Zusatz: Der Fall Huawei
Der chinesische Konzern Huawei hat sich in den letzten zehn Jahren neben seinem Aufstieg zum bedeutenden Smartphonehersteller zum weltweit größten Hersteller für Ausrüstung, die zum Betreiben von Mobilfunknetzen notwendig ist, hochgearbeitet. Eine marktbeherrschende Stellung hat er darüber errungen, dass er mit leistungsfähiger und preisgünstiger Hard- und Software die europäischen Perlen Nokia und Ericsson an den Rand des Geschäftsruins getrieben hat. Prächtig verdient hat er, weil das Netz beständig wächst und allseitiger – privater, geschäftlicher und staatlicher – Bedarf besteht, dieses ständig leistungsfähiger zu machen. Diesen Bedarf bedient Huawei; der Konzern verdient an dieser Expansion immerzu mit, die großen Telekommunikationsunternehmen auf der ganzen Welt zählen zu seinen besten Kunden.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- 1. Der globale Geschäftserfolg von Huawei
- 2. Huaweis Erfolg – ein Anschlag auf Amerikas Beherrschung des Netzes
- 3. Amerikas Kampf um die Erledigung von Huawei
- 4. Die konzertierte Gegenwehr Chinas
- 5. Huawei – Mittel und Streitfall des deutschen Ringens um eine Führungsrolle bei der Beherrschung des künftigen Weltmarktgeschäfts
Zusatz: Der Fall Huawei
1. Der globale Geschäftserfolg von Huawei
Der chinesische Konzern Huawei hat sich in den letzten zehn Jahren neben seinem Aufstieg zum bedeutenden Smartphonehersteller zum weltweit größten Hersteller für Ausrüstung, die zum Betreiben von Mobilfunknetzen notwendig ist, hochgearbeitet. Eine marktbeherrschende Stellung hat er darüber errungen, dass er mit leistungsfähiger und preisgünstiger Hard- und Software die europäischen Perlen Nokia und Ericsson an den Rand des Geschäftsruins getrieben hat. Prächtig verdient hat er, weil das Netz beständig wächst und allseitiger – privater, geschäftlicher und staatlicher – Bedarf besteht, dieses ständig leistungsfähiger zu machen. Diesen Bedarf bedient Huawei; der Konzern verdient an dieser Expansion immerzu mit, die großen Telekommunikationsunternehmen auf der ganzen Welt zählen zu seinen besten Kunden. Aber nicht nur das.
Mit dem Ausbau des 5G-Netzes kommt eine entscheidende Qualität hinzu. Diese nächste Netz-Generation zeichnet sich nicht nur wie üblich durch eine Vervielfachung der Bandbreite aus. Das 5G-Netz ist die technische Voraussetzung für autonomes Fahren, Industrie 4.0 und Internet of Things und alles, worum die Konkurrenz von Kapitalisten um „zukunftsträchtige Geschäftsfelder“ sonst noch geht oder gehen wird. Technisch betrachtet handelt es sich dabei um durchaus unterschiedliche Anforderungen an das Netz; mal steht die Übertragungskapazität, mal die Datenrate oder die Zuverlässigkeit im Fokus. Die Infrastruktur wird mit 5G für unterschiedliche Bedürfnisse flexibel gemacht. Technisch ausgedrückt nennt sich das Network Slicing: In einer physikalischen Infrastruktur werden virtuell verschiedene Netzwerke „geschnitten“, im softwaretechnischen Gesamtmanagement des Mobilfunknetzes alle virtuellen Netze gesteuert.
Die ziemlich unanfechtbare Stellung von Huawei besteht darin, dass der Konzern all diese Dienste, die die anderen Akteure im Netz demnächst so unverzichtbar brauchen, „aus einer Hand“ anbietet.[1] Insofern schickt sich Huawei an, die einschlägigen digitalen Zukunftsmärkte zu beherrschen, also an der eingeleiteten nächsten Runde technischen Fortschritts in der Digitalisierung der weltweiten Kapitalkreisläufe maßgeblich zu verdienen.
2. Huaweis Erfolg – ein Anschlag auf Amerikas Beherrschung des Netzes
Huawei ist es gelungen, das globale Monopol amerikanischer Konzerne über das Netz und seine geschäftlichen Anwendungen zu brechen. Jedenfalls sehen die USA das so – und darin einen Anschlag auf sich in einem umfassenden Sinn:
„Das Land, welches 5G dominiert, wird einen ökonomischen, nachrichtendienstlichen und militärischen Vorsprung für den Großteil dieses Jahrhunderts erringen.“ [2]
Die amerikanische Regierung bekennt sich in aller Form dazu, dass für sie nationale Technologieführerschaft, Netzsicherheit und militärische Überlegenheit zusammenfallen. Darauf beansprucht sie das Monopol: Technologieführerschaft im und über das Netz fasst sie umstandslos als ihr Machtmittel ins Auge, sich ökonomisch, spionagemäßig und militärisch die Staatenwelt unterzuordnen. Die ökonomischen Erfolge des chinesischen Konzerns nimmt sie also erstens konsequent als das, was sie politisch sind: als Angriff auf den Status Amerikas als unbestritten überlegene Macht – ein dreifacher Verstoß gegen die so definierte nationale Sicherheit der Weltmacht. In Huaweis Erfolg machen die USA deshalb von vornherein auch die Ambitionen des chinesischen Staats aus, sich als konkurrierende Macht aufzubauen, die Amerika eben dieses Monopol streitig zu machen sucht.
Darum gilt es zweitens für die US-Regierung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, also Huaweis weiteren Erfolg zu verhindern. Im Klartext der New York Times: Es darf nur einen einzigen Sieger in diesem Wettrüsten geben, und der Verlierer muss verbannt werden.
Der Kampf gegen Huawei gilt der Ausschaltung der chinesischen Macht, weil Amerika konkurrierende Ambitionen auf ähnlichem Niveau nicht duldet. Der Weltmarkterfolg des chinesischen Konzerns ist von daher untragbar.
Für die US-Regierung liegt damit auf der Hand, dass es sich bei diesem Erfolg nur um Unrecht, um Diebstahl amerikanischen geistigen Eigentums handeln kann. Da hilft es Huawei nichts, dass es unter Ausnutzung aller Regeln der amerikanischen Weltwirtschaftsordnung fleißig Kooperationen mit universitären Forschungseinrichtungen und Telekomkonzernen in Amerika und in Europa aufgebaut und finanziert sowie eine erkleckliche Anzahl von Patenten für 5G-Technologie erworben hat. Dies findet Amerika nicht mehr nur unerträglich, sondern schreitet zur Tat und kriminalisiert und verhaftet die Finanzmanagerin von Huawei. In der Anklageschrift reicht der vermeintliche Diebstahl eines Roboterarms auf einer Technologiemesse vor 13 Jahren als Beweismittel völlig aus; ein ziemlich lächerlicher Vorwurf, aber was zählt, ist das staatliche Machtwort, Huawei auszuschalten.
Ebenfalls fest steht damit der Vorwurf, chinesische Technologie untergrabe die nationale Netzsicherheit. Der ist in Amerika zwar ebenfalls nicht ganz neu, macht aber bemerkenswerte Fortschritte. Dass dieser Sicherheitsbedarf mit 5G, auf jeden Fall aber mit der Ausweitung der Vernetzung auf alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens zunimmt, vielleicht sogar eine neue Qualität bekommt, wird schon so sein. Etwas anderes ist die politische Umdefinition der Sicherheitsfrage zu einer unwiderleglich drohenden „chinesischen Gefahr“. Amerika gibt freimütig zu, dass es chinesische Technologie seit Jahr und Tag hinsichtlich des Einbaus von Spionagemöglichkeiten auf Herz und Nieren prüft, noch nie etwas gefunden hat, was aber nicht dazu führt, dass man die Vorwürfe aus dem Verkehr zieht, sondern dazu, dass man sich vom Nachweis chinesischer Machenschaften befreit.[3] Die Gefahr steht fest ganz jenseits der neuen Sicherheitsrisiken allein wegen der Macht, die da ein Stück Kontrolle über das Netz gewinnt. Hinter Huawei steckt der chinesische Staat, ein ernst zu nehmender Rivale der USA – also ein feindseliger politischer Wille.
In dieser unbestechlichen Logik wird sogar zum Vorwurf an die Adresse Huaweis, dass Amerika sich seinerseits vergeblich bemüht hat, Spionage-Hintertüren in deren Gerätschaften einzubauen. Mit amtlichem Siegel amerikanischer Sicherheitsbehörden zertifizierte spionagefreie chinesische Netztechnik, weltweit verbaut, das ist ein einziger Angriff auf das Recht Amerikas, auf die ökonomischen Grundlagen fremder Nationen, die sensible Infrastruktur moderner kapitalistischer Gesellschaften, aber auch auf die Einrichtungen ihrer staatlichen Herrschaft inklusive ihres militärischen Machtapparats zugreifen und diese zerstören zu können. Dafür braucht Amerika das Monopol freier politischer Verfügung, und das ist gleichbedeutend mit dem Monopol von US-Konzernen über das Netz. Der vor allem in Europa lancierte Vorwurf, die nationale Sicherheit sei für Trump nur der passende Vorwand, ökonomische Konkurrenzvorteile gegen China durchzukämpfen, ist dagegen reichlich naiv – für Amerika ist das ein und dasselbe.[4]
3. Amerikas Kampf um die Erledigung von Huawei
Für Trump steht damit fest: Huawei muss weg! Per Dekret ruft der Präsident den Nationalen Notstand in Sachen Telekommunikation aus, was der Regierung erlaubt, Geschäftstätigkeiten zwischen US-Unternehmen und Firmen aus „gegnerischen Staaten“ zu unterbinden. Aus Regierungsnetzwerken ist chinesische Technologie schon von seinen Amtsvorgängern ferngehalten worden; Trump radikalisiert diesen Standpunkt: „Critical“ sind ab sofort alle Netzwerke, ob privat oder staatlich betrieben, deren Funktionsfähigkeit vom Einsatz chinesischer Technologie abhängt. Das US-Handelsministerium legt gleich nach und unterbindet Geschäfte, die „ein Risiko für die USA darstellen“, und setzt Huawei auf die sogenannte Entity-Liste. US-Firmen, die Technik an Huawei verkaufen wollen, brauchen dafür ab sofort eine staatliche Genehmigung. Damit wird Huawei nicht nur aus dem amerikanischen Markt geworfen, also in seinen Ambitionen zur Eroberung des Weltmarkts drastisch beschränkt, sondern seine Geschäftsfähigkeit überhaupt wird untergraben, weil in schöner Manier des globalisierten Kapitalismus in Huaweis Gerätschaften auch Teile von US-Firmen verbaut sind. Google, WhatsApp, amerikanische Chiphersteller und auch britische mit Standort in Amerika kündigen unmittelbar ihre laufenden Lieferverträge mit Huawei. Zerstört werden damit zwar auch Geschäfte amerikanischer Firmen, aber die haben sich dem imperialistischen Kontrollanspruch der USA über die Welt unterzuordnen.
So viel ist damit auch klar: Die Sanktionierung von Huawei entfaltet ihre gewollte Wirksamkeit nur, wenn der Ausschluss aus 5G-Netzen sich nicht auf das Hoheitsgebiet der USA beschränkt. In diesem Sinne dringt die US-Regierung schon seit längerem bei anderen Staaten auf entsprechende Konsequenzen. Großbritannien und Australien werden als Mitglieder der „Five Eyes Alliance“ in die Pflicht genommen: Ihre Beteiligung an der amerikanischen Ausspionierung der ganzen Welt schließt wie selbstverständlich die Verbannung von Huawei aus ihrer je nationalen 5G-Infrastruktur ein. Mehr oder weniger offiziell wird das Interesse von Großbritannien an einem Freihandelsabkommen mit den USA nach dem Brexit mit der Huawei-Frage verknüpft. Polen wird darüber in Kenntnis gesetzt, dass die vereinbarte Ausweitung an amerikanischer Truppenstationierung mit der Verbannung Huaweis steht und fällt: Eine permanente amerikanische Truppenbasis, „Fort Trump“, wird es nur geben bei Willfährigkeit gegenüber der ausgegebenen amerikanischen Direktive...
Die Staatenwelt muss sich an dem unübergehbaren Anspruch abarbeiten, dass die nationale Verfügung über die Geschäfte, die den Zugang zu den ‚Märkten der Zukunft‘ kontrollieren und unverzichtbare Bedingungen für die internationale Konkurrenz der Unternehmen setzen, ein Besitzstand der USA ist, der sich mit konkurrierenden Ambitionen anderer Staaten definitiv nicht verträgt. Die werden für die Erledigung des Projekts der chinesischen Macht, das Monopol der US-Firmen in den digitalen Zukunftsbranchen zu brechen, von Amerika in Haftung genommen, umgekehrt damit Chinas Ambitionen global bekämpft und in die Schranken gewiesen.
4. Die konzertierte Gegenwehr Chinas
Die Geschäfte von Huawei brechen ein. Die Smartphones des Unternehmens nutzen Googles Betriebssystem Android und sind ohne dieses wertlos, weil gebrauchsunfähig. Daran ändert auch Trumps zeitlich befristete Erlaubnis an Google, Huawei weiter mit Android zu beliefern, herzlich wenig, hängt doch der amerikanische Vorbehalt über seinen aktuellen wie zukünftigen Produkten. Weder Huawei noch die chinesische Staatsmacht sind aber gewillt, sich diesen US-Imperativen widerstandslos zu beugen.
Der Konzern zieht ein eigenes Betriebssystem aus der Tasche. Offensichtlich gehört es zur Strategie der Weltmarkteroberung eines führenden Smartphoneherstellers, ein fremdes Betriebssystem wie das von Google von vornherein als Schranke seines Wachstumsbedarfs aufs Korn zu nehmen, genauso wie es zum Programm des chinesischen Staates gehört, bis 2025 in der Konkurrenz um technologische Führerschaft in jedem Feld mit den USA mindestens gleichzuziehen. Ökonomisch wie politökonomisch sind Huawei und der chinesische Staat auf den Fall des von Amerika verfügten Ausschlusses von US-Technologie also vorbereitet. Was ein eigenes Betriebssystem nützt, ist allerdings zweifelhaft, weil die vielen Apps, mit denen geschäftssinnige Unternehmen die Menschheit beglücken, unter Android laufen. Nach Angaben des Konzernchefs benötigt Huawei ca. 5 Jahre, etwas Vergleichbares auf die Beine zu stellen. Wie dem auch sei, die Ankündigung ist jedenfalls eine eindeutige Kampfansage an Google & Co, die Welt von der Vorherrschaft amerikanischer Technologie befreien zu wollen.[5]
China kündigt im Gegenzug zum Ausschluss von Huawei seinerseits eine schwarze Liste an, die amerikanische Technologie auf dem chinesischen Markt verbietet. Firmen werden nicht genannt, aber halboffizielle Stellungnahmen erwähnen Apple wie Google. Australien, das Huawei aus seinem 5G-Netz verbannt hat, wird mit einem Stopp des Imports von landwirtschaftlichen Produkten sanktioniert. In Großbritannien, wo die Frage noch nicht entschieden ist, erklärt der chinesische Botschafter, dass er sich kaum vorstellen könne, dass chinesische Unternehmen bei negativem Ausgang noch zu den vereinbarten Milliardeninvestitionen stehen würden.
So eskaliert die Auseinandersetzung zwischen USA und China unter Einschluss der restlichen Staatenwelt. Das umfassende Verkaufsverbot von US-Technologie an Huawei ist mittlerweile in die Generalauseinandersetzung des Handelskonflikts zwischen den USA und China überführt worden. Trump kündigt auf dem G 20-Gipfel zwar eine gewisse Lockerung für ein paar Monate an, woraufhin die Unternehmen dieser Welt und ihre staatlichen Hüter zwischen Hoffen und Bangen hin- und hergerissen sind und auch die Börsenkurse mal rauf- oder runtergehen, weil sie alle vom Machtwort des US-Präsidenten abhängen. Ein Entgegenkommen gegenüber China ist das nicht; eher ist es eine Reaktion auf fortgesetzte antiamerikanische Umtriebe von Unternehmen aus anderen Staaten, die die Schädigung Huaweis unterlaufen, indem sie aus dem Lieferverbot eine Geschäftsgelegenheit für sich machen.[6] Trump erklärt, dass im Handelsstreit mit China Huawei die letzte Frage ist, die geregelt wird. Auch das alles andere als ein Entgegenkommen: Weil Huawei für China eine existenzielle Angelegenheit seiner Weltmarkt- und Weltmachtambitionen ist, gibt der US-Präsident seine Entschlossenheit zu Protokoll, den Fall bis zum Schluss als Erpressungsmittel einzusetzen.
5. Huawei – Mittel und Streitfall des deutschen Ringens um eine Führungsrolle bei der Beherrschung des künftigen Weltmarktgeschäfts
Für die Weltmarkt- und Weltmachtambitionen der europäischen Führungsmacht ist die Sache ebenfalls von herausragender Bedeutung. Die Produkte aus dem Hause Huawei spielen eine entscheidende Rolle für den anvisierten Durchbruch bei der spezifisch deutschen Offensive in Sachen Digitalisierung. Denn Deutschland hat sich vorgenommen, mit Industrie 4.0, autonomem Fahren und allen möglichen Anwendungen künstlicher Intelligenz einen technologischen Vorsprung in der Konkurrenz der Nationen zu erzielen, der über die Nationalisierung von reichlichen Gelderträgen oder die Frage, ob Google oder BMW künftig Autos baut, weit hinausreicht. Das deutsche Projekt besteht darin, mit Industrie 4.0 und allem Drumherum eine ziemlich universelle Geschäftssphäre zu besetzen, die ganze Welt ökonomisch von deutscher Technologie abhängig zu machen, also dem US-Monopol über das Netz etwas Eigenes entgegenzusetzen – das ist der wahre Gehalt der viel besprochenen Konkurrenz darum, ob ein amerikanischer Internet-Riese oder eine deutsche Autoschmiede ‚das Auto der Zukunft‘ baut.
Für diese Ambitionen will Deutschland mit seinen unternehmerischen Vorkämpfern in der Konkurrenz um die digitalen Zukunftsmärkte Huaweis Technologie instrumentalisieren. Ein ehrgeiziges Konkurrenzprogramm. Denn erstens haben es die einschlägigen nationalen Großunternehmen bei dem erfolgreichen chinesischen Konzern ja nicht nur mit einem potenten Lieferanten für ihren Bedarf zu tun, sondern zugleich mit einem ernsten Konkurrenten bei der Eroberung der zukunftsträchtigen Geschäftsfelder. Der chinesische Konzern ist schließlich selbst in Sachen künstlicher Intelligenz und Internet of Things unterwegs. Zweitens machen sich die politischen Standorthüter selber damit abhängig von China, also einem der Hauptkonkurrenten im Kampf um die Beherrschung dieser für alle potenten kapitalistischen Standorte entscheidenden ‚digitalen Weltgeschäftsoptionen‘, der mit den Weltmarkterfolgen dieses Konzerns seine eigenen Ansprüche auf Weltgeschäft, Weltmarktführerschaft und politische Kontrollmacht verfolgt. Was die ökonomischen Perspektiven angeht, sieht sich die deutsche Seite mit der unter eigener Hoheit versammelten Kapitalmacht der deutschen Industrie und ihren Weltmarkterfolgen sowie der Technologiemacht als „Maschinenausrüster der ganzen Welt“ ganz gut aufgestellt. Jedoch sind die weiterreichenden politischen Sorgen, ob die Abhängigkeit vom chinesischen Netzdienstleister Huawei nicht die deutsche „Netzsicherheit“ gefährdet, nicht von der Hand zu weisen: Mit der Technologie von Huawei im deutschen 5G-Netz setzt man sich dem Zugriff des chinesischen Staates auf das ökonomische, gesellschaftliche und politische Leben der Nation aus. Allerdings trauen sich die politischen Planer einer deutschen Führungsrolle in Sachen ‚Digitalisierung aller Lebensbereiche‘ und Eroberungsprojekt Industrie 4.0. durchaus zu – erteilen sich also den dringlichen Auftrag, dafür zu sorgen, dass die eigenen Sicherheitsansprüche bei der eigenen Planung und bei den Adressaten, gegen die sie sich richten, ausreichend zur Geltung kommen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik wird beauftragt, Sicherheitsanforderungen für Netztechnik zu definieren, eingesetzte Technologie fortlaufend zu inspizieren und ab sofort zu zertifizieren.
Doch hat die deutsche Politik im Fall Huawei ohnehin gar nicht nur und vordringlich mit ihren eigenen Rechnungen und Konkurrenzgesichtspunkten gegenüber dem chinesischen Konzern und gegenüber der hinter ihm stehenden politischen chinesischen Staatsmacht fertigzuwerden. Vielmehr ist sie mit ihren Rechnungen mit Huawei im Visier der USA, die gegen diese deutsche Strategie der Instrumentalisierung Huaweis entschieden Einspruch erheben und vorgehen. Trump legt ein hartes Veto ein, seine Emissäre beharren Deutschland gegenüber darauf, dass Huawei vom 5G-Netz ausgeschlossen wird und ökonomische Vorteilsrechnungen nicht zu gelten haben: Any economic benefit of using cheaper Chinese telecom equipment is outweighed by the security threat to the NATO alliance.
[7] Seine europäischen Konkurrenten, Deutschland allen voran, konfrontiert Trump mit der einseitigen amerikanischen Definition von China als Feind und leitet daraus die „Bündnisverpflichtungen“ der Partner ab. Sie werden so daran erinnert, dass ihr weltweites Geschäft auf den ordnungsstiftenden Leistungen der überlegenen Macht Amerikas beruht, ohne ihnen in dieser Hinsicht irgendein Angebot auf Mitsprache zu machen. Vom Bündnis bleibt allein die Verpflichtung zur Unterordnung unter amerikanische Interessen.
Und das betrifft nicht nur die deutsche Pflicht zur Beteiligung an Amerikas Kampf gegen Huawei und die ‚chinesische Gefahr‘; vielmehr firmiert Huawei für die USA als ein prominenter und der aktuell dringlichste Fall für ihren generellen Einspruch und ihr Vorgehen gegen die Bestrebungen der deutschen Politik, sich mehr eigenständige ökonomische und politische Macht zu erobern und zur Geltung zu bringen. Ob mit seinen Anstrengungen zur Aufrechterhaltung des Atomdeals mit dem Iran und den Versuchen, die Sanktionen zu unterlaufen, oder mit seinem russenfreundlichen Deal bei Nord Stream 2, nie stellt Deutschland sich hinter, beugt sich also unter die amerikanischen Ansagen an die Welt und seine praktisch betriebenen Feindschaften. Und mit seinen Weltmarkterfolgen verletzt und schädigt es Amerika ohnehin unerlaubterweise. Diesen Standpunkt, dass sich die politische und ökonomische europäische Führungsmacht Deutschland laufend, also mit all ihren Konkurrenzanstrengungen prinzipiell an Amerikas Anspruch und Anrecht auf Weltgeschäft und eine unbestrittene Vormachtrolle vergeht, macht die Trump-Regierung gegenüber Deutschland auch zunehmend praktisch geltend, droht Deutschland mit Handelssanktionen; so etwa – gar nicht verschieden von Huawei – z.B. damit, zu dekretieren, dass die automobilen deutschen Exportschlager den nationalen Sicherheitsinteressen Amerikas widersprechen.
Die Kanzlerin begegnet dem mit massivem Druck vertretenen Generalvorbehalt, in den die USA auch Huawei einordnen, mit der ihr eigenen Kunst, den amerikanischen Anspruch zu unterlaufen, indem sie sich Huawei – ebenso wie in den anderen Fällen – als einem gesonderten und für sich zu regelnden Problemfall widmet und den Problem- und Streitpunkt als gemeinsamen Sorgegegenstand definiert, dessen Bereinigung Deutschland sich widmet: Für die Bundesregierung ist die Sicherheit ein hohes Gut, auch gerade bei dem Ausbau des 5G-Netzes. Deshalb definieren wir für uns unsere Standards.
Kunstvoll rechnet sie die amerikanische Direktive herunter auf die Frage, wie gescheite Sicherheitsstandards in einer globalisierten Welt zu formulieren seien, besteht zugleich – das ist Deutschland dem gemeinsamen Sicherheitsproblem schuldig – auf nationaler Eigenständigkeit bei der Definition und Regelung von ‚Netzsicherheit‘, verweist dafür, wie ernst Deutschland die Netzsicherheit nimmt, auf ihr BSI, das die höchsten Standards der Welt
definiert – und schickt den Chef der deutschen Sicherheitsbehörde nach Amerika zum Erfahrungsaustausch und zur Pflege der Zusammenarbeit mit der NSA. Dem deutschen Sicherheitschef obliegt gleichzeitig die Aufgabe zu betonen, dass die deutschen Standards nicht nur Huawei betreffen, sondern US-Technologie wie die von Cisco gleichermaßen – so ernst und vorurteilsfrei, also objektiv, nimmt Deutschland die Sicherheitsfrage als seine wahr. Huawei wird aufgefordert, seinen Quellcode offenzulegen, was der Konzern glatt tut, im Unterschied zu den Ami-Konzernen, die sich daran gefälligst ein Beispiel nehmen sollen. Über all diese Fragen lässt sich doch unter verantwortlichen Staatenlenkern eine vernünftige Lösung finden. Ohne sich offen mit den USA anzulegen, besteht die deutsche Regierung so darauf, dass die Frage, welche Technologie Deutschland in seinem 5G-Netz einsetzt, eine Frage seiner Souveränität ist. Umgekehrt erhellt das Beharren auf der eigenen Souveränität in diesem Streitfall, für wie dringlich und unverzichtbar die deutsche Führungsmacht den Kampf um die Beherrschung des ‚Netzes‘ und damit um all das hält, was es an Weltgeschäfts-, Macht- und Einflussperspektiven repräsentiert.
Um das Problem des praktischen Vorankommens der imperialistischen Ambitionen, die die deutsche Politik mit 5G verknüpft, kümmert sich derweil der Bundeswirtschaftsminister. Deutschland braucht dringend eine neue „Digitalisierungsstrategie“, um mehr autonome ökonomische Macht zu gewinnen für die Konkurrenz um den Weltmarkt gegen die USA und China. Dieses Ziel bedarf ebenso dringend einer Absicherung durch eine „nationale Industriestrategie 2030“, deren Sinn der Wirtschaftsminister am Beispiel eines gelungenen europäischen Großprojekts gegen die USA vorstellig macht:
„Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich für einen europäischen Digitalkonzern ausgesprochen, um die hiesige Wirtschaft besser gegen Konkurrenz aus den USA oder China zu wappnen. ‚Ich kann mir vorstellen, dass wir in Europa eine Art Airbus der künstlichen Intelligenz etablieren‘, sagte Altmaier den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Montag. ‚Dieser Konzern könnte zum Beispiel maßgeblich beim autonomen Fahren werden und hätte positive Auswirkungen auf viele Branchen.‘ Vor der Gründung des Flugzeugbauers Airbus sei Europa nicht in der Lage gewesen, große Verkehrsflugzeuge zu bauen, erklärte Altmaier. Heute kämen die großen Internetkonzerne nicht aus Europa, sondern aus den USA oder aus China. ‚Die haben eine enorme Marktmacht‘, sagte Altmaier. Hier bestehe eine ‚gewaltige Schieflage.‘ Deutschland müsse den Anspruch haben, bei der Digitalisierung und der Plattform-Ökonomie ganz vorne dabei zu sein.“ („Wirtschaftsminister für ‚Airbus der künstlichen Intelligenz‘ in Europa“, stern.de, 11.2.19)
Mit dem „Airbus der künstlichen Intelligenz“ formuliert die deutsche Politik ihre Ansprüche an Europa und die ganze Welt. Es braucht
- erstens den ökonomisch materialisierten gemeinsamen politischen Willen der europäischen Nationen unter deutscher Führung zur Konkurrenz gegen die USA und China,
- zweitens eine Menge an politischem Kredit, der sich nicht an den Geschäftsaussichten und Geschäftserfolgen eines europäischen Digitalkonzerns bemisst, sondern ihn herbeiführt,
- drittens „positive Auswirkungen auf viele Branchen“, damit die gesamte europäische Ökonomie als Bastion für die Konkurrenz mit den USA und China um den Weltmarkt gestärkt wird,
- viertens den gemeinsamen Markt als exklusives, gegen Dritte ausgerichtetes Wachstumsfeld, damit aus dem europäischen Digitalkonzern eine unschlagbare Waffe wird.
Mit diesem Projekt gibt Deutschland seinen entschiedenen Willen zu Protokoll, sich mit seiner – ganz Europa einschließenden – politischen und ökonomischen Macht dem Konkurrenzkampf auf dem Feld der ‚Digitalisierung‘ zu widmen und damit und generell die „gewaltige Schieflage“ in der imperialistischen Konkurrenz mit den USA und China zu korrigieren.
[1] Die Investitionen in Forschung und Entwicklung erstrecken sich vom Chipsatz über die Netzwerkinfrastruktur bis zur Cloud. 5G und künstliche Intelligenz waren die beiden Schlüsselbereiche für Investitionen... Huawei hat sich auf globaler Ebene in eine starke Position gebracht. Es ist einer der wenigen Akteure, der die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette der Informations- und Kommunikationstechnologien hat. Mit seinen Aktivitäten in Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen und geistigen Eigentumsrechten wird es somit zu einem Technologieriesen.
(5G Ecosystem: Huawei’s Growing Role in 5G Technology Standardization, counterpointresearch.com, 20.8.19)
[2] America pushes allies to fight Huawei in new arms race with China, New York Times, 26.1.19
[3] Amerikanische Beamte sagen, der alte Prozess der Suche nach ‚Hintertüren‘ für von chinesischen Unternehmen hergestellte Ausrüstung und Software sei der falsche Ansatz, ebenso wie die Suche nach Verbindungen zwischen bestimmten Führungskräften und der chinesischen Regierung. Das größere Problem, so argumentieren sie, ist der zunehmend autoritäre Charakter der chinesischen Regierung, die schwindende Grenze zwischen unabhängiger Wirtschaft und Staat, und neue Gesetze, die Peking die Möglichkeit geben, Netzwerke auszuspähen oder vielleicht sogar zu übernehmen, die mit Hilfe von Unternehmen wie Huawei gebaut und gepflegt werden.
(Ebd.) Da kennen die USA sich mit ihrem Patriot Act, der amerikanische Unternehmen in ihrer Heimat und weltweit auf die Zusammenarbeit mit den US-Sicherheitsdiensten verpflichtet, schließlich bestens aus. Die Blaupause für das chinesische Gesetz fällt deshalb unter Kopierschutz.
[4] Die Ansichten von Trump in Verbindung mit dem Mangel an Beweisen, dass Huawei in irgendeine Spionage verwickelt ist, haben einige Länder dazu veranlasst, sich zu fragen, ob es in der amerikanischen Kampagne wirklich um die nationale Sicherheit geht oder ob China daran gehindert werden soll, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Hohe Regierungsbeamte sehen in diesen Zielen kaum Unterschiede. ‚Präsident Trump hat festgestellt, dass die Überwindung dieses wirtschaftlichen Problems nicht nur wichtig ist, um das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen, China dazu zu bringen, sich an die Regeln zu halten, die alle anderen einhalten, sondern um auch in Zukunft ein Ungleichgewicht in der politischen und militärischen Macht zu verhindern‘, berichtete John R. Bolton, der nationale Sicherheitsberater von Mr. Trump, der Washington Times am Freitag. ‚Die beiden Aspekte sind in seinem Kopf sehr eng miteinander verbunden.‘
(Ebd.)
[5] Davon zeugen auch die patriotischen Kampfparolen des Chefs von Huawei: Das Konsumgeschäft steht vor einem ‚schmerzhaften langen Marsch‘, schrieb Ren. ‚Zwei Kugeln, die auf unsere Verbrauchergeschäftsgruppe abgefeuert wurden, trafen leider auf die Öltanks‘, sagte Ren in seinem Brief von Anfang August, ohne die Aussage näher zu erläutern... Über Details der Umstrukturierung steht in dem Memo nichts. ‚Wir müssen eine Überholung unter harten und schwierigen Bedingungen durchführen und eine unbesiegbare eiserne Armee schaffen, die uns helfen kann, den Sieg zu erringen‘, schrieb Ren in dem Brief. ‚Wir müssen diese Reorganisation unbedingt innerhalb von drei bis fünf Jahren abschließen.‘
(US-Embargo: Huawei-Chef plant Neustrukturierung, zdnet.de, 12.8.19)
[6] ‚Zur Umsetzung der G 20-Gipfelrichtlinie des Präsidenten vor zwei Wochen wird das Handelsministerium Lizenzen ausstellen, wenn keine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA besteht. Innerhalb dieser Grenzen werden wir versuchen, sicherzustellen, dass wir nicht nur Einnahmen aus den USA an ausländische Unternehmen weitergeben. Huawei selbst bleibt auf der Entity List, und die Ankündigung ändert weder den Umfang der Punkte, die Lizenzen des Handelsministeriums erfordern, noch die Vermutung der Ablehnung‘, sagte Ross.
(US-Firmen wollen Huawei beliefern, zdnet.de, 15.7.19) Ein paar Wochen später verschärft Ross die Sanktionen gegen Huawei, indem er amerikanischen Firmen die Zusammenarbeit mit Huaweis Forschungs- und Entwicklungszentren in China, Italien und Großbritannien verbietet.
[7] Eine Delegation amerikanischer Beamter erschien im vergangenen Frühjahr in Deutschland, wo die meisten der großen Glasfaserleitungen Europas verbunden sind und Huawei die Schalter bauen will, die das System zum Brummen bringen. Ihre Botschaft: Jeder wirtschaftliche Vorteil der Verwendung billigerer chinesischer Telekommunikationsausrüstung wird von der Sicherheitsbedrohung für das NATO-Bündnis übertroffen. Im vergangenen Jahr haben die Vereinigten Staaten eine heimliche, gelegentlich drohende weltweite Kampagne gestartet, um Huawei und andere chinesische Unternehmen daran zu hindern, an der dramatischsten Neugestaltung der Installationen mitzuwirken, die das Internet kontrollieren, seit es vor 35 Jahren bruchstückweise entstand.
(New York Times, a.a.O.)