Israel, die Palästinenser, die arabischen Staaten, die USA – vier unvereinbare Versöhnungsprogramme
Klarstellungen zum Friedensprozess im Nahen Osten

Alles, was die politischen Parteien vor Ort und ihre Paten unter den Weltaufsichtsmächten in den letzten knapp zehn Jahren – seit der Konferenz von Madrid – unternommen haben, wird unter dem Etikett verhandelt, es handele sich um konstruktive oder destruktive Beiträge zum „Friedensprozess im Nahen Osten“. Barak und Arafat versündigen sich an ihrem eigentlichen Auftrag, wenn sie sich dieser Einsicht immer noch verschließen und den Friedensprozess boykottieren.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Israel, die Palästinenser, die arabischen Staaten, die USA – vier unvereinbare Versöhnungsprogramme
Klarstellungen zum Friedensprozess im Nahen Osten

Wenn Arafat und Barak in Washington unter Anleitung des amerikanischen Präsidenten verhandeln oder sie sich zu Hause gegenseitig als „Terroristen“ bzw. „Kriegsverbrecher und Völkermörder“ beschimpfen; wenn Steine werfende Jugendliche die israelische Armee in den besetzten Gebieten attackieren oder israelische Kampfhubschrauber palästinensische Einrichtungen in Schutt und Asche legen; wenn Hizbullah-Kämpfer israelische Soldaten entführen oder Israel dem Libanon droht, ihn in seiner Entwicklung um 20 Jahre zurückzubomben; wenn die USA Israel zusätzliche Millionen Dollar für dessen militärische Ausrüstung spendieren oder die EU den Palästinensern ein paar weitere Millionen Euro für (Wieder-)Aufbauhilfe in Aussicht stellt – dann handelt es sich nach einhelliger Meinung der Weltöffentlichkeit um konstruktive oder destruktive Beiträge zum Friedensprozess im Nahen Osten. Alles, was die politischen Parteien vor Ort und ihre Paten unter den Weltaufsichtsmächten in den letzten knapp zehn Jahren – seit der Konferenz von Madrid – unternommen haben, wird unter diesem Etikett verbucht. Mit dem Gesichtspunkt Frieden, d.h. dem Gebot, Krieg habe unbedingt vermieden zu werden, hat das Publikum den handlichen, festen moralischen Maßstab, sämtliche Ereignisse und Taten in der Region einzuordnen. Als verantwortlich denkender Mensch kann man sich so seine Sorgen machen: Nehmen Feindschaft und Hass zwischen den dortigen Völkerschaften zu oder ab; kommt es zu noch mehr Gewalttätigkeiten oder kehrt demnächst wohl wieder Ruhe ein; wird endlich wieder verhandelt oder beschuldigen sich die beiden Seiten nur wechselseitig?

Kommt der Friedensprozess voran, hat die Gewalt ein Ende, ist auch die Hauptfrage, die die imperialistischen Aufsichtsnationen interessiert. Sie nutzen zwar den Konflikt zwischen Israel und den arabischen Nachbarn, um ihren Einfluss in der Region zu erhöhen, friedliche Beziehungen zwischen den Konfliktparteien wären ihnen aber lieber, damit sie endlich ein ganz normales Benutzungsverhältnis zu diesen Nationen eröffnen könnten, einschließlich strategischer Partnerschaften gegen Dritte. Darum liegen die Kommentatoren aus Presse, Funk und Fernsehen ganz auf Linie der außenpolitischen Interessen ihrer Heimatnationen, wenn sie sich über den schleppenden Fortgang des Friedensprozesses beschweren. Aus „unserer Sicht“ zeugt es von nichts als blanker Unvernunft, wenn sich Barak und Arafat in Camp David – „letzten Sommer, als der Frieden zum Greifen nahe war“ – „wegen ein paar hundert Quadratmetern auf dem Tempelberg“ wieder zerstritten haben. Denn zur „Versöhnung ihrer Völker“ gebe es doch ohnehin keine Alternative. Sinnlos und überflüssig der „Blutzoll“, den diese dank der Verbohrtheit ihrer Führer „jetzt noch zu entrichten haben“. Barak und Arafat versündigen sich an ihrem eigentlichen Auftrag, wenn sie sich dieser Einsicht immer noch verschließen und den Friedensprozess boykottieren. Sie stellen „die Erhaltung ihrer Macht“ über die Interessen ihrer Nationen und ihrer eigenen Bevölkerung.

„Arafat hat Angst vor seinen eigenen Leuten. Er hat Angst, dass Frieden ihn die Macht kostet… Nur Frieden brächte etwas, und den könnte Arafat haben… Er bräuchte nur den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und in Baraks Büro um einen Termin nachsuchen. Der Premierminister würde sofort wieder Verhandlungen aufnehmen.“ (SZ, 10.11.2000)

Die hiesige Öffentlichkeit weiß Bescheid, worum es erstens im Nahen Osten letztlich geht, nämlich den Abschluss des Friedensprozesses, und zweitens, woran der bisher scheitert: an den Machtambitionen beider Seiten. Damit ist für sie die Welt in Ordnung: Frieden ist besser als Krieg, letztlich führt kein Weg an ihm vorbei und gerade in dieser leidgeprüften Region ist er geschichtlich überfällig. Wenn Clinton, Schröder und Co. sich dieser Sache annehmen, tun sie ein gutes Werk.

Die Zwecke, die die Herrschaften dort verfolgen und für die sie ihre Massen verheizen, sind kein Thema, wenn man alles, was im Nahen Osten derzeit passiert, unter das Etikett ‚Beitrag zum Friedensprozess‘ subsumiert. Genauso wenig die Kalkulationen der Weltordnungsmächte, die die eine Seite mit den nötigen Machtmitteln ausstatten, ihre Interessen durchzusetzen, und die andere mit dem erforderlichen Druck daran hindern, wirksam etwas dagegen zu unternehmen.

1.

Der Staat Israel hat seit seiner Deklaration im Jahr 1948 den Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen zu Palästina, mit dem er seine Gründung legitimierte, nie so verstanden, dass Juden und Araber nebeneinander und gleichberechtigt in den ihnen jeweils zugewiesenen Territorien im ehemaligen britischen Mandatsgebiet leben sollten. Von Anfang an verfolgte Israel, als Staat der Juden, das Programm, den Arabern das Land, in dem sie wohnten, wegzunehmen und dem eigenen Volk sein „gelobtes Land“ zu erobern. Dafür führte der neugegründete Staat mehrere Eroberungskriege, besiedelte die von ihm besetzten Gebiete mit Juden, vertrieb große Teile der angestammten Bevölkerung und machte die Verbliebenen zur rechtlosen Minderheit. So setzte Israel mit ausländischer Unterstützung, allen voran der USA, sein völkisches Programm gegen die Araber durch, die mit ihrem Vorhaben, die Juden ins Meer zu schmeißen, scheiterten. Bis heute ist die israelische Landnahme und Staatsgründung nicht abgeschlossen: Israel existiert noch immer in Grenzen, die international nicht anerkannt sind, hält Gebiete besetzt, die laut UN-Beschluss längst hätten geräumt werden müssen, herrscht über eine Bevölkerung, die es nur zum Teil als eigenes Staatsvolk haben will, und befindet sich noch immer mit einem Großteil seiner Nachbarn im Kriegszustand. Das ist die Grundlage für das, was sich Friedensprozess nennt.

Die Konfrontation zwischen dem von den USA zur Vormacht in der Region hochgerüsteten Israel und seinen arabischen Nachbarn, die zum Teil ehemals der Sowjetunion verbunden, spätestens nach deren Auflösung aber bereit waren, sich dem Westen zu öffnen, passt seitdem nicht mehr zu den strategischen Interessen Amerikas. Die USA wollen vielmehr eine Front zwischen den Staaten ziehen, die mit den USA kooperieren und ihre Aufsichtsinteressen respektieren, und den „Schurkenstaaten“, die sich den amerikanischen Ordnungsansprüchen entziehen und eigene, von den USA nicht lizenzierte, nationale Interessen verfolgen. Deswegen drängen sie die offiziell noch im Kriegszustand befindlichen Staaten im Nahen Osten, Frieden zu schließen, Israel insbesondere dazu, seine 1967 gemachten Eroberungen an die arabische Seite zurückzugeben: „Land für Frieden“. Das Ziel der Amerikaner besteht darin, das Bündnis, das sie im Krieg gegen den Irak errichtet hatten, auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen. Gegen Saddam Hussein hatten sich die meisten arabischen Staaten in eine Allianz mit den USA einbinden lassen und von ihrer Feindschaft gegen Israel abstrahiert. Umgekehrt gehorchte auch Israel der amerikanischen Zurechtweisung, auf die antizionistischen Attacken des Irak nicht zu reagieren. Es verzichtete darauf, seinen Vormachtsanspruch in der Region geltend zu machen und sein überlegenes militärisches Potential einzusetzen. Damit entsprach es dem amerikanischen Interesse, Saddams Bemühen zu vereiteln, aus dem Konflikt einen Krieg der Araber gegen die israelisch/amerikanische Vorherrschaft in der Region zu machen.

Der Friedensprozess ist also zunächst einmal nichts anderes als das Bestreben der USA, die Staaten im Nahen Osten auf ihre strategischen Interessen in der Region festzulegen und die Golfkriegsallianz zu einer ständigen Einrichtung zu machen. Die USA fordern die definitive Anerkennung ihrer Führungsrolle in der Region, die für sie von „vitalem Interesse“ ist, die Beilegung der Streitigkeiten untereinander zugunsten einer Kooperation und dauerhaften Einordnung in die von den USA eingerichtete Hierarchie der Staaten vor Ort. Israel soll als verlässlichster Partner der USA nach wie vor die Vormacht in der Region ausüben, dabei aber mit seinen arabischen Nachbarn friedlich zusammenleben und kooperieren.

Friedensprozess – das ist dann auch die Politik, zu der sich der Staat der Juden zwar auf Drängen der USA entschlossen hat, für die er aber zugleich seine eigenen Gründe hat. Erst die Beendigung des Kriegszustands würde Israel nämlich die Entfaltung des inzwischen akkumulierten ökonomischen und politischen Potentials ermöglichen. Der Wirtschaftsstandort Israel ließe sich durch die Benutzung der Nachbarn ausbauen, das politische Gewicht durch Kooperation mit der arabischen Welt erhöhen und das Verhältnis zu Drittstaaten normalisieren. Der andauernde Notstand erweist sich auch im Inneren als Schranke für ein geregeltes bürgerliches Staatsleben: Ökonomisch ist das Land mit lauter Kosten befrachtet, die es in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt benachteiligen. Zudem ist die Attraktivität des eigenen Standorts durch die Unsicherheit der politischen Verhältnisse geschmälert. Politisch entzweit sich das Volk immer wieder über die Frage, ob die Opfer, die der Kriegszustand der Bevölkerung abverlangt, überhaupt notwendig sind; ob sie sich nicht nur der Ideologie von religiösen Fanatikern und Radikalen verdanken, ob die Staatsräson also nicht gründlich überdacht gehört. Um endlich ein „normaler Staat“ (Peres) zu werden, lässt sich Israel – auf Basis seiner militärischen Überlegenheit, mit der es seine Feinde alle Mal in Schach halten kann – auf einen Friedensprozess mit seinen Nachbarn ein. Allerdings hat die Jerusalemer Führung nie vorgehabt, sich von Gleich zu Gleich mit ihren Nachbarn zu arrangieren. Für sie war und ist selbstverständlich, dass die Friedenspartner die Sicherheitsinteressen Israels zu respektieren und seinen Vormachtsanspruch in der Region zu akzeptieren haben. Weil dies auch im strategischen Interesse der USA liegt, sorgen diese mit regelmäßigen Milliarden-Dollar-Zuschüssen für die Herstellung und Beibehaltung eines gebührenden Abstands zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn in Hinsicht auf ökonomische Macht und militärische Stärke. Während Amerika streng darauf achtet, dass kein arabisches Land in den Besitz von Atom- und Massenvernichtungswaffen kommt – andernfalls zieht es sich die unerbittliche Feindschaft der USA zu –, darf Israel mit genau diesen Gewaltmitteln seine Konkurrenten und Feinde abschrecken. Zusätzlich erhält Jerusalem von Amerika die fortschrittlichste Abwehr-Technologie, um die Bedrohung durch feindliche Waffen zu minimieren.

2.

Mit der letzten Verhandlungsrunde in Camp David ist die für Israel schwierigste Etappe im Friedensprozess erreicht: Schließlich geht es nun um nicht mehr und nicht weniger als darum, dass sich Israel auf so etwas wie den Abschluss der eigenen Staatsgründung einzulassen hat, auf die Festlegung nämlich, mit wie viel Territorium es sich ein für alle Mal zufrieden geben will.

Zwar hat die Vertreibung von hunderttausenden Palästinensern und die Anwerbung von Millionen von Juden im Ausland dafür gesorgt, das völkische Kräfteverhältnis in Palästina im Sinne Israels zu verbessern; zwar haben die zahllosen Enteignungen von palästinensischem Grundbesitz und dessen Besiedlung durch Fanatiker des jüdischen Staates Fakten geschaffen, die kaum zu revidieren sind, das Grundproblem aber bleibt: Der Staat der Juden hat es nicht geschafft, Palästina als Ganzes zu seinem Staatsterritorium zu machen und die da ansässigen Palästinenser, die er wegen seiner zionistischen Staatsräson als Staatsvolk nicht eingemeinden will, samt und sonders los zu werden. Israel wäre zur Realisierung dieses Ideals militärisch vielleicht sogar in der Lage, findet dafür aber weder bei den Amerikanern Unterstützung noch absehbarerweise internationale Anerkennung.

Schon bei der Entscheidung von Ministerpräsident Rabin, sich auf das Oslo-Abkommen mit der PLO einzulassen, ging es aus israelischer Sicht mehr um die Bewältigung einer Zwangslage; Israel verfolgte vor allem das Ziel der Schadensbegrenzung: Es galt, den Palästinensern möglichst wenig Souveränität zuzugestehen, um sich selbst ein Maximum an Rechten im Gesamtterritorium zu erhalten. Weil die USA dieses Bedürfnis akzeptierten, fielen die Vereinbarungen über Zeitplan und Modus dieses Friedensprozesses entsprechend einseitig aus. Gemäß dem Oslo-Vertrag entscheidet Israel frei darüber, wie viel Territorium es den Palästinensern abtritt und wie viel Souveränität es einem künftigen Palästinenser-Staat im Hinblick auf seine eigenen Sicherheitsinteressen und Machtansprüche zugesteht. Der Status von Jerusalem und die Frage der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre ehemalige Heimat ist offene Verhandlungssache; Israel sieht sich also durch die einschlägigen UN-Resolutionen in diesen Fragen keineswegs in seiner politischen Entscheidungsfreiheit beschränkt. Sieben Jahre bestand der Friedensprozess darin, dass die jeweiligen israelischen Regierungen daran arbeiteten, das prinzipiell erzielte Übereinkommen über die Gründung eines palästinensischen Staates in den besetzten Gebieten so restriktiv wie möglich auszugestalten, durch Interimsverträge bereits erteilte Zugeständnisse zu revidieren oder zu modifizieren und in der Zwischenzeit durch ein intensiv betriebenes Siedlungswesen Fakten zu schaffen, die die Voraussetzungen für den Aufbau eines funktionsfähigen, territorial in sich geschlossenen, unabhängigen palästinensischen Staates unterminieren.

Die Regierung Barak hatte sich entschlossen, diesen Friedensprozess nun endlich zu Ende zu bringen. Mit der Rückendeckung durch Clinton unterbreitete sie Arafat im Sommer dieses Jahres in Camp David ein Angebot für eine endgültige Regelung. Israel war bereit, Arafat an die 90% des besetzten Gebiets (Jerusalem nicht mitgerechnet) abzutreten und einen Staat Palästina anzuerkennen, der weder souverän seine eigenen Grenzen kontrolliert, noch über ein eigenes Militär verfügt, noch anderen Staaten die Stationierung von Truppen auf seinem Territorium genehmigen darf. Israel behält sich den Besitz strategisch wichtiger Punkte – dazu gehören u.a. Wasserquellen – auf palästinensischem Territorium vor und annektiert die großen Siedlungsblöcke (teilweise in der Größe von Kleinstädten) rund um Jerusalem. Wenn schon das Palästinenserproblem nur durch einen eigenen Staat gelöst werden kann, dann soll dieses Gebilde in jeder Hinsicht funktional für Israel sein. Es bleibt weiterhin ökonomisch von Israel abhängig und damit jederzeit erpressbar. Es entlastet den jüdischen Staat, indem dieser auf das teure und immer wieder bekämpfte Besatzungsregime verzichten kann. Die palästinensische Staatsgewalt hat fortan selber für Ruhe und Ordnung in den Elendsquartieren zu sorgen und vor allem jede Aufsässigkeit gegen die Vorherrschaft des Judenstaates zu unterdrücken, will sie sich nicht erneut die Feindschaft Israels zuziehen und damit die eigene Existenzgrundlage untergraben. Auf diese Weise bekommt Israel seinen im Wesentlichen völkisch reinen Staat und kann sich je nach Bedarf williger und billiger arabischer Arbeitskräfte bedienen, die ihm der Staat Palästina als Reservearmee bereithält. Der einzige Grund, einen Palästinenserstaat zuzulassen, ist für Barak – wie schon für seine Amtsvorgänger von der Arbeitspartei – das nationale Interesse, ein „binationales“ Israel zu vermeiden und endlich uneingeschränkte internationale Anerkennung für den Juden-Staat zu erhalten. Darum weist er den Anspruch Arafats nach einem Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt und einem Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge, dem gegebenenfalls mit Entschädigungen Rechnung getragen werden müsste, kategorisch zurück. Das Volk der Juden lässt sich seinen Anspruch, einzig legitimer Besitzer des alten Palästina zu sein, nicht streitig machen. Die Palästinenser dürfen froh sein, wenn sie in den ihnen zugewiesenen Territorien geduldet werden. Die Flüchtlinge sollen in den Aufnahmeländern bei ihren arabischen Brüdern bleiben, zu denen sie doch sowieso viel besser passen. Israel wäre höchstens dazu bereit, sich aus humanitären Gründen an einem Hilfsfonds für die Linderung der materiellen Not zu beteiligen oder – in Ausnahmefällen – einer Familienzusammenführung zuzustimmen.

Innenpolitisch stiftet der Versuch Baraks, den Friedensprozess zu Ende zu bringen, allerdings Unfrieden. Die Nation spaltet sich über die Frage, ob den Palästinensern nicht viel zu viele Zugeständnisse gemacht werden. Der Maßstab der Kritiker ist nämlich kein anderer als die alte, offiziell immer noch gültige Staatsräson, die Realisierung des zionistischen Ideals, die Inbesitznahme des „Lands der Väter“. Und das schließt Judäa und Samaria, wie die Juden die besetzten Gebiete nennen, ein. Dieses Ideal, das außenpolitisch nicht realisierbar ist, bringt im Inneren den Vorwurf der „Verzichtspolitik“ und des Verrats an der nationalen Sache hoch. Seitdem so etwas wie ein definitiver Friedensschluss mit den Palästinensern auf der Tagesordnung steht, kommt die israelische Politik also auf den harten Kern ihrer Staatsraison zurück: Zwei Nationen auf dem einen heiligen Land – das ist für den Staat der Juden unerträglich.

Und dieser Gegensatz kommt deshalb in seiner ganzen Unversöhnlichkeit auf den Tisch, weil die palästinensische Führung den Regelungen, die Israel beschließt, immerhin zustimmen muss und Arafat sich in Camp David geweigert hat, das „sehr weit gehende Angebot Baraks“ (Clinton) anzunehmen. Die Palästinenser definieren das Ziel des Friedensprozesses nach ihren politischen Interessen: Endpunkt soll die Errichtung eines freien und unabhängigen Staates Palästina sein. Im Prinzip beanspruchen sie also – nachdem sie ihr ursprüngliches Programm, die Israelis wieder aus dem Land zu werfen, aufgeben mussten –, die Teilung des alten britischen Mandatsgebiets Palästina in zwei souveräne Staaten: Israel und das neu zu gründende Palästina. Zwar weiß Arafat, dass er wegen des Kräfteverhältnisses, das vor allem durch die Parteinahme der USA für Israel bestimmt ist, zunächst einmal mit einem Staat beschränkter Souveränität vorlieb nehmen muss. Daher hat er sich auch auf sämtliche Konditionen des israelischen Angebots eingelassen, aber eben mit Ausnahme der Regelungen zu Jerusalem und der Flüchtlingsfrage. An diesen beiden Punkten zeigt sich nach Ansicht Arafats, ob Israel bereit ist, seinen Besitzanspruch auf ganz Palästina zu relativieren oder nicht. Daran entscheidet sich für ihn, ob der neu geschaffene Staat Palästina als Grundstock für die Entwicklung eines wirklich souveränen Staatswesens taugt oder eben doch nur ein Euphemismus für ein aus Israel ausgegliedertes Homeland ist.

3.

Nachdem der Gipfel von Camp David geplatzt war, ist für die hiesigen Meinungsbildner der Friedensprozess abgebrochen, wenn nicht gescheitert. Dabei hat sich an den politischen Zielen der handelnden Subjekte nichts geändert; nur setzen sie sich vorerst dafür nicht mehr an den Verhandlungstisch. Der Friedensprozess wird derzeit mit anderen Mitteln fortgesetzt: Israel bedient sich seiner militärischen Stärke und führt der anderen Seite vor, dass ein Wille, der sich gegen die Ordnungsvorstellungen Israels richtet, keine Chance hat. Die palästinensische Seite bietet das für ihren Staatsgründungsfanatismus einzig verfügbare Mittel auf: die ohnmächtige Gewalt der eigenen Massen, die in Israel das normale Leben behindern und der Welt vorführen soll, wie brutal die Besatzungsmacht das „Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung“ unterdrückt.

Für Barak steht fest, dass Arafat für seine Weigerung, die ultimativen Forderungen Israels hinsichtlich eines Endstatus anzunehmen, „nicht auch noch belohnt werden“ darf. Erneute Verhandlungen, bei denen Israel möglicherweise weitergehende Kompromisse eingehen müsste, sollen keinesfalls sein. Daher erhält Scharon bei seinem Ausflug auf den Tempelberg neben Baraks Zustimmung auch den entsprechenden militärischen Begleitschutz: Demonstrativ präsentiert er sich als Vertreter der für diese Stätte einzig zuständigen Macht und provoziert damit die Palästinenser zu wütenden Protesten, gegen die die israelischen Ordnungskräfte dann mit aller Macht einschreiten. Auch wenn Scharon mit seinem Auftritt das Scheitern der Verhandlungs- und „Verzichtspolitik“ Baraks vorführen will, liefert er Barak den Anlass, Arafat vor die neue Alternative zu stellen: entweder Krieg oder Unterschrift unter das israelische Friedensdiktat. Nachdem Arafat sich nicht einschüchtern lässt, vielmehr die palästinensischen Massen zu einer neuen Intifada aufruft, zum Kampf um Jerusalem, zieht die israelische Armee (IDF) in bewährter Manier alle Register der Repression.

Was mancher kritische Beobachter als „unverhältnismäßige Reaktion“ anprangert – Steine werfende Kinder und Jugendliche werden gezielt mit (gummiummantelten) Gewehrkugeln verletzt oder erschossen, Maschinengewehrsalven werden mit Panzergranaten und Raketen von Hubschraubern aus beantwortet, die Wohngebäude, Fabriken oder Zentren des palästinensischen Machtapparats in Schutt und Asche legen –, hat eben seinen „guten Grund“: Das Abstandsgebot wird streng beachtet, weil Israel gar nicht erst den Anschein aufkommen lassen will, Konfliktpartei zu sein; vielmehr verteidigt es sein Gewaltmonopol, das es für das gesamte Territorium beansprucht. Kein Mord bleibt darum ungesühnt. Der mutmaßliche Täter wird vom Geheimdienst aufgespürt, in eine Falle gelockt und vom Kampfhubschrauber aus per Rakete ausgelöscht. Wenn dabei ein paar unbeteiligte Zivilisten mit draufgehen, ist das ihr Pech; der Beweis, dass Israels Gewaltmonopol gilt, dem sämtliche Insassen Israels inklusive der besetzten Gebiete unterworfen sind, wird mit allen Formen von erlesenem Gegenterror durchexerziert. Darum praktiziert Barak auch wieder die bewährte Form der Kollektivbestrafung: Er lässt die autonomen Gebiete abriegeln, damit der ohnehin elende Alltag der Palästinenser zum Erliegen kommt, er unterbindet jedes Geldverdienen als (Gast-)Arbeiter oder Lebensmittelproduzenten für Israel, den Besuch der Ausbildungsstätten in den größeren Gemeinden oder der Gesundheitseinrichtungen. Ob die Palästinenser nun gegen Israel demonstrieren und damit die gebotene Ordnung verletzen, oder sich nur passiv verhalten, damit aber nichts gegen die eigenen Führer unternehmen, die sie zum Widerstand gegen Israel aufrufen und Gewalttaten gegen Juden in Kauf nehmen: In der Optik Israels sind es allesamt Leute, die vorsätzlich oder fahrlässig Israels Ordnungsmonopol verletzen. Und das duldet Israel in keiner Hinsicht, geht mit allen erdenklichen Mitteln dagegen vor. Der Autonomiebehörde führt Barak vor, dass sie nicht mehr ist als eine Institution von Israels Gnaden. Wenn sie das palästinensische Volk „gegen die israelischen Besatzer“ aufwiegelt, hält die Jerusalemer Regierung ihre Steuereinnahmen, die auf israelischen Banken liegen, zurück. Mit der Begründung, dass Arafat die Busattentate nicht verhindert habe, bombardiert Israels Luftwaffe ein paar Amtsräume seiner Verwaltung in Gaza und Ramallah. Der Flughafen bei Gaza wird geschlossen und dem Jet des PLO-Chefs die Starterlaubnis verweigert, nachdem die IDF den Verdacht aufgebracht hat, auf dem Luftwege wären Waffen eingeschmuggelt worden.

Die Jerusalemer Regierung besteht darauf, dass noch immer sie die Oberhoheit über ganz Palästina besitzt, solange kein Friedensvertrag geschlossen ist. Auf diese Weise will sie die palästinensische Seite zur Unterwerfung unter ihr letztes Angebot zwingen und die Separierung der Palästinenser vom israelischen Staatsvolk vollenden. Zu dem Zweck ist Barak nach wie vor verhandlungsbereit, aber eben nur zu dem: Arafat hat dafür zu sorgen, dass die Gewalt – die unberechtigte der Palästinenser – aufhört, und soll das alte Verhandlungsangebot als Grundlage für neue Gespräche akzeptieren. Freilich behält sich die Jerusalemer Regierung nun wegen der Erfahrungen der letzten Unruhen weitere Auflagen und Souveränitätsbeschränkungen der Autonomiebehörde vor. Für den Fall, dass Arafat einseitig seinen Palästinenserstaat ausruft oder die nötige Verhandlungsbereitschaft vermissen lässt, droht Barak mit der einseitigen Separierung: Israel annektiert die großen Siedlungsblöcke und das strategisch wichtige Jordantal, besetzt all die Punkte in der Westbank und im Gazastreifen, die es für seine Sicherheit in Anspruch nimmt, riegelt das Territorium ab, das es den Palästinensern zugestehen will – notfalls mit Elektrozäunen und Mauern –, und lässt die Eingeschlossenen spüren, dass sie ohne die Unterordnung unter Israels Ordnungsansprüche nicht einmal überleben können. So bewährt sich jetzt schon die Ausgestaltung des Autonomiestatus für Israel in der Bequemlichkeit, mit der es Repressionen gegen die Palästinenser ansetzen und ganz nach Bedarf dosieren kann.

Arafat setzt gegen Baraks ultimatives Auftreten die „zweite Intifada“. Er ruft sein Volk zum „Heiligen Krieg“ auf, in dem ein Palästinenserstaat mit Jerusalem als Hauptstadt erkämpft werden soll. Allerdings können die palästinensischen Massen gegen die Besatzer noch viel weniger ausrichten als bei der ersten Intifada. Die israelische Armee hat sich nämlich im Zuge der Oslo-Vereinbarungen aus den autonomen Städten zurückgezogen und ist dadurch weniger angreifbar. Sie riegelt die Orte mit Panzern und Straßenblockaden ab und sperrt die Palästinenser-Massen darin ein. Die steinewerfenden Jugendlichen, die sich an die Frontlinie wagen, werden mit gezielten Schüssen auf Distanz gehalten und, wenn die ersten Toten angefallen sind, ziehen sie sich auch meist zurück. Das Einzige, was die PLO-Führung mit der Al-Aqsa-Intifada erreicht, sind – inzwischen mehr als zweihundert – „Märtyrer“, die die Welt auf das Unrecht aufmerksam machen sollen, das dem palästinensischen Volk angetan wird. Wie jeder Staatsmann hält auch Arafat es für selbstverständlich, dass seine Untertanen keine Opfer scheuen, wenn es um das Recht ihrer Nation geht. Von dem „Blutzoll“, den sein Volk zahlt, verspricht er sich eine Verbesserung seiner Position am Verhandlungstisch. Er sieht darin die letzte Chance, im Friedensprozess wenigstens ansatzweise einen unabhängigen palästinensischen Staat zu erreichen. Auch wenn der auf absehbare Zeit ökonomisch nicht lebensfähig sein wird und von Zuschüssen ausländischer Mächte und internationaler Institutionen abhängig bleibt – in der Souveränitätsfrage bleibt der PLO-Chef unerbittlich und lehnt das letzte Angebot Baraks in Camp David nach wie vor ab: Mit einem „Staat“, der noch nicht einmal auf seine völkische Natur pochen, sich als Heimat aller Palästinenser und Herrscher über seine Heiligen Stätten gerieren darf, will er sich nicht zufrieden geben. Um wenigstens die formelle Gleichstellung mit dem Staat Israel als Souverän zu erreichen, stachelt er den Nationalismus und religiösen Fanatismus seiner Massen auf und bemüht sich zugleich, sie mit seinen Geheimdiensten und Polizeikräften im Griff zu behalten. Er will die Gewalt je nach Bedarf abrufen können, der Opferwille seiner Landsleute soll ja nur der Türöffner für neue Verhandlungen sein. Gegen die politische Konkurrenz im eigenen Lager, die ihn als „Verzichtspolitiker“ tituliert, agitiert er damit, dass die Verfolgung weitergehender Ziele ohnehin aussichtslos ist. Gegen die Behandlung seiner Landsleute durch Israel als Terroristen versucht er in der Weltöffentlichkeit die Definition durchzusetzen, es handele sich um aufgebrachte Massen, die sich mit ohnmächtigen Mitteln gegen den Staatsterrorismus einer unrechtmäßigen Besatzungsmacht zur Wehr setzen. Darum appelliert er an die Menschenrechtskommission der UN und den Sicherheitsrat, eine unparteiische Untersuchung der Vorfälle der letzten Wochen einzuleiten und eine Schutztruppe von zweitausend Blauhelmen zu entsenden, die die israelische Aggression stoppen soll. Die arabischen und islamischen „Brudervölker“ ruft er zur Solidarität mit der palästinensischen Sache auf, versucht also, noch viel mehr nationale Interessen und Berechnungen in den Friedensprozess hineinzuziehen, in der Hoffnung, dadurch die Dominanz Israels und der USA zu relativieren.

4.

Angesprochen fühlen sich die arabischen und islamischen „Bruderstaaten“ alle Mal. Die „Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat mit Jerusalem als seiner Hauptstadt“ ist seit ihrer Gründung eines der zentralen Ziele der Arabischen Liga. Für den Schutz der islamischen Stätten in Jerusalem fühlen sich alle arabischen und islamischen Nationen zuständig, nicht nur Jordanien, das mit der Aufsicht durch die UNO beauftragt ist, Saudi-Arabien, dessen König sich „Wächter der Heiligen Stätten“ nennt, oder Marokko, das derzeit den Vorsitz in der „Jerusalem-Konferenz“ innehat. Von den Mittelmeeranrainern in Nordafrika bis zu den Scheichtümern am persischen Golf bekennen sich alle Staaten dazu, Mitglieder der einen „arabischen Nation“ zu sein. Ihre Identität als Staaten definieren sie über ihre gemeinsame Herkunft, Kultur und Geschichte sowie den Islam als die Religion, der sich alle verpflichtet fühlen. Die arabische Sache und der islamische Glaube sind auch im Wesentlichen die Legitimationsgrundlage ihrer Herrschaft gegenüber den eigenen Volksmassen. Das Staatenbündnis, Arabische Liga, entstand, weil sich keine der Nationen alleine in der Lage sah, ihre Interessen gegen den Imperialismus, aber auch gegenüber der damaligen Sowjetunion zu vertreten. Zusammengeschweißt wurde es vor allem durch den Expansionsdrang des jüdischen Staates, der sich imperialistischer Unterstützung erfreute und im Laufe der Jahre zum Vorposten der amerikanischen Nahost-Politik ausgebaut wurde. Ein weiterer Krieg zwischen Israel und der arabischen Seite lieferte den Anlass für den Zusammenschluss der arabischen Welt mit weiteren islamischen Staaten zur „Organisation der Islamischen Konferenz“ (OIC). Auch wenn sich nicht jedes einzelne der 22 bzw. 56 Mitgliedsländer von Arabischer Liga und OIC unmittelbar von Israel bedroht fühlt, ist ihm das Kräfteverhältnis zwischen Israel und der arabisch-islamischen Seite nicht gleichgültig. Im Friedensprozess zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn zeigt sich nämlich, wieweit die USA, die die Oberaufsicht über die wegen ihrer Ölvorräte strategisch wichtigen Region ausüben, die nationalen Interessen der arabischen bzw. islamischen Seite anerkennen.

Mit den Fortschritten, die die USA bei der Übernahme der Kontrolle über die Region machten, entwickelten sich die Liga und die OIC immer mehr zu bloß formellen Zusammenschlüssen, die statt Geschlossenheit die Zerstrittenheit des arabisch-islamischen Lagers widerspiegelten. Den USA und ihren Verbündeten gelang es nämlich die Konkurrenz zwischen den „Bruderländern“ und deren eigenständige Kalkulationen für ihre strategischen Interessen auszunutzen. In den beiden Golfkriegen ließ sich die arabische Welt in Saddam-Anhänger und Gegner spalten. Die Staaten, die in der Machtausweitung des Irak eine Bedrohung ihrer eigenen Interessen sahen, stellten sich im ersten Krieg auf die Seite des Iran und fanden sich im zweiten in der Golfskriegsallianz mit all den Staaten zusammen, die sich entschlossen hatten, sich in Zukunft mit den strategischen Bedürfnissen der USA zu arrangieren. Als erstes arabisches Land schloss Ägypten 1979 mit Israel Frieden, weil der damalige Präsident Sadat überzeugt war, das sein Land mit der ständigen Bedrohung durch Israel und in Distanz zum Westen keine Chance habe, sich zu entwickeln. Auch das Angebot kontinuierlicher Milliardenzuschüsse der Vereinigten Staaten für Ägyptens Wirtschaft und Militär mochte er nicht ausschlagen, dafür nahm er eine – vorübergehende – Ächtung durch das arabische Lager glatt in Kauf. Seinem „nationalen Alleingang“ folgte Jordanien, und schließlich schloss auch Arafat ein separates Abkommen mit Israel in Oslo, womit er sich die Verurteilung durch Syrien und Iran zuzog, die sich in ihrer Frontstellung gegen Israel immer mehr isoliert sahen. Auch die amerikanische Bemühung, die arabischen Staaten dazu zu bewegen, den Wirtschaftsboykott der Arabischen Liga gegen Israel aufzuheben, hatte schließlich Erfolg, und eine Reihe von Ländern knüpfte ökonomische und erste diplomatische Kontakte mit dem ehemaligen Feind.

Baraks Vorstoß, den Abschluss des Friedensprozesses in seiner Amtszeit mit aller Gewalt zu erzwingen, veranlasst die arabische und islamische Welt nun dazu, sich neu zu den alten Bündnissen zu stellen und wieder verstärkt als gemeinsames Lager aufzutreten. Am Vorgehen Israels gegen die Palästinenser, den Libanon und Syrien und an seiner Sturheit, Jerusalem keinesfalls mit der arabischen Welt teilen zu wollen, muss sie feststellen, dass Israel nicht bereit ist, die arabischen Nationen als gleichwertige Souveräne anzuerkennen, mit denen es sich arrangieren will. Die Jerusalemer Regierung verhandelt nicht, sondern versucht der Gegenseite die Friedensbedingungen zu diktieren. Wenn die sich nicht darauf einlässt, greift sie zur militärischen Gewalt. So viel haben die arabische Länder mittlerweile auch mitbekommen, dass der Friedensprozess nicht auf eine Einbindung Israels in die Region und so auf dessen Zügelung hinausläuft, vielmehr haben sie es nach wie vor damit zu tun, dass der Judenstaat seine Vormachtstellung auf Kosten der arabischen Nachbarn festschreiben will. Demonstrativ führt er seine militärische Überlegenheit vor und lässt keinen Zweifel daran, dass er dazu bereit ist, sie einzusetzen, wenn er seine Interessen gefährdet sieht. Dabei lässt sich die israelische Regierung, zumal ihr die USA Rückendeckung geben, von keiner ausländischen Macht bremsen, auch nicht von der „internationalen Gemeinschaft“. Wie alle seine Amtsvorgänger handelt auch Barak nach dem Grundsatz, dass den arabischen Nachbarn erst dann die Bedrohung erspart wird, wenn sie bereit sind, Israels weitreichende Sicherheitsansprüche zu garantieren. Darum droht er Libanon und Syrien, die sich erdreisten, die Festnahme von drei israelischen Soldaten in der Nähe der Scheba-Farmen durch den Hizbullah als legitimen Akt des Kampfes gegen die Besatzer zu rechtfertigen, mit der Zerstörung von Beiruts Infrastruktur und syrischer Einrichtungen in Libanon. Ägypten und Saudi-Arabien nehmen das zum Anlass, klarzumachen, dass sie sich mit der israelischen Intransigenz nicht abfinden wollen. Demonstrativ erklären sie sich solidarisch mit Libanon und Syrien, fordern den vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus dem Libanon und vom Golan und kündigen ihre Unterstützung für die beiden arabischen Bruderländer an, falls sie von Israel angegriffen werden. Iran nimmt die Gelegenheit wahr, Syrien volle militärische Unterstützung zuzusichern.

Auf dem jüngsten Gipfeltreffen der arabischen Liga beschließen die versammelten Staatsführer, ihre Kontakte wieder zu intensivieren, in einer Satzungsänderung werden regelmäßige Gipfeltreffen festgelegt. Die Konferenz endet mit einer Resolution, die in allen wesentlichen Punkten auch von der OCI später übernommen wird: Israel wird wegen seiner Gewaltmaßnahmen verurteilt, die Staatsoberhäupter erklären ihre Solidarität mit der Intifada und fordern die Errichtung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt sowie das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge; ferner den vollständigen Abzug der IDF aus dem Libanon und die Freilassung der libanesischen Gefangenen sowie den Rückzug Israels vom Golan bis zu den Grenzen von 1967. Mit einem Fonds von 1 Mrd. $ und zusätzlichen Spendensammlungen in ihren Ländern wollen sie die ökonomische Lage in den besetzten Gebieten verbessern, die Erhaltung und den Ausbau der palästinensischen Institutionen und Strukturen im Ostteil Jerusalems fördern und die Familien der „Märtyrer“ finanziell unterstützen. Die Mitgliedsländer werden aufgefordert, ihre Kontakte zu Israel abzubrechen, zumindest aber keine weiteren Schritte zur ökonomischen oder politischen Annäherung zu unternehmen. Tunesien, Marokko, Oman und auf Druck auch Qatar folgen diesem Aufruf. Damit ist Mauretanien die einzige arabische Nation – neben Jordanien und Ägypten –, die noch offizielle Beziehungen zu Israel unterhält. Nach der Bombardierung von Gaza hat inzwischen auch Kairo seinen Botschafter aus Tel Aviv abgezogen. Jordanien will seinen neuen Botschafter erst dann nach Israel entsenden, wenn es die Gewalt gegen die Palästinenser eingestellt hat. Alle Regierungen sollen sich bei den maßgeblichen Mächten dafür einsetzen, dass eine neutrale internationale Kommission die Gewaltanwendung in den besetzten Gebieten und die Menschenrechtsverletzungen durch Israel untersucht und der Sicherheitsrat einen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung der Kriegsverbrecher einsetzt sowie Schritte zum Schutz des palästinensischen Volkes unternimmt. Allen Staaten, die vor einer umfassenden Friedensregelung ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und damit Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen, ohne dass den Palästinensern Jerusalem als Hauptstadt zugestanden worden ist, drohen sie mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Schließlich fordern sie, den Nahen Osten zu einer Zone frei von Atom- und Massenvernichtungswaffen zu machen, und rufen die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Israel auszuüben, damit es dem Atomwaffensperr-Vertrag beitritt. Die arabische und islamische Welt demonstriert somit Einigkeit, dass sie gewillt ist, Israel international zu isolieren.

Mit ihren Beschlüssen drücken die versammelten Staatsoberhäupter auch ihre Unzufriedenheit aus mit der bisherigen Nahost-Politik der Amerikaner und deren Festlegung des Kräfteverhältnisses in der Region. Gemeinsam fordern sie, dass sich ihre Kooperationsbereitschaft mit der Weltmacht Nr.1 für sie mehr auszahlt. Wenn die USA nicht mehr an Gegenleistung bieten und sich weiterhin weigern, Israel Schranken zu setzen, drohen die arabischen Nationen, die bisher als proamerikanisch galten, damit, neue Kalkulationen anzustellen. Wie ernst es ihnen damit ist, dokumentieren sie mit der Aufhebung der bisher von ihnen unterstützten Isolierung der „Schurkenstaaten“. Die Arabische Liga lässt den Irak wieder an ihren Treffen teilnehmen, kritisiert die USA, unterschiedliche Maßstäbe bei der Beurteilung von Staaten anzulegen, und fordert die Einstellung der „ungerechten Sanktionen gegen das irakische Volk“. Die meisten Mitgliedsländer halten sich seit einiger Zeit auch nicht mehr an den Boykott, haben schon mit der Entsendung von Regierungsdelegationen und Hilfsgüterlieferungen nach Bagdad das Flugverbot unterlaufen und eröffnen wieder ihre Botschaften im Irak. Auch Libyen und Iran werden bei diesen Gipfelkonferenzen ohne Vorbehalte als Partner behandelt, mit denen man gemeinsame Ziele verfolgt. Die Zeitungen berichten, am Rande der Treffen hätten sogar bisherige Todfeinde, wie Kuweit, Saudi-Arabien und Irak oder Syrien und die Türkei erste Schritte zur Normalisierung ihrer bilateralen Beziehungen und zu wirtschaftlicher Kooperation unternommen.

Wenn die Gipfeltreffen mehr Einmischung der EU und Russlands in den nahöstlichen Friedensprozess fordern und vor allem die UNO als die zuständige Institution herausstreichen, die Israel kontrollieren und in die Schranken weisen soll, dann ist das ein Affront gegen die USA, die für sich das Ordnungsmonopol in dieser strategisch wichtigen Region beanspruchen. Es läuft nämlich auf das Angebot an Europa und Russland hinaus, die Unterstützung der ökonomischen und strategischen Ambitionen der arabischen Welt würde sich für sie auszahlen, weil sie im Gegenzuge Bündnispartner fänden, die Übermacht der Amerikaner im Nahen Osten zu relativieren. Diesen Antrag haben alle Mitgliedsländer der Arabischen Liga und der OIC unterschrieben, sowohl die enttäuschten traditionellen US-Verbündeten wie auch die Regierungen der Länder, die Amerika seit jeher distanziert bis feindlich gegenüberstehen. Gemeinsam drängen sie darauf, den Friedensprozess zu einer Konkurrenzaffäre der Mächte zu machen, die sich für die Aufsicht über die Welt zuständig erklären.

Mit ihrem Bekenntnis zur Solidarität heben die Staaten ihre Konkurrenz untereinander keineswegs auf. Als „Bruderstaaten“ berufen sie sich auf die gemeinsame Verpflichtung, die „arabische Nation“ oder den Islam zu stärken. Die Regierungen fordern wechselseitig voneinander, einen Kurs gegen Israel und die USA einzuschlagen, den sie von ihrem nationalen Standpunkt aus für opportun halten. Die einen suchen Bündnispartner, um dem Druck der Amerikaner etwas entgegenzusetzen, die anderen möchten als „mäßigende Kräfte“ stärkere Unterstützung durch Washington erwerben. Die Not leidenden Länder beanspruchen mit dem Hinweis auf die Schädigung durch Israel mehr ökonomische Unterstützung von den reichen. Letztere fordern im Gegenzug mehr Kontrolle über die Verwendung ihrer Hilfsgelder und mehr Einfluss auf die Politik der Nehmerländer. Als „Bruder-Nation“ verbittet man sich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Andererseits gebietet es die arabische Sache geradezu, Völker gegen ihre Regierungen aufzuhetzen, wenn diese ihre heilige Pflicht vergessen.

Der von allen Ländern wieder neu beschworene Panarabismus und -islamismus hat aber auch Auswirkungen auf die innere Verfassung der einzelnen Nationen. Mit der neuen Frontstellung gegen Israel wird bei den Völkerschaften wieder die Vorstellung geweckt, es ginge um den Kampf für die arabische Sache und die Verteidigung des Islam. So müssen sich die Regierungen von ihren Völkern an Maßstäben messen lassen, die alle als Bestandteile ihrer Staatsräson pflegen. Auch in den Staaten, die ihren politischen Erfolg daran geknüpft haben, auf dem Weltmarkt ökonomisch zu bestehen und politisch und militärisch mit den Amerikanern und auch Israel zu kooperieren, haben die Regierenden nach wie vor auf eine arabisch-islamische Identität als Legitimation ihrer Herrschaft gegenüber ihrem Volk Wert gelegt. Dementsprechend kommt nun zunehmend Kritik auf. Weil die Regierungen selber die amerikanische Politik als Parteinahme für die Zionisten und gegen die arabische Welt anprangern, fordern die Massen konsequenteren Antiamerikanismus und verleihen dieser Forderung lautstark Ausdruck. Vom tunesischen Staatspräsidenten bis zum jordanischen König vollführen die arabischen Regenten einen politischen Eiertanz: Sie begrüßen die Solidarität des eigenen Volkes mit den unterdrückten palästinensischen Massen und verurteilen allzu heftige antiisraelische und antiamerikanische Kundgebungen. Meist stellen sich die Regierungen an die Spitze der Bewegung, um den Protest zu kanalisieren. Zugleich greifen sie zu den bewährten Mitteln der Repression und sperren die Wortführer der Studentenproteste, die Vorkämpfer der islamistischen Bewegungen und die Agitatoren in den Palästinenserlagern ins Gefängnis. Auf der anderen Seite bekommen die radikalen Muslime Auftrieb, weil die Staatsführer selbst die islamische Solidarität beschwören. So findet der Vorwurf an die Herrschaft, sie würde nur Lippenbekenntnisse ablegen, in Wirklichkeit aber der Verwestlichung der Gesellschaft Vorschub leisten, zunehmend Anklang. Islamistische Fanatiker fühlen sich schließlich aufgerufen, selber etwas gegen die Feinde ihrer heiligen Sache zu unternehmen, beschießen westliche Diplomaten und attackieren amerikanische Militäreinrichtungen. Solche Terrorakte sind nicht nur ein Problem der inneren Ordnung, sondern bringen die nationalen Führer auch bei der Weltaufsichtsmacht in Verruf, weil sie ihr eigenes Volk nicht unter Kontrolle haben.

Von den Fortschritten im Friedensprozess sind also die Verhältnisse im gesamten Nahen Osten tangiert: Fragen der inneren Stabilität kommen auf. Manche Nation sieht sich veranlasst, ihren außenpolitischen Kurs gegenüber ihren Nachbarn zu korrigieren. Die bisherige Frontlinie, die die USA vorgegeben haben, wird aufgeweicht und das amerikanische Ordnungsmonopol in Zweifel gezogen.

5.

Die Weltaufsichtsmacht USA muss zur Kenntnis nehmen, dass sich ihr bisheriges Konzept, im Nahen Osten Frieden zu schaffen, als Idealismus erweist. Israel, von Washington dazu genötigt, mit allen seinen arabischen Feinden einen modus vivendi auszuhandeln, bringt keinen Frieden zustande. Sein Staatskonzept und Vormachtstreben erweisen sich als unvereinbar mit dem Souveränitätsanspruch, den die arabischen Nachbarn geltend machen. Dennoch denkt Washington nicht daran, den bisherigen Kurs zu ändern.

Auf die Forderung der arabischen Seite, mehr Druck auf Barak auszuüben, lässt sich Clinton nicht ein. Er drängt Israel nicht, Arafat und Assad gegenüber mehr Zugeständnisse zu machen, erst recht droht er nicht mit Sanktionen, wenn die Jerusalemer Regierung unerbittlich auf ihrem Standpunkt beharrt. Allerdings besteht er darauf, dass die Kontrahenten zum Verhandlungstisch zurückkehren, auch wenn sie längst zu Gewalt und Terror übergegangen sind. Beide Seiten sollen zudem einseitige Maßnahmen unterlassen, die von den Amerikanern nicht genehmigt sind. Arafat darf seinen Palästinenser-Staat nicht ausrufen, Barak nicht mit militärischen Mitteln die einseitige Separation durchsetzen. Wenn Barak nach Washingtoner Vorstellungen auf die palästinensischen Proteste zu gewaltsam reagiert, dann läuft er höchstens Gefahr, dass die USA die in Aussicht gestellte zusätzliche Unterstützung Israels aufschieben. So wird Barak bei seinem letzten Besuch im Weißen Haus enttäuscht. Sein Antrag, Israels bisherigen Status als „bedeutender Verbündeter außerhalb der Nato“, den es mit Ägypten und Jordanien teilt, aufzuwerten und sein Land offiziell als „strategischen Partner“ der USA einzustufen, wird nicht behandelt. Die USA sind in der derzeitigen Situation nicht bereit, Israel mit Großbritannien und Kanada gleichzustellen, die als einzige bisher diesen mit wichtigen Privilegien in Militär- und Rüstungsfragen versehenen Status innehaben. Die in Camp David ebenfalls in Aussicht gestellte zusätzliche Militärhilfe von 800 Mill. $, gedacht als Entschädigung für die Kosten des Rückzugs aus dem Libanon und für die Entwicklung von Abwehrwaffen gegen iranische Raketen, will Clinton zudem vorerst nur zur Hälfte beim Kongress beantragen.

So wenig die amerikanische Regierung von ihrem Hauptverbündeten in der Region verlangt, seine Staatsräson zu ändern, so sehr bemüht sie sich, der arabischen Seite klar zu machen, dass es für sie zum Friedensprozess keine Alternative gibt. Kaum macht Libyen den arabischen Brudernationen den Vorschlag, einen Ölboykott zu erwägen, drängt Washington Saudi-Arabien zu erklären, dass die Opec keinesfalls einen solchen Schritt unternehmen wird. Nach den Gipfeltreffen in Kairo und Doha reist Verteidigungsminister Cohen durch die Golfregion und schwört die Scheichtümer darauf ein, Irak nach wie vor als Hauptfeind anzusehen. Solange hierin keine Klarheit herrsche, sei es unangebracht, über neue Waffenkäufe in den USA zu reden. Die vornehmlichste Aufgabe der Regierungen sei es nun, dem islamistischen Terrorismus gegen amerikanische Militärbasen vorzubeugen. Nachdem Ägypten seinen Botschafter aus Tel Aviv abgezogen hat, gibt Cohen Mubarak zu verstehen, dass es unklug wäre, Ägyptens Vermittlerrolle im Friedensprozess aufs Spiel zu setzen. Washington stellt andererseits Jordanien und Ägypten als Prämie für ihren mäßigenden Einfluss auf das arabische Lager zusätzliche Finanzhilfen in Aussicht. Mit Drohungen und Versprechungen sollen die Staaten, die sich bisher auf die Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel eingelassen haben, auch in dieser „kritischen Phase“ bei der Stange gehalten werden.

Angesichts der Vorstöße, das amerikanische Ordnungsmonopol in der Region in Frage zu stellen, reagieren Clinton und Co. sehr gelassen. Versuche Russlands, sich als Garantiemacht der Beschlüsse der Madrider Konferenz in die laufende Affäre einzumischen, werden abgeschmettert. Die Selbsteinladung Putins zum Gipfel von Scharm el-Scheich wird z.B. schlichtweg ignoriert. Europa wirft sich von vornherein in die Pose des bescheidenen Zuträgers. Der Wunsch der EU-Staaten, mehr Einfluss in der Region zu bekommen und ihre ökonomischen und strategischen Interessen über die engen Grenzen, die ihnen die USA mit ihrem Boykott der Schurkenstaaten ziehen wollen, hinaus zu verfolgen, ist zwar unübersehbar, allerdings tun sie gleichzeitig alles, um jegliche Konfrontation mit der Weltmacht Nr. 1 zu vermeiden. Bundeskanzler Schröder betont auf seiner Nahost-Reise, dass Deutschland und die EU weder in der Lage noch willens sind, die Rolle des Vermittlers zwischen Israel und seinen Nachbarn zu spielen. Dabei hätten die EU-Staaten, als die wichtigsten Handelspartner Israels, durchaus Druckmittel in der Hand. Gleichzeitig drängt der deutsche Kanzler aber darauf, dass beim Fortgang des Friedensprozesses stärker berücksichtigt werden muss, dass die EU und Deutschland seit langem einen „wichtigen Beitrag“ leisten, indem sie sowohl den Palästinensern als auch den arabischen Ländern mehr Aufbau- und Entwicklungshilfe zahlen als alle anderen Nationen der Welt. Darum ist es in seinen Augen nicht mehr als billig und ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die USA den EU-Repräsentanten für außen- und sicherheitspolitische Fragen, Solana, als Mitkoordinator des Gipfels von Scharm el-Scheich zulassen und ihn in die internationale Kommission berufen, die die Gewalt in den besetzten Gebieten untersuchen soll.

Die gemeinsamen Bemühungen der arabischen Nationen, die von den europäischen Ländern vorsichtig unterstützt werden, die UNO stärker mit den Zuständen in der Region zu befassen, weisen die USA auch nicht einfach zurück, sondern versuchen sie zu kontrollieren. Erstens hat die UNO nicht in Konkurrenz zur Oberaufsicht der USA in der Region zu treten, zweitens wird die Isolierung Israels verhindert. Bei der Sicherheitsratsresolution, die Israel wegen „übermäßiger Gewalt gegen palästinensische Zivilisten“ verurteilt, legt Amerika zwar kein Veto ein, sondern enthält sich. Clinton ist nicht bereit jede Militäraktion der Israelis zu decken; zumal dann nicht, wenn er beide Seiten gerade zur Mäßigung ihrer Gewaltmaßnahmen angehalten hat. Gleichzeitig lässt er sich aber durch den Beschluss des Sicherheitsrats beauftragen, im Namen der UNO die internationale Untersuchungskommission für die Vorfälle der letzten Monate zusammenzustellen, also Leute auszusuchen, die Israel nicht allzu hart verurteilen werden. Außerdem kritisiert das Weiße Haus die Resolution heftig wegen ihrer „Einseitigkeit“ und gibt Israel damit zu verstehen, dass es keine negativen Konsequenzen zu befürchten hat. Die UNO könne viel beschließen, maßgeblich sei ohnehin nur das, was die USA befinden. Länder, die sich in ihrem Abstimmungsverhalten bei den UN-Beschlüssen zu sehr für eine Verurteilung Israels eingesetzt haben, wie z.B. der Nato-Partner Türkei, müssen sich schließlich von Frau Albright schwere Vorwürfe anhören. Solche Alleingänge lassen sich die USA nicht ohne Folgen bieten.

Die Vereinigten Staaten wissen allzu gut, dass der Friedensprozess im Nahen Osten nicht nur eine Bewährungsprobe für ihre Oberaufsicht in der Region, sondern auch ein Test darauf ist, wie weit sie die Konkurrenten, die für die Ordnung in der Welt mitzuständig sein wollen, unter Kontrolle haben.