Von wegen „undurchsichtiges Schattenreich“, „außerdemokratische Grauzone“ und überhaupt „rätselhafte Welt der Geheimdienste“
Geheim und doch nicht zu übersehen:
Die nützlichen Dienste von CIA, BND und Co. für ihre Demokratien
Da werden im Mutterland von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit an Recht und Gesetz vorbei von den Geheimdiensten Bürger ausgeforscht, ein Ukas des Präsidenten ersetzt das ‚Habeas Corpus‘ des Richters; dieselben geheimen Dienste desselben Landes klauben sich aus der ganzen Welt verdächtige Muslime zusammen und verschleppen sie per Flugzeug an unbekannte Orte; bekannt ist nur, dass sie dort jedenfalls beim Gebrauch der eher nicht menschenwürdigen Verhörmethoden nicht gestört werden, die für ihre ‚Erkenntnisse‘ zielführend sind. Amerikas europäische Partner, Deutschland vorneweg, sind gleich mehrfach mit dabei.
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Systematischer Katalog
Von wegen „undurchsichtiges
Schattenreich“, „außerdemokratische Grauzone“ und
überhaupt „rätselhafte Welt der Geheimdienste“
Geheim und doch nicht zu übersehen:
Die nützlichen Dienste von CIA, BND und Co. für ihre
Demokratien
Aus dem weltweiten Anti-Terrorkrieg geraten Vorkommnisse
ans Licht der Öffentlichkeit, die in den westlichen
Demokratien, die in diesem Krieg in unterschiedlicher
Weise involviert sind, für Aufregung sorgen: Da werden im
Mutterland von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit an Recht
und Gesetz vorbei von den Geheimdiensten Bürger
ausgeforscht, ein Ukas des Präsidenten ersetzt das
‚Habeas Corpus‘ des Richters; dieselben geheimen Dienste
desselben Landes klauben sich aus der ganzen Welt
verdächtige Muslime zusammen und verschleppen sie per
Flugzeug an unbekannte Orte; bekannt ist nur, dass sie
dort jedenfalls beim Gebrauch der eher nicht
menschenwürdigen Verhörmethoden nicht gestört werden, die
für ihre ‚Erkenntnisse‘ zielführend sind. Amerikas
europäische Partner, Deutschland vorneweg, sind gleich
mehrfach mit dabei: Als ‚Drehscheibe‘ des regen
Flugverkehrs, den die CIA zum Transport ihrer Gefangenen
einrichtet; mindestens zwei von denen sind deutsche
Staatsbürger, der eine wird von Mazedonien nach
Afghanistan verschleppt und dort verhört, der andere in
Syrien gefoltert; in beiden Fällen ist der deutsche BND
mit dabei, entweder nicht direkt beteiligt
oder
mit verwickelt
; dann wird ruchbar, dass zwei
BND-Agenten in Bagdad Altkanzler Schröders mutiges
‚Nein!‘ zu Amerikas Krieg unterlaufen und sich mit der
Ausforschung von Zielkoordinaten für die Weltmacht
nützlich gemacht haben; aus dem ägyptischen
Außenministerium wird bekannt, dass die CIA mitten in der
europäischen Wiege von Zivilisation und Menschenrecht und
mit tatkräftiger Mithilfe der betreffenden Staaten
Folterdependancen unterhält – der Weltmacht der Zweck
alle Mittel heiligt
; hochspannende Fragen schließen
sich an: wer
von den heimlichen
Machenschaften
ihrer Geheimdienste bei uns an
höherer Stelle
wann etwas gewusst
oder diese
womöglich mit stillschweigender Duldung gebilligt
oder gar gedeckt
habe; ob daher auch der
BND
z. B. in Folterungen deutscher Staatsbürger
verstrickt
ist; ob nicht überhaupt so etwas wie ein
Geheimdienst in Widerspruch zur Demokratie
stünde;
ob, was speziell den deutschen BND betrifft, da nicht
endlich ein Untersuchungsausschuss Licht ins Dunkel
bringen
könnte und dies auch müsste, und so weiter.
Wer so fragt, regt sich freilich längst nicht mehr über
die Machenschaften der geheimen Dienste in staatlichem
Auftrag auf, von denen er Kenntnis erlangt hat. Dem
politischen Zweck, der da offenbar manches Mittel
heiligt, möchte man jedenfalls nicht näher auf den Zahn
fühlen. Lieber schließt man von den dunklen
Machenschaften
, die aufgeflogen sind, zielstrebig
zirkulär auf eine mindestens ebenso dunkle
geheimdienstliche Eigenmächtigkeit als deren Grund
zurück; also auf Unterlassungen derer, die für
ihre Dienste politisch verantwortlich sind, es an deren
wirksamer Kontrolle aber offensichtlich fehlen lassen. So
werden die geheimen Dienste zu ominösen
Schattenreichen
in einem politisch
unkontrollierten Niemandsland dämonisiert, über die man
dann, wenn von ihrem Treiben etwas publik wird, von ihrem
obersten demokratischen Dienstherrn aufgeklärt werden
möchte – eher nicht auf Einsicht erpicht, dieser Ruf nach
Aufklärung
, der sich da bei mündigen Bürgern regt.
Dabei sind die Überlegungen, die ‚Licht ins Dunkel‘
bringen könnten, gar nicht so schwierig, ganz ohne
staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren und garantiert
ohne die Einberufung eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses, nämlich nur über ein paar
Unterscheidungen zu erlangen.
I.
Nationale Sicherheit ist das oberste Schutzgut, das Nationen kennen. Auch wenn sie einander Respekt erweisen, zivilisierte diplomatische und viele freundschaftliche Beziehungen auf allen Ebenen pflegen: Über den Weg trauen sich konkurrierende Gewaltmonopolisten nicht. Mitten im schönsten Frieden kümmern sie sich daher nicht nur um ihr Militär als verlässliches Instrument ihrer nationalen Selbstbehauptung. Zur politischen Alltagsroutine gehört für sie auch die aktive Sicherheitspolitik, die sie weit im Vorfeld jeder kriegerischen Auseinandersetzung betreiben und für die sie ihren diplomatischen Emissären im Ausland das dafür entsprechend geschulte Fachpersonal ihrer Nachrichten- und sonstigen Geheimdienste zur Seite stellen.
‚Nachrichtendienste‘ nennen die Staaten ihre paramilitärischen Bundesbehörden oder sonst wie verfassten Vereine gerne, weil deren Spitzel und Spione sich im befreundeten wie befeindeten Ausland erst einmal ‚Erkenntnisse‘ über alles Mögliche zu verschaffen haben, was für die eigene nationale Sicherheit von Belang ist. In erster Linie also darüber, welche Bedrohungen von den Machtmitteln der fremden Macht ausgehen; welche Bestrebungen ‚die andere Seite‘ gegen die eigene insgeheim verfolgt; was überhaupt so an Verschiebungen im bilateralen Machtverhältnis im Busch ist, von welchen ‚Kräften‘ sie ausgehen, von welchen anderen sonst etwas droht – kurz: Die Agenten der Dienste haben einfach alles über den inneren Machthaushalt fremder Staaten Wissenswerte auszuforschen, und das möglichst bei allen Staaten, die in der weltpolitischen Konkurrenz von Gewicht, fürs eigene Vorwärtskommen also als Bedingung wie Schranke von Belang sind. Im Prinzip werden alle Staaten von einem Wissensdurst dieser etwas einseitigen Art geplagt; ihn einigermaßen dem eigenen Anspruch gemäß zu befriedigen bleibt allerdings jenen vorbehalten, die dank ihres Erfolges in der Konkurrenz um Geld und Macht für die Regelung weltpolitischer Ordnungs- und Gewaltfragen ohnehin schon an vorderster Stelle zugange und entsprechend in alle wichtigen internationalen Gewaltaffären praktisch eingemischt sind: Zusammen mit ihrem ‚weltpolitischen Gewicht‘ wachsen auch ihre sicherheitspolitischen Interessen und zusammen mit denen stets auch die Verantwortungs- und Aufgabenbereiche für ihre inoffiziellen sicherheitspolitischen Abteilungen. Deren Auftrag bleibt dabei aber keineswegs aufs bloße Ausforschen des Gewalthaushalts fremder Mächte beschränkt: Wenn es für die Interessen ihres Landes politisch geboten erscheint, greifen sie auch ‚operativ‘ in diesen ein. Sie finanzieren und dirigieren ‚oppositionelle Bestrebungen‘ an der einen Stelle, unterwandern an einer anderen ‚unliebsame Kräfte‘ und schalten sie bei Bedarf aus; manchmal erledigen sie auch gleich eine nicht genehme Regierung. Sich im Namen der Sicherheit der eigenen Nation oder sonst zu ihrem politischem Vorteil bei Bedarf auch praktisch-gewaltsam in die inneren Belange anderer einzumischen, ist also der Dienst, den diese Leute für ihre jeweiligen staatlichen Auftraggeber versehen. Ihr Treiben innerhalb des weiten Spektrums zwischen Informationsbeschaffung, Zersetzung und Umsturz steht außer jeder im Zivilleben geltenden Legalität, wäre an der gemessen Verbrechertum, ist aber keines wegen der höheren politischen Beweggründe, mit denen die Agenten unterwegs sind. Für die Fremdstaaten hingegen, in denen sie tätig werden, begründet ihr Treiben ein Verbrechen eigener Art – und werden sie beim ‚Vaterlandsverrat‘ erwischt, hängt es ganz von den Beziehungen zwischen Entsende- und Empfängerstaat ab, wie mit ihnen verfahren wird. Manchmal besteht ausdrücklich Interesse daran, sie als Anlass zur absichtsvollen Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen zu werten; manchmal nicht und dann können sie darauf hoffen, im Austausch gegen Berufskollegen frei zu kommen und ihrem Vaterland weiter zu dienen.
II.
Die USA und ihre Verbündeten haben ihre guten Gründe, an der funktionellen Arbeitsteilung zwischen ihrem Militär und ihren geheimen Nachrichtendiensten auch in ihrem offiziell ausgerufenen Krieg gegen die islamischen Feinde ihrer Weltordnung festzuhalten: Staatsbeamte unter Waffen, die eigenverantwortlich, verdeckt und ohne zurechenbare staatliche Weisung ins Kriegsgeschehen eingreifen, sind im Kampf gegen ‚terroristische Netzwerke‘ eine Produktivkraft der Gewalt.
Wogegen und womit die westlichen Nationen aktuell ihre nationale Sicherheit zu verteidigen haben, ist bekannt: Wer sich als anti-amerikanische oder anti-westliche staatliche Gegenmacht zu behaupten sucht, gilt als ‚Hort des Terrorismus‘, den auszuschalten ein dem Militär einer ‚Koalition von Willigen‘ vorbehaltener Fall ist; die geheimen Dienste liefern die Daten und Koordinaten, die es einer Weltmacht dann gestatten, ihre Kriege so wunderbar ‚asymmetrisch‘ und mit so grenzenloser Überlegenheit zu führen. Wer sich auf nicht-staatlicher Ebene dem fundamentalistischen anti-amerikanischen Lager zuordnet oder auch nur ideell zurechnet, wird als Privatperson zum Staatsfeind erklärt und als ‚Terrorist‘ entsprechend bekämpft. Dabei wie vor allem bei der Identifizierung und Trockenlegung des ‚terroristischen Sumpfes‘, in dem die anti-westlichen NGOs sich einnisten und ihre ‚Netzwerke‘ bilden, sind die Geheimdienste dann in ihrem Metier. Sie durchforsten ihre eigenen heimatlichen Gesellschaften nach Exponenten allzu strenger Gläubigkeit, die dem falschen Propheten gilt; die begründet für sie allemal den Verdacht auf das Vorliegen einer entsprechend verhärteten abweichenden Gesinnung, und die ist schon so gut wie ein Anfangsverdacht für den demnächst wohl fälligen Übergang des Betreffenden zur terroristischen Tat. Solche zwielichtigen Subjekte, verdächtig auffällig gewordene oder verdächtig unauffällige mutmaßliche Gegner der westlichen Welt- oder Werteordnung, sammeln sie ein und machen sie unschädlich; bespitzeln, ausspionieren, kidnappen und wegsperren gehört dabei genauso zu ihrem gelernten Handwerk wie das Foltern, das zu weitergehenden ‚Erkenntnissen‘ über die Bedrohungslage führt. Dieselbe Ausforschung des ‚terroristischen Täterumfelds‘ betreiben sie dann selbstverständlich auch in allen verdächtigen Regionen der Welt, und dass da dann der Übergang von einer ‚Erkenntnis‘ oft genug zur punktgenauen Liquidierung von ‚Terror-Anführern‘ führt, liegt gleichfalls in der Logik des Gewerbes: Mit allen ihnen zu Gebote stehenden modernen technischen Mitteln und deren so effektiv wie möglich und geradlinig-brutal wie nötig vollzogenem Einsatz gehen die geheimen Dienste präventiv gegen die Feinde ihrer Staaten vor, und die maßgeblichen Regeln und Gebote, an die sie sich dabei halten, sind, wie im Krieg üblich, die der Effektivität ihrer Gewaltausübung.
*
Zu der trägt auch die Kooperation der
Geheimdienste der westlichen Nationen miteinander bei,
wenn sie gegen einen gemeinsamen Feind, wie früher gegen
den Bolschewismus und heute gegen den ‚internationalen
Terrorismus‘, kämpfen. Der Kampf gegen ein
‚transnationales Netzwerk‘ findet über alle nationalen
Grenzen hinweg statt, in seiner inoffiziellen Abteilung,
für die die geheimen Dienste zuständig sind, auch über
die politischen Gegensätze oder Differenzen hinweg, die
es zwischen den Staaten der Anti-Terror-Allianz im
Allgemeinen und in Bezug auf ihr Vorgehen gegen den
‚Terror‘ im Besonderen geben mag: Die Dienste haben ihre
eigenen Kriterien, nach denen sie für die
Unverletzlichkeit der Sicherheitsinteressen ihrer
jeweiligen Nation sorgen, orientieren sich bei der
Zusammenarbeit mit konkurrierenden Vereinen stur an der
‚nationalen Sicherheit‘ als überragender Prämisse für den
Erfolg ihrer Mission und eher weniger an den
diplomatischen Sprachregeln, die den Stand der
außenpolitischen Beziehungen zwischen ihren politischen
Dienstherren offiziell bilanzieren. Daher sind
selbstverständlich alle westlichen Geheimdienste
in der ‚nahöstlichen Krisenregion‘ vor Ort und kümmern
sich in Konkurrenz gegeneinander wie in reger
Zusammenarbeit miteinander um die Pflichten, die ihnen
aus dem Kampf gegen den gemeinsamen Gegner erwachsen.
Selbstverständlich ist so auch der BND am Schauplatz
eines Krieges, den die eigene Regierung nicht
unterstützt, vertreten – die nationale
Sicherheit Deutschlands ist durch den Krieg der Weltmacht
auf jeden Fall betroffen, außerdem ist sie auch in
Gestalt der im Nachbarstaat Kuwait stationierten
Panzerbesatzungen und anderer Soldaten zu schützen. Und
wenn BND-Agenten dann der kriegführenden Weltmacht mit
nützlichen Informationen dienen, so liegt dieser
Freundschaftsdienst im Übrigen ganz auf der Ebene der
zwischen den NATO-Partnern Deutschland und USA in diesem
Krieg inoffiziell betriebenen und auch von einer
rot-grünen Friedenspolitik
überhaupt nicht
gekündigten logistischen Kooperation und geht schon von
daher vollkommen in Ordnung.
*
Schon gleich holt sich ein Verein wie die CIA an den
Höflichkeitsregeln und Verlautbarungen der
zwischenstaatlichen Diplomatie nicht den Maßstab seines
Vorgehens im Krieg gegen den Terror ab. Der verfügt nicht
nur über Mittel zur Feindbekämpfung, von denen sogar
manche NATO-Staaten träumen dürften, sondern auch über
die nötige Handlungsfreiheit, sie effektiv einzusetzen.
Daher wird die ruhmreiche CIA-Tradition von
‚Geheimdienst-Kriegen‘ mit modernstem Hightech-Gerät in
kleinem Maßstab z. B. im Jemen fortgesetzt; und wenn
hochrangige Al-Kaida-Mitglieder
in einem Dorf
vermutet werden, dann wird es auch dann aus der Luft
zerbombt, wenn es in Pakistan, also auf dem Territorium
eines engen Verbündeten im Anti-Terrorkrieg liegt. Auf
dessen offizielle Beschwerde in Washington hin weiß man
weder dort noch im Pentagon etwas von einer
Militäraktion, und das ist nicht nur ein gelungener
Scherz unter Staatsterroristen: Das ist vor allem eine
Mitteilung zur Abschreckung der Feinde Amerikas.
Die sollen sich in keinem ihrer Rückzugsräume
mehr sicher fühlen können, weil die Weltmacht eben nicht
nur die Absicht hat, sie überall auszuräuchern
(Bush), sondern in Gestalt ihrer Geheimdienste auch das
Mittel, ihre terroristische Bedrohung mit überlegenem
Gegenterror niederzumachen.
III.
Wie alles, so organisiert der demokratische Staat auch den Gewaltapparat seiner Geheimdienste mit Recht und Gesetz. Für deren Auftrag, für den Rahmen, in dem sie diesem in eigener Verantwortung nachzukommen, wie für die Schranken, die sie dabei zu beachten haben: Für all das gibt es ein Gesetz, an das die Dienste sich zu halten haben. Außerdem unterliegen sie bei der Wahrnehmung des ihnen eröffneten Freiheitsraumes im Rechtsstaat einer beständigen demokratischen Kontrolle: Durch ihre politischen Auftraggeber an der Regierung; durch den prüfenden Blick einer Opposition, die das Vaterland und seine Sicherheit bei den jeweils Regierenden ja nie gut genug aufgehoben sieht; vor allem aber durch eine unglaublich aufmerksame Öffentlichkeit, die in ihrem Scharfsinn regelmäßig die Entdeckung macht, dass immer dann, wenn von den geheimen Machenschaften dieser Dienste etwas bekannt wird, es zumeist den sittlichen Standards und rechtlichen Regeln überhaupt nicht entspricht, an die sich alle anderen halten: „Skandal!“
Der Schlussstrich, den die deutsche Demokratie unter das
geheimpolizeiliche Unwesen ihres Vorgängerstaates gezogen
hat, fällt überzeugend aus, die Auslands-Gestapo der
Demokratie kommt von Rechts wegen daher wie eine
Paralleluniversität: Der Bundesnachrichtendienst
sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das
Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer
Bedeutung für die Bundesrepublik sind, die erforderlichen
Informationen und wertet sie aus
(BNDG § 1); er
hat keine polizeilichen oder anderen Weisungsbefugnisse
(§ 2), unterrichtet vielmehr den Chef des
Bundeskanzleramts über seine Tätigkeiten und die
Bundesminister über seine Erkenntnisse (§ 12), so
dass sich über dieses Amt für Erkenntnisbeschaffung und
-weitergabe eines mit Sicherheit sagen lässt: Es ist mit
knapp gehaltenen 12 Paragrafen perfekt im demokratischen
Rechtsstaat integriert. Freilich lassen sich, wie oben
schon gesagt, Zweck und Auftrag dieses Amtes nur dann
erfolgreich wahrnehmen, wenn für die in ihm Tätigen beim
Erwerb und Auswerten der sicherheitsrelevanten
‚Informationen‘ die rechtstaatlichen Regeln
nicht gelten, die für alle anderen Bürger
verbindlich sind. Den Respekt vor Freiheits- und anderen
persönlichen Rechten mutet man ihnen bei der Ausübung
ihrer Pflicht fürs Vaterland jedenfalls nicht zu, im
Gegenteil: Die Rechtsgrundsätze, die für sie einschlägig
sind, sind – wie die für die nicht verdeckte militärische
Gewaltausübung nach außen – ausdrücklich als
Ausnahme von der Regel kodifiziert. Die
Geheimdienste der Demokratie haben die Lizenz zur
Ausforschung von und einem Umgang mit
‚Terrorverdächtigen‘ und anderen für die nationale
Sicherheit relevanten Kreaturen, der die Grenzen, die
sich die Staatsgewalt in ihrem Rechtsalltag gegenüber den
eigenen und fremden Bürgern selbst auferlegt, weit hinter
sich lässt. Zu dieser Art von Bekämpfung von
Staatsfeinden werden sie ermächtigt, ohne dass
der Rechtsstaat von irgendeinem seiner hochheiligen
Menschenrechts- oder sonst geltenden Prinzipien abrücken
würde: Mit der Definition des Auftrags an die geheimen
Dienste geht stillschweigend auch die Eröffnung des
nötigen Freiraums für seine erfolgreiche Wahrnehmung
einher, für die Machtapparate seiner Geheimdienste gelten
die Legitimitätsgrundsätze einfach nicht, auf
die der Rechtsstaat sich sonst bei der Ausübung von
Gewalt durch seine öffentlichen Organe sowie im zivilen
Umgang mit seinen Bürgern streng verpflichtet.
Freilich entlässt er damit nicht eine Behörde von Outlaws ins Reich willkürlicher Privatgewalt, sondern legt selbstverständlich Wert darauf, Herr der rechtlichen Ausnahmeregeln zu bleiben, die er seinen Geheimdiensten spendiert: Er schreibt per Gesetz fest, dass sein BND und seine anderen inoffiziellen Gewaltapparate sich in keinem Moment seiner politischen Kontrollaufsicht entziehen, und dafür hat er seine guten Gründe. Erst einmal den ganz grundsätzlichen und furchtbar naheliegenden, der Gefahr einer gewissen Verselbstständigung des klandestinen Machtapparats vorzubeugen: Dessen Ermächtigung darf nicht zu Eigenmächtigkeit führen – das ewige Paradoxon eines Geheimdienstes, dem nicht bloß Diktaturen mit einer Vervielfältigung ihrer Geheimdienste und deren wechselseitiger Kontrolle beizukommen suchen. Zudem ist deren Auftrag zur Einmischung in die ‚inneren Angelegenheiten‘ anderer Nationen ja allemal eine zwischenstaatlich sehr heikle Angelegenheit, so dass die politische Führung schon Bescheid wissen muss, wo und wie und mit welchem Risiko ihre Sicherheitsdiener unterwegs sind. Gleichen Schritts mit den Wechselfällen der Welt- und nationalen Sicherheitspolitik, mit den sich ändernden ‚Schwerpunkten der Außenpolitik‘, mit neuen ‚politischen Linien‘ im Verkehr mit einzelnen Staaten wie bei der Orientierung in den weltpolitischen Himmelsrichtungen gilt es darüber hinaus, die Aufmerksamkeit der Fachkräfte für Staatssicherheit in die politisch jeweils opportune Richtung zu lenken, das Engagement der in eigener Verantwortung geheim vor sich hinwerkelnden Machtapparate im einen Fall zu bremsen, im anderen zu schärfen. Mit den entsprechenden – wie es sich gehört für den Rechtsstaat: – in Gesetzesform niedergelegten Verfahrensrichtlinien, nach denen diese aus dem gewöhnlichen rechtsstaatlichen Leben entlassenen Staatssicherheitsdiener regelmäßig auf die regierungsamtlichen Generallinien der Außenpolitik zu verpflichten sind, wird der politisch-funktionelle Dienst der Agenten sichergestellt und ist das Gesamtkunstwerk eines demokratischen Geheimdienstes endgültig fertig.
*
Dass in der deutschen Demokratie ab und an
BND-Affären
die Runde machen, kann genau deswegen
nicht ausbleiben. Immer dann nämlich, wenn von den vielen
geheimen Machenschaften, von denen niemand irgendetwas
erfährt, eine bekannt wird, hat das Publikum den Umstand
zu verdauen, dass mitten in dieser feinen und
gewaltfreien demokratischen Welt voller Menschen- und
Freiheitsrechte Leute in staatlichem Auftrag unterwegs
sind, die eindeutig unfeine und überhaupt nicht
menschenfreundliche Sachen zu erledigen scheinen.
Dürfen die das denn?
, heißt das
Erkenntnisinteresse, das sich in einer Demokratie dann
sofort regt – und mit dem wendet man sich zielstrebig vom
staatlichen Auftrag- und Lizenzgeber der aufgeflogenen
anstößigen Machenschaft ab und der viel interessanteren
Frage nach ihrer Legitimität in
moralisch-sittlicher wie rechtlicher Hinsicht zu. Der
permanent tagende nationale Krisenstab der demokratischen
Öffentlichkeit hat da schon im bloßen Auffliegen
der Angelegenheit seinen ersten Anhaltspunkt, der
amtierenden Regierung saukritisch zu kommen: BND-Agenten,
von denen bekannt wird, dass sie Plutonium ins
Land schmuggeln, Landsleute in Geheimverliesen verhören,
beim Foltern zusehen … – Panne
heißt das erste
schlagende Argument, das unzweifelhaft in Richtung
Versagen
weist; schließlich heißt ein Geheimdienst
ja nicht umsonst so. Dann wird als Erstes überprüft, ob
das, was da ans Licht kommt, für die nationale Sicherheit
überhaupt nötig war; war es in diesem Sinn
gerechtfertigt, geht die Angelegenheit in Ordnung und ist
damit auch schon erledigt; wenn nicht, wird
nachgestochert: Wer von den Verantwortlichen war dafür
verantwortlich, wer hat was gewusst, womöglich gedeckt,
am Ende gar vertuscht? Nimmt der demokratische
Rechtsstaat nicht Schaden, wenn er unsaubere
bis
illegale Praktiken
seiner Staatsdiener duldet? Ist
nicht ein Geheimdienst überhaupt ein Widerspruch
zur Demokratie – wo in der doch alle staatliche Macht
öffentlich kontrolliert werden muss
(Prantl, SZ,
18.1.)? Spätestens damit hat der kritische öffentliche
Geist den Skandal
dann auf ein Gleis gesetzt, das
einfach nur noch ins Reich des Absurden führt: Skandalös
ist grundsätzlich nicht die Staatsgewalt, Anstoß
genommen wird nicht am geltend gemachten Bedarf an
‚Sicherheit‘, der mit solchen Methoden befriedigt wird –
das alles muss im Prinzip schon irgendwie sein und geht
in Ordnung; dies tut es in aller Regel ja auch, genau so
lange nämlich, wie nichts auffliegt von den schmutzigen
Machenschaften, in denen die Geheimdienste unterwegs
sind; ist das aber der Fall und wird etwas ruchbar, steht
fest, dass die politisch Verantwortlichen bei ihrer
Aufgabe, mittels demokratischer Kontrolle der
Geheimdienste
für die permanente Schmutzfreiheit
ihrer Werke zu sorgen, gepatzt haben müssen – und
das ist dann der Skandal. Die aufgeflogene
Machenschaft wird zur Ausnahme von einem
politischen Normalfall erklärt, der sich jeder Kritik
entzieht, und den dringlichen Antrag, solche Ausrutscher
hinkünftig nicht mehr vorkommen zu lassen, reicht man
dann an den politischen Herrn der Dienste weiter. Der
zeigt volles Verständnis für das Anliegen –
Kontrolleure stärken
, heißt der
parteiübergreifende Imperativ, und: alle Fraktionen
fordern bessere Aufsicht über die Dienste
(SZ, 18.1.)
–, ist selbst im Übrigen auch bestens dafür vorbereitet,
ihm entschlossen nachzukommen. Der wohltuende Unterschied
der Demokratie zur menschenverachtenden und illegitimen
Willkürherrschaft der Diktatur besteht ja in den
etablierten Verfahren, mit denen die vom Volk
Gewählten strikt auf die Ausübung allein ihrer
Amtspflichten hin kontrolliert werden und sich auch
selbst daraufhin kontrollieren; wenn die
eingehalten werden, haben die vom Volk beauftragten
Machthaber alles im Griff und ist ihre Herrschaft
legitim; zusammen mit ihrer Herrschaft geht
daher auch alles vollkommen in Ordnung, was die zu ihrer
Verteidigung gegen ihre auswärtigen Feinde an
Vorkehrungen vorsieht und auf den Weg bringt – und just
diese Verfahrensregeln hat ein Rechtsstaat in der
Abteilung ‚Kontrolle der Geheimdienste‘ auch für die
inoffiziellen Staatsdiener bei sich längst eingerichtet.
Mit seinen Untersuchungsausschüssen, Aktuellen Stunden
und Parlamentarischen Kontrollgremien hat er ein ganzes
institutionalisiertes Inventar parat, die Unversehrtheit
der Herrschaft des Rechts zu beglaubigen, die Generallüge
von der menschenrechtlichen Güte einer
demokratisch-verfahrensrechtlich reglementierten Gewalt
auch bei den aufgeflogenen Schweinereien seiner verdeckt
operierenden Agenten anzubringen und diese rückwirkend
demokratisch heilig zu sprechen: Weil das demokratische
Verfahren den herrschaftlichen Zweck heiligt, heiligt
der Zweck dann alle Mittel. Die Abwicklung eines
‚Skandals‘, der am demokratischen Geheimdienst im
Wesentlichen das Demokratische vermisst, ist so bei den
Parlamentariern logischerweise in besten Händen: Nach
etwas Hin und Her zwischen Regierung und Opposition
verständigen sie sich mehrheitlich erstens darauf, dass
sie selbstverständlich Herr der Lage sind, bei den
Kämpfern um die nationale Sicherheit Deutschlands alles
schon untersucht und perfekt unter Kontrolle haben; und
zweitens darüber, dass im Namen des hohen Schutzgutes
‚nationale Sicherheit‘ grundsätzlich allzu viel
Öffentlichkeit dem Dienst nur abträglich sein kann, den
die Demokratie von ihren so lichtscheuen wie
gewaltbereiten Auslandsexperten verlangt und bekommt.
IV.
Die verkehrten Fragen um ‚Legitimität‘, ‚Menschenrechte‘ und ‚demokratische Kontrolle‘, die im öffentlichen Skandalwesen um aufgeflogene geheimdienstliche Aktivitäten gewälzt werden, lenken nicht nur zielstrebig von der Sache ab. Der weitergehende politische Kollateralnutzen dieser Ablenkung besteht darin, das demokratische Publikum an die Notwendigkeiten zu gewöhnen, die für die Verteidigung der demokratischen Freiheits- und Menschenrechte unabdingbar sind. Weiter darin, dass dann, wenn die humanistische Grundsatzdiskussion einmal in Gang gekommen ist, nationale Sicherheits- und politische Werte-Experten auch in Deutschland ganz unbefangen in die Diskussion darüber einsteigen können, woran man sich im Zuge des Anti-Terrorkrieges der Demokraten demnächst als neue Selbstverständlichkeit zu gewöhnen hat.
Dass und warum die westliche Führungsmacht in Guantanamo ein KZ unterhält; dass und warum der US-Geheimdienst in und um Europa herum so viel fliegt; dass und warum auf Cuba, im Irak, in Syrien und Ägypten und an zig anderen Orten Menschen gefoltert werden usw. usw.: Nichts wird in der demokratischen Öffentlichkeit verschwiegen, und manch einer mag auch ehrlich entsetzt, vielleicht auch empört darüber sein, was ihm da unterbreitet wird. Es ist nur eben so, dass die öffentlichen Berichterstatter sich für solche Offenbarungen nicht interessieren, deswegen auch nicht bloß Nachrichten darüber präsentieren, mit welchen Schandtaten sich die feinen Demokratien gerade um ihre Sicherheit sorgen. Ihrer Informationspflicht genügen sie, um eine Diskussion zu munitionieren, die sich um ganz andere politische Fragen dreht, beispielsweise um die, ob man da nicht heftiger auf Distanz zu gehen hat gegenüber der befreundeten Weltmacht; ob die es nicht zu weit treibt und ob Deutschland sich da nicht etwas mehr ‚Rückgrat‘, vielleicht auch ein bisschen Opposition schuldig sei; ob umgekehrt die eigene Distanzierung vom Krieg der USA nicht an Glaubwürdigkeit verloren, ob sie nicht von Anfang an bloßer Schwindel war, usw. Entsprechend geben die öffentlichen Berichterstatter ihren Adressaten auch immer den passenden Leitfaden mit, an dem entlang sie ihre Empörung auszurichten haben, und der ist bizarr: War das rechtmäßig? heißt der Maßstab, an dem sie den Sachverhalt zu beurteilen haben. Unter dem prüfenden Blick, ob denn das Recht einen Gesichtspunkt hergeben mag, die Sache für in Ordnung zu befinden, steigt man in die Befassung mit der selbst gar nicht erst ein – und hakt sie genau darüber als nun einmal gegeben ab.
So wird man über die Umtriebigkeit der Folterknechte der
freiheitlichen Weltführungsmacht informiert – und
interessiert sich anschließend schwerpunktmäßig dafür, ob
und unter welchen Rechtstiteln ein deutscher Staatsanwalt
einen ihnen auch vorwerfbaren Tatbestand drechseln kann:
Hat der CIA-Agent beim Zwischenlanden ein Bein auf
deutsches Staatsgebiet gesetzt? Ist das
Nato-Truppenstatut verletzt worden? Haben sich deutsche
Behörden im Fall el-Masri der unterlassenen Hilfeleistung
schuldig gemacht? Wer das wissen will, vertieft sich auch
gerne in so spannende Fragen wie die, ob man die CIA in
Deutschland überhaupt verklagen kann; wie verschieden man
‚Menschenrecht‘ interpretieren kann; ob der US-Präsident
nicht zu weit geht, ohne Richterbeschluss seine Agency
zum Ausspionieren der eigenen Bürger zu kommandieren; ob
ihm das nicht schadet – eher weniger spannend findet man,
dass eine CIA-Drohne in Pakistan ein halbes Dorf
auslöscht, und das hat seine Logik: In dieser dämlichen
Pose eines eingebildeten Richters über Recht und Unrecht
der Taten der demokratischen Geheimdienste
gewöhnt man sich an alles, was im Reich des
inoffiziellen Wirkens der Staatsgewalt vorkommt und
normal, weil zur Verteidigung der Demokratie gegen ihre
heimtückischen Gegner offensichtlich unabdingbar ist. Im
Wege der schlichten Nichtbefassung mit den politischen
Zwecken und Gründen der Vorkommnisse macht man mit allem
seinen Frieden, mit dem Terror, den die Demokratie in
ihrem Kampf gegen ihre Feinde für nützlich hält, genauso
wie mit der praktischen Klarstellung über Gewicht und
Geltung der Freiheitsrechte ihrer Bürger. Wenn man zu
etwas auf Distanz geht, dann in der einfach nur noch
bescheuerten Manier von politisierten Staatsbürgern, die
es nicht aushalten können, wenn der nationale
Geheimdienst mit Pleiten
und Pannen
öffentlich ins Gerede kommt, sich der
Anti-Kritik des demokratischen Skandalwesens anschließen
und der Auffassung sind, das Seufzen nach besserem
Regieren, nach mehr Kontrolle
der
Geheimdienste und besserer Aufsicht
über sie wäre
ein Einwand gegen irgendetwas. Und wo das Volk sich
dermaßen konstruktiv mit Fragen von Effektivität,
Legalität und Legitimität des Treibens der nationalen
Geheimdienste befasst, stellen sich seine politischen
Führer gerne mit weitergehenden Ratschlägen zur rechten
Würdigung von deren Treiben zur Verfügung.
*
Dem öffentlich zirkulierenden Verdacht, auch unsere
blitzsauberen Jungs vom BND könnten bei der Suche nach
‚Erkenntnissen‘ zu dem rechtsstaatlich absolut verbotenen
Instrument der Folter gegriffen haben, muss sich der für
Terrorabwehr zuständige Bundesinnenminister einmal in
aller Grundsätzlichkeit zuwenden. Im Werte-Viereck von
‚Freiheit‘, ‚Menschenrecht‘ und ‚Rechtsstaat‘ auf der
einen und ‚Sicherheit‘ auf der anderen Seite wäre ihm
zufolge die Sache mit dem Foltern zu beurteilen, und da
steht für ihn, freilich auch für alle anderen Kämpfer für
‚Freiheit‘ und ‚Menschenrecht‘, unverrückbar fest: Im
Kampf gegen den Terrorismus dürfen die Grundsätze der
Rechtsstaatlichkeit nicht verlassen werden
(P.
Müller, CDU). Andererseits ist da der Wert ‚Sicherheit‘,
ohne deren Garantie die Demokratien ja gar nicht für die
Grundsätze kämpfen können, für die sie stehen und die sie
niemals verlassen dürfen. Also ist die spannende Frage,
wie es um die ‚Informationen‘ bestellt ist, die zwar
nützlich für die ‚Sicherheit‘, aber nur über die
Preisgabe aller anderen heiligen Werte zu erlangen sind,
und unter fürchterlichen Gewissensqualen
(Schäuble) ringt der deutsche Innenminister sich immerhin
zu einer Antwort durch, mit der auch die in Werte-Fragen
eher nicht versierten Bürger etwas anfangen können:
Wenn wir sagen würden, Informationen, bei denen wir
nicht sicher sein können, dass sie unter vollkommen
rechtsstaatlichen Bedingungen zu erlangen waren, nutzen
wir unter keinen Umständen – das wäre völlig
unverantwortlich.
(Spiegel, 52/05) Sicher: Ein freies
Bekenntnis dazu, dann im Namen der deutschen
Staatssicherheit entsprechend frohgemut zur Tat zu
schreiten, ist das nicht. Aber das braucht es in einem
demokratischen Rechtsstaat ja auch gar nicht. Es reicht
vollkommen aus, wenn ein Staatsmann seine Summe aus 4
Wochen öffentlich diskutierter BND-Affäre
,
CIA-Gefangenenflüge
und Folterskandale
zieht. Dann lässt er den für ihn maßgeblichen
Gesichtspunkt wissen, unter dem man die ganze
Angelegenheit zu würdigen hat, und damit auch, welche
verantwortliche Haltung zur Folter
– die Freunde
des Menschenrechts kennen da offenbar mehrere
Alternativen – alle übrigen Volksgenossen zu beziehen
haben. Ein Schäuble jedenfalls kennt auch beim Quälen den
guten Grund für Gewalt und sagt ihn frei heraus:
Der Nutzen der Folter für die Demokratie und
ihre ‚Sicherheit‘ vor dem Terror der anderen ist nicht zu
verkennen, und da der BND selbst keinesfalls Hand anlegen
darf, geht es demokratisch vollkommen in Ordnung, wenn
sich seine Aktivitäten bei der Kooperation
mit den
anderen Diensten beim Foltern aufs Wegschauen
beschränken. Im sich anschließenden politischen Streit
darüber, welche rote Linie
deutsche Demokraten um
dieses Ertrags willen auf keinen Fall
überschreiten
(Schäuble) dürfen, gewöhnt sich dann
auch das Publikum eine Haltung zur Folter an, die vor
allem eines garantiert nicht mehr ist: Schlichte
Konsequenz der unmittelbar empfundenen Abscheu, denn das
wäre völlig unverantwortlich. Sehr verantwortlich dagegen
ist es, sich zusammen mit dem Innenminister und seinen
Kollegen auf die Suche danach zu machen, welche Regeln
und Restriktionen im Rechtsstaat neben dem Folterverbot
dessen schlagkräftiger Verteidigung nach innen wie außen
sonst noch im Wege stehen.
V.
Der Schein, die demokratische Kontrolle der Geheimdienste wäre dasselbe wie deren wirksame Verpflichtung auf respektvolle Menschenbehandlung etc., ihre funktionelle Freisetzung dasselbe wie die strikte Beschränkung der ‚Dienste‘ aufs erlaubte Notwendige, findet praktische Anwendung in der Diplomatie. Nämlich zur Inkriminierung der geheimdienstlichen Machenschaften von Gewalthabern, denen man den rechtfertigenden Grund ‚Sicherheit‘ nicht zugesteht: Politische Feinde setzen mit ihren Agenten grundsätzlich das Feindbild ins Recht, das man von ihnen pflegt. Dabei wird von diesem Quidproquo selbstverständlich berechnend Gebrauch gemacht. Mal hemmungslos – dann sind syrische V-Männer im Libanon ein „Signal“ der Feindseligkeit, die von ihrem Staat ausgeht; mal verständnisvoll – nicht in jedem Fall stehen Russlands Agenten sofort in der Tradition des bösen KGB; und – mit aller Vorsicht – auch aktuell im Verkehr mit der eigenen Führungsmacht.
In ihrer Art zollen auch die USA den bei ihnen geltenden
rechtsstaatlichen Regeln allerhöchsten Respekt: Damit die
keinesfalls Schaden nehmen, vermeiden sie, so gut es eben
geht, jede Kollision zwischen ihnen und den
Notwendigkeiten ihres Anti-Terrorkriegs. Zur effektiven
Verfolgung und Ausschaltung militanter Islamisten richten
sie sich daher einen national wie international jeder
rechtsstaatlichen Legitimitätsüberprüfung von vorneherein
entzogenen geheimen Gewaltapparat ein und nutzen
den Segen der internationalen Arbeitsteilung auch für den
aus: In Kooperation mit ‚Schurken‘- wie sehr vielen
befreundeten Staaten errichten sie ein Terror-Netzwerk
der Freiheitlichkeit, sortieren Staaten an dem Kriterium
entlang, wie gut sich bei denen Folter ‚outsourcen‘
lässt, wo man problemlos Leute zum Verschwinden bringen
und wo man auch sonst ganz frei die innovativen und
einzigartigen Mittel
(CIA-Direktor Goss) ausprobieren
kann, die der demokratischen Erkenntnisgewinnung dienen.
Doch werden über die Freiheiten, die sich die USA und
ihre geheimen Dienste da herausnehmen, in Europas
Öffentlichkeiten wie regierenden Kreisen Bedenken laut.
Natürlich steht man mit der Weltmacht im ‚Kampf gegen den
Terror‘ unverbrüchlich Seite an Seite, und
selbstverständlich gehört dazu auch die rege
Zusammenarbeit der eigenen Geheimdienste mit denen der
USA. Aber eine ganz andere Sache ist der eigene
politische Rang und Status, den man sich in diesem Kampf
einerseits ausrechnet, andererseits vom übermächtigen
Partner zugewiesen bekommt, und in dieser Konkurrenz
um weltpolitische Statusfragen zwischen Amerika und
Europa werden die größeren und kleineren Affären aus der
Welt der internationalen Terroristenjagd zum
Instrument der Diplomatie. Die Folter- und
Verschleppungsopfer der CIA bieten für manche europäische
Staaten da gleich doppelt eine gute Gelegenheit: Erstens
sind es nicht die eigenen, also ein Beweis, wie wohltuend
sich Europas Musterdemokratien bei der Wahrung ihrer
Sicherheitsinteressen von anderen abheben. Zweitens
gestatten sie aus demselben Grund auch, unter Berufung
auf verletztes Menschen- und internationales Völkerrecht
zu Amerika ein wenig auf kritische Distanz zu
gehen. Mit dem Deuten auf Folter- und Verschleppungsopfer
wirft man gegenüber der Weltmacht die Grundsatzfrage
der Legitimität ihres Tuns auf – freilich nicht,
weil man vorhätte, ihr demnächst ernsthaft den Respekt
vor ihrer Souveränität zu verweigern: Die Abweichung vom
eigenen Demokratie-, Freiheits- und Menschenrechts-Kodex,
den sie weltweit durchkämpfen, hält man den USA vor, um
sie daran zu erinnern, dass sie sich in diesem Kampf
nicht alles herausnehmen, sie bei der Wahl der
Mittel nicht allein und allein nach
eigenem Ermessen vorgehen könnten, weil nämlich
schon auch Belange ihrer souveränen Partner zu
respektieren hätten. Welche das im Einzelnen sind und
sein mögen, spielt gar keine Rolle, wobei man da mehr
‚Mitsprache‘ oder ‚Mitberücksichtigung‘ will, ist nicht
Thema: Dass sie von ihrer Führungsmacht nicht zu
übergehen sind und nicht übergangen werden wollen, ist
die Botschaft, die einige ihrer europäischen Partner an
deren Adresse loswerden.
Dieses politische Drangsal auf der einen Seite, die
Berechnungen auf der anderen, welches Auftreten gegenüber
der Weltmacht man sich im Allgemeinen und hier im
Besonderen leisten kann und will, bescheren den
transatlantischen außenpolitischen Beziehungen dann ein
wunderschönes Kapitel erlesenster politischer Heuchelei:
„Guantanamo!“ macht die Runde, wobei die gewichtige
Bedeutung des Wortes nicht im bezeichneten KZ liegt,
sondern sich erst einmal nach der politischen Ranghöhe
desjenigen bemisst, der es in den Mund nimmt; dann
danach, wann, wo und wem gegenüber er dies tut, und vor
allem: welche tiefere diplomatische Bedeutung er seiner
mutigen Äußerung selbst beigelegt haben möchte. Das geht
eine Zeit so dahin, dann kommen aus Amerika die
kongenialen Echos: Wir senden die Botschaft an die
Welt, dass die USA nicht wie Terroristen sind
(Bush,
lt. SZ, 17./18.12.05) – ab demnächst kann man nämlich
beide daran gut voneinander unterscheiden, dass in der
Wiege der Freiheit den Regierungsbeamten grausame oder
unmenschliche Methoden
(ebd.) per Gesetz verboten
sind, während Terroristen ja nicht einmal die grausamen
Regierungsbeamten haben, denen man etwas verbieten
könnte. Dann streuen US-Geheimdienstler gezielt
Informationen aus, wonach die Rechtfertigungslügen für
den Krieg gegen Saddam aus der BND-Quelle
‚Curveball‘
(Spiegel, 3/06) geschöpft wurden,
bedanken sich laut und vernehmlich bei den Deutschen für
die Kooperation im Krieg, lassen durchblicken, dass bei
der Verschleppung eines Verdächtigen aus Mailand
selbstverständlich die italienischen Kollegen mit dabei
waren, usw. Haben also selber Dreck am Stecken, die
europäischen Saubermänner, und so ist die Zeit wieder
reif für eine Runde Deeskalation. Um eventuelle
Menschenrechtsverletzungen im Zuge der CIA-Flüge zu
überprüfen, engagieren die Europäer den Europarat, eine
Organisation ohne eigene Machtbefugnis, die gleichwohl
das vereinigte Europa repräsentiert; der Beauftragte
macht sich an die Ermittlung von Gefangenenflügen und
Geheimgefängnissen – und beißt bei seinen eigenen
Auftraggebern auf Granit: Marty stößt auf Mauern …
Offenbar seien in einigen europäischen Hauptstädten
Details der illegalen Operationen bekannt gewesen und
toleriert worden.
(SZ, 5./6.1.06) Mit Unterstützung
aus der Schweiz wird der Herr Staatsanwalt freilich auch
nicht rechnen können. In seinem Heimatland hat der
Geheimdienst eine Liste von in Europa verteilten
US-Geheimgefängnisse abgefangen, irgendwer hat sie der
Öffentlichkeit zugespielt, und seitdem befürchtet man in
Zürich Schlimmes – weder für Europa, schon gleich nicht
für die Inhaftierten, sondern: schwerwiegende
Konsequenzen für die schweizerischen Geheimdienste.
Ausländische Partner würden sich beim
Informationsaustausch in nächster Zeit vermutlich in
großer Zurückhaltung üben.
(NZZ, 10.1.06) Die
Schlagkräftigkeit ihrer klandestinen Anti-Terrortruppen
könnte irgendwie Schaden nehmen – das sind dann schon
wieder die ehrlichen Sorgen, die Staaten sich in ihrem
‚Kampf gegen den Terror‘ machen.