Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Europas Diplomatie mit Iran:
Deutsch-europäische Weltfriedenspolitik mit einem erklärten Feind Amerikas
Der Iran plant eine eigene Kernenergie-Infrastruktur mit Wiederaufbereitung und allen Optionen, die auch militärisch dazu gehören. Die EU macht ihm „Angebote“, dieses Vorhaben dranzugeben und sich von den EU-Mächten in nuklear-strategischen Fragen beaufsichtigen zu lassen. Wenn sich der Iran außerdem als langfristiger Öllieferant für die EU bereit hält, dann gibt es die Option, Technologie für Leichtwasserreaktoren und anderes in der EU ordern zu dürfen, eventuell noch obendrauf… Mit ihrer Diplomatie arbeitet sich die EU an den Aufsichtsansprüchen ab, die die USA schon lange beim Iran angemeldet haben.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Das europäische Angebot an den Iran: Nachgeben! Unterordnen! Benutzen lassen!
- „Präambel“ [2]
- „Kooperation in Fragen von Politik und Sicherheit“
- „langfristige Unterstützung von Irans zivilem Atomprogramm“
- „ökonomische und technologische Zusammenarbeit“
- Die solide Basis der europäischen „Friedenspolitik“
- Die Iran-Diplomatie der EU: Wieder mal ein Stück europäisch-amerikanischer Beziehungspflege
Europas Diplomatie mit Iran:
Deutsch-europäische
Weltfriedenspolitik mit einem erklärten Feind
Amerikas[1]
Der Beschluss des Iran, den Arbeitsbetrieb in der
Atomanlage in Isfahan unabhängig von einem Ergebnis in
den „Atomverhandlungen“ mit Europa wieder aufzunehmen,
erfährt hierzulande eine bezeichnende Würdigung. Erst hat
dieser Staat die Stirn, Europas führenden Mächten bei den
Verhandlungen über sein Atomprogramm eine Frist zu
setzen; dann wollen die Mullahs sich selbst nicht an ihre
Zeitvorgabe halten und lehnen weitreichende Vorschläge
zur politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit
sowie Sicherheitsgarantien
(SZ, 2.8.05), die ihnen für demnächst
angekündigt werden, schon vorab als für sie inakzeptabel
ab; dann überreicht man ihnen ein ehrgeiziges und
großzügiges
(Douste-Blazy, frz.
Außenminister) Angebot, und sie finden es glatt
beleidigend und demütigend
– da braucht ein
politisch Sachverständiger der ‚Süddeutschen Zeitung‘ von
besagten Vorschlägen nicht einen einzigen zu nennen, um
den Vorgang doch erfolgreich auf seinen politischen
Begriff zu bringen: Iran brüskiert die Europäische
Union
(ebd.). Wenn
Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Namen
Europas gemeinsame Sache machen und im „Atomkonflikt“ mit
dem Iran diplomatisch verhandeln, steht die unbedingte
Lauterkeit ihrer Absichten offenbar unverrückbar fest:
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass diese Mächte
überhaupt nur im Auftrag von Friedensförderung und
Konfliktlösung weltpolitisch unterwegs sind, in ihrer
Diplomatie mit dem Iran, die da an einer besonders
heiklen Stelle den Weltfrieden sichert, schon gleich.
Wenn also dieser Staat Europas grundguten
Vermittlungsbemühungen
abschlägig Bescheid
erteilt, muss man sich nur eines fragen: Warum
empfinden seine Repräsentanten sogar Vermittlungsangebote
von Wohlmeinenden, wie es die Europäer sind, als
‚Demütigung‘, wie zuletzt aus Teheran zu hören war?
(FAZ, 10.8.) Und: Will dieser
Staat denn überhaupt eine verhandelte Vereinbarung
über sein Nuklearprogramm? Oder wählt Teheran bewusst die
internationale Isolation mit all ihren Risiken?
(SZ, 2.8.) Groß zu erklären
gibt es da weder etwas am Inhalt der diplomatischen
Initiative Europas noch am Grund ihres vorläufigen
Scheiterns – vielmehr wird Iran erklären müssen, warum
es die ausgestreckte Hand ausschlägt.
(ebd.) Das haben die Mullahs zwar getan,
in derselben Ausgabe der Zeitung zitiert man an anderer
Stelle ja auch ihre Gründe, weswegen das europäische
Angebot für sie keines ist; aber was heißt das schon. Die
Gründe dieses Staates auch nur ein wenig unbefangen zur
Kenntnis zu nehmen: Das verbietet sich wohl für Leute,
denen so viel am Erfolg der deutsch-europäischen
Außenpolitik liegt, dass sie noch in härtesten
Erpressungsmanövern einfach nur gutwillige Handreichungen
sehen können.
Das europäische Angebot an den Iran: Nachgeben! Unterordnen! Benutzen lassen!
Mit dem Ziel, Iran zum freiwilligen Verzicht auf ein
eigenes Atomprogramm mit einem geschlossenen nuklearen
Brennstoffkreislauf
und überhaupt auf eine
Anreicherung von Uran zu bewegen, unterbreiten die
verhandlungsführenden Mächte der EU den Regierenden in
Teheran ein Angebot, das vor allem in einer Hinsicht
beeindruckend ist: Die Kombination von Selbst- und
Rechtsbewusstsein und Kaltschnäuzigkeit, mit der sich da
eine werdende imperialistische Macht anheischig macht,
einem anderen Staat, immerhin „Regionalmacht in der
Golfregion“, seine Politik zu diktieren, ist
atemberaubend. Sicher geht es in der außenpolitischen
Beziehungspflege allemal um die wechselseitige An- und
Aberkennung von Interessen und Rechten, zu der sich beide
Seiten mit den Macht- und Einflussmitteln, über die sie
verfügen, zu erpressen suchen. Dazu gehört auch, dass in
diesem Geschäft der stärkere Vertragspartner die Rechte
des anderen, die er gerade noch zu akzeptieren bereit
ist, praktischerweise gleich selbst für seinen
Kontrahenten definiert und ihm dies als Angebot
unterbreitet, das zu akzeptieren sich für ihn nur lohnen
kann. Was die EU-3 dem Iran anbieten, geht allerdings so
weit, dass schon fraglich wird, ob und inwieweit ihr
Angebot überhaupt noch auf Annahme durch die iranische
Seite berechnet – oder nicht eher als Vorlage für eine
provozierte Ablehnung gedacht ist. So steigt der
Vorschlag der EU-3
für den Iran mit einer
„Präambel“ [2]
ein, die – nach den üblichen Respektbezeugungen und der
Widmung des angepeilten Vertragswerkes an zukünftige
Beziehungen des Vertrauens und Kooperation
zwischen beiden Seiten – der islamischen Republik das
Recht zusichert, Atomenergie friedlich zu
nutzen. Das steht voll und ganz auf dem Boden des
Völkerrechts und gibt den Buchstaben des
Non-Proliferations-Vertrags wieder, das Folgende
entspricht dann mehr dem imperialistischen Geist
des Vertragswerks: Der Gebrauch dieses Rechts
durch den Iran hat nach europäischem Willen an die
Voraussetzung objektiver Garantien
dafür gebunden
zu sein, den Bau von Kernwaffen auf Dauer zu unterlassen,
was soviel heißt, dass der Iran Anlagen zur
Urananreicherung, aber auch sonstige sensible
Fabriken und Technologien, die dual-use-fähig sind, nicht
besitzen darf und sie in den Fällen, in denen er schon
über sie verfügt, ‚objektiv‘ deinstallieren muss. Europa
erklärt sich damit zum Anwalt internationaler
Rechtsvereinbarungen, allerdings mit einer gegenüber dem
Iran eindeutigen Lesart: Wo der NPT allen Staaten ein
Recht auf umfassende zivile Nutzung der Kernenergie
zugesteht und die Verwendung der entsprechenden
Kapazitäten für die Herstellung von Nuklearwaffen durch
ein strenges Kontrollregime verhindern will, da wollen
die Europäer dem Iran gleich alle Bestandteile einer
zivilen Atomenergie-Industrie, die sich allenfalls auch
militärisch nutzen lassen, vorenthalten und erklären sich
in ihrem Vertragsentwurf großzügig bereit, sich vom Iran
mit der Überwachung seines Verzichts betrauen zu lassen.
Entsprechend moderat dimensioniert und von Europa auf
Dauer auf seinen objektiv garantiert ‚friedlichen‘
Betrieb hin kontrolliert: so könnte man sich eine
iranische Atomwirtschaft vielleicht denken. Komplette
Unterordnung unter Europas Aufsichtsrecht – das
also wäre das allererste Prinzip, das dem Iran einen
Zugang zu Kernenergie und dann auch zur Zusammenarbeit
auf vielen Feldern
eröffnen würde, und in genau
diesem Sinne macht man dem Staat dann weitere Angebote.
Unter der Überschrift
„Kooperation in Fragen von Politik und Sicherheit“
unterbreitet man dem Iran den weitergehenden Antrag,
nicht nur über sein Atomprogramm, sondern über so gut wie
alle seine wesentlichen inneren und äußeren Belange
Europa als Aufsichtsmacht über sich zu
bestellen. Das Regime in Teheran soll sich am Respekt vor
Menschenrechten
und dem vor grundlegenden
Freiheiten für alle
messen lassen, also die
ideologischen Rechtstitel auch noch selbst anerkennen,
unter denen den Führern des ‚Gottesstaats‘ schon seit
geraumer Zeit – von Amerika seit jeher in aller
Grundsätzlichkeit, von Europa dosiert und berechnend, im
Prinzip aber jederzeit beliebig eskalierbar – die
Legitimität ihrer Herrschaftsausübung bestritten wird.
Das wäre in diesem Kapitel die Prämisse für die Zusagen
in Sachen Sicherheit
, die man den Iranern im
Weiteren verspricht – und deren sicherlich schönste in
der einseitigen Versicherung Frankreichs und
Großbritanniens („unilateral security assurance“)
besteht, im Sinne des NPT den Iran nicht mit
Atomwaffen zu bekriegen. So können sich die Mullahs
bei der Pflege ihrer Sicherheit also ganz auf Amerika und
Israel konzentrieren, allerdings hat diese große
Erleichterung auch ihren Preis. Gleichsam als Dankeschön
für Europa hat der Iran sich bei der Wahrnehmung seiner
Sicherheitsinteressen wie in seinen übrigen
Außenbeziehungen mit dem Sachverhalt anzufreunden, dass
seine politischen Ambitionen, die er als Regionalmacht
von einigem Gewicht verfolgt, an den Interessen
Maß zu nehmen haben, die Europa als
ordnungspolitische Macht in die Region einbringt, weil es
die zu seinem südöstlichen strategischen Vorfeld
rechnet. ‚Non-Proliferation‘, ‚vertrauensbildende
Maßnahmen‘, ‚regionale Sicherheit‘, ‚atomwaffenfreie Zone
mittlerer Osten‘, ‚Terrorismus‘ und ‚Drogen‘ heißen die
diplomatischen Obertitel, zu denen dem Iran ganz viel
Dialog
angeboten wird – diese diskursive
Kooperationsform ist für Europa der Einstieg in das
Projekt, sich in so gut wie allen politischen
Angelegenheiten, in die dieser Staat involviert ist, als
eine von ihm nicht zu übergehende ordnungspolitische
Machtgröße zu verankern, ihn zusammen mit allen
Staaten der Region
in ein politisches Ordnungs- und
Sicherheitskonzept einzubauen, für dessen Federführung
man sich maßgeblich für zuständig erklärt. Ein
von Europa ‚objektiv garantiert‘ atomwaffenfrei
gehaltener Iran, der in eine gleichfalls von Europa
gestiftete ‚Sicherheitsarchitektur‘ des Mittleren Ostens
und der Golfregion eingebunden wird, freilich
ohne dass die EU für ein Stillhalten der USA und
Israels irgendeine Haftung übernehmen könnte oder wollte:
Das wäre es, was dem Staat zur Wahrung seiner
Sicherheitsinteressen vom europäischen
Verhandlungspartner angeboten wird. Unter dem Titel
„langfristige Unterstützung von Irans zivilem Atomprogramm“
kommt dann die Hauptsache des politischen Geschäfts zur
Sprache, das man dem Iran anbietet: Von ihm wird eine
bindende Verpflichtung („a binding commitment“)
verlangt, alle technologischen Bemühungen um einen
geschlossenen Kreislauf von Nuklearbrennstoff und die
Anreicherung von Uran zu unterlassen; er hat ferner
getätigte Vereinbarungen für den Import von atomarem
Brennstoff zu kündigen, abgebrannten Brennstoff
auszuliefern und sein Reaktorprogramm in Arak zu
stornieren; IAEA und Europa definieren gemeinsam
vertrauensbildende Maßnahmen
zur Verankerung und
langfristigen Kontrolle des erklärten Verzichts auf die
inkriminierten bzw. der freiwilligen Selbstbeschränkung
auf die genehmigten Bestandteile eines iranischen
‚Atomprogramms‘. Im Gegenzug erhalten die Mullahs von
ihren europäischen Verhandlungspartnern eine
Bereitschaftserklärung ohne jede Bindung und
Verpflichtung auf irgendetwas und haufenweise
Versprechen, etwas nicht zu tun, was durchaus in ihrer
Macht läge: Europa erklärt, den Aufbau eines zivilen
Atomprogramms ausschließlich mit – in Hinblick auf eine
atomare Waffenproduktion als unbedenklich geltenden –
Leichtwasser-Reaktoren zu unterstützen
, ansonsten
verspricht Europa, Irans nukleare Zusammenarbeit mit
Russland nicht zu torpedieren, des weiteren, den
Zugang des Landes zum internationalen Markt für
Nuklear-Technologie nicht zu versperren und es
beim eigenen Kontrollregime über den Export brisanter
dual-use-Güter nicht zu diskriminieren.
Abgerundet wird dieses äußerst ausgewogene Angebot für
eine langfristige europäisch-iranische Zusammenarbeit
dann in dem Kapitel
„ökonomische und technologische Zusammenarbeit“
Da wird – die iranische Zustimmung zu allen vorher
aufgelisteten Beschränkungen vorausgesetzt – versprochen,
Handel, Investitionen und Technologie-Transfer zu
befördern, ferner die Entwicklung technologischer und
wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Und überall, wo dem
Iran die Möglichkeit eines lukrativen Geschäftsverkehrs –
demnächst dann – in Aussicht gestellt wird, besteht kein
Zweifel über die Nutzenverteilung in den
‚terms-of-trade‘, die da von Europa aus angepeilt werden.
Vom Transportwesen zu Land und in der Luft bis zu
Technologien für Umweltpflege, Kommunikation und
Information, kurz: für einfach alles, wonach das Land
Bedarf hat, finden sich in Europa die passenden Artikel
der Bedarfsdeckung – und im Iran ja praktischerweise auch
die Ölgelder für ihren Erwerb. Und auch noch dafür, dass
diese nicht versiegen, haben die EU-3 einen prima
Vorschlag: Die EU wäre bereit zu einer politischen
Erklärung, dass sie den Iran als eine langfristige Quelle
von Öl und Gas für Europa betrachtet.
Von Europa
hochoffiziell als langfristig auszunutzender
Rohstofflieferant anerkannt zu werden: Was gibt es in
dieser unsicheren Welt Schöneres für einen Staat wie den
Iran!
Die solide Basis der europäischen „Friedenspolitik“
Das also ist sie, die von Europa in Richtung Teheran
ausgestreckte Hand
. Auf ihre nuklearen Ambitionen
haben die dort regierenden Mullahs zu verzichten; zu
akzeptieren, dass ihr staatliches Innenleben in Sachen
Freiheit & Menschenrecht von Europa kontrolliert wird; zu
respektieren, dass ihre regionalpolitischen Absichten und
Sicherheitsinteressen nicht nur an denen Amerikas und
Israels, sondern auch an denen einer ordnungspolitischen
Macht ‚Europa‘ ihre Grenzen finden; hinzunehmen, dass sie
in allen wesentlichen Belangen ihres Kernenergieprogramms
europäischer Aufsicht unterstehen; und sich darüber zu
freuen, bei auf Dauer erwiesener Botmäßigkeit gegenüber
den Anträgen ihrer Aufsichtsmächte von denen eventuell
auch noch in den Rang einer wichtigen Ölquelle befördert
zu werden: Dass man in Teheran dieses ‚Angebot‘ rundum
ablehnt, erstaunt nicht. Gleichwohl kommt der Umstand,
dass sich hierzulande über diese Ablehnung manche
erstaunt geben, nicht von ungefähr. Wenn der eingangs
zitierte Schreiber der SZ die rhetorische Frage aufwirft,
ob denn der Iran bewusst
seine internationale
Isolation mit all ihren Risiken
gewählt habe – dass
die Welt, von Teheran aus betrachtet, vielleicht noch aus
ein paar mehr Mitgliedern als Europa und den USA besteht,
kommt ihm gar nicht in den Sinn –, dann bringt er auf
seine etwas dämliche Art dasselbe zur Sprache, was der
deutsche Außenminister mit seiner wiederholten ernsten
Warnung
vor einer Fehlkalkulation
des Iran
meint: Die Mullahs sollen Fischer zufolge gar nicht erst
glauben, ihnen würde von Europa etwas anderes als Stoff
für diplomatisches Verhandeln angeboten als das,
was die Weltmacht Amerika von ihnen verlangt –
weswegen US-Präsident Bush ja auch voll und ganz hinter
Europas Diplomatie steht! Das ‚Angebot‘ der
deutsch-europäischen Diplomatie ist nicht mehr
als die Übermittlung des kompromisslosen Ultimatums, das
von der Weltmacht an die Adresse Irans ergangen ist – nur
eben beschränkt auf die ‚Atomfrage‘ und
ohne alle Weiterungen in Bezug auf einen im Iran
fälligen ‚regime change‘, also ohne die tiefere Bedeutung
eines Hebels zur Beseitigung der Mullah-Herrschaft, die
diese ‚Frage‘ für Washington bekanntlich besitzt. Deshalb
würden die Mullahs nach Meinung der Überbringer der
deutsch-europäischen Vermittlungsposition
– und
daher auch nach Auffassung ihrer demokratischen
Interpreten – in ihrem eigenen Interesse nur gut daran
tun, sich anderweitige Berechnungen aus dem Kopf zu
schlagen. Vor allem natürlich die, der Europa selbst vor
dem Verhandlungsprozess und zwischendurch immer mal
wieder heftig Nahrung gegeben hat, nämlich: Europa könnte
sich vom Iran in irgendeiner Weise als anti-amerikanische
Gegenmacht instrumentalisieren lassen und in
dessen Interesse mäßigend auf den Militarismus
der Weltmacht einwirken. Dass genau das Gegenteil der
Fall ist, Europa alles tut, um Amerikas Militarismus für
sich zu instrumentalisieren, das stellt der
Verhandlungsvorschlag der EU-3 unmissverständlich klar:
Wenn Europas diplomatische Gesandte mit der Aufforderung
an den Iran, sich europäischen Aufsichtsbefugnissen
unterzuordnen, so bemerkenswert unverschämt daherkommen,
dann schmarotzen sie schlicht und ergreifend von
der längst über den Iran verhängten
Kriegsdrohung, deren Subjekt sie nicht sind. Sie
präsentieren dem Iran die Annahme ihres ‚Angebots‘ ganz
sachlich, ohne in ihrer Vorlage irgendein ‚Druckmittel‘
zu erwähnen, als die einzig mögliche Alternative zu
seiner ‚internationalen Isolation‘, als seine so ziemlich
letzte Gelegenheit, die Beförderung zum Fall erst für den
Weltsicherheitsrat und gleich darauf für eine legitime
präventive Befriedungsaktion durch die Weltmacht noch
verhindern zu können. Genau diese Karriere ist dem Iran
von den USA in Aussicht gestellt worden, und dieser
angedrohte Fortschritt vom Störfall des amerikanischen
Weltfriedens zum praktisch zu erledigenden
Welt-Sicherheitsproblem begründet die
erpresserische Wucht, die hinter Europas diplomatischer
Initiative steckt und die den EU-3 überhaupt erst die
Freiheiten eröffnet, die sie sich in ihren Verhandlungen
mit dem Iran dann herausnehmen. Unter Inanspruchnahme des
Rechtstitels, den die USA zur Legitimierung
ihres Kriegskurses gegen den Iran bemühen, also
auch mit der Gewalt im Rücken, die die Weltmacht
ihrem erklärten Feind androht, sucht sich Europa
gegenüber dem Iran und damit im ‚Mittleren Osten‘
überhaupt als Macht mit eigener
ordnungspolitischer Kompetenz zu etablieren: Das
sind die überaus friedvollen Grundlagen, von denen aus
die deutsch-europäische Friedensmacht
(Müntefering) Weltpolitik treibt und in
die Konkurrenz um ordnungspolitische Zuständigkeit für
den Iran und für die weitere Region um ihn herum
einsteigt.
Die Iran-Diplomatie der EU: Wieder mal ein Stück europäisch-amerikanischer Beziehungspflege
Ganz besonders originell ist nach der Seite hin die
Wortmeldung des deutschen Kanzlers, keinesfalls
läge nun, nach der Zurückweisung der wohlmeinenden
europäischen Erpressungsversuche durch den Iran, wieder
eine militärische Option auf dem Tisch
(US-Präsident Bush): Nur weil
die schon längst dort liegt, kann der Mann sich zusammen
mit seinen europäischen Kollegen überhaupt so großartig
als friedensbewahrender Vermittler zwischen den USA und
dem Iran in Szene setzen! Andererseits geht des Kanzlers
wahlkampflaunige Bemerkung über die absolute
Verfehltheit
eines amerikanischen Waffengangs
gegen den Iran – die sich ja auch schon im Irak
erwiesen
habe – keineswegs in bloßer taktischer
Berechnung auf die Stimmen deutscher Friedensfreunde auf.
Wenn sich Deutschland zusammen mit Frankreich und
Großbritannien zur Macht erklärt, die sich in diesem Fall
ganz hinter den militant vorgebrachten
Weltverbesserungswunsch der USA stellt und die
Angelegenheit eines garantiert atomwaffenfreien Iran so
hoch hängt, dass Bush seine wahre Freude an den
europäischen Partnern hat, so heißt das tatsächlich
nicht, dass Europa sich damit geschlossen auch hinter
einen Krieg gegen den Iran stellen würde, wenn die
Weltmacht ihn für erforderlich hält. Untereinander wie in
ihrem Verhältnis zur Weltmacht loten Europas führende
Mächte vielmehr die Grenzlinie zwischen Unterstützung
und friedlicher Ausnutzung der amerikanischen
Kampfansage gegen den zum ‚Hort des Terrorismus‘
definierten Iran aus – und haben dabei selbstverständlich
in beiderlei Hinsicht das im Auge, was sie sich von einer
Zuarbeit zu Amerikas Weltordnungsinteressen einerseits,
von einer Abgrenzung von denselben andererseits für
sich und die Mehrung ihres
imperialistischen Gewichts versprechen. Gerade dann, wenn
Europas Führungsmächte sich anschicken, den Iran aus ganz
eigener Macht und noch vor den USA offiziell zur Causa
des Völkerrechts in Gestalt des Weltsicherheitsrats zu
erklären, wollen sie ihr demonstratives Engagement an der
Seite der Weltführungsmacht keineswegs als
Freibrief für Amerika verstanden wissen, diese
Causa nach eigenem Belieben und gemäß dem am Irak
durchexerzierten Exempel bis hin zum Krieg zu eskalieren:
Sie wollen diesmal Herr der Eskalation
bleiben, die sie in ihrer Diplomatie mit Iran anzetteln,
und keinesfalls zu Statisten degradiert werden, die unter
der Regie Washingtons das für die Fragen von Krieg und
Frieden einschlägige weltdiplomatische Drehbuch zu
inszenieren helfen. Die laut verkündete Verweigerung
eines demnächst womöglich von den USA beantragten
Mitmachens im Feldzug gegen den Iran, die der deutsche
Kanzler seinem transatlantischen Partner schon mal vorweg
in Aussicht stellt, soll die deutsche – und idealerweise:
gesamteuropäische – Distanzierung von dem
Weltbefriedungsprogramm unterstreichen, das man in
Washington als Option
für die Erledigung des
iranischen ‚Schurkenstaats‘ mit Sicherheit schon bis hin
zu den letzten Details der Gefechtsführung
durchkalkuliert hat.
Dieser ‚Option‘ ist damit freilich auch keine definitive Absage erteilt. Es ist kein Bluff, wenn die EU-3 der iranischen Regierung die Kriegsdrohung der USA als guten Grund verdolmetschen, auf ihr erpresserisches Vertragsangebot einzugehen, und vorab die iranische Seite für alle Weiterungen haftbar machen, die sich aus einem Scheitern der Verhandlungen ergeben. Sie sind sich vielmehr sicher, dass, wenn überhaupt jemand, dann nur sie gemeinsam den Kurs Amerikas zu beeinflussen vermögen, und das auch nur dann, wenn sie einen Verhandlungserfolg präsentieren können, den man in Washington als Auftakt zu einem hinreichenden Maß an Kapitulation des unwiderruflich geächteten Mullah-Regimes anzuerkennen bereit ist. Einen solchen Erfolg streben sie mit aller Macht an, um sich als imperialistische Weltordnungsmacht Geltung zu verschaffen. Deswegen vermeiden sie den Abbruch der Gespräche mit ihrem „Partner“ in Teheran, richten aber ihre Forderungen an dessen Adresse sorgfältig so ein, dass auf alle Fälle keine Abmachung zustande kommt, die dann von den USA als ungenügend verworfen und als weltordnungspolitisch irrelevant übergangen wird. Europas Iran-Politiker erklären ihren Vorbehalt gegen Amerikas Kriegswillen, leisten dem Führungsanspruch der Weltmacht in Fragen von Krieg und Frieden so Folge, dass er dadurch nach Möglichkeit relativiert und in seiner militanten Konsequenz ausgebremst wird, suchen deswegen den Iran zu Zugeständnissen zu erpressen, die dann, wenn man sie von ihm erfolgreich abgepresst hat, nach allen geltenden völkerrechtlichen Regeln einen Krieg Amerikas gegen diesen Staat überflüssig machen würden und von Washinton auch als Kriegsersatz anerkannt werden könnten. Eine Garantie gegen Amerikas letzte „Option“ können sie dem Iran damit aber nicht bieten; vielmehr riskieren sie mit jedem Verhandlungsergebnis die Blamage, dass es in Washington nicht überzeugt und für nichtig befunden wird, und halten sich daher konsequent die andere Variante offen, für den Fall, dass Amerika die gewaltsame Erledigung der Mullahs doch nicht für überflüssig erachtet, die Verhandlungen mit Teheran scheitern zu lassen – dann handelt es sich wenigstens nicht wieder um einen fatalen ‚Alleingang‘ der Weltmacht, wenn am Golf aufgeräumt wird, sondern um eine Gemeinschaftsaktion, weil ja Europa das Szenario mit hergestellt hat und selber die Rolle definiert, die es darin zu spielen gedenkt. So viel Dialektik muss schon sein in den politischen Berechnungen einer ehrgeizigen Weltfriedensmacht vom Kaliber Deutschlands und seiner EU-Verbündeten.
Die Dialektik hingegen, die den in der ‚Süddeutschen
Zeitung‘ beheimateten Fans deutscher Friedenspolitik aus
den Federn fließt, ist auf einem etwas anderen Mist
gewachsen – da färbt die parteiliche Beurteilung der
imperialistischen Konkurrenz- und Kräfteverhältnisse den
Blick auf die Realität. Wenn Amerikas Präsident zum
gebotenen Anlass die Welt an seine Kriegsdrohung gegen
den Iran erinnert, fragen sie sogleich: Was steckt
hinter dieser Drohung?
(SZ,
17.8.), und was sie dann hinter der Drohung
entdecken, ist die ohnmächtige Gebärde eines Impotenten,
der dem Siegeszug der deutschen Friedenspolitik einfach
nichts mehr entgegensetzen kann: Die Weltmacht USA
kann sich einen weiteren Krieg militärisch nicht leisten:
Ihr fehlen die Soldaten, ihr fehlt es an Material, ihr
fehlt es an Ressourcen. Sie findet, vielleicht abgesehen
von Israel, international kein Unterstützung. … Mit einem
Wort: Das Gerede von einer militärischen Option ist
nichts als Bluff.
(ebd.)
Wie ungeschickt vom Präsidenten einer Weltmacht: Wird
weltpolitisch wegen der Drohung mit einem Krieg isoliert,
den er mangels Masse sowieso nicht führen kann! Und wie
genial von Europa: Lässt Amerika mit Soldaten und
Ressourcen drohen, die es nicht gibt, sichert darüber den
Frieden auf der Welt und ist bei allen, vielleicht
abgesehen von Iran, total beliebt! Und wenn dann doch
alle Warnungen vor einer ‚Überdehnung‘ der eigenen
Potenzen von der Weltmacht in den Wind geschlagen werden,
dann liegt die Hauptschuld auf alle Fälle bei der
Regierung in Teheran, die auf die Europäer nicht hat
hören wollen; dann ist es ein Verdienst der europäischen
Friedenspolitik, wenn aus Amerikas „Optionen“ mehr wird
als ein bloßer „Bluff“; und auf gar keinen Fall wären
Deutschland und Frankreich so blamabel ausgemischt und
imperialistisch abgemeldet, wie es ihnen neulich im Irak
widerfahren ist.
[1] Der folgende Artikel
schreibt am zwischenzeitlich erreichten Stand der Dinge
die Argumente fort, die in der letzten Ausgabe unserer
Zeitschrift in dem Aufsatz Nato heute – unvereinbare
Interessen am Fortbestand einer Militärallianz, die den
gemeinsamen Feind überlebt hat
, dargelegt sind
(GegenStandpunkt 2-05, S.45).
Über Grund und Zweck der deutsch-europäischen
Diplomatie mit Iran steht dort S.57ff. alles
Wissenswerte.
[2] Die Zitate im Folgenden entstammen dem englischsprachigen Text des EU-Vorschlags lt. Tehran Times, 6.8.05