Die deutsche Arbeiterklasse – nicht nur am 1. Mai
Ein Kampftag für Europa
2019 widmet der DGB seinen Tag der Arbeit einem Bekenntnis gegen Rechts und für Europa. Seinen Mitgliedern liefert er ein paar überzeugende Argumente für den fälligen richtigen Kampf, der in diesem Frühjahr ausnahmsweise nicht am 1., sondern am 26. Mai – an den Wahlurnen und für Europa – stattgefunden hat.
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Die deutsche Arbeiterklasse – nicht nur am 1. Mai
Ein Kampftag für Europa
2019 widmet der deutsche Gewerkschaftsbund seinen Tag der Arbeit der Anstandspflicht eines jeden guten deutschen Demokraten:
„Am 1. Mai zeigen wir klare Kante gegen Rechts und alle, die unser Land und Europa spalten wollen. Wir sagen Nein zu Intoleranz, Nationalismus, Rassismus und Rechtspopulismus.“ (DGB-Maiaufruf 2019: Europa. Jetzt aber richtig!)
Gegen ‚Rechts‘ zu sein und auch nicht ‚Rechts‘ zu wählen, versteht sich für den in den traditionsreichen Gewerkschaften organisierten Teil der Arbeiterschaft eigentlich von selbst, sollte man meinen. DGB und ver.di, sie werden es wissen, haben daran so ihre Zweifel und liefern ihren Mitgliedern ein paar überzeugende Argumente für den fälligen richtigen Kampf, der in diesem Frühjahr ausnahmsweise nicht am 1., sondern am 26. Mai – an den Wahlurnen und für Europa – stattgefunden hat.
„Wenn es die Europäische Union nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Die EU hat dafür gesorgt, dass wir in Europa seit Jahrzehnten in Frieden leben.“ (Ebd.)
Ein klares Bekenntnis nebst einem Argument, das jedem, der gerne lebt, nur einleuchten kann. Mit der Ermahnung, dass Frieden besser ist als die Alternative Krieg, haben ja schon Generationen von Politikern ungefähr alles von Heimatschutz bis Nachrüstung und Jugoslawien-Krieg zu rechtfertigen vermocht, was sie in Europa auf die Tagesordnung gesetzt haben. Der DGB vergisst auch nicht, die sonstigen erheblichen Vorteile
zu erwähnen, die Europa „für die Menschen“ gebracht hat – z.B. die schöne Reisefreiheit –; richtig scharf werden die Argumente für Europa aber dann, wenn er daran erinnert, was die Staaten, insbesondere Deutschland an Europa haben bzw. zu verlieren haben:
„Und auch wirtschaftlich profitiert Deutschland enorm von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union... Die Brexit-Abstimmung in Großbritannien und ihre Folgen haben gezeigt, wohin es führt, wenn diejenigen die Oberhand gewinnen, die Ängste schüren, aber keinerlei Konzepte für die Zukunft haben.“ (Ebd.)
Genosse Bsirske führt aus:
„Die deutsche Brexit-Partei, das ist die AfD. Sie will zurück zur D-Mark, raus aus dem Euro. Nur, wie irre ist das denn in einer Situation, wo die deutsche Volkswirtschaft der Hauptprofiteur der Euro-Zone ist? Der gemeinsame Währungsverbund mit Volkswirtschaften, die viel weniger produktiv, viel weniger wettbewerbsfähig sind als die deutsche, bewirkt einen günstigeren Wechselkurs, als ihn eine D-Mark hätte. Den deutschen Exporteuren bringt das eine Verbilligung ihrer Exporte.“ (ver.di-Mitgliederzeitung: Deine Stimme, Deine Wahl)
Ja genau, wie irre ist das denn? Die deutsche Volkswirtschaft verdient sich an unseren rückständigen Nachbarn auf deren Kosten dumm und dämlich – wie kann man da noch an Europa zweifeln?! Der Erfolg, den das deutsche Kapital in Europa gegen die anderen erringt, spricht für Europa, und wer etwas gegen diesen kosmopolitischen Erfolgsweg der Nation einwendet, hat nicht alle Tassen im Schrank. Statt solcher strunzdummen
und gemeingefährlichen
Verirrungen empfiehlt der Arbeiterinteressenvertreter Parteien, die sich den globalen Herausforderungen unserer Zeit
widmen. Die da wären: Klimawandel, Finanzkrisen, Flüchtlingsbewegungen, Terrorismus, Handelskonflikte
. Parteien, die im Namen dieser großen Gemeinsamkeiten ihren Führungsanspruch über Europa reklamieren, sind definitiv zur Wahl anempfohlen. Das süße Dilemma, wonach die europäischen Volkswirtschaften, die europäischen Staaten jede und jeder für sich allein zu klein sind, um angemessene Antworten auf die globalen Herausforderungen zu finden
(ebd.), kennt keine andere Fortsetzung als das anteilnehmende Bekenntnis zu Europa als dem deutschen Erfolgsweg. Für angemessene Antworten
braucht es eine angemessene Macht, über die nur ein vereintes Europa mit einer deutschen Führungsmacht verfügt – davon geht die Gewerkschaftsvertretung aus und dafür tritt sie ein, dafür ist ihr das logische Verhältnis von ‚global‘ und ‚klein‘ schließlich eingefallen. Kurzum: Ein proeuropäischer Nationalismus, der die deutschen Erfolge in der Konkurrenz um Geld und Macht in und mit Europa ins Feld führt, ist einfach das Stärkste, was diese Vereinsvorsitzenden in ihrem Wahlkampf gegen Intoleranz, Nationalismus, Rassismus und Rechtspopulismus
aufzufahren wissen.
Ihre gewerkschaftliche Berufung haben sie darüber nicht vergessen. Mit Blick auf ihre spezielle Klientel im großen Wahlvolk sind sie es sich schuldig, zu erklären, warum Europa sich auch für die Arbeiter und Angestellten in eben dieser Eigenschaft lohnt. Das geht notwendig etwas peinlich aus:
„Wir können frei in Europa reisen und arbeiten. Bei Arbeitszeiten, Urlaub, Mutterschutz und in vielen anderen Bereichen der Arbeitswelt schützt und erweitert die EU die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer... Trotzdem erleben immer mehr Menschen, dass in der EU die Interessen der Märkte oft Vorrang haben vor sozialen Belangen... [Wir brauchen] europaweite Standards für gute Arbeitsbedingungen statt Dumping-Wettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten mit prekärer Arbeit und niedrigen Löhnen. Wir brauchen mehr Tarifbindung in ganz Europa und armutsfeste Mindestlöhne in jedem EU-Mitgliedsstaat.“ (DGB-Maiaufruf)
Europa ist also auch deswegen so toll, weil es so scheiße ist, dass in diesem Europa noch so sehr viel für die Arbeitnehmer getan werden muss. Die gleichen Unternehmer, deren Erfolg gerade noch den Grund abgegeben hat, für Europa zu sein, treiben jetzt als die Märkte
ihr asoziales Unwesen auf dem Kontinent, vor denen ein Verein starker Gewalten sie schützen muss. Jedenfalls eigentlich schützen müsste – deren Standortkonkurrenz verlangt offenbar etwas anderes: Alle Forderungen, die unter der Überschrift Europa. Jetzt aber richtig!
zusammengetragen werden, zeugen davon, dass das Projekt Europa alles andere ist als das Arbeitnehmerparadies, das es sein sollte. Aber das macht nix, denn die miesen Arbeitsverhältnisse innerhalb der EU sprechen nicht gegen das real existierende Europa, sondern für das Bild einer eigentlich guten EU der sozialen Fortschritte, das der DGB auf seiner unverdrossenen Suche nach Helfern im Klassenkampf entdeckt hat und in dessen Namen man die wirklichen Gestalter des wirklichen Europa ermächtigen helfen soll.
Für diesen Fehler sollte man also am 1. Mai auf die Straße gehen. Der 1. Mai ist vorbei – der Fehler der Gewerkschaft hat Bestand.