Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bild empfängt den Griechen-Premier wohlwollend zum Kotau in Berlin – die FAZ liefert die Hetze nach, die sie vermisst

Die Bundeskanzlerin will den griechischen Premier Tsipras in Berlin empfangen; und damit die diplomatische Form des Treffens, bei dem es natürlich um die Frage von Schulden und geforderter Austeritätspolitik geht, richtig verstanden wird, erklärt sie im Bundestag öffentlich, wie sie die verstanden haben will:

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Bild empfängt den Griechen-Premier wohlwollend zum Kotau in Berlin – die FAZ liefert die Hetze nach, die sie vermisst

Die Bundeskanzlerin will den griechischen Premier Tsipras in Berlin empfangen; und damit die diplomatische Form des Treffens, bei dem es natürlich um die Frage von Schulden und geforderter Austeritätspolitik geht, richtig verstanden wird, erklärt sie im Bundestag öffentlich, wie sie die verstanden haben will:

„Merkel will Streit mit Tsipras beenden. Die Kanzlerin schlägt im Bundestag versöhnliche Töne an: Sie werde auf eine Einigung mit Griechenland hinwirken, Athen müsse sich jedoch an die Vereinbarungen halten.“ (zeit.de, 19.3.15)

Bild hat verstanden und sich vorgenommen, ihren Lesern nachvollziehbar zu machen, wie die Kanzlerin, also Deutschland, also „Wir“, jetzt zu Tspiras, also Griechenland, also „den Griechen“, stehen.

*

Willkommen in Deutschland, Herr Tsipras, grüßt Bild am 23.3. in großen Lettern (unter griechischer und deutscher Flagge, als veranstalte sie einen Staatsempfang) auf der Titelseite; wenn man die auf den Kopf dreht, steht da dasselbe nochmal auf Griechisch. Der griechische Premier kommt nach Berlin. Er freut sich sichtlich, so wie er auf dem großen Foto lächelt. Wir auch, lernen wir, denn Bild kündigt für die erste Doppelseite 50 Gründe, warum uns die Griechen lieb und teuer sind, an. Überraschend ist das schon, das mit lieb und teuer: Wer die bisherige Berichterstattung des Blattes über das Land verfolgt hat, muss sich doch recht wundern über den herzlichen Empfang des Europa-Schrecks (2.2.) und Häuptlings der unverschämten Griechen-Raffkes (20.2.) und Radikalo-Griechen (13.2.), die uns Flüchtlinge und ISIS-Terroristen schicken wollen (10.3.). Warum sind wir so freundlich zu dem obersten Repräsentanten der Schummelnation und Vorsteher einer Regierung, die uns laufend blöd kommt, mit wochenlangem Täuschen und Tricksen (20.2.), mit Hitlervergleichen und so, wenn diesen seine Grins-Offensive … durch halb Europa – er grinst, lächelt, scherzt. Will er die Griechen-Schulden einfach weggrinsen? (15.2.) – nun auch nach Berlin führt? Wir blättern also um.

Vielleicht war es ja mal wieder so ein genialer Wortwitz, dass uns die Griechen teuer sind: Bild enthüllt Bestechungs-Vorwürfe: Haben deutsche Firmen mehr als 100 Mio. Euro Schmiergeld an griechische Politiker gezahlt? Nein, das ist was Ernstes. Die bislang unbekannten Dokumente des griechischen Verteidigungsministers … (liegen Bild vor) erheben allem Anschein nach sehr berechtigte Strafforderungen gegen deutsche Rüstungsbetriebe wegen erwiesener Schwarzgeldzahlungen. Das ist empörend, wie man schon an der Größe der Buchstaben erkennt – aber auch eine gute Gelegenheit für versöhnliche Töne. Am griechischen Saustall waren schließlich auch deutsche Firmen beteiligt (Bild kann es bezeugen!), was das Ausmisten zu einem gemeinsamen Anliegen befreundeter Völker macht, also die sonst so klare Frontstellung von „Anstands-Deutschland“ vs. „Schummel-Griechenland“ heute einmal völkerfreundschaftlich aufweichen lässt. Es gibt eben in Griechenland auch Schummelgegner und in Deutschland Anstandsverletzer. So viel „Differenzierung“ tut not.

In der Spalte links daneben geht es auf den ersten Blick um was ganz anderes. Die Post von Wagner ist heute adressiert an die liebe Bundeskanzlerin – der Journalist scheint ihr sehr nahezustehen – und hat weder mit dem Gast aus Griechenland noch mit den korrupten Waffenschiebern zu tun. Vielmehr wird die Kanzlerin darin informiert, wie ihr das aktuelle Titelbild des deutschen Elite-Skandalmagazins erscheinen müsste, wenn sie nicht lesen könnte:

„Gestalten der Finsternis, Nazi-Offiziere werden auf dem aktuellen Titel des ‚Spiegel‘ gezeigt und Sie sind mittendrin. Hineinmontiert. Die Nazi-Herren tragen Schaftstiefel, Hakenkreuze am Arm. 1941 ließen sich die Nazi-Typen vor der Akropolis fotografieren. Der ‚Spiegel‘ montierte Sie in diese Szene, reihte Sie ein in die Gruppe der Nazis. Der ‚Spiegel‘ ist überall verkäuflich. Man sieht das Titelbild an der Tanke, im Zeitschriftenladen, am Flughafen. Man sieht das Titelbild. Man sieht es, man liest es nicht.“

Wenn man den Artikel lesen würde, wüsste man zwar, dass hier das auch für den Spiegel skandalös ungerechtfertigte Deutschlandbild der Griechen und des sonstigen europäischen Auslands illustriert wird; weil Wagner den Spiegel aber nicht lesen mag, ist für ihn das, was man sieht, ein Skandal:

„Der aktuelle ‚Spiegel‘-Titel bringt unsere Kanzlerin in die Nähe von Nazis. Scheiß ‚Spiegel‘, früher warst du einmal gut. Herzlichst Ihr F. J. Wagner.“

Wenn der Frau, die uns regiert, derart die Ehre abgeschnitten wird, sind wir selbstverständlich gemeinsam mit Wagner auf der Palme. Bis gestern kannte man derartige Beleidigungen nur von den Griechen; heute muss man sie im eigenen Zeitungsladen ertragen. An diesen empörenden Verunglimpfungen beteiligt sich tatsächlich ein deutsches Presseorgan, wo man von der Öffentlichkeit eigentlich die Verteidigung unserer Kanzlerin gegen solche Diffamierungen erwarten müsste. So kritisiert Wagner mit den Hamburger Nestbeschmutzern zugleich die Griechen und führt uns vor Augen, noch deutlicher als im letzten Artikel, dass es auch bei uns den Dreck gibt, den wir den Griechen gerade austreiben müssen.

Also gut. Lassen wir die völlig aus der Luft gegriffenen unverschämten Vergleiche unserer Kanzlerin mit den Nazi-Typen, die im Namen ihrer Wahnvorstellungen einst die griechische Souveränität gedemütigt, Land und Leute ihren Diktaten unterworfen und im Zuge einer Neuordnung des ganzen Kontinents großes Leid über die Bevölkerung gebracht haben, hinter uns und wenden uns dem angekündigten Besucher aus Griechenland zu. Was will er denn bei uns?

„Mit neuen Reform-Ideen will Tsipras die Kanzlerin überzeugen. Fünf weiße Motorräder (BMW R1200) stehen bereit, wenn Griechenlands Premier Alexis Tsipras (40) heute mit einer Regierungs-Maschine in Berlin-Tegel landet: die kleinste Motorrad-Eskorte, die für Regierungschefs bei einem Antrittsbesuch protokollarisch zulässig ist. … Im Gepäck soll Alexis Tsipras eine neue Liste von Sparvorschlägen haben. Bis spät in die Nacht saß der Regierungschef nach Bild-Informationen gestern mit engsten Vertrauten (darunter Finanzminister Varoufakis und Vize-Premier Dragasakis) zusammen, um die neue, von der Euro-Gruppe geforderte Spar-Liste zu erarbeiten...“

Ein gedemütigter Souverän, der sich bemüht, Land und Leute fremden Diktaten zu unterwerfen und bei der deutschen Staatschefin fragen will, ob es ihr so genehm ist – soll das der erste der angekündigten 50 Gründe sein, weshalb der Verwalter der Griechen lieb und teuer ist? „Uns“? Der Kanzlerin? Die Bild-Zeitung weiß die Botmäßigkeit durchaus anzuerkennen; ihren Ansprüchen ist damit allerdings noch lange nicht Genüge getan. Ob der griechische Premier seines Amtes würdig ist, steht auf einem ganz anderen Blatt und entscheidet sich daran, ob er das Problem beseitigt, das die Pleite des von ihm kommandierten Ladens für uns darstellt. Da ist in aller Freundschaft doch Skepsis angebracht: Doch ob Tsipras sein Finanz-Chaos überwindet, ist völlig offen.

Was genau ein „Finanz-Chaos“ ist, müssen wir nicht wissen; jedenfalls ist es seins. Wichtig ist allein dessen Überwindung. Und wir wissen auch genau wie!

„Was Athen vom deutschen Aufbau Ost lernen kann. Wie das Sanieren maroder Wirtschaftsgebiete funktioniert, hat Deutschland bewiesen – mit dem Aufbau Ost nach der Wiedervereinigung. So könnte es auch Griechenland schaffen.“

Im Folgenden erfahren wir kurz und knapp und ungeschminkt, worin der schöne „Aufbau Ost“ wirklich bestand: Mit politischen Beschlüssen verarmte die Bundesregierung das Volk im Osten, zerstörte weiträumig seine Existenzgrundlage und bürdete die Lasten für den Aufbau der großdeutschen Staatsmacht dem ganzen Volk auf. Und das hat bestens funktioniert! Jetzt können die griechischen Politiker, die nicht wahrhaben wollen, dass eine ordentliche Regierung natürlich die Lebensumstände ihres Volks für die Sanierung dessen opfert, was Geldbesitzern für lohnende Investments zu marode erscheint, ganz viel von unserer Regierung lernen. Am deutschen Sanierungswesen kann auch Griechenland genesen.

Das Ergebnis kann sich bei uns sehen lassen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Osten von 42 % des West-Niveaus (1991) auf 83 % (2011). Die Löhne liegen heute im Osten fast auf West-Niveau (97 %). Heute geht es bei uns Land und Leuten so, wie es sich gehört, nämlich im Durchschnitt ziemlich ähnlich; dem maximal möglichen Erfolg, dem „West-Niveau“, sind wir schon ein knappes Vierteljahrhundert nach der Sanierung verdammt nahe gekommen...

Auf dem Foto, das zum nächsten Artikel gehört, zeigt sich das West-Niveau allerdings von einer enttäuschend trostlosen Seite: Immer mehr deutsche Städte verfallen wie dieser Duisburger Hinterhof. So sieht also ein vorbildlich erfolgreich saniertes Land aus?

„Deutsche Bürgermeister klagen über Schulden und marode Städte: ‚Auch wir brauchen ein Hilfspaket‘“ „Städte und Gemeinden ächzen unter hohen Schulden, haben kein Geld mehr für Schulen, Bäder, Turnhallen, Kindergärten.“

Ob deutsche Bürgermeister ihr „Finanz-Chaos überwinden“, scheint auch völlig offen. Aber hoppla, das muss man hier anders sehen; man sollte den Einstieg nicht überlesen:

„Mit Bürgschaften über 80 Milliarden Euro hat Deutschland Griechenland aus der Misere geholfen. Dabei fehlt es auch bei uns in vielen Städten und Gemeinden an Geld und Investitionen.“

Na klar, irgendwie sehen unsere Hinterhöfe nur deswegen so scheiße aus, weil die griechische Regierung ihren Laden immer nicht in Ordnung gebracht kriegt. Sonst würden die Bürgschaften bestimmt frei für Maßnahmen, die uns das Leben angenehmer machen. Egal! Jedenfalls darf man bei aller Freundschaft keinesfalls vergessen, wie teuer ‚uns‘ die Griechen kommen!

Dem griechischen Premier ist damit natürlich wenig geholfen; für den Umgang mit leeren Kassen fällt ja selbst deutschen Bürgermeistern nichts anderes ein als Klagen über Schulden. Aber Bild lässt Tsipras mit seiner Aufgabe nicht im Regen stehen; am Ende hat sie das Einzige zu Tage gefördert, was Griechenland wirklich helfen kann: das Vorbild und die Kompetenz „der Deutschen“:

„Gucken Sie mal, Herr Tsipras, SO geht sparen“
„Sparbücher, Sparschweine, Sparvereine – die Deutschen sehen sich als Weltmeister im Haushalten. … Bild hat sich bei ganz normalen Spar-Profis umgehört und ein paar Tipps eingesammelt. Felix, der Jüngste (gr. Foto rechts), ist erst 9 Jahre alt. Er sagt: ‚Jeden Monat lege ich mir mein Taschengeld zur Seite und lege es auf meinem Sparbuch an.‘ Felix verkauft sogar Spielzeug, das er nicht mehr braucht... Noch mehr Spar-Tipps von einer Hartz-IV-Empfängerin, einem Sparverein im Ruhrpott und einer schwäbischen Hausfrau.“

Die Kleinigkeit, dass Tsipras gar nicht vor der Aufgabe steht, Verzicht zu üben, sondern vor der, sein Volk zum Verzicht zu zwingen, soll hier keine Rolle spielen. Auf alle Fälle sollen sich die Griechen mal ein Beispiel am deutschen Volk nehmen: Die Weltmeister im Haushalten machen weiter kein Aufhebens davon, dass es bei ihnen an allen Ecken und Enden nicht reicht; egal ob groß oder klein, arm oder noch ärmer, sie kriegen es hin, sich auch in beschränkten Verhältnissen einzurichten. Ihre Bedürfnisse richten sie ganz und gar danach aus, was die Verhältnisse ihnen erlauben, legen dabei eine Bescheidenheit an den Tag, auf die sie weltmeisterhaft stolz sein können – und werden dadurch gewiss eines Tages reich.

Derartige nationale Tugendbolde wissen auch die abschließenden 50 Gründe, warum uns Griechenland lieb und teuer ist, recht zu verstehen. Während bis gestern – nein, nicht Hass und Niedertracht gegen „die Griechen“, sondern – natürlich berechtigte, ernste Ermahnungen an die Adresse der griechischen Regierung angesagt waren, wissen wir heute gönnerhaft an ihnen auch etwas zu würdigen; dieses „Griechenland“ mitsamt seinem griechischen Menschenschlag ist nämlich immer so gut, wie uns gerade passt, wie es sich von uns gebrauchen und führen lässt.

„In den letzten Wochen musste sich Griechen-Premier Alexis Tsipras (40) allerhand Kritik anhören – von der Kanzlerin, aus Brüssel und auch von Bild. Heute, zu seinem Besuch in Deutschland, sagt Bild: Griechenland ist uns lieb und teuer, weil...“

z.B. unser Rehakles den Griechen einst zum EM-Sieg verholfen hat, weil wir ihr Land gerne besuchen und uns von ihnen immer gut bedient fühlen, weil ihre Volksnatur berühmte Ahnen unserer Kultur, Inspirationen für gute Actionfilme über antike Helden und auch allerlei Stars und Sternchen hervorgebracht hat, usw.

In einem Kommentar hat Béla Anda (im Anschluss an ein paar private Erinnerungen an seine Griechenland-Reisen) seine persönliche Vorstellung vom Lernziel für heute zusammengefasst:

„Schönes Land! ... Griechenland ist mehr als Finanz-Chaos und Milliarden-Schulden. Griechenland ist ein schönes Land! Mit Platon, Sokrates, Aristoteles brachte es uns die größten Philosophen. Mit dem Satz des Pythagoras eine wesentliche Grundlage der Geometrie. Daran sollten wir denken, wenn wir heute Griechenlands Premier in Berlin begrüßen. Und ihm zurufen: Willkommen in Deutschland, Herr Tsipras!“

Es gab also tatsächlich durchaus schon einmal etwas Bewundernswertes an den Griechen; und wenn wir heute über ihnen stehen, dann stehen wir immerhin auf ihren Schultern.

*

Die Bildzeitung zollt Griechenland also einmal großzügig Anerkennung als Nation in der von uns zugewiesenen Rolle; sie stellt für heute mal die tagtägliche Hetze gegen ‚die Griechen‘ oben und unten zurück trotz aller demonstrativen Skepsis, ob die Regierung ihr Land und Volk auf Linie bringt; sie macht konstruktive Vorschläge zur Streitbeilegung nach deutschen Maßstäben, an denen sich die griechische Regierung natürlich gefälligst als verbindliche Vorgaben auszurichten hat. Die Bild-Zeitung hat also ihr Bestes gegeben, um die Leserschaft auf den tagesaktuellen Stand der im Bundestag verkündeten diplomatischen Tageslosung der Herrschenden zu bringen.

Den Willen zu all diesen sachdienlichen Hinweisen und Argumenten hat aber keineswegs die Bild-Redaktion allein gepachtet. FAZ-Redakteur Jasper von Altenbockum hält die Einfälle der Bild-Redaktion jedenfalls allesamt für Qualitätsjournalismus und übernimmt sie gerne; die stilistische Aufbereitung fürs intellektuelle Leserpublikum ist mit der Entfernung von Zwischenüberschriften und hypotaktischer Verwebung der Topoi schnell erledigt.

Bloß: Mit dem völkerfreundschaftlichen Gestus der ganzen Komposition kann der Mann überhaupt nichts anfangen. Er fühlt sich aufgerufen, anlässlich der Visite des griechischen Premiers unmissverständlich klarzustellen, was die wahre Botschaft des öffentlichen Räsonierens in Sachen Griechenland ist: Keine falschen Rücksichten auf die griechische Souveränität! Keine Zaghaftigkeit bei deutscher Machtentfaltung! Weg mit der Kritik am Euro-Regime!

„Griechischer Wein
Es wäre schön, wenn die Reformen, die in Athen jetzt beschlossen wurden und noch folgen sollen, Griechenland wirklich voranbringen könnten. Doch die Beschlüsse in der Nacht zum Samstag und die Liste, die Alexis Tsipras demnächst (schon an diesem Montag in Berlin?) vorlegen will, werden im besten Fall nur wettmachen können, was die neue griechische Regierung in den wenigen Wochen ihrer Amtszeit angerichtet hat. Alles andere wäre so, wie wenn von der Linkspartei erwartet worden wäre, die DDR in blühende Landschaften zu verwandeln. Was also immer passiert in den kommenden Tagen und Wochen, Reformen hüben und Hilfspakete drüben, es wird nicht reichen und noch eine ganze Zeitlang so weitergehen wie bisher.
Wie tief das Gefälle zwischen Griechenland und dem Rest der Eurozone ist, wie groß deshalb der griechische Reformbedarf, lässt sich an einer Bemerkung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann ablesen. Er schenkte den Griechen reinen Wein ein, indem er vorschlug, deutsche Verwaltungsfachleute nach Griechenland zu schicken, „erfahrene Leute aus den Kommunen“, die aufbauen sollen, was es nach deutschem und europäischem Verständnis dort nicht gibt: einen Staat, der den Namen verdient.“ (FAZ, 23.3.)

In der griechischen Regierung kann der gehobene Meinungsbildner nichts anderes erkennen als einen Haufen unverbesserlicher linker Sturköpfe und Chaoten, die außerstande sind, ihrer Aufgabe gerecht zu werden: ihr Land so herzurichten, dass es unseren Ansprüchen genügt. Vernünftigerweise bleibt deshalb keine andere Wahl, als ihr das Heft aus der Hand zu nehmen und ihren Saftladen unserem Sachverstand anzuvertrauen. Das ist die reine Wahrheit, selbst wenn sie von einem SPDler ausgesprochen wurde.

Hätte nicht ein SPD-Politiker, sondern ein CDU-Politiker den Vorschlag gemacht, wäre er, wie jetzt schon Angela Merkel, inmitten von Besatzungsoffizieren der Wehrmacht auf die Titelseite einer Illustrierten montiert und verhöhnt worden. Doch im 25. Jahr nach der deutschen Einheit hat Oppermanns Idee noch eine ganz andere Seite. Er wird sich gesagt haben: Wenn die deutsche Einheit blühende Landschaften schuf, warum nicht auch die europäische? Wenn schon im Osten, warum nicht auch im Süden?

Auch Kritiker an the German Übermacht (Spiegel-Titel) kann der Kommentator nicht leiden. Seines Erachtens ist die Entmachtung fremder Souveräne gar kein problematisches Notprogramm, sondern der ganze Witz am Projekt Europa – auch wenn es noch ein Weilchen dauern mag, bis andere Nationen soweit sind, das einzusehen:

„Dazwischen liegen Welten, von der Verfassung bis zu Mentalitäten, die sich so schnell nicht ändern lassen. Aber allein der Gedanke zeigt, dass es nicht stimmt, in allem, was der Euro angeblich anrichtet, nur eine Spaltung oder gar den Rückfall des Kontinents in voreuropäische Gewohnheiten zu sehen. Die Finanz- und Schuldenkrise hat die Eurozone auch jenseits der Bank- und Geldangelegenheiten stärker verschmolzen, als ihren Völkern bewusst geworden ist. Oder glaubt jemand, Deutschland wäre das beliebteste Einwanderungsland in Europa ohne Euro? Das und vieles andere lässt sich nicht mit Geld aufwiegen. Übrigens auch nicht die deutsche Einheit, nicht einmal mit noch so viel D-Mark.“

Was den Herrn von A. drittens ankotzt, und das muss er in diesem Zusammenhang unbedingt loswerden, sind die Nörgler, auch und gerade im eigenen Land, mit ihrer Kritik am Euro, er spalte die Nationen in Europa – wo er doch gerade im Gegenteil das Mittel ihres Verschmelzens zum Nutzen Deutschlands ist! So viel Verarmung und soziale Verwüstungen der Euro in den europäischen Bevölkerungen auch angeblich anrichten mag, die Alternativlosigkeit seines Regimes zwingt die Souveräne zur segensreichen Unterordnung – und lässt nebenbei qualifizierten Lohnabhängigen aus dem ganzen Kontinent keine andere Wahl, als auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu einem wunderbaren Angebot zu verschmelzen. In Form von wachsender deutscher Staats- und Kapitalmacht über Europa – und worauf sollte es der intellektuellen Leserschaft bei ihrer Meinungsbildung denn sonst ankommen! – hat uns der Euro einen Zugewinn eingespielt, der weit bedeutender ist als sich in kleinlichen monetären Vor- und Nachteilsrechnungen fassen ließe.