Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das griechische Linksbündnis Syriza macht sich in Europa unmöglich
Wie die Rettung Griechenlands gar nicht geht
Anfang Juni wählt Griechenland zum zweiten Mal. Schon Wochen vorher schürt die europäische Presse das blanke Entsetzen über die Aussicht, dass die Griechen den „gefährlichsten Mann Europas“ (FTD, 16.6.12) zum Regieren ermächtigen könnten. Weil sie ihnen nicht zutrauen, mitten in der Krise zwischen Vertretern „guter Politik“ und dem „Deus ex Machina“ unterscheiden zu können, wenden sich die öffentlichen Volksbetreuungsorgane mit unmissverständlichen „Wahlempfehlungen“ direkt an die schwererziehbaren Griechen: „Widerstehen Sie der Demagogie von Alexis Tsipras und seiner Syriza...“ (FTD, 15.6.) Der ist nämlich schuld, dass die Wähler zwar eine Stimme, aber gar „keine Wahl“ haben und nur „zwischen schmerzhafter Vernunft und völligem Untergang“ entscheiden können. (Bild, 15.6.)
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Das griechische Linksbündnis Syriza
macht sich in Europa unmöglich
Wie die Rettung Griechenlands gar
nicht geht
Anfang Juni wählt Griechenland zum zweiten Mal. Im
Vorfeld der Abstimmung zeigt sich die europäische
Öffentlichkeit so entsetzt über die guten Umfragezahlen
des Linksbündnisses Syriza und dessen
Spitzenkandidaten Alexis Tsipras, die wie alle Parteien
die Rettung Griechenlands
aus der Krise
versprechen, dass sie der griechischen Wählerschaft
wohlmeinende Warnungen davor zukommen lässt, ausgerechnet
dem gefährlichsten Mann Europas
(FTD, 16.6.) die
Stimme zu geben: Widerstehen Sie der Demagogie von
Alexis Tsipras und seiner Syriza...
(FTD, 15.6.12).
Dass der auf keinen Fall an die Regierung kommen darf,
ist aus deutscher Sicht so klar, dass die Wähler zwar
eine Stimme, aber eigentlich gar keine Wahl
haben,
weil sie nur zwischen schmerzhafter Vernunft und
völligem Untergang
entscheiden können. (Bild, 15.6.12) Nach der Wahl – Syriza ist
nicht in der Regierung – herrscht erst einmal
Erleichterung. Bloß: Warum Tsipras und seine Mannschaft
so entschieden angefeindet werden, erschließt sich aus
den von Syriza verkündeten Vorhaben gar nicht so
ohne Weiteres. Wie konnte der Mann mit seinen
Rettungsplänen für Griechenland zum Schrecken des
demokratischen Europa
(Bild, ebd.)
werden?
*
Der junge Mann, vor dem Europa zittert
(Bild), diagnostiziert wie viele
andere, dass in seinem Heimatland eine interne
Abwertung die Zerstörung der griechischen Wirtschaft
bewirke und die Bedingungen der Verwertung nicht mehr
gegeben
seien (Tsipras in einem Brief an Brüssel,
10.5.12). Auch er sinnt auf Wege, die Krise zu
beenden
und schlägt einen nationalen Plan für
Wiederaufbau und Wachstum
vor, fordert sofortige
Aktionen zur Wiederbelebung
des
Wirtschaftsstandortes und vergisst auch die rasant
verarmten Massen nicht: Griechenlands Neustart kann
seiner Auffassung nach nicht ohne sozialstaatliche
Rücksichtnahmen auf das Volk funktionieren, dem er im
Falle seiner Wahl deswegen stabile Arbeitsverhältnisse
mit ausreichend hohen Löhnen (Mindestlohn) und
Vollversicherungsschutz
verspricht.
(Wahlprogramm Syriza) Das Geschäft in
Griechenland muss wieder in Gang kommen, das Volk soll
daran teilhaben und Griechenland dergestalt als
Ganzes
in einem echten Neustart
vor dem
Untergang
bewahrt werden. Das Land soll Teil
Europas
bleiben, den Bürgern solle keinesfalls der
Euro weggenommen
werden, und überhaupt wolle
Griechenland – so Tsipras ganz staatsmännisch in einem
Zeitungsbeitrag – zu einem stärkeren, geeinten Europa
beitragen
. (FTD, 14.6.12) Was, so fragt man sich,
ließe sich dagegen vom Standpunkt europäischer
Krisenpolitik einwenden? Hat der junge Mann nicht
kreuzvernünftige Ansichten?
*
Und das ist längst nicht alles, was er zu bieten hat. Als
ersten und wichtigsten Dienst an der Sanierung der Nation
empfiehlt er eine kompromisslose Säuberung des Staates.
Gerade in diesem Punkt, so denkt man, haben europäische
Politik und Öffentlichkeit mit Tsipras und seinem Verein
mehr gemeinsam als mit den alten Staatsparteien
Griechenlands. Syriza will endlich, wie seit langem von
Griechenlands Kritikern gefordert, die Steueransprüche
des Staates durchsetzen und die Verfügung des Staates
über den ihm zustehenden Teil des Reichtums im Land
zurückgewinnen
. Ganz wie die Saubermänner in
Zentraleuropa sieht die Partei es als soziales
Verbrechen
an, dem Gemeinwesen das Seinige zu
entziehen. Sie will die Korruption ausmerzen und kann
dazu ganz ohne politische Altlasten
antreten, weil
der Anführer Tsipras als einziger über
Glaubwürdigkeit
verfügt und einlösen will, was alle
anderen nur versprechen: Endlich die korrupten und
ineffizienten, politischen und regulatorischen Systeme
Griechenlands aus der Welt zu schaffen
(FTD, 14.6.).
Und: Syriza will die Banken regulieren: Der Staat darf
sich nicht länger betrügen lassen, muss den Mangel an
finanzieller Transparenz
beenden, um den guten
Kredit vom schlechten zu trennen
. Denn wenn der Staat
die Banken in seinen Dienst zwingt, statt ihnen Geld
zu schenken
, kann das gesamte Finanzsystem seine
Stabilität vollständig wieder finden.
(FTD, ebd.).
Ist es nicht genau das, was wir alle in Europa
uns so dringend wünschen?
*
So sehr Tsipras aber auf die Vereinbarkeit seines
Programms mit dem Mainstream europäischer Krisenpolitik
dringt und trotz mancher Sympathien, die seine
Anitkorruptionspolitik in den Augen europäischer
Kommentatoren verdient: Die europäische Politik und ihre
Öffentlichkeit haben ihre Gründe für ihre Abneigung, denn
sie verfügen über ein verlässliches Kriterium, das,
kritisch in Anschlag gebracht, die scheinbar so
konstruktiven Versprechen und Vorhaben der
Syriza zweifelsfrei als demagogische
Volksbetörung, linksnationalen Radikalismus und
antieuropäische Pflichtverletzung entlarvt: Denn
Syriza verspricht seinen Wählern allen Ernstes,
die Schuldenbelastung abzuwerfen, die
Schuldenzahlungen einzustellen und Verhandlungen zur
Streichung der Schulden
mit den Gläubigern
aufzunehmen. (Programm Syriza, Pkt. 2)
Die Kündigung der Schuldenbedienung, allein um deren
Aufrechterhaltung willen Griechenland bislang von den
Eurostaaten vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt wurde,
wäre in deren Augen nicht weniger als ein unverzeihlicher
einseitiger Vertragsbruch
. Als Gegenleistung für
die Finanzierung seit dem faktischen Staatsbankrott hat
das Land sich verpflichtet, seine gesamte Haushalts-,
Wirtschafts- und Sozialpolitik ausschließlich nach den
Bedürfnissen der europäischen Kreditrettung auszurichten.
Dafür hat es seine Haushaltssouveränität abgetreten, die
Unterwerfung unter das Aufsichtsregime der EU und der
Gläubigerländer geduldet und im Weiteren für seine
„Rettung“ mit der fortschreitenden Zerstörung seiner
Ökonomie und der Verelendung seines Volkes bezahlt, die
durch die radikale Widmung aller verfügbaren Finanzmittel
der Nation für den Schuldendienst angetrieben wird.
An der Feindseligkeit, die Syriza und seiner
zersetzenden Alternative
(Bild) aus Deutschland und anderen
Gläubigerländern entgegen schlägt, ist erkennbar, dass
die Rettung, die die Tsipras-Partei Griechenland
angedeihen lassen will, unvereinbar ist mit der, die die
EU unter Führung Deutschlands für das Land vorgesehen
hat: Syriza trachtet gegenwärtig als einzige
Partei danach, Griechenland in einem elementaren Sinn als
handlungsfähigen Staat einschließlich einer brauchbaren
Bevölkerung zu bewahren und funktionsfähig zu halten.
Dafür hält es die Partei für notwendig, die erdrückende
Schuldenlast loszuwerden, die einer Erneuerung der Mittel
griechischer Staatlichkeit entgegensteht. Weil Geld und
politischer Kredit als die einzigen Hebel eines als
alternativlos geltenden kapitalistischen Wiederaufbaus
Griechenland nicht zur eigenen Verfügung stehen, ist
seine souveräne Aktionsfreiheit verloren, liegt das
Geschäft konkurrenzunfähiger denn je am Boden, bleibt die
Arbeitskraft des Volkes unausgebeutet und verkommt im
Zuge seiner Verelendung immer mehr. Das will
Syriza durch Streichung der Schulden ändern.
Die andere Rettung Griechenlands,
diejenige, die die aufsichtsführenden Staaten Europas der
griechischen Politik als Aufgabe stellen, hat ihren
ganzen Inhalt im Dienst an der nationalen Schuldenlast
als Teil des prekären europäischen Kredits. Griechische
Souveränität hat deshalb aus dieser Sicht nur wenige
zulässige Betätigungsfelder: Dazu zählt vor allem die
Konsolidierung
der Staatsfinanzen durch Austerität
und die Wiederherstellung von Vertrauen
in die
nationale Verschuldungsfähigkeit, mit der Griechenland
seinen Beitrag zum Beweis der Beherrschbarkeit
der
europäischen Schuldenkrise leisten soll. Damit sollte die
griechische Politik eigentlich völlig ausgelastet sein.
Politische Bemühungen, etwa um die sozialpolitische
Begleitung des galoppierenden Elends, erfreuen sich
durchaus gewisser unverbindlicher Sympathien in Politik
und Öffentlichkeit, dürfen aber keinesfalls dem
Hauptauftrag an die Schuldnerländer in die Quere kommen.
Wenn sich die unterschiedlichen Vorstellungen von der
Rettung Griechenlands nicht vertragen und die
Souveränität des Landes sich als unvereinbar mit der
Sanierung seines Kredits und der Gemeinschaftswährung
erweist, dann gilt jedenfalls: Alle einschlägigen
Veranstaltungen in Griechenland haben für den
Schuldendienst stattzufinden und nicht gegen
ihn! Wer das versucht, entlarvt sich – wie Tsipras – als
Demagoge
und Feind Europas
, dem, wenn
nötig, die Gelder zu sperren sind.
*
Die Führer von Syriza sind zu allem Überfluss
auf die Idee verfallen, die Einstellung des
Schuldendienstes ins Auge zu fassen und trotzdem
Euro-Mitglied bleiben zu können, in der Hoffnung, Europa
und der Euro könnten sich den Eklat eines Hinauswurfs der
Griechen nicht leisten: Griechenland braucht zwar
Europa, aber Europa braucht auch Griechenland!
Das
fügt dem Bruch vertraglicher Zusicherungen über die
Sparprogramme der nächsten Jahre, die gerade unabhängig
von der gerade amtierenden Regierung gelten sollten,
Frechheit und offene Insubordination hinzu und wirft ganz
grundsätzlich die Frage auf, wer in Europa das Sagen hat.
Klar zu stellen ist, dass das jedenfalls nicht
Griechenland ist; dass die Definitionshoheit über den
Inhalt griechischer Souveränität bis auf Weiteres in
Berlin und Brüssel zu Hause ist, und dass wer so
entgleist wie Syriza durch klare Signale zur
Räson zu bringen
ist. Es kann eben nicht sein,
dass diejenigen, die sich nicht an Abmachungen halten,
jeden anderen am Nasenring durch die Manege führen.
(Merkel, Bild, 17.6.) Das
Hauptquartier des Euro lässt sich von einem wie Tsipras
nicht erpressen und die Führungsnationen Europas sind es
– darum heißen sie so –, die über die Verteilung der
Nasenringe auf dem Kontinent entscheiden.