Deutschland und seine Migration
Wenn es etwas gibt, worin Deutschland sich zu Beginn des Jahres 2025 einig ist, dann ist es das: Deutschland hat ein Migrationsproblem. In verschiedener Weise definiert, reden die Parteien, die Öffentlichkeit, das Internet davon, dass Deutschland „die Kontrolle über die Migration zurückgewinnen muss“, „die Kommunen überlastet sind“, eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ beendet werden müsse, das deutsche Volk „vor ausländischen Gewalttätern zu schützen“ sei usw. In jeder Beschwerde über die „unkontrollierte Masseneinwanderung“, in jeder Bekräftigung, Deutschland müsse die „irreguläre Migration in den Griff kriegen“, ist der Normalfall einer Migration unterstellt, die Deutschland als Subjekt betreibt, kontrolliert und fest im Griff hat: die reguläre, mit der sich die Bundesrepublik seit Adenauer zum Einwanderungsland gemacht hat.
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Deutschland und seine Migration
Wenn es etwas gibt, worin Deutschland sich zu Beginn des Jahres 2025 einig ist, dann ist es das: Deutschland hat ein Migrationsproblem. In verschiedener Weise definiert, reden die Parteien, die Öffentlichkeit, das Internet davon, dass Deutschland „die Kontrolle über die Migration zurückgewinnen muss“, „die Kommunen überlastet sind“, eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ beendet werden müsse, das deutsche Volk „vor ausländischen Gewalttätern zu schützen“ sei usw.
1. Deutschland greift auf die Bevölkerung der Welt gemäß seinem ökonomischen Bedarf zu
a)
In jeder Beschwerde über die „unkontrollierte Masseneinwanderung“, in jeder Bekräftigung, Deutschland müsse die „irreguläre Migration in den Griff kriegen“, ist der Normalfall einer Migration unterstellt, die Deutschland als Subjekt betreibt, kontrolliert und fest im Griff hat: die reguläre, mit der sich die Bundesrepublik seit Adenauer zum Einwanderungsland gemacht hat. Gemessen an ihrem Anspruch an den nationalen Kapitalismus befinden die deutschen Regierungen ihr Volk nämlich regelmäßig für zu klein. Als das deutsche Kapital schon wenige Jahre nach der Neugründung dieser Republik die einheimische Bevölkerung so erfolgreich für seine Akkumulation einspannte, dass diese Zeit als „Wirtschaftswunder“ gilt, sollte für dessen Fortsetzung das Kapital in der verfügbaren ansässigen Mannschaft auf keinen Fall eine Schranke seines Wachstums vorfinden. Dementsprechend hat sich die Politik vorausschauend darum gekümmert, dass für jedweden kapitalistischen Arbeitskräftebedarf nicht nur ausreichend Anwärter vorhanden sind, damit jede potentielle Geschäftsgelegenheit realisiert werden und einen Beitrag zum nationalen Reichtum liefern kann, sondern das auch gleich in einer Anzahl, die sicherstellen sollte, dass eine steigende Beschäftigungsrate nicht für steigende Löhne sorgt, die wiederum das Wachstum bremsen könnten – schließlich beruht dieses auf für das Kapital lohnender Beschäftigung. Die Lösung für diese beiden Seiten des Arbeitskräftebedarfs lag in der – zum Teil wunderbar jungen und armen – Bevölkerung anderer Staaten als Angebot zum Zugreifen bereit. Und Deutschland griff zu: Es verständigte sich in Anwerbeabkommen mit Italien, Griechenland, der Türkei, Marokko ... bis hin zu Jugoslawien darüber, dass diese Länder ihm Teile ihres Volks zur Benutzung überließen. [1] Die ‚ausländischen Arbeitnehmer‘ hießen zwar in Abgrenzung zum Dritten Reich nicht mehr ‚Fremdarbeiter‘. Sie wurden aber zunächst als genau das behandelt, untergebracht und von der Restgesellschaft ferngehalten. Das hatte den schönen Nebeneffekt, dass sie besonders erpressbar waren, also auch besonders billig und für jede Belastung einsetzbar, was zu ihrer Stellenbeschreibung gut passte.
An der ändert sich im Prinzip auch dann nichts, wenn heutzutage qualifizierte ‚Fachkräfte‘ mit nachweisbaren Deutschkenntnissen selbst eine Wohnung suchen müssen, statt in der Sammelunterkunft verstaut zu werden. Wenn der Arbeitsminister herumreist und Abkommen zur ‚fairen Einwanderung‘ abschließt, kümmert er sich ganz in der Tradition seiner Vorgänger prophylaktisch darum, dass deutschen Arbeitgebern stets überreichlich Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, damit sich jedenfalls die „demografische Lücke am Arbeitsmarkt“ nicht als Delle in der deutschen Konjunktur geltend macht. Auch an der aktuellen Definition eines ‚Mangelberufs‘, für den erleichterte Einreisebedingungen gelten, lässt sich ablesen, wofür Leute nach wie vor aus dem Ausland geholt werden: Wenn es gemäß der angestellten ‚Engpassanalyse‘ etwa zu wenig Arbeitslose pro offener Stelle gibt oder die Löhne im Berufsfeld zu stark ansteigen, wird es nach staatlicher Rechnung nötig, die Anzahl der Arbeitswilligen um Dazugekommene zu erweitern, damit für eine wohltuende Anpassung des Lohnniveaus der geschätzten Fachberufe gesorgt ist. [2]
Der Bedarf an ausländischen Kräften betrifft indes nicht nur die Jobs am unteren Ende der Berufshierarchie, auch wenn unqualifizierte Tätigkeiten in der Gebäudereinigung, dem Bau-, Gast- und Hotelgewerbe usw. nach wie vor einen bedeutenden Anteil des ‚Fachkräftemangels‘ ausmachen. Den entdeckt die Politik auch in ganz anderen Sphären: Handwerker, Lehrer, Hochschullehrer, Ärzte, Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Wissenschaftler, Führungskräfte... Wenn das deutsche Volk mal wieder zu klein ist für das, was der Staat von ihm will: die Bestückung eines nach seinen Maßstäben funktionierenden Bildungs- und Gesundheitswesens sowie deutscher Unternehmen, die sich in der globalen Konkurrenz um Innovation und Besetzung von Märkten durchsetzen, – dann kümmert er sich darum, die entsprechend qualifizierten Massen wie die Spitzenkräfte mit der Superqualifikation, bereits internationalen Erfolg zu verkörpern, aus dem Ausland zu besorgen. Unternehmen, die sich weltweit nach Managern und Experten umschauen, kriegen es da ziemlich leicht gemacht: Für Führungskräfte gibt es ohnehin einen eigenen Paragraphen bezüglich einer Arbeitserlaubnis; die Arbeitnehmerelite eine Etage darunter liegt in aller Regel auch über dem Mindestgehalt, das der Staat zur Bedingung für eine unkomplizierte Herholung und Anstellung erhebt, weil er bei einer Garantie der eigenständigen ‚Sicherung des Lebensunterhalts‘ davon ausgeht, dass diese Ausländer nur aus den richtigen Gründen ihren Weg hierher finden. Für den Durchblick bei den fachkräftehungrigen Unternehmen und gegen den schlechten Ruf, den Deutschland wegen seiner Bürokratie und einer mangelnden Willkommenskultur für solche Expats genießt, schafft die Politik Homepages, Kontaktstellen usw., auf dass die deutschen Unternehmen in der weltweiten Konkurrenz um die Spitzenkräfte besser dastehen mögen.
Stammen die Bewerber aus der EU, fallen sie wie alle EU-Bürger sowieso unter deren Personenfreizügigkeit – dank der in Deutschland seit Jahrzehnten kein Unternehmer bei der Befriedigung seines Arbeitskräftebedarfs eine Grenze an der Grenze hat. Deutschland hat es nämlich nicht nur geschafft, seine Marktbasis auf fast einen ganzen Kontinent auszudehnen, sondern eben auch seinen Zugriff auf das Arbeitskräftepotential vom Ingenieur bis zum Erntehelfer. Dessen Nutzen für Deutschland sichert die Politik stetig durch begleitende Maßnahmen, damit z.B. dank der ‚Entsenderichtlinie‘ die erwünschte, wachstumsförderliche Wirkung des Lohndrückens nicht in ein ‚Lohndumping‘ umschlägt, welches dann vorliegt, wenn einheimische Betriebe die Benutzung ihrer Arbeitskräfte zu den ortsüblichen Bedingungen nicht mehr lohnend finden, weil auswärtige Konkurrenten sie unterbieten. Den Besitzstand eines europäischen Arbeitsmarktes halten die deutschen Machthaber inzwischen für so selbstverständlich, dass sie ihn in einem Atemzug mit dem innerdeutschen Arbeitsmarkt nennen. In diesem Sinne gilt er ihnen allerdings gleichermaßen als zu beschränkt, als ungenügend für die Deckung ihres Bedarfs nach gesicherter Verfügung über ein wachstumsdienliches Arbeitskräftereservoir. Mit dem 2023 verabschiedeten ‚Fachkräfteeinwanderungsgesetz‘ richtet sich der Blick auf die ganze Welt: Die Einreise von mit einem Berufs- oder Hochschulabschluss qualifizierten Bürgern aus Drittstaaten außerhalb der EU in deutsche Arbeitsverhältnisse wurde erleichtert, diverse Überprüfungspflichten abgeschafft und Fristen verkürzt, insbesondere für Mangelberufe, aber auch für alle anderen. Eine ‚Chancenkarte‘, die nach dem Vorbild großer Einwanderungsländer für eine Mindestpunktzahl – Punkte gibt es u.a. für berufliche Qualifikation, Sprachkenntnisse, junges Alter – vergeben wird und zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland berechtigt, bietet den deutschen Bedarf als Gunst an, sich um den Dienst an ihm zu bewerben. Die ‚Westbalkanregelung‘ erlaubt ein jährliches Kontingent an Arbeitserlaubnissen ohne Qualifikationsprüfung für Bürger Albaniens und der Nicht-EU-Staaten des ehemaligen Jugoslawien, die im modernen Gastarbeitertum eine ihrer wenigen Perspektiven sehen, – und sollte zugleich die massenhaften Asylanträge ohne Erfolgsaussichten aus diesen Ländern beenden, indem den Reisewilligen das Angebot gemacht wird, sich auf Zeit für Deutschland nützlich zu machen. Usw.
b)
Die Anwerbeabkommen der Fünfziger und Sechziger waren einerseits gleich so gestrickt, dass die Ausländer als pure Arbeitskraft hergeholt wurden und aus ihnen auch nichts anderes werden sollte. Dazu sahen die Abkommen explizit eine ‚Rotation‘ vor: Deutschlands ‚Gäste‘ sollten nach maximal zwei Jahren zurückgeschickt und durch frische ausländische Kräfte ersetzt werden, damit sie hier gar nicht erst Fuß fassten. Sprachkenntnisse waren weder verlangt noch war ihre Vermittlung vorgesehen, und den doch arg fremden Türken wurde anfangs nicht erlaubt, ihre Familie mitzunehmen oder nachzuholen. Auch wenn die Rotation Geschichte ist – den Anspruch, an den Ausländern möglichst alles abzutrennen, was nicht unmittelbar zum verlangten Dienst an ihrem jeweiligen Arbeitgeber gehört, also auch auszuschließen, dass sie zu einer ökonomischen bzw. sozialen Belastung werden können, praktiziert die Politik auch heute: Für einen Großteil der Aufenthaltsstatus ist der Nachweis eines Mindestgehalts und ggf. der Nachweis einer Altersvorsorge verlangt; Visumstypen wie die ‚Chancenkarte‘ oder die ‚Einreise zur Anerkennung der Berufsqualifikation‘ erfordern ein Sperrkonto, auf dem der Migrant im Voraus einen Mindestbetrag für die Absicherung seines Lebensunterhalts in Deutschland hinterlegen muss, auf welchen er dann nur nach und nach Zugriff erhält; die ‚Westbalkanregelung‘ schließt aus, was sonst gilt: dass nach zwei Jahren durchgehender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Deutschland jede Arbeit ohne Zustimmung einer Behörde angenommen werden darf; viele Arbeitserlaubnisse verlangen eine Vorrangprüfung, die verhindern soll, dass Stellen mit Ausländern statt vorhandenen deutschen bzw. EU-Bewerbern besetzt werden usw. [3]
Zugleich war schon in den ersten Anwerbeabkommen festgelegt, dass die ausländischen Arbeitskräfte zumindest formell den deutschen Lohnarbeitern gleichgestellt sein sollten, was Lohn und Arbeitsbedingungen anging. Sie erhielten einen ordentlichen Arbeitsvertrag in zwei Sprachen und vom Betriebsrat meistens gleich ein Beitrittsformular der Gewerkschaft danebengelegt. Wenn sie in Deutschland waren, sorgten zwar die befristete Beschäftigungserlaubnis, die Massenunterbringung, die Sprachhürde und ihre Absicht, ganz viel Geld zu sparen, um es im Heimatland in ein Haus oder eine selbstständige Einkommensquelle zu stecken, für eine ziemlich weitgehende Isolation vom Rest der Gesellschaft, aber sie zahlten Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge, durften prinzipiell auch eine Wohnung mieten usw. Und weil die Arbeitgeber es unzumutbar fanden, alle zwei Jahre neue Arbeiter anlernen lassen zu müssen, wurde das Rotationsprinzip bald aufgegeben und dann sogar den Türken der Familiennachzug erlaubt. Damit standen lauter weitere Regelungen mit den Herkunftsländern darüber an, welche Sozialversicherungsansprüche wo geltend gemacht, welche Rechtsvorschrift jeweils angewandt, welche Zuständigkeit jeweils festgelegt werden sollte.
Dass Deutschland die Ausländer nicht bloß als Ergänzung seines Proletariats ins Land holt, sondern sie nach und nach auch in dieses integriert, zeigt sich schlagend, wenn Migranten den Job verlieren, dessentwegen sie hier sind. [4] Ihre Arbeitslosigkeit inkl. Bezug von Arbeitslosen- oder Bürgergeld macht der Staat für manche von ihnen zwar zum Grund, ihren Aufenthalt nicht zu verlängern; den größten Teil der Betroffenen definiert er jedoch, abhängig u.a. von der Dauer der vorhergegangenen Beschäftigung und der Art der Aufenthaltserlaubnis, ganz praktisch als Teil seiner arbeitenden Klasse, die er insgesamt als den permanenten hoheitlichen Betreuungsfall kennt und behandelt, der er ist: Er muss mittels Zwangskassen dafür sorgen, dass der Lohn, der einzeln die Wechselfälle einer Lohnarbeiterkarriere – Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit und das Ende des Erwerbslebens, das über das Erwerbsende hinausreicht – überhaupt nicht abdeckt, durch seine Umverteilung als alternativloses Lebensmittel der gesamten Klasse dauerhaft funktionieren kann. Wenn die ausländischen Arbeitskräfte in diese Errungenschaft auf Dauer eingemeindet sind, sind sie schon lange keine ‚Gäste‘ mehr. In ihrer Behandlung als umfassend sozialversicherte Arbeitskräfte, denen die gleichen Rechte und Pflichten zukommen wie dem restlichen deutschen Proletariat, erschöpft sich ihre Integration allerdings längst nicht. Dem gesamten Umfeld nicht nur der Arbeit, sondern des Lebens von Erwerbsbürgernaturen insgesamt trägt der Staat – nach und nach – entsprechend Rechnung, wenn er sich um den familiären Umkreis, [5] die Bildung, die kulturelle Einbindung usw. kümmert. In der Weisheit „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ ging die Moral dem Recht in dieser Frage noch voraus; sie drückte als Gebot des Humanismus aus, was die Politik an ihren ausländischen Objekten qua Recht anerkannt und nachvollzogen hat. [6]
Je mehr der deutsche Staat die ausländischen Bürger als Arbeitskräfte rechtlich integriert, umso mehr behandelt er sie also als insgesamt anzuerkennenden Teil seiner Bevölkerung. Wer sich über längere Zeit nicht nur auf dem Arbeitsmarkt bewährt, sondern sich auch abseits davon nichts zuschulden kommen lässt, erhält nach den Aufenthaltserlaubnissen schließlich eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Sollte er sich dann nicht nur als stets gesetzestreu erweisen, sondern auch noch den staatlichen Loyalitätsanforderungen genügen, erhält er sogar die Perspektive einer deutschen Staatsbürgerschaft. Mit der kommt er auf der höchsten Stufe der Integration an, auf der ihn rechtlich nichts mehr vom eingeborenen deutschen Volk unterscheidet.
2. An die staatlich initiierte Immigration heftet sich eine Zuwanderung, die Deutschland sich nicht bestellt hat
Die Erfolgsgeschichte hat für die BRD eine kleine Nebenwirkung. Gerade als das Zentrum kapitalistischen Wachstums, zu dem es Deutschland nicht zuletzt mit und durch seinen ausgreifenden Zugriff auf die human resources der Welt gebracht hat, zieht es das Interesse auch anderer migrationswilliger Massen auf sich. Solcher nämlich, die ihrerseits ihre Gründe dafür haben, aus der Heimat abzuhauen und ihr Glück anderswo zu versuchen, dazu allerdings nicht durch eine offizielle Einladung im Rahmen irgendeiner Verschickung oder Anwerbung ermuntert werden. Auch sie wissen um die Gelegenheiten des Geldverdienens, die sich hierzulande auch für fremdländische Zeitgenossen auftun, [7] sodass einige von ihnen beschließen, die Gefahren in Kauf zu nehmen, die eine eigenmächtige Zuwanderung über zumeist irreguläre ‚Routen‘ für sie bedeutet; und einmal angekommen berufen sie sich auf Rechtstitel, von denen sie sich gewisse Bleibeperspektiven versprechen können, auch wenn die für derartige Berechnungen überhaupt nicht gedacht waren.
a)
Das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), welche die juristische Basis für die eigenmächtige Zuwanderung nach Deutschland bilden, stammen aus Zeiten, in denen von einer massenhaft mobil gemachten Weltbevölkerung noch nicht die Rede sein konnte. Die 1951 verabschiedete GFK leistete ihren Beitrag zur Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, indem Millionen Kriegsflüchtlinge, die inmitten neu gezogener Staatsgrenzen für ein Ordnungsproblem sorgten, in geordnete Aufenthaltsstatus überführt wurden. [8] Und das 1949 im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl hatte eine eindeutige politische Schlagrichtung gegen den realsozialistischen Systemfeind – es erstreckte sich in seiner praktischen Anwendung lange auf die sehr überschaubare Anzahl von „politisch Verfolgten“ aus dem Ostblock, die es vermochten, hierzulande einen entsprechenden Antrag gem. Art. 16 GG zu stellen.
Beide Rechtstitel beschwören eine allgemeine Zuständigkeit Deutschlands in der Staatenwelt, und diese imperialistische Dimension dieser Rechte war und ist ihr politischer Sinn und Zweck: Deutschland behält sich vor, darüber zu richten, ob eine andere Herrschaft ihre Bürger korrekt behandelt oder politisch verfolgt, sich also als zu respektierende Schutzmacht, wie Deutschland eine ist, diskreditiert. Ebenso erklärt es sich für prinzipiell (mit)zuständig für die humanitären Nebenfragen der Weltordnung in Sachen Umgang mit Kriegsflüchtlingen und sozial, ethnisch bzw. religiös Verfolgten. Diese grundsätzlichen Vorbehalte und Einspruchstitel gegen andere Mächte in ihrem Umgang mit ihren eigenen wie mit fremden Völkern haben die praktische Nebenwirkung einer Relativierung des prinzipiellen Ausschlusses fremder Menschen vom hiesigen Territorium; sie durchlöchern die rechtliche Unüberwindbarkeit des grundlegenden Ein- und Auschlusskriteriums, nach welchem hierzulande nur derjenige anwesend sein darf, den Deutschland aus seinen Kalkulationen ins Land lässt. Denn mit dem Asylrecht nimmt der gepflegte Vorbehalt gegenüber anderen Mächten die Form eines allen auf deutschen Boden gelangten ausländischen Staatsbürgern zu gewährenden individuellen Grundrechts an. Sie können die Prüfung ihrer Schutzwürdigkeit in Anspruch nehmen, was ein juristisches Verfahren anstößt, das damit einhergeht, dass dem Antragsteller – mindestens – der zeitlich befristete Verbleib bis zur Klärung seines Schutzbedarfs bzw. seiner Schutzwürdigkeit ermöglicht wird.
Auch wenn keineswegs „die ganze Welt“ danach strebt, nach Deutschland zu ziehen: Schon der sehr geringe Prozentsatz unter den mobilisierten Armen und Elenden, die nicht nur bis ins jeweilige Nachbarland ziehen oder gleich die UN-Statistik der Binnenflüchtlinge bereichern, sondern die tatsächlich den Beschluss fassen und erfolgreich durchziehen können, bis ins Herz von Europa zu kommen, bewirkt, dass mittlerweile viel mehr und ganz andere Figuren das deutsche Asylverfahren durchlaufen als jene, für die es ursprünglich geschaffen wurde. Aus der sich daraus ergebenden Konsequenz, dass eine nicht bestellte Masseneinwanderung mit rechtlichen Einzelfallprüfungen auf individuelle Schutzansprüche abgewickelt wird, ziehen deutsche Politiker nicht erst seit ein paar Jahren den Schluss, dass ein derartiger Gebrauch des Asylrechts dessen massenhafter Missbrauch ist. Die Anwärter verletzten mit ihrer unerhörten Inanspruchnahme dieses ihnen von der edlen Hoheit verliehenen Rechts den herrschaftlichen Anspruch, dass der deutsche Staat das alleinig entscheidende Subjekt über Zuwanderung in sein Staatsgebiet zu sein hat. Das wird ihnen als ihre Eigenschaft vorgeworfen: Sie sind ‚irregulär‘.
Die offizielle Unzufriedenheit mit dieser Inanspruchnahme des Asylrechts hat – bislang – allerdings keineswegs zu dessen Abschaffung geführt: Es soll ja gar nicht davon abgelassen werden, an davongelaufenem Volk über fremde Herrschaften und deren Affären zu richten. Nur soll der dafür eingerichtete Rechtstitel eben in diesem Sinne wirken und darin auch irgendwie das Maß seines Gebrauchs finden, anstatt irgendwelchen Gestalten als Hebel für deren eigenmächtige Einreise zwecks langfristigen Verbleibs zu dienen. Schon lange – und immer wieder – hat sich für deutsche Politiker aus diesem beklagten Missverhältnis der Bedarf nach Asylrechtsreformen ergeben, welche die Masse der hier zu bescheidenden Antragsteller und ihre Erfolgsaussichten möglichst reduzieren sollten. [9] Die bedeutendste Anpassung, die ihrerseits den imperialistischen Sinn und Zweck des Asylrechts bestätigt, indem der mehr oder weniger unmittelbar in eine neue Rechtskategorie überführt wurde, stellt die Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1993 dar: Seither gibt es eine – stets bedarfsgemäß erweiterte – Liste an „sicheren Herkunftsländern“, bei denen die Bundesrepublik qua Parlamentsbeschluss keinen Zweifel daran lässt, dass die Berufung aus diesen Ländern kommender Antragsteller auf Verfolgung o.Ä. „offensichtlich unbegründet“ sein muss, weshalb sie von vornherein keine Chance auf Asyl haben, solange sie nicht das Gegenteil beweisen. Außerdem wurde damals der Standpunkt ins Recht eingeführt, dass eine Einreise nach Deutschland wegen der auf dem Landweg unvermeidlichen Durchreise durch lauter „sichere Drittstaaten“ die Zuständigkeit Deutschlands für eine Asylbewerbung eigentlich per definitionem ausschließt.
b)
Es bleibt aber dabei: Wer sich einmal bis hierher durchgeschlagen hat und den korrekten Antrag stellt, [10] dem steht ein Bescheid über seinen Schutzanspruch zu. Das nach allen Regeln des Rechtsstaates und der Verwaltungsbürokratie ausgestaltete Prüfverfahren überkreuzt sich dabei mit allerlei in ihrer Gewichtung auch wechselnden politischen Opportunitätserwägungen, was sich an sämtlichen Momenten des Verfahrens geltend macht.
Während des Verfahrens erhalten die Flüchtlinge für dessen Dauer eine Aufenthaltsgestattung und gelten, ihrem rechtlichen Sonderstatus entsprechend, als zu verwahrende Antragsteller ohne Arbeitserlaubnis. Sie erhalten zunächst Leistungen nach dem zuletzt 2024 verschärften Asylbewerberleistungsgesetz, das ihre Versorgung auf ein Existenzminimum begrenzen soll; erst nach 36 Monaten winkt für sie die sagenhafte Wohltat regulärer Sozialleistungen, um die die ganze Welt uns beneidet. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen sie in erster Linie Sachleistungen erhalten, denn die Freiheit des Geldes, die jeder noch so kleinen Summe innewohnt, soll ihnen möglichst nicht zu Gebote stehen. Dass die Betreuung der Flüchtlinge den Staat Geld kostet, weckt den Bedarf, sie doch zum Arbeitsmarkt zuzulassen; dem steht das gewichtige Bedenken entgegen, damit „Pull-Faktoren“ zu schaffen. Vereinbar sind diese Gesichtspunkte nicht, aber sie werden praktisch entschieden und in immer neue Verlaufsformen gebracht: So dürfen seit 2023 Asylbewerber in Erstaufnahmeeinrichtungen bereits nach sechs anstatt nach neun Monaten arbeiten, was obendrein ihre Integration erleichtern soll, die nach einem positiven Verfahren ohnehin ansteht. Wo keine Notwendigkeit der Eingemeindung absehbar ist, etwa bei Antragstellern aus sicheren Herkunftsländern, gilt dieser Gesichtspunkt nicht: über sie wird ein Arbeitsverbot verhängt. [11] In der Debatte zum Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge wird auch gern auf ein Problem verwiesen, das aus einer ganz anderen Ecke herrührt: Muss man bei allen harten Klarstellungen an das Elend der Welt, dass ein eigenmächtiges Hierherkommen sich definitiv nicht lohnt, nicht auch zugleich an unseren Fachkräftemangel denken? Gegen den wären schnelle Arbeitserlaubnisse und Deutschkurse auch für Flüchtlinge bestimmt hilfreich; andererseits stellt sich deren Integration in den Arbeitsmarkt bei negativem Verfahrensausgang allzu schnell als Abschiebehindernis dar... Als Königsweg präsentieren manche Politiker die Arbeitspflicht für Asylbewerber: Mit der ließe sich der Nutzen aktiv eingebundener Migranten möglichst einseitig gestalten, auch deshalb, weil die verpflichtend gemachte Arbeit auf alle Fälle so wenig Geld für sie abwirft, dass Überweisungen in die Heimat, aus denen die Emigration der restlichen Sippschaft finanziert wird, garantiert nicht infrage kommen. Nachteil: Auch das kostet – schon wieder –, denn der Verwaltungsaufwand für Zwangsarbeit ist hoch, Behörden müssen Arbeitsmittel stellen, Anweisungen geben und Stellen finden. Die Tatsache, dass eine wirksame Abschreckung durch demonstrative Schlechtbehandlung kostspielig ist, spricht wiederum eindeutig gegen die anwesenden Flüchtlinge, an denen man sicher noch andere Sparmaßnahmen durchführen kann, um sie für die Last, die sie uns bereiten, büßen zu lassen. Selbstverständlich folgen die überaus menschenfreundlichen Bedenken, dass solche Maßnahmen auf lange Sicht unpraktisch seien und mehr schadeten, als sie nutzten, auf dem Fuße.
Im Falle eines positiven Asylbescheids oder der Feststellung einer subsidiären Schutzberechtigung [12] winken ein „unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt“ sowie eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die bei bleibendem Schutzbedarf verlängert werden kann. [13] Nach drei bis fünf Jahren kann – bei nachgewiesenen ausreichenden Deutschkenntnissen, einer eigenständigen Finanzierung des Lebensunterhalts und sofern kein Widerrufsverfahren eingeleitet wurde – eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erworben werden. In den mit fortlaufend weniger Bedingungen umstellten Aufenthaltstiteln dieser Ausländer reflektiert der Staat ihre zunehmende Inkorporation in seine Bevölkerung; mit ihrer praktischen Einbindung in seine Erwerbsgesellschaft erscheinen ihm seine prinzipiellen Vorbehalte gegen sie zunehmend als dysfunktional. Die Achtung vor ihrer Rechtsnatur, wenn schon nicht als eigene Staatsbürger, so doch als irgendwie auch dazugehörende ausländische Mit-Bürger gebietet dann auch, dass ihnen nach dem Erwerb der Niederlassungserlaubnis diese sogar dann noch zusteht, wenn sie arbeitslos werden.
Auch mit einem negativen Bescheid ist oft nicht das letzte Wort gesprochen. Der Betroffene wird zwar ausreisepflichtig, aber vom tatsächlichen Vollzug dieser Ausreisepflicht durch eine Zwangsmaßnahme – die Abschiebung – kann unter Umständen zeitlich befristet noch abgesehen werden, wenn es „dringende humanitäre oder persönliche Gründe“ dafür gibt. Die zeitlich begrenzte Duldung gestattet dem Ausländer, sich in seiner nachhaltig ungewissen Bleibeperspektive noch eine Weile durchzuschlagen; wenn er es gestattet bekommt, weil er nach erfolgter Vorrangprüfung nachweislich keinem Deutschen oder EU-Bürger den Job wegnimmt, darf er nach einiger Zeit sogar eine Arbeit aufnehmen oder eine Berufsausbildung anfangen, die als eigener Duldungsgrund gilt. Da diese Subspezies ihren festen Platz im ausländischen Teil der Bevölkerung hat, gibt es immer mal wieder Vorstöße, manchen von ihnen doch noch die Perspektive einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis zu eröffnen, ohne damit neue ‚Pull-Faktoren‘ zu schaffen – zuletzt im Rahmen des ‚Chancen-Aufenthaltsrechts‘, das sich exklusiv an diejenigen richtet, die sich zum Oktober 2022 bereits seit mindestens fünf Jahren geduldet in Deutschland aufgehalten haben. Was die restlichen Ausreisepflichtigen angeht, wird sich umgekehrt um ihre möglichst geringe Einbindung in die hiesige Gesellschaft bemüht, damit nicht zu viele Ausreise- und Abschiebehindernisse entstehen; Arbeitsverbote, erweiterte Durchgriffsrechte der Abschiebebehörden (u.a. erweiterte/vereinfachte Durchsuchung von Unterkünften oder Mobiltelefonen und verlängerter Abschiebegewahrsam) sowie Supportangebote für die freiwillige Ausreise inkl. Handgeld, das auch humanitäre Bedenken von Gerichten zerstreuen hilft, sollen ihr Übriges dazu beitragen.
c)
Sobald sich Deutschland dazu entschließt, einen Migranten definitiv abzuschieben – und alle rechtlichen Einsprüche dagegen abschließend geklärt sind –, benötigt es die Kooperation rückübernehmender Staaten.
Das betrifft zum einen die europäischen Partner und Nachbarstaaten, die sich die humanitäre Last ungewollter Migranten wechselseitig zuschieben. In dem im Lichte dieser Machtfrage geschaffenen Dublin-Abkommen ist vereinbart, dass derjenige Staat, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betreten hat und registriert worden ist, für die Abwicklung des Verfahrens zuständig ist, was den Streit natürlich nicht beendet, sondern auf die nächste Ebene hebt und daneben die Praxis evoziert, Flüchtlinge unregistriert über grüne Grenzen weiterziehen zu lassen. Entsprechend wird mit ausufernden Grenzkontrollen und Grenzschließungen gedroht, welche nicht nur die nächsten europarechtlichen Streitfragen aufwerfen (und die erst kürzlich vereinbarte Reform des europäischen Asylsystems prekär erscheinen lassen), sondern auch die ökonomischen Errungenschaften des Schengen-Raums und der Arbeitnehmerfreizügigkeit gefährden, wobei manche deutsche Politiker davon ausgehen, dass die lieben europäischen Nachbarn unter deren Einschränkung im Zweifelsfall mehr zu leiden hätten als Deutschland selbst.
Zum anderen betrifft das sämtliche Nicht-EU-Länder (Drittstaaten), die ihrerseits nicht ohne Weiteres dazu bereit sind, ungewollte Migranten aus Deutschland auf- bzw. zurückzunehmen. Teilweise profitieren diese Länder ja sogar von der (irregulären) Anwesenheit ihrer Staatsbürger in Zentraleuropa, weil die Ausgewanderten, anstatt perspektivlos in der Heimat abzuhängen, mit ihren Rücküberweisungen an die Familie dem Land Devisen einspielen und/oder mit ihren Versorgungsleistungen Ersatzfunktionen des dort nicht ausgebauten Sozialstaats übernehmen. Was es also braucht, sind massive und eindeutige Anreize für die erwünschte Kooperation. Die Anwendung des sogenannten Visa-Hebels, also die Erpressung mit der Aussicht, der nationalen Elite die reguläre Einreise nach Deutschland bzw. Europa zu erschweren, hat sich da schon ab und zu bewährt; darüber hinaus stehen Angebote zur regulären Arbeitsmigration im Gegenzug zur Rücknahme unerwünschter Migranten hoch im Kurs, weil solche Abkommen in Dual-Use-Manier die Gesichtspunkte der regulären Migration mit denen der Abwicklung der irregulären zu verbinden versprechen. [14] Zugleich geht jede zwischenstaatliche Vereinbarung über die Rücknahme von Flüchtlingen und unerwünschten Migranten zwangsläufig mit einer diplomatischen Anerkennung des fremden Souveräns als mit seinen Schutzbefohlenen irgendwie rechtmäßig verfahrenden Staats einher, die längst nicht immer erwünscht ist; das Asylrecht verdankt sich ja gerade dem Bedürfnis, entsprechende Vorbehalte gegenüber anderen Herrschaften zu institutionalisieren. Im Zweifel ist da aber ein erfinderischer Pragmatismus angesagt, wie Deutschland ihn im Fall der afghanischen Flüchtlinge an den Tag legt: Deren Taliban-Regime findet die deutsche Regierung zwar nicht legitim und unterhält einstweilen auch keine offiziellen diplomatischen Kanäle zu ihm, afghanische Flüchtlinge abschieben will sie dennoch, gar „im großen Stil“ (Scholz), weil es darum geht, „die innere Sicherheit Deutschlands zu priorisieren“ (Faeser). Solange sie diesen süßen Widerspruch aufrechterhalten und nicht zugunsten einer förmlichen Anerkennung der Taliban-Regierung auflösen will, sorgt ein neues Migrationsabkommen mit Afghanistans nördlichem Nachbarn Usbekistan für Abhilfe: Vereinbart wird eine Anwerbung von jungen usbekischen Fachkräften (wie schön!) und im Gegenzug die Rücknahme von in Deutschland ansässigen Usbeken ohne Bleiberecht, die es praktisch nicht gibt, sowie ein „Passus zur Durchbeförderung ausländischer Straftäter“.
d)
Neben den Bemühungen um die Kooperation anderer Staaten für fällige Rückführungen praktiziert Deutschland das anspruchsvolle Ideal, dass die es umgebenden Staaten – ausgehend vom innereuropäischen Vorfeld über die europäischen Außengrenzen und darüber hinaus – sich von vornherein als Bollwerke zur Flüchtlingsabwehr bewähren sollen, damit gar nicht erst so viele Unbestellte ihren Weg hierher finden.
Die mit immer weiteren Mitteln ausgestattete Frontextruppe schützt inzwischen recht lückenlos das ‚Mare Nostrum‘, sodass mit zunehmender Gefährlichkeit der Seeweg seltener – jedenfalls immer seltener erfolgreich – ausprobiert wird. Die europäischen Südstaaten sollen den Schutz der EU-Außengrenzen im Sinne der Gemeinschaft möglichst erfolgreich erbringen und werden dabei – so viel humanitäre Rechtsstaatlichkeit muss sein – für ihren Gebrauch der dafür einschlägigen schmutzigen Methoden getadelt.
Darüber hinaus kümmert sich Deutschland eigenmächtig und im europäischen Verbund darum, dass an die EU angrenzende Drittstaaten, insbesondere die Nordafrikas, aber auch die Türkei oder Weißrussland, die Aufgabe des erweiterten Grenzwalls übernehmen und fremde Staatsbürger gar nicht erst passieren lassen, sie entweder zurück in die Wüste schicken oder irgendwo bei sich konzentrieren. Die rechtsstaatlichen Hindernisse im Umgang mit ungewollten Migranten stehen da nicht groß im Weg, da die Betroffenen gar nicht erst unter eine europäische bzw. deutsche Jurisdiktion fallen. Die Unterlassung dieser Dienstleistung deutet Deutschland je nach geopolitischer Nähe als „Waffe in der hybriden Kriegführung“ (Belarus) oder als eine Mischung aus Sturheit und Renitenz ziemlich komplizierter Partner (Tunesien). Auch ohne akute Störfälle werden laufend Bedenken gewälzt, ob sich die EU mit derartigen Vereinbarungen nicht in eine gefährliche Abhängigkeit von autoritären Staaten begibt, was in erster Linie vom Anspruchsniveau des europäischen Staatenbunds zeugt: Bei der Funktionalisierung von anderen Mächten für die eigene Flüchtlingsabwehr darf zugleich kein Stück der souveränen Freiheit gegenüber diesen Mächten verloren gehen. Entsprechend sollen derartige Deals nicht etwa gemieden, sondern ausgeweitet werden, um die Abhängigkeiten entsprechend zu diversifizieren, was inzwischen zu einer ganzen Reihe neuer Abkommen geführt hat. [15]
So sieht er aus, der Umgang des europäischen Schwerkraftzentrums mit seinen Migranten.
3. Migrationspolitik: eine politisch sehr produktive Zumutung
Mit ihrer sorgfältig bis ins Detail ausgearbeiteten Migrationspolitik leisten Europas regierende Nationalisten einen wesentlichen Beitrag zur Herstellung der modernen Weltbevölkerung – Weltbevölkerung nicht in dem trivialen Sinn einer nachgezählten Summe der Menschen, die die Welt bevölkern; vielmehr im Sinne des Widerspruchs, dass die nationalstaatlich sortierten, regierten und benutzten Völker der Welt zugleich von den weltpolitisch maßgeblichen Mächten grenzüberschreitend ökonomisch und politisch bewirtschaftet, ihre Regierungen zu Adressaten gewaltmäßiger Kontrolle zwecks kapitalistischer Ausnutzung gemacht werden. Indem diese Mächte im Interesse des Wachstums ihres Reichtums und ihrer Macht „den Grenzen das Trennende nehmen“, mischen sie die Menschheit auf; dazu gehört ihre Teilmobilisierung, die unter dem Titel ‚Migration‘ ihren Gang geht. Die wirkt auf die Bevölkerung der imperialistischen Nationen zurück; auch das nicht bloß im Sinne einer höheren Anzahl von Landesbewohnern, vielmehr in der widersprüchlichen Weise, dass die zuständige Staatsgewalt ihre angestammte Massenbasis, ihr eigenes Volk von Staatsangehörigen, um einen Haufen nicht staatsangehöriger Landesbewohner verstärkt, um ein Defizit an kapitalistisch nutzbarer menschlicher Verfügungsmasse auszugleichen. Worin hier der Widerspruch besteht, darüber geben die peniblen Regelungen der Migrationspolitik Auskunft: Als Gewaltmonopolist über einen zu erfolgreichem Kapitalwachstum verurteilten Wirtschaftsstandort findet der Staat seine eingeborene Stammbelegschaft zu klein; er vergrößert seine produktive Konkurrenzgesellschaft um Zuwanderer nach dem Kriterium des kapitalistischen Bedarfs; das ist die eine Seite. Das tut er in seiner Verantwortung für das Überleben seines Gemeinwesens in der imperialistischen Konkurrenz; also ganz entschieden nicht im Interesse der ausgesuchten Zuwanderer und ihres Bedarfs an Überlebenschancen, sondern als fürsorglicher Repräsentant seiner angestammten Bürgerschaft, als machtvolle Verwirklichung des – unterstellten – politischen Willens seines Volkes, als Erfolgsgarant der ausgreifenden Politik, zu der er sich von der Heimat, die er regiert, beauftragt weiß. Im Sinne dieses ‚nicht – sondern‘ unterscheidet er rechtlich zwischen sich als Herrschaftsgewalt, deren Legitimität auf dem als fix unterstellten Staatswillen seiner Citoyens beruht, dem allein er also verpflichtet ist, und seinem Regime über Leute, denen diese Identität als Teil des in ihm realisierten Volkswillens per definitionem abgeht, denen er von Haus aus also gar nichts schuldig ist. Dementsprechend scheidet er zwischen seinen heimischen Bürgern als seiner bedingungslos – bis zum Kriegseinsatz – verfügbaren Manövriermasse, deren Rechtspersönlichkeit und Handlungsfreiheit er ebenso bedingungslos garantiert, und den anderen, den Fremden, deren bloße Anwesenheit im Land der freien Rechtssubjekte schon eine Konzession ist, ein bedingt gewährtes, beschränktes, widerrufliches Recht.
Rechtlich und rechtstechnisch ist diese Unterscheidung ein lösbares Problem; das ist ersichtlich an dem Migrations- und Ausländeraufenthaltsrecht mit seiner Stufenfolge von der Versagung des bloßen Anwesenheitsrechts über diverse begrenzte Anrechte bis zur rechtsförmigen Aufnahme in die Volksgemeinschaft. Das Resultat ist eine Durchmischung der volkseigenen Stammbelegschaft mit Migranten unterschiedlicher Zulassungs- und Integrationsstufen, die im Alltag einer modernen Klassengesellschaft auch kein relevantes praktisches Problem sein muss. Die verantwortlichen Aktivisten einer imperialistischen Weltbevölkerungspolitik machen sich das aber nicht so einfach. Ihre Regierungstätigkeit verstehen und betreiben sie mit professionell falschem Bewusstsein als Erfüllung einer Betreuungspflicht, die ihren Inhalt zwar durch die Leistungsanforderungen und die massenhaften Drangsale ihres gepflegten nationalen Kapitalismus bekommt, deren Erfüllung sie aber nur den eigenen Bürgern schulden: Als deren Sachwalter zu agieren, ist für sie ja die Grundlage der Legitimität ihrer Verfügungsmacht übers eigene Volk. In diesem Sinn machen sie sich ein Gewissen aus jeder Staatsleistung, die sie den volksfremden Mitgliedern ihrer nationalen Konkurrenzgesellschaft zukommen lassen. Je nach zugestandenem Rechtsstatus schließen sie Migranten von der Teilnahme am Alltag der bürgerlichen Konkurrenz aus, behindern sie dabei, machen aus ihnen Sozialfälle der besonderen Art und stellen klar, dass jede Gunst, die sie gewähren, nach strengen Kriterien des Nutzens fürs heimatliche „Wir“ und „Uns“ vertretbar sein, also im demokratischen Meinungsstreit über die richtige Politik gerechtfertigt – oder widerrufen und abgeschafft werden muss.
Als Gegenstand der politischen Meinungsbildung ist diese Sache ganz besonders geeignet. Denn beim „Thema Migration“ geht es um sämtliche Gemeinheiten des kapitalistischen Konkurrenzgeschäfts, aber von Anfang bis Ende nicht um die, sondern um das Recht auf Teilhabe daran, als wäre die ein Segen, und zugleich auf Betreuung in den allfälligen Notlagen: ein Grundrecht, das den einen zusteht und den anderen im Prinzip überhaupt nicht. Diese Unterscheidung macht aus dem kapitalistischen Normalfall ein Privileg, das mit jedem noch so erbärmlichen Zugeständnis an Volksfremde quasi durchlöchert wird. So sehen es die Gesetzgeber, die sich beim Gesetzgeben entsprechend schwer tun; und in dem Sinn klären sie ihr Volk darüber auf, dass sie ihm hier zwar aus besten Gründen des nationalen Erfolgs in der Welt, aber dann doch eine Zumutung antun: die Beteiligung von Leuten an den Segnungen der bürgerlichen Freiheit – also an der Konkurrenz –, denen von Haus aus nicht einmal das selbstverständliche Recht auf Da-Sein zusteht, das im Grunde exklusiver Besitzstand der Einheimischen ist. Die bürgerliche Idiotie, die Härten der Konkurrenz, vom Arbeitsplatz bis zur Wohnungsnot, den Konkurrenten zur Last zu legen, bekommt so ihre bürgergemeinschaftlich-patriotische Stoßrichtung. Das – in demokratischen Wahlen aktivierte – staatsbürgerliche Selbstbewusstsein, mit der eigenen Staatsangehörigkeit höchstpersönlich die heimische Staatsgewalt zu repräsentieren, verfestigt sich mit Blick auf die Landesfremden zum – vor allem: beleidigten – „Herr im Haus“-Standpunkt.
In der BRD als imperialistischer Führungs-Demokratie sind hier alle möglichen Varianten im Angebot: vom paternalistisch wohlwollenden Standpunkt weltbürgerlicher Aufgeschlossenheit, der sich gerne mit dem Materialismus des national-kapitalistischen Bedarfs an Arbeitskräften und der notwendigen Schließung einer demographischen Rentenfinanzierungslücke rechtfertigt, über die These von der Migration als „Mutter aller Probleme“ (ein deutscher Innenminister), die jedes konkurrenzgesellschaftliche Elend zum Argument für patriotische Borniertheit veredelt, bis zur hemmungslosen Sorge um die von Überfremdung bedrohte biodeutsche Volksnatur. Und was die Profis der Politik ins mitdenkende Volk hineinrufen, das schallt, gerne ausländerfeindlich vergröbert, als Echo aus dem heraus: Für die Macher und Erklärer der nationalen Migrationspolitik eine Gelegenheit mehr, sich als Anhänger ihrer Anhänger in Szene zu setzen.
In diesem Sinn haben vor allem Deutschlands rechte Oppositionsparteien im Wahlkampf 2025 die Migration als unwidersprechliches Werbeargument für sich genutzt; die CDU, ihrem Namen gemäß, auf moralisch besonders hochstehende Weise. Deren Chef hat es in seinem zarten Gewissen einfach nicht mehr ausgehalten, auch nur einem einzigen Asylsuchenden die Chance auf ein Asylgesuch zu lassen und irgendwelchen noch nicht vollständig integrierten Zuwanderern den Nachzug von Familienangehörigen zu gestatten, nachdem in vier Fällen zugewanderte Fanatiker resp. Verrückte tödliche Anschläge verübt haben. Der kühne Zusammenschluss von Anlass und Konsequenz erklärt sich aus der Logik abstrakten Denkens im Dienst fundamentalistischer politischer Moral: hoch abstrakt die Identifizierung von Täter und ausländerrechtlich definiertem Bevölkerungsanteil; hergestellt allein über die Gemeinsamkeit, zugewandert zu sein; konstruiert unter Absehung von Inhalt und Zielsetzung der Tat auf der einen, von jeder näheren Bestimmung der unter ‚Migration‘ angesprochenen Menschenmassen auf der anderen Seite; eine Konstruktion, deren Haltlosigkeit nur noch bestätigt wird durch das Hilfsargument: wären die Täter nicht (mehr) da gewesen, wäre auch ihre Tat unterblieben; immerhin Anlass für eine lebhafte Debatte über die Schuld daran, dass es den Täter glatt noch gegeben hat. Höchst moralisch die unmissverständlich gemeinte Botschaft: Nichts beweist die bedingungslose Parteinahme für das deutsche Volk, nämlich für dessen unbedingtes Recht auf vollkommenen Schutz durch die öffentliche Gewalt besser als die bedingungslose praktische Ausgrenzung derer, denen dieses Recht nicht von Haus aus und von Geburt an zusteht; nichts macht diesen Beweis glaubwürdiger als die Opfer, deren „Unschuld“ die Frage verbietet, was die verübte Untat mit dem Zuwanderungsschicksal ganz vieler Landesbewohner zu tun hat, sodass sie denen ungefragt nachgesagt werden kann. Und nichts macht einen Politiker vertrauenswürdiger als das Bekenntnis, für seine Beweisführung keinen relativierenden „Blick nach rechts oder links“ zuzulassen. Damit jedenfalls hat der CDU-Mann auf seine Art, exemplarisch, den Wahlkampf geprägt. Mit Erfolg: Eine absolute Wählermehrheit hat dem politischen Willen Recht gegeben, das deutsche Volk von der Zumutung zu befreien, dass es nicht bloß deutsch, sondern selbst ein Stück Weltbevölkerung ist.
Was auch immer praktisch daraus folgt – eine Handvoll neuer christlich-liberal-sozial-demokratischer Gemeinheiten gegen Volksfremde wird es schon geben. Ansonsten werden ganz andere Anforderungen an den europäischen Imperialismus deutscher Nation ganz schnell sehr viel wichtiger...
[1] Das erste Abkommen, das mit Italien, wurde von Sonderminister Strauß explizit damit begründet, dass man damit die deutschen Gewerkschaften in ihren Forderungen nach Lohnerhöhungen bremsen wollte. Wirtschaftsminister Erhard war das Abkommen nicht weniger wichtig: Er fürchtete um den Erhalt Italiens als Abnehmer der immer reichlicheren Produkte des deutschen Wunders und sah in der Beschäftigung von italienischen Arbeitern eine Möglichkeit dafür, dass Italien seine Zahlungsbilanz gegenüber der BRD so weit würde ausgleichen können, dass es als Versilberer deutscher Profite nicht ausfallen würde. Nicht umsonst wurde den Gastarbeitern die Überweisung ihres Lohns bis zur vollen Höhe ins Heimatland erlaubt.
[2] In Sachen zwischenstaatliche Abkommen schafft die Politik mit ihren bilateralen ‚Migrationspartnerschaften‘ inzwischen auch eine Verknüpfung von erleichterten Einreise- und Arbeitserlaubnisbedingungen damit, dass die Partnerländer bei der Rücknahme derjenigen ihrer Bürger kooperieren, die irregulär nach Deutschland gekommen oder in Deutschland geblieben sind und abgeschoben werden sollen. Ein solches Abkommen hat die BRD etwa 2022 mit Indien abgeschlossen, um u.a. Informatiker, auch ohne formellen Abschluss, dafür mit hinreichend praktischer Berufserfahrung, zu gewinnen.
[3] Ausnahmen bestätigen das Prinzip, z.B. werden Vorrangprüfung und Erlaubnispflicht, manchmal sogar die Nachweispflicht über die Sicherung des selbstständigen Lebensunterhalts ausgesetzt bzw. abgeschafft, wenn es eben dringend Softwareentwickler braucht und die Unternehmen beklagen, dass ihnen diese durch komplizierte Verfahren vorenthalten würden. Auch die Verlängerung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen und andere Komplikationen eines migrantischen Arbeitslebens werden dann als störende Hindernisse ins Auge gefasst, wenn sie einer funktionalen Verwendung der Leute entgegenstehen.
[4] Zu einem Berufsleben in ziemlich vielen Abteilungen der deutschen Arbeitswelt gehören quasi natürlich, jedenfalls für Arbeitsmarktpolitiker selbstverständlich, Zeiten der Arbeitslosigkeit, ebenso wie niedrige Löhne, von denen Familien nicht leben können. Wo das allgemein gilt, da gilt es eben auch für die Migranten, bzw. für die erst recht: Immerhin wurden und werden viele von ihnen für die „Unterschichtung des Arbeitsmarkts“ geholt, also in den untersten Lohngruppen beschäftigt und bei Beschäftigungsrückgängen als Erste wieder aussortiert.
[5] Wen der Staat als permanenten Bestandteil seiner Bevölkerung akzeptiert, dem gesteht er zu, Teil eines familiären Zusammenhangs zu sein, wie er ihn als Gemeinschaft für das Zurechtkommen rechtlich verbürgt und als sittlichen Verband in seinem Land wertschätzt. Deshalb gestattet er, detailliert geregelt, den Familiennachzug.
[6] Dass der deutsche Staat sich nach und nach praktisch dazu durchgerungen hat, die hergeholten Arbeitskräfte als Teil der Bevölkerung zu behandeln, ist – wie sollte es auch sonst sein – das Resultat politischen Streits; Vorbehalte gab es jedenfalls genug: So mahnte Brandt 1973 an, „daß wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten“, 1974 tat sich anlässlich einer Kindergeldanpassung ein Steuerexperte der SPD mit der Befürchtung hervor, „daß vom deutschen Kindergeld für einen einzigen Türken ‚ein ganzes Dorf da unten lebt‘“, während andere daran erinnerten, dass der Nachzug all dieser Kinder noch viel unerwünschter sei. Dasselbe ‚Argument‘ wird heute für die Forderung in Anschlag gebracht, das Kindergeld für Arbeitnehmer aus Rumänien oder Bulgarien zu ‚indexieren‘, also nach unten an die dortigen Lebenshaltungskosten anzupassen. Wo sich dann einmal wirklich auf „Integration“ geeinigt wurde, wird sie als Bringschuld der Einwanderer verhandelt, z.B. in Form der Integrationskurse, die mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 eingeführt wurden. Auf die haben die ausländischen Arbeitskräfte und ihr familiäres Umfeld nicht nur ein Recht, sondern zu ihnen sind sie auch verpflichtet.
[7] Dazu gehört auch die Tatsache, dass in Zielländern wie Deutschland oftmals schon entsprechende ausländische Communitys existieren, was den neu Zugereisten das Ankommen erleichtert.
[8] Die GFK war zunächst auf den Schutz der europäischen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkt. Erst im Lichte der Dekolonisierung und als Beitrag zur Eingemeindung der neu gegründeten afrikanischen und asiatischen Staaten in die westliche Weltordnung wurde diese Beschränkung 1967 aufgehoben – zu einer Zeit, in der noch keine nennenswerte Massenmigration von Flüchtlingen in die kapitalistischen Zentren zu verzeichnen war.
[9] Die Liste entsprechender Vorstöße, auf die Gewährungspraxis durch Verfahrens- und Gesetzesänderungen gestalterisch Einfluss zu nehmen, ist lang. Nicht selten wurden sie von höheren Gerichtsinstanzen im Nachhinein mit Verweis auf das deutsche Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta oder internationale Rechtstitel, denen Deutschland sich verpflichtet hat, wieder kassiert.
[10] Selbst schon ein Rechtsakt mit gewissen Tücken, die Grenzschützer auszunutzen wissen: Wer etwa an der Grenze auf Nachfrage angibt, in Deutschland arbeiten zu wollen, hat damit implizit der Absicht des Stellens eines Asylantrages als Einreisegrund widersprochen, kann also grundrechtskonform zurückgeschickt werden. Usw.
[11] Auch für ursprünglich über einen anderen EU-Staat eingereiste Flüchtlinge, die gemäß den Dublin-Regeln von Deutschland in diesen zurückgeschickt werden sollen, weil eigentlich der für das Asylverfahren zuständig ist, verbietet sich der Gesichtspunkt der Integration. Entsprechend werden für sie eigene Einrichtungen mit ihren eigenen Herbergsregeln eingerichtet: Statt Sachleistungen plus Taschengeld gibt es z.B. in Eisenhüttenstadt für Abschiebekandidaten nach Polen „Bett, Brot und Seife“. Laut der scheidenden SPD-Innenministerin Faeser soll es solche Dublin-Zentren bald in allen Bundesländern geben.
[12] Dieser Fall ist wesentlich häufiger als wirklich positive Asylbescheide: Trotz Ablehnung des Asylantrags wird ein Recht auf subsidiären Schutz erteilt, weil dem armen Tropf im Herkunftsland „ernsthafter Schaden“ wie etwa die „Todesstrafe“, „unmenschliche Behandlung“ oder „willkürliche Gewalt“ droht. Dann kann der deutsche Staat es mit seiner Achtung der Grundrechte eines jeden Menschen auf seinem Hoheitsgebiet und mit seiner Unterschrift unter die Europäische Menschenrechtskonvention nicht vereinbaren, ihn aktiv dorthin zurückzuschicken.
[13] Da hier wirklich nur der Rechtsanspruch auf Schutz geprüft wird, kommt es immer wieder zu Konstellationen, die der gesunde deutsche Menschenverstand partout nicht verstehen will: Arbeitslose Islamisten dürfen bleiben, während Bäckerlehrlinge, die ihre Bereitschaft zur schlecht bezahlten, dafür aber beschissenen Arbeitszeit bewiesen haben, insofern doch gut zu uns passen, abgeschoben werden sollen.
[14] Neben der schon in Teil 1 erwähnten, bereits vereinbarten Migrationspartnerschaft mit Indien sind ähnliche Deals mit Georgien, Moldau, Kenia, Kirgisistan, Marokko und den Philippinen anvisiert. Die Ampelregierung hat 2023 eigens das Amt des Sonderbeauftragten für Migrationsabkommen geschaffen.
[15] Marokko etwa bewährt sich mit entsprechender finanzieller Unterstützung zwar recht verlässlich als Abwehrwall von Migranten, verlangt dafür aber die europäische Anerkennung seiner Hoheit über die Westsahara. Das Abkommen mit Tunesien scheiterte 2023 fast daran, dass der Streit um Umfang und Konditionen von Finanzhilfen mit Kritik am Führungsstil der tunesischen Regierung einherging. Im Post-Gaddafi-Libyen findet die EU nicht den ‚einen‘ Ansprechpartner vor, sondern arbeitet sich in Gestalt Italiens an den verschiedenen Bürgerkriegsfraktionen ab, die es für die Flüchtlingsabwehr einspannt. Ägypten bewährt sich zwar weitgehend als Bollwerk, ist aber selbst zunehmender Migration aus der Region ausgesetzt, die es gefälligst aushalten und keinesfalls weiterreichen soll. Dafür soll es über die kommenden Jahre mit massiven Finanzhilfen ausgestattet werden und bekommt eine strategische Partnerschaft in Aussicht gestellt, was sogleich Bedenken weckt, ob die verwahrten Migranten dann nicht erst recht als Druckmittel im Verhältnis zu Brüssel funktionalisiert werden könnten. Und so weiter.