Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Holocaust-Konferenz“ in Stockholm
Pro bono – contra Völkermord: Die Staaten Europas beauftragen sich zu einer neuen weltpolitischen Mission
Ein Lehrstück staatlicher „Vergangenheitsbewältigung“, mit der sich die EU einen Rechtstitel für ihren Weltaufsichtsanspruch schafft: Die Definitionsmacht für Schurkenstaaten darf kein amerikanischer Monopolbesitz mehr bleiben. Anhand ihrer Anstrengungen bezüglich der Aufarbeitung der „Verbrechen des Holocaust“, dem Inbegriff des „Unerklärlichen“, des „unfassbar Bösen“, will die EU die Staatenwelt in gute und böse Exemplare scheiden.
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Systematischer Katalog
„Holocaust-Konferenz“ in
Stockholm
Pro bono – contra Völkermord: Die
Staaten Europas beauftragen sich zu einer neuen
weltpolitischen Mission
Das Bedürfnis der Staaten des Westens, die große Völkerfamilie in ihre guten und ihre bösen Exemplare zu sortieren, hat sich nach dem Abgang des ‚Reichs des Bösen‘ nicht erledigt. Das Kriterium, nach dem da geprüft wurde, hat sich zwar naturgemäß mit dem Subjekt, auf das es gemünzt war, auch überlebt; aber wo ein Wille, ist auch ein Weg. Nicht mehr unter der Parole ‚Freiheit statt Sozialismus!‘ wird über die Zugehörigkeit zur Rubrik der Schurkenstaaten und zum guten Rest der Welt entschieden, sondern ein ganz und gar systemübergreifender, durch und durch unpolitischer und moralisch obendrein absolut verwitterungsfester Maßstab erleichtert seit neuestem die grundsätzliche weltpolitische Orientierung: Der ‚Holocaust‘, das Symbol für staatliches Verbrechertum schlechthin, soll ab sofort die nötigen Fahndungsdienste zur Ermittlung verbrecherischer Staatlichkeit leisten.
*
Diesem Zweck ist das Internationale Forum des
Holocaust
in Stockholm gewidmet. Drei Tage lang gehen
die maßgeblichen Nationen Europas dort
„gemeinsam auf die Suche. Nach einer öffentlichen Moral. Nach der eigenen Geschichte. Danach, wie man die Erinnerung an das monströseste Verbrechen des 20. Jahrhunderts nutzbar für unsere demokratischen Gesellschaften … macht.“ (Die Zeit, 27.1.2000)
Natürlich suchen sie nichts. Die öffentliche Moral
mitsamt allen Varianten einer Nutzanwendung der
Geschichte kennt man in dieser Runde wirklich zur Genüge.
Wie man sieht, hat man sich längst darauf geeinigt, dass
der NS-Völkermord kein allzu gut erklärbares Stück
vaterländischer Vorwärtsverteidigung in schwerer Zeit,
keinesfalls eine extremistische Konsequenz der normalen
Diskriminierung von Ausländern ist, wie sie eine EU an
ihren Außengrenzen praktiziert. Nach einhelliger
Auffassung ist er vielmehr ein ziemlich leicht zu
verurteilendes Verbrechen
, so monströs
,
dass es einfach nur den Inbegriff des Bösen vorstellig
macht. Darauf fixieren die Staatsmänner ihre
interessierte Erinnerung, und zwar deswegen, weil sie aus
dieser Erz-Untat der Menschheit von damals eine Lehre für
heute ziehen wollen. Ungefähr so, wie einige es bei sich
daheim mit dem unbefleckten moralischen Gedenken halten,
wenn sie eine „Auschwitz-Lüge“ verbieten, nur eben ein
wenig über ihre Landesgrenzen hinaus stellen sie sich
künftig ihren Einsatz für die Sittlichkeit vor – und
wollen ganze Staaten unter dem Gesichtspunkt
durchmustern, ob deren Stellung zum ‚Holocaust‘ sie nicht
zum Anwendungsfall ihres Rechts macht: Wer nicht
wie sie Auschwitz ohne Unterlass das schlimmste
Verbrechen des 20. Jahrhunderts heißt, wer das nicht
klar und deutlich sage, sei ungeeignet öffentliche
Verantwortung zu übernehmen, habe in der Politik und in
Staatsämtern nichts zu suchen
(NZZ, 28.1.), dekretiert der
österreichische Ex-Kanzler Viktor Klima stellvertretend
für die Runde – sicherlich aus nahe liegenden
persönlichen Gründen, aber beileibe nicht bloß aus denen.
Die guten Europäer wollen allen Ernstes den Umstand, dass
sie da einen GAU staatlicher Moralität und Sittlichkeit
kennen und gebührend verurteilen, zum
Rechtstitel ihrer Außenpolitik erheben. Unter
Berufung darauf, als so profunde Kenner des Bösen über
ein wohl in jeder Hinsicht unanfechtbares
Rechtsbewusstsein zu verfügen und mit dem zum Dienst am
Guten geradezu verpflichtet zu sein, wollen sie in
anderen Staaten die Frage nach der
Legitimität der Herrschaft zur Sprache bringen.
Anti-Faschismus als Freibrief für die
Ignorierung der Rechte fremder Souveräne – wenn das der
Führer noch erlebt hätte…
*
Doch so selbstlos, wie er daherkommt, ist der Dienst der
europäischen Nationen am internationalen ‚Wehret den
Anfängen!‘ nicht. Wie ein neutrales Gutachten aus der
Schweiz belegt, sind gerade die Schweden, die sich zu
dessen Vorreiter gemacht haben, überhaupt nicht
uneigennützig für die gute Sache. Die haben nur nach
Möglichkeiten gesucht, dem gleichen Schicksal zu
entgehen
, (NZZ, 25.1.)
das den Eidgenossen selbst jüngst widerfuhr, als die
westliche Oberaufsicht über das Gute in der Welt sehr
hartnäckig in Sachen Naziraubgold vorstellig wurde und
das kleine Alpenland mit dem Vorwurf der Kollaboration
mit dem Bösen international brandmarkte. Daraus haben –
wie die Züricher Redakteure akribisch recherchieren – die
nördlichen Nazi-Kollaborateure gelernt und sich
rechtzeitig an die moralische Weltmacht angewanzt: Schon
im Mai 1998 sind sie bei der Gründung einer ‚Task force
zur Förderung des Holocaust-Bewusstseins‘ mit den
einzigen ausgewiesenen Nicht-Nazi-Kollaborateuren, den
USA und England, mit dabei und empfehlen sich mit dem
Versprechen, Historiker bei sich an allen dunklen Flecken
der Vergangenheit kratzen zu lassen, für die Ausrichtung
der ‚Holocaust-Konferenz‘. Durchschaut also, diese
Neutralen, und mit vernehmlichem Knirschen nimmt die
moralische Wacht am Zürisee zur Kenntnis, wie man’s
selber hätte besser machen können und müssen – kaum
schlägt man sich rechtzeitig auf die gute und richtige
Seite, kann man sich prompt als neue moralische
Großmacht
feiern lassen. (NZZ,
25.1.) Freilich entgeht dieser Bitternis über die
eigene Unterlassungssünde der Hauptwitz an der Sache,
nämlich das, was man davon hat, als ‚moralische
Großmacht‘ unterwegs zu sein. Dass man sich als eine
solche von Niemandem mehr reinreden lassen muss,
ist ja nur eine Seite – dass man dann jedem Anderen
hineinreden kann, die viel interessantere und
wichtigere andere. So ist das Eingeständnis des
schwedischen Präsidenten, ein bisschen sei die Geschichte
der Nation schon noch umzuschreiben und er entschuldige
sich auch für alles, was man damals getan und was man
nicht getan habe, nicht nur ein Ausweis dafür, dass auch
die aktuellen neo-nazistischen Schlägertruppen, die das
Land unsicher machen, ein Problem sind, das von Schweden
selbst am besten bewältigt wird. Mit solcherart
vorbildlicher Vergangenheitsbewältigung, für die
ihrerseits die deutsche Schämkultur das Vorbild ist,
nimmt man nicht nur jeder antifaschistischen Initiative
made in USA den Wind aus den Segeln. Die hat
selbstverständlich auch selbst Vorbildcharakter: Wer sich
selbst zum Richter in eigener Sache macht, der ist es
auch über alle anderen, und zwar – die USA haben es ja
vorgeführt – nicht nur über die faschistischen
Sündenfälle aus der Vergangenheit, sondern über alle
Machenschaften des betreffenden Sünders in Gegenwart und
Zukunft. Deswegen richtet Schweden nicht nur
eine Konferenz aus, um sich selbst von der Verstrickung
mit dem Bösen freizusprechen, sondern gleich alle
Europäer marschieren auf dieser mit dem einhelligen
Interesse auf, unter Berufung auf die eigenen bereuten
Sündenfälle von damals das gute Recht auf Einmischung in
die Belange fremder Souveräne von heute zu reklamieren.
Und kaum haben sie sich mit ihrer Konferenz zu den
berufenen Richtern über Gut und Böse in der Weltpolitik
inthronisiert, machen sie sich auch sofort vorbildlich
ans Richten: Den östlichen Staaten wird insgesamt
beschieden, ihre Vergangenheitserforschung sträflich
vernachlässigt und ihren Geschichtsbüchern die fällige
Revision vorenthalten zu haben. Das kleine Litauen und
seine Nachbarn werden zum x-ten Mal an ihre Kollaboration
mit den Nazis erinnert, was für diese Staaten eine
besondere Mahnung enthält. Autonomie und
Eigenstaatlichkeit der baltischen Völkerschaften sind
nämlich ohne eine gewisse wohlwollende Erinnerung an
Hitler gar nicht zu haben – der war es ja, der,
wenigstens für ein paar Jahre, ihre widernatürliche
Eingemeindung ins sowjetische Völkergefängnis rückgängig
gemacht hat. Zu dieser positiven Erinnerung gesellt sich
jetzt, nachdem sie aus dem endlich entlassen wurden, die
ausgesprochen negative an ihre jüngere Vergangenheit, so
dass das baltische Selbstbewußtsein auch ohne einen
gediegenen Hass auf alles Russische nicht zu haben ist.
Der Vorwurf an die Adresse der baltischen Staaten, sich
im Zuge der Zusammenarbeit mit den deutschen Befreiern
einiger Verfehlungen schuldig gemacht zu haben, greift
daher unmittelbar das Selbst- und Rechtsbewusstsein
dieser Souveräne an – und genau das soll er auch: Mit ihm
erinnert die europäische Wertegemeinschaft ihre
prospektiven Mitglieder daran, dass sie sich an eigenen
Rechten besser nichts herausnehmen, im Umgang mit ihrem
verhassten russischen Nachbarn zum Beispiel nur das, was
Europa für funktionell erachtet und genehmigt. Und auch
wenn er diesbezüglich schon ein gewisses Einsehen gezeigt
haben mag: Solange der litauische Ministerpräsident
weiter den Antisemitismus in Litauen vor und während
dem II. Weltkrieg verharmlost
FAZ, 28.1.), wird er
den Verdacht nicht los, der Verkehrte im Amt zu sein…
*
Nun schleppen keineswegs nur in Europa einige Staaten
noch immer das Böse mit sich herum, mit dem sie sich vor
einem halben Jahrhundert infiziert haben. Im Grunde ist
die ganze Staatenwelt voll von potentiellen
Nachahmungstätern, die nur zum Schein Politik treiben, in
Wahrheit aber auf dem Sprung zur Hitlerei sind. Da heißt
es, aufzupassen auf die, und für die nächste Form der
aktuellen Nutzbarmachung von 6 Millionen toten Juden hat
sich der deutsche Staatsminister für Kultur, Michael
Naumann, das Passende ausgedacht. Ein europäischer
Wachdienst für die Weltgemeinschaft
muss da her,
der sich bei den allfälligen Massakern auf dem Globus an
die wissenschaftlich-exakte Ermittlung der moralischen
Qualität der Todesursache macht. Dieser Mann ist nämlich
nicht nur gebildet und verfügt über Kultur, sondern hat
vor allem Nerven: Mitten in einer Welt, in der jeder zu
jeder Zeit darüber ins Bild gesetzt wird, wo gerade und
für welche staatliche oder halbstaatliche Mission die
entsprechende völkische Manövriermasse ins Gras beißt,
kommt er sich vor wie im Seminar für strategisches
Management und schwärmt von
Völkermordfrühwarneinrichtungen
. Ob die Toten, mit
denen man in irgendeiner Weltgegend ja offensichtlich
immer zu rechnen hat, den Schluss auf eine
Verbrechergesinnung von politischen
Hintermännern begründen könnten, möchte er gerne wissen.
Weil Völkermorde – anders als Massaker – nicht aus dem
Stand begangen werden
können, will er, der einfach
kein Blut sehen kann, möglichst schon im Vorfeld des
Massakrierens wissen, ob sich da ein geplanter
Genozid
ankündigt oder nicht. Und wenn ihn dann
gewisse Anhaltspunkte
an die SS oder Tschetniks
erinnern, steigt er ein: Wie mit einer Wetterkarte
würde die Öffentlichkeit regelmäßig über drohende
Gefahren informiert. Auch die Planer von Genoziden – und
sie gibt es – könnten beobachten, dass man ihre
Vorbereitungen erfasst
(FAZ,
29.1.) – und dann geben sie vielleicht sogar auf,
die Planer, und unterschreiben bei Naumann eine
Menschenrechtskonvention. Mit Sicherheit aber lässt sich
so eine Watch-List von Kandidaten für weltpolitische
Ächtung voll bekommen, wenn nur der internationale
Gewalthaushalt feinfühlig genug nach
Genozidpotentialen
durchgemustert wird. Genau
dorthin, wo die akademischen Experten fündig werden, kann
sich dann auch die Weltgemeinschaft
in Gestalt
ihrer besten Exemplare aufmachen – freilich nur, wenn die
dann auch wirklich wollen. Denn der Witz an dem
moralischen Gebot, überall das Völkermorden zu
verhindern, ist ja gerade, dass zwar jede Intervention in
seinem Sinne absolut gerechtfertigt und daher rechtmäßig
ist, umgekehrt aber die Moral natürlich nicht das
Intervenieren gebietet. Und so viel Niedertracht steckt
allemal in einem Staatsminister für Höheres, dass der
sein moralisch gerade voll in Fahrt gebrachtes Publikum
nicht auch noch wissen ließe, wie wenig man sich die
politischen Gründe und Berechnungen, die die wirklichen
Subjekte der Politik verfolgen, mit den moralischen
Beweggründen, auf die er sich als Vertreter eines einfach
nur berechnungslos-guten Menschentums beruft, verwechseln
darf. Daher können in seinem Institut für Völkermord noch
so viele rote Lämpchen glühen: Er selbst geht davon aus,
dass die Staatengemeinschaft andere Sorgen hat und hin
und wieder einen Völkermord einfach durchgehen lassen
muss
, weil sie sich aufgrund besonderer
politischer oder strategischer Zwänge oder militärischer
Notlagen
zur Umsetzung des moralischen Sachzwangs
leider außerstande sieht…
*
Aber das macht letztlich nichts, denn aufs Prinzip kommt
es an. Und da haben die Europäer mit der anderen
Großmacht, die auf der Welt fürs Gute sorgt, endlich
gleichgezogen. Sie haben ihre Vergangenheit so prima
bewältigt, dass sie nun an andere – in Litauen und
anderswo in Osteuropa
– die Forderung ergehen lassen,
die hätten ihre Schuld an der
Verwicklung in die Ermordung der Juden während des
Zweiten Weltkriegs
(FAZ,
28.1.) einzugestehen. An der fälligen Bereitschaft
dazu befinden sie dann über die Legitimität der
betreffenden Herrschaft. Auch außerhalb dieses
Wertevereins ist also die Definitionsmacht für
Schurkenstaaten kein amerikanischer Monopolbesitz mehr,
wenn – unter kundiger Anleitung durch den
Rechtsnachfolger der Judenvergaser – demnächst der
‚Holocaust‘ als Rechtstitel für die weltweite Ächtung von
Staaten als Un-Staaten endlich wieder nach Europa
heimgeholt wird. Dem schlechten Zustand der Welt kann
diese Konkurrenz ums Gute also nur gut tun.