Drei Anmerkungen zur ,Japan-Krise‘
Die Internationale der Geld- und Devisenhändler präsentieren der Wirtschaftsmacht Japan eine Abrechnung, die den Kurs des Yen fallen, und alle in ihm notierten Kapitalwerte erheblich schrumpfen lässt. Dieser Schaden für den Stoff, aus dem der kapitalistische Reichtum der Nation besteht, bleibt nicht auf die japanische beschränkt: die Konkurrenten, allen voran die USA als größter Schuldner Japans, sind sich bewusst, dass mit der japanischen auch die eigene „Volkswirtschaft“ in Mitleidenschaft gezogen wird. Einerseits wird Japan aufgetragen, seine Verantwortung für die Weltwirtschaft gefälligst wahr zu nehmen, und seine Nationalökonomie wieder auf Vordermann zu bringen; andererseits mehren sich bei den politischen Regisseuren des Weltkapitalismus die Zweifel, ob die in der Vergangenheit praktizierte Tour, mittels des IWF für die Aufrechterhaltung des weltweiten Kredits zu sorgen, noch taugt, wenn es auf einmal um einen seiner drei größten Gläubiger geht.
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Gliederung
- Rezession in Japan: Die Krise schlägt von den fernöstlichen Geschöpfen des internationalen Finanzkapitals auf einen der maßgeblichen Urheber der globalen Plethora des Kredits zurück
- Anklagende Beschwerden der Konkurrenz: Die mächtigen Partner beschwören die Gefahren der ‚Japan-Krise‘ für die Weltwirtschaft im allgemeinen und bekennen sich so zu ihrer positiven Abhängigkeit vom Kredit der andern
Drei Anmerkungen zur ‚Japan-Krise‘
Rezession in Japan: Die Krise schlägt von den fernöstlichen Geschöpfen des internationalen Finanzkapitals auf einen der maßgeblichen Urheber der globalen Plethora des Kredits zurück
Die japanische Nationalökonomie rutscht in die Rezession: Sie schrumpft, anstatt zu wachsen.
Der Sachverhalt ist banal und gehört als periodisch wiederkehrendes „Phänomen“ zur kapitalistischen Wirtschaftsweise hinzu:[1] Mit ihren Wachstumsstrategien, mit denen sie den Konkurrenzkampf um Erlöse und Profite zu bestehen und für sich zu entscheiden suchen, finanziert durch Kredit in Erwartung zukünftiger zusätzlicher Erträge, steigern marktwirtschaftliche Unternehmen die gesellschaftliche Produktion über das Maß hinaus, in dem ihre Ware überhaupt noch lohnend zu verkaufen ist. Der Absatz stockt; Händler und Produzenten geraten in Zahlungsschwierigkeiten. Vorgeschossenes Kapital verwertet sich nicht mehr; gegebener und in Anspruch genommener Kredit verwandelt sich nicht mehr in Kapital; Schuldner gehen pleite, was den Gläubiger gleichfalls schädigt. Insgesamt häufen sich die Zahlungsschwierigkeiten zwischen Firmen sowie zwischen Firmen und Banken und steigern den Kreditbedarf, dem aus eben diesem Grund immer weniger entsprochen wird, so daß Zahlungsunfähigkeit sich verallgemeinert. Soeben noch florierende und expandierende Produktionsstätten werden brachgelegt und die davon abhängigen Erwerbstätigen gleich mit, weil kein Gewinn mehr zu realisieren ist. Umgekehrt finden die Kreditinstitute für die Gelder, über die sie verfügen, sowie für ihren in Erwartung künftiger Verwertung geschöpften Kredit immer weniger lohnende Anlage, so daß der kapitalistische Gebrauchswert dieser Summen in Gefahr gerät und als Vermögen verbuchte Kredite sich in ungedeckte Schulden verwandeln. Am Ende gehen mehr Geschäft und Geschäftsmittel kaputt, als noch an Akkumulation zustandekommt; die gesellschaftliche Gesamtbilanz verbucht ein Minus. Das geht solange, bis auf geschrumpfter Kapitalbasis trotz gleichfalls reduzierter gesellschaftlicher Zahlungsfähigkeit wieder ein Wachstum zu erzielen ist – damit geht der gleiche Zirkus von neuem los… Der Kampf um Marktanteile, in dem die kapitalistischen Unternehmen negativ, als Konkurrenten aufeinander bezogen sind, in Verbindung mit dem Kreditgeschäft, das alle Geldbesitzer zu Interessenten und Nutznießern fremder Geschäftserfolge, also positiv voneinander abhängig macht, bringt so die bekannten „Konjunkturzyklen“ der freien Marktwirtschaft hervor. In der „Konjunkturphase“, in der das steigende Mißverhältnis zwischen anlagesuchenden Finanzmitteln auf der einen Seite, rentabler Geschäftstätigkeit auf der anderen Seite sich praktisch als umfassender geschäftlicher Einbruch bei Kreditgebern wie Kreditnehmern, als Wachstumskrise des Kapitals im allgemeinen geltend macht, befindet sich derzeit also – und nach vorläufiger Schätzung des zuständigen Ministerpräsidenten noch für „mindestens 1 bis 2 Jahre“ – die japanische Nationalökonomie.
Von den sachverständigen Teilen der Weltöffentlichkeit wird Japans Rezession als Folge der seit einem Jahr eskalierenden Krise in den ostasiatischen „Tigerstaaten“ wahrgenommen: Der dort stattfindende Zusammenbruch der Finanzmärkte mit weitgehender Entwertung des jeweiligen nationalen Geschäftsmittels „schlägt auf Japan durch“, weil dessen Außenhändler und Kapitalanleger am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden. Das heißt freilich auch nichts anderes, als daß Verwertungsansprüche unbedient bleiben, die japanische Kapitalisten an den Geschäftsgang in den Staaten ihrer Umgebung zu stellen haben, weil sie diese Länder in ihre Wachstumsstrategien einbezogen, sie zu ihrer Anlagesphäre gemacht haben.[2] Wenn die Nationalökonomie dieser Länder in dem Maße zusammenbricht, wie ausländisches und eben vor allem japanisches Kapital mangels hinreichender Verwertungsaussichten aus ihnen abgezogen wird, dann ist die „Wachstumskrise“ dieser Staaten insoweit auch nichts anderes als eine Verwertungskrise des Kapitals, das an diesen „emerging markets“ seine Akkumulation vorangetrieben – und eben über die Schranken der dafür in Anspruch genommenen Zahlungsfähigkeit hinausgetrieben hat, sich nun in seinen Gewinnerwartungen enttäuscht sieht und in seiner externen Anlagesphäre seinen Kredit verliert und streicht.[3] Und wenn dieser vergleichsweise geringfügige Fehlschlag gleich so große Auswirkungen hat, daß er die japanische Volkswirtschaft mit ihrem Anteil von über zwei Dritteln am Bruttosozialprodukt ganz Asiens in eine Rezession treibt, dann hat sich das japanische Kapital im allgemeinen in die Lage hineingewirtschaftet, daß seine Erträge die daran hängenden Verwertungsansprüche insgesamt nicht mehr bedienen und Kredit mangels Verwertungsgelegenheiten zugrundegeht. Mit Ursache und Wirkung verhält es sich ökonomisch also genau andersherum, als die Theorie vom „Überspringen“ der Krise aus Japans geschäftsuntüchtiger Nachbarschaft auf die kapitalistische Führungsmacht der Region es aus der Reihenfolge der Ereignisse ableitet: Die ruinierten Nationalökonomien Ostasiens sind nicht mehr und nicht weniger als die ersten Schauplätze einer Krise, in die das zu so folgenreichen Leistungen überhaupt bloß fähige Gesamtkapital Japans sich hineingewirtschaftet hat. Dieses „Gewerbe“ ist über seine eigene Überakkumulation gestolpert – zuerst da, wo die Spekulation auf befriedigende Wachstumsraten am anspruchsvollsten und folglich die Reaktion auf ausbleibende Ertragszuwächse am kritischsten ausgefallen ist, aber keineswegs wegen irgendwelcher den betroffenen Staaten zuzurechnender ökonomischer ‚Fehler‘ oder gar einer mangelnden Eignung korrupter Regierungsclans – ausgerechnet! – für die erfolgreiche Betreuung eines der privaten Bereicherung gewidmeten, eben: kapitalistischen Geschäftslebens.
Allein aus diesem ökonomischen Grund ist es dann auch nicht bei einer „Wachstumskrise“ der betroffenen „Tigerstaaten“ geblieben, obwohl mit dem konzertierten Einsatz milliardenschwerer IWF-Kredite der Versuch unternommen wurde, den Geschäftseinbruch auf seine ersten Opfer zu begrenzen und die eigentlichen Urheber und Subjekte des Geschehens davon freizukaufen. Die Gelder, die die Führungsmächte der Weltwirtschaft eigens für diesen Zweck geschöpft und über den IWF zugeteilt haben und die der japanische Staat zusätzlich eingeschossen hat, um eben nicht mehr als einen temporären Rückschlag in der Entwicklung der „emerging markets“ Ostasiens eintreten zu lassen,[4] mögen zwar manchen japanischen Außenhändler oder Spekulanten vor finanziellen Verlusten bewahrt und insofern die eine oder andere Wirkungskette unterbrochen haben, die sonst von der Zahlungsunfähigkeit thailändischer oder indonesischer Kunden ausgegangen wäre und japanische Unternehmer getroffen hätte; und die politische Wirkung ist damit ganz sicher erzielt worden, die Regierungen der Krisenländer auf die bedingungslose Unterordnung ihrer nationalen Ökonomie unter auswärtige Kapitalinteressen festzulegen. Aber was nutzt das schon, wenn das japanische Kapital mit seinen Unternehmungen im benachbarten Ausland an die Schranken seiner weiteren rentablen Verwertung stößt, die es durch dessen Herrichtung zur Anlagesphäre ein wenig hinausgeschoben hat? Dagegen hilft es gar nichts, wenn einzelne Geschäfte durch Kredite auf Rechnung des japanischen Staates doch noch zu einem glücklichen Abschluß gebracht werden.
Stattdessen bewirkt der krisenhafte Einbruch lohnender Geschäfte auf der einen Seite, die massive Schöpfung staatlichen Kredits, der gar keine neuen rentablen Unternehmungen einleitet, sondern bloß der Schadensbegrenzung dient, auf der anderen Seite inzwischen eine Verallgemeinerung und Eskalation der kritischen nationalen Konjunkturlage: „Die Märkte“ beginnen am Wert des Yen zu zweifeln, des Geldes, in dem die Nation insgesamt ihr kapitalistisches Vermögen verbucht. Der Wirtschaftsmacht Japan wird von der – auch im eigenen Land beheimateten – Internationale der Geld- und Devisenhändler eine Abrechnung präsentiert, die dem Yen ganz praktisch in Form eines sinkenden Kurswerts bescheinigt, uneinbringliche, also wertlose Schulden statt erfolgreich zu Kapital gemachten Kredit zu repräsentieren. Diese praktische Kritik des nationalen Geschäftsmittels mindert den in Yen notierten Kapitalwert insgesamt, bewirkt also eine Kapitalvernichtung, die durch staatliche Schöpfung neuen Kreditgelds nicht so einfach ungeschehen zu machen ist: Sie schädigt ja den Stoff selbst, aus dem der kapitalistische Reichtum der Nation besteht.
Und dieser Schaden bleibt nicht auf die japanische Nation beschränkt.
Anklagende Beschwerden der Konkurrenz: Die mächtigen Partner beschwören die Gefahren der ‚Japan-Krise‘ für die Weltwirtschaft im allgemeinen und bekennen sich so zu ihrer positiven Abhängigkeit vom Kredit der andern
Aus der Perspektive westlicher Nationalökonomien ist der japanische Staat ein Konkurrent. Dessen Erfolge auf dem Weltmarkt schließen eigene immer wieder einmal aus. Die Wahrnehmung dieser negativen Abhängigkeit vom Gelingen kapitalistischer Unternehmungen, die sich japanischer Regie verdanken, führt zu kritischer Bewunderung. Ob die Betreuung, die die dortige Staatsmacht ihrem Kredit, dem industriellen Kapital sowie der Lohnarbeit angedeihen läßt, als vorbildlich anzusehen ist oder eher als verfehlt, ergibt sich aus den Konjunkturen des fernöstlichen Wirtschaftswunders. Die eigenen Konjunkturen führen dann gelegentlich zu der Erkenntnis, daß gerade eine vorbildlich erfolgreiche japanische Wirtschaftspolitik unter die Rubrik „unlauterer Wettbewerb“ fällt, nämlich zum Diebstahl an Weltmarktanteilen führt, die anderen zustehen.
Ein Partner ist Japan für westliche Nationalökonomien aber auch. Geld und Kredit, made in Nippon, die Produkte des fernöstlichen Standorts also, in denen sich dessen kapitalistischer Wachstumserfolg wie -mißerfolg zusammenfaßt, sind ein unentbehrlicher Teil der Zahlungsfähigkeit, um deren Aneignung es in der Konkurrenz um Weltmarktanteile geht; sie stiften Gelegenheiten zur Kreditaufnahme wie zur Kapitalanlage, an denen auch die dem Geld der anderen großen Wirtschaftsmächte verpflichtete Geschäftswelt verdient. Die Geldvermehrung an den anderen Finanzplätzen und Kapitalstandorten der Welt beruht zu großen Teilen auf gelungener Geldvermehrung in Fernost. Die Wahrnehmung dieser positiven Abhängigkeit begründet kritische Sorgen um Erfolg und Mißerfolg japanischer Regierungskunst und fernöstlichen Gewinnstrebens.
Der Nationalismus, der sich in diesem teilnahmsvollen Blick auf Asiens große Wirtschaftsmacht betätigt: der Sachverstand von Wirtschaftsjournalisten im Wechselgesang mit Vertretern „der Wirtschaft“ samt Kanzlern und Ministern, hat ein übersichtliches Arsenal von scharfsichtigen Klischees über den speziell japanischen Erfolgsweg erstellt. Dessen Anwendung auf die gegenwärtige Rezession gibt die folgende mustergültige Diagnose her:
„Es ist noch nicht lange her, da schien das in den achtziger Jahren eingeläutete pazifische Zeitalter der Welt endgültig seinen Stempel aufzudrücken. Japanische Investoren kauften zu Höchstpreisen Meisterwerke europäischer Kunst und Wolkenkratzer in Manhattan… Asiatische Konzerne besetzten rund ein Drittel der Plätze in der Rangliste der fünfhundert größten Industrieunternehmen… Die Steuerungsmöglichkeiten des japanischen Superministeriums Miti wurde von europäischen Industriepolitikern bewundert, das Modell des fernöstlichen Konsenskapitalismus als wirtschaftliches Leitbild erörtert. Inzwischen herrscht Götterdämmerung am Pazifik. Alle Welt ist geschockt, daß das vielbestaunte asiatische Wirtschaftswunder nun in eine Krise dieses Ausmaßes einmündet. Dazu haben hausgemachte Ursachen ebenso beigetragen wie weltwirtschaftliche Veränderungen, ökonomische Fehler ebenso wie politische. Es ist die Wachstumskrise einer Region, bei der in- und ausländische Investoren und Finanziers sowie einheimische Politiker das Augenmaß verloren haben, bei der durch Dirigismus, Vetternwirtschaft und Korruption eine rechtzeitige Anpassung verhindert wurde. Die unsichtbare Hand des Marktes hat auch hier zurückgeschlagen…
Als fernöstliches Leitbild hat Japan ausgedient. Das gefürchtete Japan Inc. ist entzaubert. Auch im Fall Japans erweisen sich die Marktkräfte als stärker, der Marktkapitalismus als flexibler. Daraus kann Europa lernen, daß staatliche Wirtschaftslenkung, Industriepolitik, Beziehungsgeflechte und ein politisch gesteuertes Bankensystem im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr taugen. Japan braucht konsequente Strukturreformen, Steuersenkungen, Deregulierung und eine Bereinigung der Schuldensituation. Hat aber die japanische Regierung die Kraft dazu? Hätte sie die Opposition? Kann die japanische Gesellschaft, der jetzt auch soziale Verwerfungen drohen, so schnell von den tradierten Werten zur Moral des Marktes finden? … Als gewichtigste Wirtschaftsmacht in Asien und zweitgrößte Industrienation der Welt trägt Japan heute eine große Verantwortung. Werden die Japaner dieser Verantwortung gerecht werden?“ („Götterdämmerung am Pazifik“, Kommentar der FAZ)
Die Sache, die da so mißbilligend als marktwidriger Sonderkapitalismus kommentiert wird: die japanische Wirtschaftsentwicklung und -politik der letzten 10 bis 20 Jahre, könnte in Wahrheit kapitalismusgemäßer nicht sein. Wie man es auch bei uns vom guten alten Wirtschaftswunder wie vom taufrischen ‚Aufbau Ost‘ her kennt, haben auch in Japan Staatsbürokratie, insbesondere das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie, Nationalbank, Geschäftsbanken, Industriekonzerne und Exportunternehmen heftig zusammengewirkt, um die Akkumulation kapitalistischen Reichtums im Land in Schwung zu bringen. Das haben sie so gut geschafft, daß potente Geldanleger – keineswegs nur aus der japanischen Mafia – auf einen andauernden Fortgang des nationalen Wachstums und eine entsprechende Wertsteigerung von Kreditpapieren und Eigentumstiteln spekuliert und sich dadurch enorm bereichert haben. Die spekulativen Wertsteigerungen, nicht zuletzt von Grund und Boden, dienten als Sicherheit für eine expandierende Kreditschöpfung, mit der wiederum der Fortgang der Spekulation finanziert wurde. Über deren „schwindelnde Höhen“ können heute im Rückblick dieselben Leute nur den Kopf schütteln, die an der Frankfurter Börse neulich erst die Verdreifachung des deutschen Aktienwerts innerhalb von kaum zwei Jahren gefeiert haben. In Tokyo jedenfalls haben geschäftstüchtige Geldanleger und Kreditmanager seinerzeit auch nichts anderes als einen gigantischen Boom veranstaltet: eine Akkumulation von Kredit auf zukünftige Geschäftsergebnisse, die den wirklichen Geschäften und deren Erträgen immer weiter vorausgeeilt ist, über alle Grenzen der Bedienbarkeit der aufgeblähten Ansprüche hinaus – wie es eben finanzkapitalistische Art ist und das Berufsbild des marktwirtschaftlichen Spekulanten ausmacht. Dazu gehört es dann auch, irgendwann auf Sicherheiten für die eigenen Gewinnerwartungen zu pochen, dem Fortgang der spekulativen Wertsteigerung aller Vermögenstitel der Nation zu mißtrauen und weitere Kreditierung zu versagen, damit unversehens den ganzen Boom abzubrechen und den erspekulierten und kreditierten Reichtum als fiktiv, als „bubble“ ohne Wert, zu „entlarven“.
Eben das ist am Finanzplatz Tokyo genauso lehrbuchgemäß durchgezogen worden wie der spekulative Aufschwung zuvor – und hat, auch dies völlig normal und gemäß den Regeln modernen kapitalistischen Krisenmanagements, die Regierung auf den Plan gerufen. Die hat aus reiner und richtig verstandener Verantwortung für ihr marktwirtschaftliches Gemeinwesen ein „Platzen“ der überdehnten Kredit-„Blase“ selbstverständlich nicht zugelassen – sie hätte andernfalls die Kreditinstitute der Nation in den Bankrott, deren Geldanleger ebenso wie sämtliche Kreditnehmer in einen allgemeinen Konkurs getrieben; und das ist ja wirklich nicht der Sinn des Refinanzierungsverhältnisses, das der japanische wie jeder moderne bürgerliche Staat zwischen sich als allgemeiner, Geld schöpfender „Bank der Banken“ und der Kredit schöpfenden und benutzenden Geschäftswelt hergestellt hat. Vielmehr hat die Regierung es den Banken gestattet und im Bedarfsfall durch die Herausgabe von Zentralbankgeld ermöglicht, ihre längst nicht mehr einlösbaren, also wertlos gewordenen Kredite mitsamt der ausgebliebenen Verzinsung als Vermögensbestandteil fortzuschreiben. So hat sie zwar nicht alle spekulativen Reichtümer, aber das System des nationalen Kredits gerettet. Der Preis war eine weitere Aufblähung einer Kreditmasse, die bloß dazu da ist und wächst, um die darauf liegenden Gewinnansprüche zu befriedigen und so ihre eigene Solidität zu verbürgen; doch jahrelang hat keine „unsichtbare Hand“ sich gerührt, um Japans Regierung und Geschäftswelt an diesem Umgang mit wertlosen Schulden zu hindern. Im Gegenteil: Ungeachtet seiner unproduktiven Vermehrung haben die für Vernunft und Sachzwang in der modernen Weltwirtschaft zuständigen freien Märkte den japanischen Kredit insgesamt als gute kapitalistische Ware, das darauf bezogene Zahlungsmittel als solides Weltgeld anerkannt, dem Yen sogar mit einem hohen Wechselkurs zum Dollar ihre ungebrochene Wertschätzung bewiesen. Dafür hatten sie auch einen marktwirtschaftlich völlig stichhaltigen Grund: Den fragwürdigen Yen-Krediten standen immer – und stehen nach wie vor – massenhaft Dollar-Forderungen japanischer Gläubiger gegen den Staatshaushalt der kapitalistischen Weltmacht Nr. 1 gegenüber. Mit seinen Überschüssen vor allem aus dem Amerika-Geschäft kreditiert japanisches Kapital die Staatsschuld der USA, wahrt so deren kapitalistischen Gebrauchswert, nämlich als zinstragendes Vermögen, und beglaubigt damit die solide Geldqualität der wachsenden Masse staatlich produzierter Dollars. Umgekehrt bürgt der große Schuldner für den Kredit seines Gläubigers.
Dieses Verhältnis ist nun in Gefahr: Der Wert des Yen verfällt, und die Geschäftswelt, die ihn fallen läßt, prognostiziert, daß sie das wohl auch noch weiterhin tun wird. Prompt werden die unproduktiven Kreditmassen der Nation als das durchschaut, was sie sind, nämlich eine Last für eine solide Kapitalakkumulation, die unbedingt bereinigt werden muß. Und schon melden sich sachverständige Kritiker, die rückblickend alles das als letztlich unkapitalistischen Irrweg mißbilligen, was sie selber zuvor zu Japans Sonderweg und Erfolgsgeheimnis erklärt haben. Was da an freiheitsfeindlicher Unsittlichkeit im japanischen Geschäftsleben ausgemalt wird, kommt freilich in der Sache dem längst global gewordenen Alltag der Profitmacherei und ihrer staatlichen Pflege so nahe und ist in seiner Tendenz ein so lächerliches Zerrbild sowohl des marktwirtschaftlichen Idealfalls als auch des ‚abweichenden Verhaltens‘ der Japaner, daß man nicht bloß am Verstand, sondern schon am Wahrnehmungsvermögen der Kritiker zweifeln müßte, wäre nicht gleich so klar, wofür der Unsinn steht: Theoretiker der amerikanischen Unzufriedenheit mit den notorischen Handelsbilanzüberschüssen des westpazifischen Konkurrenten führen mit solchen Sittengemälden schon seit längerem den empirischen Beweis für ihr Dogma von der prinzipiellen Überlegenheit des US-Kapitalismus, die nur durch unfaire Machenschaften krypto-sozialistischer oder sonstwie bösartiger Feinde Amerikas konterkariert würde, und begründen so die Empfehlung, mit Erpressungen für mehr Liberalität auf der anderen Seite des Großen Ozeans zu sorgen; sie stellen sich damit, nebenbei, in den Dienst eines strategischen Zusammenwirkens von privatwirtschaftlicher Lobby und staatlicher Bürokratie auf amerikanischer Seite, die sich wirklich nicht von dem unterscheidet, was dem Japaner vorgeworfen wird. Europäische Experten, die mehr mit Konkurrenzneid als mit Empörung auf Japans gute und immer bessere Außenhandelsbilanzen starren, stellen gleichlautende Diagnosen eher im Dienst des Vorhabens an, die Erfolge des anderen großen Nachkriegs-Zöglings der Dollar-Weltmacht zu egalisieren, notfalls ein wenig zu kopieren – und geben das sogar noch zu, wenn sie angesichts der eingetretenen Krise ihre eigene Theorie von gestern als Täuschung aus dem Geist mißgünstiger Bewunderung verwerfen. Man weiß also Bescheid im befreundeten Ausland über die Verfehlungen, denen die japanische Konkurrenz ihre Erfolge verdankt und die sich nun gerechterweise in ihrem Mißerfolg rächen.
Dennoch ist Triumph angesichts der gegnerischen Niederlage keineswegs angesagt und die Zufriedenheit über die eigene Tugendhaftigkeit nicht das letzte Wort. Die scharfe Mißbilligung angeblicher japanischer Erfolgsmethoden, die unausweichlich in den derzeitigen Mißerfolg geführt hätten, zeugt vielmehr von Betroffenheit; sie ist Ausdruck von Sorgen, nicht um ferne Kollegen, sondern um die Weltmärkte, deren „unsichtbare Hand“ so massiv gegen Japan zugeschlagen haben soll, daß nun ihr eigenes weiteres Schicksal davon abhängt, ob und wie die japanische Regierung ihre Verantwortung für die Weltwirtschaft wahrnimmt. Die Beschwerden über die angebliche „Abschottung“ des japanischen Marktes sind auch nicht nur von Konkurrenzdenken diktiert, sondern enthalten das stillschweigende Eingeständnis, wie sehr die restliche kapitalistische Welt längst mit dem japanischen Geschäftsleben „verflochten“ ist: Der Zusammenbruch wirklich „abgeschotteter“ Märkte könnte der Konkurrenz ja egal sein. Tatsächlich geht alle Kritik an Japan davon aus, daß mit der dortigen Krise die eigene kapitalistische Sache auf dem Spiel steht, die eigenen „Volkswirtschaften“ in Mitleidenschaft gezogen werden. Und das aus gutem Grund.
Wenn nämlich in der zweitgrößten kapitalistischen Wirtschaftsmacht der Welt das Wachstum zusammenbricht und ins Minus rutscht und die Krise des Kredits auf das nationale Weltgeld übergreift, das einen Reichtum repräsentiert, den der nationale Kredit gar nicht mehr schafft, dann ist damit ein Offenbarungseid über die fiktive Natur des weltweit zirkulierenden Finanzkapitals insgesamt in Gang gekommen und eine „Deflation“ der über alle Marktschranken hinaus aufgeblasenen Geschäftemacherei in die Wege geleitet. Wie und inwiefern diese Geschäftskrise von Japan aus auf auswärtige Partner „übergreift“, das stellt sich für jeden Geschäftszweig etwas anders, als spezielle Gefahr dar: Der eine fürchtet um seinen Absatz in Japan, der nächste um seine Position am asiatischen oder amerikanischen Markt, wo er demnächst als Folge der Yen-Abwertung eine Billigpreisoffensive japanischer Anbieter erwartet; der Dritte verbucht Verluste in seinem Portefeuille, weil es Yen-Anleihen oder eine Spekulation auf den Nikkei-Index enthält – und natürlich kann sich mancher die komplementären Vorteile ausrechnen. Solche Wirkungsketten sind aber längst keine Spezialfälle mehr, die sich allenfalls zu einem unliebsamen Gesamtergebnis aufsummieren können, sondern Unterfälle der positiven Abhängigkeit kapitalistischer Geldvermehrung in einem Land von der in anderen, die über das weltweite Schöpfen und Herumschieben von Kredit hergestellt worden ist. Die Rezession in Japan vernichtet nicht bloß japanisches Geschäft, sondern ein Wachstum, auf das das Finanzkapital sich verlassen und das es mit seiner Kreditschöpfung längst antizipiert hat. Ganz zu Recht fürchten daher Japans Konkurrenten wegen der dortigen Kreditkrise um die Haltbarkeit ihres Kredits – und können sich auch nicht damit beruhigen, daß die Entwertung des Kreditgeldes, das die durch Schulden gestiftete Zahlungsfähigkeit repräsentiert, als Währungsvergleich passiert und deswegen zunächst einseitig den Yen erwischt. An dessen eigentümlichem Verhältnis zum Dollar wird nämlich deutlich, daß die nationalen Kreditgelder ihre internationale Gültigkeit, also ihre Tauglichkeit fürs Geschäftemachen allesamt dem Verhältnis wechselseitiger Anerkennung verdanken, in dem sie zueinander stehen: Über den weltweiten Freihandel mit Währungen räumen die staatlichen Kreditschöpfer einander Kredit auf ihre gesetzlichen Zahlungsmittel ein, beglaubigen wechselseitig ihre Schöpfungen als Weltgeld – und hängen mit der behaupteten Geldqualität ihrer Währungen dann eben auch von diesem Zirkel wechselseitiger Anerkennung ab. Versagt eine große Währung diesen Dienst, dann gerät damit nicht bloß die Zahlungsfähigkeit ihres Heimatlandes, sondern die der kapitalistischen Welt insgesamt in Gefahr.
Über die wirtschaftsdiplomatischen Grußadressen, die die Weltwirtschaftsmächte aus gegebenem Anlaß untereinander austauschen, braucht man sich daher nicht zu wundern.
Konzertierte Gegenmaßnahmen: Die Partner fordern erfolgreiche Krisenbekämpfung, die japanische Regierung kämpft mit allen Mitteln gegen anerkannte, praktisch geltende Sachzwänge an, und alle mißtrauen dem einzigen Mittel, das sie zur Abwendung einer globalen Zahlungskrise haben: ihrem Kredit
Große und kleine Wirtschaftsmächte richten dringliche Anträge an Japans Adresse, es möge seine Wirtschaftskrise umgehend beenden. Diese Appelle zehren zwar alle ein bißchen von der Einbildung, mit dem Geschäftseinbruch auf den japanischen Inseln sei der Konkurrent der Mißwirtschaft überführt, während im eigenen Laden die schönste marktwirtschaftliche Ordnung herrsche. Aber diese Einbildung tritt eben in trauter Eintracht mit der Befürchtung auf, die japanische Geld- und Kreditkrise werde ernsthafte Schäden am Kredit und an den Konjunkturen der eigenen Nation nach sich ziehen.
Tatsächlich ist einiges an Wirkungen bereits eingetreten
– Die Wellen des japanischen Bebens erreichen jetzt
Chile
, heißt es z.B. im Juli; die „emerging markets“
in ganz Lateinamerika, kaum „erholt“ von ihrem eigenen
Zusammenbruch neulich, bekommen schon wieder die
„Verunsicherung“ der international aktiven Kapitalanleger
zu spüren, von denen sie mehr denn je abhängen, und
erleiden hochprozentige Kurseinbrüche ihrer Wertpapiere
und Währungen; einem ernstgenommenen Gerücht zufolge hat
sogar die sogenannte Finanzkrise in Moskau in der
„Zurückhaltung“ der durch die ‚Japan-Krise‘ irritierten
Spekulanten ihren Grund; wichtige Weltbörsen, nicht mehr
nur in Ostasien, verzeichnen Baisse-Tendenzen; Experten
aus den Führungsnationen der Weltwirtschaft korrigieren
ihre Wachstumsprognosen, die zuständigen Finanzminister
ihre Steuerschätzungen nach unten…: Die für Wirkungen und
Weiterungen der fernöstlichen Rezession zuständigen
Finanzmärkte sind tätig geworden und tun ihr Werk.
So sucht man in Tokyo um Schadensbegrenzung nach: Man nimmt den Konkurrenten als Partner in Anspruch, der mit seinem Kredit gefälligst wieder reüssieren soll, damit es weltweit wieder aufwärts geht. Die Regierung soll allen Ernstes gleichzeitig und nebeneinander Kredit vernichten – den „faulen“ nämlich, damit sich in ihrem Land wieder gutes Geld verdienen läßt –, neuen Kredit schaffen – damit sich an japanischem Wachstum wieder gutes Geld verdienen läßt –, alten Kredit retten – damit es am japanischen Finanzplatz viel Geld zu verdienen gibt –; sie soll eben überhaupt die ihr zu Gebote stehenden Quellen des nationalen Geldes wieder so zum Funktionieren bringen, wie man es von ihr gewohnt ist. Soviel partnerschaftliche „Verantwortung“ schuldet der Japaner „uns“, der Weltwirtschaft, nämlich schon – und in dem Zusammenhang gleich auch etwas mehr Wohlverhalten in seiner Eigenschaft als Konkurrent, dessen Standort „geöffnet“ gehört…
Diese Forderungen treffen auf eine Staatsmacht, die längst alles unternimmt, damit aus der Masse unproduktiven nationalen Kredits wieder akkumulierendes Kapital wird. Seit dem „Platzen“ jener ominösen Kredit-„Blase“ der 80er Jahre, das sie durch Refinanzierung einigermaßen neutralisiert hat, wälzt sie nämlich das Problem, daß die nationalen Kreditinstitute, statt aus ihren staatlich kreditierten Schuldenbergen herauszuwachsen und ihre geschäftlich entwerteten Vermögensbestandteile zur schmerzlos streichbaren Restgröße schrumpfen zu lassen, immer mehr derart unproduktiven Kredit akkumuliert haben. Die öffentlichen Mittel zur immer erneuten Refinanzierung dieses Schuldenbergs waren von vornherein nicht dazu angetan, das Verhältnis zwischen angeschwollenen Verzinsungsansprüchen und erwirtschafteten Gewinnen wieder in Ordnung zu bringen. Staatliche Kreditschöpfung mit eben diesem erklärten Ziel, die Konjunktur so „anzukurbeln“, daß den Finanzkapitalisten sich wieder neue Geschäftsgelegenheiten in einem ihren Verwertungsbedürfnissen entsprechenden Ausmaß eröffneten, führte aber genausowenig aus dem unguten Zustand heraus, daß die Verwandlung verfügbaren Kredits in Kapital ‚stagnierte‘ – wie auch, wenn das Kapital an dem absurden Übel der Überakkumulation leidet! Stattdessen hat die Nation sich – auch mit Hilfe dieser Gelder – in die jetzige Krise hineingewirtschaftet, in der ausbleibende Profite, unbediente Kredite und zusammenbrechende Geschäfte sich zum nationalen Minus summieren.
Für die japanische Regierung ist dieses Resultat – das versteht sich von selbst in einer bürgerlichen Demokratie – eine wirtschaftspolitische Herausforderung. Auch ohne Druck aus dem Kreis ihrer Freunde und Verbündeten ergreift sie die verlangten Maßnahmen: Zur Sanierung ihres Bankensektors bereitet sie die Streichung überkommener „fauler“ Kredite und sogar die Eliminierung „überschuldeter“ Banken vor. Zur Rettung der gefährdeten Banken-Kundschaft sowie zur „Konjunkturbelebung“ schöpft sie beträchtliche Massen neuen Kredits und leistet sich Defizite in ihrem Haushalt, den sie zwischenzeitlich wiederum nach dem Vorbild der europäischen Maastricht-Kriterien konsolidiert. Mit der Berechnung, auf die Art mehr ausländisches Kapital auf ihren Finanzplatz und in ihr Kreditgewerbe hereinzuziehen und dadurch Kredit und Währung ihres Standorts durch weitere Internationalisierung krisenfester zu machen, kommt sie auch dem Anspruch auf „Marktöffnung“ nach und läßt Banken und Kreditmanager von auswärts leichter ins Land. Mit diesen Bemühungen macht sie immerhin soviel klar, daß die Kreditkrise, deren Beschränkung auf die zuerst geschädigten Nachbarländer schon nicht gelungen ist, auch im eigenen Land und in ihren globalen Weiterungen nicht so einfach zu stoppen und in einen Aufschwung umzudrehen ist: Die ‚Widerlegung‘ gelaufener Kreditschöpfung durch ausbleibende Verwertung ist in Gang.
So folgen den Abrechnungen, die den Japanern ins Haus
geschneit sind, sachgesetzlich kleine, mittlere und große
Abrechnungen in der näheren und weiteren Umgebung nach.
Und die Betroffenen liefern mit ihren immer
dringlicheren, immer prinzipielleren und immer
wohlfeileren Anträgen auf durchgreifende
Strukturreformen
– mittlerweile das
ideologische Synonym für erfolgreich erbrachte Dienste
einer Nation am weltwirtschaftlichen Gemeinwohl – und,
noch abstrakter, Führung
– die
demokratische Chiffre überhaupt für erfolgreiches
Regieren – ein Eingeständnis nach dem andern ab, daß sie
auch kein zielführendes Antikrisenrezept zu empfehlen
wissen, weil es ein solches im „liberalisierten“
Weltkapitalismus von heute schlicht nicht gibt. Die
einzig denkbare gründliche Abhilfe: die Erschließung
neuer aussichtsreicher Geschäftsfelder von hinreichender
Größenordnung, haben die Weltwirtschaftsmächte ihren
Märkten nicht zu bieten. Im Gegenteil: Der letzte noch
wirksam gewesene Beitrag zur Weltkonjunktur, die
Herrichtung gewisser Länder zu „emerging markets“, ist so
weit ausgereizt, daß die Krise des anlagesuchenden
Kredits von dort ausgegangen ist. Die abweichende
Weltmacht, die früher unter realsozialistischer Ägide
öfters für antizyklische Geschäftskonjunkturen gut war,
ist in einer Verfassung, die sie zu so etwas wie einem
neuen „emerging market“ gar nicht erst werden läßt. Und
daß die kapitalistische Welt auf das Regime der
„kommunistischen“ Staatspartei Chinas über den Außenwert
ihrer beiden nationalen Gelder als stabilisierenden
Faktor im fernöstlichen Krisengeschehen spekuliert,
gehört zu den schlechten Treppenwitzen der
Weltgeschichte.
Untätig bleiben die Partner Japans deswegen aber keineswegs. Je bedeutender sie sind, um so mehr haben sie zu konferieren, „den Märkten Signale“ zu geben, Stützungskäufe zu organisieren und mit viel Geld Finanzkapitalisten zu beschwichtigen, damit die Kreditkrise nicht zur allgemeinen Zerstörung der globalen Kreditierungsverhältnisse gerät, die Abwertung des Yen nicht die Zahlungsfähigkeit „der Weltwirtschaft“ insgesamt untergräbt und die Rezession in Japan nicht vollends zu einer „Abwärtsspirale“ im internationalen Geschäftsgang ausartet, wie sie unter dem fast schon in Vergessenheit geratenen Titel „Deflation“ mittlerweile offen als akut drohende Gefahr beschworen wird. Allein schon um die fälligen nationalen Offenbarungseide noch unter Kontrolle zu halten und Zweifel an der wechselseitigen Beglaubigung der maßgeblichen Weltwährungen abzuwehren, haben die Führungsnationen des globalen Kapitalismus alle Hände voll zu tun.
Dabei stehen sie mittlerweile vor einem Problem, das sie jahrzehntelang einfach nicht zugelassen und auch immer wieder in den Griff bekommen haben: Es wird zweifelhaft, ob ihr Haupt- und Generalinstrument zur Bewältigung internationaler Kredit- und Zahlungskrisen, die gemeinsam verantwortete, über den IWF gemanagte Schöpfung und Zuteilung von Kredit, überhaupt noch als Mittel taugt, um die Auswirkungen der in Gang gekommenen Krise zu begrenzen, ihre Verallgemeinerung womöglich zu verhindern – sie selber zweifeln daran. Die Rezession in Japan und die Yen-Abwertung sind ohnehin gar keine „Engpässe“ von der Art, daß der Rückgriff auf noch so viele IWF-Mittel dagegen etwas ausrichten könnte – in dem Fall müßte der Fonds mit seinem Kredit einen seiner drei wichtigsten Gläubiger retten. Eine dermaßen absurde Intervention wird daher erst gar nicht erwogen, Japan im Gegenteil weiterhin und erst recht als Kreditschöpfer für heimische Konjunkturprogramme, freilich mit allgemein bezweifelten Erfolgsaussichten, sowie als Gläubiger von eventuellen neuen großen IWF-Krediten eingeplant und in Anspruch genommen. Mit denen ließen sich immerhin ein paar absehbarerweise nachfolgende Unter-Abrechnungen mit Weltmarktpartnern der schwächeren Art – darunter freilich auch solch bodenlose Löcher wie das postkommunistische Rußland – möglicherweise so ähnlich regeln wie die ersten fernöstlichen Staatspleiten; das würde – nach bisher maßgeblicher Lehrmeinung und Praxis – geschäftsschädigende Kettenreaktionen unterbrechen. Schon das würde jedoch nach dem Urteil nicht bloß zahlreicher bornierter Dollar-Patrioten im US-Kongreß, sondern auch z.B. des als Finanzminister amtierenden obersten DM-Nationalisten der Aufgabenbeschreibung des IWF widersprechen[5] und dessen Fähigkeiten und Mittel weit überschreiten, die deswegen gar nicht erst so aufgestockt werden, wie die Fonds-Leitung es immer dringlicher beantragt: Die Krise spitzt sich zu – und die politischen Regisseure des Weltkapitalismus weigern sich schlicht, in dem durch die neue Lage gebotenen Umfang nach altem Muster ihre Macht zur Kreditschöpfung als Mittel einzusetzen, um Krisenfolgen ‚aufzukaufen‘.
Mit noch mehr unproduktivem Kredit ins Krisengeschehen einzugreifen – ebenso aber, gar nicht einzugreifen: beides wäre schädlich, taugt jedenfalls nichts für die Haltbarkeit des internationalen Kreditierungs-, Zahlungs- und Abrechnungswesens. Zu diesem zukunftsweisenden Standpunkt ringen sich die kapitalistischen Weltmächte anscheinend derzeit durch.
[1] Wir begnügen uns mit den nachfolgenden Stichworten, weil die vollständige Erklärung der kapitalistischen Krise bereits in der Nr. 4-92 unserer Zeitschrift steht: im ersten Teil des Artikels über „Gründe und Besonderheiten der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise“, S.83-90.
[2] Im
asiatisch-pazifischen Raum nahm die Präsenz japanischer
Industrie nach der steilen Aufwertung des Yen 1985
spürbar zu. In den 90er Jahren gilt das japanische
Interesse verstärkt den asiatischen Nachbarländern. Es
kam zu einer zunehmenden Abwendung von den USA und von
Europa… Allein 1993 betrugen die japanischen
Direktinvestitionen in Asien über 12 Mrd. US-Dollar. In
Europa waren es lediglich 7 Mrd $, in den USA lagen sie
noch darunter. Seit 1991 versenden japanische Konzerne
mehr Waren in ihre asiatischen Nachbarstaaten als in
jeden anderen Teil der Welt. 1993 übertraf der
Überschuß im Handel mit diesen Staaten selbst das
gigantische Plus, das Japan Amerika gegenüber verbucht.
Inzwischen haben die Japaner ihre asiatischen Nachbarn
mit einem Netz von 5000 Fabriken überzogen… Komplette
Wirtschaftszweige sind fest in der Hand der Multis aus
Tokio und Osaka. … Durch die Verlagerung der Fertigung
ins benachbarte Ausland wird die wirtschaftliche
Entwicklung Japans und zugleich die regionale
Stabilität der Nachbarländer gestützt. Die zunehmenden
regionalisierten Wirtschaftsbeziehungen zu Asien
kurbeln auch die heimische Wirtschaft Japans an und
sorgen für ein langfristiges Wirtschaftswachstum.
(Johann Vranic, Ausbau der
regionalen Wirtschaftsbeziehungen in Ostasien, Aus
Politik und Zeitgeschehen 24.3.95) Die
Japaner dominieren das Kreditgeschäft mit China und
Indonesien… Die Industrial Bank of Japan hat sich für
die Projektfinanzierung im Bereich der
Rohstoffgewinnung zur Nr.1 in Südostasien entwickelt…
Die Begleitung der Rohstoff- und Energieerschließung
sowie der Infrastrukturverbesserung durch japanische
Banken festigt die japanische Vorreiterrolle in
Südostasien; die Banken übernehmen damit auch eine
politische Funktion… Da die Liberalisierung dieser
Märkte für die international tätigen Banken noch nicht
weit fortgeschritten ist, bedarf es bei der Zulassung
ausländischer Banken starker wirtschaftlicher und
politischer Einflußnahme.
Auch die japanischen
Wertpapierhäuser betreiben eine „Expansion im
südostasiatischen Markt einschließlich China, den sie
ebenso wie die japanischen Banken für deutlich
wachstumsträchtiger (sc. als die in Europa und den
USA) halten. Die Börsenkapitalisierung der
asiatischen Märkte ohne Japan beträgt zur Zeit zwar nur
8% der Weltbörsenkapitalisierung. Die japanischen
Wertpapierhäuser gehen aber von einem zweistelligen
Wachstum pro Jahr bis in das nächste Jahrtausend hinein
aus.“ (Thomas Schubert,
Internationales Bankgeschäft)
[3] Das Nötige hierzu steht in den Aufsätzen „Börsenkrach und Währungsturbulenzen in Ostasien: Thailand – Das Auf und Ab eines ‚emerging market‘ und seine Grundlagen in der weltweiten Überakkumulation“ in Nr. 4-97 sowie „Acht Bemerkungen zur ostasiatischen Krise des Weltkreditsystems“ in Nr. 1-98 dieser Zeitschrift.
[4] Im Rahmen des
informellen ASEAN-Treffens (Dez. 1997) machte Hashimoto
seinem malaysischen Amtskollegen Mahathir deutlich, daß
Hilfsmaßnahmen des IWF nicht ohne Bedingungen anlaufen
könnten… Hashimoto betonte, daß es keine Hilfspakete
ohne harte Auflagen geben könne; ‚die nötigen Gelder
aus den USA und Europa würden einfach nicht fließen,
wenn es keine Einigung zwischen dem IWF und jenen
Ländern gibt, die Hilfe brauchen.‘ Der malaysische
Regierungschef hatte auf eine japanische Intervention
gegen die harschen IWF-Auflagen gehofft; Japan ist
zweitgrößter Einzahler in den IWF. … Am Rande des
informellen Treffens kündigte Hashimoto ein rein
japanisches Paket von Hilfsmaßnahmen für die
ASEAN-Staaten im Wert von 18,5 Mrd. US$ an… neue
Kreditlinie für Exportversicherungen; niedrigst
verzinste Kredite für grenzüberschreitende
Infrastrukturmaßnahmen… Als weiteres Ziel sollte die
Wettbewerbsfähigkeit der Klein- und Mittelbetriebe in
der ASEAN gefördert werden.
(Japan aktuell Februar ’98)
[5] Eine Anzahl prominenter deutscher Wirtschaftsjournalisten hat diese neuen Zeichen der Zeit gleich mitbekommen und vertritt in bemerkenswert hartgesottener imperialistischer Borniertheit den aus Amerika herüberschwappenden Standpunkt, man hätte den IWF besser schon längst abgeschafft, weil er doch nur „unsere Steuergelder“ – aus denen der Fonds übrigens gar nicht finanziert wird – an unfähige, also unwürdige Bankrotteure nutzlos verschleudert; die ihrem Schicksal zu überlassen, wäre die einzig zweckmäßige Art, ihnen zu helfen. Zum Hohn auf alle früheren links-gestrickten IWF-Kritiker lassen sie zur Rechtfertigung ihrer Forderung den Hinweis auf die Übung des Fonds, den „Empfängerländern“ detaillierte Vorschriften über den Abbau staatlicher „Sozialleistungen“ zu machen, nicht aus.