Eine Woche Bildzeitung

Durchblick für das deutsche Proletariat

Die Bildzeitung ist das Arbeiterblatt der Nation und will das auch sein. Zu der Verwandlung der ­­Klassenbrüder, die sie sind, in die respektablen kleinen Leute, als welche Bild sie anspricht, leistet die Zeitung täglich ihren Beitrag, indem sie sich ihrerseits programmatisch in den Dienst an ihren Adressaten stellt: „Weil ihr täglich euer Bestes gebt, tun wir es auch. Für euch.“

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Eine Woche Bildzeitung
Durchblick für das deutsche Proletariat

Die Bildzeitung ist das Arbeiterblatt der Nation und will das auch sein. Den Umstand, dass ihre Leser aufreibende Berufe für wenig Geld ausüben, macht sie denen zum Kompliment und für sich zum Gegenstand ihrer Werbekampagne: Da sieht man LKW-Fahrer und Polizistinnen, Bäcker und Pflegekräfte, Lehrer und Feuerwehrmänner, Klempnerinnen und Rettungsschwimmerinnen mit und ohne Migrationshintergrund Routine und Selbstbewusstsein ausstrahlend bei der Arbeit, während die Stimme aus dem Off erklärt: „Ihr steht für uns früher auf, erklärt unseren Kindern die Welt, riskiert für uns euer Leben, passt auf uns auf, seid für uns da, wenn wir krank sind, übernehmt Verantwortung und haltet für uns den Kopf hin.“ Das Bild von selbstbewussten, hingebungsvollen und verantwortlichen Dienern am Gemeinwohl präsentiert die höchst respektable, eigentliche Identität der Arbeiter: Sie halten „den ganzen Laden am Laufen“, wenn sie sich „jeden Cent hart erarbeiten“, dabei „die Hände schmutzig machen“ und ihnen „kein Weg zu weit“ ist. Sie haben es nicht nur nicht leicht, sie machen es sich vor allem nicht leicht – so, zur Quelle ihrer Ehre veredelt, kommen einschlägige Attribute der Einkommensquelle Lohnarbeit zu Ehren. Unerwähnt bleiben dabei – das hält Bild wohl für kontraproduktiv – die kapitalistischen und staatlichen Auftraggeber, die überhaupt definieren, welche Dienste zu welchem Lohn zu erbringen sind, die also genau die Not stiften, die Bild in die Tugend von dienstbeflissenen Menschen verwandelt. Zu der Verwandlung der Klassenbrüder, die sie sind, in die respektablen kleinen Leute, als welche Bild sie in der Eigenwerbung anspricht, leistet die Zeitung täglich ihren Beitrag, indem sie sich ihrerseits programmatisch in den Dienst an ihrem Adressaten stellt: „Weil ihr täglich euer Bestes gebt, tun wir es auch. Für euch.“ So auch in KW 10.

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Am Wochenende ist durchgesickert, dass Wirtschaftsminister Habeck demnächst Gas- und Ölheizungen verbieten will. Gleich Montag schlägt Bild Alarm: „Machen die Grünen unseren Wohlstand kaputt?“ Neben der Schlagzeile sieht man Robert Habeck als fotomontierten Wüterich mit einem großen Vorschlaghammer auf Heizung und kleines Eigenheim, Volkswagen, Strandliege und Steak einschlagen. Der Mann zerstört einfach, was der Leser sich unter dem schillernden Stichwort „Wohlstand“ als seinen Besitzstand zuschreiben darf: die Notwendigkeiten, für die er sein Leben lang arbeitet, weil er sie zum Leben braucht. Völlig irre! Großformatig wird damit schon einmal die Empörung des Lesers über seine eigene Betroffenheit von den Klimaschutzmaßnahmen sollizitiert – frei nach dem Motto, dass ‚die da oben‘ uns mal wieder das Leben schwer machen.

Der anschließende „BILD-Check“ differenziert den Schaden näher aus: „Horror für Mieter und Hausbesitzer: Bis zu 30 000 Euro fallen an... E-Autos sind für viele unbezahlbar“ und die erschwinglichen Gebrauchten wegen des geplanten Verbrennerverbots jetzt schon teurer. Die Zeitung kennt eben die prekäre Realität ihrer „Alltagshelden“ und weiß, dass die es überhaupt nicht verträgt, wenn eine neue Vorschrift die knappe Haushaltskasse durcheinanderbringt. Wenn die Grünen mit „Teuer-Sprit, höheren Flug-Steuern, strengeren Auflagen für Kreuzfahrten etc.“ den Jahresurlaub verteuern, dann weiß Bild, worum es dieser Partei dabei eigentlich geht: Sie will die Leute „mit dem Fahrrad zum Baggersee“ dirigieren. Überhaupt: „Die Grünen wollen die Deutschen umerziehen, Fleisch-Verzicht per Sondersteuer auf Schnitzel oder Wurst erzwingen. Cem Özdemir will sogar Werbung (für Kinder) für viele Käsesorten verbieten.“ Nicht nur beim „Anwohnerparken!“ und Urlauben, sondern auch im Zentrum des Reichs der Freiheit, wo die Menschen als umworbene Kunden Preise vergleichen und nach individuellen Vorlieben entscheiden, welchem Anbieter sie mit ihrem Lohn seinen Profit realisieren, wollen die Grünen die Leute bevormunden! Als wollte Bild den Gehalt der proletarischen Freiheit auf den Begriff bringen, die Gewohnheit des Sich-Einrichtens unter den gegebenen Umständen, fasst sie das grüne Verbrechen als Zwang zum Um-Gewöhnen. Nicht nur beim Einteilen, sondern auch beim Verdienen des Geldes machen die Grünen es allen schwer: Wenn Energie „für Industrie und Mittelstand“ teurer wird als „z.B. in den USA“, erklärt Bild den Lesern die „Folge: Standort-Verluste, Jobabbau (BASF: 1500 Stellen)“. Wo die maßgeblichen ökonomischen Subjekte auf Kosten ihrer Angestellten mit neuen politisch verordneten Kosten kalkulieren, reklamiert Bild im Namen der lesenden Kostenfaktoren, dass deren freiheitliche Existenz grüne Vorschriften für ihre Anwender nicht verträgt.

Um die ganze Tragweite des groß angelegten Übergriffs auf Wohlstand in Freiheit zu erfassen, muss sich der Leser gar nicht unbedingt durch den ganzen Artikel arbeiten. Mit Fotomontage und Großbuchstaben macht Bild unmittelbar anschaulich, dass die Knallköpfe von „Deutschlands Verbotspartei Nr. 1“ den „VERBOTSHAMMER“ schwingen, um auf die Leute einzudreschen. So sieht man auf einen Blick, dass der Wahnsinn Methode hat: Das Programm der Grünen besteht in nichts anderem als der Bestreitung des kollektiven Schutzguts der Leserschaft, für das ihre Zeitung in die Bresche springt. Das Sprachbild kann das wie üblich gar nicht plakativ genug einfangen – die zur Botschaft passenden Neologismen drängen sich den Schreibern wie von selbst auf.

Den Rest der Woche über fährt Bild eine regelrechte Kampagne gegen derartige Anti-Politik, die der Leserschaft von allen möglichen Seiten droht. Gleich am Dienstag der nächste „Kosten-Hammer“, diesmal ein „EU-Plan: Sanierungs-Zwang für 6 Millionen Häuser“. Bild platzt im Namen aller „Häuschen-Besitzer“ der Kragen. Ehrenwerten Leuten, die einfach nur „in den eigenen vier Wänden“ leben wollen, wird das Leben schwer gemacht und der „Respekt“, der ihnen aufgrund ihrer Bescheidenheit zusteht, versagt: „Schluss damit!“ Wenn schon etwas für den Klimaschutz getan werden muss, dann doch bitte da, wo die Häuschen noch viel weniger saniert sind als in Deutschland, weil die Leute noch ärmer sind: „Statt also bei uns noch stärker draufzusatteln, sollten EU und Bundesregierung erst mal die Vorgaben in Süd- und Osteuropa verschärfen. Damit wäre auch dem Klima geholfen.“ Ganz unbefangen präsentiert Bild der schützenswerten Spezies der deutschen Kleineigenheimbesitzer die dazu passende Facette Ausländerhass: Die, die viel mehr Dreck machen als wir, hätten es viel eher verdient, drangsaliert zu werden. Sollen die doch sehen, wie sie damit klarkommen.

Apropos klarkommen: Am Mittwoch rechnet Bild Häuschen-Besitzern und Mietern unter dem Titel „SANIERUNGS-ZWANG und NEUE HEIZUNG – Das kostet Sie der Wohn-Hammer“ von der Heizung über die Fenster bis zum Dach noch einmal im Einzelnen ihre Armut als ihre gemeinsame Lebenslage vor: Die Energieverordnungen, die die Politik als Rücksicht auf die künftigen Lebensbedingungen verstanden wissen will, können sie sich einfach nicht leisten. Wer das trotzdem verlangt, den stellt Bild ins ideologische Abseits: „Wohnen und Weltklima retten – können wir beides überhaupt zahlen?“ Das Stichwort Weltklima ist natürlich schon die ganze Antwort: Die Weltverbessererpartei verfolgt ein Anliegen, in dem von Deutschland nichts zu sehen ist, das also deutsches Wohnen nur überfordern kann.

Tags darauf tritt Bild in Aktion: Wer so eine massenfeindliche Politik macht, bekommt es mit ihr zu tun. Ein Reporter verlangt, dass Wirtschaftsminister Habeck öffentlich eine „Anti-Teuer-Garantie“ unterschreibt. Er soll versprechen, dass auch in Zukunft „die eigenen vier Wände bezahlbar bleiben“ und sich „die Klima-Auflagen jeder leisten“ kann. Bild gelingt nicht nur die angestrebte Blamage des Ministers, der natürlich die Unterschrift verweigert, sondern der gibt sich dabei auch noch besonders schroff. Das liefert die eigentliche Schlagzeile – „Kann ich Ihnen eine Frage zum Wohn-Hammer stellen? ‚NEIN‘“ – und damit die fertige Botschaft: Der Mann ist arrogant und so abgehoben vom einfachen Volk wie seine Politik.

Elitäre Volksfeinde macht Bild auch in Brüssel aus. Ein weiterer Artikel entlarvt, dass die EU-Parlamentarier, die demnächst „über Zwangssanierungen“ abstimmen, nicht die guten Vorbilder sind, die man gar nicht gesucht hat, sondern „Heiz-Heuchler“. Beweis: „Energiekosten des EU-Parlaments fast VERVIERFACHT – aber WIR sollen zwangssanieren!“ Nirgendwo verkörpern die Politiker die anständige Herrschaft, die die Anständigen verdienen, sie sind moralisch so verkommen wie ihre Zwangspolitik.

Das Ganze begleitet das Blatt permanent mit prominent auf Seite Eins platzierten Leserbriefen, mit denen gar nicht erst der Schein erweckt wird, ein pluralistisches Meinungsbild wiederzugeben:

„Immer mehr Verbote und Zwangsmaßnahmen. Der arbeitende Bürger wird zum Steuer-Melken wie Nutzvieh gehalten.“, „Mit der kleinen Rente kann ich keine Sanierung bezahlen. Bekomme ich dann eine Geldstrafe oder gehe ich gleich ins Gefängnis, weil ich die Strafe auch nicht bezahlen kann?“, „Wenn alle öffentlichen Gebäude (EU, Bund, Länder, Kommunen) und die Häuser gewählter Politiker sowie der Industrie saniert sind, schließe ich mich an“, „Außer Verbote und Bevormundungen bekommen diese grünen Minister nichts hin! Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Wahlen!“, „Typische Grüne Arroganz“ ...

Das Blatt lässt ausgewählte Leser belegen, worauf es seinerseits besteht: Es schreibt nur auf und bringt zur Anschauung, was das gesunde Volksempfinden ist.

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Auch die Innenministerin von der SPD muss sich vorwerfen lassen, ihrem Amt ganz grundsätzlich nicht gerecht zu werden: „Nancy Faeser – Ministerin für innere Unsicherheit... Ist der Ministerin die Innere Sicherheit völlig egal?“ Ihr Versäumnis: Sie stockt die Bundespolizei, die für die Grenzkontrolle zuständig ist, nur um 1000 Mann statt der „dringend benötigten“ 10 000 auf. Und nicht nur das: „Die Ampel plant nun auch noch, die Kontrolle illegaler Migranten in Zügen und Bahnhöfen zu VERHINDERN! Dazu soll ein entsprechender Paragraf im Bundespolizeigesetz gestrichen werden, der Schutzleuten bislang gestattete, von jeder verdächtigen Person die Ausweise zu verlangen. So was sei ‚Racial Profiling‘.“ Die Innere Sicherheit, die man von der Ministerin erwarten kann, fällt ganz selbstverständlich mit dem Schutz vor der Anwesenheit von Leuten zusammen, denen man als Grenzpolizist doch schon von Weitem ansieht, dass die hier einfach nicht hergehören. Von daher gibt es kein größeres Vergehen als zu verhindern, dass illegaler Zuzug verhindert wird. Und genau das liegt offenbar vor, wenn die Unsicherheitsministerin nicht bloß an der falschen Stelle spart, sondern aufrechte „Schutzleute“ mit einem völlig hergeholten Vorwurf an der sachgerechten Ausübung ihres Auftrags hindert. Bild entlarvt, dass die Ministerin nur gut dastehen will, anstatt ihre Pflicht zu erfüllen: „Fakt ist: Ohne jegliche Kontrollen würden auch die Zahlen illegaler Einreisen sinken – quasi wie von Zauberhand.“ Wer nicht nachschaut, findet auch nichts – auf diesen billigen Betrug am Volk fällt bei Bild niemand herein.

Stellvertretend für die Leserschaft bringt es Bild außerdem auf die Palme, wenn Politiker in diesem Zusammenhang trennen, was zusammengehört:

„KEIN Zusammenhang zwischen Messer-Angriffen und Migration – Aufregung um Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (51, CDU)! Im Bild-Talk ‚Die richtigen Fragen‘ sagte Rhein: ‚Ich würde das Thema Messerattacken und Sexualdelikte nicht mit dem Thema Zuwanderung und Migration vermischen.‘ FAKT IST: Der Bundesregierung zufolge wurden von der Bundespolizei 2022 insgesamt 209 deutsche Tatverdächtige registriert, die bei Straftaten ein Messer eingesetzt haben – dem gegenüber stehen 218 nicht deutsche Tatverdächtige. Davon kamen die meisten aus Polen, Syrien und der Türkei.“

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In der gleichen Woche fährt die Zeitung noch eine weitere Kampagne: Es geht mal wieder gegen „Abzock-Tank-Bosse“. Was bei den Grünen das „Verbieten!“ ist, ist bei den Mineralölfirmen die Gier, der der autofahrende Mensch ausgesetzt ist. Im Kommentar „Schämt euch, ihr Gier-Bosse!“ erklärt Bild die Frontstellung: „Das ist Geschäftemacherei auf Kosten von Millionen Bürgern, die jeden Euro derzeit zweimal umdrehen müssen... Das Auto ist für viele Deutsche oft die einzige Möglichkeit, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Für andere ist es Fahrzeug in die wohlverdienten Ferien. Oder einfach Freizeit-Mobil.“ Da ist er wieder, der Kern der Redlichkeit, die Pflichterfüllung rund um die Arbeit, die wenig einbringt außer dem Bedürfnis, sich von ihr zu erholen. Und – hier einmal expliziert und extra fett gedruckt – die entscheidende Verhimmelung davon: „Was es für alle ist: ein Stück Freiheit, Selbstbestimmung. Kurzum: ein Stück Lebensgefühl. Genau das machen die Gier-Bosse immer wieder aufs Neue kaputt.“ Auf der anderen Seite der Front präsentiert Bild das Metier der Öl-Konzerne als die Machenschaft „Geschäftemacherei“ und ihre Chefs als Ausplünderer, die sich aus purem Egoismus an der wohlverdienten Freiheit der Bürger vergehen.

Wie systematisch die Freiheit des Autofahrers – i.e. seine alltägliche Schlauheit, deren Preis bis auf die Stelle hinterm Komma auszunutzen – torpediert wird, erfährt man die Woche über Stück um Stück: „Irre Preis-Explosion am Morgen – So läuft die Preisabzocke gegen Pendler“. Auf einer ganzen Seite wird das, was jeder kennt, in einen haarklein dokumentierten Anschlag verwandelt. Anderntags erfährt man nicht bloß ganz persönlich: „So werden SIE an Autobahn-Raststätten abgezockt“, Bild dokumentiert auch von 8:02 Uhr bis 22:02 Uhr einen „Tag im Leben einer Ping-Pong-Tanke“ und lässt eine Verbraucher-Psychologin den höheren Sinn erklären: „Das Ziel ist, Autofahrer zu verwirren... Irgendwann sagt der Autofahrer: Hilft ja nichts, dann tanke ich eben jetzt.“ So besteht das gar nicht rätselhafte Gebaren der Konzerne wissenschaftlich beglaubigt recht eigentlich darin, den Autofahrern ihren Umgang mit den Preisen zu verunmöglichen. Der eintägige Selbstversuch: „Verflixt! Wie schwer ist denn billig tanken?“ mit seinen tausend Tücken verschiebt das Problem zielgerichtet noch weiter weg von den hohen Preisen und hin zum berechtigten Ärger darüber, beim Tanken nicht mehr Herr des Sparens sein zu können. „Tanken macht Sie wütend?“ Dagegen bewährt sich Bild mal wieder als Lebenshelfer, als Ratgeber des Proletariats in allen Lebenslagen und nennt den Lesern „fünf simple Wege, Spritpreise und Blutdruck an der Zapfsäule zu senken“. Die dokumentieren, dass es für Portemonnaie und Gemütszustand vor allem darauf ankommt, wieder vor die Lage zu kommen: „Ran an die Säule und vollmachen“, „Verlust minimieren“ und allen Ernstes – „so lästig das klingt“ – „Auto stehenlassen ist der beste Schutz gegen überhöhte Preise“. Dass er mit seiner selbstbewussten Anpassung an die steigenden Preise nicht bloß persönlich richtig liegt, sondern gemeinsam stark ist, steuert als „Schlusswort“ ein ADAC-Experte mit dem Übergang vom Singular zum Plural bei: „Der Autofahrer ist nicht wehrlos. Autofahrer haben in erheblichem Umfang Marktmacht“, auch wenn die gar nicht darin besteht, Preise diktieren zu können, sondern in der praktizierten Ohnmacht, gemeinsam „dann zu tanken, wenn es preisgünstig ist: zwischen 18 und 22 Uhr“. Am Ende ist Abwinken die letzte Option, die dem freien Bürger zur Verfügung steht – auch das noch angeleitet vom Redakteur im Selbstversuch: „Einen Teufel werde ich tun und mir von den Öl-Multis diktieren lassen, wann ich mir in dunkler Nacht den Arsch abfriere.“

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Jenseits dieser aktuellen Kampagne gibt die Bild permanent ihr Bestes gegen Abzocke an allen Fronten. Unter ihrer Führung ist das an und für sich total ohnmächtige Kollektiv der von der Macht des großen Geldes Betroffenen „stärker als ein Löwe... BILD kämpft für Sie!“ Seit 1971 – der Bedarf stirbt einfach nicht aus – schenkt die Rubrik dem Leser die Erkenntnis, dass der Kampf etwas bringt. Jedenfalls gegen Auswüchse der Art „So fies zockte O2 die demente Rentnerin Mathilde ab“. Nicht mit Bild und nicht mit denen, die auf einer halben Seite den Kampf von und für Mathilde noch einmal mitkämpfen.

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Auch beim alltäglichen Kampf mit den Lebensmittelpreisen lässt Bild die Leser nicht allein: „In Zeiten der Teuerkrise müssen wir alle sparen. Und wie ginge das besser als mit den größten Supermarktrabatten, die BILD auch heute wieder für Sie herausgesucht hat?“ Dass es ihnen notorisch an Geld fehlt, präsentiert Bild einfach als allgemeine Lage namens „Teuerkrise“, für die mit dem „Spar-Radar“ gleich die passende Hilfe zur Selbsthilfe bereitgestellt wird. Die weiteren Verbündeten in der Allianz sind die Discounter, die auf das große Geschäft mit den vielen kleinen Geldbeuteln spezialisiert sind. Die liefern nicht nur dem Radar die Ziele und werben in der Zeitung mit großformatigen Anzeigen, sie sprechen die Leser selbst im Gestus der Zeitung an: „Snickers-Eis wird zu teuer? Wir regeln das“ mit den Netto-Eigenmarken. Echtes Win-Win.

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Die Welt der Erwerbsarbeit, sonst in Versatzstücken auf diverse Artikel über Einzelschicksale verteilt, kommt am Sonntag einmal in komprimierter Form zur Sprache. Den Anlass bietet die Chefin der Arbeitsagentur, Nahles, die den jungen Leuten von heute mit ihrem „Arbeit ist kein Ponyhof“ vorwirft, Ansprüche an die Arbeit zu stellen. Wie richtig sie mit der Schelte der Jugend liegt, beweist die BamS mit dem Lebensbericht des Rentners Rudolf Dirnberger (94), den sie zu diesem Zweck ins Rennen schickt. Der hat eine Woche zuvor „im Artikel über die Ponyhof-Debatte gelesen, dass junge Leute keine harte Arbeit mehr machen wollen“ und vermeldet: „Die Einstellung kann ich nicht verstehen, Arbeit war immer mein Leben!“ In der Form des nüchternen Berichts über die zehn Stationen seines Arbeitslebens vermittelt die BamS, worauf es ankommt: Auf seinen Stolz, gearbeitet zu haben, seit er „gerade 14“ war – unter dem späten Hitler und dem frühen Adenauer war die Welt einfach noch in Ordnung. Er hat jeden Rückschlag – „im Winter konnte mich der Bauer aber leider nicht mehr gebrauchen“ – als Gelegenheit für sich genommen: „plante einfach um ... sah in der Landwirtschaft keine Zukunft mehr und wurde Straßen- und Deichbauer... ‚Kurz angelernt und dann ging’s los. Aber da kam nicht viel rum.‘ Nebenbei arbeitete er deshalb wieder in der Landwirtschaft.“ Vorbildlich seine gnadenlose Entschlossenheit, alle ihm abverlangten Härten als Auszeichnung zu begreifen: „Ich musste Basaltsteine aus Schiffen ausladen. Dabei habe ich mir alle Fingernägel ausgerissen. Hab schwere Eisenträger geschleppt. Es gab keine Kräne oder Maschinen. Alles Handarbeit... Ich musste jeden Tag morgens um drei Uhr aufstehen.“ Dann hatte er das Glück, noch rechtzeitig an „weniger mühsame“ Jobs zu kommen, um den Vorruhestand mit 59 erreichen und bis 68 ein Parkhaus betreiben zu können, vor allem aber zwischendurch auf Sylt „Arbeit – und 1946 seine große Liebe Annegret“ gefunden zu haben. Und heute? „Ein rüstiger Rentner, der viel erlebt hat. 2000 Euro Rente hat er im Monat“, genug für ein Apartment im Seniorenstift, „einfach aber gemütlich“. Im lockeren Ton präsentiert Bild ein Musterbeispiel eines gelungenen und erfüllten Lebens. Ein extremes natürlich, aber das verdeutlicht ja nur, dass es auf die richtige Einstellung zur Arbeit ankommt. Das darf der Mann am Ende sicherheitshalber noch einmal wiederholen: „Ich würde gerne in Schulen über mein Leben erzählen und den Kindern zeigen, dass Arbeit auch erfüllend sein kann. Ich war mit jeder Arbeit glücklich und stolz darauf.“

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Der unvermeidliche Wunsch, sich von der Drangsal der Arbeit zu befreien, schafft es derweil in Gestalt des sechsstelligen Hauptgewinns im Bild-eigenen Gewinnspiel „Cash-Call“ jeden Tag auf die Titelseite: Für die Teilnahme wirbt Bild mit der magischen Anziehungskraft der fettgedruckten Summe, die mal was ganz anderes möglich machen würde. Aber Bild wäre nicht Bild, wenn die erzieherische Leistung nicht in Richtung einer hochwertigeren Lehre gehen würde: Auch beim Glücksspiel kann man noch sein Schicksal in die Hand nehmen und die Maxime beherzigen, dass die Aussicht auf Erfolg mit der Bescheidenheit der Ziele steigt. Dafür entscheidet man sich einfach für das Gewinnspiel, in dem zwar nicht der Hauptgewinn, sondern nur kleinere Gewinne winken, die Erfolgswahrscheinlichkeit dafür aber ungemein höher ist. Vom erstrebenswerten kleinen Glück zeugen die täglichen Präsentationen ausgewählter Gewinner: „1250 Euro Cash holt sich Heidemarie Lehmann (79) aus Berlin ab! Die Rentnerin gewinnt erstmals und erklärt: ‚Davon stopfe ich erst ein paar Löcher und dann mache ich noch Urlaub!‘“, die andere spielt täglich und will von ihren 2000 Euro eine Wärmepumpe anschaffen, usw. Lauter Leute wie du und ich, die man da en passant ganz persönlich kennenlernt, auch besonders Hochanständige sind dabei: „Ich frage einfach meine Tochter, was sie sich denn so wünscht...“

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Ein Großteil der Themen, mit denen Bild den Lesern ein Bild von der Welt vermittelt, hat mit ihren materiellen Interessen rein gar nichts zu tun. Zum Beispiel werden sie seitenlang mit ganz persönlichen Geschichten meist prominenter Zeitgenossen unterhalten, nicht selten schon von der Titelschlagzeile beworben. Einmal lässt Bild unter der Überschrift „Reif öffnet seinen Kleiderschrank“ den hauseigenen Sport-Experten als Erstes an seiner Haustür „leicht knurrig“ fragen: „Was ist denn so spannend daran, dass jemand so viele Sakkos hat?“ Als Auftakt der eitel-bescheidenen Selbstdarstellung des Marcel Reif bleibt die Frage natürlich unbeantwortet. Ernst genommen müssten die klingelnden Kollegen antworten, dass sie dafür bezahlt werden, diese Belanglosigkeit auf einer ganzen Seite spannend zu machen: Der Leser soll teilhaben an einem Stück Leben des Prominenten mit dem Kleiderschrank von der Größe seines ganzen Schlafzimmers und den „auf Hochglanz polierten“ Markenschuhen „(lässt Marcel Reif gerne mal am Flughafen im Vorbeigehen machen)“. Auch so jemand mit dickem Kleiderschrank kann Vorbild sein: „Ich werfe nichts weg. Es passt ja noch alles... Meine Marke heißt Schnäppchen.“ Vorbildlich auch der bodenständige Anstand von Prominenten, wie anderntags bei Skifahrerfamilie Mittermaier-Neureuther: „Felix Neureuther über den Tod seiner Mama Rosi“, den die ganze Familie gemeinsam und total menschlich erlebt – „Wir waren auf alles vorbereitet, aber als es dann wirklich geschah, waren wir alle überfordert“ – und ganz im Sinne der Verstorbenen – „Mami fühlte sich ja nie als Superstar“ – im Rahmen einer kleinen Familien-Feier abwickelt wie unsereiner auch, „ohne Politiker, Prominente und Freunde“ mit zugehörigem Sicherheitspersonal. Vor dem Schicksal sind überhaupt alle gleich, auch bei Neureuthers muss das Leben weitergehen, auch „die Mama“ wollte, dass die Familie nach vorne schaut. Woran sich Felix auf vorbildliche Weise hält: „So engagiert sich Felix Neureuther“ und bringt Schulkindern in Garmisch das Skifahren bei, damit die nicht ständig mit dem Handy spielen. Unterhaltung ist aber auch ohne persönliche Nähe rein durch die Rolle des ideellen Richters über verdienten Erfolg zu haben. So verdienen die Stars von Borussia Dortmund zwar viel mehr als die Leser, aber auch unterschiedlich viel, und auch bei denen ist die Lohngerechtigkeit im Spannungsfeld von Betriebszugehörigkeit und Leistung zu hinterfragen. Wiederum viel näher dran an der fremden privaten Welt, in die er eingetaucht wird, ist der Leser automatisch im Fall der Reportagen über Durchschnittsmenschen. Zum Beispiel über das andere große allgemeinmenschliche Thema: „Nach 30 Spaziergängen wurde es Liebe – Viola & George über ihr spätes Glück und Sex im Alter“. Er hat seine vorherige Frau am Ende von 42 Jahren Ehe elf Jahre lang gepflegt und selbst eine Krebsbehandlung hinter sich – ein rührendes Schicksal, das jeden treffen kann. Da stiftet es Hoffnung, dass auf dem zentralen Feld des Glücks auch im Alter alles möglich bleibt: „Sich die Offenheit bewahren, mit anderen Menschen zu reden“, so einfach ist er zu haben, der „Schlüssel zum Erfolg“. Kann jeder schaffen.

Zum Alltag gehören auch die Ausreißer ins Traumatische und ins Traumhafte dazu. Auf der einen Seite „Deutschlands schlimmste Horror-Eltern – Was geht in Menschen vor, die ihr KIND in einem KÄFIG halten?“ Auch solche Abscheulichkeiten werden von Experten kundig ins vertraute Koordinatensystem eingeordnet: „Psychologe Dr. Albert Wunsch zu BILD: ‚Möglicherweise handelte der Stiefvater so, weil die Mutter schlecht über den Kindsvater gesprochen hatte. Denkbar, dass er die Tortur als späte Revanche am verhassten Rivalen sah.‘“ Auf der anderen Seite der Glamour der Superreichen: „Käpt’n Amazon sticht in See“. Bild nimmt den Leser detailversessen mit in eine Welt, in der die Yachten künstliche Badestrände und die Beiboote Garagen für die mitgeführten Sportwagen haben. Doch auch die Welt der Reichen und Schönen wird der Realität wieder angenähert. Dafür zitiert Bild die Tänzerin, die sich für den Playboy ausgezogen hat: „Jede Frau ist ein reiner Diamant. Wir sind die schönsten und alle gleich, wenn wir nackt sind.“

Mit der Präsentation zahlloser Schicksale, Skurrilitäten und Erfolgsgeschichten bringt Bild den Leser in den Genuss seiner Selbsteinordnung irgendwo in der gesunden Mitte dieser bunten Welt. Den moralischen Kompass, den Bild bei dieser Sorte Unterhaltung stellvertretend für die Leser ständig in Anschlag bringt, vermittelt das Blatt noch einmal in Kurzform mit der Rubrik „Gewinner und Verlierer des Tages“ auf Seite Eins. In drei Sätzen mit griffigem Abschlussurteil wird jeweils bestätigt, dass die einen Erfolg wirklich verdient haben, während andere bestenfalls ihren Misserfolg mit Anstand tragen: „BILD meint: Kopf hoch, jeder Cent zählt!“

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Und die Weltpolitik? Da bewähren sich die ausführlich eingeübten sittlichen Maßstäbe als Anleitung für den Leser, die klar verteilten Rollen selbst noch einmal zu verteilen, zum Beispiel am Weltfrauentag, den Bild auf ihre Weise begeht: Gut und Böse stehen sich gleich auf der Titelseite gegenüber. Auf der einen Seite: „Putins perverses LUXUS-LEBEN. Er mordet in der Ukraine – Seine Mätresse lebt wie eine Zarin.“ Auf Seite drei wird dann in einem ganzseitigen „Dossier enthüllt“, dass die schmucke rhythmische Sportgymnastin sich den „geschiedenen Opa Putin wohl um 2007“ erobert hat. Überhaupt, Geheimhaltung allenthalben, also total dubios, aber Bild schafft Durchblick: Wahrscheinlich ließ sich Putins vorherige Ehefrau schon wegen ihr scheiden, vielleicht sind sie jetzt verheiratet, Teil seiner „geheimen Familie“ sind ihre Kinder, „wohl alle von Putin gezeugt. Es seien bis zu vier, mindestens aber zwei“, wobei „die Umstände mysteriös sind wie bei einer Geheimoperation“, in der Schweizer Hebammen und eine Ärztin eine Rolle spielen, die ausgerechnet am Tag des Überfalls auf die Ukraine gestorben ist, „angeblich Krebs. Ihre Leiche wurde sofort eingeäschert.“ Das Luxusleben selbst kommt in Gestalt von völlig maß- und stillosem Protz („Bar mit Wasserfallwänden und Mosaikboden“, „Geschmackssache: Der Speisesaal in edlem Marmor“) mit wahnhaften Zügen (Zugang über „eigene Geheimgleise und einen getarnten Bahnhof“) vor, inklusive verschleierter Finanzierung mittels „Firmengeflecht mit alten Sowjet-Kumpels“. Auf der anderen Seite die gute Gegenspielerin, im „Foto des Tages“ direkt unter den Putins: Annalena Baerbock. An diesem Tag findet Bild „Deutschlands erste weibliche Außenministerin“ für ihre Botschaft mal richtig brauchbar. Die steigt gerade im exotischen „Herzen des Orients“ Bagdad „in prekärer Sicherheitslage“ für einen „wichtigen Besuch“ furchtlos und dem Wüstenwind trotzend aus dem Militärflieger. Über „Baerbocks Botschaft?“ ist mit „weiter großzügigen deutschen Hilfen“ alles Nötige gesagt. Weil der Leser es dank Bild gewohnt ist, den Einsatz für das Gute in der Welt, der ihn nicht weiter betrifft, kritisch darauf zu überprüfen, ob da nicht Geld verschwendet wird an welche, die es nicht verdienen, folgt die Klarstellung auf dem Fuße: „Das ist richtig und wichtig, denn die Stabilität dieses Landes ist in unser aller Interesse.“ Da fallen, passend zum Weltfrauentag, Feminismus und deutsche Macht auch für Bild toll zusammen: „Bärenstark, Frau Baerbock!“

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Ultimativen Durchblick und Lebenshilfe bietet schließlich die Gewissheit, dass letztlich alles Schicksal ist. Das verrät der regelmäßige Blick mit Bild in die Sterne:

„TAGES-TREND: Der Fokus liegt auf dem Geschäftlichen. JOB/GELD: Finanzielles lässt sich gut regeln. Sie kommen heute auch mit weniger Geld gut zurecht. LIEBE: Die Romantik kommt zu kurz. Mehr als ein Quickie zwischendurch ist nicht drin. GESUNDHEIT: Sie nehmen sich zu viel vor und setzen sich damit unter Druck. TIPP: Lassen Sie den Tag entspannt ausklingen.“ (Wassermann, 8. März)