatz), das betrifft doch Immobilien genauso.

3. Weiterhin meine ich als Gartenbauinteressierter, dass vielleicht der Boden keinen Wert haben mag, jedoch ein gepflegter Acker durchaus als Produkt bezeichnet werden kann.

4. Ich bin gegen Grundeigentum per se und fand den Vortrag sehr spannend. Ich bin jedoch auch gegen Grundeigentum, weil ich doch meine, dass der Gebrauchswert von Grund und damit Natur gar nicht hoch genug geschätzt werden kann und deshalb unveräußerbar sein sollte (gemeinnütziger, jedoch unquantifizierbarer Gebrauchswert des Ökosystems).

Ergibt das für Sie/Dich/Euch Sinn? In der Hoffnung auf Antwort...

Antwort der Redaktion

Dass Grundstücke und die darauf stehenden Immobilien keine Synonyme sind, dass in letzteren Arbeit vergegenständlicht ist, wollten wir nicht leugnen. Wenn im Vortrag [1] im Zusammenhang mit Immobilien vom Grundeigentum die Rede war – etwa in Form der zu Beginn zitierten Beschwerden des Bauhauptgewerbes über immer weiter steigende Preise für Baugrund –, so ging es dabei um die Tatsache, dass es als ein fester Preisbestandteil bebauter Grundstücke einen ökonomisch sehr speziellen Kostenfaktor bildet. Zum Thema gemacht haben wir diesen Kostenfaktor, der auch Bestandteil jeder Wohnungsmiete ist, nicht nur deswegen, weil er im Vergleich zu den Kosten für Herstellung und Unterhalt der Immobilie recht happig ausfällt und immer wieder Anlass zu öffentlichen Beschwerden ist, sondern v.a. weil dieser Preisbestandteil von einer eigenartigen Einkommensquelle im Kapitalismus zeugt.

Eigenartig deswegen, weil das Grundeigentum tatsächlich als eine selbständige Geldquelle erscheint, ohne selbst überhaupt ein Produkt von Arbeit zu sein oder irgendeinen Beitrag zur gesellschaftlichen Arbeit und ihrer Produktivität darzustellen. Wenn wir dich richtig verstehen, ist es ja auch die eine Seite deiner Kritik am Grundeigentum, dass mit ihm ganz ohne Arbeitsaufwand Geld verdient wird. Eine ökonomische Besonderheit innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, wo ansonsten Geld mit dem Verrichten von Arbeit in fremden Diensten auf der einen Seite bzw. mit dem Verkauf der Arbeitsprodukte auf der anderen Seite verdient wird, stellt das Grundeigentum damit allemal dar. Ein Verstoß gegen die juristische Gleichheit ist es gleichwohl keineswegs – im Gegenteil.

Dass sich mit Grundeigentum regelmäßige Gelderträge erzielen lassen, geht nämlich auf ein allgemeines Rechtsprinzip zurück, das der Staat nicht nur in Bezug auf die gegenständliche Natur, sondern in Bezug auf jeglichen gesellschaftlichen Reichtum und dessen Quellen zur Anwendung bringt: Es ist die staatliche Garantie des Privateigentums, d.h. des exklusiven Verfügungsrechts des Eigentümers über das, was ihm als ‚das Seine‘ rechtlich zugesichert wird, das Besitzer von Grund und Boden dazu in die Lage versetzt, einen (regelmäßig fällig werdenden) Tribut dafür verlangen zu können, anderen, die darauf angewiesen sind, den Zutritt zu ihrem Grund und Boden, den sie selbst nicht benutzen, zu gewähren. Dafür reicht ihnen ein entsprechender Eintrag im Grundbuch. Die passende Nachfrage vorausgesetzt, erweist sich diese für sich genommen ganz unproduktive, pure Teilhabe an einem Stück staatlicher Gewalt als hinreichende Quelle ökonomischer Erträge. So nutzen die Grundeigentümer für sich aus, dass das Prinzip des Privateigentums sich sogar auf die allgemeine Lebens- und Produktionsbedingung namens Grund und Boden erstreckt.

Das ist das eine, die Seite der rechtlichen Lizenz zum Geldverdienen mittels Grundeigentum. Das andere ist, worauf diese Fähigkeit des Eigentums, Gelderträge nicht bloß zu beanspruchen, sondern mit der gesellschaftlichen Zuverlässigkeit und Gültigkeit einer eigenen Einkommensquelle zu erzielen, ökonomisch beruht.

Da ist es entscheidend, dass das allgemeine Rechtsprinzip des Kapitalismus sich auch auf die Produkte der Arbeit sowie sämtliche sachlichen Quellen des Reichtums – Arbeits- und Produktionsmittel – erstreckt. Denn in dieser Hinsicht ist das Privateigentum die entscheidende Voraussetzung dafür, dass auch die Arbeit im Kapitalismus dem Eigentum gehorcht, also dem Zweck der Geldvermehrung dient: Sie mehrt das geldwerte Eigentum der Anwender der Arbeit, denen mit der Verfügung über die Elemente der Produktion auch die Resultate des Produktionsprozesses gehören. Für diesen die Ökonomie beherrschenden Zweck ist das, was du an den zum Hausbau notwendigen Tätigkeiten offenbar schätzenswert findest, nur in einer Hinsicht von Belang: Die nützlichen Tätigkeiten müssen sich als ein Beitrag zur Geldvermehrung erweisen, oder sie sind buchstäblich nichts wert. Dem Geld kommt dabei nicht die Funktion eines materiellen Ausdrucks für die subjektive Wertschätzung produktiver Anstrengungen bzw. ihrer Resultate (apropos gepflegter Acker) zu, sondern es ist selbst die Sache, um die es tatsächlich geht und an der sich die kapitalistisch angewandte Arbeit zu bewähren hat. Dafür wird im Kapitalismus überhaupt Arbeitskraft eingestellt, bezahlt, angetrieben und ggf. auch wieder entlassen; und entsprechend sehen dann auch die Beschäftigungsverhältnisse und die Arbeit selbst im Baugewerbe aus. Als Tischler und Freund des Handwerks sind dir die Maßstäbe der rentablen Arbeit im Dienste des Gewinns der Bauunternehmen bestimmt geläufig.

Gegenüber der vielfältigen Kritik, die es am Grundeigentum und dessen Macht gibt, haben wir uns darum bemüht, den Blick auf dieses kapitalistische Verhältnis von Arbeit und Reichtum zu lenken; und auf die davon abhängige Einkommensquelle, die sich aus dem Dienst der arbeitenden Menschheit an der Vermehrung des Kapitalreichtums speist und aus dessen beschränkten Erträgen der übergroße Teil der Bevölkerung sein Leben zu finanzieren hat – was die Bedienung der Ansprüche des Grundeigentums in Form der Monatsmiete oder der Tilgung des Hauskredits mit einschließt. Das ist deshalb wichtig, weil das Grundeigentum letztlich nur deswegen zu der angesprochenen unkapitalistischen Verrücktheit einer autonomen Einkommensquelle ohne Bezug zu irgendwelcher produktiver Tätigkeit in der Lage ist, weil die ganze Produktionsweise und mit ihr die nützliche Arbeit der Gesellschaft der kapitalistischen Verrücktheit der Macht des Eigentums und dem Zweck der Geldvermehrung unterworfen ist. [2]

So erklärt sich die Eigenartigkeit, die dich an unserem Vortrag irritiert hat, dass im Kapitalismus am Ende alles Mögliche, was überhaupt nicht gleich ist, gleichermaßen als autonome Geldquelle erscheint; eben sogar ein unbearbeitetes Stück Natur, das als ein Teil der Erdoberfläche einfach ‚da‘ ist.

Deshalb können wir deiner zweiten Kritik am Grundeigentum, nämlich deiner Auffassung in Punkt 4., gerade weil die Natur so wichtig ist, müsse sie sich eigentlich jeder marktwirtschaftlichen Quantifizierung entziehen, nicht zustimmen. Denn in Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Ausgerechnet weil Grund und Boden so elementar wichtig sind und allgemein gebraucht werden, sind sie in der Marktwirtschaft so gut als Mittel zum Geldverdienen geeignet! Gerade weil jede Tätigkeit auf ein Stück Boden, auf einen Teil des Ökosystems angewiesen ist, ist der eigentümerische Ausschluss davon so überaus produktiv für das marktwirtschaftliche Geschäft mit ihm. Du täuschst dich daher, wenn du meinst, mit einem so allgemein lebenswichtigen Ding wie der Natur hättest du eine Ausnahme vor dir, bei der es doch einmal ausnahmsweise ganz anders, gemeinnützig statt privatwirtschaftlich zugehen könnte. Du hast vielmehr das Prinzip der kapitalistischen Eigentumsordnung nach der Seite seiner Bedürfnisfeindlichkeit vor der Nase. Wenn etwas gegen die Warenform des Reichtums spricht – irgendwelche wichtigen Dinge also ‚keine Ware!‘ sein sollten – dann ist es genau dieses Prinzip, das für alle Waren gilt.

[1] Als Audiomitschnitt hier abrufbar.

[2] Das Grundeigentum als selbständige Geldquelle beruht nicht nur in dem Sinn auf den ökonomischen Leistungen der kapitalistisch angewandten Arbeit, dass das Geld, das Grundeigentümer für sich verlangen, in der Gesellschaft zuvor auch irgendwo erarbeitet worden sein muss: Als Träger eines fiktiven Werts und Spekulationsobjekt lebt das Grundeigentum von der gesellschaftlich gültigen Gleichung, wonach eine entsprechend investierte Geldsumme sich als Quelle ihrer eigenen Vermehrung erweist, die ihrerseits auf der Subsumtion aller gesellschaftlich nützlichen Arbeit unter die Zweckbestimmung der Geldvermehrung beruht. Das ist in besagtem Vortrag unter der Überschrift ‚Grundeigentum – voll kapitalistisch‘ ausführlicher Thema. Der spekulative Wert des Grundeigentums ist außerdem Gegenstand in unserem Artikel Wohnungsnot und Mietpreisexplosion. Das Grundeigentum und der Wohnungsmarkt, GegenStandpunkt 2-14.