Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Israels Luftwaffe bombardiert den Libanon:
Der Friedenswille ist ungebrochen
Der massive 1-Tages-Krieg im Libanon ist die passende Eröffnung eines „Friedensdialogs“ von der Art, wie er für Israel einzig und allein in Frage kommt. Er macht deutlich, dass die arabischen Nachbarn wegen ihrer militärischen Unterlegenheit sich auf die „Angebote“ Israels einlassen müssen, wenn sie den Frieden wollen.
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Systematischer Katalog
Israels Luftwaffe bombardiert den Libanon:
Der Friedenswille ist ungebrochen
Ende Juni fliegt die israelische Luftwaffe sechs Stunden lang nächtliche Angriffe auf Ziele im Libanon. U.a. bombardiert sie zwei Elektrizitätswerke nahe Beirut und schaltet damit 4/5 der Stromversorgung der Hauptstadt und die einiger anderer Regionen Libanons aus. Außerdem zerstören die Kampfjets fünf Straßenbrücken bzw. Autobahnkreuze, wodurch die Nord-Süd-Verbindungen unterbrochen und Beirut, Sidon, Tyrus und Nabatije voneinander abgeschnitten sind. Als weitere Schäden werden die Zerstörung einer Relaisstation der Telekommunikation, eines vorgeblich dem Hizbullah gehörenden Hochhauses und eines Munitionslagers angegeben. Dabei fallen auf libanesischer Seite 9 Tote und über 60 Verletzte an. Am nächsten Tag präsentiert der israelische Kommandeur der Operation auf einer Pressekonferenz Videos, die die Präzision der Angriffe belegen, und betont, das Militär habe sich erfolgreich bemüht, Kollateral-Schäden zu vermeiden.
Die noch amtierende israelische Regierung Netanjahu bezeichnet die Angriffe – die schwersten auf den Libanon seit der Operation „Früchte des Zorns“ vom April 1996 – als Reaktion auf den Beschuß Nordisraels durch Katjuscha-Raketen des Hizbullah, bei dem 2 Israelis getötet und 15 verletzt wurden. Die sollen, anderen Berichten zufolge, ihrerseits die Reaktion auf israelische Granaten auf zivile Ziele im Südlibanon gewesen sein.
Die hiesige Presse wundert sich über die „Überreaktion“ der israelischen Regierung. Wenige Tage zuvor hat sie noch „Tauwetter“ in den Beziehungen zwischen Syrien und Israel melden können, nachdem der designierte Ministerpräsident Barak und Syriens Präsident Assad diplomatische Höflichkeiten ausgetauscht und die Bereitschaft zur Wiederaufnahme der seinerzeit von Premier Peres abgebrochenen Friedensverhandlungen bekundet hatten. Die Ankündigung Baraks im Wahlkampf und nach seinem Wahlsieg, binnen eines Jahres die israelischen Truppen aus dem Südlibanon abzuziehen, haben die Journalisten hoffnungsfroh als Signal einer bevorstehenden „Wende“ zu konsequenter Friedenspolitik interpretiert, die Netanjahu drei Jahre lang torpediert habe. Darum kann sich die NZZ z.B. den Militärschlag nur als finstere Machenschaft Netanjahus und seiner Freunde erklären:
„Nach den blutigen Raketenangriffen des Hizbullah gegen Nordisrael – Vergeltung für israelische Angriffe im Südlibanon… glaubte die abtretende Regierung Netanjahu, mit noch gröberem Geschütz aufwarten zu müssen, und veranlaßte die gezielte Bombardierung libanesischer Infrastruktur. Wer in Israel hat ein Interesse daran, Baraks Dialogbereitschaft zu sabotieren? Hat gar der notorische Scharfmacher Sharon signalisiert, daß er und der Likud bei der Art und Weise des israelischen Rückzugs mitreden wollen?“ (NZZ 26.6.99)
Von wegen „Sabotage“! Der massive 1-Tages-Krieg im Libanon ist die exakt passende Eröffnung eines „Friedensdialogs“ von der Art, wie er für Israel einzig und allein in Frage kommt. Er macht die Prämissen deutlich, die die arabischen Nachbarn akzeptieren müssen, wenn sie Wert darauf legen, daß Israel mit ihnen seinen Frieden macht:
- Israel ist jederzeit dazu in der Lage und auch bereit, Krieg zu führen. Es nimmt sich dabei die USA und die NATO zum Vorbild: Länder, die Jerusalem als Terrorstaaten einstuft, bestraft es nach dem Jugoslawien-Muster. In ein paar Stunden zerlegt die israelische Luftwaffe entscheidende Teile von deren Infrastruktur, ohne selber ein Risiko einzugehen, und erinnert so mit Nachdruck an die militärische Unterlegenheit, mit der die Nachbarn zur Eröffnung des nahöstlichen Friedens antreten.
- Von seiner demonstrativen Gewaltaktion läßt sich Israel auch nicht durch früher einmal unterschriebene internationale Abmachungen abhalten. Verteidigungsminister Arens bekennt sich explizit zum Bruch der Vereinbarungen, die nach der Operation „Früchte des Zorns“ geschlossen worden waren und die ein Schiedsverfahren bei dem Verstoß einer Partei gegen den Schutz der Zivilbevölkerung vorsehen. Sein Argument: Frankreich, das zur Zeit den Vorsitz in dieser Kommission hat, sei „ohnehin parteilich“. Im übrigen plädiert er dafür, das Abkommen aus der Welt zu schaffen: Es sei schon deswegen nichts „wert, weil es die israelische Armee einschränke“ (FAZ 30.6.99). Nach den Angriffen boykottiert die Regierung Netanjahu folgerichtig die Kommission und fordert die Nachfolgeregierung auf, diese „Farce“ endgültig zu beenden: Israel bleibt Herr der Verträge, die es schließt, und unterwirft sich denen nicht.
- Der Staat Libanon darf sich erst dann dem Wiederaufbau und der Herstellung von Normalität im Lande widmen, wenn er sich von Syrien lossagt und statt dessen als verlängerter Arm israelischer Kontrollmacht fungiert. Er muß sich mit seiner Armee zum Garanten israelischer Sicherheit im Norden machen und die Hizbullah- und Amal-Milizen entwaffnen. Ob Libanon dieses Programm überhaupt ohne das Risiko eines Bürgerkrieges durchsetzen könnte, ist dabei nicht Israels Problem. Solange die libanesische Regierung gemäß der UN-Resolutionen den bedingungslosen Rückzug israelischer Truppen aus dem Süden seines Landes verlangt, bleibt sie auf der Liste der Terrorismus-Unterstützer.
- Syrien muß endlich Konsequenzen aus seiner Unterlegenheit ziehen. Und sich den Anspruch abschminken, auf dem es seit Jahren besteht: daß Israel sich vollständig vom Golan zurückziehen muß und vorher eine umfassende Friedensregelung, also auch eine Einstellung der Unterstützung des Hizbullah und anderer militanter Israel-Gegner, nicht in Frage kommt. Die Lage für ein verschärftes Vorgehen in diesem Punkt ist nach israelischer Diagnose günstig:
„Syrien befindet sich in einer sehr schwierigen Lage: Seine Wirtschaft liegt am Boden, die militärische Lage ist nicht gut. Im Norden sitzt Syrien die Türkei im Nacken, außerdem genießt Syrien nicht die Rückendeckung durch die USA. Es gibt also keinen Grund, vor Syrien zu zittern und seinen Forderungen nachzugeben.“ (Arens, Haaretz 5.7.99)
Umgekehrt: Forderungen stellt im Nahen Osten nur einer; und zwar gleich so, daß die andere Seite davor „zittern“ und nachgeben muß:
„Wir sind nicht bereit hinzunehmen, daß die Bevölkerung in Galiläa ein- bis zweimal die Woche in Luftschutzkellern übernachten muß.“ (Arens in: JPIE 16.7.99)
Und deswegen wird nicht verhandelt und nichts angeboten, sondern mit einem 1-Tages-Krieg die gewaltsame „Bereinigung“ der Lage angesagt. Die Botschaft der Bomben auf Beirut ist auch in der Hinsicht klar: So wie Assad im Oktober 1998 die Kriegsdrohung der Türkei verstanden hat und die PKK aus seinem Land gewiesen hat, so soll er jetzt den palästinensischen Freischärlern seine Unterstützung entziehen. Israels Sicherheit ist die einzige Vorbedingung für Friedensverhandlungen mit Syrien.
Diese Klarstellungen zum Ende der Amtszeit der Regierung Netanjahu sind durchaus als ein Vermächtnis gedacht, das die alte Regierung der neuen hinterlassen will, als eine Weichenstellung, die den Nachfolger bindet. Der neue Premier sieht darin aber zu Recht keinen Gegensatz zu der Politik, die er einschlagen will. Ihm ist es durchaus recht, daß die ganze Welt ihn als den Retter des nahöstlichen Friedensprozesses bejubelt; aber Verständigung mit den Nachbarn um der Verständigung willen ist sein Programm sowenig wie das seines „starrsinnigen“ Vorgängers. Noch nicht im Amt, hat die neue Regierung längst klargemacht: Wenn Israel Frieden schließt, dann zu seinen Bedingungen, unter Wahrung all der Rechte, die die Nation inzwischen für sich beansprucht. Darum hat Barak auch zu keinem Zeitpunkt gegen die Militäraktion der scheidenden Regierung protestiert. Er sieht in der Angelegenheit eher eine gelungene Arbeitsteilung zwischen alter und neuer Regierung. Während Netanjahu noch einmal die Stärke Israels demonstriert, ist er der Hoffnungsträger für einen Frieden im Nahen Osten, der deswegen aber auch unerbittlich auf den Konditionen bestehen kann, die Israel setzt. Wenige Tage nach dem Luftangriff läßt er an die Adresse Syriens verlauten, für ihn komme selbstverständlich nur ein Teilrückzug Israels vom Golan in Frage.
Assad hat die Lektion, die Israel ihm mit den Bomben erteilen wollte, sehr schnell begriffen. Um den Vorwurf des Terror-Unterstützers loszuwerden, läßt er durch seinen Vize Anfang Juli den Gruppen der „palästinensischen Widerstandsfront“ mitteilen, sie hätten ihren „militärischen Kampf“ gegen Israel von Syrien aus einzustellen. Syrien wolle nun den Friedensprozeß mit Israel wieder beleben. Kurze Zeit später heißt es, Assad habe auf die Vorbedingung Syriens verzichtet, die Verhandlungen mit Israel an dem Punkt wiederaufzunehmen, an dem sie mit Rabin zuletzt standen – der hatte den Rückzug vom Golan bereits zugestanden. Er vertraue Barak auch so.