Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
ETA und IRA
Abweichende Stellungnahmen zum „Europa der Vaterländer“
Den baskischen und irischen Separatisten wird die Befriedigung ihrer Interessen durch Europa nahe gelegt. Das verkennt aber den viel prinzipielleren Charakter ihres Bestehens auf einer eigenen Herrschaft. Andererseits wollen diese Bewegungen überhaupt nichts anderes als geordnete Herrschaftsverhältnisse, so wie die anderen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
ETA und IRA
Abweichende Stellungnahmen zum
„Europa der Vaterländer“
Mitte Juli verschleppt die ETA, die für einen eigenen
Staat der Basken kämpft, einen jungen Politiker und
bringt ihn um, nachdem ein an den spanischen Staat
gerichtetes Ultimatum zur Verlegung inhaftierter
Gesinnungsgenossen wirkungslos verstreicht. Regierungs-
und Oppositionsparteien in Spanien organisieren daraufhin
spontane Massenproteste
der Bevölkerung, auch der
des Baskenlandes. Das gesamtspanische Volk soll seine
Abscheu
vor einem bestialischen Mord
, dem
verbrecherischen Akt
privater politischer Gewalt
demonstrieren, damit zugleich seine Verbundenheit mit der
offiziellen und legitimen, die in Madrid regiert. Dies
tut das Volk. Es trägt blaue Schleifen als Zeichen seiner
wie der staatlichen Betroffenheit durch den
ETA-Terror
, im Baskenland versuchen etliche,
ETA-Sympathisanten zu lynchen, andernorts werden
Parteibüros von Herri Batasuna gestürmt. Bei den
Begräbnis-feierlichkeiten fordert der Regierungschef
seine Landsleute dazu auf,
„Haß- und Rachegefühle beiseite zu lassen, das in den vergangenen Tagen Geschehene jedoch niemals zu vergessen und sich der Trennlinie zwischen der großen Mehrheit friedliebender Bürger und den Terroristen und deren Handlungen immer gewahr zu bleiben.“ (NZZ 15.7.97)
Letzteres geht offenbar gar nicht so einfach.
Etwa zur selben Zeit hört man aus Nordirland, daß die
IRA, die für den Anschluß an Irland kämpft, Polizisten
mit Genickschuß erledigt, weil sie Uniformen der
verkehrten, nämlich der Besatzer
-Herrschaft
tragen. Die nordirisch-englische Staatsmacht sieht sich
herausgefordert, ihren vor Ort befindlichen privaten
Aktivisten in Gestalt der protestantischen
Unionisten
geht es genauso, so daß die
saisonübliche Randale im Vorfeld ihrer Aufmärsche durch
katholische Wohngebiete gleich ein wenig heftig anhebt.
Die pro-irisch-katholische Gegenseite, von polizeilicher
wie privater Gewalt nachdrücklich mit dem Recht bekannt
gemacht, englisch beherrscht zu werden, läßt
sich natürlich nicht bitten und trägt das Ihre zur
neuen Welle der Gewalt in Nordirland
bei. Die ebbt
dann ein bißchen ab, weil die Parteien des Bürgerkriegs
von der englischen Herrschaft, der die eine unbedingt,
die anderen keinesfalls treubleiben will, zu
Friedensgesprächen
geladen werden.
Zu beiden Fällen nationalistischen Terrors in Europa nimmt man hierzulande unter folgendem Tenor Stellung:
„Hochachtung vor den spontanen Massenprotesten der Spanier… Die Ermordung des Kommunalpolitikers Miguel Angel Blanco durch Terroristen hat erneut vor Augen geführt, daß in der Europäischen Union mit ihrer hoch entwickelten demokratischen Kultur noch immer gewaltsam operierende außerparlamentarische Kräfte am grausamen Werk sind… Nordiren und Basken verfügen über ein Höchstmaß an politischer Autonomie, können ihre Interessen also in ihren Regionalparlamenten wahrnehmen – und dennoch wird die politische Landschaft von irrational handelnden Fanatikern mit Blut getränkt.“ (HB 15. 7.97)
Hiernach wären die separatistischen Umtriebe der Basken
und Iren genau genommen überflüssig, stellt doch die
politische Kultur
in Europa ihrem Interesse an
politischer Autonomie
alle erdenklichen
parlamentarischen Wege bereit, sich in die vorhandenen
staatlichen Gemeinwesen einzugliedern. Es ist nur so, daß
diese schöne Vorstellung einer friedlich-schiedlichen
Einbindung aller sich in den europäischen Vaterländern
regenden separatistischen Ambitionen entscheidend an der
Sache vorbeigeht:
– Es mag sein, daß in manchen aufgeregten
Völkerschaften im Lauf der Zeit ein wenig Ruhe einkehrt,
wenn ihnen von ihrer herrschaftlichen Zentrale
ein
regionales Parlament, ganz viel politische Autonomie und
sogar eine eigene Steuerhoheit spendiert wird – bedient
sehen sich die Anwälte des radikalen Standpunkts einer
völkischen Eigenstaatlichkeit von Basken oder Iren
dadurch nicht. Die können sich mit dem, was
ihnen ihre Herrschaft da als Höchstmaß
an
Selbständigkeit
konzediert, nicht zufrieden geben,
weil die Autonomie
, auf die sie aus sind,
viel anspruchsvoller beschaffen ist. Ihnen leuchtet
überhaupt nicht ein, daß es ihre
Herrschaft sein
soll, mit der sie es zu tun haben und der sie irgendwie
Gehorsam schuldig seien. Statt dessen berufen sie sich
auf ein Recht ihres Volkes, von einem
eigenen Staatswesen kommandiert zu werden,
und stellen sich in dessen Namen ganz grundsätzlich in
Konkurrenz zur regierenden Staatsgewalt auf. Die
Berufung auf völkische Besonderheiten, welche unbedingt
unter das Dach eines eigenen Vaterlandes zu
bringen seien, gebietet ihnen dabei keineswegs eine nur
passive Respektverweigerung gegenüber der Obrigkeit. Denn
erfolgversprechend auf den Weg gebracht ist das Recht
aufs eigene Vaterland für alle, die es mit ihm wirklich
ernst meinen, erst in einem ordentlichen
Befreiungskampf
, und der wird von den radikalen
Anwälten einer nationalen Sache von Basken, Iren usw.
selbstverständlich nicht in
Regionalparlamenten
oder sonst auf dem
parlamentarischen Amtsweg geführt: Alle Institutionen der
vorhandenen Staatsmacht sind für sie ja gerade die
Instrumente jener Fremdherrschaft
, von der das
eigene Volk unterdrückt
wird und zu
befreien
ist.
– Gut möglich, daß das hoch entwickelte
parlamentarische Verkehrswesen für seine Liebhaber auch
in Fragen der politischen Kultur
den Standard
aller Zivilisation bildet – den Aktivisten eines eigenen
Staates ausgerechnet diese abzusprechen, nur weil sie
außerparlamentarisch
zur Sache gehen, ist dennoch
grundverkehrt. Wenn die damit antreten, daß ein jedes
Volk – also auch das ihre – in seinen eigenen Staat
gehört, machen sie nämlich genau der herrschaftlichen
Kultur jede Menge Ehre, die in Gestalt der fertigen
europäischen Vaterländer in ihrem Endresultat zu
bewundern ist. Zum Störfall dieser Kultur bringen sie es
nur darüber, daß sie dieses Resultat für vorläufig, die
Zuordnung von Völkern zu ihren Staaten in ihrem
speziellen Fall noch nicht für abgeschlossen halten:
Mitten im staatlich fix und fertig zivilisierten Europa,
wo jede ansässige nationale Identität
unter eine
herrschaftliche Obhut geraten ist und zu ihrem
Staat gefunden hat, warten sie mit noch einem
Volk auf, dem eigene Staatlichkeit abgehe. Gegen die
etablierten herrschaftlichen Gewalten melden sie
dasselbe Herrschaftswesen, als das diese sich
erfolgreich etabliert haben, als ihren exklusiven
Gründungsanspruch an – nur das, daß sie noch
nicht so etabliert sind wie ihre Vorbilder, macht
ihre ganze Besonderheit aus. Auch die Gewalt,
mit der sie sich und ihren Staat gegen den vorhandenen
einrichten wollen, fällt einzig deshalb aus dem Rahmen
aller herrschaftlichen Kultur, weil sie eben noch nicht
eine „legitime“ ist. Vielmehr ist sie verboten,
weil genau so, mit dem Monopol auf Gewalt, das sie sich
gesichert hat, die bestehende Herrschaft den
Anspruch auf ethnische Neusortierung im eigenen
Hoheitsbereich zurückweist.
– Ein bißchen verlogen ist daher auch das Bild,
demzufolge die irrational handelnden Fanatiker
des
Separatismus die politische Landschaft mit Blut
tränken. Der Verkehr, den die legitime Staatsgewalt und
ihre illegitimen Imitatoren miteinander pflegen, macht
nämlich deutlich, daß sich da zwei Fanatiker
derselben Sache aneinander messen und sich dabei
in nichts nachstehen. Sie beide eint der Wille,
exklusiv die Gewalt über ein Volk auszuüben –
das ist die großartige politische „Ratio“, die die
amtierenden Machthaber, aber schon auch die Terroristen
im Kopf haben, wenn sie jeweils ihrer „nationalen Sache“
dienen. Da sich das schlechterdings nicht miteinander
versöhnen läßt, herrscht zwischen ihnen – ob
formvollendet erklärt oder nicht – der
Kriegszustand. Den trägt die offizielle
Staatsgewalt mit der Macht ihrer Mittel, die inoffizielle
Gegengewalt auf ihre – vergleichsweise – ohnmächtige
Weise aus. So bekommt dank der unterschiedlichen
Methoden der Gewaltanwendung wenigstens die
Moral immer ihre Anhaltspunkte, die Täter nach
Gut und Böse zu scheiden. Außerparlamentarische
Kräfte
, hinter denen nicht die legitime Gewalt eines
Staates, sondern nur ihre private steht, haben kein
Recht, sind daher böse und das sieht man ihren
Opfern an – immer grausam
sind die Werke, wenn
Killer
Unschuldige
heimtückisch
morden
. Für die staatliche Exekutive gilt dies alles
nicht, weil sie das Recht verteidigt, ihre Opfer
also gerechtfertigt sind. Was in diesem Recht alles an
Gewaltsamkeit steckt, wird allerdings nicht nur an der
Bilanz der offiziellen Terrorismusbekämpfung deutlich.
Man muß nur – wie in Spanien und im Baskenland – ein sein
Vaterland liebendes Volk ein wenig dazu anhalten, sich
auch einmal selbst in seiner Betroffenheit durch die
Feinde der Nation aufzustellen – schon tut es dies und
zeigt ganz spontan
, was in ihm so alles steckt.
Offenbar nicht wenige brave spanische Bürger haben es in
ihrer Empörung über den ETA-Mord
nur dem
fürsorglichen Dazwischentreten der Polizei zu verdanken,
daß sie von ihrer geliebten Staatsmacht nicht selbst als
Totschläger verhaftet worden sind.