Wohnungsnot und Mietpreisexplosion
Das Grundeigentum und der Wohnungsmarkt
In deutschen Großstädten ist eine neue Wohnungsnot ausgebrochen. Dass die elementare Lebensbedingung für die arbeitende Bevölkerungsmehrheit ein Luxus ist, den sie sich kaum leisten kann, wird hochoffiziell als „soziales Problem“ anerkannt. Politiker versprechen unentwegt, sich dafür einzusetzen, dass „das Wohnen bezahlbar bleibt“ – was schon alles sagt: Nach 150 Jahren kapitalistischen Wachstums ist es das für viele eben nicht.
Die Betroffenen bekommen auf diese Weise zu spüren, dass die Wohnung, von der manche fordern, sie dürfe keine Ware sein, tatsächlich keine gewöhnliche Ware ist. Der Artikel behandelt die kapitalistische Reichtumsquelle Grundeigentum, die Konkurrenz mit und um die Nutzung von Grund und Boden, die unausweichlichen ‚sozialen Folgen‘ für den Wohnbedarf der Bevölkerung, den Umgang des Staates mit der Wohnungsfrage und die Proteste gegen ‚Mietwucher‘ und ‚Gentrifizierung‘.
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Systematischer Katalog
Gliederung
- I. Vermieten und Verpachten – Womit Grundeigentümer Einkommen erzielen
- II. Der Bodenpreis – der spekulative Wert des Grundeigentums
- III. Pacht und Miete haben die Bodenpreise zu rechtfertigen: Die Subsumtion des kapitalistischen Gebrauchs unter die Qualität des Bodens als fiktives Kapital
- IV. Der Staat anerkennt, organisiert und beschränkt das Grundeigentum: Raumordnung und Flächennutzungsplan
- V. Das Geschäft mit dem Wohnen: eine soziale Konfrontation
- VI. Der Staat bewirtschaftet den Wohnungsmarkt: Die Armut und das Geschäft, das sie beansprucht, müssen koexistieren können
- VII. Mieterprotest
Wohnungsnot und
Mietpreisexplosion
Das Grundeigentum und der
Wohnungsmarkt
In deutschen Großstädten ist eine neue Wohnungsnot ausgebrochen. Ein Normalverdiener zahlt derzeit rund ein Drittel seines Einkommens für ein Dach über dem Kopf - und die Mieten steigen weiter. Dass diese elementare Lebensbedingung für die arbeitende Bevölkerungsmehrheit ein Luxus ist, den sie sich kaum leisten kann, wird hochoffiziell als „soziales Problem“ anerkannt. Besonders vor Wahlen versprechen Politiker, sich dafür einzusetzen, dass „das Wohnen bezahlbar bleibt“ – was als Diagnose und Therapie schon alles sagt: Nach 150 Jahren kapitalistischen Wachstums ist es das für viele eben nicht.
Die Betroffenen bekommen auf diese Weise zu spüren, dass die Wohnung, von der manche fordern, sie dürfe keine Ware sein, tatsächlich keine gewöhnliche Ware ist. Während bei gemeinen Waren die Konkurrenz auf Basis der Herstellungskosten den Verkaufspreis bestimmt, gilt das bei der Wohnung nur für zwei ihrer drei Preisbestandteile: erstens für das Gebäude und seine gewerbliche Errichtung, zweitens für die Betriebskosten – Strom, Wasser, Heizung und Instandhaltung –, die zusammen eine „zweite Miete“ ausmachen. Anders verhält es sich mit dem dritten Faktor des Mietzinses: dem Boden, auf dem das Wohngebäude ruht. Selbst gar nicht fabriziert, daher ohne jede Herstellungskost, funktioniert hier das bloße Eigentum an Gelände, ein Eintrag ins Grundbuch, als Quelle von Einkommen für den Grundbesitzer. Ausgerechnet dieser Preis, der gar keinen Aufwand entgilt, macht das Wohnen immer teurer.
I. Vermieten und Verpachten – Womit Grundeigentümer Einkommen erzielen
Wie andere Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft machen Grundeigentümer das, was ihnen gehört, zum Mittel ihres Geldverdienens. Ihnen gehören Teile der Erdoberfläche, die nicht produziert worden sind und nicht produziert, d.h. auch nicht vermehrt werden können. Dieses Eigentum entsteht nicht daraus, dass Leute Dinge herstellen, die andere brauchen, und der Staat dem Erzeuger das ausschließende Verfügungsrecht über sein Erzeugnis sichert, sondern allein durch Ausschluss anderer, durch Monopolisierung der gemeinsamen Existenzbedingung Erde. Es ist ein pures Rechts-, also Gewaltverhältnis. Eine Einkommensquelle wird für den Eigentümer daraus, weil andere, Unternehmer und Konsumenten, für ein Geschäft oder das bloße Wohnen Gelände brauchen, dessen Nutzung ihnen durch die Eigentumsschranke verwehrt ist. Für die zeitweilige Aufhebung dieser Schranke, also dafür, dass er anderen die Nutzung seiner Flächen erlaubt, verlangt der Grundeigentümer einen Preis.
In den Tausch Nutzung gegen Pacht bringen die Grundeigentümer keine eigene Leistung, keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung ein. Überhaupt haben sie mit der Produktion von Gütern und Diensten, von denen die Gesellschaft lebt, und mit der Arbeit, die dafür aufgewendet wird, nichts zu tun. Ihr Einkommen beruht darauf, ist also auch darauf angewiesen, dass andere ihren Grund nutzen und den gesellschaftlichen Reichtum hervorbringen, an dem sie partizipieren. Sie machen schlicht ihre Ausschließungsmacht zu Geld. Der Preis für das Nutzungsrecht einer bloßen natürlichen Voraussetzung für Produktion und Konsumtion aller Art ist dem ökonomischen Gehalt nach ein Tribut, den die Monopolisten des Bodens den anderen Klassen der Gesellschaft abverlangen.[1]
Mit dem Prinzip seines Erwerbs – der Eigentümer lässt keinen auf seinem Grund wirtschaften oder leben, ohne einen Eintrittspreis dafür zu kassieren – ist auch schon erklärt, warum die Mietpreise pro Quadratmeter so total verschieden ausfallen. Pachten für Geschäftsflächen in Innenstädten übersteigen die für z.B. Wiesen auf dem flachen Land um den Faktor Hundert oder Tausend. Das belehrt darüber, dass das Nutzungsrecht, das da gehandelt wird, kein eigenes Maß seines Werts hat: In die Bereitstellung des Bodens ist eben kein Aufwand eingegangen, um dessen rentable Verwertung sich bei produzierten Waren die Konkurrenz der Verkäufer dreht. Der Boden ist nur eine natürliche Bedingung für die Produktion von Reichtum. Was die Macht, zu ihr Zugang zu gewähren bzw. von ihr auszuschließen, wert ist, hängt ganz davon ab, was ihre Nutzer daraus machen können. So bestimmt auf diesem Markt tatsächlich einmal allein die Konkurrenz der Pächter um Flächen in Relation zur Größe des Angebots die Höhe von Pachten und Mieten.
Was die Grundeigentümer in dieser Konkurrenz in der Hand haben, sind zufällig vorhandene natürliche oder nicht natürliche Qualitäten ihrer Liegenschaften, die verschiedenen Nutzern verschiedene geschäftliche Vorteile bieten und daher höhere Mietforderungen erlauben. Für agrarische Nutzung spielen Bodenfruchtbarkeit und Bewässerung ihre Rolle, für industrielle und Handelsgeschäfte kommt es auf die Lage von Grundstücken an, auf die Nähe zu einer oder die Lokalität in einer Stadt, auf Verkehrsanbindung, Infrastruktur etc. Ähnliche und noch andere Gesichtspunkte entscheiden über die Attraktivität von Grundstücken für Wohnbauten. All diese Qualitäten entscheiden über die Größe der Nachfrage und die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager. Um das Interesse an ihren Grundstücken zu steigern, betätigen sich Grundeigentümer bisweilen sogar als Investoren: Sie setzen Geld ein, nicht um ein Kapitalgeschäft in Gang zu setzen und Profit oder Zins zu verdienen, sondern um durch Erschließung, Verkehrszugang und Bebauung die Gebrauchseigenschaften ihrer Flächen zu verbessern und eine höhere Grundrente verlangen zu können.
II. Der Bodenpreis – der spekulative Wert des Grundeigentums
Der Eigentümer nutzt sein Verfügungsrecht über sein Grundstück zweitens so, dass er es endgültig aus der Hand gibt und zu Geld macht. Wenn Boden verkauft wird, wird ein reines Rechtsverhältnis zum Handelsobjekt: Die Macht der Ausschließung anderer bekommt einen Preis. Nach dem Muster, was Geld abwirft, ist selbst Geld wert, resultiert der Preis des Eigentumsrechts aus dem ökonomischen Nutzen, den es seinem Inhaber in Form von Pacht und Miete regelmäßig einbringt.
Wenn sie ihrem Boden einen Preis geben, praktizieren Grundeigentümer eine Analogie ihres Eigentums zum Kapital. Während der Unternehmer sein Kapital zur Quelle zusätzlichen neuen Eigentums macht, indem er käufliche Arbeit für dessen Verwertung in Dienst nimmt, zieht der Grundeigentümer nur Geld an sich, das er fremder Gewinnerwirtschaftung oder fremdem Konsum abnehmen kann. Für ihn funktioniert sein Boden gleichwohl als Quelle von regelmäßigen Einkünften wie für den Kapitalisten das Kapital. Entsprechend betrachtet der Grundeigentümer die Miete, die er kassiert, als Frucht seines Eigentums. Für dessen Bewertung bietet der Vergleich seines Ertrags mit dem marktüblichen Zinssatz einen ersten Anhaltspunkt: Die Betrachtung der Mieteinnahmen als Zins fingiert einen Kapitalwert, der dem Grundstück zukommt – eine Hochrechnung des Kapitals aus der Größe seiner Erträge ganz analog zur Bewertung der Aktien. Der Boden, nicht bearbeitete Natur, wird zu fiktivem Kapital, weil die ausschließende Verfügung über ihn die Macht einschließt, einen Tribut für seine Nutzung zu verlangen, und so regelmäßige Einkünfte generiert.
Der Vergleich der aktuell gezahlten Pacht mit dem durchschnittlichen Zins ist freilich nur der Einstieg in die Ermittlung des Bodenwerts: Immerhin ist das Handelsobjekt eine Ertragsquelle, ge- und verkauft wird der Zugang zu künftigen Einnahmen. Alles, was die Rente in Zukunft steigen lassen könnte, neue Verkehrswege und Bebauung, überhaupt die Entwicklung des lokalen Umfelds, der regionalen und nationalen Volkswirtschaft, alles das geht in die Antizipation künftiger Mieterträge ein und wird zur Hochrechnung des Werts dieses fiktiven Kapitals hergenommen. Auf der anderen Seite gehen Vermutungen über die Entwicklung der Zinsen wie überhaupt aller alternativen Formen, Geld in ertragbringende Anlagen zu stecken, in diese Hochrechnung ein, so dass allein schon Phasen niedriger Zinsen oder schwacher Aktienmärkte steigende Preisforderungen für Grundstücke begründen.[2] Was immer ein Verkäufer von Grund und Boden sich als relative zukünftige Attraktivität seines Objekts vorstellen kann, will er in dessen Preis heute schon realisiert und bezahlt bekommen.
Den spekulativen Preis muss die Käuferseite natürlich erst noch anerkennen. Sie stellt zunächst die zum Verkäufer komplementäre Rechnung an: Der Preis für den Boden, den sie nutzt, ist für sie die Kost, um sich vom Tribut an den Grundeigentümer freizukaufen. So ist dann auch der Käufer mit der Kapitalisierung von Pacht oder Miete befasst: Um die Bodenrente zu vermeiden, kauft er die Quelle – und bemisst deren Wert anhand des Mietzinses, den er spart. Verkäufer und Käufer eines Grundstücks konkurrieren um die spekulative Einschätzung von Mieten und Bodenpreisen in der Zukunft und ums Verhältnis dieser beiden Größen. Damit finden sich die Käufer, die ein Grundstück nutzen wollen, mittendrin in einem viel größeren Markt, in dem sie mit ihrer Nachfrage nur einen kleinen Teil ausmachen: Wo der Boden als fiktives Kapital bewertet, wo er ge- oder verkauft wird je nach Schätzung der Entwicklung seines Wertes, da wird er – auch ohne alle Nutzungsabsichten – als eine Form der Geldkapitalanlage gehandelt, mit alternativen Anlagen dieser Art verglichen und gegen sie ausgetauscht. Der Immobilienmarkt ist Teil des allgemeineren Marktes für den Handel mit fiktivem Kapital; seine Akteure sind die großen Geldhäuser, Fonds, Versicherungen, die auch sonst die Kurschancen und Risiken von Aktien, Schuldpapieren, Devisen etc. abschätzen und ihnen wie den Immobilien durch ihre Anlageentscheidungen die je gültigen Marktpreise verpassen. Wie den Anstieg so bewirken sie auch den Fall der Immobilienpreise mit ihren Einschätzungen der Zukunft dieser Preise und des wirtschaftlichen Umfelds, aus dem die Nachfrage nach Immobilien und die Zahlungsbereitschaft der Kunden hervorgehen. Der Immobilienmarkt genießt dadurch eine paradoxe doppelte Wertschätzung: Einerseits stehen Grund und Boden, weil sie jenseits aller Konjunkturen unentbehrliche Bedingung aller Geschäfte und des Lebens überhaupt sind, im Ruf „reale Werte“ – im Englischen heißen sie gleich danach: „Real Estate“ – zu sein und eine Absicherung gegen das volatile Auf und Ab der Finanzmärkte zu erlauben; andererseits kennt man die totale Abhängigkeit des fiktiven Bodenwerts von den Konjunkturen der übrigen Geschäfte immerhin so gut, dass man die Preisbewegungen dieses Segments als Frühindikatoren allgemeiner Krisen wie Aufschwünge ansieht.
In jedem Fall verdeckt der Umstand, dass der Boden als fiktives Kapital gehandelt wird, dass er kein Kapital ist und dass kein Kapitalvorschuss in ihn eingegangen ist. Denn wo immer Flächen die Hände wechseln, investiert der Käufer Geld nicht anders als beim Erwerb von Firmen, Aktien oder Wertpapieren. Die Klasse der Grundeigentümer – immerhin die Besitzer einer der drei polit-ökonomischen Revenuequellen des Kapitalismus – ist darüber als soziale Größe verschwunden. Die früheren Großgrundbesitzer und Landjunker haben Karriere gemacht und sind im größeren Kollektiv der Geldkapitalisten aufgegangen: Ihr Grundbesitz ist für sie zur reinen Finanzmasse, zu einem Posten ihres Geldvermögens geworden; für den Staat, den anderen großen Grundbesitzer, ist die Hoheit über Territorium zu einer Form geldwerten Privatreichtums geworden.
III. Pacht und Miete haben die Bodenpreise zu rechtfertigen: Die Subsumtion des kapitalistischen Gebrauchs unter die Qualität des Bodens als fiktives Kapital
Das Monopol auf Grund und Boden ermächtigt den Eigentümer, dem Nutzer einen Tribut abzufordern, und der regelmäßige Tribut erlaubt ihm, seinem Monopol einen fiktiven Kapitalwert zuzurechnen. Damit emanzipiert sich der hochgerechnete Wert dieser Ertragsquelle aber auch von dem Tribut, auf dem er beruht: Er wird eben über einen Vergleich der Miete mit einem sich ändernden Zinsniveau, mit alternativen Formen der Geldanlage, durch Antizipation der künftigen Attraktivität des Grundstücks sowie eine konkurrierende Spekulation auf all diese Größen ermittelt. Der gezahlte oder auch nur per Vergleich beanspruchte Bodenwert bestimmt dann, wie viel Miete verlangt werden muss, um dieses fiktive Kapital angemessen zu verzinsen. Der fiktive Kapitalwert des Bodens, den es nur wegen der Grundrente gibt, unterwirft diese Rente seinem Verwertungsanspruch und tritt damit in Gegensatz zur kommerziellen Nutzung des Bodens – erst recht natürlich zum gewöhnlichen Wohnen. Die Kosten, die Mieter zu tragen haben, richten sich nicht nach der Konkurrenz, die sie mit ihren geschäftlichen Rechnungen ihresgleichen um die Nutzung von Flächen und Immobilien liefern; umgekehrt hat sich die Leistungsfähigkeit der Nachfrager an Mieten abzuarbeiten, die von Grundstückspreisen diktiert werden, die die Bodenspekulation hervortreibt. So wird die ganze Gesellschaft mit ihrer Angewiesenheit auf ein Stück Erdoberfläche für die Bestätigung und Erhaltung des fiktiven Bodenkapitals in Haftung genommen: Sie hat dessen Verzinsung zu leisten.[3]
Der genannte Widerspruch, der aus der Doppelbestimmung von Immobilien als gewerblich genutzte Mietobjekte, deren Kosten das Geschäft des Nutzers tragen muss, und als fiktives Kapital, das einen davon unabhängigen Verwertungsanspruch verkörpert, hervorgeht, macht sich sogar dann geltend, wenn Eigentümer und Nutzer dieselbe natürliche oder juristische Person sind: Für ein Unternehmen sind Werksgelände, Büro- oder Handelsimmobilien, die es besitzt, einerseits Kapitalvermögen, das seiner spekulativen Wertgröße entsprechende Zinserträge abwerfen muss, andererseits sind dieselben Flächen Betriebsmittel: Bilanztechnisch berechnet sich das Unternehmen für selbstgenutzte Immobilien nach ihrem fiktiven Kapitalwert entgangene Mieteinnahmen und belastet mit diesen fiktiven Verlusten das sonstige Geschäftsergebnis. Der Renditeanspruch aufs Grundvermögen verteuert den Geschäftsbetrieb und schmälert dessen Rentabilität: Das laufende reale Geschäft mit Produktion und Handel von Waren muss in jedem Fall mehr als die „Kapitalkosten“ für den sich ändernden Schätzwert des Grundvermögens erwirtschaften – sonst ist es rundum sinnlos gewesen. Umgekehrt lässt sich der fiktive Kapitalwert des Grundvermögens nicht nutzen, d.h. realisieren, solange die Firma es real als Betriebsgelände nutzt.[4] Dasselbe gilt für den Besitzer eines Eigenheims: Solange er darin wohnt, funktioniert es für ihn als Gebrauchswert und nicht als Kapital, zugleich behält er die Wertentwicklung seiner Immobilie im Auge, nicht nur, um sein Vermögen abzuschätzen und seinen Akkumulationstrieb rein theoretisch zu befriedigen, sondern auch, weil dieser Wert als Sicherheit für die Schulden fungiert, die er für den Hauskauf aufgenommen hat oder sich per Verpfändung seines Eigentums für sonstige Ausgaben leistet.[5]
Bei aller Verselbständigung bleibt das fiktive Bodenkapital, das sich die Nutzung des Bodens unterwirft, von dieser Nutzung abhängig: Wenn auf Dauer Mieten nicht zu erzielen sind, die das fiktive Kapital, das die Immobilien repräsentieren, verzinsen, dann misslingt die Rechtfertigung ihres spekulativen Werts und die Preise der schönen „Realien“ kollabieren. Immobilienblasen zeugen eben von beidem. Erstens von der Macht der Spekulation: Die pure Erwartung steigender Immobilienpreise löst einen Run auf solche Objekte aus und der bewirkt tatsächlich das Steigen dieser Preise und bereichert die Investoren. Der erfolgreiche Verlauf der Spekulation ist dann der beste und stärkste Grund ihrer Fortsetzung. Wo auf die Wertsteigerung von Immobilien gesetzt wird, werden die Mieteinnahmen daraus – immerhin die Verwertung dieses fiktiven Kapitals – zu nur noch einem Faktor der Rechtfertigung dieses Werts; ein Mittel, auf das sich zeitweise und manchmal sogar ziemlich lange verzichten lässt: Leerstand, der Ausfall laufender Einnahmen, kann besser sein, als durch erzielbare aber niedrige Mieten das Objekt zu entwerten bzw. dessen eingetretene Entwertung einzugestehen. Erst wenn sie dann platzen, zeugen Immobilienblasen zweitens davon, dass der Wert dieser Objekte eine spekulative Größe ist, die sich in Luft auflöst, wenn sie dauerhaft keine Bestätigung durch die entsprechende Verzinsung erfährt oder sich die Spekulation aus sonstigen Gründen dreht.
IV. Der Staat anerkennt, organisiert und beschränkt das Grundeigentum: Raumordnung und Flächennutzungsplan
Das Grundeigentum ist selbstverständlicher Teil der freiheitlichen Ordnung und steht wie jedes andere Eigentum unter dem Schutz des Staates. Der scheut auch den beachtlichen Zusatzaufwand nicht, den es braucht, um der Erde, dem gemeinsamen Lebensraum der Gesellschaft, die Form des Privateigentums zu verpassen und einem Eigentümer die ausschließende Verfügung darüber zu sichern: Land gewinnt seine Identität als eine Sache, die jemandem gehören kann, erst durch eine Grenzziehung, die der Staat den Eigentümern und den von ihnen und nach ihren Interessen errichteten Zäunen und Grenzsteinen nicht überlassen kann. Mit hoheitlicher Landvermessung, einem Katasteramt, das jeden Quadratmeter des Landes eindeutig zuordnet, und einem dazugehörigen Gericht macht er sich selbst zum Organisator dieser Form des Eigentums.
Von der früher mehr, heute gar nicht mehr verbreiteten Kritik, diese schmarotzende Klasse passe nicht in die Marktwirtschaft, in der sich doch alles um Leistung und Äquivalententausch zu drehen hat, lässt sich der bürgerliche Staat nicht beeindrucken. Als die Verfassungsväter das Privateigentum als allgemeines Ordnungsprinzip der Gesellschaft festschrieben und es nicht nur auf bewegliche Güter, sondern auf alles anwendeten, worüber sich ausschließlich verfügen lässt, hat wohl keiner von ihnen gewusst, aber auch gar nicht wissen müssen, dass sie mit dem Grundeigentum ein ganz besonderes Fundament des Kapitalismus aus vorkapitalistischen Zeiten herüberretten: Die Nichtverfügbarkeit der elementaren Arbeits- und Lebensbedingung Erde für die große Masse ist tatsächlich die unverzichtbare Grundlage dieser Produktionsweise: Wo es kein frei zugängliches Gelände mehr gibt, ist der eigentumslosen Mehrheit die eigenständige Subsistenz verunmöglicht. Was historisch der Ausschluss vom Ackerboden als dem ersten agrarischen Produktionsmittel war, wirkt auch im entwickelten Kapitalismus, wo kaum jemandem das Dasein als Subsistenzbauer verwehrt werden muss, noch als ein gewaltiger Zwang zum Geldverdienen: Leute, die allein für einen Ort, wo sie hausen, bezahlen müssen, brauchen Geld. Und das können sie angesichts der Verteilung des produktiven Eigentums und schon gleich auf dem heutigen Entwicklungsstand der gesellschaftlichen Arbeit nur in den Diensten von Unternehmern verdienen, die ihre Arbeitsbereitschaft produktiv machen und bezahlen. So wirkt das Grundeigentum bleibend als Fessel, die die Massen auf den Dienst am Kapital festlegt.[6] Wie konsequent der deutsche Staat an dieser Grundlage seiner Ordnung festhält, belegt nicht zuletzt die Annexion der DDR. Dass der verblichene „Staat der Arbeiter und Bauern“ Grund und Boden in „Volkseigentum“ überführt hatte, wird als systemwidriges Unrecht verworfen; so radikal, dass sogar enteignetes Junkerland weitgehend den Erben der längst verstorbenen vormaligen Eigentümer zurückgegeben wird.
Mit dem Grundrechtsschutz für diese besondere Form des Privateigentums sind alle seine Konsequenzen mit eingekauft und gebilligt. Auch der Tribut, den es den anderen Klassen auferlegt, geht in Ordnung, solange der Staat ihn als Beteiligung an den Ergebnissen von deren wirtschaftlicher Aktivität gelten lässt und nicht als Wucher, als ruinöse Ausbeutung einer Abhängigkeit betrachtet, die die wirtschaftliche Betätigung der anderen Klassen beschädigt oder abwürgt. Da in der Konkurrenz um Flächen, die das Grundeigentum den verschiedenen Nutzern aufnötigt, manche Nutzungsarten – vor allem das Wohnen und die Landwirtschaft – nur sehr schlecht zum Zug kommen; da ferner die Nutzungsarten einander stören und verunmöglichen, wenn sie rein nach dem Prinzip des höchsten Angebots zusammengewürfelt und zusammengedrängt werden, erzwingt der Staat die Koexistenz der Eigentums- und Nutzungsformen, indem er die Freiheit im Gebrauch des Grundeigentums beschränkt: Er erlässt eine Raumordnung und einen Flächennutzungsplan, überlässt es also nicht dem Geschäftssinn der Grundbesitzer zu entscheiden, wie viel und wo sie Gelände für die agrarische Lebensmittelproduktion oder fürs Wohnbedürfnis des Volkes zur Verfügung stellen, wenn sie für ihre Grundstücke von potenten Industrie- und Handelsunternehmen viel höhere Mieten kassieren können. Der Staat trennt im Flächennutzungsplan Agrar- von Gewerbeflächen und beide von Wohngebieten und versieht jede ausgewiesene Fläche mit eigenen Nutzungsrechten. Er beschränkt die Bodenspekulation dadurch, dass die großen Nutzungsweisen nicht direkt gegeneinander konkurrieren, sondern nur gegen Interessenten ihrer Art um die für ihre Nutzung reservierten Flächen. Sofern die Ansprüche des Grundeigentums allgemeinen Staatsanliegen wie der Infrastruktur, dem Städtebau etc. im Weg stehen, betätigt sich der Staat als oberster Grundherr, von dessen Lizenz die privaten Grundherren nur zehren, und enteignet notfalls – freilich auch das unter großem Respekt vor dem Eigentum. Eine in der Regel geldwerte Entschädigung hält den Kummer der Betroffenen in Grenzen, ja verschafft ihnen manchmal Gewinne, die der Markt nicht hergegeben hätte. Schließlich sind öffentliche Vorhaben immer Quellen der Steigerung des Bodenwerts und dadurch wieder Daten und Gelegenheiten der Spekulation: Wo das Wachstum des Kapitals Bedarf nach Gewerbegebieten und zusätzlichem Wohnraum erzeugt, wo Städte und Gemeinden neue Industrieflächen und Bauland ausweisen und mit dem Anschluss an Versorgungsnetze und Verkehrswege für die materiellen Bedingungen der Nutzung sorgen, steigen die Bodenpreise. Behördliche Beschlüsse zur Festlegung oder Veränderung von Nutzungsrechten sind unmittelbar Geldquellen.
V. Das Geschäft mit dem Wohnen: eine soziale Konfrontation
Das Wohnen der Mehrheit, die kein Eigentum, auch kein Wohneigentum, besitzt, ist Anhängsel der Spekulation mit dem Boden. In ihren Mieten bezahlen Mieter neben Zins und Amortisation des für den Wohnungsbau vorgeschossenen Kapitals stets auch den Preis für das Grundstück bzw. die Rendite auf dessen spekulativen Wert. Bewohner der Hauptstadt und anderer deutscher Wachstumszentren bekommen es somit zu spüren, dass die Immobilienbranche diesen Städten eine glänzende Zukunft zutraut. Sie und andere Mieter büßen dafür, dass in der Finanzkrise Investoren um ihre in Schulden und Aktien investierten Vermögen fürchten, in Immobilienanlagen fliehen, dadurch die Hauspreise in die Höhe treiben und nun angemessene Renditen auf ihre Investitionen fordern.
Eine besondere Härte stellt dieses Geschäft für die Leute dar, die vom Entgelt für Arbeit leben: An der Miete, die sie aufbringen müssen, erfahren sie das Unzureichende ihrer Erwerbsquelle; und an dem Einkommen gemessen, mit dem sie auskommen müssen, erfahren sie die Ansprüche des Immobilienkapitals als ziemlich unerträglich. Was sie verdienen, richtet sich nicht nach dem Bedarf des Arbeitenden und seiner Familie, sondern danach, wie viel Lohn bei wie viel Leistung sich für das arbeitgebende Unternehmen rentiert. Um diese Rentabilität zu steigern, sind Unternehmen bekanntlich bemüht, mittels neuer Technik, Arbeitsorganisation und schierem Druck die Lohnkosten zu senken und die umsatz- und ertragswirksame Leistung, die sie den Beschäftigten abverlangen, zu vergrößern. Und was dieser knapp gehaltene Kostenfaktor Arbeit für das Grundbedürfnis Wohnen – immerhin die größte einzelne Ausgabe seines Haushalts – aufwenden muss, richtet sich nicht nach seinen finanziellen Möglichkeiten, sondern nach den Verwertungsansprüchen einer schmarotzenden Klasse grundbesitzender Finanzkapitalisten. Mit ihrer Arbeit müssen die Lohnabhängigen nicht nur das Kapital ihrer Arbeitgeber verwerten, also dafür gerade stehen, dass sich deren Kosten – für Löhne und für alles andere – als Kapital bewähren und Gewinn abwerfen; mit dem Ertrag dieser Arbeit werden sie auch noch dafür in Anspruch genommen, dass sich das Grundeigentum als fiktives Kapital bewährt und Zinsen abwirft.
Die doppelte Indienstnahme der abhängig Beschäftigten entscheidet nicht nur darüber, wie wenig Geld am Ende für die sonstigen Lebensnotwendigkeiten und Bedürfnisse übrig bleibt, sie entscheidet auch darüber, wie das proletarische Wohnen aussieht. Nicht auf Kosten ihrer Rendite, wohl aber auf Kosten des Gebrauchswerts der Wohnung gehen Vermieter nämlich schon auf die Zahlungsfähigkeit dieser Kundschaft ein: Normal- und Schlechterverdiener finden ihre Wohnung in den weniger attraktiven Vierteln, wo Hausbesitzer bei geringeren Bodenpreisen aus herabgewirtschafteten Häusern, in deren Instandhaltung sie nichts investieren, kleinere – dabei keineswegs weniger – rentable Mieten herausholen. Wird für solche wenig solventen Mieter gebaut, dann fordert die Rendite auf die teuren Quadratmeterpreise eine entsprechende Architektur: Verdichtung der Bebauung und Höhe sind die Mittel der Wahl, um aus möglichst wenig verbautem Grund möglichst viele, knapp geschnittene Wohnungen und aus ihnen ein Maximum an Mieten herauszuholen, die diesem Kundensegment abverlangt werden können.
VI. Der Staat bewirtschaftet den Wohnungsmarkt: Die Armut und das Geschäft, das sie beansprucht, müssen koexistieren können
Jede der vielfältigen Maßnahmen der Miet- und Wohnungsbaupolitik legt Zeugnis ab von der Unvereinbarkeit der Renditeansprüche des Grundeigentums mit dem Massenbedarf an bezahlbarem Wohnraum; und davon, dass diese konfligierenden Ansprüche vereinbar gemacht werden müssen: Auch die weniger bemittelte Mehrheit des Volkes muss wohnen und eine Wohnung bezahlen können. Ebenso notwendig ist unter kapitalistischen Bedingungen aber auch, dass sich die Erträge auf das fiktive Bodenkapital mit Renditen alternativer Geldanlagen vergleichen können. Darauf besteht der Verband der Haus- und Grundeigentümer, sobald Politiker über irgendeine Beschränkung der Mieten nachdenken. Er warnt vor der Macht des Monopols, das er vertritt: Jede Schmälerung der Rendite auf Grund und Boden würde nur die Investitionsneigung der Eigentümer vermindern, so dass Wohnraum nur noch knapper und teurer würde. Die Befriedigung des Volksbedürfnisses nach Wohnraum – daran erinnert der Verband Staat und Öffentlichkeit – ist nun einmal seinen Mitgliedern überantwortet; und die erfüllen ihre soziale Funktion nur, wenn sie sich für sie so gut auszahlt wie jede andere Kapitalinvestition.
Der Staat greift daher in den Wohnungsmarkt ein, in der Regel aber nicht, um selbst und auf eigene Rechnung den Bedarf nach Wohnungen zu befriedigen, sondern um die unvereinbaren Ansprüche von Anbietern und Nachfragern auf diesem Markt zusammenzuzwingen bzw. zu vermitteln. Dabei gilt ihm, wie stets, die geringste Korrektur des Marktes als die nationalökonomisch und fürs Wachstum beste. Zuallererst verlangt er von Mietern und Vermietern, dass sie selbst zu einem Ausgleich finden: Mietbedingungen, Preise und Preisänderungen werden frei vereinbart. Der Sozialstaat verlässt sich darauf, dass die Wohnungssuchenden schon von sich aus äußerste Anstrengungen unternehmen, um sich eine Bleibe zu sichern und die Geldforderungen der Gegenseite zu erfüllen. Die Wohnung ist das Grundbedürfnis der bürgerlichen Existenz, die materielle Basis des Privatlebens. Für dieses Leben, das nach der Arbeit beginnt und in dem es dem Menschen um sich gehen darf, tut sich der freie Lohnarbeiter ja überhaupt die Mühen in fremden Diensten an. Den Ort dafür, der je nach nationalem Sprachschatz „Glück allein“ verbürgt oder eine „Festung“ ist, lässt er sich so viel kosten, wie er nur kann.
Weil da aber doch zwei sehr ungleiche Seiten einen Vertrag schließen, anerkennt der Staat einen Bedarf nach einem speziellen Vertragsrecht für diesen Markt. Das Mietrecht stärkt die Position des Mieters im Wesentlichen durch einen mit der Dauer des Mietverhältnisses wachsenden Kündigungsschutz: Der Vermieter soll den Mieter nicht durch willkürliche Kündigung zur Erfüllung aller seiner Ansprüche erpressen können. Mit diesem Hauptsatz ist das Mietrecht aber noch lange nicht fertig: Es folgen kleinlichste gesetzliche Regelungen und noch mehr ins Detail gehende Rechtsprechung über alle Fragen des Mieterlebens: Darf der Mieter Haustiere halten, einen unverheirateten Partner und noch andere Mitbewohner haben, darf er rauchen, Musik und Lärm machen und wenn ja, wie lange und wie oft? Es ist geregelt, in welchen Fristen er renovieren muss, aber auch wie viel oder wenig er dabei die Wohnung verändern und seinen Bedürfnissen anpassen darf, ohne dass der Hausherr einschreiten kann. Was das Mietrecht da regelt, ist die qualitative Unvereinbarkeit der beiderseitigen Ansprüche: Hier wird fremdes Eigentum zum Lebensmittelpunkt des Mieters; der Raum seiner Selbstverwirklichung gehört einem anderen, der das Recht an seinem Eigentum durch die Vermietung ja nicht aufgibt. Eigene Lebensgestaltung muss auch dem eigentumslosen Mieter möglich sein, die aber darf das Eigentumsrecht des Vermieters nicht verletzen. So sichert das Gesetz dem Mieter ein begrenztes Recht auf Heim und Heimat; der Vermieter muss zu einem gewissen Grad dulden, dass der Mieter sich in seinem Eigentum einrichtet und festsetzt; er soll ihn aus der Wohnung nur ausnahmsweise vertreiben können; dann nämlich, wenn der die Miete oder andere Pflichten eines Mieters schuldig bleibt, oder wenn der Hausherr selbst das Objekt beziehen will.
Das unabweisbare Wohnbedürfnis und schon gleich der Wille, sich ein Nest zu bauen, liefert die Mieter natürlich trotz Kündigungsschutz den Preisforderungen der Vermieter aus. Der Staat hilft gegen maßlose Mieten, indem er in einem amtlichen Mietspiegel einen Rahmen für die lokalen Quadratmeterpreise vorgibt, an die sich die Gerichte auch halten, wenn sie Mietstreitigkeiten zu schlichten und Mietwucher zu unterbinden haben. Bei dieser Vorgabe orientiert sich der Staat, der das Geschäft der Vermieter eben auch nicht beschädigen will, an den faktisch gezahlten Mieten in einer Stadt für vergleichbare Wohnlagen und Wohnungsqualitäten: Dieser durchschnittlich gezahlte Mietzins darf bei Erhöhungen im laufenden Mietverhältnis nicht überschritten werden, Für Neuvermietungen, die einmal in Kraft in den Mietspiegel eingehen, gilt die Grenze nicht, so dass die Orientierung an ihm ganz von selbst eine permanente Steigerung der Mieten mit sich bringt.
Die Erfahrung steigender Mieten, die man sich nicht leisten kann, befördert bei den Betroffenen vor allem eines: den Wunsch und Plan, selbst Wohnungseigentümer zu werden, um den Forderungen der Vermieter zu entgehen. Die Anschaffung eines Hauses oder einer Wohnung kann sich ein gestresster Mieter natürlich erst recht nicht leisten. Der Hypothekenkredit, der fürs Eigenheim aufgenommen wird, verschafft dem Bauherrn gewöhnlich für den Rest seines Lebens eine Schuld bei seiner Bank, die er nun statt der Miete bedienen muss. Nur wenn alles gut geht, ist das Haus bis zum Rentenalter schuldenfrei; wenn der Eigenheimbesitzer aber vorher die Kreditbedienung schuldig bleibt, dann bleibt ihm nicht das Haus, sondern die Grundschuld als größter Besitzstand. Damit es so weit nicht kommt, ist Sparsamkeit in der Lebenshaltung und die Bereitschaft verlangt, alles zu tun, um dauerhaft und immer mehr Geld zu verdienen. Nichts kettet den eigentumslosen Arbeitnehmer praktisch und weltanschaulich so fest an die Verhältnisse, in denen er nur andere reich macht, wenn er für sich arbeitet, als das Projekt, selbst Eigentümer und heimisch zu werden in dieser Welt des Eigentums. So einer sieht sich dann nicht mehr als Proletarier, der wohnen, sondern als Eigentümer, der sich sein Eigentum leisten können muss. Der Sozialstaat schätzt und unterstützt diese individuellen Anstrengungen, die Wohnungsnot zu bewältigen, nicht nur weil so private Rücklagen und Sparbeiträge für die Lösung des sozialen Problems mobilisiert werden, sondern auch wegen des sittlichen Werts des Wohneigentums für den kleinen Mann. Dafür fördert er das Bausparen und subventioniert nicht gewinnorientierte Wohnungsbaugesellschaften und Siedlungswerke.
Erst wenn private Investoren mit ihrem Geschäft und kleine Hauseigentümer mit ihren Sparanstrengungen die Wohnungsnot nicht genug lindern, tritt der Staat selbst als Bauherr auf oder macht private Investitionen im sozialen Wohnungsbau mit politischer Nachhilfe rentabel: Wenn sie entsprechend billig bauen und sich für eine Reihe von Jahren mit nur kostendeckenden Mieten zufrieden geben, erlässt er privaten Bauherren Steuern und Zinsen und eröffnet ihnen so eine alternative Rentabilitätsrechnung. Nach Ablauf der Sperrfrist sind sie sowieso frei, herauszuholen, was der Markt hergibt. In den letzten Jahrzehnten verwandeln auch Kommunen und öffentliche Bauträger ihre Sozialinvestitionen immer öfter in ein Geschäft für die öffentliche Hand: Sie veräußern ihren Bestand an Sozialwohnungen, oft ganze Wohnungsgenossenschaften und Wohnbezirke an internationale Immobilienfonds, machen so die sozialen Aufwendungen der Vergangenheit zur Quelle der Staatsfinanzen und mobilisieren privates Kapital für das unterste Segment des Wohnungsmarktes.
Dass die ganze gut verwaltete Wohnungsnot durch den Bau ausreichender Wohnflächen gar nicht zu bewältigen ist, weil die andere Seite der Armut, der Geldmangel der Mieter, damit nicht aus der Welt ist, anerkennt der Staat bei einer Minderheit seiner Bürger: Ihnen bewilligt er auf Antrag Wohngeld. Mit diesem Zuschuss, den sie gleich bei ihren Vermietern abliefern, werden die richtig armen Familien in Stand gesetzt, deren Mietpreisforderungen zu erfüllen. Es ist nicht leicht zu entscheiden, wer hier eigentlich subventioniert wird. Den absoluten GAU der bürgerlichen Existenz, die Obdachlosigkeit, verhindert der Staat schließlich bei Sozialhilfe-Empfängern, deren Miete für eine ihrem Status entsprechende Bleibe er übernimmt.
VII. Mieterprotest
ist von Mietern eher nicht zu erwarten. Die sind mit viel Arbeit und Sparen damit beschäftigt, das Geld zu beschaffen, das sie den Vermietern für ihr wichtigstes Gut, ihr Heim, berappen müssen. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn Kleinverdiener an der Front, wo sie selbst Preise verlangen und die Abhängigkeit des Arbeitgebers von ihren Diensten ausreizen könnten, bescheiden nehmen, was man ihnen bietet, dort aber, wo sie alleine als Konsumenten einem fertigen Wohnungsmarkt mit seinem Preisgefüge gegenüberstehen, den Kämpfer machen würden. Wenn jemand Wohnungsnot und unbezahlbare Mieten anprangert, dann der zuständige professionelle Interessenvertreter. Der Mieterbund sieht den Sozialstaat – immer ein Stück mehr als dieser sich selbst – in der Verantwortung für das Grundbedürfnis Wohnen. Politiker lassen sich von ihm an diese Fürsorgepflicht auch erinnern und erklären sich schon mal zur Schutzmacht des anerkannten Volksbedürfnisses. Angesichts rapide steigender Mieten erwägen sie glatt, eine Mietpreisbremse zu installieren; keine Senkung der Mieten, nicht einmal Preisstabilität versprechen sie, sondern eine Verlangsamung des Preisanstiegs. Und auch diese Bremse problematisieren sie gleich mit Blick auf den Widerstand der Grundbesitzer, die drohen, dann auch die Volksversorgung mit Wohnraum zu bremsen. Mancherorts denken Lokalpolitiker laut über eine gewisse Wiederaufnahme des vor Jahrzehnten eingestellten Sozialen Wohnungsbaus nach. Mit solchen Initiativen nehmen sie sich in Arbeitsteilung mit den Mieterfunktionären der Nöte der Mieter an und verwalten deren unvermeidliche Unzufriedenheit.
Es ist eine andere, nämlich die linke Szene, die sich weniger vom Normalfall des teuren Wohnens als vom Sonderfall der „Gentrifizierung“ zu weitergehendem Widerstand herausgefordert sieht. Wenn Investoren ganze Häuserzeilen und heruntergekommene Viertel sanieren, aufwerten und hinterher viel teurer an eine betuchte Kundschaft vermieten, ist für diese kritischen Köpfe der Punkt erreicht, an dem das Grundbedürfnis Wohnen mit den Ansprüchen des Immobilienkapitals unvereinbar wird. Der Mietzins, für den sich die Mieter ja auch sonst krummlegen, wird für die Protestmannschaft zum Unrecht, sobald er zur absoluten Schranke fürs Wohnen wird und Aus- und Umzüge anstehen. Als Kampfansage nimmt sie Entmietungen, die auf einen Schlag ein ganzes ärmeres Mietermilieu treffen und sich gewisser Methoden bedienen, die mit dem zivilen Verkehr freier Privatpersonen schlecht in Einklang zu bringen sind: Wo die Herrichtung eines Mietshauses zur Dauerbaustelle mit Lärm und Dreck nicht genügt, um Mieter zum Ausziehen zu bewegen, greifen Sanierer bekanntlich auch zu gröberen Formen des Terrors. Fälle davon, aber auch ordentliche Zwangsräumungen durch die Polizei sind dann die Skandale, die gutwillige Menschen empören. Im Entmietungsterror gegen arme Mieter fasst sich für diese Kritikfraktion der ganze Kapitalismus der Wohnungswirtschaft zusammen: Die Raffgier weniger verweigert den vielen die Befriedigung eines Grundbedürfnisses, ja überhaupt den menschlichen Respekt.
Die soziale Gegenwehr besteht bei einem Teil der Gentrifizierungskritiker in der Radikalisierung der Aktivitäten des Mieterbunds: Rechtshilfe gegen drohende Zwangsräumung, nachbarschaftliche Unterstützung der Betroffenen, Appelle an die Stadtverwaltung, auch mal in Form von Stadtteilversammlungen und Demonstrationen gegen Spekulation und Mietwucher. Der Protest kann gar nicht anders, als sich hilfesuchend an die lokale und nationale Politik zu richten, die ihre Schutzbefohlenen vor Luxussanierung und erzwungenen Umzügen verschonen und dem Geschäft mit dem Wohnen Schranken setzen soll.
Kaum anders argumentiert der andere Teil der Szene, der
Hausbesetzungen und Randale gegen die Staatsgewalt
angebracht findet, wenn alternative Stadtteilzentren
geschlossen werden oder die Viertel, in denen das
alternative Milieu selbst zuhause ist, der
Gentrifizierung anheimfallen. Auch die Militanten
exemplifizieren das Unrecht, gegen das sie aufstehen, am
überzeugendsten an einer Oma, die schon 40 Jahre in ihrer
Wohnung und im Viertel lebt und im hohen Alter vertrieben
wird. Die rührende Geschichte verschiebt den ökonomischen
Gegensatz von Mieter und Vermieter auf ein anderes Feld:
Dass sich die alte Frau mit ihrer Sozialrente die Miete
nach der Sanierung von Haus und Stadtteil nicht mehr
leisten kann, dass also die Armut der Grund ihres
erzwungenen Wegzugs ist, kommt immerhin noch vor; aber
nur als Voraussetzung einer fundamentaleren Armut: Der
eigentliche Schaden, den die Immobilienspekulanten ihr
antun, bezieht sich auf die Individualität ihrer Bleibe:
auf diese Wohnung, diese Straße,
diese Umgebung, an die sie gewöhnt ist, in der
sie zurechtkommt und sich zuhause fühlt. Betrogen wird
sie um ihr Recht auf Heimat! Und in dieser Rolle
sieht die Protestszene sich durchaus selbst, wenn sie
ihren alternativen Kultur- und Lebensraum gegen
Gentrifizierung verteidigt. Der Protest präsentiert sich
antikapitalistisch und systemkritisch. Was ihn aber
wirklich antreibt, womit er menschlich und respektabel
rüberkommt, ist das Gegenteil davon: Unter der Parole:
Eignen wir uns unsere Stadt, unsere Plätze und Straßen
an!
, bestehen die Aktivisten darauf, dass Straßen und
Plätze ihnen als Räume ihres Lebens in einem höheren Sinn
gehören, auch wenn ihnen dort gar nichts gehört; weil sie
in dem Stadtteil leben, ist er der ihre. Das Recht auf
Stadt
, das sie sich einfach nehmen, ist eine
Liebeserklärung an die sanierungsbedürftigen Viertel mit
den kleinen Lädchen, den Kneipen, der Hinterhofkultur und
den niedrigen Mieten, in denen sie sich mit ihrem
alternativen Lebensstil eingerichtet haben. Die Umdeutung
der Wohnung, die man bezahlen kann, in Heimat, und des
Stadtviertels, in dem man lebt, in einen Ort, wo sich’s
leben lässt, in genau die Lebensumwelt, die einem
entspricht, – diese Lebenslüge der kapitalistischen
Menschheit ist offenbar nicht auf die normalen
Lohnabhängigen beschränkt, die sich ihr Zurechtkommen um
schier jeden Preis als selbstgewähltes und geglücktes
Leben zurechtlegen. Alternative Lebenskünstler pflegen
dieselbe Alltagsideologie, wenn sie ihr Stadtviertel zum
Ausdruck ihres Lebensstils und zur alternativen Heimat
überhöhen. Mit genau diesem Bekenntnis zu einem Zuhause
werden sie im Kunst- und Kulturmilieu, bei
Intellektuellen und Lokalpolitikern auch ein Stück weit
verstanden.
Die alternative Heimatverteidigung nennt immer wieder das kapitalistische System als ihren Gegner, tatsächlich ist sie dem Anliegen entsprechend auf Einzelnes gerichtet: Sie gilt diesem Haus und diesem Kiez. Konsequent erlischt der Kampf und die damit verbundene Politisierung auch wieder, wenn die Sache durch ist. Manchmal machen Stadtväter solchem Protest gewisse Zugeständnisse, erhalten ein altes Jugendzentrum mitten im Sanierungsgebiet, verzögern Baumaßnahmen und bieten Zwischennutzungen an, so dass sich das irgendwie ja anerkannte Bedürfnis nach „Wohnlichkeit“ der Stadt halbwegs befriedigt und beruhigt findet; manchmal aber verliert sich, wenn Entmietungen durchgezogen und Baumaßnahmen abgeschlossen sind, mit dem Objekt auch einfach die Aufregung.
Sozialkämpfe an der Wohnungsfront sind nicht erst wegen ihrer Übergänge in Sozialarbeit und alternative Heimatverteidigung verkehrt; die Front selbst ist die falsche. Anders als Arbeitskräfte gegenüber ihren kapitalistischen Arbeitgebern haben Mieter gegen die Macht des Grundeigentums nichts in der Hand: Das Arbeiten können sie – unter eigenen Opfern – einstellen, also streiken, um die Gegenseite zur Erfüllung ihrer Forderungen zu zwingen; das Wohnen nicht einmal zeitweilig. Unter der herrschenden Rechtsordnung bleiben Mieter abhängig davon, dass Grundeigentümer sie auf ihrem Grund und zu ihren Bedingungen wohnen lassen. Protest dagegen kann nichts anderes sein als eine Eskalation des Jammerns: Petitionen an die Behörden, Demonstrationen und auch Schlägereien mit der Polizei, zu denen Häuserkämpfer allenfalls fähig sind, bleiben Dokumente der Ohnmacht.
[1] Im dritten Band des ‚Kapital‘, in dem Marx auch die kapitalistische Grundrente abhandelt, klingt das so: Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den anderen einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, MEW 25, S. 782)
[2] Profis der
Bodenspekulation erklären die gegenwärtig stark
steigenden Immobilienpreise so: Die Preise sind in
der Tat überdurchschnittlich hoch, aber wir würden noch
nicht von einer Überhitzung sprechen. Die hohen Preise
sind durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und
das prognostizierte Wirtschaftswachstum durchaus noch
gerechtfertigt. Größter Preistreiber ist allerdings das
Zinsniveau… Durch das extreme Niedrigzinsumfeld sind
deutsche Spitzenimmobilien immer stärker in den Fokus
von zinsgetriebenen einheimischen und ausländischen
Investoren geraten.
(M. Danne,
Vorstand der DEKA-Bank, FAZ, 4.4.14)
[3] Im Abschnitt über die Grundrente im dritten Band des ‚Kapital‘ führt Marx den Bodenpreis auf seinen systematischen Grund, eben die Pacht, zurück und erklärt damit den irrationalen Wert dieser eigentümlichen Ware, in die kein Teil des gesellschaftlichen Produktionsaufwands eingegangen ist:
Es ist die so kapitalisierte Grundrente, die den
Kaufpreis oder Wert des Bodens bildet, eine Kategorie,
die prima facie (...) irrationell ist, da die Erde
nicht das Produkt der Arbeit ist, also auch keinen Wert
hat. Andererseits aber verbirgt sich hinter dieser
irrationalen Form ein wirkliches Produktionsverhältnis.
Kauft ein Kapitalist Grund und Boden, der eine
jährliche Rente von 200 Pfd. Sterling abwirft, für 4000
Pfd. St., so bezieht er den durchschnittlichen
jährlichen Zins zu 5 % von 4000 Pfd. St., ganz ebenso,
wie wenn er dieses Kapital in zinstragenden Papieren
angelegt oder es direkt zu 5 % ausgeliehen hätte. (...)
Es ist in der Tat der Kaufpreis nicht des Bodens,
sondern der Grundrente, die er abwirft, berechnet nach
dem gewöhnlichen Zinsfuß. Diese Kapitalisierung setzt
aber die Rente voraus, während die Rente nicht
umgekehrt aus ihrer eigenen Kapitalisierung abgeleitet
und erklärt werden kann.
(Karl
Marx, Das Kapital Bd. 3, MEW 25, S. 636)
Den letzten Satz hält der Autor für nötig, weil Grundeigentümer und bürgerliche Ideologen die Sache gern umgekehrt sehen.
Der Umstand, dass die kapitalisierte Grundrente als
Bodenpreis oder Bodenwert sich darstellt und die Erde
daher wie jede andere Ware gekauft und verkauft wird,
gilt einigen Apologeten als Rechtfertigungsgrund des
Grundeigentums, indem der Käufer für es wie für jede
andere Ware ein Äquivalent gezahlt und der größte Teil
des Grundeigentums in dieser Weise die Hände gewechselt
habe. Derselbe Rechtfertigungsgrund gälte dann auch für
die Sklaverei: indem für den Sklavenhalter, der den
Sklaven bar bezahlt hat, der Ertrag von dessen Arbeit
nur den Zins des in seinem Ankauf ausgelegten Kapitals
darstellt.
(Karl Marx, op.
cit., S. 637)
Erklären lässt sich die Pacht aus dem Bodenpreis gewiss nicht, er ist schon die Verwandlung der regelmäßigen Pachtzahlungen in fiktives Kapital; der Preis, der für den Erwerb der Ertragsquelle entrichtet werden muss. Die ideologische Umkehrung, die Marx hier kritisiert, ist aber keine bloß ausgedachte Rechtfertigung von Miete und Rente, keine bloße Ideologie, sondern kapitalistische Praxis. Auf Basis der Verwandlung des Bodens in fiktives Kapital fordert tatsächlich der fiktive Kapitalwert die ihm gerecht werdende Rente. Die Verrücktheit ist nicht bloß eine des Meinens, sondern die verrückte Wirklichkeit einer Welt, in der das Kapital sich als Quelle seiner Erträge aufspielt und seine Ertragsquellen zum dadurch definierten Instrument herabsetzt.
[4] Um mit diesem Widerspruch zurechtzukommen, haben kapitalistische Unternehmen einigen Einfallsreichtum entwickelt: Außer der materiellen Nutzung ist das Betriebsgelände immer auch Reservekapital, das für den laufenden Betrieb eingesetzt werden kann, indem man es beleiht; bisweilen realisieren Firmen den fiktiven Wert ihrer Immobilien, indem sie sie verkaufen und dann zurückmieten; andere geben innerstädtische, im Wert gestiegene Betriebsflächen auf und bauen mit dem spekulativen Erlös eine größere, modernere Fabrik auf der grünen Wiese.
[5] Eine ihrer absurdesten Auswüchse hat die Doppelbestimmung von Immobilien im letzten Jahrzehnt amerikanischen Eigenheimbesitzern beschert. Vor dem Platzen der Preisblase hat das Dasein ihrer Häuser als fiktives Kapital diese Leute dank des allgemeinen Anstiegs der Hauspreise kreditwürdig und darüber in einem Grad kauf- und zahlungsfähig gemacht, den sie mit ihren beruflichen Einkommen in keiner Weise rechtfertigen konnten. Mit dem Zusammenbruch der Hauspreise bekamen sie dann die Quittung für die wirkliche Nutzung ihres fiktiven Kapitals.
Siehe dazu: GegenStandpunkt 4-12: Die amerikanische Immobilienkrise – Aufstieg und Fall des Hypothekenkredits.
[6] Marx erinnert daran, dass das Grundeigentum als Existenzgrundlage jeder auf Ausbeutung beruhenden Produktionsweise älter ist als der Kapitalismus und dass der bürgerliche Staat sich die überkommenen Formen des Grundeigentums erst gemäß gemacht hat: Er hat den Grundherren und seine Herrschaft über Leibeigene und Hintersassen abgeschafft, um ihn – der neuen Ordnung von Freiheit und Gleichheit entsprechend – als Grundeigentümer zu erhalten. Er hat die persönliche Abhängigkeit der Bauern vom Grundherren beseitigt, um die sachliche Abhängigkeit der eigentumslosen Mehrheit vom Grundeigentum zu bewahren. Dadurch hat er das Grundeigentum zum reinen, abstrakten Eigentum fortentwickelt, zu purer ausschließender Verfügungsmacht, die auf jede Nutzung der Erde durch die andern ökonomischen Klassen ihre „Geldsteuer“ aufschlägt.
Insofern ist das Monopol des Grundeigentums eine
historische Voraussetzung und bleibt fortwährende
Grundlage, der kapitalistischen Produktionsweise wie
aller früheren Produktionsweisen, die auf Ausbeutung
der Massen in einer oder der anderen Form beruhen. Die
Form aber, worin die beginnende kapitalistische
Produktionsweise das Grundeigentum vorfindet,
entspricht ihr nicht. (...) Es ist eines ihrer großen
Resultate (...), dass sie das Grundeigentum einerseits
von Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen völlig
loslöst, andererseits den Grund und Boden als
Arbeitsbedingung gänzlich vom Grundeigentum und
Grundeigentümer trennt, für den er weiter nichts
vorstellt, als eine bestimmte Geldsteuer, die er
vermittels seines Monopols vom industriellen
Kapitalisten, dem Pächter, erhebt: dass sie so sehr den
Zusammenhang loslöst, dass der Grundeigentümer sein
ganzes Leben in Konstantinopel zubringen kann, während
sein Grundeigentum in Schottland liegt. Das
Grundeigentum erhält so seine reine ökonomische Form,
durch Abstreifungen aller seiner früheren sozialen und
politischen Verbrämungen und Verquickungen ...
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 3,
MEW 25, S. 630 f)