Die amerikanische Immobilienkrise: Eine Bilanz
Aufstieg und Fall des Hypothekenkredits
Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA hat sich die Krise zum Dauerzustand verfestigt. Über die wachsende Zahl derer, die obdachlos sind oder es noch werden, macht man sich nichts vor. Sozial ist das natürlich schlimm, heißt es. Das muss aber sein: Die Banken müssen ihre Bilanzen endlich bereinigen und faule Kredite abschreiben, die ihren Willen und ihre Fähigkeit zu neuer Kreditvergabe beeinträchtigen. Schädlich sind die massenhaften Enteignungen nach berufener Auskunft vor allem in ökonomischer Hinsicht, weil die zum Verkauf gestellten Häuser zu einem „Verfall der Hauspreise in historischen Ausmaßen“ führen. Warum der Wohnungsmarkt nicht wieder in die Gänge kommt, obwohl seine Preise doch auf ein für Käufer attraktives Niveau gefallen sein müssten, ist kein Geheimnis: Alles hängt an den Banken. Solange deren Kreditvergabe ausfällt, geht gar nichts. Was dem Land fehlt, sind eben nicht Häuser zum Wohnen und Geld zum Leben, sondern Chancen fürs Geschäft, das sich mit seiner Spekulation in die Krise gewirtschaftet hat und mit staatlicher Hilfe wieder in Gang kommen soll. Die Versorgung der Masse mit Wohnraum steht und fällt also mit dem Gelingen des finanzkapitalistischen Geschäfts rund um den Bau und Kauf von Häusern. Dem entsprechend fällt sie aus.
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Die amerikanische Immobilienkrise: Eine Bilanz
Aufstieg und Fall des Hypothekenkredits
Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA hat sich die Krise zum Dauerzustand verfestigt. Experten entdecken am Zustand dieser Abteilung der nationalen Volkswirtschaft wahlweise entweder die schlimmste Krise seit der Großen Depression oder das berühmte Licht am Ende des Tunnels, wenn Preise und Verkaufszahlen zeitweilig wieder ein wenig steigen. Unbeschadet dessen bleibt die allgemeine Lage so, wie sie der Chef der FED zu Anfang des Jahres bilanzierte:
„Der Zustand des Wohnungsmarktes ist bisher das entscheidende Hindernis für eine schnellere Erholung der Wirtschaft. Im typischen Aufschwung unterstützt ein anziehender Wohnungsbau die Neueinstellung von Arbeitskräften und steigende Einkommen. Das hat diesmal nicht funktioniert … Der Bau liegt in den meisten Landesteilen darnieder, sowohl relativ zu seinem Niveau vor der Krise wie auch zu dem, das es braucht, um langfristig den Bedarf einer wachsenden Bevölkerung zu decken.“ (Bernanke, Rede vor der National Association of Homebuilders, 10.2.12)
Bernankes Bilanz der Verheerungen, die der Zusammenbruch des Immobilienkredits bei den Hausbesitzern, in der Finanzwelt und in der amerikanischen Wirtschaft überhaupt angerichtet hat, ist getragen von seiner Sorge, wie lange es denn noch so weiter gehen soll mit dem downturn oder ob endlich wieder Land in Sicht ist. Über die sozial-menschliche Seite der Krise, nämlich die wachsende Zahl derer, die obdachlos sind oder es noch werden, macht er sich nichts vor:
„Nach jüngsten Schätzungen stehen etwa 1,75 Millionen Häuser leer und zum Verkauf... Darüber hinaus wird noch eine sehr große Zahl weiterer Häuser auf den Eigenheim-Markt kommen. In jedem der letzten Jahre sind grob 2 Millionen Einfamilienhäuser unter Zwangsvollstreckung gefallen; viele davon sind zum Verkauf angeboten und verdrängen weitgehend die Nachfrage nach Neubauten. Auch in Zukunft dürfte die relativ hohe Rate von Zwangsvollstreckungen (foreclosure) noch eine Weile anhalten, folglich weitere Häuser auf den Markt und Familien auf die Straße werfen und Gemeinden zerstören.“ (Bernanke, ebd.)
Sozial ist das schlimm, muss aber sein: Die Banken müssen ihre Bilanzen endlich bereinigen und faule Kredite abschreiben, die ihren Willen und ihre Fähigkeit zu neuer Kreditvergabe beeinträchtigen. Ökonomisch schädlich sind die massenhaften Enteignungen andererseits auch, weil die zum Verkauf gestellten Häuser zu einem Verfall der Hauspreise in historischen Ausmaßen
führen. Das schadet dem Baugewerbe, ja der Wirtschaft überhaupt. Überschuldete homeowners zeigen nämlich eine bemerkenswerte Abneigung gegen das Geldausgeben: Wechselnden Schätzungen zufolge dürften Eigentümer je 100 Dollar Wertverlust ihres Hauses zwischen 3 und 5 Dollar weniger ausgeben.
Das lässt sich zu nationalen Kaufkraftverlusten von gewaltigen 375 Mrd. Dollar hochrechnen:
Diesem Schwund entspricht eine Absenkung des Lebensstandards vieler Amerikaner. Verminderte Umsätze von Gütern und Diensten aber, das ist wichtig, vermindern auch die Anreize für Firmen zu investieren und einzustellen und bremsen so die wirtschaftliche Erholung.
(ebd.)
Was dem Land fehlt, sind eben nicht bloß Häuser zum Wohnen und Geld zum Leben, sondern Chancen fürs Geschäft: Die Verarmung von zwangsgeräumten und nicht zwangsgeräumten Hausbesitzern hindert das Kapital daran, ihnen etwas zu verkaufen, und schädigt so das, worauf es im Land zuallererst ankommt: Die Perspektiven des Profits; ohne die kann das Kapital weite Teile des Arbeitsvolks nicht gebrauchen, nicht nützlich machen und ihm nichts zu verdienen geben – und so weiter im Zirkel der Krise.
Warum der Wohnungsmarkt nicht wieder in die Gänge kommt, obwohl seine Preise doch auf ein für Käufer attraktives Niveau gefallen sein müssten, ist Bernanke auch klar: Alles hängt an den Banken. Solange ihre Kreditvergabe, die zuvor für das Wachstum auf diesem Markt gesorgt hat, ausfällt, geht gar nichts. So weit hat es das Finanzkapital nämlich mit seiner ausgreifenden Spekulation auf diese Abteilung des amerikanischen Wirtschaftslebens gebracht: Die Versorgung der Masse mit Wohnraum steht und fällt mit dem Gelingen des finanzkapitalistischen Geschäfts rund um den Bau und Kauf von Häusern.
Das Kreditgeschäft mit dem Eigenheim und seine staatliche Betreuung
An die Absurdität der kapitalistischen Eigentumsordnung hat sich die Nation gewöhnt, dass massenhaft Häuser zum Verkauf stehen oder geräumt vor sich hin gammeln und gleich daneben eine wachsende Zahl von Amerikanern in Wohnwagen, Zelten, bei Verwandten oder ganz ohne Obdach herumhausen. Auch der Grund dafür ist nicht nur allgemein bekannt, sondern anerkannt: Die Eigentümer der Häuser können die Raten und Zinsen auf den Kredit nicht mehr bedienen, den sie für die Finanzierung ihrer Bleibe aufgenommen haben. Für diesen Fall haben sich die Banken mit einer Hypothek auf das Haus abgesichert; mit eintretendem Zahlungsausfall greifen sie auf das Pfand zu. Das Haus fällt an die Bank, und die Bewohner landen auf der Straße.
Einer verbreiteten Auffassung zufolge ist dieser Sachverhalt zumindest teilweise darin begründet, dass hier Leute von der Bank Geld in einer Größenordnung geliehen bekommen haben, die es angesichts ihres geringen Einkommens nie hätten bekommen dürfen. Diese Denunziation kaputt gegangener Kreditverhältnisse als Werk maßloser Eigenheimfans bzw. verantwortungsloser Banker ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich:
- Erstens geht diese Auffassung ganz selbstverständlich davon aus, dass es ohne Hilfe eines Geldinstituts mit einer eigenen Bleibe nichts wird. Das elementare Bedürfnis des Wohnens kann in den USA (außer in Großstädten) kaum anders befriedigt werden als durch den Erwerb eines Hauses. Der aber liegt außer Reichweite der Kaufkraft des normalen Amerikaners. Er muss den unvermeidlichen Kauf „finanzieren“, Kredit aufnehmen und ihn aus seinem Einkommen lange, oft lebenslang bedienen.
- Zweitens findet man es ebenso selbstverständlich, dass das Wohnrecht hinfällig wird, sobald die Bedienung der Zinsansprüche des Kreditgebers ausbleibt. Das heißt immerhin: Das Recht der Bank auf die Verzinsung ihres verliehenen Geldes gilt so absolut, dass das Bedürfnis zu wohnen dahinter zurückstehen muss, sobald es zur Kollision beider Interessen kommt. Wenn die Bedienung des Geschäftsinteresses der Bank aber die unumgängliche Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch, der ein Haus braucht, eines bekommt, dann ist das Interesse der Bank auch der gültige gesellschaftliche Zweck, dem sich dienstbar machen muss, wer das Geld, das er für seine Bedürfnisse braucht, nicht immer schon mitbringt. Kredit für die nötige Anschaffung bekommt der gewöhnliche Mensch nur, wenn die Bank einen Weg findet, aus dessen beschränkter Kaufkraft für sich eine zuverlässige Geldquelle zu machen. Dafür, wie umfassend die Bank von Anfang bis Ende die Konditionen des Leihakts bestimmt, sind Aufstieg und Fall des amerikanischen Immobiliensektors ein schönes Lehrstück.
Zunächst machen Banken und Sparkassen in dieser Sphäre ihres Geschäfts nichts anderes als sonst auch: Sie bereichern sich an der fehlenden Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden, indem sie ihnen gegen Zins Geld leihen. Dazu prüfen sie die Kreditwürdigkeit der Nachfrager; im Fall wenig betuchter Kunden beurteilen sie deren Geldquellen danach, ob und in welchem Ausmaß sie versprechen, den zusätzlichen Belastungen durch Zins und Tilgung gewachsen zu sein. Bei den Lohnabhängigen stellen sie ein besonderes Manko in Rechnung: Die Bedienung der Kredite hängt davon ab, ob die Schuldner es ein Leben lang schaffen, die Raten ihrem knappen Monatslohn abzuringen, dessen Zahlung überdies unzuverlässig, weil von Berechnungen eines Arbeitgebers abhängig ist. Entsprechende Konditionen der Kreditvergabe (Bescheinigung über Höhe und Dauerhaftigkeit der Einkünfte, Auskünfte über sonstige Zahlungsverpflichtungen des Antragstellers, Eigenbeitrag) zeugen von dem Bemühen, die Tauglichkeit dieser prekären Schuldner für vergleichsweise große Kreditgeschäfte sicherzustellen und die Bank für das besondere Risiko, das sie darstellen, durch höhere Zinsen zu entschädigen.
Darüber hinaus sichert sich der Kreditgeber mit der Hypothek ein Pfand, nämlich das Zugriffsrecht auf die von ihm finanzierte Immobilie für den Fall, dass der Schuldner seinen Pflichten aus dem Schuldverhältnis nicht nachkommen kann. Der Rückgriff auf den Wert des gepfändeten Eigentums soll gewährleisten, dass wenigstens die verliehene Summe der Bank erhalten bleibt, wenn sich deren Verzinsung schon nicht einstellt. Dieser Fall ist freilich nur als Ausnahme von der Regel vorgesehen, dass sich für die Bank durch die Zinszahlung des Kreditnehmers die Verleihsumme in Kapital verwandelt. Als pfändbare Sicherheit tut die mit Kredit erworbene Immobilie einen zweiten Dienst für die Bank: Sie verleiht dieser Sorte Kreditgeschäft seine besondere Verlässlichkeit. Für die steht der Schuldner mit seinen Zins- und Tilgungsleistungen und mit seinem frisch erworbenen Hauseigentum gerade. Die Kreditbedienung muss er aus dem laufenden Einkommen leisten, um sein Eigentum an der Immobilie zu erhalten. Deren Geldwert ist ihm dabei keine Hilfe, deswegen aber nicht minder von Belang: Weil er für die Bank die Rolle von „equity“ spielt, eines Gegenwerts, der die Kreditvergabe rechtfertigt, entscheiden sich an dessen Größe und verlässlicher Beleihbarkeit die Kreditkonditionen.
So hängt der Besitzer, der in seinem Eigenheim wohnen und es gar nicht verkaufen will, vom Marktwert seiner Immobilie ab; mit dessen Zustandekommen hat er allerdings nichts zu tun. Das machen andere ökonomische Akteure mit ihren Geschäften und Kalkulationen unter sich aus: kommunale oder private Grundeigentümer als Anbieter von bebaubaren Flächen und Bau- bzw. Immobiliengesellschaften als Nachfrager. Die ermitteln den neben den Baukosten andern wichtigen Preisbestandteil der Immobilie, den Preis für Grund und Boden.
Dass für ein vorgefundenes Stück Natur überhaupt Preise gestellt und bezahlt werden, hat seine Basis und Ursache in der Macht des Rechts: Das Institut des Privateigentums erlaubt es dem, dem ein Gelände gehört, andere von dessen Nutzung auszuschließen. Das eröffnet dem Eigentümer die Gelegenheit, für dessen Nutzung oder Aneignung durch andere Geld zu verlangen. Er hat den Boden nicht hergestellt, in seinen Preis gehen anders als bei sonstigen Waren keinerlei Kosten ein – Flächenentwicklungskosten und eventuelle Baulichkeiten werden extra berechnet. Der Grundeigentümer vermarktet nichts als seine vom Recht gesicherte Verfügungsmacht.
Wie viel Geld die wert ist, welchen Preis er für Vermietung oder Veräußerung seines Grundes verlangen kann, hängt von Interesse und Zahlungskraft der Nachfrager ab, die ein bestimmtes Stück Gegend nutzen wollen. Da ist der Hauskäufer mit seinem Bedarf an Wohnraum immer noch nicht im Spiel: Öffentliche und private Bauträger, Immobilienfinanzierer u.a. machen aus dessen Wohnbedarf eine Investitionssphäre, d.h. eine Abteilung Kapitalanlage. Für sie ist der Preis, den der Grundeigentümer für seine Flächen verlangt, nicht einfach eine weggezahlte Summe, sondern Teil eines Kapitalvorschusses, der Rendite abwerfen muss. Ob und zu welchem Bodenpreis eine Investition in ein Bauvorhaben Rendite verspricht, ergibt sich für sie aus einem mehrfachen Vergleich: einmal mit den geforderten Preisen für Grundstücke in ähnlicher Lage und Zustand, zum anderen mit den Preisen, die sie erwartungsgemäß aus dem Verkauf von Häusern bestimmter Lage und Ausstattung verlangen können, und schließlich dem Vergleich mit anderen Preisen, die bei alternativer, etwa kommerzieller Nutzung der Flächen verlangt werden können. Gegen die Preisvorstellungen des Investors setzt der Verkäufer die seinen: Um einen möglichst hohen Preis für seine Flächen durchzusetzen, verweist er auf deren besondere Lage und Verfassung, aber auch auf die konjunkturelle Entwicklung, staatliche Bebauungspläne etc. – lauter schon gegebene oder erwartete Umstände eben, die die Nutzung seines Stücks Grund und Boden ökonomisch interessant machen.
In die Bestimmung des Bodenpreises geht die Spekulation auf dessen zukünftige Entwicklung also immer ein. Was die eine Seite verlangt, die andere zu zahlen bereit ist, entscheidet sich an Erwartungen, wie sich die Nutzung bestimmter Grundstücke wohl entwickeln wird. Und da der Preis sich rein nach Angebot und Nachfrage richtet, hat dessen Höhe nach oben wie nach unten keine Grenze. Das macht die Sphäre zu einem idealen Objekt der Spekulation und der Anlage von Kredit. Banken steigen einerseits bei Investoren mit ein oder betätigen sich gleich selbst als Wohnungsbaugesellschaften: Sie finanzieren die Erschließung und Bebauung von Grundstücken vor und verdienen am Wachstum des Geschäfts, das sie damit anstoßen. Und sie betätigen sich, wie erläutert, zugleich als Finanziers der prospektiven Hauskäufer: So sorgen sie dafür, dass die Nachfrage zustande kommt, auf die die Baugesellschaften beim Investieren setzen. Auf beiden Seiten dieses Geschäfts ist oft ein und dieselbe Bank aktiv, jedenfalls immer dieselbe Branche, und bestimmt mit ihren Renditeerwartungen maßgeblich den Geschäftsgang dieser Sphäre.
Der Eigenheimbesitzer ist dabei nach allen Seiten die abhängige Variable. Was er zahlen muss, um ein Haus zu kaufen, ist Ergebnis des Handels zwischen Grundeigentümern und Investoren; was ihn der dafür nötige Kredit kostet, ergibt sich aus den Kalkulationen der Bank; und was das Haus wert ist, mit dem er für den Kredit haftet, ist, kaum steht es da, Ergebnis der spekulativen Nachfrage nach vergleichbaren Objekten. Machen die Banken Hypothekendarlehen in großem Stil verfügbar und sorgen so für eine gesteigerte Nachfrage nach Immobilien, so steigen tendenziell die Bodenpreise; das steigert den Marktwert der in den Bankbilanzen bereits verbuchten Sicherheiten und erlaubt den Banken, eine Immobilie ein zweites Mal für einen zusätzlichen Kredit an den Hauseigentümer zu beleihen und ihr Geschäft mit ihm auszuweiten. Verringern die Banken ihre Immobilienkredite, so erzeugt das umgekehrt eine Tendenz zu fallenden Preisen; die liefert einen eigenständigen Grund, das Geschäft mit den Hypothekendarlehen weiter einzuschränken. Die Hausbesitzer bleiben bei all dem die trostlosen Figuren, die sie nun mal sind: Steigende Preise verhelfen denen, die bereits ein Haus haben, zu erweiterter Kreditwürdigkeit und machen zugleich denen, die eines brauchen, die Sache teurer; umgekehrt umgekehrt. So verschaffen die Banken mit ihrer eigenen Konjunktur hardworking Americans die Kreditwürdigkeit, die sie für ihr Zinsgeschäft mit ihnen brauchen, und entziehen sie ihnen auch wieder – und damit vielen Schuldnern, die ihren Kredit unter härteren Konditionen nicht mehr bedienen können, auch die Bleibe.
Das ist schon in normalen Zeiten so; in der Great Depression der 30er Jahre allerdings waren, wie heute, der damals schon bedeutende Hypothekenmarkt der USA und der Wohnungsbau völlig zusammengebrochen und trugen ihren Teil zur Schrumpfung der Wirtschaft bei (40 % Rückgang der industriellen Produktion gegenüber dem Vorkrisenniveau). Die Regierung des „New Deal“ entdeckte damals nicht nur die Versorgung der Massen mit bezahlbarem Wohnraum als sozialpolitische Aufgabe, sondern nahm sich der Sphäre auch wegen ihres großen kredit- und volkswirtschaftlichen Gewichts an: Für Präsident Roosevelts beispielhaft kapitalismuskonformer Fassung von Sozialpolitik war die Bekämpfung der rezessionsbedingten Wohnungsnot von vorneherein dasselbe wie die Rettung des Kreditgeschäfts mit dem Wohnungsbau, also die Rettung der Hypothekenbanken und darüber des ganzen Finanzsektors. Für die armen Massen war nichts Anderes und nichts Besseres zu haben als staatliche Hilfen für die Banken, damit deren Zinsgeschäfte mit dem Bau von Eigenheimen wieder gelingen.
1934 hat man dafür die Federal Housing Agency (FHA) gegründet, die Hypothekendarlehen, die gewissen Qualitätsstandards genügen, gegen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldner versichert. Für „conforming loans“, deren Höhe eine festgesetzte Relation zum laufenden Einkommen des Schuldners wie zum Wert der Immobilie (80 %) nicht überschritten, nahm der Staat den Banken gegen Gebühr das Kreditrisiko ab. Diese Absicherung des Geschäftserfolgs zielte erfolgreich auf die Bereitschaft der Banken, ihre auf den Massenmarkt bezogene Immobilienfinanzierung wiederaufzunehmen und das zu Konditionen, die eine Bedienung aus normalen Lohneinkommen erlaubten.
Durch die Gründung der „Federal National Mortgage Association“ (Fannie Mae) 1938 förderte die Bundesregierung aktiv die Fähigkeit der Banken, Hypothekenkredite zu vergeben. Sie hatte die Aufgabe,
„regionale Banken mit Geldmitteln des Zentralstaates auszustatten, um Hypothekendarlehen für den Hauskauf zu finanzieren und so die Vermehrung von Hauseigentum und die Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums zu befördern.“ (Wikipedia)
Das leistet Fannie Mae auch heute noch, indem sie den Banken durch die FHA versicherte „conforming loans“ abkauft. Diese können Forderungen aus Hypothekenkrediten jederzeit per Verkauf an die Staatsagentur in liquide Geldmittel verwandeln und für die Ausweitung ihres Geschäfts sowie für die Erfüllung von Zahlungspflichten verfügbar machen. Damit steigen Anreiz und Fähigkeit privater Banken, diese Sorte Kreditgeschäft auszuweiten. Zu großer Blüte bringt es dieses Geschäft dann aber doch aus einem anderen Grund.
Die Karriere des Eigenheimkredits als Stoff für den Kapitalmarkt
Die Refinanzierung des hypothekenbesicherten Leihgeschäfts der Banken erledigt Fannie Mae nicht mit staatlichem Geld, sie leiht es sich. Dafür nutzt sie ihre Verfügung über die angekauften Hypothekendarlehen und die ihr daraus zufließenden Zinsen und Tilgungen. Sie macht die Forderungen, die sie besitzt, und Zuflüsse, die sie erwartet, zur Grundlage eines neuen Kreditgeschäfts, indem sie mit Verweis auf diese Ertragsquellen anlagesuchenden Geldbesitzern zukünftige Zinserträge auf das Geld verspricht, das sie ihr leihen. Die Investoren kaufen sich die Vermehrung ihres eingesetzten Geldes durch den Emittenten und verwandeln es so in ein Stück Geldkapital.
Wie jedes andere Wertpapiergeschäft leistet dieses Verfahren etwas Doppeltes: Es stattet die Emittentin Fannie Mae mit den Finanzmitteln aus, mit denen sie den Ankauf von Hypothekendarlehen betreibt und ausbaut, und stiftet gleichzeitig in der Hand der Investoren neues Kapitalvermögen. Die im Wertpapier behauptete Gleichsetzung von spekulativ vorweggenommenen Erträgen mit realem, aktuellem Vermögen wird durch den Kaufakt bestätigt, beruht also auf dem Vertrauen des Investors in die Fähigkeit des Emittenten, das gegebene Ertragsversprechen zu erfüllen, sprich: in dessen Kreditwürdigkeit. Die Rolle, diese zu verbürgen, kommt dessen Vermögenswerten zu, im gegebenen Fall also dem von Fannie Mae angekauften Pool aus Hypothekendarlehen. Die Garantie des amerikanischen Staats, für eventuelle Verbindlichkeiten seiner Schöpfung mit Mitteln aus seinem Haushalt geradezustehen, gibt dem Geschäft allerdings eine entscheidende neue Qualität: Von Fannie Mae begebene Wertpapiere gelten – im Vergleich zu konkurrierenden Angeboten – als außerordentlich sicher, finden deshalb reichlich Nachfrage und erlauben der Agentur, ihre Refinanzierungen immer mehr auszuweiten.
So erfüllt das wachsende Wertpapiergeschäft den politischen Auftrag, die rate of home ownership zu vergrößern. Der Erfolg gestattet es der Regierung, 1968 Fannie Mae und 1970 die Schwesterorganisation Freddie Mac in „Government Sponsored Enterprises“ (GSE), privatwirtschaftlich rechnende, halbstaatliche Aktiengesellschaften zu überführen. Ihre Sonderstellung als zunächst noch monopolistischer Aufkäufer von FHA-versicherten Hypothekendarlehen dürfen und sollen sich die mit ihnen verkehrenden Finanzinstitute in eine implizit fortbestehende staatliche Garantie übersetzen, ohne dass die formell niedergelegt wäre.
Dass der Staat die Verbindlichkeiten der GSE nicht mehr ausdrücklich verbürgt, tut deren Geschäft keinen Abbruch. Sie gehen dazu über, die andere Säule ihrer Kreditwürdigkeit, ihre Verfügung über ein riesiges Portfolio an Hypothekendarlehen, in neuer Weise zu nutzen, indem sie Mortgage backed Securities
(MBS) erfinden, Wertpapiere, die mit Forderungen aus Hypothekendarlehen „unterlegt“ sind. Ihre besondere Verlässlichkeit wird durch einen rechtlich kodifizierten Bezug auf einen festgelegten Teil des Hypothekenportfolios des GSE untermauert, auf den ihr Halter als Pfand zurückgreifen kann, falls der Emittent Zins und Tilgung schuldig bleiben sollte. Die Hypothekenschulden, die die GSE besitzen, verbürgen hier nicht nur überhaupt die Fähigkeit des Emittenten, für versprochene Erträge geradezustehen; der direkte Bezug auf sie als Pfänder stiftet eine eigene Kreditwürdigkeit der Papiere, die es erlaubt, sie von der Kreditwürdigkeit ihres Emittenten zu trennen.
Die Kombination aus dem nach wie vor präsenten staatlichen Hintergrund der GSE und dem gegen Zahlungsausfall mehrfach ver- und besicherten Bestand von Hypothekendarlehen, die als Pfand zur Absicherung der MBS dienen, hat den Emissionen der halbstaatlichen Agenturen Ratings eingetragen, die den quasi ausfallsicheren US-Treasury-Bonds nicht nachstehen. Damit treffen sie die Bedürfnisse diverser Teilnehmer des Kapitalmarkts: Institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionsfonds sichern mit MBS ihre langfristigen Zahlungspflichten ab. Banken und andere Kapitalmarktteilnehmer kaufen MBS als liquide Vermögenswerte, die ihnen ob ihrer Sicherheit und ihres großen Handelsvolumens als besonders geldgleich gelten. Fonds investieren in solche Papiere, um mit Hinweis auf die eingekaufte Ertragsquelle Fondsanteile zu vermarkten u.v.m. Aus ihrem wachsenden Geschäft mit MBS, also aus der Differenz der Zinsen, die in ihrem Besitz befindliche Hypothekenkredite bringen und die sie als absolut kreditwürdige Institutionen für die Vermarktung ihrer Schulden bieten müssen, erwirtschaften die GSE viele Milliarden.
Daher dauert es nicht lange, bis ihre Partner im Wertpapiergeschäft, die Banken, sich nicht mehr nur als Käufer auf dem MBS-Markt betätigen, sondern auch als Anbieter. Die großen Investmentbanken steigen ins Geschäft mit der Verbriefung von Hypothekendarlehen ein, indem sie selbst solche Darlehen zusammenkaufen und auf dieser Grundlage eigene MBS emittieren. Im Interesse der erweiterten Nutzung dieses Marktes befreien sie sich bald von den Schranken des Geschäfts, die sich die GSE auferlegt haben und die deren „securities“ zu besonders sicheren, aber auch niedrig verzinsten Papieren machen. Die Banken erweitern den Umkreis der ihren „securities“ zugrunde liegenden Hypothekendarlehen auf „non conforming loans“ bis hin zu solchen, die später unter dem Namen „subprime“ in Verruf geraten. Findige Finanzspezialisten verwenden dieses mit größerem Ausfallrisiko behaftete „Material“ für die Konstruktion einer neuen Klasse von Wertpapieren, die sie mit unterschiedlichen Risikograden ausstatten und die sie Anlegern je nach deren Risikoappetit oder Sicherheitsbedürfnis andienen: Auch nicht solide Hypothekendarlehen lassen sich in teilweise erstklassige Anlagen transformieren, indem man sie zu einem Pool bündelt, auf den man unterschiedliche Tranchen einer Collateralized Debt Obligation (CDO) bezieht: Die niedrig verzinste Senior Tranche wird als letzte von eventuellen Zahlungsausfällen aus dem Pool betroffen und daher mit AAA ge-„ratet“, vorher muss das breite Mezzanine alle anfallenden Verluste tragen und vor ihr noch bis zu ihrem Totalverlust die hochspekulative Junior-Tranche, in die vornehmlich Hedge-Fonds auf der Suche nach hoher Rendite investieren. So erzeugen die Banken „synthetische Produkte“ ganz nach dem von ihrer Kundschaft „nachgefragten“ Verhältnis von Risiko und Ertrag. Das spekulative Risiko wird in Form von Konditionen und Zinsen mit einem Preis versehen und bleibt so auf jeder Verarbeitungsstufe präsent. Die Bündelung, Verknüpfung und Streuung der Risiken soll diese abmildern und aneinander relativieren; tatsächlich verteilt sie diese jedenfalls auf viele Investoren und verkauft jedem gerade so viel Risiko, wie er meint, sich leisten zu können. Das erweitert insgesamt die Fähigkeit der Finanzwelt, Risiken eingehen zu können, und damit das Feld ihrer Bereicherungsmöglichkeiten; allerdings hat diese Praxis die Kehrseite, dass die Risiken dann auch verallgemeinert sind und eintretende Schäden diese ganze Welt treffen.
Hedgefonds und Investmentbanken verwenden solche Papiere nicht einfach als Anlagen, die sie sich in Erwartung der versprochenen Zinsen ins Portefeuille legen und/oder bei Bedarf liquidieren: Sie nutzen ihre Verfügung über solche Titel schon wieder als Grundlage für ein neuartiges Geschäft, für das die deutsche Mittelstandsbank IKB und ihre Zweckgesellschaft („Conduit“) „Rhineland funding“ berühmt geworden sind:
„Aufgabe des Conduit ist es, am Markt Kredite und verbriefte Wertpapiere anzukaufen und diese über Ausgabe von kurzlaufenden Wertpapieren (Asset Backed Commercial Paper, ABCP) zu refinanzieren. Offenbar um der Rhineland als Emittentin eine gute Bonitätsnote zu verschaffen, hat ihr die IKB eine Kreditlinie gewährt. Der Gewinn, den Conduits machen, wird üblicherweise über Beratungs- und andere Gebühren an die Bank abgeführt, die letztlich hinter dem Conduit steht. Die IKB hat das Beratungshonorar der Rhineland auf rund 54 Millionen Euro beziffert… Nach Angaben des IKB-Sprechers hat die Rhineland 12,7 Milliarden Euro in Kredite und Kreditverbriefungen investiert, dabei auch in „Subprime“-Wertpapiere.“ (FAZ, 31.7.07)
Das Vertrauen potentieller Anleger genießen die Papiere solcher „Vehikel“, weil eine potente Bank hinter ihnen steht, die ihnen eine Kreditlinie bereitstellt. Für die Bank hat die „Auslagerung“ dieser Geschäfte in ein „Conduit“ den unschlagbaren Vorteil, dass dieses vollkommen ohne Eigenkapital wirtschaftet, weil es seine Beschaffung von Zinsquellen ganz über die Ausgabe eigener Schuldpapiere finanziert. Die Geldquelle kostet die Bank keinen Vorschuss an Eigenkapital; Erträge aus Null-Vorschuss mögen in absoluten Zahlen begrenzt sein, als Rendite auf Kapital gehen sie gegen unendlich.
So organisiert das Finanzkapital für sich selbst und alle Anleger, die es in diesen Geschäftsverkehr hineinzuziehen vermag, eine ständig weitergetriebene Vervielfältigung von Vermögenswerten. Die leiten sich allesamt aus verbrieften Schulden ab, was umgekehrt heißt: Die vielen Vermögenstitel sind nichts als Verbindlichkeiten anderer; jedes Schuldverhältnis ist dadurch verbürgt, dass der Schuldner selbst fremde Schulden, d.h. ertragbringende Forderungen gegen eine abermals vorgelagerte Instanz besitzt. Die Werthaltigkeit jedes solchen Finanzwerts steht und fällt mit dem Vertrauen in die Fähigkeit des Schuldners, für Verbindlichkeiten einzustehen, hängt also an der Qualität der Forderungen, die er seinerseits vorzuweisen hat. Dabei erfüllt der Rückbezug auf das ursprüngliche Hypothekenpfand und dessen Wert die Funktion einer letzten Vertrauensstiftung. Die ursprünglichen Hypothekendarlehen beziehen ihre prominente Rolle bei dieser abgehobenen Veranstaltung daraus, dass sie die erste Stufe des sich darauf türmenden Gebäudes von aufeinander Bezug nehmenden Forderungen und Verbindlichkeiten sind. In das Wachstum dieses Gesamtkunstwerks ist deshalb die Beurteilung der ursprünglichen Hypothekendarlehen dafür immerzu eingeschlossen: Deren Zinsdienst, Tilgung und Ausfallrate bekommen die neue, zusätzliche Funktion als Indikator für das Funktionieren des gesamten darauf gegründeten Kreditüberbaus.
Solange die Beteiligten von der Beweiskraft dieser Indikatoren überzeugt sind, erwächst aus der lukrativen Vermarktung von Hypothekenkrediten das Bedürfnis nach mehr von solchen Schuldverhältnissen. Die Verbriefung von Krediten, die als Instrument der Refinanzierung begonnen hat, wird zum eigentlichen Zweck der Operation, die Akquisition von Hypothekenschulden zum Mittel dafür. Jetzt erzeugt nicht mehr der Wohnungsbedarf, näher die Bereitschaft und Fähigkeit von Bürgern, sich für ein Haus zu verschulden, die Nachfrage nach Hypothekenkrediten; vielmehr erzeugt das Bedürfnis nach Schulden als Handelsobjekten das Interesse der Banken an immer mehr Baudarlehen. Um für ihren Kredithandel Stoff zu besorgen, verstricken sie immer mehr Kunden in immer großzügigere Finanzierungen und machen dafür jede erforderliche Summe verfügbar. Je länger, desto mehr verzichten sie bei Neukunden auf den üblichen Eigenanteil bei der Finanzierung eines Wohnhauses, die Prüfung sonstiger Sicherheiten wird immer großzügiger und kommt am Ende auch noch ohne die Vereinbarung von Tilgungsraten aus.
Wenn das Bankkapital sich mit seiner Kreditmacht auf diese Sphäre wirft und (fast) alle, die gerne ein Eigenheim hätten, mit der dafür nötigen Zahlungsfähigkeit ausstattet, dann eröffnet das dem Häusermarkt und nebenher auch den Hauseignern ganz neue Perspektiven. Mit der wachsenden Zahl kreditierter Nachfrager steigen nicht nur Preise für Neubauten; auch die Kreditwürdigkeit derer, die schon ein Haus gekauft haben, verbessert sich: Die Banken behandeln auf Grundlage des selbst erzeugten Booms ihre Schuldner als Eigentümer wachsender Werte und beleihen deren aufgewertete Immobilien ein weiteres Mal mit sogenannten home equity loans. Damit weiten sie nicht nur das Geschäft mit ihren Bestandsschuldnern aus, vergrößern ihre Rechtsansprüche auf Zinsen und beschaffen sich schon wieder neues Material für Verbriefungen; sie sichern auf diese Weise auch ihre ersten Hypothekenkredite ab, indem sie es den Kunden ermöglichen, Zahlungspflichten aus alten Verträgen mit neu aufgenommenem Kredit zu erfüllen. So machen sie ihr Geschäft unabhängiger von den Grenzen der Kreditbedienung, die aus dem verfügbaren, keineswegs mitwachsenden Einkommen ihrer Schuldner geleistet werden muss. Als Abfallprodukt des Kreditbooms wird der Durchschnittsverdiener zeitweilig zum Profiteur einer Spekulation, die auf ihn und mit ihm veranstaltet wird: Auf Kredit kann er sich einen Lebensstandard und vielleicht eine College-Ausbildung für die Kinder leisten, die sein Einkommen überhaupt nicht hergibt. So lange es klappt, stört das niemanden – außer ein paar Besserwisser, die mit Sorge die jährlich steigende Verschuldungsquote des amerikanischen Konsumenten im Verhältnis zum eher sinkenden Lohnniveau bilanzieren.
Im jahrzehntelangen Aufschwung des amerikanischen Wohnungsmarkts manifestiert sich die ganze Leistungsfähigkeit des Finanzkapitals: Es erlaubt nicht nur kreditwürdigen Privatleuten, sich für den Kauf einer Bleibe und selbstverständlich gegen Zinsen zu verschulden, und es macht nicht nur gute Schulden zum Geschäftsartikel höherer Art. Das Interesse des Finanzkapitals an seiner eigenen Akkumulation beschafft sich die Schuldner, ja es schafft selbst die guten Schuldner, die es braucht, indem es mit seinem Wachstum gleich noch den Wert der Sicherheiten steigert, die diese Schulden zu guten machen. Es bleibt nicht dabei, dass Zinszahlungen der Kunden Gewinn und Wachstum des Bankkapitals begründen und damit zugleich beschränken; umgekehrt stützt, ja erzeugt dessen Wachstum nicht nur die Kreditwürdigkeit, sondern auch die Fähigkeit der Schuldner zum Schuldendienst; im Interesse ihres Wachstums halten Banken zeitweilig sogar Zins und Tilgung für verzichtbar.
Das alles leistet die Vermarktung der Schulden, die die Banken besitzen. Mit den Wertpapieren, die sie Geldbesitzern auf der ganzen Welt als Kapitalanlagen verkaufen, machen sie diese zu Stützen und Garanten der Wertqualität ihrer Schulden. Indem Investoren solche Papiere kaufen, halten und als Geschäftsmittel für finanzkapitalistische Operationen nutzen, bestätigen sie diese als Geldkapital; sie geben mit ihrem Gebrauch den Emittenten Kredit und bekräftigen und befördern durch den Kauf von deren Schulden deren Kreditwürdigkeit. Je mehr Geschäftspartner in das Gesamtkunstwerk verwickelt sind, desto haltbarer ist es; desto mehr sind dann auch mitgehangen und mitgefangen und schaden sich selbst, wenn sie die Werthaltigkeit des Schuldengebäudes in Zweifel ziehen. Die Verflochtenheit der Schuldverhältnisse stiftet eine Stabilität und Sicherheit, die den zuverlässigen Zinsdienst des ersten Schuldners zu einem Gesichtspunkt herabsetzt, den „der Markt“ einmal wichtig nimmt, ein anderes Mal wegen seines Interesses am Stoff für weitere Kapitalmarktgeschäfte ignoriert. Das Gleiche gilt dann aber auch umgekehrt: Je mehr Geschäftspartner in diese Kreditbeziehungen verwickelt sind, desto mehr Kredit geht kaputt, wenn doch Zweifel an seiner Haltbarkeit aufkommen, sich Anleger massenhaft aus Engagements zurückziehen und diese dadurch entwerten. In der Krise hat sich gezeigt, wie global die „Vergesellschaftung“ der Kreditverhältnisse inzwischen ist und woran alle Welt partizipiert hat, die ihr Geld sicher und wertbeständig angelegt glaubte: an einer Verkettung von Schuldverhältnissen nämlich, die so lange, aber auch nur so lange Geldkapital sind, wie die Beteiligten gewillt und fähig sind, sie fürs Wachstum ihrer Vermögen zu nutzen.[1]
*
Der amerikanische Staat hatte übrigens keine Bedenken gegen diese Sorte Wohlstandsmehrung; er hat den Boom nach Kräften gefördert – nicht nur mit seinen GSE. Er hat sich mit der Macht des Rechts hinter jeden neuen Dreh gestellt, aus Rechtsansprüchen auf zukünftige Erträge aktuelle Geschäftsmittel zu machen. Noch jeder Präsident betreibt „housing policy“, sei es unter der Parole „Home Ownership Strategy“ (Clinton 1996) oder „Blueprint for the American Dream“ (Bush 2002), mit immer neuen Regulierungen und Deregulierungen, mit Vorschriften, Ermächtigungen und Subventionen,[2] um für das Finanzkapital die Attraktivität des Geschäfts mit Wohnraum zu steigern. Der mit dem Einstieg privater Investoren in den MBS-Markt einhergehende Boom bringt dann das Wunder zustande: Im Jahre 2004 erreicht der Anteil der glücklichen Eigenheimbesitzer in den USA nach Auskunft des amerikanischen Census Bureau die geschichtliche Höchstmarke von 69 % aller amerikanischen Familien.[3]
Dass das Finanzkapital Leuten zu einer eigenen Behausung verhilft, denen das nach allen marktwirtschaftlichen Maßstäben eigentlich nicht zukommt, trägt dem System und speziell seiner Finanzabteilung viel Lob ein. Rückblickend gilt die Erfolgsstory dann allerdings doch als unzulässige Übertreibung – und zwar eine, die gar nicht mehr rückgängig zu machen ist:
„Nach Auffassung mancher Ökonomen und politischer Führer haben die Amerikaner im Häusermarkt überinvestiert und sollten lernen, mit einem niedrigeren Niveau des Hauseigentums zu leben. Dieser Standpunkt hat viel für sich; allerdings hat sich die Nation über viele Jahrzehnte auf den Häusermarkt als maßgebliche wirtschaftliche Wachstumsquelle festgelegt. Diese Festlegung rückgängig zu machen, würde ebenfalls Jahrzehnte dauern und könnte für eine ganze Generation Schäden für Individuen und für die Nation verursachen.“ (Los Angeles Times)
Die Finanzkrise und der Zusammenbruch des Häusermarktes
Zum Crash am Markt für Hypothekenkredit-Verbriefungen kommt es genau so wie zu seinem Aufschwung. Die Banken, die den Hypothekenkredit zum Lieferanten vermarktbarer Schuldverhältnisse hergerichtet haben, achten auf alle Details der Entwicklung ihres Basisgeschäfts: die Ausfallquote der Hypotheken, die Preisentwicklung der Immobilien, die Zinsen. Alle Gesichtspunkte werden als Indikatoren der Stabilität des Basismarkts zur Kenntnis genommen und gehen als „Marktdaten“ in die Preisbestimmung der ABS und MBS etc. ein. In die Bewertung der Daten geht zugleich eine Einschätzung darüber ein, wie „die Gemeinde“ sie wohl nehmen und bewerten wird – vom Verhalten der anderen am Kapitalmarkt hängt schließlich der Wert der eigenen Vermögenstitel ab. Da heißt es also unterscheiden: Unverkaufte Häuser z.B. gehören zum normalen Geschäftsverlauf, ob wachsende Leerstände nur eine Delle im Aufschwung oder der Anfang von seinem Ende sind, das will erspürt sein. Einerseits steht fest, dass der Markt nicht auf ewig so weiter wachsen kann; andererseits heißt das nicht, dass er es nicht noch ein Jahr oder länger kann. Es will abgewogen sein, wann man aussteigt; rechtzeitig schon, aber keinesfalls zu früh.
Solche Bedenken haben das Zeug zur Verallgemeinerung. Es genügt schon, dass eine größere Zahl von Investoren ein Datum des Häusermarkts gleichzeitig zum Grund nimmt, MBS zu verkaufen und in andere Anlagen zu wechseln, ohne dass sich genug neue Käufer für die auf den Markt geworfenen Papiere finden. Wenn Anleger Schuldforderungen massenhaft zu Geld machen wollen, erweist sich eben, dass sie Geld nicht sind – und Geldkapital nur durch das Vertrauen der Investoren in das Versprechen auf Rendite, das sie sind.
„Die Immobilienkrise in Amerika hat in den vergangenen Tagen eine Krise auf den Kreditmärkten ausgelöst. In diesem Zuge wird nun selbst die Werthaltigkeit von AAA-Papieren, die mit Subprime-Krediten unterlegt sind, bezweifelt, was zu Kursverlusten geführt hat… Fachleuten zufolge ist offen, ob die Subprime-Wertpapiere mit guten Bonitätsnoten tatsächlich einmal Kapitalverluste erleiden werden. Einiges spreche dafür, dass diese Papiere gegen Hypothekenausfälle tatsächlich recht gut abgeschirmt seien. Dann könnten den derzeitigen Abschreibungen auf diese Papiere Hochschreibungen und Buchgewinne folgen. (FAZ, 31.7.07)
Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen, und noch nicht einmal, weil die Abschirmung der waghalsig konstruierten AAA-Papiere versagt hätte. Weithin wurde sie gar nicht mehr getestet, denn die abgewerteten Papiere waren längst zur Grundlage weiterer Wertpapierschöpfungen gemacht worden, auf die sich das Misstrauen der Investoren ausweitete, und so wurde den diversen Zweckgesellschaften die Refinanzierung ihrer zusammengekauften Kreditportfolios verweigert. Wegen Zweifeln an der Zuverlässigkeit ihrer „asset backed securities“ werden sie selbst als Emittenten von Schuldpapieren bezweifelt. Vor diesem Hintergrund tat sich die Rhineland offensichtlich schwer, für ihre ABCPs neue Käufer zu finden.
(FAZ 31.7.) Das Conduit kann seine Schulden nicht mehr zurückzahlen, weil es sich das Geld dafür nicht mehr durch die Vermarktung eigener, auf die „assets“ gegründeter Schulden beschaffen kann. Muss die Mutterbank dann mit der Kreditlinie haften, die ja nie wirklich eingesetzt werden, sondern als Garantie die Kreditwürdigkeit ihres Conduit gewährleisten sollte, ist sie selbst überfordert. Zweifel an der Geschäftsfähigkeit großer Banken stürzen schließlich den ganzen Sektor in die Krise. Denn es stellt sich heraus, dass das Kapital und die Reserven von Banken, Fonds und Versicherungen aus gar nichts anderem als solchen und ähnlichen Schuld-Papieren bestehen.
Der Zusammenbruch des Kapitalmarktgeschäfts schlägt rückwärts auf die Immobilienfinanzierung und die Häuserpreise durch, die es vorher beflügelt hatte. Misstrauen in die Stabilität des MBS-Marktes schwächt die Fähigkeit und das Interesse der Finanzinstitute, ihr Hypotheken-Geschäft auszuweiten. Die Erwartung erschwerter Baufinanzierungen übersetzt sich für Profis unmittelbar in die Erwartung sinkender, mindestens stagnierender Hauspreise; die deswegen erst recht wachsende Vorsicht bei der Kreditgewährung macht die Erwartung zur „self fulfilling prophecy“: Die Preise fallen auf breiter Front. Massen von Hauseigentümern sind in der Folge überschuldet, weil der Wert ihrer Immobilie unter den Betrag des damit besicherten Darlehens fällt. Gestern noch Besitzer respektabler Sicherheiten, sind die Bankkunden wieder arme Leute, deren Verschuldung in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen steht. Die Bank verweigert ihnen deshalb im ersten Schritt die weitere Refinanzierung ihrer Schulden und besteht auf Zins und Tilgung. Prompt erweisen sich nicht wenige Hausbesitzer außerstande, Raten auf ihren laufenden Kredit zu zahlen, weil sie das auch vorher nur durch neue Kreditaufnahme konnten.
Dadurch verwandeln sich Hypothekendarlehen vom funktionierenden Geschäftsmittel der Bank in uneinlösbare Forderungen. Der Schritt der Bank, Kreditbeziehungen zu säumigen Schuldnern auf breiter Front zu beenden, sie zu enteignen und sich wenigstens am Restwert ihrer Immobilie schadlos zu halten, tut ein Übriges: Die massenhafte Durchführung von Zwangspfändungen (foreclosures) wirft immer mehr Eigenheime auf den Markt und fördert zu Tage, dass ihre als Sicherheit eingeplanten Werte Resultat der Spekulation auf deren Wachstum waren, also durch den Versuch, sie zu realisieren, vernichtet werden. Der weitere Verfall der Hauspreise bringt weitere Hypothekenschuldner „under water“, was auch bei ihnen zu schlechteren Kreditkonditionen, einem strengen Bestehen der Bank auf pünktlicher Schuldenbedienung und bei Verzug zu weiteren Zwangsvollstreckungen und einem noch schlimmeren Verfall der Hauspreise führt und so weiter. Nicht wenige Banken, zuletzt die Bank of America, gelangen zu dem Schluss, die ganze Abteilung abzustoßen oder abzuwickeln.. So kommt der Zusammenbruch des spekulativen Überbaus bei denen an, deren Schulden und Eigenheime als Basis für eine ganze Epoche Kreditwachstums fungiert haben. Zuerst im Eigenheim, das sie sich eigentlich nicht leisten können, dann in Form von Enteignung und Obdachlosigkeit bekommen sie die Quittung dafür, dass das Finanzkapital ihre Schulden als sein Wachstumsmittel schätzen gelernt hat.
Die staatliche Krisenbewältigung
Die soziale Katastrophe – ein Fall für den Rechtsstaat
Die verheerenden Wirkungen der Kreditkrise auf die Lebenslage von Millionen ruft den Staat auf den Plan – in seiner Eigenschaft als Rechtsstaat. Im „land of the free“ ist der Verlust des Heims Privatsache, Pech, ein hartes Schicksal, das privat bewältigt werden muss. Rücksicht auf das elementare Bedürfnis nach Wohnraum kann ein Geschädigter allenfalls erwarten, wenn er darlegen kann, dass die Bank, die ihn enteignet, das gar nicht darf und Recht bricht. Betroffene greifen massenhaft zu diesem Strohhalm und rufen die Gerichte an. Unter dem Titel foreclosure gate
[4] empört sich die amerikanische Nation über alles, was Justiz und Öffentlichkeit am Verhalten der Obdachlosigkeit erzeugenden Banken unrechtmäßig oder auch nur ungerecht finden. Das betrifft einiges; nur die Hauptsache nicht.
Die Pfändung überschuldeter Eigenheime wird von enteigneten Bewohnern damit angegriffen, dass angesichts des unrechtmäßigen Weiterverkaufs ihrer Darlehen durch die Hypothekenbank und deren Verwendung in einem Pool von hundert und tausend anderen Schuldverträgen als Pfänder für derivative Wertpapiere (MBS, ABS, CDO) gar nicht mehr klar ist, bei wem der Schuldner nun eigentlich verschuldet ist, wem also das Pfandrecht auf seine Immobilie zusteht. Die Halter aufgeflogener Immobilien-Derivate sehen das umgekehrt, fordern das ihnen zugesicherte Recht auf das Eigentum des letzten Schuldners ein, auch wenn das Papier, das sie – womöglich in der zweiten und dritten Verarbeitungsstufe – besitzen, nur ein Pfandrecht auf vielleicht ein Tausendstel des Werts eines bestimmten Hauses repräsentiert. Die Sache ist nicht einfach, offenbar hatte man bei der Konstruktion der „asset backed securities“ nicht bedacht, wie ein zusammengewürfeltes, gestückeltes und auf zahllose Papiere aufgeteiltes Durchgriffsrecht auf Pfänder bei Bankrott des Derivate-Emittenten wieder auseinander zu sortieren wäre; die Rückabwicklung der Kreditverschlingung bis zum bitteren Ende war nicht vorgesehen. Der Fall wird die Gerichte noch eine Weile beschäftigen.
Einfacher zu regulieren ist ein anderer Skandal. Die Banken, die nicht mehr die eine oder andere notleidende Hypothek kündigen, sondern ihre ganzen Hausfinanz-Abteilungen zurückfahren oder auflösen, bedienen sich dabei derselben Formen des automatisierten Geschäftsverkehrs, die sie im Boom praktiziert hatten. Damals war das im Sinne der Antragsteller und wurde nicht beanstandet. Das Hypothekenrecht verlangt nun aber die sorgfältige Prüfung der Umstände und der Kreditwürdigkeit des Einzelfalls und die Erwägung von Alternativen zur Zwangsräumung. Den dafür nötigen kostenträchtigen Aufwand vermeiden Banken, indem sie Hilfskräfte als menschliche Unterschriftsautomaten für Pfändungsbescheide einsetzen. Darüber können sich viele kritische Amerikaner empören, es bestätigt sie in ihrer Auffassung, dass die ganze Krise nur den illegalen Praktiken gieriger Banker zuzuschreiben ist. Und rechtlich angreifbar sind sie ja tatsächlich. Den Markt für Rechtsbeistand, der da entsteht, teilen sich Anwälte mit kommunalen und staatlichen Beratungsstellen und Schlichtungsgremien, bei denen von Zwangsräumung Betroffene kostenlos Rat und Hilfe bekommen können. Die Staatsdiener mühen sich ab, zwischen Banken und ihrer hilflosen Kundschaft so etwas wie Waffengleichheit herzustellen, damit die Leute nicht über Gebühr über den Tisch gezogen werden.[5] Es sollen nur rechtlich einwandfreie foreclosures passieren und die Betroffenen sollen, wenn schon, nicht mehr als nötig ruiniert werden.
Gerechtigkeit im Sinn des amerikanischen „fair play“ ist überhaupt die große Forderung angesichts der katastrophalen Kollision des Eigentumsrechts der Banken mit dem Bedürfnis ihrer armen Kunden nach Wohnung. So findet eine Praxis überschuldeter Hausbesitzer, die in manchen Bundesstaaten legal,[6] in anderen illegal ist, wachsende gesellschaftliche Anerkennung. Sie heißt im Volksmund „walk away“, juristisch „strategic default“, und besteht darin, dass der Schuldner die Bedienung seines Kredits einstellt und der Bank sein Haus einfach überlässt. Er hört auf zu zahlen, bevor ihm das Geld ganz ausgeht, und kommt dem „foreclosure“ zuvor. Ein Rechtsprofessor aus Arizona, Brent White, macht sich national einen Namen mit einer Schrift, in der er Hausbesitzern diese Vorgehensweise empfiehlt und ihre rechtliche, vor allem aber ihre moralische Zulässigkeit begründet.
„Der Zusammenbruch des Wohnungsmarktes führt dazu, dass 10,7 Millionen Familien größere Schulden haben, als ihre Häuser wert sind. Manche davon kommen zu dem kalkulierten Entschluss, lieber ihr Geld zu behalten als ihr Haus. Ist das unverantwortlich? Präsident Obama hat die Hausbesitzer gedrängt, verantwortlich zu handeln. Tatsächlich haben Berater des Wohnungsbauministeriums den Auftrag, Leuten von der Aufgabe ihrer Häuser abzuraten. In vielen Fällen heißt das, ihnen empfehlen, Geld wegzuwerfen… Es gibt zwei Gründe, warum strategic default als antisozial und vielleicht unmoralisch gilt. Einer ist, dass Räumungen das Wohnviertel entwerten und die Hauspreise verderben. Aber seit wann sind Menschen in der Marktwirtschaft verantwortlich für die ökonomischen Wirkungen ihrer Handlungen? Jeder Ölspekulant trägt dazu bei, die Benzinpreise in die Höhe zu treiben. Jeder Hedgefonds, der gegen eine Bank spekuliert, indem er Credit-Default-Swaps auf ihre Wertpapiere kauft, signalisiert Zweifel an ihrer Kreditwürdigkeit und macht es dadurch teurer für die Bank, sich Geld zu leihen bzw. Schuldverschreibungen aufzulegen… Die Regierung sollte Schuldner ermutigen, Zahlungen einzustellen, wenn es in ihrem wirtschaftlichen Interesse ist. Das würde das herrschende Ungleichgewicht ausgleichen: Eigenheim-Besitzer unterliegen starken moralischen Zwängen, während die Geldverleiher eifrig streben, ihre Profite zu maximieren. Wichtiger noch, das könnte die Blockade des Systems lösen. Hätten die Gläubiger eine Lawine von strategic defaults zu fürchten, hätten sie einen Anreiz, die Kreditkonditionen neu zu verhandeln. Theoretisch könnte das eine Welle von Korrekturen auslösen – exakt das Ziel, das das Finanzministerium zur Beendigung der Krise schon länger anstrebt.“ (NYT, 10.1.10)
Das Plädoyer für Gerechtigkeit und eine national nützliche Waffengleichheit mit gierigen Bankern hat es in sich: Da wird das Aufgeben des Eigenheims als Befreiung empfohlen! Freedom – just another word for nothing left to lose!
Der staatliche Kampf um Rettung und Erneuerung des Hypothekenkredits
Der Staat hat derweil schwerwiegendere Probleme. Er hat damit zu tun, das zusammenbrechende nationale Finanzsystem im Allgemeinen und die Hypothekenfinanzierung im Besonderen zu retten. In der Erholung dieses Sektors liegt nach allgemeinem Dafürhalten der Schlüssel zur Überwindung der ganzen Wirtschaftskrise.
Dafür bringt die Regierung ihre Geldmacht zum Einsatz; was auch sonst. Freddie Mac und Fannie Mae kaufen im Staatsauftrag und mit neuem Staatskredit den Banken faule Hypothekendarlehen ab, um deren Bankrott abzuwenden und den fortschreitenden Zusammenbruch des Immobilienmarkts zu stoppen. Die Garantieleistungen der GSE werden in großem Umfang in Anspruch genommen; ihre vorherige Immobilienfinanzierung nehmen die geretteten Banken gleichwohl nicht wieder auf. Die Finanzmittel der staatlichen Agenturen funktionieren nicht wie früher als Grundlage wachsenden privaten Geschäfts, sondern als Rettungsanker und Ersatz für dessen Ausfall. Dass die Banken nicht wieder zu einer großzügigeren Gewährung von Hypothekendarlehen zurückkehren, belegt schön das Interesse, das sie im Aufschwung an diesem Geschäft hatten. Sie konnten es als Unterbau ihrer Kreditverbriefungen gut gebrauchen. Jetzt, wo es auf die Nachfrage von Kunden angewiesen ist, die sich in der Krise einen Hausbau vornehmen und leisten können, bleibt es mickrig. Die Übernahme fauler Hypotheken durch die GSE sorgt für eine gewisse Bereinigung der Bankbilanzen; allerdings um den Preis, dass sich in den Bilanzen der Agenturen Verluste akkumulieren. Im Verlauf des Jahres 2008 wird ruchbar, dass ihre Marktinterventionen einen ungeheuren Kapitalbedarf nach sich ziehen, für den sie auf dem Kapitalmarkt keine Geldgeber finden.[7] Weil die GSE als Garanten des US-Häusermarkts und des ABS-Markts aber unbedingt geschäftsfähig bleiben müssen, übernimmt der Staat die Geschäftsführung der beiden Gesellschaften und steht für ihre Zahlungspflichten ein.[8] Das belastet seinen Haushalt bis 2011 mit Summen im dreistelligen Milliardenbereich.
Weil das alles den Zusammenbruch des Wohnungsmarkts nicht aufhält, konzipiert die Regierung nun auch Programme zur Unterstützung von Eigenheimbesitzern, denen die Kündigung ihres Kredits droht. HARP (Home Affordable Refinance Program) und HAMP (Home Affordable Modification Program) sehen Hilfen für manche der Pleitiers vor. An einer bestimmten Höhe ihrer Überschuldung sortiert die Regierung sie in schlechte Schuldner und behinderte gute und offeriert letzteren Erleichterungen bei der Schuldenbedienung bzw. subventioniert Banken, die bereit sind, Verträge zu modifizieren. Ein Recht auf Teilnahme an den Programmen bzw. eine Pflicht der Banken, ihren Schuldnern die Teilnahme anzubieten, sind nicht vorgesehen. Beide Programme werden in vernachlässigbarem Umfang in Anspruch genommen; auch mehrfache Nachbesserungen ihrer Konditionen ändern daran wenig. Die Banken verlangen so hohe Gebühren für die Teilnahme an den Programmen, dass sie für die Schuldner unattraktiv wird. Sie dokumentieren damit ein weiteres Mal, dass sie an diesem Segment des Kreditgeschäfts vorerst kein Interesse haben.
Das nimmt die Obama-Administration übel. Die Banken bedienen sich gerne der staatlichen Hilfen zum Abladen ihrer faulen Kredite, weigern sich aber, ihrer Verantwortung als Kreditgeber nachzukommen und ihrer überforderten Kundschaft Erleichterungen zu gewähren und setzen stattdessen ihre Praxis der foreclosures fort. Die Regierung nimmt die notleidende, systemisch unverzichtbare Finanzindustrie nun auch als Hindernis der Krisenbewältigung und sogar als Rechtsbrecher ins Visier. Mithilfe des Rechts will sie die Banken zwingen, den Schaden, den sie anrichten, wenigstens zu begrenzen. Vor Gericht setzen die halbstaatlichen Agenturen Freddie Mac und Fannie Mae durch, dass Banken Hypotheken zurücknehmen müssen, die sie ihnen zu teuer, nämlich mit einer falsch deklarierten Qualität verkauft haben. Eine ähnlich begründete, weit größere Klage strengt die Bundesregierung selbst gegen eine Vielzahl amerikanischer wie internationaler Banken an.
In der Frage der foreclosures hingegen bringt die Regierung Obama den Rechtsstreit mit den Banken um die Verteilung der Kosten der Krise zu einem gewissen Abschluss. Im Februar 2012 trifft sie mit den größten Instituten des Landes ein „foreclosure settlement“:
„Diese Runde von Erleichterungen wird etwa zwei Millionen früherer und gegenwärtiger Hausbesitzer zugute kommen. Nach der Vereinbarung werden die Banken etwa 10 Mrd. Dollar Schulden-Reduzierung gewähren, 3 Mrd. für Umschuldungen, 7 Mrd. für andere Krediterleichterungen wie die Stundung für arbeitslose Schuldner, was insgesamt etwa eine Million Kreditkunden betrifft. Weitere 1,5 Mrd. Dollar werden Barzahlungen von ca. 2000 $ an rund 750 000 Kunden sein, die bei Zwangsvollstreckungen zwischen 2008 und 2011 unfair behandelt worden sind. 3,5 Mrd. $ gehen an Einrichtungen der Einzelstaaten oder des Bundes für Aufwendungen bei Rechtshilfe und Beratung von Schuldnern, die Zwangsvollstreckungen entgegensehen… Was bekommen die Banken als Gegenleistung für ihre Nachlässe? Mit einem Wort: einen guten Tausch. Sie bekamen zwar nicht die Blanko-Befreiung von rechtlicher Haftung für alle Sorten von Fehlverhalten in ihrem Hypothekengeschäft, die sie ursprünglich anstrebten. Doch die Vereinbarung schützt sie vor Zivilklagen der Einzelstaaten und des Bundes gegen die meisten Arten von Pfändungs-Missbrauch, einschließlich der unberechtigten Verweigerung von Vertragsmodifikationen, maßloser Verzugszinsen, mit denen sich die Banken bereichert haben, die es Schuldnern aber unmöglich machen konnten, einen Zahlungsverzug wieder aufzuholen, einschließlich auch der Interessenskonflikte, die Banken veranlassten, Räumungen gegenüber Vertragskorrekturen vorzuziehen. Künftig werden Banken strengere Standards bei der Betreuung ihrer Kreditbeziehungen und der Durchführung von Pfändungen beachten müssen. Sünden von gestern aber sind weitgehend vergeben.“ (NYT, 11.2.12)
Die Regierung feiert die Vereinbarung als längst fälliges Schuldeingeständnis der Banken, dass sie mit verantwortungslosem Geschäftsgebaren Millionen von „responsible homeowners“ (Obama) in den Ruin getrieben haben. Praktisch erhofft sich die Regierung von den vereinbarten Krediterleichterungen, dass mehr Hypothekenverträge nicht gekündigt, sondern fortgesetzt werden. Für das großzügige Zugeständnis der Banken, auf weithin sowieso uneinlösbare Forderungen zu verzichten und einen Weg zur Fortsetzung des Geschäfts mit ihren verarmten Kunden zu eröffnen – wie viele letztendlich von dem Angebot profitieren, wird sich zeigen –, verschont sie die Regierung mit Zivilklagen gegen ihre illegalen Praktiken. Die strafrechtliche Verfolgung von Rechtsbrüchen durch die Finanzaufsicht SEC (Securities & Exchange Commission) bleibt davon unberührt.
Die FED will mit dem Hypothekenkredit die ganze US-Ökonomie aus der Krise herauskaufen
Während des ganzen Hin und Her zwischen Staat und Banken geht die Immobilien- und allgemeine Krise ins sechste Jahr. Alle Maßnahmen der Regierung leisten eines jedenfalls nicht: Die Wirtschaft als Ganze kommt nicht aus der Krise. Im September 2012 entschließt sich die US-Notenbank zu einem nie dagewesenen Schritt
:
„Um eine stärkere wirtschaftliche Erholung zu unterstützen, hat der Offenmarktausschuss der FED heute beschlossen, die Geldversorgung durch den Ankauf von zusätzlichen Mortgage Backed Securities der Agenturen (Fannie Mae etc.) in einem Umfang von 40 Mrd. $ pro Monat zu verstärken. Das Komitee will auch bis Ende des Jahres das Programm fortführen, mit dem es die durchschnittliche Fälligkeit gehaltener Wertpapiere, wie im Juni angekündigt, verlängert; ferner bleibt es bei seiner bisherigen Praxis, Tilgungszahlungen der Agenturen auf Schulden sowie auf MBS, die die FED hält, wieder in solche MBS zu reinvestieren. Diese Maßnahmen, die zusammen die vom Offenmarktausschuss gehaltenen langfristigen Wertpapiere jeden Monat bis Jahresende um etwa 85 Mrd. $ vermehren, sollten die langfristigen Zinsen drücken, die Hypothekenmärkte stützen und zur Entspannung der allgemeinen Finanzlage beitragen.“ (Fed Press Release, September 2012)
Die FED identifiziert den immer noch nach Billionen zählenden Haufen illiquider Immobilienkredite in den Bankbilanzen als Grund der fortdauernden Krise. Und sie sieht, gerade weil in diesem Segment des Kreditsystems so viel Kapital steckt und kaputt geht, hier auch den Ansatzpunkt zur Bewältigung der allgemeinen Krise: Sie will den ganzen Schrott Schritt für Schritt aufkaufen und zwar so lange, bis erreicht ist, was sie als Maß für eine „growing economy“ gelten lässt: Jobs, ein Rückgang der Arbeitslosigkeit auf das normale Niveau.
Illiquide Hypothekenmärkte, unverkäufliche Häuser, fallende Hauspreise, der darnieder liegende Wohnungsbau als bedeutender Teil der Volkswirtschaft und deren Stagnation – mit all dem steht die FED vor den Wirkungen der Überakkumulation von Kapital: Es ist in diesen Sektor und überall zu viel Kredit gegeben und genommen, zu viel Kapital investiert worden, als dass es sich noch lohnen würde. Die FED nimmt die Krise als Mangel an Kapital und Mangel an Investitionsbereitschaft, die sie beide durch die Vermehrung und Verbilligung von Kredit heilen will; sie bekämpft die Überakkumulation von Kapital durch mehr davon. Und wenn die Maßnahmen der Regierung und ihre eigenen zur Rettung des Immobiliensektors bisher nur dazu geführt haben, dass Banken, die auf entwerteten Forderungen sitzen und vom Bankrott bedroht sind, ihre schlechten Schulden los werden und halbwegs geschäftsfähig bleiben, nicht aber ihre Kreditvergabe ausweiten und Wachstum bewirken, dann, schließt die FED, war ihre Ersatzvornahme für den ausfallenden und schrumpfenden privaten Kredit eben noch nicht groß und nicht anhaltend genug. Sie ist entschlossen, den qualitativen Umschlag von schlechten, nicht verwertungsfähigen Schulden in neues, Rendite bringendes Geldkapital zu erzwingen und hält sich dabei an ihr Grunddogma: Banken und Bürger würden Kredit doch nehmen und mit Geld etwas Gewinnbringendes anstellen, wenn sie genug davon billig genug in die Finger bekommen könnten. Die anhaltende Krise beweist ihr, dass der Preis für die Verfügung über Kapital, der Zins, zu hoch sein muss. Je weniger sich mit Kapitaleinsatz Profit machen lässt, desto entschiedener tut sie, was sie kann, um die Zinsen zu senken und so eine Differenz von Kosten und Erträgen des Kapitaleinsatzes dennoch sicher zu stellen.
Da die FED schon ein halbes Jahrzehnt lang den Geldmarktzins, den sie für Zentralbankgeld von Privatbanken fordert, bei etwa Null hält, und die dennoch nicht so viel davon leihen mögen, wie sie es für nötig befindet, sucht sie mit dem aktuellen Programm einen Weg, ohne die Banken die Zinsen am Kapitalmarkt zu drücken.
„Durch den Kauf von Hypotheken-Schulden hofft die FED Hypothekenzinsen zu drücken, was den Wohnungsmarkt unterstützen und zugleich Halter von MBS-Papieren veranlassen würde, in andere Anlagen zu wechseln, so dass deren Zinsen auch sinken. Die Zuständigen glauben, derart abgesenkte Kreditkosten sollten die Kreditaufnahme antreiben und das Wachstum der Wirtschaft fördern.“ (Reuters)
Ihre anhaltende Nachfrage nach den illiquiden und hochspekulativen MBS-Papieren sollte deren Kurse wieder steigen und die mit hohem Risiko erkauften Renditen sinken lassen. Das wiederum sollte Anleger aus diesem Markt hinaus auf andere Investitionsfelder treiben, so dass auch dort die Zinsen sinken und die Volkswirtschaft als Ganze günstiger finanziert wird. Den Umstand, dass Hedgefonds und andere sich in MBS-Geschäfte wagen, weil sie weniger spekulative oder höher rentierliche Investments nicht finden, deutet die FED wieder ganz nach ihrem Schema: als Konsequenz dessen nämlich, dass die Zinsen anderswo immer noch zu niedrig, die Zinsen im MBS-Bereich also zu hoch sein müssen dafür, dass Anleger Alternativen erwägen würden.
Der widersprüchliche Kampf gegen die Überakkumulation des Geldkapitals durch mehr Geldkapital lässt sich durch Misserfolg nicht irritieren; er ist ja auch kein fragwürdiges Experiment, sondern die auftragsgemäße Betätigung der Macht der Notenbank, die aus ihrer Hoheit über das nationale Geld folgt. Sie kann durch politische Kreditschöpfung die fällige Entwertung des Schuldenbergs verhindern und dafür sorgen, dass er weiterhin als Vermögen gilt und als Investitionsmittel bereit steht, – solange durch diese politische Geldvermehrung die nationale Währung das Vertrauen der Investoren nicht verliert. Da kann die FED Entwarnung geben: Dem Dollar schadet seine Aufblähung nicht, jedenfalls bisher und im Verhältnis zur alternativen, ebenso fragwürdigen europäischen Weltwährung.
[1] Daher das Entsetzen beim Zusammenbruch von Lehman Brothers: Den ordnungsgemäßen Vermerk im Kleingedruckten, dass die Wertpapiere bei Zahlungsunfähigkeit des Emittenten wertlos verfallen, hat niemand als Warnung vor einem Fall genommen, der wirklich eintreten könnte.
[2] Der Tax Reform Act von 1986 z.B. gestattet Schuldnern, ihre Raten für home equity loans von der Einkommenssteuer abzusetzen.
[3] Siehe: Subprime crisis impact timeline, Wikipedia
[4] Seit Richard Nixons illegalem Abhören der Wahlkampfplanung der Demokraten im Washingtoner „Watergate Hotel“ 1972 ist in den USA alles, was nach Skandal riecht, ein Tor oder Durchgang.
[5] Manche Bundesstaaten machen es den Banken zur Pflicht, an solchen Schlichtungsgesprächen teilzunehmen; anderswo redet man ihnen nur gut zu. Insgesamt bieten die Tätigkeitsberichte der Schlichtungsstellen ein einziges Jammerbild der bodenlosen Usancen, denen überschuldete Hausbesitzer von Seiten ihrer Bank ausgesetzt sind.
[6] In diesen Staaten gibt es die sogenannte „non-recourse debt“, eine Form von Kredit, die dem Gläubiger nur den Rückgriff auf die damit finanzierte Immobilie gestattet; auch in dem Fall, dass die offene Schuld den Wert der Immobilie übersteigt, ist der Zugriff auf anderes Vermögen des Schuldners ausgeschlossen.
[7] Noch Ende März sah Washington die Agenturen als Retter des Wohnungsmarkts und der Volkswirtschaft… Statt Fannie und Freddie zur Zurückhaltung zu verpflichten, gab ihnen die Aufsicht grünes Licht, noch mehr und größere Hypothekenkredite aufzukaufen und zu garantieren. Im Zug der fortgesetzten Ausweitung und Vertiefung der Häuser-Krise begann sich das Vertrauen in die Agenturen zu verflüchtigen. Gerüchte gingen um, dass Fannie und Freddie Verluste aus der wachsenden Zahl von Zwangsvollstreckungen auf von ihnen gehaltene Hypothekenverträge nicht voll ausweisen würden. Die Aktien der beiden Firmen fielen in der zweiten Juliwoche um mehr als 60 % … und die Zinskosten stiegen für beide – ein Maß für die Besorgnis über das wachsende Risiko.
(NYT, 7.11.08)
[8] Die Regierung stellt die beiden Firmen unter ‚Pflegschaft‘, ein Rechtsstatus ähnlich dem Kapitel 11 des Konkursrechts. Ihre Aufsichtsräte und Vorstände werden gefeuert, und eine Regierungsstelle, die Federal Housing Finance Agency, ernennt ein neues Management.
(WP, 7.9.08)