Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der G7-Gipfel von Okinawa
Entwicklungsperspektive für die Dritte Welt heute: Armenhaus mit Internetanschluss
Schuldenerlass für die „Ärmsten“ ist alles andere als ein staatlicher Neubeginn der Dritten Welt: die Imperialisten haben diese Länder endgültig abgeschrieben und ihnen den Status von mittellosen Armen- und Krankenhäusern verpasst – mit Internetanschluss allerdings; wenn schon kaum mehr Geschäfte laufen, sollen sie wenigstens erreichbare(!) Mitglieder der Staatenwelt bleiben.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der G7-Gipfel von Okinawa
Entwicklungsperspektive für die
Dritte Welt heute: Armenhaus mit Internetanschluss
Nach einhelligem Urteil der Teilnehmer wie Kommentatoren
des G7-Gipfels von Okinawa handelt es sich diesmal bei
dem Treffen der Führer der Weltwirtschaft um einen ersten
und echten „Entwicklungsgipfel“. Mangels Kriegen und
Wirtschaftskrisen
habe es eine systematische
Fokussierung auf die Hilfe für Entwicklungsländer
gegeben.
(Clinton) So
soll der auf dem letzten Gipfel von Köln beschlossene
Schuldenerlass für hochverschuldete arme
Entwicklungsländer
beschleunigt werden; 9 Ländern der
Dritten Welt werden ab sofort Schulden von mehr als 15
Mrd. Dollar erlassen und der deutsche Regierungschef
zeigt sich zuversichtlich, dass bis Jahresende 20 der
39 dafür in Frage kommenden Länder die Kriterien erfüllen
könnten
.
Als besondere Note des Gipfels
gilt die
Ankündigung, Arm und Reich auf der Welt nicht noch
zusätzlich durch eine ‚digitale Kluft‘
auseinandertreiben
zu wollen. Zwecks Integration
der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft
und zur
Verringerung des digitalen Technologierückstands
sagen die G7-Staaten stolze 30 Mrd. an Krediten zu. Sie
werden eine Arbeitsgruppe namens dot force
ins
Leben rufen, die Empfehlungen zur Überwindung des
befürchteten Informations- und Wissensgefälle zwischen
Industrie- und Entwicklungsländern
abgeben soll.
Zudem fordern die Großen der Weltwirtschaft neue Initiativen zum globalen Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Aids, Malaria und Tuberkulose.
Da kann es ja nur aufwärts gehen mit den Ärmsten der Armen.
Kritiker des G7-Treffens sprechen von einem
angeblichen Erfolg des Gipfels
, von hohlen
Versprechungen
an die Entwicklungsländer und warnen
davor, alle wohlklingenden Erklärungen der reichen
Länder ernst zu nehmen
. Allein für ihren Gipfel
hätten die G7-Staaten mehr ausgegeben, als sie der
Dritten Welt bisher an Schulden erlassen haben
. Der
schon in Köln versprochene Schuldenerlass sei völlig
unzureichend
und werde viel zu langsam
umgesetzt
, den hehren Worten
fehle oft das
Rückgrat der Finanzierung
. Restlos enttäuscht sind
die NGO’s: die Hoffnungen der Ärmsten auf einen echten
Neubeginn zum Jahrtausendwechsel sind zerstört
worden
.
Man muss schon einigen unerschütterlichen Glauben an die
letztlich guten und wohltätigen Absichten der
imperialistischen Hauptmächte mitbringen, um den
G7-Erklärungen ein Bekenntnis der ‚Reichen‘ zu ihrer
Fürsorgepflicht gegenüber den ‚Ärmsten‘ zu entnehmen.
Denn wenn die führenden Weltwirtschaftsmächte den ärmsten
Mitgliedern der Staatenwelt einen teilweisen
Schuldenerlass, Unterstützung bei der Gesundheitsfürsorge
und eine bessere Nutzung der Möglichkeiten der neuen
Informationstechnologien
in Aussicht stellen, geht es
ihnen dabei um alles andere als um einen staatlichen
Neubeginn in der Dritten Welt: Die angekündigten
Hilfsmaßnahmen
unterstellen nämlich die
ökonomische Ruinierung und den Zerfall der Staatlichkeit
der betreffenden „Entwicklungsländer“. Und sie
besiegeln dieses „Schicksal“, weil sie jeder
Anstrengung, diese Länder zu nutzbringenden Teilnehmern
am Weltmarkt zu entwickeln
, eine definitive Absage
erteilen.
Schulden(teil-)erlass für die „Ärmsten der Armen“
Mit ihrer auf dem Kölner G7-Gipfel vor einem Jahr
beschlossenen und nun in Okinawa bekräftigten Initiative
zu einem Schuldenerlass für die ärmsten der armen Staaten
ziehen die imperialistischen Nationen auf ihre Weise
Bilanz über die Resultate ihrer einige Jahrzehnte
dauernden Entwicklungspolitik. Die „Lage“, der sie sich
stellen, besteht darin, dass bei nicht wenigen
Mitgliedern der Staatengemeinschaft 30 Jahre
Weltmarktkarriere gereicht haben, um von den
Gläubigerländern und deren Finanzagenturen in die Rubrik
„highly indebted poor country“ (HIPC) einsortiert zu
werden. Ökonomisch drücken die Gläubiger damit aus, dass
die Devisen, die die hochverschuldeten armen
Länder
fast ausschließlich mit dem Export von Natur-
und Agrarprodukten verdienen, noch nicht einmal
ausreichen, um ihren Schuldendienst bei IWF und Weltbank,
den Kreditabwicklungsbehörden der Gebernationen, zu
leisten. Kredit, ohne den sie ökonomisch gar nicht
überlebensfähig wären, brauchen sie ausschließlich dazu,
die fälligen Zinsen auf ihre im Laufe der Jahre immer nur
angewachsenen Schuldsummen zu bezahlen. Die Berechnung,
die die unterentwickelten
Staaten zu Beginn und im
Laufe ihrer fortschreitenden Verschuldung angestellt
haben – nämlich mittels des Einsatzes von geborgtem Geld
die auf ihrem Territorium lagernden natürlichen
Reichtümer zu erschließen, also aus ihnen überhaupt erst
auf dem Weltmarkt absetzbare Waren und damit eine
staatliche Einnahmequelle zu machen, und mit der dann
soviel an wirklichem Geld zu verdienen, dass sie als
kreditnehmende Staaten nach Ableistung ihrer
Zinspflichten auch noch über einen nationalen Ertrag
verfügen, der einer Entwicklung
des Landes
gewidmet werden kann – diese Berechnung ist gründlich
daneben gegangen. Ein – und sei es auch noch so
bescheiden dimensioniertes – nationales Wachstum haben
die Kredite nicht angestoßen
. Die staatlichen
Exporterlöse steigen nicht nur nicht – dank weltweitem
Überangebot an Dritte-Welt-Produkten sinken sie laufend,
während auf der anderen Seite die Schulden immer weiter
wachsen.
Das heißt freilich nicht, dass die vielen Schulden nicht für das Wachstum in den kreditgebenden Staaten getaugt hätten: Mit den Entwicklungshilfekrediten haben diese die Dritte Welt in ihren weltweiten Kapitalismus integriert – vor allem eben als billige Rohstofflieferanten.
Mit dem Schuldenerlass, den die Chefs der
weltwirtschaftsmächtigen Nationen gerne als finanziellen
Befreiungsschlag für die Ärmsten der Armen
verkaufen, kündigen die Gläubigernationen ihr bis dato
praktiziertes Verfahren, den Verlierernationen der
Weltwirtschaft immer wieder neue Schulden anzuschreiben
zu dem bloßen Zweck, Zinsansprüche auf ihre bereits
bestehenden und von den „Ärmsten“ nicht bedienbaren
Forderungen zu begleichen. Worauf sie ab sofort großzügig
verzichten
, ist die Fiktion, bei den
uneintreibbaren Schulden der HIPCs handelte es sich um
geldwerte Vermögen. Sie entschließen sich nun dazu, diese
Gelder in ihren Bilanzen durchzustreichen. Damit wird der
bislang immer noch verfolgte Anspruch, mit weiterem
Kredit aus den kapitalistischen Armenhäusern zumindest
noch das zur Zinsbedienung nötige Geld herauszupressen,
als Idealismus
eines gescheiterten
Entwicklungsmodells
aus dem Verkehr gezogen. Indem
sie auf einige Mrd. uneinbringlicher Schulden
verzichten
, nehmen die Gläubiger also nicht nur
eine sowieso einmal fällige Berichtigung ihrer Bücher vor
– schon gar nicht lindern sie in irgendeiner Weise die
Finanznöte der zur (Teil-)Entschuldung vorgesehenen
Länder. Mit dem Akt der Entschuldung vollstrecken sie
abschließend und in aller Form den staatlichen
Offenbarungseid über diese Länder:
– Ihre ökonomische Unfähigkeit, mit den spärlichen Erlösen, die sie durch den Verkauf ihrer Rohstoffe auswärts erwirtschaften, sich als funktionierende Gemeinwesen zu erhalten, wird ihnen von ihren Gläubigern als ihr endgültiger und unabänderlicher Zustand zugeschrieben. Weiterer Kreditierung sind sie nicht würdig, weil zu ordnungsgemäßer Schuldenbedienung nicht in der Lage.
– Aus ihren Exporteinnahmen errechnet sich die
aushaltbare
Restschuldsumme. Diese bleibt
selbstverständlich stehen – und damit gehört weiterhin
alles, was im Land an Reichtum
zustande kommt, den
Gläubigerstaaten.
– So ist auch der letzte Rest von haushalterischer Freiheit der Schuldenerlasskandidaten gestrichen: Ob und wie viel Geld noch in den Händen der HI-Staatsgewalten verbleibt, wird von den Gläubigern festgelegt. Ein Land des Typs ‚hochverschuldet und arm‘ einfach zu sein und zu bleiben: das ist der neue staatliche Status, der ihnen mit der Bereinigung ihrer „Überschuldung“ zugewiesen wird.
Die Konditionen des Schuldenerlasses
Die Staaten, die mit ihren großzügig vergebenen Krediten
die staatlichen Ärmlinge in ihre totale
Schuldabhängigkeit gebracht haben, sehen sich – eben
aufgrund ihrer Macht als Gläubiger – ganz
selbstverständlich berechtigt, über deren finanzielle
Zukunft zu befinden, und – Geld regiert bekanntlich die
Welt – verordnen ihnen auch gleich noch das ihrem neuen
weltwirtschaftlichen Status angemessene
Regierungsprogramm. Es liegt vor in den klar
definierten und überprüfbaren Bedingungen
, die die
Kandidaten unterschreiben und in die Tat umsetzen müssen,
bevor auch nur eine Null im Schuldbuch der Gläubiger
entfernt wird. Diesen Qualifizierungskriterien
–
Bekämpfung von Armut und Seuchen, Einstellung aller
kriegerischen Handlungen im Innern wie gegen
Ihresgleichen, Streichung von Militärausgaben und
Unterlassung von Korruption – können die
begünstigten
Länder unschwer eine
Zustandsbeschreibung der für sie vorgesehenen Zukunft
entnehmen: Hunger, Krankheit und Gewalt ist da einfach
als der unabänderliche Normalfall und Dauerzustand der
Dritten Welt eingeplant. Zugleich buchstabieren ihnen die
Bedingungen
die Leitlinien ihrer zukünftigen
Regierungspflichten vor, die sich aus der sanktionierten
Mittellosigkeit der betreffenden Länder ergeben und die
sie dem Imperialismus gerade deswegen schuldig sind.
Armutsbekämpfung: Wenn die
G7-Mächte der Dritten Welt Armutsbekämpfung als
Staatsprogramm verordnen, dann erteilen sie dem einzigen
Weg, wie Armut wirklich zu beseitigen wäre: der
Schaffung kollektiven Reichtums, eine dezidierte
Absage. Statt dessen gehen sie von einer weiteren Zunahme
von Armut in den betreffenden Ländern aus – sonst machte
der rein negative Zweck ihrer Bekämpfung gar keinen Sinn.
Da machen sie sich schon deswegen keine Illusionen, weil
sie mit ihrem Schuldenerlass ja selbst jede Idee darüber,
es gelte, die Armen
dazu zu befähigen, ein Stück
Produktion im Land ins Leben zu rufen, endgültig
verabschiedet haben: Von Reichtum, der so oder so
geschaffen werden sollte, kann für sie ja noch nicht
einmal mehr als Ziel einer in ferner Zukunft liegenden
Entwicklung
die Rede sein. Länder, über die jetzt
der Staatsbankrott verhängt wird, haben jede
Kreditwürdigkeit verloren, die einzigen Mittel, über die
sie noch verfügen, sind gelegentliche Geldgeschenke,
Spenden und Hungerhilfe der „Reichen“ – freilich nur bei
erwiesener Botmäßigkeit. Dennoch oder gerade deshalb
werden sie damit beauftragt, mit ihren eigenen, also mit
so gut wie keinen Mitteln weiter zu wirtschaften und nach
Kräften ihre landestypische Armut zu bekämpfen –
gewissermaßen nach der Logik, dass die Bekämpfung von
ganz viel Armut doch wohl so gut wie
umsonst zu haben sein muss. Das ist der
imperialistische Anspruch, dem das Regieren in der
Dritten Welt ab sofort zu genügen hat: die dort
beheimateten Staaten sollen sich als Verwaltungsbehörden
ihrer elenden und verwahrlosten Völker begreifen und sich
jede weitergehende Zielsetzung abschminken; dafür kriegen
sie die Almosen der „Reichen“.
Korruptionsbekämpfung:
Funktionierende Staaten, die ihr Land im Griff haben und
es wirksam kontrollieren, sollen sie – bei feststehender
Mittellosigkeit – freilich auch noch sein. Auf politische
Adressen und halbwegs handlungsfähige Machthaber vor Ort
wollen die G7-Mächte nämlich nicht verzichten. Aber da
hat in Zukunft die Verrichtung der Staatsgeschäfte in den
armen Ländern
schon sauber zu sein, also
ohne die landesübliche Unsitte der Korruption
stattzufinden. Mit diesem Vorwurf inkriminieren die
Führer der Staatenwelt die Verwendung der Gelder, die sie
selbst den regierenden Betreuern der Armut noch
anvertrauen, als unstatthaft, als
Verschwendung – die Gelder, mit denen sie sich
bislang die dortigen Herrschaften gekauft haben, erklären
sie gewissermaßen zu überflüssigen Kosten. Damit
bestreiten sie den politischen Aufsehern der Armenhäuser
ihren Unterhalt, untersagen ihnen die in diesen Ländern –
mangels anderer Möglichkeiten – gängigen Methoden,
politische Loyalität übers Zuschanzen materieller
Vergünstigungen zu sichern, und untergraben damit auch
noch die Reste dessen, was es in diesen Ländern an
staatlichen Strukturen
noch gibt. Die neuen
Hausaufgaben für die Dritte Welt lauten schlicht: Eine
irgendwie geartete Ordnung auf ihrem Territorium sollen
die dortigen Politiker aufrechterhalten bzw.
wiederherstellen, aber ohne persönliche
Bereicherung
, also ohne die nunmehr als überflüssige
Herrschaftskosten definierten Mittel, sich Gefolgsleute
und eine den armseligen Umständen entsprechende „Ordnung“
im Lande zu kaufen.
Reduzierung von Militärausgaben und
Einstellung von Kriegen: Weisungsgemäßes
Regieren – für das die Imperialisten ihre
Drittwelt-Geschöpfe ja weiterhin in Anspruch nehmen – hat
in einem HIPC-Staat in Zukunft zivil
, also ohne
die dauernden blutigen Bürgerkriege
und sonstigen
bewaffneten Auseinandersetzungen
stattzufinden.
Wenn die G7-Staaten die gewalttätigen Verhältnisse in den
weltweiten Armutsregionen anprangern, haben sie Zustände
im Visier, in denen von so etwas wie einem
durchgreifenden staatlichen Gewaltmonopol auch nicht im
Ansatz die Rede sein kann. In diesen Ländern ist nicht
nur die Armut der Bevölkerung, sondern in gewisser Weise
auch die des Staates so groß, dass eine Regierung, die
die Mittel hätte, ihre Gewalt über Land und Leute
unangefochten zu behaupten, nicht zu haben ist. Deswegen
wollen auch die Kämpfe um die noch verbliebenen
Machtmittel ewig nicht aufhören, zumal der Besitz von
einem Lastwagen und ein paar Gewehren in diesen Ländern
so ziemlich die einzige Möglichkeit ist, an die Güter,
mit denen Devisen zu erlösen sind, bzw. an die per Export
eingenommenen Gelder heranzukommen. Aus der
festgestellten Ohnmacht der dortigen Potentaten, bei sich
die zivilisatorische Errungenschaft eines
funktionierenden Gewaltmonopols durchzusetzen,
ziehen die G7-Mächte den „Schluss“, dass dann wohl das
militärische Gerät zu völlig sinnlosen Kämpfen
um die Macht missbraucht wird. Ihre staatlichen
Aufsichtsfälle haben also noch viel zu viel
Waffen, und die hochgerüsteten und zu Gewalt befugten
Staaten müssen sie ihnen wegnehmen, zumindest aber ihren
Einsatz unter ihr Kuratel stellen. Dann sollen die
Konkurrenten um die Staatsmacht dort ihre
Konflikte
bitteschön friedlich beilegen
und
die Leistungen einer staatlichen Gewalt eben
ohne den Einsatz von Gewaltmitteln erbringen –
soweit der Beitrag zum Zustandekommen von „zivilen
Strukturen“ in diesen Ländern.
Kriege stehen Ländern, die von den Almosen der entwickelten Nationen leben, sowieso nicht zu, zumal irgendeine sinnvolle imperialistische „Stellvertreter“-Funktion an ihnen nicht – mehr – erkennbar ist. Kriegführen ist heute das Privileg der Nationen, die es sich leisten können; die anderen haben ihre Armut zu managen.
Bei derart hohen Ansprüchen an quasi selbstloses und
ehrenamtliches Regieren ist es kein Wunder, dass eine
erste Bilanz der G7-Staaten auf ihrem Gipfel in Japan das
betrübliche Resultat ergeben hat: Ein Jahr nach dem Start
der Entschuldungsinitiative erfüllt kaum ein staatlicher
Bewerber – gerade mal 9 Länder haben sich „qualifiziert“
– die Konditionen. Und es hat die weltpolitisch
Verantwortlichen auch nicht weiter überrascht, dass
viele Entwicklungsländer Probleme haben, ein Programm
zur Armutsbekämpfung vorzulegen
, und die
bewaffneten Auseinandersetzungen
– die die
Erfüllung der Bedingungen von vornherein ausschließen
– einfach nicht eingestellt werden. Es ist eben paradox,
Staaten auf Mittellosigkeit festzulegen, und ihnen auf
dieser Grundlage neue Regierungspflichten zu eröffnen.
Dass die Großen der Welt die Herrschaften vor Ort damit
ein wenig überfordern, hindert sie jedoch nicht daran, in
deren Unfähigkeit, den ihnen auferlegten neuartigen
Regierungspflichten nachzukommen, lauter Belege für
fortdauerndes unverantwortliches Regieren zu sehen
und umso nachdrücklicher auf der Einhaltung der
„Qualifizierungskriterien“ zu bestehen: Das
Problem
sind nicht die Kriterien – selbiges liegt
ganz auf Seiten der Begünstigten
. Damit sehen sich
die Aufsichtsmächte darin bestätigt, eine Aufweichung
der Kriterien
unter keinen Umständen zu gestatten.
Bei der Bewältigung ihrer schwierigen
Qualifizierungsauflagen stehen die Großen der
Weltwirtschaft ihren Schützlingen allerdings mit Rat und
Tat zur Seite: Sie werden die fraglichen Staaten
ermutigen, die Bedingungen für eine Teilnahme an der
HIPC-Initiative zu erfüllen
. Sie wollen dazu
Finanz- und Entwicklungspolitiker nach Afrika
schicken, die ihnen eine Strategie anbieten, um ihre
Konflikte zu beenden
. Sehr nett.
Internet für die Dritte Welt
Souveräne – ausgestattet mit Geld und Waffen – behandelt
der Imperialismus als anachronistisches Auslaufmodell für
die Dritte Welt. Da verblüfft es schon, dass die auf
Dauer etablierten Armenhäuser der Welt ausgerechnet mit
modernster Elektronik ausgestattet werden sollen. Die
neue Entwicklungsperspektive
heißt Anschluss an
die neuen Kommunikationsmittel
; und so ist denn der
zweite Punkt der in Okinawa beschlossenen Hilfe
die erklärte Absicht, die Entwicklungsländer von den
Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien nicht
ausschließen
und sie beim Aufbau von
Telekommunikationsnetzen und Internetdiensten
unterstützen
zu wollen. Nun hat ein Internetanschluss
immer zwei Enden, und am anderen sitzen natürlich die
Geschäftsleute und Politiker der G7-Nationen. Die
vergessen die Restposten an lohnender Benutzung, die die
Drittwelt-Staaten ihnen noch zu bieten haben, selbst bei
deren Abwicklung nicht, und um sie mit den zum
kapitalistischen Standard gewordenen technischen
Voraussetzungen auszurüsten, haben sie locker einige Mrd.
an IT-Entwicklungshilfe
übrig. Umgekehrt verhilft
diese Entwicklungshilfe
ihren Empfängern
zu nichts anderem als dazu, für auswärtige Interessenten
überhaupt noch wahrnehmbar und erreichbar zu bleiben.
Diese schöne Zweckbestimmung hindert die G7-Staaten
allerdings nicht, den Internet-Einsatz in der Dritten
Welt
als neues entwicklungspolitisches Rezept und
ihren staatlichen Betreuungsfällen als Chance für ganz
neue Wachstumsperspektiven zu verkaufen:
„Wird das Internet und die sich daraus ergebende Ökonomie auch zur Angelegenheit der Entwicklungsländer, dann kann es in den Kassen klingeln.“
Nun ist schon in den Zentren des Kapitalismus die Vorstellung, neue informationstechnische Instrumente des Geschäfts wären gleichbedeutend mit neuen Quellen des Geschäfts, zögen daher zwangsläufig eine Ausweitung der Geschäfte und neue Absatzmärkte nach sich, ein ziemlicher Unsinn. Doch trifft sie dort auf eine andere ökonomische Grundlage. Dort gibt es immerhin eine Geschäftswelt, die sich der neuen Informationstechnik bedient, weil aus der damit bewerkstelligten Rationalisierung der Geschäfte Konkurrenzvorteile erwachsen und diese Rationalisierung selbst ein Geschäft ist. Restlos absurd ist jedoch die Übertragung der ökonomischen Nonsens-Idee vom Medium Internet, das automatisch eine eigene „Ökonomie ergeben“ würde, auf Länder, in denen die ökonomische Aktivität der Bevölkerung in etwas Ackerbau und Viehhaltung von Subsistenzbauern besteht. Das Entscheidende an der abwegigen Verheißung, die Vernetzung Afrikas eröffne den dortigen Staaten die Perspektive eines schlagartigen Aufstiegs vom Hungerhilfeland zum Teilhaber an der New Economy, ist auch hier der damit formulierte Anspruch an die Verlierernationen der Weltwirtschaft. Da steht das Medium Internet für die befohlene Sache: Obwohl in ihnen und mit ihnen so gut wie keine Geschäfte laufen und sie als Staaten daher zunehmend verfallen, sollen sie sich nicht ausklinken aus der globalisierten Weltwirtschaft; erreichbare und verfügbare Mitglieder der Staatengemeinschaft sollen sie gefälligst sein und bleiben, einen potenziellen Zugriff der Herren der Staatenwelt auf sie auf jeden und für alle Fälle sicherstellen.
Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose
Neben ihrer chronischen Überschuldung und ihrem digitalen
Rückstand leiden die Entwicklungsländer vor allem an
sich ausbreitenden Infektionskrankheiten
– so
lautet jedenfalls der Befund ihrer starken und gesunden
Vorbilder. Dass dies von den Gipfelstaaten als
dauerhafter Zustand abgehakt ist, zeigt schon die um jede
Realisierungschance völlig unbekümmerte, eher vom Gestus
einer sektlaunigen Spendierhose als von ernsten Absichten
geprägte Rezeptur zur Genesung der einschlägigen
Völkerschaften:
„Bei der Bekämpfung der Aids-Epidemie verpflichten sich die Gipfelteilnehmer auf das Ziel, die Infektionsrate mit dem Aidsvirus bis 2010 um 25% zu senken; die Zahl der Tuberkulose- und Malariafälle um die Hälfte.“
Nun ist den imperialistischen Rot-Kreuz-Helfern nicht
unbekannt, dass die epidemische Ausbreitung von
Infektionskrankheiten Folge des fortschreitenden
ökonomischen wie politischen Zerfalls der
Dritte-Welt-Staaten ist: Immerhin gehen sie ja gleich
davon aus, dass, wenn überhaupt jemand, dann sie
in der Lage wären, an den exotischen Epidemien etwas zu
ändern, und zählen dann die wüsten Zustände vor Ort –
Armut, Mangel an Hygiene, Aufklärung und Bildung usw. –
als lauter ungünstige Voraussetzungen
zur
Bekämpfung der grassierenden Krankheiten auf. Da aber
eine irgendwie geartete substanzielle Entwicklung
im imperialistischen Programm für die Dritte Welt einfach
nicht mehr vorgesehen ist, werden die desaströsen
Lebensbedingungen als quasi naturgegebene
Drittwelteigentümlichkeiten verbucht und abgehakt. Mehr
als eine Verringerung der „Infektionsraten“ soll und kann
man sich da erst gar nicht vornehmen. Und viel mehr als
eine Zusammenarbeit mit den Regierungen und der
Weltgesundheitsbehörde
wollen sie auch nicht
versprechen. Indem die maßgeblichen Ordnungsmächte ganze
Kontinente unter den Gesichtspunkt durchseuchter Regionen
subsumieren, Infektions- und Sterberaten der dort
ansässigen Bevölkerung zum Wesensmerkmal der
dazugehörigen Staaten erklären, erklären sie eben damit
deren Gründe, die miserablen ökonomischen Verhältnisse
und die politische Auflösung der betreffenden Länder, zur
– um im Bild zu bleiben – chronischen und unheilbaren
Morbidität der Dritten Welt. Auch das ist eine
Weise, diese Länder abzuschreiben – und ein Befund, aus
dem sich die Krankenpflege als wesentlicher Bestandteil
der Staatsräson von HIPC-Ländern wie von selbst ergibt.
Die G7-Mächte definieren ganze Landstriche zu großen
Lazaretten um und leiten daraus dann so etwas wie eine
Staatsräson für die zuständigen Regierungen ab: Die
sollen die Bekämpfung von Krankheit
zum
Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit machen, ihr Land
und Volk als zu keiner kapitalistischen Anwendung zu
gebrauchenden nutzlosen Haufen abschreiben und ihre
staatlichen Ambitionen auf die Funktion eines
Gesundheitsamtes zur Prävention und Eindämmung von
Seuchen beschränken.
*
In der Tat: Der Gipfel von Okinawa ist den „Ärmsten der
Armen“ keine Entwicklungsperspektive schuldig geblieben.
Wie die G7-Mächte selbst schon sagten: Wichtige Kriege
und größere Finanzaffären waren gerade nicht zu bereden,
also haben sie sich einmal ums untere Tabellendrittel der
Nationen ihrer Weltwirtschaft gekümmert. Absolut
unvoreingenommen haben sie diese Geschöpfe ihrer
Geschäftsordnung als das wahrgenommen, als was die sich
ihnen auch präsentieren: Bankrott, verelendet,
durchseucht, politisch zerfallen. Und als genau diese
sozialen Schrotthaufen voller unnützer Hungerleider, in
denen nicht einmal ordentlich regiert wird, haben die
Subjekte des globalisierten Ge-schäfts die Staaten der
Dritten Welt dann auch praktisch genommen: Sie haben sie
einfach abgeschrieben als die mittellosen Armen- und
Krankenhäuser, die sie sind. Mit Internet-Anschluß
allerdings, und mit einem ganz speziell auf ihre
Verfassung zugeschnittenen Pflichtenkatalog für die
korrekte Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte, die es für
die Aufrechterhaltung eines Minimums an Staatlichkeit
einfach braucht. Denn auch wenn sich die Macher des
Imperialismus für die verheerenden Folgen, die sie
anderswo anrichten, für absolut unzuständig erklären:
Einfach so sich selbst überlassen wollen sie keinen
einzigen Flecken ihrer schönen Welt. Auch wenn sie in dem
überhaupt nichts mehr von für sie lohnend Benutzbarem
finden: Dafür, dass die diversen Sahel- und sonstigen
Seuchen-Zonen der Erde ihre übrigen Geschäfte wenigstens
nicht zu sehr stören, wollen sie schon noch Sorge tragen,
und so diktieren sie den Überbleibseln des großen
Projekts Entwicklung
eben auch noch die politische
Agenda, wie mit dessen definitiver Absage umzugehen ist.