Großbritannien – zu klein

Das Finanzkapital versagt dem Königreich die Kreditierung seines Krisenbewältigungsprogramms

Die Federal Reserve Bank bekämpft die Inflation in den USA mit einer Zinswende und verteuert den Kredit, die Biden-Administration weitet den Staatskredit für die überlegene Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft aus. Damit fordern sie ihre weltwirtschaftlichen Konkurrenten heraus. Das Vereinigte Königreich sieht sich zu einer Kopie der US-Inflationsbekämpfung genötigt. Die bewirkt den Absturz des Pfund Sterling, löst eine Wirtschaftskrise aus, die nach den Prognosen der Bank of England bis in das Jahr 2024 dauern werde, und führt zum Sturz der kaum in die Downing Street eingezogenen neuen Bewohnerin. Schneller ist noch nie eine britische Regierung gescheitert. An mangelnder Kompetenz, wie Labour-Opposition und etablierter wirtschaftspolitischer Sachverstand es Prime Minister Truss und Chancellor Kwarteng vorwerfen, liegt das nicht. Eher schon am Zustand des Kredits und der Wirtschaftsmacht der Nation, die sie regieren, und an dem Urteil der internationalen Finanzmärkte, die die sechstgrößte Volkswirtschaft zum ersten Verlierer der weltwirtschaftlichen Krisenkonkurrenz machen. Im Einzelnen.

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Großbritannien – zu klein
Das Finanzkapital versagt dem Königreich die Kreditierung seines Krisenbewältigungsprogramms

Die Federal Reserve Bank bekämpft die Inflation in den USA mit einer Zinswende und verteuert den Kredit, die Biden-Administration weitet den Staatskredit für die überlegene Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft aus. Damit fordern sie ihre weltwirtschaftlichen Konkurrenten heraus. Das Vereinigte Königreich sieht sich zu einer Kopie der US-Inflationsbekämpfung genötigt. Die bewirkt den Absturz des Pfund Sterling, löst eine Wirtschaftskrise aus, die nach den Prognosen der Bank of England bis in das Jahr 2024 dauern werde, und führt zum Sturz der kaum in die Downing Street eingezogenen neuen Bewohnerin. Schneller ist noch nie eine britische Regierung gescheitert. An mangelnder Kompetenz, wie Labour-Opposition und etablierter wirtschaftspolitischer Sachverstand es Prime Minister Truss und Chancellor Kwarteng vorwerfen, liegt das nicht. Eher schon am Zustand des Kredits und der Wirtschaftsmacht der Nation, die sie regieren, und an dem Urteil der internationalen Finanzmärkte, die die sechstgrößte Volkswirtschaft zum ersten Verlierer der weltwirtschaftlichen Krisenkonkurrenz machen. Im Einzelnen.

1. Nicht nur, aber eben auch das Vereinigte Königreich kämpft mit den Folgen des Wirtschaftskrieges gegen Russland. Der patriotische Stolz auf die eigene Rolle als Scharfmacher in der NATO-Front gegen den gemeinsamen Feind im Osten schützt nicht vor den Kosten durcheinandergebrachter Energie- und anderer Märkte fürs heimische Wachstum. Die enormen Preissteigerungen bei Energie, aber auch Lebensmitteln zerstören die Gewinnrechnungen von immer mehr Unternehmen, beschränken progressiv die Kaufkraft der Bevölkerung, was als „cost of living crisis“ zum neuen Sprachdenkmal geworden ist, und machen den Zusammenbruch des Wirtschaftswachstums nur noch zu einer Frage des Zeitpunktes. Wie andere staatliche Notenbanken sieht auch die Bank of England sich vor die Notwendigkeit einer Zinswende gestellt, um durch die Verteuerung des Kredits die auf 10 Prozent und mehr steigende Inflation auf der Insel zu bekämpfen – aber auch, um die durch die Zinswende der USA ausgelöste Abwertung des Pfund Sterling gegenüber dem Dollar zu bremsen, die den Geldreichtum der Nation entwertet und ihre Kreditmacht schwächt.

Die Regierung von Liz Truss tritt mit ihrem Finanzminister Kwasi Kwarteng an, die „orthodoxe“ Politik der Zentralbank, die sich gezwungen sieht, mit ihren Zinsschritten der Fed nachzufolgen und der EZB zuvorzukommen, um den Kredit im Land zu verteuern und zu beschränken, mit einer „radikalen“, gegen die verhasste „anti-growth coalition“ gerichteten Geld- und Finanzpolitik zu übertrumpfen. [1] Sie zeigt sich entschlossen, staatlichen Kredit in neuer Größenordnung zur Abwendung der drohenden Rezession und zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des nationalen Wirtschaftsstandorts zu schöpfen:

„Zu lange ist unsere Wirtschaft nicht so stark gewachsen, wie sie es hätte tun sollen... Das bedeutet, dass unser Land hinter andere Länder zurückfällt, einschließlich derer, die unsere Lebensweise bedrohen... Und genau darum geht es in unserem Plan: Es geht darum, die Wirtschaft zum Wachsen zu bringen... Das Ausmaß dieser Herausforderung ist immens: Zum ersten Mal seit einer Generation gibt es Krieg in Europa... Eine Welt mit weniger Verlässlichkeit im Gefolge der Covid-Epidemie... Und eine globale Wirtschaftskrise. Deshalb müssen wir in Großbritannien die Dinge anders angehen. Wir müssen mehr tun. Aus diesem Grund werden unser dynamischer neuer Finanzminister und ich in drei Bereichen Maßnahmen ergreifen. Erstens werden wir unsere Steuerlast senken... Zweitens werden wir die Finanzen der Nation eisern im Griff behalten... Drittens werden wir Wirtschaftsreformen vorantreiben, um unser Land für eine neue Ära zu rüsten. Wir verfolgen einen neuen Ansatz, der sich auf das stützt, was bisher funktioniert hat. Früher standen dem Wachstum Hindernisse wie militante Gewerkschaften, verstaatlichte Industrien und überholte Finanzvorschriften der Londoner City entgegen. Jetzt müssen wir die in unserem System über Jahrzehnte aufgebauten Wachstumsbarrieren abbauen... Das wird den Top-Investoren der Welt zeigen, dass man nirgendwo besser investieren kann als im Vereinigten Königreich.“ (Premierministerin Liz Truss, Parteitagsrede, 5.10.22)
„Unser Plan ist es, die Angebotsseite der Wirtschaft durch steuerliche Anreize und Reformen zu stärken... So werden wir erfolgreich mit dynamischen Volkswirtschaften in der ganzen Welt konkurrieren. So verwandeln wir den Teufelskreis der Stagnation in einen Tugendkreis des Wachstums.“ (Finanzminister Kwarteng, Business plus, 23.9.22)

Die Regierung beschließt, die von keinerlei sozialen Bedenklichkeiten angekränkelte Förderung von Kapitalistenklasse und Wachstum – „growth, growth and growth“ (Truss) – durch die prompte Ausweitung des Staatskredits in bislang ungekannter Größenordnung zu liefern. Mit einer schuldenfinanzierten Preisobergrenze für Gas und Strom, die den Haushalt mit 85 Milliarden Pfund belastet, sollen die krisenträchtigen Preissteigerungen für Energie begrenzt und mit einem radikalen, ebenfalls schuldenfinanzierten Steuersenkungsprogramm für Unternehmen und Großverdiener in Höhe von 45 Milliarden Pfund das Wirtschaftswachstum angestoßen werden. Dank der Verfügung über das Pfund Sterling, immerhin eines der Welt-Reservegelder, sieht sich die Regierung zur Schöpfung des Staatskredits in diesen Größenordnungen befähigt – und durch den Austritt aus der EU auch dazu befreit, weil jetzt wieder London statt Brüssel die uneingeschränkte Kontrolle über die Regeln der nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik besitzt. Mit ihrem Reagan-artigen Booster für die Wirtschaft – als „Trussonomics“ gepriesen bzw. von ihren Gegnern als „Zombie-Idee, dass sich Steuersenkungen von selbst finanzieren“, kritisiert – will die Regierung sicherstellen, dass Großbritannien sich in der „globalen Wirtschaftskrise“ gegen die Konkurrenznationen behauptet. Behaupten heißt da zuallererst: standhalten gegen die Weltwirtschafts- und Weltfinanzmacht USA, die mit ihrer Politik zur Inflationsbekämpfung und Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft die Maßstäbe dieser Krisenkonkurrenz setzt.

2. Kaum sind die „Trussonomics“ beschlossen, wird das mit Staatsschulden finanzierte Steuersenkungs- und Wirtschaftsföderungsprogramm von den internationalen Finanzmärkten mit einem eindeutigen Misstrauensurteil belegt. Sie zweifeln an der Fähigkeit des Staates, ein Wachstum anzustoßen, das den Einsatz seiner Kreditmacht beglaubigt. Gerade den Brexit, den die Regierung nicht müde wird, als endlich wieder errungenen herausragenden Konkurrenzvorteil zu preisen, beurteilen sie als beträchtliches Wachstumshemmnis. Schließlich hat die britische Wirtschaft den freien Zugang zu einem ganzen europäischen Binnenmarkt als gesicherte Wachstumssphäre verloren. Und keine neue gewonnen: Das große Versprechen, nach dem Austritt aus der EU mit ganz vielen Freihandelsabkommen, allen voran mit den USA, sich den unbeschränkten Zugang zu den Wachstumsmärkten in Übersee zu sichern, hat sich in Luft aufgelöst.

Zugleich zweifeln die Finanzmärkte an dem unabhängigen Willen der Bank of England, die Zinsen so zu erhöhen, wie es nötig wäre, um die inflationäre Wirkung der „Trussonomics“ unter Kontrolle zu halten. [2] Die enorme Steigerung der Staatsschulden – das Haushaltsdefizit für 2022 wird auf 190 Milliarden Pfund veranschlagt – schätzen sie als nicht „sustainable“ (nachhaltig) ein. Der Ausverkauf britischer Staatsanleihen ist die Folge, die „Gilts“ genannten Schuldpapiere verlieren drastisch an Wert, ihre Rendite steigt auf 4-5 Prozent, entsprechend drastisch erhöhen sich auch die Kosten für die staatliche Neuverschuldung, und die Währung stürzt auf den historisch tiefsten Wert gegenüber dem Dollar ab. Die Wirkungen ihrer Spekulation beweisen der Internationale der Finanzkapitalisten, wie recht sie mit ihrem vernichtenden Urteil über die britische Staatsschuld und das Pfund Sterling haben: Pensionsfonds kommen in Zahlungsschwierigkeiten und bedrohen die Stabilität des ganzen Finanzsystems, das Budgetdefizit wird noch größer und auch die importierte Inflation steigt.

Die internationale Spekulantenmannschaft weiß zu unterscheiden, in welcher Nation ein Zuviel an Staatskredit unterwegs ist, um sich geschäftlich zu verwerten, und wie das von ihr jeweils zu bewerten ist. Wenn die USA mit dem Dollar als dem Weltgeld beschließen, die Inflation im Land zu bekämpfen, dafür die Zinsen erhöhen und den Kredit verteuern, und zugleich den Staatskredit gehörig ausweiten, um Wachstum zu subventionieren, dann investieren die globalen Spekulanten ihr Geldkapital dort, machen den Dollar wertvoller und amerikanische Staatsanleihen lohnender. Wenn das britische Pfund und britische Staatsanleihen schon durch diesen praktisch vollzogenen Vergleich kontinuierlich an Wert verlieren und das Vereinigte Königreich sich zu einer Art Kopie der amerikanischen Geld- und Finanzpolitik genötigt, aber auch dazu in der Lage sieht, dann kommen dieselben Spekulanten zu dem Urteil, dass hier längst ein Zuviel an Kredit unterwegs ist, der sich nicht als Kapital bewährt, und die Schöpfung zusätzlichen Kredits das Übermaß nur steigert. Das legen sie dem Standort und seiner Währung zur Last, entziehen ihm den Kredit und sorgen für eine Kontraktion des in britischem Geld denominierten kapitalistischen Reichtums. Der Status des Pfund Sterling als Reservewährung, den die Regierung für ihre Konkurrenzoffensive wie selbstverständlich in Anspruch genommen hat, wird darüber beschädigt, damit auch seine Attraktivität für internationale Investoren. [3] Im Vergleich der Weltgelder bescheinigt das Rating der Finanzagenturen Pfund-Anleihen einen schlechteren Investment-Grad. [4]

3. Der Crash des Pfund Sterling lässt die Konkurrenz und die internationalen Finanzinstitutionen nicht kalt. [5] Sogleich sehen sich die USA aufgerufen, die Krisenwirkungen zu würdigen, die sie mit der allein nationalen Notwendigkeiten gehorchenden Inflationsbekämpfung bei den anderen Wirtschaftsmächten schaffen. Der amerikanische Präsident fordert die britische Premierministerin mit deutlichen Worten auf, ihr schuldenfinanziertes Steuersenkungsprogramm zurückzunehmen:

„Joe Biden hat den Wirtschaftsplan von Liz Truss, der die Finanzmärkte ins Chaos stürzte und einen starken Wertverlust des Pfunds verursachte, als ‚Fehler‘ bezeichnet... Er sagte, er sei besorgt, dass die Finanzpolitik anderer Länder den USA angesichts der ‚weltweiten Inflation‘ schaden könnte. Der US-Präsident deutete an, dass andere Staats- und Regierungschefs die gleiche Meinung über ihr katastrophales Mini-Budget [dies die Bezeichnung in Westminster für einen Nachtragshaushalt, der aufgestellt wird, um drängende ‚wirtschaftliche Probleme zu lösen‘, und in diesem Fall alles andere als ‚mini‘ ist] haben, und sagte, er sei ‚nicht der Einzige‘, der sich Sorgen über den Mangel an ‚solider Politik‘ in anderen Ländern in Bezug auf das Wirtschaftswachstum mache.“ (The Guardian, 16.10.22)

Es ist schon aufschlussreich, mit welchem Standpunkt die USA die „Pfundkrise“, also den politökonomischen Sachverhalt der Entwertung von kapitalistischem Reichtum am Geld eines ihrer großen Partner und Konkurrenten, zur Kenntnis nehmen. Biden belehrt Truss darüber, dass sie in völliger Überschätzung ihrer Möglichkeiten handelt, wenn sie glaubt, sie könne die USA kopieren und mit Schuldenaufnahme in neuer Größenordnung eine nationale ökonomische Konkurrenzoffensive finanzieren. Im Falle des Vereinigten Königreiches ist eine solche Finanzpolitik ganz und gar „unsolide“, stürzt das Land in die Krise und treibt nur die Inflation voran, statt Wachstum zu fördern, wie es Amerika für sich beansprucht. Die USA bestehen darauf, dass die krisenhafte Vernichtung von Geldreichtum auf Großbritannien lokalisiert zu bleiben hat: Die britische Regierung muss ihren „Fehler“ schleunigst korrigieren, nämlich das große Missverständnis, dass für „andere Länder“ dieselben Freiheiten und „Regeln“ gelten würden wie für die Heimat des Weltgeldes!

„Die ersten Anzeichen für Ärger gab es bei einem Treffen der G7. Die US-Finanzministerin Janet Yellen erklärte gegenüber Kwarteng, dass sie wenig erbaut ist über das Mini-Budget, das die Märkte in Aufruhr versetzte. Der Angriff Yellens entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn man bedenkt, dass die Regierung von Joe Biden selbst Geld geliehen hat, um ihre Ausgabenpläne zu finanzieren. Die USA sind jedoch die größte Volkswirtschaft der Welt und geben die Weltreservewährung, den Dollar, heraus. Für ein Land wie das Vereinigte Königreich gelten andere Regeln... Nach dem Treffen mit Kwarteng wurde wieder einmal eine Metapher aus der Welt des Autofahrens verwendet. Wenn die Geldpolitik auf die Bremse tritt, sollte die Finanzpolitik nicht auf das Gaspedal treten.“ (The Guardian, 15.10.22)

4.Geliefert wird von der Regierung Truss und ihrem Finanzminister Kwarteng nicht die geforderte Rücknahme der schuldenfinanzierten Steuersenkungen des berüchtigten „Mini-Budgets“ – da lässt sie, um im Bild der Zentralbanker zu bleiben, den Fuß auf dem Gaspedal –, sondern der Einsatz der Instrumente der Geldpolitik. Die Bank of England tritt in Aktion, um den Finanzmärkten ihr Misstrauen durch den Aufkauf der unter Druck geratenen Staatsschuldtitel abzukaufen. Für dieses „whatever it takes“ reserviert sie 65 Milliarden Pfund und erwirbt über eine Zeitdauer von drei Wochen Staatspapiere mit langer Laufzeit, um „normale Marktverhältnisse wiederherzustellen“ (Andrew Bailey, Gouverneur der Bank of England). Zusammen mit ihrem zweiten Instrument, der Erhöhung der Zinsrate, die dem Leitzins der US-Fed nachfolgt, tut sie das ihr Mögliche, um den Pfundkurs zu stabilisieren. [6]

Als sich abzeichnet, dass sich „die Märkte“ doch mehr von der Kritik aus Washington und New York am Kurs der britischen Regierung denn von den Maßnahmen der englischen Zentralbank zu seiner Verteidigung beeindrucken lassen, ist es um die „Trussonomics“ geschehen. Die Premierministerin entlässt ihren Finanzminister und versucht, mit einem „U-turn“, der kompletten Rücknahme des Mini-Budgets, nicht nur die Kreditmacht ihrer Nation, sondern auch ihr politisches Überleben zu retten. Das trotzige „I am a fighter and not a quitter!“ ist vergebens. Die eigene Partei ist längst zu der Überzeugung gelangt, dass die Zukunft der Konservativen und die der Nation nur noch mit einem Personalwechsel gesichert werden kann: Wer, wenn nicht ein smarter, steinreicher Ex-Investmentbanker indischer Abstammung wäre besser geeignet, das zerstörte Vertrauen der internationalen Finanzmärkte zurückzugewinnen!

5. Derweil tun die geldpolitischen Maßnahmen der Bank of England ihre Wirkung auf die „Realwirtschaft“: Die schnelle und massive Erhöhung der Zinsrate, um die Inflation zu bremsen, den Staatskredit gegen die Spekulation und die Währung gegen ihre Entwertung zu verteidigen, verteuert die Kreditfinanzierung der Wirtschaft im Allgemeinen und schlägt im Speziellen unmittelbar auf den Häusermarkt mit seiner großen Bedeutung für Bau- und Immobilienwirtschaft und Massenkaufkraft durch. Hauspreise und Hypothekenkosten bestimmen die verfügbare Kaufkraft von zwei Dritteln aller Haushalte; erstere fallen, weil letztere steigen. Die Vervierfachung der Hypothekenzinsen innerhalb dieses Jahres summiert sich für den durchschnittlichen Haushalt auf zusätzliche Zahlungen von 5000 Pfund an die Bank oder Bausparkasse. Hinzu kommen die Reallohnsenkungen durch die allgemeine Teuerung und die vergeblichen Versuche der Gewerkschaften, mit Lohnkampf die Verarmung ihrer Mitglieder zu bremsen. Ob die von dem neuen Premierminister Rishi Sunak vollzogene Wende zur „Austeritätspolitik 2.0“ – die „tränenreich schwierige“ Sanierung der Staatsfinanzen (Finanzminister Jeremy Hunt) durch die Kürzung der Ausgaben, insbesondere der „konsumtiven“ Sozialleistungen, um die Kreditmacht der Nation zu retten – der letzte Auslöser der Krise oder der erste notwendige Schritt zu ihrer Bewältigung ist, darüber darf die Nation ab sofort streiten...

[1] Zu dieser „Anti-Wachstum-Koalition“ zählt die Premierministerin ihre konservativen Vorgängerregierungen, die sich auf die Sanierung der staatlichen Finanzen durch eine strikte Austeritätspolitik verpflichtet haben, natürlich die Gewerkschaften und die Labour Party, die mit ihrer Lohn- und Sozialpolitik Wachstum und Unternehmergewinne untergraben, aber auch die Fraktion des im Kampf um den Parteivorsitz unterlegenen Rishi Sunak, der mit seinen finanzpolitischen Bedenklichkeiten die Wachstumsförderung mit Staatskredit hintertreibt, und sowieso alle, die die große Errungenschaft des Brexit nicht bedingungslos als nationale Befreiung begrüßen.

[2] „Wirtschaftsexperten der Londoner City haben Zweifel daran geäußert, ob die Bank tatsächlich bereit sein wird, die Geldpolitik so weit zu straffen, dass die inflationären Auswirkungen der Trussonomics ausgeglichen werden.“ (Paul Krugman, Why is the British Pound Getting Pounded, 27.9.22)

[3] Ein Drittel aller britischen Staatsanleihen wird von privaten und staatlichen Investoren in Übersee, insbesondere in Asien, gehalten. Sie sind vom Kurssturz des Pfund Sterling und dem panikhaften Verkauf der „Gilts“ betroffen, der ihre Bewertung als sichere und lohnende Investments, die mit Dollar- und Euro-Anlagen vergleichbar sind, untergräbt.

[4] „Die Rating-Agentur S&P hat den Ausblick ihres AA-Ratings für britische Staatsschulden von stabil auf negativ gesenkt. Die US-Ratingagentur reagierte damit auf eine mögliche höhere Kreditaufnahme Großbritanniens nach der Haushaltserklärung der Regierung in der vergangenen Woche.“ (Handelsblatt, 1.10.22)

[5] „‚In Anbetracht des erhöhten Inflationsdrucks in vielen Ländern, einschließlich des Vereinigten Königreichs, empfehlen wir zu diesem Zeitpunkt keine großen und nicht zielgerichteten Haushaltspakete‘, so der IWF in einer Erklärung. ‚Es ist wichtig, dass die Finanzpolitik nicht im Widerspruch zur Geldpolitik handelt.‘“ (Financial Times, 28.9.22)

 „Ein hochrangiger Beamter der US-Notenbank äußerte sich Anfang dieser Woche besorgt darüber, dass die negativen wirtschaftlichen Folgen des britischen Haushalts Auswirkungen auf das Wachstum in der EU und damit auch in den USA haben könnten. Der IWF und der US-Finanzminister haben ebenfalls erklärt, dass sie die Situation im Vereinigten Königreich genau beobachten.“ (chathamhouse.org)

 

[6] „Angesichts des Risikos, dass Panikverkäufe von Anleihen zu einer sich selbst erfüllenden ‚Abwärtsspirale‘ führen könnten, und angesichts der Warnung einiger Fonds, dass ihnen die Zahlungsunfähigkeit drohte, kam die Bank zu Hilfe... Die Bank erklärte, sie werde ‚nicht zögern, die Zinssätze so weit wie nötig zu erhöhen‘.“ (The Guardian, 1.10.22)