Vom konservativen Antreiber der alten BRD zur störrischen Regionalpartei im neuen Deutschland
Die CSU und ihr Seehofer – zwei bayrische Karrieren
Merkels Innenminister repräsentiert einen Abstieg eigener Art. Seiner stolzen Regionalpartei ist der große kommunistische Feind dies- und jenseits der Mauer und damit die Rolle des konservativen Vorreiters und imperialistischen Scharfmachers in der Republik unwiderruflich abhanden gekommen. Bei aller betont landsmannschaftlichen Angeberei mit Bayerns einzigartigen Leistungen, ist der abtretende Vorsitzende trotz seiner langen Karriere mit vielen Ministerposten mehr die Karikatur der Ansprüche, die mit dem Vorsitz des CSU-Vereins verbunden waren, der inzwischen auf die Rolle eines störrischen Regierungspartners zurechtgestutzt ist. Von Strauß zu Seehofer: Die Geschichte des Niedergangs bayrischer Ambitionen für Deutschland.
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Länder & Abkommen
Vom konservativen Antreiber der
alten BRD zur störrischen Regionalpartei im neuen
Deutschland
Die CSU und ihr Seehofer – zwei
bayrische Karrieren
Im Herbst 2018 stürzt die CSU bei den bayrischen Landtagswahlen auf einen Stimmenanteil von 37,2 Prozent ab. Das stellt für eine Partei, die seit den Fünfzigerjahren, abgesehen von einem Ausreißer im Jahr 2008, absolute Mehrheiten eingefahren hat, nicht weniger als eine demokratische Katastrophe dar. Hauptverantwortlich für den Verlust des angestammten Rechts auf Alleinregierung in München, da sind sich die christlichen Parteigenossen unter Führung eines neuen Chefs schnell einig, ist ihr alter Vorsitzender und Ministerpräsident Seehofer, jetzt noch Innenminister der Großen Koalition in Berlin. Der wird folglich so druckvoll aus dem Amt gedrängt, dass er es unter lauten Respektsbekundungen seiner Partei ganz freiwillig zu Anfang des Jahres 2019 aufgibt. Das ist auch dringend nötig, schon um die Gleichung zwischen dem Niedergang der Partei und der Personifizierung dieses elenden Abstiegs zu dementieren.
Nach dieser gesunden demokratischen Abstoßungsreaktion
tut sich die CSU zum Zweck des Erhalts der
Regierungsmacht mit einer kleinen konservativen Kommunal-
und Regionalpartei unter Führung eines rotbackigen
Bauernschlaubergers zusammen. Und steht zunächst
jedenfalls mit Figuren wie den bundesweit anerkannten
Unsympathen Söder, Dobrindt, dem Dieselschützer Scheuer
und ihrem stark abgeschmolzenen Beitrag zu einer
Unionsmehrheit in Deutschland auch nicht viel glanzvoller
da als die Inkarnation ihres Niedergangs, ihr
Ex-Vorsitzender und Innenminister auf Abruf. Sie freut
sich jedenfalls erst einmal darüber, dass sie
weiterregieren darf, und über die Karriere eines
unauffälligen Parteimannes im parlamentarischen Abseits
von Brüssel, die jetzt bis zur Kandidatur für die
Nachfolge des Kommissionspräsidenten Juncker geführt hat,
und darüber, wie viel Glanz auf die CSU abstrahlt
.
Seehofer und der Maßstab eines großen Erbes
Das ist einerseits verständlich angesichts des hohen
Amtes, andererseits sehr bescheiden für eine Partei, die
seit der Frühgeschichte der alten BRD den damals von
Franz Josef Strauß verkörperten Anspruch erhebt, mit
ihrer erfolgreichen Politik in ihrem Bayern selbst ein
strahlendes Beispiel für den Rest des Landes zu sein und
von einem entschieden konservativen Standpunkt die
Republik voranzutreiben. Deshalb übernimmt der
erzkonservative Bayernverein kaum zehn Jahre nach
Kriegsende mit Strauß an der Spitze eine Vorreiterrolle
in der Bonner Republik, die da schon im Kalten Krieg
steht, sich von Anfang an und jahrzehntelang von linken
Umtrieben im Inneren bedroht sieht und Bayern als
Heimstatt antikommunistischer Scharfmacher und Motor des
imperialistischen Wiederaufstiegs Deutschlands unbedingt
braucht. Jeder CSU-Vorsitzende seit Strauß versteht sich
seitdem als Erbe dieser für Deutschland so wichtigen
Hinterlassenschaft, der die CSU ihre Sonderstellung
verdankt – Franz Josef Strauß ist der Vater des
Erfolges für die CSU, für Bayern, für Deutschland
(Seehofer zum 30. Todestag im Herbst
2018) –, sodass auch Seehofer mit seiner ganzen
politischen Laufbahn als Parteivorsitzender,
Ministerpräsident und Minister unter Kohl und Merkel
nicht nur für sich, sondern für die Fortführung der alten
Erfolgsgeschichte der Strauß-CSU steht. Das aber unter
ziemlich veränderten Umständen: In einer „multipolaren“
Welt, in einem größeren, vom Merkelismus
sozialdemokratisierten Deutschland mit einer rechten
Alternative nicht nur für Deutschland, sondern auch zur
CSU. In diesem veränderten Deutschland will und muss sich
Seehofer an den hergebrachten Ansprüchen der
Strauß-Partei messen lassen und muss sich heute bei aller
bayrischen Angeberei – Beschäftigungswunder,
Hightech-Standort, das reichste Bundesland
Deutschlands, dem, wenn es nach dem
Länderfinanzausgleich geht, halb Deutschland gehört
...
– als Person und Amtsinhaber auch den
Abstand vorhalten lassen, den er gegenüber der
„Ära Strauß“ eben auch repräsentiert. Und der wird
überdeutlich, wenn Seehofer behauptet, die Partei sei
noch immer Taktgeber in vielen Fragen
und
„Schrittmacher in Berlin, der die Richtung
vorgibt und voranschreitet“, und damit selbst
ziemlich verwegen Maß nimmt an Verhältnissen, in denen
vor Jahrzehnten die CSU und ihr Anführer Strauß
tatsächlich den nationalen Weg vom Kriegsverlierer zum
aufstrebenden Juniorpartner des antisowjetischen Westens
entscheidend mitbestimmt haben. Strauß kümmert sich zu
seiner Zeit mit seiner bayrischen Hausmacht im Rücken
ganz selbstverständlich um die von ihm als Existenzfragen
der neuen BRD ausgemachten Aufgaben der gesamten Nation
und streitet als Bundesminister für Atomfragen
schon Mitte der Fünfzigerjahre politisch für den Aufbau
einer nationalen Atomwirtschaft und kurz nach dem
verlorenen Krieg schon wieder für imperialistische
Weitsicht, wonach er es keinesfalls zulassen kann, dass
wir „darauf verzichten [ohne deutsche AKW]
in Zukunft zu den führenden Nationen gezählt zu
werden“.
Wenn Seehofer 2004 mit Merkel streitet, geht es um so
Sachen wie die „Kopfpauschale“ als Finanzierungsmethode
der gesetzlichen Krankenversicherung; und wenn er dann,
weil er die Pläne „unsozial“ findet, von seinem damaligen
Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der
Unionsfraktion zurücktritt, schafft es das Ereignis kaum
in den Rang einer Fußnote der Geschichte und macht schon
wieder den Unterschied solch späterer Kollisionen im
Kampf der CSU um Einfluss auf den Gang der Republik zu
den früheren deutlich: Der im Rahmen eines Großskandals
stattfindende Rücktritt des
Verteidigungsministers Strauß erschüttert Anfang
der Sechzigerjahre monatelang die Bonner Republik. Der
CSU-Minister betreibt da gerade den Aufbau der Bundeswehr
und dabei auch deren atomare Bewaffnung im Rahmen der
NATO. Laut Selbstauskunft in einem späteren Interview
sieht er sich damals im Interesse der deutschen
Verteidigungsfähigkeit gezwungen, auch jenseits
der Legalität gegen landesverräterische
Spiegel-Journalisten vorzugehen, die die neue Wehrmacht
der Deutschen tatsächlich für nur – so der damalige
Aufmacher des Spiegel – bedingt abwehrbereit
halten (gegen die stets
angriffslüsternen Sowjets selbstverständlich),
obwohl Strauß Minister ist. Die Ereignisse wirken als
Spiegel-Affäre
nachhaltig affirmativ zu Gunsten
einer elenden öffentlichen Kultur der
staatstreu-demokratischen Kritik, in der staatstragende
Zeitungsmänner unter dem Beifall vieler junger Menschen
aufmerksam und opferbereit – tagelange Untersuchungshaft
für einen Spiegel-Redakteur! – auf die Regeln der
freiheitlichen Herrschaft inkl. der demokratischen
Wehrbereitschaft aufpassen müssen, während der aggressive
Konservativismus, der berufen ist, Deutschland beim
Wiederaufstieg zu einem führenden Staat
vor den
allenthalben sich auftuenden Abgründen von
Landesverrat
zu bewahren, seinerseits aktiv und
wachsam bleibt.
Seehofer erlebt man in seinen Ämtern als Gesundheits-,
Landwirtschafts- oder Innenminister auch nie als
„Superminister“, wenn er den Versicherten der GKV mehr
Beitrag vom Nettolohn verordnet, an einem „fairen
Milchpreis“ schraubt, der auch das bayrische Höfesterben
begleitet, oder mit einer eigenen bayrischen Kleinpolizei
zum Schutz der in sein Ressort fallenden Heimat
demonstrativ bis zu 9 Flüchtlinge in fünf Monaten
(SZ im November 2018) an der
Grenze fängt. Strauß dagegen darf in den Sechzigerjahren
im Finanzministerium der BRD jahrelang den Part des
Großministers geben, als er zusammen mit dem
SPD-Wirtschaftsminister Schiller unter dem Applaus der
Fachwelt wie der animierten Massen in einer Großen
Koalition Diskontsätze und Bundesbankchefs zähmt,
Konjunkturprogramme auflegt, Steuern erhöht und Renten
senkt, um dem wirtschafts- und finanzpolitischen Aufstieg
des zügig wachsenden Exportmonsters BRD mit den Mitteln
der politischen Gewalt alle Steine aus dem Weg zu räumen.
Nicht einmal die Niederlagen des FJS und seiner CSU können deren Ansehen und ihre Rolle als Antreiber und Motor des rechtskonservativen Lagers in der BRD beschädigen. Denn sie zeigen stets auch den Anspruch einer nationalen Mission, wie er Seehofer bis zuletzt eher fremd ist: Anders als Strauß hat er sich nie um die Kanzlerkandidatur der Union beworben, weshalb er einerseits nicht verlieren konnte, andererseits aber auch für alle Chronisten der demokratischen Parteienkonkurrenz seine Mittelmäßigkeit als Machtmensch und den trotz aller Angeberei reduzierten Regierungsanspruch seiner Partei erkennen lässt. Das Scheitern seines WAA-Projektes in Wackersdorf, das als Großprojekt für die deutsche Atomwirtschaft den Status der BRD als zivile Atommacht samt allen technisch und politisch darin eingeschlossenen Übergängen nicht ziviler Art sichern soll, erlebt Strauß, der 1988 stirbt, nicht mehr mit. Nach Jahren zivilen Widerstandes, brutaler Polizeieinsätze, wachsender juristischer und technischer Schwierigkeiten und lebhafter internationaler Konkurrenz in La Hague und Sellafield verlieren die das Projekt wirtschaftlich tragenden Firmen, die ihre kapitalistische mit der politischen Spekulation der CSU verbunden hatten, nach dem GAU in Tschernobyl 1986 immer mehr den Glauben daran, dass sich das von der Strauß-CSU betriebene politische Großunternehmen tatsächlich als lohnendes Geschäft für sie realisieren ließe – und steigen aus.
*
So verkörpert Strauß den rücksichtslosen Machtwillen zugleich seiner Partei wie seiner Person und bekennt sich offen dazu; auch dazu, dass der Erfolg im politischen Geschäft nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm möglich ist. Weil aber die Exekution der Macht über die Deutschen zum Vorteil Deutschlands mit Bayern an der Spitze auch bei ihm, wie bei allen Nationalisten mit Regierungsämtern, nichts als Dienst an seinen Landsleuten ist, ist der eben, wenn’s der Sache nützt, wichtiger als die Dienstvorschrift. Mit seinem Einsatz ist Strauß beim guten Volk im Stammland immer wieder mit absoluten Mehrheiten bei Wahlen erfolgreich: Das weiß sich eben abhängig von, also identisch mit der Nation und kann froh sein, dass sich sein bayrischer Führer mit so viel Durchschlagskraft um alles kümmert und sich trotzdem immer wieder zur Wahl stellt, was, wie man sich in den Fünfzigerjahren noch gut erinnert, bei Führern ja keine Selbstverständlichkeit ist.
Im Zuge des Wiederaufbaus des deutschen Kapitalismus nach
dem Krieg vollbringt die Strauß-CSU die machttechnische
Leistung, als erzkonservative Mannschaft mit einem
Aufbruchsprogramm für ganz Deutschland den Fortschritt
der Staatsmacht und den des kapitalistischen Wachstums zu
repräsentieren und im bayrischen Bauernland eine führende
Industrieregion herbeizuregieren. Dabei vernachlässigt
die Partei keineswegs ihre ideologische Zuständigkeit als
Hort eines katholisch-reaktionären Konservativismus,
sondern nimmt diese, auch hier mit Strauß an vorderster
Front, wahr als harter Kern des militanten deutschen
Antikommunismus, der stets darauf achtet, dass
Kommunisten, Linke, aber auch SPDler, kritische
Intellektuelle und alle Ratten und Schmeißfliegen
,
die das Geschäft der Russen und der DDR besorgen und
deswegen gegen die CSU, Bayern und den Papst sind,
„in ihre Rattenlöcher zurückgetrieben werden,
wo sie hingehören“. Strauß sieht sich
fortwährend genötigt, vom überlegenen bayrischen
Standpunkt politisch und ideologisch korrigierend in die
Geschäfte der jeweiligen Bundesregierungen einzugreifen,
was eine Ergänzung der offiziellen subimperialistischen
Außenpolitik der frühen BRD durch eine halboffizielle
bayrische einschließt. In Südamerika pflegt er
Beziehungen mit Diktatoren wie Pinochet in Chile oder
Stroessner in Paraguay, die wie er den Weltkommunismus
bekämpfen; der devisenbedürftigen DDR vermittelt er in
berechnender gesamtdeutscher Verbundenheit später einen
Milliardenkredit; mit dem erfolgreichen Apartheid-Regime
in Südafrika knüpft er wirtschaftliche Verbindungen an,
besucht zum Ausgleich regelmäßig dicke Neger-Chefs in
Schwarzafrika und reiht, ganz vorausschauender
Staatsmann, Mao und Deng in den Kreis seiner
Freunde
ein. Sodass er am Ende behaupten kann, es
sei ihm egal, wer unter mir Kanzler ist
, solange
er mit der Wucht des bayrischen Wachstumsbeitrags und der
bayrischen Stimmmehrheiten das rechtskonservative
Korrektiv in der Politik des im Lager des freien
Westens aufsteigenden, aber unfertigen
Deutschland sein kann.
Seehofers Nebenaußenpolitik beschränkt sich weitgehend
auf freundschaftliche Beziehungen mit dem ungarischen
Flüchtlingsfeind Orbán, mit denen er die von ihm als
Flüchtlingsfreundin ausgemachte Merkel ärgern und seinen
abweichenden Standpunkt demonstrieren will, und auf
gelegentliche Kontakte zu Russlands Putin, für die er
sich wegen unzureichender Feindseligkeit von dem Schnösel
im Außenministerium als regionaler Politiker, der
seine Grenzen akzeptieren muss
, streng zurechtweisen
lassen muss.
Deutschland wird größer – und die CSU kleiner
Den weltpolitischen Erfolg der kapitalistisch-demokratischen Welthälfte und die Selbstzerlegung des sowjetischen Blocks nutzt die alte Bonner BRD dazu, ihre historische Unvollkommenheit durch den Anschluss gleich eines ganzen Ostblockstaates, der ihr aber eigentlich ohnehin schon immer gehört hat, zu reparieren. Das verändert für das nun mächtig angeschwollene Deutschland in der Mitte Europas mit seinen neuen imperialistischen Perspektiven in Europa und der Welt ziemlich bald auch die innenpolitischen Konkurrenzverhältnisse, und das nicht zum Vorteil der CSU und ihrer Protagonisten. Im heutigen Seehofer kommt so eine ganze Entwicklungslinie bayrischer Deutschlandpolitik an ihr Ende, was sich im Ausbleiben der gewohnten absoluten Mehrheiten, der Auflösung der Gleichung zwischen Bayern und der CSU als selbstverständlicher Staatspartei und ziemlich bald in der innenpolitischen Relativierung der gewohnten Sonderrolle Bayerns niederschlägt. Im neuen, größeren Deutschland ist der CSU und ihrer Führung das entscheidende Element der alten bundesdeutschen Staatsräson und der bayrischen Führungsrolle bei ihrer Exekution verlorengegangen: ein eindeutig auszumachender Feind, um dessen Bekämpfung, und ein zugehöriges, klar definiertes Feindbild, um dessen Pflege sich Strauß in allen seinen Ämtern stets verdient gemacht und wozu er sich immer ausdrücklich bekannt hat. Die Feindschaft gegenüber dem sowjetischen Block und der Antikommunismus als die christlich-weltliche Staatsreligion der deutschen Frontstaat-Demokratie waren für die CSU als konservative Kerntruppe der Antrieb, Deutschland in dieser so produktiv gespaltenen Welt militärisch, politökonomisch und ideologisch zu einem konservativen Bollwerk am Rande des freien Westens zu machen und als europäische NATO-Macht mit unübergehbarer Souveränität auszustatten.
Die viel beschworene Sonderrolle Bayerns im Bund gibt es zwar einerseits heute noch, mit Bayern als großem Nettozahler des nationalen Finanzausgleichs, die darauf gestützten Ansprüche der südlichen Regionalpartei werden aber zunehmend in der Abteilung kuriose Störmanöver abgebucht. Bayern stellt noch immer andere Bundesländer in den Schatten, bietet aber spätestens seit Seehofer keine Perspektiven mehr für den konservativen Fortschritt und Aufschwung der ganzen Republik, schon gleich keine Mission, die es dem Rest der Nation anbieten oder gar aufzwingen könnte. Der letzte von Seehofers Vorgängern, der einen solchen positiven Drang verspürt und die CSU noch einmal als Verwalter ihres großen Erbes zur Geltung bringen will, ist Stoiber. Der, schon mehr die Karikatur eines Führers, will Großflughäfen in die Welt bringen und Transrapids, die schneller fahren, als er den Fahrplan erklären kann, und mit Laptop und Lederhose von Bayern aus auf Deutschland losgehen. Mit einem Wahlergebnis von über 60 Prozent im Kreuz entwindet er bei einem in Wolfratshausen weltberühmten Frühstück der da schon stark an der K-Frage interessierten Merkel noch einmal die Kanzlerkandidatur, um als Ober-Bayer Deutschland auf Vordermann zu bringen, und verliert 2002 knapp gegen Rot-Grün.
Seehofer ist jetzt die Figur, die die veränderte, nicht
mehr so überragend wichtige Rolle der CSU im größer
gewordenen Deutschland mit all seinen neuen Drangsalen
nach innen und außen repräsentiert. Da trifft es sich
ganz gut, dass er, obwohl er über die übliche bayrische
Großspurigkeit verfügt, sich nicht wie Strauß für die
Reinkarnation des Weltgeistes mit Trachtenhut hält und
nicht wie Stoiber für zwangsläufig brillant, weil
bayrischer Einserjurist. Er ist als Nicht-Akademiker mit
seiner rechtsstaatlichen Herrschaftsexpertise immerhin
inzwischen Erfahrungsjurist
, kommt ursprünglich
aus kleinen Verhältnissen
– das sind nach diesem
ehrlichen Sprachgebrauch die, in denen Familien von
irgendeinem Lohn oder noch weniger leben müssen –, kommt
nicht durch frühreifen konservativen Fanatismus, sondern
eher zufällig zur CSU und steigt dann, mit dem nötigen
Opportunismus, schönen Direktwahlergebnissen und daran
wachsendem Machtbewusstsein so weit auf, dass er, nachdem
die demokratischen Konkurrenzversager Beckstein und Huber
die Wahl 2008 mit katastrophalen 43 Prozent vergeigen,
Parteivorsitzender und Ministerpräsident wird, der bei
seiner Wiederwahl als vorerst letzter CSU-Kandidat mit 47
Prozent zumindest eine absolute Mehrheit der Sitze holt.
Als Abgeordneter, Staatssekretär, Minister unter Kohl und
Merkel und als Ministerpräsident regiert er in der langen
Ära Merkel mit und muss an der Spitze der CSU
die neue Lage bewirtschaften, in der die bayrische
Extra-Union ihre Sonderansprüche keineswegs aufgeben
will, andererseits aber die antikommunistischen Ein- und
Anpeitscher des bayrischen Konservativismus für die neuen
Machtprojektionen des vereinten,
euro-imperialistischen Deutschland gar nicht mehr gefragt
und die alten Kernkompetenzen der CSU ersatzlos obsolet
geworden sind.
Merkel ist es jetzt, die Deutschland nach vorne bewegt,
und zwar in Richtung einer friedlichen Eroberung
Europas, indem sie auf Grundlage der siegreichen,
von den USA garantierten Weltordnung die Verträge über
die Europäische Union und das gemeinsame Geld so mit
Leben erfüllt, dass dem Rest Europas Hören und Sehen
vergeht. Mit der Wucht seiner Kapitalgröße, des
Eurokredits und einer von ihren Vorgängern ererbten, zu
äußerster Konkurrenzfähigkeit sozial zurechtreformierten
Arbeiterklasse, die nach Bedarf um hochmobile
Billigmannschaften aus dem Osten der EU ergänzt und in
Lohnfragen unter Druck gesetzt wird, erobert Deutschland
den hindernisfreien Binnenmarkt, etabliert sich als
entscheidende Garantiemacht der Gemeinschaftswährung und
schützt diese alsbald mit Strenge gegen die
Kreditbedürfnisse der niederkonkurrierten Standorthüter.
Wenn die Merkel-Regierungen die kaputten Südländer mit
Schuldenprolongierungen und „Rettungsprogrammen“ auf ihre
Pflichten im Eurosystem festnageln und zugleich unter
strenger Aufsicht als nur mehr teilsouveräne Akteure am
Markt für Staatsfinanzierung halbwegs handlungsfähig
halten, praktizieren sie den Multilateralismus
,
auf den die Chefin so Wert legt, weil gerade
Deutschland immer das Interesse der anderen mitdenken
muss
, wie sie ihrer Mannschaft noch im Herbst 2018 in
der Haushaltsdebatte einschärft.
Die CSU mit ihrem Seehofer und ihren anderen Ministern
ist immer am Ort des Geschehens, und Seehofer übt sich
ausdauernd in dem Widerspruch, zur gleichen Zeit die
Rolle der Opposition innerhalb der Regierung zu
repräsentieren und doch der Steigbügelhalter der
Kanzlerin zu sein. Er kritisiert die mangelnde Härte
gegenüber den leichtfertigen Schuldenmachern, fordert
sogar, den Griechen das Seil zu kappen
, warnt vor
dem Falschmünzer Draghi
, der unser Geld gefährdet,
und trägt am Ende, da Merkel insistiert, alles mit, mit
dem Versprechen, von nun an ein schnurrendes
Kätzchen
zu sein. Der Bayer richtet sich als
dauerhafter Mitregent in der zweiten Reihe der Regierung
ein, macht Merkels Politik mit und kämpft dabei stets
darum, mit der begleitenden Kritik daran, das Profil
der CSU erkennbar
zu halten. Die EU und die
Merkelsche EU-Politik ist Seehofer zu keiner Zeit
deutschnational genug, sodass er mit nie ganz
erlöschendem Misstrauen die Art Merkels verfolgt, die von
Deutschland maßgeblich mit eingerichtete, politisch
überwachte und finanziell verbürgte Geschäftsordnung der
EU und des europäischen Geldes zu exekutieren. Eine
Perspektive, das ganze Projekt, dessen Richtung ihm nicht
so richtig passt, auf ein neues Gleis zu schieben, bietet
er aber nicht; und nicht einmal die Verschleuderung
deutschen Geldes in der und für die EU vermag er zu
beenden. Derlei liegt nun einmal nicht in seiner oder
einer anderen bayrischen Hand, sondern in der eines
schwäbischen Rollstuhlfahrers und des besagten
italienischen „Falschmünzers“. Die Zuständigkeit, als
Erben von Strauß Deutschland als militärische
Macht groß zu machen und präsent zu halten, haben
Seehofer und die CSU ganz aufgegeben, verlieren nach dem
kleinen Scharlatan Guttenberg das
Verteidigungsministerium und müssen zusehen, wie Franz
Josefs Vermächtnis in die Hände einer preußischen
Frau übergeht, deren demokratische
Parlamentswehrmacht jetzt aber wirklich nur mehr
bedingt abwehrbereit
sein soll, mit Panzern, die
nicht fahren und Fliegern, die nicht fliegen.
So leidet Seehofer, auch immer wieder demonstrativ, an der Relativierung des deutschen Nationalismus, die er im drögen Sachzwang-Imperialismus der Kanzlerin entdeckt, welcher in endlosen Verhandlungen auf die deutsche Lesart der Gemeinschaftsregeln pocht und das deutsche Erfolgsinteresse gerne unter der Fahne des europäischen Supranationalismus zur Geltung bringt. Und nach unzähligen Streitigkeiten, Drohungen, Erpressungen und anschließenden Vereinbarungen zwischen den „Schwesterparteien“, dem ewigen Schwanken zwischen lautstarkem Einspruch und Mitmachen der kritisierten Linie, geht im Verlauf ihrer langjährigen Regierungsbeteiligung für Seehofer und CSU so manches kaputt: zum einen das Vertrauen in die praktische Durchsetzungsfähigkeit des eigenen Machtwillens gegen die große bundesweite CDU, von der sich zu trennen und, wie früher manchmal erwogen, sich als CSU in ganz Deutschland auszubreiten, heute niemand mehr ernsthaft in Betracht zieht. So wird die bayrische Partei vom Vorkämpfer eines alternativen konservativ-bayrischen Angebotes für Deutschland zu einer ewig unzufriedenen Filiale der Bundes-Union und ihr Seehofer mit seiner Dauerkritik an der von ihm mitgetragenen Politik zum widersprüchlichen Störenfried der deutschen Politik. Die am Ende jedes Konflikts dann doch immer wieder hingenommene Unterordnung unter die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hat noch weitergehende Folgen: Als doch immer verlässliche Stütze einer Regierung, deren Chefin den Islam als zu Deutschland gehörig deklariert, die Homoehe beschließen lässt und sich nicht ausreichend klar vom Multikulturalismus der Linken und Liberalen abgrenzen mag, kommt die CSU nach und nach in eine Lage, in der ihr alter militanter Standpunkt aus dem bayrischen Stammland von Heimat, Konservativismus und Familie seine Originalität und Vertrauenswürdigkeit verliert; und die CSU ihren Status als die glaubwürdigste Bastion der christbayrisch-abendländischen Ausgrenzungssittlichkeit, zumal sich um diese Rolle seit längerem, rechts von der CSU, wo nach Franz Josefs Vorgaben keine andere Partei jemals Platz haben sollte, die AfD bewirbt.
Doch noch eine späte Mission für Seehofer
In den Jahren 2015 ff., als die Fluchtbewegungen aus
Teilen des unter Aufsicht der Großmächte zerbombten Nahen
und Mittleren Ostens und aus den trostlosen
Armutsregionen Afrikas neue Höchststände erreichen und
Merkel ihrem Deutschland erst seinen Auftritt als die
humanitäre Flüchtlingsgroßmacht des Weltimperialismus
verschafft, um dann mit scharfer Sortierung und
ausgesuchter administrativer Gemeinheit Rechtsordnung in
den nicht bestellten Zustrom der armen Leute zu bringen,
entdeckt Seehofer auf seine alten Tage doch noch eine
Mission für sich, obwohl in Merkel-Deutschland
die Zeit für bayrische Missionen eigentlich vorbei ist.
Nachdem ihn die CSU angesichts düsterer Umfragewerte im
Vorfeld der Landtagswahl endgültig als
Ministerpräsidenten nicht mehr haben will und Söder
einwechselt, hält Seehofer als Minister für innere
Heimatsicherheit die vielen Fremden im Land – da geht es
ihm wie der Konkurrenz von der AfD – einfach nicht mehr
aus: Einer muss sich endlich der Herrschaft des
Unrechts
entgegenstemmen, die er in Merkels
Flüchtlingspolitik walten sieht, die es einfach nicht
hinbekommen will, so wenige Flüchtlinge hereinzulassen
und so viele aus Deutschland hinauszuexpedieren, wie es
nötig wäre, damit sich die Heimat und ihr Minister
innerhalb der eigenen Grenzen wieder wohlfühlen könnten.
Er muss das Recht des echt patriotischen Nationalismus
gegen seine fortwährende Relativierung hochhalten und
geht dafür bis zum Äußersten: Er lehnt sich gegen die
Richtlinienkompetenz einer Kanzlerin auf, die ohne ihn
gar nicht Kanzlerin wäre
, geht auf eigene Faust, aus
eigener Zuständigkeit, mit eigener bayrischer
Grenzpolizei auf Flüchtlingsfang und droht die Grenzen
dicht
zu machen, die Regierung auffliegen zu lassen
und vielleicht eventuell sogar zurückzutreten! Die
Aufregung ist angemessen, und dann gehen die
Flüchtlingsangelegenheiten wieder ihren Gang, Recht und
Unrecht herrschen weiter – wer weiß das im Einzelfall
schon so genau, dafür gibt es ja Gerichte – und Seehofer
bleibt der Minister Merkels, die vielleicht wirklich ohne
ihn gar nicht die richtlinienkompetente Kanzlerin wäre,
mit ihm aber schon. Der Standpunkt seiner
„Mission“ ist ihm dabei – er hat sie ja gar nicht richtig
durchgezogen, sondern schon wieder zurückgesteckt –
natürlich flöten gegangen. Überhaupt ist die emphatische
Aufforderung, sich wieder auf die Heimat zu besinnen, aus
dem Mund eines hetzerischen Ministers ebenso wenig wie
aus dem eines staatsmännischen AfDlers ein positives
Aufbruchsprogramm in dem Sinn, allenfalls eines der
Rettung der Heimat vor den vielen Fremden und
eine defensive Klage über die eingerissenen
Zustände. Zur Restitution eines glaubwürdigen
rechtskonservativen Alleinstellungsmerkmals für die CSU
und Seehofer taugt das umso weniger, als die neue rechte
Opposition darauf verweist, dass die CSU schließlich die
Zustände mit hergestellt habe, die sie heute als Merkels
Werk beklagt, und die AfD den Widerstand gegen die
Relativierung von Patriotismus und Heimatliebe viel
radikaler und viel glaubwürdiger führe als Merkels
Kabinettsmitglieder, die wie Seehofer zu feige sind, ihr
in den Unrechtsarm zu fallen. So bleibt am Ende von
Seehofers erster und zugleich letzter Mission nichts
übrig als eine Riesenbeschwerde und eine
Bestätigung der Agitation der AfD, der
Seehofer eigentlich mit einem CSU-eigenen
Flüchtlingsradikalismus das Wasser abgraben wollte. Der
Minister, langjährige Ministerpräsident und
Parteivorsitzende der CSU steht wegen seiner Auflehnung
gegen Merkel bundesweit als rechthaberischer und wegen
Erfolglosigkeit peinlicher Quertreiber da, der sich wie
immer auch diesmal nach großen Ankündigungen der
Kanzlerin dann doch fügt; der verspricht, die Grenzen
dicht zu machen und Rücknahmeabkommen mit anderen Staaten
zu schließen und doch die AfD nicht bremsen kann; der
wankelmütig, prinzipienlos und opportunistisch zugleich
Regierung und Opposition sein will, um damit die Räume
rechts von der CSU eng zu machen, aber dabei auf Rechte
trifft, die viel glaubwürdiger rechts sind als er, obwohl
er seinen rechtsradikalen Verfassungsschützer schützt,
und weil er ihn dann doch entlässt. Und die CSU steht da
als ziemlich kleingemachte, in Heimatfragen
unglaubwürdige christsoziale Blockpartei Merkels. Wenn
das der FJS wüsste...