Neue Folgen der Überakkumulation im globalen Finanzsystem. Derzeit und bis auf weiteres ganz oben auf der Tagesordnung:
Fortschritte in der Krisenkonkurrenz der Weltwirtschaftsmächte
Die fortlaufenden Euro-Rettungsmaßnahmen geraten zu lauter Eingeständnissen: Längst ist die Finanzmacht nicht nur dieses oder jenes Euro-Landes, sondern der ökonomisch potentesten Euro-Staaten, die als Garanten gefragt sind, fragwürdig. Die Abwendung der Pleite Griechenlands durch neue Kreditgarantien überfordert das, was die Euro-Staaten, die noch Kredit haben, zu finanzieren bereit sind; Banken sollen Staatsschulden abschreiben... Der Rettungsfonds soll mit institutionellen Kreditgebern ‚gehebelt‘ werden und reicht doch erklärtermaßen nicht, um die nächsten Problemfälle – Spanien, Italien – ihre Kreditwürdigkeit zu sichern. Deutschland und Frankreich droht die Abstufung durch die Rating-Agenturen... Die Krisenlage hat sich in mehreren Ländern zur politischen Krise ausgewachsen, Regierungen werden abgewählt oder durch nationale Notregierungen abgelöst... Das alles, weil – nicht nur – Europas Staaten um die ökonomischen Grundlagen ihrer Macht ringen: den Zuspruch des Finanzkapitals und ein kapitalistisches Wachstum, das dem staatlich gestifteten Geld und seinen Schulden die Qualität eines gefragten Geschäftsmittels sichert...
Die Macher Europas, Deutschland voran, begreifen diese Krisenlage als Herausforderung und als Chance: Mit verbindlichen Regeln nationalen Haushaltens, Eingriffen in die Souveränität, die die staatlichen Mitglieder der Euro-Zone auf erfolgreiches kapitalistisches Wirtschaften verpflichten und auf vom erfolgreichsten Euro-Land Deutschland vorgegebenen Maßstäben nationalen Wirtschaftens festlegen sollen, soll das Gemeinschaftsgeld die Rolle eines Weltgelds erobern, das dem Dollar Konkurrenz macht. Deutschland will damit zugleich die Stellung einer unbestrittenen europäisch politischen und globalen ökonomischen Führungsmacht festschreiben.
Die Krise als einmalige Chance in der Konkurrenz der Nationen um ihre nationalen Gelder – das ist der Grund und Zweck, zu dem sich Deutschlands Politiker bekennen und den sie mit aller Macht bei der ‚Rettung des Euro‘ verfolgen: Es geht darum, „jetzt den Grundstein für die stärkste Währung der Welt zu legen“. (Söder)
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Systematischer Katalog
Gliederung
- 1. Die auf dem Oktober-Gipfel beschlossenen Maßnahmen zur Euro-Rettung spiegeln eine Lagediagnose wider, die einer Reihe von Eingeständnissen nahe kommt.
- 2. Die Beschlüsse des EU-Gipfels von Ende Oktober markieren Fortschritte in der Krisenkonkurrenz der Staaten – a) zwischen den Euroländern, b) zwischen Euroland und der anderen großen Krisennation, der Weltwirtschaftsmacht USA.
- 3. So gerät die Konkurrenz der krisengeschädigten kapitalistischen Nationen a) innerhalb der EU wie b) zwischen den Weltwirtschaftsmächten zusehends zur politischen Machtfrage.
Neue Folgen der Überakkumulation im globalen Finanzsystem. Derzeit und bis auf weiteres ganz oben auf der Tagesordnung:
Fortschritte in der Krisenkonkurrenz der Weltwirtschaftsmächte
Auf ihrem Doppel-Gipfeltreffen im Oktober haben die Euro-Staaten mit einigen neuen Beschlüssen ihre Entschlossenheit unter Beweis gestellt, den Geltungsbereich ihrer gemeinsamen Währung und ihre in diesem Geld repräsentierte Finanzmacht gegen alle spekulativen Anfechtungen zu verteidigen. Über die Gründe hat die deutsch-französische Führung keine Zweifel gelassen:
- Die Gemeinschaftswährung hat sich für die konkurrenzstarken Nationen der EU, namentlich für Deutschland, als Erfolgsmittel bewährt. Wie, das bedarf keiner Erklärung; die Tatsache, dass die Konkurrenzerfolge der Starken in den ökonomischen Niederlagen der schwächeren Partner ihre Kehrseite haben, wird in dieser Diagnose vollständig ausgeblendet. Der Euro ist ein wesentliches Konkurrenzinstrument der erfolgreichen Länder; das und deswegen muss er bleiben. Wo im Euroland Erfolge ausbleiben, da müssen die Zuständigen für Abhilfe sorgen und Wachstumserfolge erzielen, die zum in Euro-Gestalt fungierenden Reichtum Europas beitragen. Denn:
- Die Gemeinschaftswährung, genauer: ihre weltweite Verwendung als Geschäftsmittel ist das Resultat europäischer Weltmarkterfolge; sie repräsentiert die Finanzmacht der Euroländer im Vergleich mit den anderen großen Weltwirtschaftsmächten und insbesondere in Konkurrenz zur Weltmacht mit dem weltweit dominierenden Kreditgeld, den USA. Die Anerkennung des Euro als gutes Weltgeld ist daher Voraussetzung und unverzichtbares Mittel für den Erhalt und die Mehrung des Anteils der Europäer am und ihres Nutzens aus dem Weltgeschäft. Mit der Schuldenkrise ihrer Euro-Partner steht für Europas Führungsmächte der erreichte Stand ihrer Länder in der Konkurrenz der Nationen auf dem Spiel – und damit der imperialistische Inhalt und Zweck ihres Zusammenschlusses überhaupt.
1. Die auf dem Oktober-Gipfel beschlossenen Maßnahmen zur Euro-Rettung spiegeln eine Lagediagnose wider, die einer Reihe von Eingeständnissen nahe kommt.
Aktuelles Hauptproblem ist die drohende Staatspleite Griechenlands. Um die Gefahr definitiv in den Griff zu kriegen, verbinden die Euro-Staaten die Gewährung weiterer Kredite, die die Handlungsfähigkeit der Regierung und insbesondere die Schuldenbedienung kurzfristig sicherstellen, also eine Insolvenz mit unkalkulierbaren Folgen abwenden, mit der dem internationalen Bankenverband abgerungenen Vereinbarung, die Hälfte der griechischen Staatsschuld zu streichen, was den Staat auf längere Sicht wieder kreditwürdig machen soll. Diese Zumutung ans Kreditgewerbe verknüpfen sie mit der Verpflichtung der Banken in der Eurozone, ihr Eigenkapital aufzustocken, damit sie den Belastungen ihrer Bilanz durch die Schuldenstreichung – sowie durch die schon absehbaren Weiterungen der Krise – gewachsen sind. Instituten, die das aus eigener Kraft nicht schaffen, werden Finanzhilfen ihrer Heimatstaaten in Aussicht gestellt; falls einzelne Staaten sich dadurch überfordert finden, gibt es Mittel aus dem schon früher beschlossenen ‚Euro-Rettungsfonds‘ EFSF.
Mit dieser Entscheidung bekunden die Euro-Staaten, dass der Aufwand für die Abwendung der Staatspleite Griechenlands, die sie auf keinen Fall zulassen wollen, das Maß überschreitet, in dem sie bereit sind, selber die dafür nötigen Mittel bereitzustellen. Der Bankenwelt gegenüber, die mit ihren Zins- und Tilgungsansprüchen Griechenland derart überfordert, dass sie dem Land kein Geld mehr leiht, stellen die Regierungen sich auf den Standpunkt, dass das Finanzgewerbe damit nicht bloß Griechenland ruiniert, sondern ihnen, dem Euroland insgesamt, einen fälligen, fürs Kreditwesen selbst unerlässlichen Dienst schuldig bleibt. Diese Dienstleistung fordern sie ein; nicht mit gesetzlicher Gewalt, aber immerhin mit einigem erpresserischen Druck. Soweit sie anerkennen, dass dadurch die Leistungsfähigkeit des Kreditwesens gefährdet sein könnte, lassen sie in erster Linie die zuständigen nationalen Haushalte für die Solvenz ihrer Banken haften; so viel innereuropäische Konkurrenz muss offenbar sein, auch noch in diesem Krisenfall. Bevor daraus jedoch die nächsten Krisenfälle erwachsen, haften alle gemeinsam.
Denn erklärtermaßen ist die Rettung Griechenlands zwar die dringlichste Aufgabe; auf ihrem Gipfel haben Europas Finanzpolitiker aber eine viel fundamentalere und umfassendere Krisenlage zu bewältigen: die schwindende Kreditwürdigkeit anderer, womöglich einer ganzen Anzahl von Euro-Staaten. Um hier klare Verhältnisse zu schaffen und die Finanzmärkte von der gesicherten Zahlungsfähigkeit aller Euro-Staaten zu überzeugen, nehmen die Partner sich ihren ‚Rettungsfonds‘ vor. Den haben sie bereits mit etlichen hundert Milliarden Euro ausgestattet – nämlich mit einer Garantie, die ihn befähigt, in dieser Höhe erstklassige Anleihen auf den Markt zu bringen und sich so das Geld für allfällige Interventionen zu beschaffen. Nun beschließen sie eine Vervielfachung dieser Mittel in der Weise, dass sie den Fonds ermächtigen und beauftragen, seine eigenen Mittel als Garantiesumme für Investoren in neu zu gründende größere Fonds einzubringen oder auf anderen Wegen für die Mobilisierung von Geldmitteln Dritter zu verwenden, die dann zusätzlich für gegebenenfalls nötige ‚Stabilisierungs‘-Manöver zur Verfügung stehen; die Rede ist mal von einer, mal zwei Billionen Euro.
Mit dieser Maßnahme leisten die Euro-Staaten sich zwei bemerkenswerte Eingeständnisse. Sie bestätigen die Berechtigung der Zweifel, die sie mit ihrem Ein- bis Zweitausend-Milliarden-Euro-Beschluss aus der Welt geschafft haben wollen; dabei machen sie auch gar kein Geheimnis daraus, um wessen Staatsschulden sie fürchten, dass sie nämlich das zunehmend kritische Urteil der Finanzmärkte über die Kreditwürdigkeit Spaniens und vor allem Italiens im Auge haben, also teilen. Und sie räumen ein, dass die Mittel, die sie für die Entkräftung dieser Zweifel für nötig halten, endgültig, nämlich um ein Mehrfaches den Betrag übersteigen, den sie selber zu Lasten ihrer nationalen Haushalte aufbringen können oder wollen – die Abgrenzung zwischen Wollen und Können lassen sie absichtsvoll offen. Dem Finanzgewerbe jedoch trauen sie die Leistung zu, so viel Kredit zu stiften, wie es für sein Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer braucht; und sie rechnen auf dessen geschäftliches Interesse, den Euroländern jeden zur Beglaubigung ihrer Kreditwürdigkeit nötigen Kredit zu geben, sofern die mit dem Kredit, den sie schon vorher haben, wenigstens teilweise und vorrangig für die Risiken haften, die dem Kreditgewerbe aus seiner zusätzlichen Kreditstiftung erwachsen...
Praktisch fällen die versammelten Euro-Staaten also über die aufgelaufenen Kredite wichtiger Partnerländer, die einen Großteil des Standorts Europa repräsentieren, das Urteil, dass sie kapitalistisch unproduktiv und durch nichts gerechtfertigt sind – deswegen muss ihre Haltbarkeit als Finanzvermögen ja eigens durch Garantien bestätigt werden. Das gleiche Urteil fällen sie praktisch auch über die Kredite, die sich ihr ‚Rettungsfonds‘ besorgen soll, um damit diese Garantie zu leisten – deswegen sollen ja die Investoren weitgehend von dem Risiko befreit werden, das sie mit Krediten an den EFSF eingehen. Ganz nebenher ist zudem eingestanden, dass die angesammelten Verbindlichkeiten der potenten Euro-Mächte auch nicht viel besser sind als die ihrer problematischen Partner – schließlich verbuchen die Verantwortlichen sie nicht als erfolgreiche Wachstumsmittel, die die Finanzmacht der Schuldner steigern und so eine zusätzliche Kreditaufnahme locker rechtfertigen, sondern als Last, die eine weitere Belastung der Staatshaushalte durch kapitalistisch unproduktive Rettungskreditgarantien prekär erscheinen lässt. Tatsächlich geben die Rating-Agenturen in ihrem kritischen Scharfsinn gleich zu bedenken, dass die maßgeblichen Garanten des garantiebedürftigen Euro-Kredits, Frankreich zuerst, am Ende aber selbst Deutschland, ihre Kreditwürdigkeit einbüßen würden, sollten große Partnerländer wie vor allem Italien, die einerseits noch als potente Einleger für den Kredit des EFSF haften, in die Verlegenheit kommen, dessen Unterstützung zu brauchen, also nicht bloß Mittel aus dem Fonds abziehen, sondern als Bürge für diese Mittel ausfallen: An dem als Eventualität betrachteten Ernstfall fällt den Finanzjongleuren der Widerspruch auf, dass ihre eigenen Zweifel an der Kreditwürdigkeit von Euro-Staaten durch die Vervielfachung des angezweifelten Kredits ausgeräumt werden sollen. Freilich finden sie diesen Widerspruch eben nur in den jeweils als besonders kritisch ins Visier genommenen Eventualfällen wirklich problematisch – der Schluss auf die heillose Überakkumulation staatlicher Verzinsungsversprechen, eines fiktiven Kapitals, das vom Finanzgewerbe als Geldkapital anerkannt, vermarktet und weiterverwendet worden ist, bis es seinen Dienst als sicheres Vehikel der Geldvermehrung versagt, ist Märkten wie Staaten fremd; was sollten sie mit der politökonomischen Wahrheit ihres Treibens auch anfangen. Ihren praktischen Schluss auf ein endgültig unproduktives Übermaß an Finanztiteln ziehen die Finanzmärkte ganz anders, nämlich gemäß ihrem vergleichenden Risikokalkül bezüglich der Schulden einzelner Länder; und auch da nicht gleich radikal, sondern mit der dosierten Erhöhung von Zinsforderungen und einer entsprechenden Entwertung vorhandener Anleihen. Und dementsprechend tun die nationalen Standortverwalter gerade im Krisenfall alles, um das spekulative Kalkül der Finanzinvestoren zugunsten ihres eigenen Ladens und zu Lasten der anderen staatlichen Kreditnehmer zu beeinflussen. Deswegen und in diesem Sinne bestehen die maßgeblichen Euro-Mächte mit ihren Gipfelbeschlüssen dem Finanzgewerbe gegenüber darauf, dass ihre Kreditwürdigkeit dafür gut ist, Vertrauen in die Garantien zu stiften, die sie für den ‚Rettungsfonds‘ und dessen Garantien für den Kredit aller Euroländer sowie für die ‚Hebelung‘ von dessen Kredit durch Vermögensgarantien für investitionswillige Geldanleger abgeben – Vertrauen also in die Kreditmassen, auf die sie selber im Zweifelsfall zurückzugreifen gedenken, um ihre Kreditwürdigkeit zu beweisen...
Bei diesem Unterfangen zirkulärer Vertrauensstiftung haben die Euro-Manager es bei ihrem Oktober-Gipfel nicht belassen. Ihren Partnern und sich selbst gegenüber machen sie die gebieterische Notwendigkeit geltend, die Verlässlichkeit ihrer Schulden durch eine Hauhaltspolitik zu untermauern, die den Bestand dieser Schulden verringert, also auf alle Fälle erst einmal nicht vermehrt – auch das ein Eingeständnis, dass von einer Produktivkraft staatlicher Kreditvermehrung, die die Schuldenaufnahme kapitalistisch rechtfertigt, nicht die Rede sein kann. Gemeint ist freilich eine ganz andere Botschaft an die Finanzmärkte: Die sollen die redlichen Bemühungen der Euro-Staaten, ihre unproduktiven, allein dem Kredit-Notstand geschuldeten Kredite nicht uferlos anwachsen zu lassen, als zuverlässigen Beleg für die Solidität dieser Schulden, für ihre Qualität als Kapitalvermögen, mit viel Vertrauen und billigen Zinsforderungen honorieren. Um dieses Effekts willen sollen die Haushälter der Euroländer an allen nicht unbedingt notwendigen und nicht unmittelbar wachstumswirksamen Ausgabeposten sparen. Dass eine solche rigide Sparpolitik dem nationalen Geschäftsleben schadet, ist den Verantwortlichen kein Geheimnis, aus deren Sicht aber eine vorübergehende Härte und außerdem eben ein Gebot der unabweisbaren Not, den vom Kreditgewerbe verbuchten und verwendeten Euro-Reichtum zu retten und den für eine solche Rettungstat erforderlichen Dienst dieses Gewerbes an der Finanzmacht der Euro-Staaten zu sichern – dass im Bedarfsfall wirklicher Reichtum, einschließlich notwendiger Überlebensmittel der Gesellschaft, für den Bestand der kapitalistischen Form des gesellschaftlichen Reichtums geopfert werden muss, ist den Zuständigen völlig selbstverständlich. Denn genau so führen sie aus, was das marktwirtschaftliche Gemeinwohl ihnen – immer und in der Krise erst recht – gebietet: Sie konkurrieren um die grundlegende Bedingung fürs nationale Geschäftsleben – Interesse und Zuspruch des Finanzkapitals zu ihrem Kredit.
2. Die Beschlüsse des EU-Gipfels von Ende Oktober markieren Fortschritte in der Krisenkonkurrenz der Staaten – a) zwischen den Euroländern, b) zwischen Euroland und der anderen großen Krisennation, der Weltwirtschaftsmacht USA.
a)
Für die Kreditwürdigkeit der Eurozone – für die Rettung der Zahlungsfähigkeit der bereits kreditunwürdigen Problemfälle, für die Erhaltung der Kreditwürdigkeit schwächerer Partner sowie für ein gutes Rating der anderen Garanten des EFSF – ist die Finanzmacht Deutschlands entscheidend. Die Entscheidungsmacht, die ihr damit zuwächst, nutzt die Berliner Regierung zum einen
- gegenüber Frankreich zur Einschwörung des Konkurrenten um die Führung Europas auf ihre finanzpolitischen Interessen und ihre Richtlinienkompetenz in der Krisenpolitik. Sie schmettert den französischen Antrag ab, den Garantiefonds EFSF durch die Europäische Zentralbank, also praktisch unbegrenzt durch die diesem Institut übertragene Geldhoheit der Euroländer finanzieren zu lassen. Dieser – von den Partnerstaaten mit schwächerem Kredit-Rating unterstützte – Vorstoß hat das Ziel und hätte das Ergebnis, die Garanten des ‚Rettungsfonds‘ von allen Sorgen um die Belastung ihres Haushalts durch allfällige Zinsen und ihrer nationalen Kreditwürdigkeit durch zunehmende Schulden zu befreien: Die EFSF-Manager könnten sich jede benötigte Summe zu einem mit der EZB ausgehandelten Zinssatz besorgen. Übrig bliebe allein die gemeinsame Verantwortung aller Euro-Staaten für die – einstweilen noch gar nicht gefährdete – globale Anerkennung und reichliche weltweite Verwendung des gemeinsamen Kreditgelds; Deutschlands gewaltiger materieller Vorteil in der Konkurrenz um Kredit wäre egalisiert, die Abhängigkeit des Fonds, seiner Garanten und seiner Problemfälle von der deutschen Finanzmacht entscheidend relativiert. So läuft es nun nicht; stattdessen findet Frankreich sich darauf verwiesen, eben diese Abhängigkeit mit zu organisieren und dabei den engsten Schulterschluss mit Deutschland zu suchen, damit es den kritischen Vergleich seiner Kreditwürdigkeit mit dem „Triple A“ der Deutschen besteht; denn nur so ist der Staat – wenigstens bis auf weiteres – in der Lage, die Garantie für den Kredit der Eurozone, die er nicht an die EZB los wird, ohne Schaden für seinen Kredit durchzuhalten. Entsprechendes gilt für die kleineren Euro-Partner mit starker Finanzmacht – soweit die sich nicht sowieso von vornherein um ihres nationalen Zinsvorteils willen und im Interesse eines starken, i.e. nicht für die Finanzierung problematischer Schuldenhaushalte aufgeblähten Euro der deutschen Position angeschlossen haben. Ihre derart gestärkte, nämlich von den Mitmachern unterstützte Kreditmacht nutzt die deutsche Regierung zum anderen
- gegenüber den Staaten mit problematischem, von den Banken in Zweifel gezogenem und mit entsprechend hohen Zinsen belastetem Kredit für die Anmaßung und die betont wenig anmaßende Wahrnehmung eines Kontrollrechts über deren Haushaltspolitik. Ohne für das Schicksal der dortigen Regierungen, geschweige denn für dasjenige, das die ihren Völkern bereiten, die geringste Verantwortung zu übernehmen, legen die Berliner Politiker ihre mit geringerer Kreditmacht gesegneten Kollegen, der jeweiligen Finanzlage entsprechend erpresserisch, darauf fest, ihre Staatsangestellten, Rentner, Kranken, Sozialfälle etc. zu verbilligen und überhaupt die Kosten ihrer Herrschaft zu senken. Überwachung und Maßregelung überlässt die deutsche Regierung den Experten der EU und des IWF. Am Fall Griechenland macht sie aber auch in aller Offenheit, im Fall Italien gemeinsam mit dem obersten Franzosen schon auch sehr öffentlich klar, bei wem die Entscheidungsmacht über die Finanzmittel liegt, mit denen in den Euroländern regiert wird: Den griechischen Partner stellen Merkel und Sarkozy knallhart vor die Alternative, sich allen Verpflichtungen zur Umgestaltung seines Landes zu beugen oder die Union zu verlassen; den italienischen Kollegen blamieren sie als unzuverlässigen Patron, dem ein überfälliges Reformprogramm durch eine von ihnen beauftragte Instanz aufgenötigt werden muss.
So setzt Europas deutsche Führungsmacht finanzpolitische Direktiven in die Welt, die in der Sache so ungefähr die alten Maastrichter Stabilitätskriterien zum Inhalt haben – und damit den Widerspruch verbindlich in Kraft setzen, der diese Kriterien auszeichnet. Sie sind abgeleitet aus Messgrößen des finanzpolitischen Welterfolgs der D-Mark-Macht BRD; sie sind Indikatoren der Konkurrenzerfolge, die der seinerzeitige Exportweltmeister sich mit verschiedenen Mitteln und Methoden und letztlich vor allem mit einer überlegenen Kapitalmasse erwirtschaftet hat, zusammengefasst in einer nationalen Kreditbilanz. Und damit sind sie alles andere als Handlungsanweisungen, deren Befolgung das gewünschte Ergebnis hergeben müsste. Genau so, als finanzpolitische Erfolgsrezepte, werden sie von deutscher Seite aber in Anschlag gebracht und in Spardiktate für die überschuldeten Partner umgemünzt. Als ließe sich der Konkurrenzerfolg einer Nation, die ihren Kredit verliert, bei deren Haushältern in Auftrag geben und – ausgerechnet! – durch eine radikale Verbilligung der Staatstätigkeit herbeiführen; als wäre die Sanierung der Finanzmacht einer Nation nicht das Ergebnis akkumulierter Konkurrenzerfolge, sondern eine Auftragsarbeit, die mit dem festen Willen zu äußerster Sparsamkeit zu erledigen wäre: In diesem Sinn schreibt die maßgebliche Euro-Macht ihren schwachen Partnern eine Politik des Verzichts auf gewohnte Herrschaftsmittel vor. Tatsächlich wäre eine derart restriktive Haushaltsführung schon unter den Bedingungen eines allgemeinen Aufschwungs alles andere als wachstumsfördernd. In der Krisensituation, die die Länder auf die Art bewältigen sollen, wirkt sie bis auf weiteres ruinös. Sie mindert die Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums bis auf das Niveau ziemlich massenhafter Verelendung – im Experten-Jargon: ‚es kommt zu einer Rezession‘ –; die Krise wird weder abgewendet noch überwunden, sondern erst einmal weiter durchgesetzt. Das wirkt unweigerlich auf die Auftraggeber zurück; nicht nur durch die Minderung der nationalen Zahlungsfähigkeit, die bislang nicht zuletzt von den exportstarken Partnern abgegriffen worden ist und deren Bilanzen aufgebessert hat. Der Einbruch der Geschäftstätigkeit und die verschlechterten Wachstumsbedingungen im Euroraum strapazieren den ‚Rettungsfonds‘ immer weiter und untergraben zugleich die Kreditwürdigkeit seiner Garanten; mittlerweile wachsen die Zweifel, ob das Angebot an die Kreditmärkte, mit EFSF-Anleihen garantiert Geld zu verdienen, überhaupt verfängt. Damit stehen die Erfolgsaussichten der produktiven Krisenbewältigungspolitik auf dem Spiel, die die deutsche Regierung durchgesetzt hat und auf der sie umso unerbittlicher besteht, je mehr ihre Partner auf alternative Lösungen drängen. Deutschland leistet sich damit seinerseits den schönen Widerspruch, alles auf einen Erfolg zu setzen, den es erstens gar nicht in der Hand hat, weil er vom Urteil der Finanzwelt über erhoffte Erfolge der Sparpolitik überschuldeter Partnerländer abhängt, und den es zweitens selber untergräbt, soweit seine Sparvorschriften den erhofften Erfolgen entgegenwirken.
Für dieses finanzpolitische Vabanquespiel hat die Berliner Regierung einen alles entscheidenden Grund, der in den offiziellen Begründungen – von wegen ‚Stabilitätskultur‘ etc. – allerdings mehr verschwiegen als offensiv geltend gemacht wird: Es geht um die Macht des europäischen Kredits und die Geltung des europäischen Kreditgelds in der Konkurrenz mit dem noch immer führenden Weltgeldschöpfer Amerika. Das Regime über Europas Finanzen, so wie die deutsche Seite es haben will, dient der Durchsetzung des Euro im Weltkapitalismus als mindestens ebenbürtige Alternative zum US-Dollar: Darin liegt seine eigentliche, nämlich weltpolitische Bedeutung.
b)
Mit einigen ihrer Gipfelbeschlüsse kommen die Euro-Staaten Einwänden nach, die von etlichen Experten und von Seiten amerikanischer Politiker gegen ihre vorangegangenen Rettungsmanöver erhoben worden sind: dass Griechenlands Kreditwürdigkeit nicht allein mit eng bemessenen und konditionierten Kredithilfen wiederhergestellt werden kann, sondern nur mit einem weit gehenden Schuldenerlass; dass die Eigenkapitalausstattung europäischer Banken sehr zu wünschen übrig lässt; dass der ‚Rettungsfonds‘ EFSF überhaupt viel zu dürftig ausgestattet ist, um „die Märkte zu beruhigen“. Mit dem Umfang der entsprechenden Korrekturen am europäischen Krisenbewältigungsprogramm ist die US-Regierung freilich nicht zufrieden; und vor allem hat sie noch deutlich weiter gehende Forderungen: Um Finanzinvestoren definitiv zufrieden zu stellen und alle spekulativen Zweifel am Wert der vielen Euro-Staatsanleihen zum Schweigen zu bringen, wären Finanzmittel der Europäischen Zentralbank in nicht vorab begrenzter Menge nötig. Und um ein Wachstum zustande zu bringen, das die Schuldenquote der Euroländer nachhaltig sinken lässt und der Weltwirtschaft insgesamt zu ihrem bitter nötigen Aufschwung verhilft, dürften die Staaten überhaupt und vor allem die Euro-Mächte mit gutem Kredit-Rating bei ihren Haushaltsausgaben keinesfalls sparen, sondern müssten zulegen und dem Kapital etwas zu verdienen geben. In beiden Hinsichten sollten vor allem die Deutschen sich die Politik der USA zum Vorbild nehmen. Beide Forderungen werden zurückgewiesen; mit der gleichen diplomatischen Unhöflichkeit, mit der die amerikanische Seite sie vorträgt: Als Urheber des ganzen Finanz-Schlamassels und eingedenk ihrer eigenen Unfähigkeit, überhaupt einen Haushalt aufzustellen und durch den Kongress zu bringen, sollte die US-Regierung sich mit Ratschlägen an die europäische Adresse zurückhalten. Der Überschuldung staatlicher Haushalte wäre mit unbegrenzter Kreditvermehrung sowieso nicht abzuhelfen; eine entsprechende Anweisung an die EZB widerspräche zudem deren gesetzlichem Auftrag und wäre mit Deutschlands traditionsreicher und überaus erfolgreicher Stabilitätskultur auch gar nicht in Einklang zu bringen.
In diesem partnerschaftlichen Meinungsaustausch machen die großen Verbündeten ihre Konkurrenzinteressen gegeneinander geltend:
- Die US-Regierung beschwört die wechselseitige Abhängigkeit der nationalen Kapitalstandorte in der modernen Weltwirtschaft und verlangt, dass alle Nationen sich mit ihrem Finanzgebaren und ihrem Kapitalwachstum als Erfolgsbedingung und -mittel der jeweils anderen bewähren; speziell von den Euroländern erwartet sie einen Antrieb für die Konjunktur in Amerika und für die sichere Mehrung des Geldkapitals, das in Form europäischer Staatsanleihen bei amerikanischen Investoren liegt. So eine Forderung ist alles andere als neu oder außerordentlich; die großen Weltwirtschaftsmächte nehmen einander als „Konjunkturlokomotive“ in Anspruch, wenn sie mit dem Wachstum in ihrem Land nicht zufrieden sind. In der aktuellen Lage, bei fortdauernder Finanzkrise, steckt in dem amerikanischen Antrag aber mehr als die gewöhnliche Konkurrenz um Wachstum. Die wohlmeinende Aufforderung, die EZB mit ihrer Macht zu nicht limitierter Kreditgeldschöpfung für die Zahlungsfähigkeit der Euro-Staaten haften zu lassen, stellt den massiven Vermögensschaden in Rechnung, den amerikanische Finanzinstitute schon registrieren und erst recht befürchten müssen, wenn Euro-Staatsschulden an Wert verlieren. Verlangt ist Entschädigung resp. Schadensvermeidung in unbegrenzter Höhe – die Kosten der Rettung des Kreditsystems, auch des europäischen, die die US-Regierung mit zusätzlichen Haushaltsschulden finanziert und zum großen Teil über die Notenbank refinanziert, also zu Lasten ihres Kredits und des amerikanischen Kreditgelds verstaatlicht hat, sind schon groß genug. In demselben Sinn zielt der Aufruf an die Europäer, mit Konjunkturprogrammen die Weltwirtschaft wieder in Schwung zu bringen, nicht bloß auf eine Beihilfe zur Behebung einer Wachstumsschwäche des amerikanischen Kapitals, wie sie immer wieder vorkommt. Der US-Regierung geht es darum, dass die Euro-Staaten mit zusätzlichem Kredit für eine zahlungsfähige Nachfrage sorgen, die Wesentliches zur Wiederherstellung vergangener Weltmarkterfolge der amerikanischen Exportwirtschaft beiträgt und so zur Stärkung der ökonomischen Basis des Kredits, den sie sich nimmt, wie des Kreditgelds, das sie in so großer Menge durch ihre Notenbank emittieren lässt.
Dabei enthält der Hinweis auf die EZB, die als unerschöpfliche Geldquelle in Anspruch genommen werden sollte, gar nicht bloß ein positives Interesse am Euro – nämlich daran, Amerikas Industrie möglichst viel davon verdienen zu lassen und Verluste an amerikanischem Finanzvermögen aus Euro-Schulden zu vermeiden. Dass eine unbegrenzte Vervielfachung von Euro-Emissionen der Europäischen Notenbank allein zwecks Kompensation von Krisenverlusten und zum Nutzen amerikanischen Wachstums den Wert des Euro untergräbt, nämlich seine Verlässlichkeit als Weltgeld und folglich seine Verwendung als sehr brauchbares Kreditgeld durch die internationale Geschäftswelt in Frage stellt: das ist ja keineswegs bloß eine übertriebene Befürchtung deutscher Stabilitätsfanatiker. Derartige Wirkungen registrieren die Amerikaner selber in ihrer eigenen Währung, obwohl die in weit größerem Umfang als der Euro weltweit benutzt wird und – noch – ohne gleichrangige Alternative ist: Wichtige Weltwirtschaftsmächte, die ein enormes nationales Vermögen in Dollar-Krediten angelegt haben und schon allein dadurch dem Dollar seine Geltung als Weltgeld sichern, äußern sich unmissverständlich unzufrieden mit der schrankenlosen „Monetarisierung amerikanischer Staatsschulden“ und einigen sich auf Bemühungen, vom US-Dollar als dinglicher Gestalt ihres weltweit verwendbaren kapitalistischen Reichtums loszukommen. Die US-Regierung wird mit undiplomatischer Deutlichkeit aufgefordert, mehr für die Verlässlichkeit ihrer Kredite zu tun, die schon zu einem erheblichen Teil direkt bei der Notenbank landen, und die hemmungslose Vermehrung der Dollars zu bremsen, die schon längst die Kreditmacht der Nation nicht mehr repräsentieren, sondern zu großen Teilen ersetzen. Dass die Übernahme der amerikanischen Geldschöpfungspolitik durch die Eurozone, also die nicht bloß faktische und noch immer einigermaßen begrenzte, sondern programmatische und programmatisch unbegrenzte Umwandlung von Euro-Staatsschulden in Liquidität durch die EZB, den Euro ebenso treffen würde, und zwar nach allem spekulativen Ermessen noch stärker als den US-Dollar, der als Weltwährung schon etabliert ist; dass damit auf jeden Fall die Bemühungen der Europäer, ihre Gemeinschaftswährung in Konkurrenz zu Amerikas Kreditgeld als weltweit benutztes Geschäftsmittel durchzusetzen, einigermaßen zurückgeworfen wären: Das liegt auf der Hand – und eben das wäre aus amerikanischer Sicht zwar nachteilig auch für die Euro-Vermögen und -Einnahmen, die zur Stärkung der amerikanischen Finanzmacht beitragen sollen. Vor allem aber wäre es nur gerecht: Die Belastung, die dem Kredit der Weltwirtschaftsmacht aus seiner maßlosen Vermehrung und Verwendung für den Aufkauf entwerteter Wertpapiere bereits erwachsen ist und weiter zuzunehmen droht, würde in einem für die Einzigartigkeit des US-Dollar wohltuenden Umfang auf die Europäer entfallen, die aus amerikanischer Sicht bislang ohne Gegenleistung von der Geldschöpfung der Fed profitieren. Dass eine solche Lastenteilung den krisenhaften Verfall der Finanzmacht Amerikas nicht beenden, sondern nur das alternative Geld der Europäer diskreditieren, damit auf Amerikas Interessen in Europa gar nicht positiv zurückwirken, also zur Fortsetzung der Krise beitragen würde, das spielt im Konkurrenzkampf der Weltwirtschaftsmächte keine Rolle: Hauptsache, der Rivale auf der anderen Seite des Atlantik ist an den Unkosten der Krise beteiligt und zieht nicht noch Vorteile aus der Krisenintervention, zu der die US-Regierung sich genötigt sieht.
- Von Europa aus betrachtet ist die Sachlage erst recht klar und das amerikanische Ansinnen ein einziger Anschlag. Die Ratschläge aus Washington verbucht man nicht als gut gemeinte, sachverständige Tipps, sondern als Sabotage an den eigenen Bemühungen, die Zweifel an den Staatsschulden schwacher Euroländer und an der Zuverlässigkeit des gemeinsamen Kreditgelds zu ersticken. Ganz flott schließt man von der Nationalität der Rating-Agenturen und großer Investitionsfonds, die dauernd Bedenken gegen Geldanlagen in Euro-Staatsanleihen erheben und immer mehr staatliche wie private Kreditnehmer in Euroland immer schlechter bewerten, auf böse Absicht. Ein Vorkommnis wie die – angeblich – irrtümliche, nach zwei Stunden zurückgenommene Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs durch ‚Standard&Poors‘, das auch noch mitten in der Aufregung um die Regierungswechsel in Griechenland und Italien, passt in dieses Bild; der Vorfall gilt mindestens als Test und Einstimmung der Märkte auf eine Eskalation der Spekulation gegen den Euro.
Auf jeden Fall – und unabhängig davon, wem in Amerika man wie viel wie böse Absicht unterstellt – lehnen die deutschen und von der Berliner Regierung auf Linie gebrachten europäischen Finanzpolitiker es ab, ihre Gemeinschaftswährung dem Stabilitätsrisiko auszusetzen, das mit deren grenzenloser Vermehrung durch bloßen Beschluss der Notenbank verbunden ist. Zwar kommen sie um neue Schulden nicht herum; nicht einmal der Notwendigkeit können sie sich entziehen, den Aufkauf verfallsbedrohter Kreditpapiere, zuletzt vor allem des italienischen Staates, durch die EZB zuzulassen. Grundsätzlich halten sie aber an der Konstruktion eines ‚Rettungsfonds‘ fest, der, gestützt auf die Finanzmacht der Euro-Staaten, seine Finanzmittel durch die Vermarktung eigener, als erstklassig bewerteter Anleihepapiere erwirbt und darauf setzt, durch den Einsatz dieses Geldes als Kreditgarantie für Dritte noch ein Mehrfaches an Finanzinvestitionen einwerben zu können. Damit bestehen die Europäer auf der finanzkapitalistischen Rechtfertigung ihres vermehrten Kredits und folglich des diesen Kredit repräsentierenden Geldes durch die rein ökonomische Kalkulation und das solide spekulative Interesse der Finanzwelt. Ihre Verschuldung soll von vornherein, nämlich da, wo die Euro-Staaten sich frische Zahlungsfähigkeit verschaffen, durch die Nachfrage der weltweiten Investorengemeinde nach ihren Anleihepapieren als vertrauenswürdiges geldkapitalistisches Vermögen beglaubigt sein. Nur so hat die Gemeinschaftswährung eine gute Chance, sich bei aller unproduktiven Aufblähung als anerkanntes Weltgeld zu behaupten – das ist die defensive Seite der europäischen Kalkulation.
Dass sie damit eine offensive Strategie verfolgen, das machen die Euro-Verantwortlichen in ihren Bekenntnissen zum Euro als „Herzstück“ ihrer Union schon auch unmissverständlich klar. Denn das bedeutet ja: Im Euro fasst sich der ökonomische Sinn und Zweck ihres Bündnisses zusammen. Er repräsentiert und gewährleistet die Finanzmacht, die die Schöpfer der Währungsunion unbedingt weltweit betätigen wollen. Mit der „Rettung“ ihres Gemeinschaftsgeldes durch einen von ihnen garantierten Fonds machen sie ihre Finanznot zum Angebot an Investoren in aller Welt, deren Geld in Kapital zu verwandeln; mitten in der Krise ihres Kredits setzen sie darauf, dass diese Einladung angenommen, ihre zusätzliche Verschuldung als Verbesserung der Lage gewürdigt und als gute Geldanlage genutzt wird. Das wäre ein Vertrauensbeweis, der die Durchsetzung des Euro, der ihren Kredit repräsentiert, als Kreditgeld der Welt voranbringen würde. Aus der Notwendigkeit, die Krise europäischer Staatsfinanzen quasi wegzufinanzieren, soll so ein Fortschritt bei der Etablierung der europäischen Währung als globales Geschäftsmittel werden, das im Vergleich mit dem Dollar quantitativ weiter aufholt und dabei gleichzeitig qualitativ, hinsichtlich seiner Stabilität, als Alternative zum aufgeblähten Geld der USA überzeugt: eine Positionsverbesserung im Konkurrenzkampf mit der Weltfinanzmacht Amerika. Diese Klarstellung über das Programm, das die Euro-Hüter überhaupt und in der Krise erst recht mit ihrem Gemeinschaftsgeld verfolgen, dürfen nicht bloß die Partner innerhalb der Eurozone auf sich beziehen, nämlich als nachdrückliche Einschwörung auf den wahren ökonomischen Daseinszweck ihres Vereins. Auch die noch nicht in Euro wirtschaftenden Unionsländer erfahren, worauf sie sich eingelassen und wofür sie ihr Land und Volk zuzurichten haben. Und der britische Partner wird mit dem Programm konfrontiert, von dem er sich ausgrenzt, solange er an seinem Pfund festhält und von der Ambition, als eigenständige Finanzmacht aufzutreten, nicht lassen will.
Diese offensive Stoßrichtung unterstreichen die Europäer sehr passend mit dem ersten Reiseziel ihres Abgesandten, der die Finanzwelt für einen massiven Zuspruch zu ihren neuen Schuldpapieren gewinnen soll: Der zuständige Kommissar besucht zuerst die VR China, deren Finanzpolitiker als die schärfsten Kritiker der US-Staatsschulden, in die sie einen Großteil ihrer massenhaften Exporterlöse gesteckt haben, sowie des US-Dollar, der den Wert dieser Vermögenstitel beziffert, auftreten und das Bedürfnis nach Alternativen anmelden. Anschließend fährt er nach Japan und erklärt den dortigen Kollegen, dass deren Devisenbestände, die zweithöchsten der Welt, in EFSF-Krediten ganz gut angelegt wären. Ein Moment von Eingeständnis ist in dieser Werbetour zwar schon auch enthalten: Durchschlagende Überzeugungskraft für die spekulativ kalkulierenden Sachwalter des privaten Geldkapitals trauen die Europäer ihrem Rettungsfonds trotz allen „Triple-A“-Garantien doch nicht so ohne weiteres zu. Um für dessen Finanzbedarf allgemeine Begeisterung zu wecken, setzen sie zuerst auf das politisch berechnende Interesse von Staaten, die sich am Weltmarkt bedeutende Investitionsmittel erwirtschaftet haben. Damit heben sie aber, auf der anderen Seite, die Euro-Rettung ausdrücklich auf das Niveau einer Welt-Staatsaffäre, auf dem sich ihre Konkurrenz mit Amerika ohnehin abspielt. Ihre Art der Krisenbewältigung ist und soll verstanden sein als Sache von größter politischer Bedeutung, nämlich für ihren Konkurrenzkampf um das Geschäftsmittel der kapitalistischen Welt und damit um den Spitzenrang in der Hierarchie der Weltfinanzmächte. Dafür sucht man die fernöstlichen Großmächte mit ihrem gewaltigen Staatsschatz zu gewinnen. Mit dem transatlantischen Verbündeten streitet man sich dann später, beim G-20-Gipfel in Südfrankreich.
Auch die Zurückweisung staatlicher Konjunkturprogramme bedeutet in diesem Zusammenhang mehr, als dass der Export-Vizeweltmeister auf seiner positiven Handelsbilanz besteht und es ablehnt, sich für den Nutzen anderer zu engagieren, womöglich zu verschulden. Dass Deutschland sich und seine Partner stattdessen auf solides Haushalten vergattert, am besten mit eingebauter Schuldenbremse, ist eine Demonstration finanzpolitischer Vertrauenswürdigkeit der Eurozone, die die Märkte positiv beeindrucken soll – und nicht nur das. Klares Ziel ist die wirkliche, wirksame Rechtfertigung des Kredits, den die Euroländer aus Krisengründen aufblähen, durch die an den Weltmärkten bewiesene Konkurrenzstärke, die Europas Elite-Nationen schon errungen haben und die die schwächeren Partner sich gefälligst – wie? durch Sparsamkeit und die Senkung des Niveaus ihrer nationalen Lohnstückkosten! – schleunigst zu erwirtschaften haben. Von der Verpflichtung auf dieses Ziel verspricht man sich in Berlin einen für private wie staatliche Geldanleger aus aller Welt überzeugenden Nachweis, dass Europa sich – anders als der große Rivale Amerika – als potenter Kapitalstandort nicht übernimmt, wenn es – notgedrungen – die Welt mit seinem Kreditgeld überschwemmt: Es holt die Grundlage dafür mit überlegener kapitalistischer Produktivkraft aus seinem Anteil am Weltgeschäft heraus. Inmitten der Krise diesen Nachweis zu führen: das ist eine, und zwar die wohl anspruchsvollste der Bedeutungen der Ansage der deutschen Kanzlerin, ihr Land wolle und werde
stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind
.
3. So gerät die Konkurrenz der krisengeschädigten kapitalistischen Nationen a) innerhalb der EU wie b) zwischen den Weltwirtschaftsmächten zusehends zur politischen Machtfrage.
a)
Politiker und Öffentlichkeitsarbeiter in etlichen EU-Staaten beschweren sich, notorisch und angesichts der von Berlin durchgesetzten Krisenpolitik vermehrt, über ein „deutsch-französisches Direktorium“, das die Partner bevormundet und die Mitentscheidungsrechte der anderen 25 überrollt. Tatsächlich kämpfen die Deutschen, in einem beiderseits nicht ganz freiwilligen Schulterschluss mit Frankreich, um eine Richtlinienkompetenz in Fragen der Haushalts- und Finanzpolitik. Ohne Skrupel setzt die Berliner Regierung die Auswirkungen der Krise, die Drangsale der schwächeren Mitglieder, speziell die Finanznot der Pleitekandidaten und ihre eigene relative Stärke, als Machtinstrument ein; stur beharrt sie auf dem Verbot, die EZB programmatisch zur Finanzierung staatlicher Schulden einzusetzen, und sichert sich dadurch nicht bloß den eigenen Zinsvorteil, sondern die fortdauernde Abhängigkeit der anderen von der Kreditmacht Deutschlands. Um den Mitgliedern des Euro-Clubs die Alternativlosigkeit der verlangten Sparpolitik vor Augen zu führen, scheuen Deutschland und Frankreich vor einer Rausschmiss-Drohung gegen Griechenland nicht zurück: Mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen den Vorstoß der Athener Regierung, die die Übernahme des verhängten „Reform“-Diktats von einer Volksabstimmung, also dem Plazet des „wahren Souveräns“ abhängig machen will, stellen Merkel und Sarkozy klar, dass in der Eurozone die Souveränität der Einzelstaaten endet, wo die Union um ihren Euro kämpft – da heißt die Alternative nicht mehr ‚korrekte Haushaltsführung oder blauer Brief aus Brüssel‘, sondern ‚Trennung oder Unterwerfung‘.
Ziel dieses offen erpresserischen Vorgehens ist freilich nicht die deutsche Machtergreifung in Europa, die Unterwerfung der 16 bis 26 anderen Souveräne unter einen selbstzweckhaften Herrschaftsanspruch Berlins, wie es manche Klage über ein von Deutschland gewünschtes „Direktorium“ unterstellt. Es geht schon um die gemeinsame Sache – auch wenn die meisten Partnerländer sich von sich aus nie zu einer derartigen Zielsetzung verstiegen hätten –: um den Konkurrenzkampf mit den USA um die weltweite Durchsetzung des europäischen Kredits und des europäischen Kreditgelds als Stoff des kapitalistischen Reichtums der Welt. Ein derartiger Erfolg ist jedoch nur zu haben, wenn alle nationalen Haushalte strikt am Kriterium einer weltweiten Nachfrage des Finanzkapitals nach ihren Schulden und einer entsprechenden Wertschätzung des gemeinsamen Kreditgelds ausgerichtet werden; das ist die Lehre, die die Europäer unter deutscher Anleitung aus der Krise ziehen müssen – im Sinne der Maastrichter Doktrin, die Erfolgsindikatoren zu Erfolgsrezepten erklärt. Und deswegen verlangt die gemeinsame Sache eine Selbstbindung der Staaten in ihrer Haushaltsführung, die dem Verzicht auf nationale Souveränität in dieser Kernfrage der Politik gleichkommt.
Den Verzicht hat kein Mitgliedsstaat geleistet. Stattdessen haben die Euroländer ihre Geldhoheit an die EZB abgegeben, nach deutschem Verständnis quasi eine Brandmauer eingezogen zwischen der Entscheidungsfreiheit der nationalen Souveräne über Haushalt und Schulden und der gemeinsamen ökonomischen Hauptsache, dem Kreditgeld mit seinem Auftrag zur Eroberung der Weltgeldmärkte. Diese Trennung zwischen dem Stoff, aus dem die Staaten ihre Haushalte verfertigen, und der Freiheit, ihren Haushalt nach nationalem Bedürfnis und Ermessen zu führen, hat die Eskalation der Finanz- zur Staatsschuldenkrise tatsächlich ad absurdum geführt: Griechenland ist der erste Fall eines haushaltspolitisch souveränen kapitalistischen Staates ohne eigenes Geld. Die Umkehrung dieses Verhältnisses wird dem Land jetzt aufgezwungen: Die Ausstattung mit einem Mindestquantum eigener Währung kostet die Hoheit über den Staatshaushalt. Darin ist Griechenland gemäß der von Deutschland durchgesetzten Krisenrettungspolitik der Präzedenzfall für alle Euroländer, die mit ihren Schulden in Verlegenheit kommen. Und die alle sind Beispielsfälle für das Prinzip, dem die Verfechter der Weltwährung Euro Geltung verschaffen und zu allgemeiner Anerkennung verhelfen wollen: In letzter Instanz hebelt die gemeinsame Sache die unbeschränkte Entscheidungsfreiheit des einzelnen Staates beim Gebrauch von Geld aus.
Den Widerspruch zwischen Wahrung und Preisgabe nationaler Haushaltsautonomie, dem die Euroländer (auch Deutschland) sich also stellen müssen – denn mit der Krise ist diese „letzte Instanz“ tatsächlich erreicht –, löst die deutsche Staatsgewalt für sich in der Weise auf, dass sie sich die Definitionshoheit über die gemeinsame Sache herausnimmt, sich selbst zum nationalen Subjekt der supranationalen Erfordernisse einer erfolgreichen Weltgeldkonkurrenz erklärt, also zwischen die Europa-Räson des Kampfes um den Kredit und das Geld der Welt und die eigene Staatsräson ein Gleichheitszeichen setzt. In diesem Sinn beschließt der parlamentarische Souverän eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang; die Regierung legt sich fast ebenso grundsätzlich und verbindlich darauf fest, bei der Euro-Rettung und überhaupt keine Alternative zu dem von Deutschland vorgegebenen Erfolgsweg der Euro-Union zuzulassen; das Bundesverfassungsgericht hat der Übertragung von Souveränitätsrechten und insbesondere der Hoheit des Parlaments über den Staatshaushalt ganz generell einen Riegel vorgeschoben. Damit steht von deutscher Seite immerhin nichts Geringeres als die Drohung im Raum, eher das ganze Unternehmen platzen zu lassen als in Sachen Gemeinschaftswährung Kompromisse einzugehen; und das nicht bloß aus sachlichen finanzpolitischen, sondern aus verfassungsrechtlichen Gründen – also der Sache nach deswegen, weil sonst die Unterordnung unter die Gemeinschaft nicht mehr deckungsgleich wäre mit der Oberhoheit über das ganze Unternehmen und seine Räson, die der deutsche Souverän seiner Souveränität schuldig ist. Bei ihrem Vabanquespiel, in Sachen Euro-Rettung alles auf einen Erfolg zu setzen, den sie gar nicht in der Hand hat, baut die Berliner Regierung mit der Souveränitätsfrage einen fundamentalistischen Vorbehalt in ihre Euro-Politik ein, der im Fall des Scheiterns als Sprengsatz wirkt.
Auf ihre Weise bemühen sich die anderen EU-Staaten, es den Deutschen gleichzutun und den Widerspruch zwischen Unterordnung unter das gesamteuropäische Geldregime und ihrer Haushaltsautonomie ebenfalls so zu bewältigen, dass sie die verlangte Disziplin und Beschränkung zum Gegenstand eigener, betont souveräner Entscheidungen machen. Manche verordnen sich nach deutschem Vorbild eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse, verpassen damit ihrer Unterwerfung unter die supranationale Räson der Weltgeldkonkurrenz den rechtlichen Charakter eines frei gewählten obersten Staatsziels. Über ihre gleichartigen Bemühungen stürzen in den Nationen, denen der Verlust ihrer Kreditwürdigkeit und die Notwendigkeit einer Rettung durch ihre solventen Führungsmächte droht, die amtierenden Regierungen – und werden durch neue ersetzt, die mit frischer Kraft dasselbe tun:
- In Irland sowie auf der iberischen Halbinsel nimmt das jeweilige Wahlvolk seiner Obrigkeit die rigiden Sparprogramme übel, mit denen die nichts anderes versucht, als die Vorgaben der europäischen Führungsmächte in ein ganz und gar nationales Rettungsprogramm zu überführen. Mit der Ermächtigung einer neuen Mannschaft, die gleich noch rigider ans Werk zu gehen verspricht, stellt es klar, dass ihm seine alten Herren und deren Verelendungspolitik vor allem unter dem Gesichtspunkt missfallen haben, dass die Nation sich da ohnmächtig gezeigt und fremden Diktaten gefügt hat. Mit seinem Wahlakt jedenfalls setzt es seine materiellen Hoffnungen und patriotischen Erwartungen auf Politiker, die das Versprechen verkörpern, mit ihrer Machtübernahme wäre die Nation wieder Herr ihres Schicksals – das deswegen noch elender als unter der alten Regierung ausfallen darf.
- Im Fall Griechenlands und Italiens nimmt die massive Misstrauenserklärung seitens der Finanzmärkte sowie, die Tendenzen der Spekulation aufgreifend und maßgeblich verstärkend, der Euro-Politiker in Berlin und Paris dem Wahlvolk die Mühe eines Wahlgangs vorerst ab. Neue Regierungen der überparteilichen Fachkompetenz kommen ins Amt, um erstens das Verordnete ohne falsche Rücksicht aufs Volk zu vollstrecken und zweitens dem Volk glaubhaft zu machen, dass mit dem neuen Personal die bessere Einsicht und der autonome Wille der Nation zum Zuge kommen.
So bringen Deutschlands Euro-Partner sich mehr oder weniger selbst auf die verlangte Linie – und ermutigen die Berliner Regierung auf der einen, die Brüsseler Europapolitiker auf der anderen Seite zu Initiativen, die darauf zielen, im Sinne der supranationalen Sache die dafür für nötig gehaltene Haushalts- und Schuldendisziplin rechtsverbindlich festzuschreiben. Die deutsche Seite befürwortet Änderungen am geltenden Einigungsvertrag, um nach der Logik des ‚Rettungsfonds‘ EFSF eine Verpflichtung aller Mitglieder auf eine von den Weltfinanzmärkten und -mächten akzeptierte und honorierte Kredit- und Geldpolitik festzuschreiben und so ihre Sonderstellung als entscheidende Finanzmacht der Union zu verewigen; zunächst in aller Bescheidenheit bloß ein paar Korrekturen im Kleingedruckten; daraus ist freilich sehr schnell die Forderung nach einer rechtlich verbindlichen „Fiskalunion“ geworden. Die Alternativvorschläge beinhalten mehr eine Art Tauschgeschäft: Aufsichtsbefugnisse der Brüsseler Behörden über die nationalen Haushalte gegen eine gemeinschaftliche Kreditaufnahme, die den Schuldendienst der schwächeren Partner entlasten würde – auf Kosten des Zinsvorteils der Deutschen und der Abhängigkeit der anderen von Deutschlands Kreditwürdigkeit. Damit ist auch schon eine der Fronten klar, an denen die aus der Krise erwachsende Nötigung der Euroländer zu mehr Einigkeit die Währungsgemeinschaft spaltet. Eine andere tut sich im Verhältnis des vom „deutsch-französischen Direktorium“ dirigierten Euro-Krisenclubs zu Großbritannien immer weiter auf: Der große Außenseiter bleibt nicht bloß von der Streiterei um die faktische und rechtliche Weiterentwicklung der Union ausgeschlossen; mit seiner eigenen Finanzindustrie, seinem eigenen Kreditgeld und vor allem mit der hartnäckigen Verweigerung der Abgabe von Hoheitsrechten an die Union rangiert das Land als Schranke und immerwährende Beeinträchtigung das Programms, das für die Führungsmächte auf dem Kontinent den letzten Sinn und Zweck ihres Bündnisses ausmacht und dessen überragende Bedeutung von der deutschen Kanzlerin immer wieder beschworen wird, wenn sie mit dem Euro gleich die Einheit Europas scheitern sieht: das Projekt einer den USA ebenbürtigen Weltmacht des Geldes.
b)
Für die offensive Bewältigung der Krise ihrer Staatsfinanzen, nämlich durch die Umwandlung ihrer Kreditnot in eine große Offerte an die Finanzwelt zum Einstieg in ein massiv erweitertes Eurokreditgeschäft, suchen die Europäer den Zuspruch der sogenannten BRIC-Staaten, der VR China vor allem. Sie beanspruchen diese neue Welt des kapitalistischen Reichtums und Wachstums für ihre Konkurrenz mit den USA auf der hohen Ebene des Kredits, den die Weltmächte einander einräumen, und des Kreditgelds, mit dem die Staatenwelt wirtschaftet. Die Reaktionen sind bemerkenswert. China, auch Russland und Brasilien verbinden ihre – einstweilen sehr – bedingte Bereitschaft, Euro-Schuldpapiere aufzukaufen und so den Versuch Europas zur Überwindung der Weltfinanzkrise mitzufinanzieren, mit ihren Initiativen zur Revision der globalen Finanzordnung: Der IWF sollte sich noch viel mehr als bisher in das Management des Kreditbedarfs der Euroländer einschalten, dafür und in dem Zusammenhang das Instrument der Sonderziehungsrechte zu einer neuen supranationalen Weltwährung weiterentwickeln und in einer Größenordnung von zwei Billionen bereitstellen; als Garantiemächte für diese Masse frisch geschaffener zwischenstaatlicher Liquidität sollte der Fonds verstärkt auf die BRIC-Staaten zurückgreifen, also für deren Devisenbestände eine neuartige supranationale Anlage schaffen und mit den Anteilen am Fondsvermögen auch deren Stimmgewicht entscheidend erhöhen. Das Regime des IWF über die Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt der Europäer, wäre damit gestärkt, gleichzeitig die Mitwirkung der neu auftretenden Weltwirtschaftsmächte daran, also ihr Einfluss darauf wesentlich ausgeweitet, derjenige der Europäer geschmälert, vor allem aber die Dominanz der USA gebrochen; so würden die BRIC-Staaten zu den politischen Gewinnern der Finanzkrise.
Auch den Europäern ist dieser Preis einstweilen zu hoch; vor allem aber legen die USA sogleich Einspruch ein. Die haben ohnehin einiges damit zu tun, die exklusive Weltgeltung ihres nationalen Kredits und ihres Kreditgelds zu verteidigen – gegen die Krisenkonkurrenz der Europäer und gegen die Kritik neuer Konkurrenten und deren Korrekturen am etablierten System des Welt-Kapitalismus. Im Visier ist dabei vor allem der erste Adressat der Suche der Europäer nach Investoren für ihren ‚Rettungsfonds‘: die VR China, die sich immer häufiger als unzufriedener Gläubiger der USA aufspielt, dabei zwar für ihren Reichtum noch immer auf Amerika und dessen Dollars angewiesen, für die Weltgeltung dieses Geldes mittlerweile aber auch schon unverzichtbar ist. Dabei wird die Regierung in Washington mit größter Selbstverständlichkeit und sehr entschieden auf dem Gebiet offensiv tätig, auf dem sie sich ihrer überlegenen Überzeugungskraft fraglos am sichersten ist: Mit der Ansage, als bewaffnete Ordnungsmacht im Westpazifik präsent zu bleiben, ihre Dominanz in der Region noch ausbauen und den chinesischen Einfluss eindämmen zu wollen, zieht der Friedenspräsident die Konkurrenz mit China entschlossen auf die oberste strategische Ebene.
Auf der Ebene können die Euro-Staaten nicht mithalten. Aber das ist ja auch nicht unbedingt die Ebene, auf der die Entscheidungen in dem Konkurrenzkampf fallen, von dem die deutsche Kanzlerin immer wieder sagt, er werde lange dauern und nicht durch großartige Knalleffekte entschieden. Andererseits ist auch wieder klar, dass die Finanzkrise und die konkurrierenden Bemühungen um ihre Abwicklung zu Lasten anderer nicht bloß die ökonomischen Kräfteverhältnisse auf dem Globus aufmischen. Das alles ist längst ausgeartet in ein politisches Kräftemessen zwischen allen großen Rivalen der kapitalistischen Staatenwelt.