Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Clinton bringt „Hoffnung in amerikanische Elendsgebiete“
Clinton besucht wirtschaftliche Notstandsgebiete und Slums, um den Menschen ihre Zugehörigkeit zu ‚gods own country‘ zu versichern, so dass sie sich wenigstens nicht zu schämen brauchen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Clinton bringt „Hoffnung in amerikanische Elendsgebiete“
Anfang Juli tourt der amerikanische Präsident durch
wirtschaftliche Notstandsgebiete wie die
Appalachen-Region Westvirginias und Kentuckys, ins
Mississippi Delta, in die Indianer-Reservate von South
Dakota oder auch in die Slumgürtel solch anderweitig
blühender Städte wie Los Angeles und Phoenix.
(FAZ, 10.7.) Gegenden, die in
den amerikanischen Armutsstatistiken ganz oben stehen,
sind Clinton diesmal einen Abstecher wert. Wo
Arbeitslosenraten bis zu 40% keine Seltenheit sind
und der Zustand denen von Entwicklungsländern gleicht
oder in mancher Hinsicht noch schlimmer ist
(ebd.), da haben
ausgesuchte Familien in heruntergekommenen Wohnwagen
und billigen Holzhütten mit geteerten Dächern
gute
Aussichten, daß Clinton bei ihnen vorbeischaut,
Sprudelwasser trinkt und sich anhört, was ihm seine
Gastgeber zu erzählen haben.
(NZZ, 7.7.)
So viel präsidiale Freundlichkeit für verkommene
Landstriche und ihr abgeschriebenes menschliches Inventar
rührt die hiesige, bekanntlich von Natur aus kritische
Öffentlichkeit so nachhaltig, daß sie sich nicht
einkriegt vor Komplimenten an den ersten Mann der Nation,
der …erstmals während seiner Präsidentschaft eine
‚Armutstour‘ unternommen
und dabei sogar Gebiete
besucht hat, die noch nie derart hohen Besuch aus
Washington empfangen haben
. (FAZ, 10.7.)
Das war auch der große Ertrag dieser viertägigen Reise
ins andere, vergessene Amerika
: Ohne
Berührungsängste
hat der Führer der reichsten
kapitalistischen Nation die nach allen Maßstäben der von
ihm regierten Konkurrenzgesellschaft gescheiterten
Existenzen einmal nicht als die – nach denselben
Maßstäben, nur moralisch betrachtet – unwerten und
unamerikanischen Kreaturen genommen, die sie dem
öffentlich geltenden Urteil nach sind und als die sie
staatlicherseits verwaltet werden. Er hat sie mit seinem
Besuch als Figuren gewürdigt, die ebenso wie die Armut,
in der sie stecken, dazugehören zu God’s own country, und
ihnen freundlicherweise das Gefühl gegeben, daß sie sich
ihrer Lage nicht zu schämen brauchen.
Ein schönes Abschiedsgeschenk für die Elendsfiguren, die
ihrem demnächst aus dem Amt scheidenden Chef – der mit
dieser Reise gute Chancen hat, endgültig als der soziale
Präsident Amerikas in die Annalen einzugehen – auch sonst
noch einiges zu verdanken haben: Zuerst serviert er ihnen
die große „welfare reform“ von 1996, die für die
Sozialhilfe-Empfänger die Betonung
auf Arbeit
statt Fürsorge
gelegt und die Frist für die Hilfe
auf zwei Jahre am Stück bzw. fünf Jahre über die gesamte
Lebenszeit beschränkt
hat (NZZ,
31.12.98) – solange hat ein amerikanischer
Lohnabhängiger also ein Recht darauf, vom Kapital nicht
nachgefragt zu werden! Dann verspricht er den
Fürsorgeempfängern in seiner diesjährigen ‚Rede zur Lage
der Nation‘, ihr Abgleiten in einen Teufelskreis der
Abhängigkeit von Staatshilfe
zu verhindern, indem er
von den Rezipienten mehr Initiative fordert
(NZZ, 21.1.99) – schließlich
gibt es staatliche Stütze nicht, weil man sie braucht,
sondern nur unter der Bedingung, daß man sich anstrengt,
sich von ihr unabhängig zu machen. Alles nicht ohne
Erfolg: Denn die Zahl der Sozialhilfe-Empfänger hat
rapide, nämlich um rund 40% auf 8,4 Mio. Personen,
abgenommen … durch die härteren Bestimmungen und die
erschwerten Qualifizierungsanforderungen
.
Und dann kommt er vorbei, läßt sich von ihnen eine Cola
spendieren und verhilft ihnen auch noch zu einer
Zukunftsperspektive. Die 36 Millionen Amerikaner in
Armut
, über die der Unternehmerstand das Urteil
gefällt hat, daß sie geschäftlich zu nichts nutze sind,
also auch nicht ernährt zu werden brauchen, sollen sich
als ungenutztes Potential … welches nur darauf wartet,
ausgebeutet zu werden
(FAZ,
10.7.), doch einmal vertraulich an die Unternehmer
im Lande wenden, ob die nicht eine Beschäftigung für sie
haben. An die appelliert er umgekehrt, die Initiative
für neue Märkte
zu ergreifen; nämlich unterstützt
durch Steuervergünstigungen und staatliche
Kreditgarantien private Investitionen in armen
städtischen und ländlichen Gegenden
(NZZ, 7.7.99) zu tätigen. Wenn Amerika
schon über Lebensbedingungen der Dritten Welt bei sich zu
Hause verfügt, dann brauchen die Unternehmer auch nicht
dorthin zu gehen, sondern können gut und gerne auch
hier, in ihren eigenen Hintergärten, große
wirtschaftliche Chancen
wahrnehmen (FAZ, 10.7.99). Mit dem Besuch und dem
Appell an die Unternehmer, die amerikanische Massenarmut
vermehrt als günstige Geschäftsbedingung in Betracht zu
ziehen, hat Clinton dann aber auch endgültig genügend
getan für das andere, vergessene Amerika
.