Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Israel und die Europäer: Das Kreuz mit dem Judenstaat
Die Führungsmächte des alten Europa sehen sich von Liquidationen an Hamas-Führern ausdrücklich betroffen: Sie rügen die Völkerrechtswidrigkeit der „außergesetzlichen Tötungen“, sorgen sich um den „Friedensprozess“ im Nahen Osten, für den sie eigens eine „Road Map zum Frieden“ erfunden haben, und um die „Stabilität“ in der Region im Allgemeinen sowie um die „Sicherheit Israels“ im Besonderen, wegen des „Auftriebs für den Terrorismus“, der angeblich mit seiner Bekämpfung durch die israelische Armee verbunden sein soll.
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Systematischer Katalog
Israel und die Europäer: Das Kreuz mit dem Judenstaat
Die israelische Armee liquidiert im März den Hamas-Führer
Yassin und nur kurz darauf dessen Nachfolger. Weitere
Tötungen nach Bedarf und Gelegenheit werden angekündigt
und an weniger prominenten Opfern täglich durchgeführt.
Seitens der Regierung Sharon wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass auch Yassir Arafat, der alte
Erzterrorist
, eigentlich auf der Liste steht und
nur dank israelischer Großzügigkeit in seiner
Trümmerresidenz noch überleben darf .
Die Führungsmächte des alten Europa sehen sich
ausdrücklich betroffen: Sie rügen die
Völkerrechtswidrigkeit der außergesetzlichen
Tötungen
, sorgen sich um den Friedensprozess
im Nahen Osten, für den sie eigens eine Road Map zum
Frieden
erfunden haben, und um die Stabilität
in der Region im Allgemeinen sowie um die Sicherheit
Israels
im Besonderen, wegen des Auftriebs für den
Terrorismus
, der angeblich mit seiner Bekämpfung
durch die israelische Armee verbunden sein soll. Mit
einem Wort: Sie finden sich mit ihrem Anspruch auf eine
maßgebliche Mit-Zuständigkeit für die Lage in dieser
Weltgegend von der Regierung Sharon brüskiert.
Darüber werden sie zwar nicht zu Feinden Israels – als
verschworene Freunde der Palästinenser haben sie sich nie
verstanden – ; in ihrem Willen zur imperialistischen
Ordnungsstiftung lassen sie sich durch solche Ablehnung
aber auch nicht entmutigen. Dafür ist ihnen die Region
einfach zu wichtig: Sie kennen die Landkarte und wissen,
dass sie direkte Nachbarn
haben, vom Atlantik
bis zum Himalaja
; sie haben die Bewohner gezählt und
die Naturschätze taxiert und ein Zehntel der
Erdbevölkerung
nebst drei Vierteln der
Weltreserven des Erdöls und mehr als die Hälfte des
Gases
in Greater Middle East
vorgefunden. Der
deutsche Minister Fischer – ebenso wie seine wichtigen
europäischen Kollegen – sieht sich ausdrücklich betroffen
von dem, was in Weißrussland, Moldawien, auf dem Balkan,
in der Türkei und im Iran passiert; und als einem der
Hausherren des Mittelmeers und geborenem Ansprechpartner
aller seiner Anrainer kann ihm auch nicht egal sein, ob
Europas Mare Nostrum ein Meer des Friedens oder der
Konflikte ist
.
Bei diesem vielfältigen Bemühen bekommt es die europäische Großmacht in ihren nationalen wie in ihren kommunitarischen Erscheinungsweisen immer wieder mit dem waffenstarrenden jüdischen Gemeinwesen zu tun; und das macht ihr immer öfter wenig Freude.
Einerseits ist Israel mit seinen historischen Verdiensten um die Position des westlichen Imperialismus in der arabischen Welt nach wie vor für manche europäische Berechnung eine eher günstige Bedingung. Das israelische Gewaltpotential und seine rücksichtslose Anwendung gegen die Feinde des Judenstaates sind die reale Negation arabischen Machtstrebens und damit die praktische Garantie dafür, dass die islamischen Staaten der Region bei der Verfolgung ihrer Interessen auf potente Lizenzgeber und Unterstützer angewiesen sind. Ihre hoffnungslose Unterlegenheit gegenüber der israelischen Vormacht nötigt die arabischen Nationen zur Anhänglichkeit an außerarabische Mächte in der Hoffnung, in deren imperialistischen Konkurrenz-Kalkulationen Berücksichtigung zu finden. So ist die israelische Machtentfaltung in der Region die praktische Grundlage dafür, wie europäische Interessen mit der Ohnmacht der Araber wirtschaften: Auf dieser Basis bieten sich Deutsche und Franzosen, Briten und Spanier, abwechselnd und miteinander als Fürsprecher und Helfer – etwa in der notorischen „Palästinenserfrage“ – an und mischen sich in alle Berechnungen der von Israel dauerhaft bedrohten arabischen Staaten ein.
Andererseits wird Israel zunehmend zum Hindernis
für die diesbezüglichen Bestrebungen der europäischen
Staaten. Die lassen es ja nicht dabei bewenden, als
ehrliche Makler
arabische Interessen zu
definieren. Wenn sie diese an die andere – die
israelische – Seite diplomatisch herantragen, immer neue
Friedensinitiativen
ergreifen und ihren
israelischen Freunden
mit eigens gezeichneten
Straßenkarten zum Frieden den Weg weisen wollen,
erstrecken sie ja ihren euroimperialistischen
Ordnungswillen auch auf Israel, um auch diesem kleinen
Land seinen Platz in einem nach europäischen
Vorstellungen geordneten Nahen und Mittleren Osten
zuzuweisen. Das haben sich die Herren von Judäa und
Samaria aber nicht bestellt. Dafür haben sie nicht seit
Jahrzehnten einen Krieg nach dem anderen gewonnen, um
sich jetzt von europäischen Möchtegern-Weltordnern
vorschreiben zu lassen, wie man sich als israelischer
Staatsmann bei der Komplettierung des jüdischen
Staatsprojektes zu benehmen habe. Dem entsprechend sind
die Regierenden in Israel von den europäischen Avancen
wenig amüsiert und lassen sie kalt abfahren. Sie treiben
die Zerschlagung des palästinensischen Widerstandes
voran, kümmern sich nicht um europäischen
Einmischungsversuche, und wenn sie gelegentlich mit
europäischem Geld geförderte Projekte der Palästinenser
zielsicher kurz und klein schießen, wie etwa den
Flughafen von Gaza, dann wird die diplomatische Botschaft
der smarten israelischen Bomben in Europa sicher gut
verstanden. Israel, so die unmissverständliche
Mitteilung, wird sich, so weit es in seinen Kräften
steht, keinesfalls freiwillig europäischen Definitionen
seiner politischen Rolle in der Region unterwerfen, seien
sie lanciert von einzelnen Staaten, der EU oder über die
Vereinten Nationen. Darüber kommen die EU-Staaten nicht
hinweg, Und diese unzugängliche Haltung Israels
schädigt ihren Einfluss auf die arabische
Seite – und damit das gesamte europäische
Einmischungsprojekt –, der sie in Hinblick auf eine
Ausbalancierung der israelischen Vormacht nichts zu
bieten haben.
*
Europas Bemühungen um die Region erscheinen den israelischen Führern nicht bloß als unerbetene und unwillkommene Einmischung. Israel will die unschlagbare Macht in der Region bleiben. Die Freiheit seines gewalttätigen Agierens wird von den politischen Führern der Israelis als die nationale Überlebensfrage behandelt. Deren sachgerechte Beantwortung schließt nach herrschender israelischer Lesart die dauerhafte Aneignung der besetzten Palästinensergebiete ein, erfordert die Zerstörung palästinensischer Lebensgrundlagen und die völlige Entmachtung palästinensischer Ansprüche. Sicherheit für Israel gibt es hiernach nur durch die dauerhafte Eliminierung seiner Feinde, Kontrolle über seine Nachbarn und durch eine von ausländischer Einmischung ungehemmte militärische Machtentfaltung. Und wer – wie die Europäer – Israels Recht auf rücksichtsloses Zuschlagen relativiert, der muss sich den Verdacht gefallen lassen, es mit dem Existenzrecht des Judenstaates nicht ernst zu meinen und seinen Bestand durch die Forderung unzumutbarer Zugeständnisse an den Feind zu gefährden.
Dieser Standpunkt musste sich zeitweilig Relativierung in
der innerisraelischen Diskussion gefallen lassen: Unter
dem Schlagwort Land für Frieden
wurde erwogen, ob
man Existenzsicherheit für Israel nicht auch mit
geringerem Gewaltaufwand erlangen könnte, wurde über die
Größe der den Palästinensern zuzugestehenden Reservate
debattiert, ob und wie man diesen vielleicht sogar den
Status eines eigenen Staates einräumen sollte und wie
viele Siedlungen im Gelobten Land, das eigentlich den
Israelis zusteht, eine von ihnen selbst verwaltete
Unterwerfung der Palästinenser wert sein dürfe. Die
Regierung Sharon hat auf diese Debatte entschlossen
reagiert: Sie hat durch offensive Siedlungspolitik und
gnadenlose militärische Härte den Beweis
geführt,
dass mit den Palästinensern eine friedliche Übereinkunft
einfach nicht möglich ist und ist zur
Vernichtung palästinensischen Widerstandes
fortgeschritten
Der Erfolg Sharons bei dessen blutiger
Niederschlagung, der durch die zahlreichen
israelischen Opfer arabischer Terroranschläge
nicht zweifelhaft, sondern unter Berufung auf diese Opfer
nur umso vehementer gefordert wird, hat diese
innenpolitische Diskussion weitgehend hinfällig gemacht.
Sharons Regierung hat anscheinend weite Teile des Volkes
davon überzeugt, dass man sich nicht mit weniger als dem
im Krieg gewonnenen Staatsgebiet zufrieden geben müsse
und dass es möglich sei, nach den Kriegen gegen Syrien
und Ägypten auch den asymmetrischen gegen den
palästinensischen Terror zu gewinnen. Ein Rückzug aus den
besetzten Gebieten ist vor dem Hintergrund dieses
Erfolges so unrealistisch
(US-Präsident Bush) geworden, dass
inzwischen sogar die von Sharon vorgeschlagene
Bereinigung des militärischen Schussfeldes durch Aufgabe
der Siedlungen im Gaza-Streifen bei einer Abstimmung in
der Regierungspartei auf entschiedene Ablehnung stößt.
Europäische Vorstellungen über eine
Nahost-Regelung
, die mit territorialen
Zugeständnissen Israels operieren, den Rückzug auf die
Vorkriegsgrenzen und palästinensische Rückkehrrechte für
Flüchtlinge als Verhandlungsmasse ins Gespräch bringen
oder auch nur die Anerkennung der Autonomie-Behörde als
förmlich berechtigten Verhandlungspartner einer
Friedensregelung
, erscheinen den Israelis
konsequent als anachronistisch, als ein unzumutbarer
Rückfall in alte, überwundene Verhältnisse und als eine
einzige Gefährdung des von ihnen militärisch
erreichten Standes, die es mit allen Mitteln
zurückzuweisen gilt.
Zu diesen Mitteln gehört immer auch der politmoralische
Schachzug, sich als das Gemeinwesen der Opfer des
Holocaust Kritik am Selbstbehauptungskampf des
jüdischen Volkes
zu verbitten. Die zielsichere
Verwechslung von Kritik an der Politik Israels, mit
Antisemitismus wird als diplomatische
Waffe in Anschlag gebracht, um mit der moralischen
Überhöhung des eigenen Staatsterrorismus die europäischen
Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die weisen den Vorwurf
des Antisemitismus weit von sich, inszenieren gleich
einen ganzen Kongress zur Bekämpfung des Antisemitismus
und fordern Differenzierung und
Verantwortlichkeit bei Kritik und Gegenkritik. Den
Israelis sehen sie berechnend manchen leichenträchtigen
Umgang mit den Palästinensern nach, für den weniger
wichtige Staaten in die Kategorie der
Schurkenstaaten einsortiert würden, stets mit
der Berechnung, sich gegen israelischen Widerstand immer
wieder eine neue Basis für neue Einmischungsversuche zu
verschaffen.
*
In diesem Kräftemessen mit den europäischen Mächten findet Sharon eine verlässliche Stütze in der Politik der USA, ohne die er es auch gar nicht durchhalten könnte. Die Bush-Mannschaft teilt ausdrücklich die Deutung der Lage in der Region mit der israelischen Regierung: Palästinensischer Widerstand gegen Israel ist terroristisch und dessen Bekämpfung stellt Israel in eine gemeinsame Front mit dem weltweiten Antiterrorkrieg der USA. Wenn Israel an seinem Platz den arabischen Terror niederwirft, dann kämpft es den Kampf der USA und hat dafür alle Freiheiten, die nötig sind. Eine Behinderung dieses gemeinsamen Feldzuges durch die Einmischung der Europäer kommt nicht in Frage. Dafür steht die Regierung Bush ein.
Amerika weiß, was es an seinem Haudegen in der
sensiblen Ölregion
hat: Dank amerikanischer
politischer, ökonomischer und militärischer Unterstützung
hat der sich als aggressive Repräsentanz des westlichen
Imperialismus in der arabischen Welt behauptet und im
Zuge seiner Landnahme alle Widerstände im neuen
Inland und in der Nachbarschaft so gründlich
niedergekämpft, dass sich die Betroffenen nicht mehr
davon erholt haben. Israel sorgte im eigenen wie im
Interesse des Westens dafür, dass die vormals
konkurrierende Weltmacht Sowjetunion trotz aller
Bemühungen keine machtvollen Verbündeten in der Region
aufbauen konnte; und stellte nach deren Abtreten die
bleibende Macht- und Mittellosigkeit regionaler
Ambitionen sicher, die sich für westliche Benützung und
Kontrolle als hinderlich hätten erweisen können.
Im Zuge des Übergangs der USA zu dem praktischen Bemühen, das Verbrechen des Antiamerikanismus weltweit auszurotten, wächst dem Staat Israel eine neue, der alten gar nicht so unähnliche Rolle zu bei der Verbreitung amerikanisch-westlicher Lebensart gegen terroristisch vorgetragene Einwände von Regierungen oder einschlägigen NGOs. Und dieses hochgerüstete Staatswesen tut alles, um diese Rolle wie stets mit israelisch definiertem Inhalt zu füllen: Es schlägt seine Feinde, wird zum Schrecken aller regionalen Terroristen und ist damit – schon wieder – Repräsentant des US-amerikanischen Weltordnungswillens, als Mitstreiter diesmal im weltweiten Antiterrorkrieg der USA, Frontabschnitt Nahost.
An dieser Waffenbrüderschaft schätzen die USA nicht nur
die militärische Effizienz und Härte der Israelis
gegenüber dem gemeinsamen islamisch-terroristischen
Feind. Auch die Intransigenz der israelischen Politik
gegenüber den europäischen Weltmachtkonkurrenten kommt
ihnen gelegen. Die passt nahtlos in die Rechnung der
Amerikaner, die sich bei ihrem Neuarrangement der
Nationen des Greater Middle East
nicht von den
Europäern behindern lassen, ihnen vielmehr einen Status
als dienstbare Hilfsmächte des US-Interesses zuweisen
wollen. Deshalb verleihen sie den Israelis den
politischen Rückhalt, ohne den diese dem europäischen
Druck, in der Nahost-Frage einen Fuß in die Tür
zur Mitzuständigkeit in der Region zu bekommen, nicht
standhalten könnten.
So ist der Staat Israel aus Sicht der USA ein Idealfall
unter den Mitgliedern der Koalition der Willigen
:
Er leistet aus eigenem Interesse einen
beachtlichen Beitrag bei der Bekämpfung der Feinde
Amerikas, weil die auch die seinen sind, und mischt
konkurrierende Bemühungen der europäischen Politik durch
Schaffung ständig neuer vollendeter Tatsachen
einfach aus.
Das ist selbstverständlich kein Zustand, mit dem sich die Sachwalter des Euro-Imperialismus zufrieden gäben. Sie sehen sich gezwungen, obgleich dem Staat Israel an Mitteln und Macht haushoch überlegen, sich ständig neu gegenüber dem widerständigen Judenstaat zu positionieren. Im Bestreben, ihre Unzuständigkeit und Unterordnung bei der amerikanisch betriebenen Neuordnung der nah- und mittelöstlichen Welt zu überwinden, kämpfen sie sich bei allen Widrigkeiten, die ihnen die lästige Unzugänglichkeit Sharons bereitet, letztlich an den USA ab. Die hätten manche Verwendung für die Euromächte in ihrer Koalition. Wenn es aber um die Abtretung wirklicher Zuständigkeiten an ihre Mitimperialisten geht, lassen sie allerdings keinen Zweifel daran, dass es denen einfach an der gleichen Augenhöhe fehlt; und dass ihnen, solange sie sich nicht dem amerikanischen Kommando unterordnen, die jüdischen Waffenbrüder im Antiterrorkrieg näher stehen als das konkurrierende alte Europa.