Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Temelin – ein Fall europäischer Politik:
Können, dürfen tschechische Stromproduzenten ökonomische und ökologische Gesichtspunkte miteinander versöhnen?

Ist das Atomkraftwerk Temelin umweltschädigend? Der Streit in der EU ist einer um Geschäft und Beaufsichtigung der Energiepolitik eines neuen Beitrittskandidaten: es ist längst eine Sortierung vorgenommen zwischen solchen AKW´s, die man dicht machen will, weil da die Russen noch im Geschäft sind, und solchen, mit denen man selbst Geschäfte machen will als Teil der europäischen Energiepolitik – also von wegen Verhinderung von Umweltschäden!

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Temelin – ein Fall europäischer Politik:
Können, dürfen tschechische Stromproduzenten ökonomische und ökologische Gesichtspunkte miteinander versöhnen?

Während noch die Affäre mit den EU-Sanktionen und dem Bericht der Weisen unterwegs ist, kündigt Tschechien die bevorstehende Inbetriebnahme des AKW Temelin an, und die österreichische Politik ruft den nationalen Notstand aus. Eine harmonische Einheitsfront von Landeshauptmännern, Bauern und grüner Protestbewegung besetzt Grenzstationen, blockiert den zwischenstaatlichen Verkehr, und die Regierung entfacht eine lebhafte diplomatische Kampagne.

1. Seit seiner Absage an eine nationale Nutzung der Atomenergie verfolgt Österreich eine Linie als Bedenkenträger gegenüber der Atomwirtschaft. Das freilich nur in einer Himmelsrichtung: Gegen die in Bayern und im weiteren Westeuropa stationierten AKWs hat sich noch nie ein solcher, von der Staatsspitze angeführter Protest bemerkbar gemacht. Der Versuch, nach dem eigenen Verzicht auf die Machtmittel einer Atomwirtschaft Einfluss darauf zu nehmen, was sich andere Staaten auf dem Gebiet für Mittel beschaffen, hat schließlich auch nur so weit Aussicht auf Erfolg, wie sich mächtigere Nachbarn im Westen hinter das Anliegen stellen.

Insoweit war aber die Sachlage klar und übersichtlich und Österreich gut aufgehoben in einer gemeinschaftlichen Verurteilung der Atompolitik der östlichen Nachbarn. Darin war man sich in der westlichen Hemisphäre ja einig geworden, dass das Risiko dieser Technologie weniger auf der Technologie selbst beruht, als auf dem politischen System, das sie zur Anwendung bringt; eine Einsicht, die auch nach noch so viel bekannt gewordenen Havarien und Umweltverseuchungen durch westliche Anlagen unerschütterlich feststeht. Über diese Verurteilung hinaus ist allerdings solange nichts zustandegekommen, wie der Ostblock darauf bestanden hat, sich ebenso souverän wie der Westblock die riskanten Leistungen dieser Technologie zunutze zu machen. Seitdem nun aber die östlichen Nachbarn nichts mehr wollen als „zurück nach Europa“, sieht Österreich die Gelegenheit zu weitergehender Einmischung – und das nicht nur in die Energiepolitik seiner Nachbarn: Als kleine Zweitausgabe Deutschlands macht auch der K.u.K.-Nachfolgestaat seine traditionellen Beziehungen zu diesen Ländern auf die Weise geltend, dass er sich ihnen gegenüber zum Fürsprecher in Europa erklärt und im Gegenzug verlangt, in Prag, Bratislava, Budapest und Ljubljana vordringlich gehört zu werden, um damit wiederum sein relatives Gewicht in Europa zu verstärken. Auf diesem Feld sind dann interessante Tauschgeschäfte zu verzeichnen; so hat Ungarn durch besondere Servilität von österreichischer Seite bislang die stillschweigende Duldung seines AKW sowie viel Unterstützung gegen das slowakische Donau-Kraftwerk erlangt.

2. Im Fall Temelin aber wirft sich Wien in die Pose eines Vorkämpfers der EU und erklärt Prag, dass sein AKW mit EU-Maßstäben nicht vereinbar ist.

„Klestil… die Österreicher hätten ein Recht, von den EU-Beitrittskandidaten zu verlangen, ja zu fordern, dass deren Atomkraftwerke die in der EU geltenden Sicherheitsstandards aufwiesen… Schüssel… Nicht wir blockieren etwas, sondern wir wollen europäisch etwas bewegen.“ (FAZ, 31.8.2000)

Offenkundig ist man darauf aus, an dieser Materie auszuloten, wie viel die Stimme Österreichs in Europa zählt. Vielleicht will man auch die EU-Staaten zu so etwas wie Wiedergutmachung an Österreich und diplomatischer Unterstützung veranlassen. Auf jeden Fall aber soll gegenüber Tschechien, das Österreich im Unterschied zur Slowakei und Ungarn „in der Stunde der Not“ die Solidarität verweigert und sich den EU-Sanktionen gegen Österreich angeschlossen hat, der Statusunterschied herausgekehrt werden, der immer noch zwischen einem EU-Mitglied und Nicht-Mitglied besteht.

3. Die Antwort aus Europa ist mehrschichtig. Soweit Österreich seine Temelin-Kampagne mit der Drohung verbindet, bei Nichtbeachtung seines Protests die Aufnahme Tschechiens in die EU zu verhindern, handelt es sich aus Brüssel eine klare Absage ein. Zwar stellen solche völkerfreundschaftlichen Erpressungsversuche keine besondere Entgleisung dar, sondern gehören zu den zivilisatorischen Errungenschaften eines Bündnisses souveräner Staaten; die Schönheiten der letzten Erweiterungsrunde, bei der der damalige deutsche Außenminister Kinkel versprochen hat, Spanien und Portugal das „Rückgrat zu brechen“, falls sie ultimativ auf Fischereiquoten gegen Norwegen und Schweden bestehen, hat man auch noch gut in Erinnerung. Bloß ist zur erfolgreichen Durchsetzung einer solchen Erpressung ein anderes Kaliber erfordert als dasjenige, worüber die Alpenrepublik verfügt.

Der für die Osterweiterung zuständige Kommissar Verheugen spricht dem österreichischen Einwand gegen Temelin glatt die Eignung ab, als Bedingung in die Erweiterungsverhandlungen aufgenommen zu werden: Die von Österreich vollmundig reklamierten EU-Standards in Sachen AKWs gebe es nicht, folglich gehörten sie auch nicht zum berühmten acquis, den sich die Beitrittskandidaten überstülpen müssen.

„‚Die EU-Kommission kann nicht sagen, dieses Atomkraftwerk entspricht nicht den EU-Standards, weil es keine EU-Standards gibt‘, sagt Jean-Christophe Filori, der Sprecher von Erweiterungskommissar Verheugen.“ (SZ, 7.9.)

Auch wenn sich die EU-Kommission sozusagen für handlungsunfähig erklärt, neben der Zurückweisung Österreichs von wegen unbefugter Einmischung wird auch noch etwas anderes klargestellt: Der österreichische Antrag wird abgelehnt, weil Europa schon längst seine Energiepolitik im Osten betreibt. Dass die EU-interne Konkurrenz bislang keine europäischen „Standards“ zulässt, weil sich Atommächte vom Schlage Frankreich, England und Deutschland noch lange nicht voneinander vorschreiben lassen, was „sicher“ ist und was nicht, hat dieselben ja bislang keineswegs daran gehindert, in ihrer Eigenschaft als Europa anderen Staaten auf diesem Gebiet einiges vorzuschreiben. Und andererseits figurieren die Stromfabriken der osteuropäischen Nachbarn nicht nur als Aufsichtsobjekte, sondern sind schon längst als Bestandteil des europäischen Energiegeschäfts vorgesehen.

4. Auf beiden Gebieten hat die EU einiges an Leistungen hinter sich.

„Bei den als besonders gefährlich geltenden Anlagen Ignalina in Litauen, Bohunice in der Slowakei und Kosloduj in Bulgarien behalf man sich mit einem Trick. Die Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) hat diese Reaktoren als unsicher eingestuft; deshalb kann die EU ihre Schließung fordern.“ (SZ)

Ob sich die EU da in einer Notlage befand und mit etwas „behelfen“ musste, sei einmal dahingestellt, eher hat man wohl einen ziemlich machtbewussten Eingriff in elementare industriepolitische Fragen anderer Nationen vor sich. Jedenfalls haben sich die europäischen Führungsmächte auf der Ebene eines ausgewiesenen wissenschaftlich-technischen Gremiums wie der G7 über die woanders erforderliche Reaktorsicherheit schnell einigen können – anhand der weltpolitischen Rechnungen gegen Dritte: In erster Linie zielt der Beschluss auf Russland in seiner Eigenschaft als zivile Atommacht und Erbe der sowjetischen Atomwirtschaft, die die damaligen Landesteile und Bündnispartner mit AKWs, darunter die oben genannten, ausgestattet hatte. Die Ausrüstung anderer Nationen mit Kernkraftwerken, eine Abteilung von Außenhandel, die auf Fortsetzung und die Stiftung außerordentlich fester Abhängigkeiten angelegt ist, dieses besondere Geschäft samt seinem besonderen Ertrag will man Russland nicht zugestehen. Deshalb wird gegen die sowjetischen Hinterlassenschaften in den früheren RGW-Staaten und Sowjetrepubliken vorgegangen und damit auch ein Signal für die von Russland ins Auge gefassten Geschäfte mit dritten Staaten gesetzt: Die G7 wollen Russland im Prinzip keinen legitimen Anteil am Weltmarktgeschäft mit der Atomindustrie zugestehen, auch wenn sich ein solches Verbot gegenüber einer Macht wie Russland nicht ohne weiteres realisieren lässt. Aber bei den ehemaligen Mitgliedern des Ostblocks, die sich allesamt als Fälle für westliche Entwicklungshilfe und als europäische Beitrittskandidaten anbieten, arbeitet man an der Durchsetzung des Verbots. Mit ihrem Einspruch gegen unbefugte Nutzer der riskanten Technologie erheben die G7 gleichzeitig Anspruch auf Kontrolle über die Energiepolitik dieser Länder sowie auf die gewinnbringende Umorientierung von deren Energiewirtschaft nach Europa. Und deswegen stehen dieselben Staaten, die nicht ganz zufällig mit den potenten westlichen Atomstaaten personalidentisch sind, auch nicht hinter den österreichischen Beschwerden über Temelin, Bohunice und Krsko usw., sondern haben eine Sortierung vorgenommen: Bei einigen Ost-AKWs besteht man darauf, dass sie dichtgemacht werden – in einer gekonnten Mischung aus technologischen und politischen Gründen gegenüber Staaten, denen man nicht recht über den Weg traut –, in anderen Fällen aber erhebt man Anspruch auf die östliche Atomindustrie als neue westliche Geschäftssphäre und rechnet mit der lukrativen Nachrüstung mit westlicher Technik und preiswerten Energielieferungen. Nachdem dieselben Staaten und ihre Konzerne einiges unternommen haben, um diese Sphäre zu erobern, ist die Frage der „Sicherheit“ inzwischen auch schon längst eine Frage, welche Firma welcher Nation da nachgerüstet hat. Das slowakische AKW Mochovce hat da immerhin Siemens samt dem französischen Kooperationspartner auf seiner Seite, das slowenisch-kroatische Krsko und das tschechische Temelin die US-Firma Westinghouse. Darauf pocht nun Prag, gibt zwar zu, dass unsere Vorschriften in einigen Punkten nicht den deutschen entsprechen; dafür erfüllen sie aber die amerikanischen. (SZ)

Der österreichische Protest rührt also an eine ganze Abteilung europäischer Energiepolitik und europäischen Energiegeschäfts, in das nicht zuletzt Deutschland gründlich verwickelt ist, wie der neueste angebliche Skandal im Gefolge von Temelin beweist, der auf bayerischem Boden angesiedelt ist.

5. Österreichische und bayerische Feinde tschechischer AKWs machen publik, dass das ehemalige Bayernwerk und heutige E.ON, das gerade die Stilllegung einiger deutscher Kraftwerke, u.a. des AKW Stade beschlossen hat, mit dem nationalen tschechischen Stromkonzern CEZ geschäftlich unter einer Decke steckt. Die Bayerische Landesbank hat CEZ kreditiert und E.ON kauft billigen tschechischen Strom ein, der höchstwahrscheinlich mit einer Portion Atomstrom kontaminiert ist.

Und worin besteht nun der Skandal? In Bayern verdient man Geld mit und an den östlichen Partnern, was in diesen Kreisen für gewöhnlich nicht kritikabel ist. Der Partner auf der tschechischen Seite hat wie jedes solide rechnende Unternehmen den Kredit für die erfolgversprechendsten Geschäfte eingesetzt, nicht für die – im übrigen vom Westen ja auch heftig angefeindeten – „maroden Kohlekraftwerke“, sondern u.a. für den Ausbau von Temelin. CEZ weitet damit seine Überkapazitäten aus, um noch mehr exportieren zu können (SZ, 25.10.), rechnet also auch so ähnlich wie seine Kollegen hierzulande. (Die Definition von Export als „Überkapazitäten“ rührt aus der eigenwilligen Optik des SZ-Schreibers, der den Skandal namhaft machen will, aber wohl kaum jemals auf die Idee käme, deutsche Weltfirmen auf Produktionskapazitäten beschränken zu wollen, die sich streng am deutschen Bedarf bemessen.)

Zum Skandal taugen die bekannt gemachten Geschäftsrechnungen von E.ON auch nur deshalb, weil der deutsche Standortfanatismus die deutsche Ausstiegsheuchelei in Anschlag bringt, um auswärtige Konkurrenten unlauterer Geschäftspraktiken zu bezichtigen. So gerät zwar vorübergehend der neugegründete deutsche Multi mit seinen vorteilhaften Stromkäufen in Tschechien in den Verdacht landesverräterischer Praktiken, aber das eigentliche Verbrechen liegt auf der Seite verschiedener Ausländer vor. Wirtschaftsminister Müller, der sich gerade neulich noch um den Atomkonsens verdient gemacht hat, der der deutschen Stromindustrie komplette Kalkulationsfreiheit mit ihren AKWs verschafft, macht am Anlass von Temelin einen noch viel weitergehenden Skandal publik und ruft die Nation zur Empörung auf, nach dem Muster: ‚Wir verzichten auf Atomstrom und werden nun zum Opfer des ausländischen Drecks! Das kann ja wohl nicht wahr sein.‘

„Der Minister will verhindern, dass Billigstrom aus Osteuropa auf dem deutschen Markt ‚alle Preise versaut‘: ‚Es kann nicht Sinn des Wettbewerbs sein, dass wir Sammelkasten für den ganzen Schrottstrom aus Osteuropa sind, der anderswo nicht verkauft werden kann.‘ Müller stört sich an der mangelnden ökologischen Qualität des Stroms aus unsicheren Kernkraftwerken und veralteten Kohleanlagen. ‚Ich weiß nicht, ob ich jeden Dreck reinlassen muss.‘ Er denke darüber nach, Lieferungen aus Osteuropa genehmigungspflichtig zu machen und eine ökologische Beweislast zu schaffen.“ (Berliner Zeitung, 20.10.)

Gute deutsche Preise, deutsche Gewinne und ökologische Sicherheit, irgendwie ist offensichtlich alles dasselbe. Dass sich ein Wirtschaftsminister zum selben Zeitpunkt, an dem die Nation über hohe Ölpreise jammert, über zu niedrige Strompreise beschwert, erklärt sich ganz einfach daraus, dass es um das Geschäft geht, das andere auf unsere Kosten vorhaben. Und das ist nun die nächste Etage von Berechnungen, aufgrund derer Temelin zum „Fall“ wird: Nicht nur Deutschland hat den festen Vorsatz, bei der geplanten Liberalisierung des Strommarkts in Europa zu den Siegern zu gehören, und hat deshalb die Fusionswelle in seiner Energiewirtschaft veranstaltet, andere Nationen kalkulieren genauso. Der französische Energiekonzern EdF plant die Übernahme von CEZ, also auch die von Temelin.

Deshalb tauschen der deutsche Wirtschafts- und der deutsche Umweltminister trotz all ihrer angeblichen harten Differenzen auch lässig die Rolle. Während Müller vorwärtsweisend eine „ökologische Beweislast“ für den gesamten osteuropäischen Strom einrichten will, präsentiert sich Trittin als Hüter des gerechten Wettbewerbs und entrüstet sich über die mangelnde Marktliberalisierung in und außerhalb von Frankreich:

„Es kann nicht sein, dass EdF in ganz Europa Stromversorger kauft, andere aber keine einzige Kilowattstunde in Frankreich verkaufen dürfen… Die Bundesrepublik muss sich überlegen, ob entsprechende Klauseln im EU-Vertrag gegenüber Frankreich und Tschechien ernsthaft umgesetzt werden sollen. Denn hier wird mit Monopolgewinnen versucht, den Wettbewerb in Deutschland zu verzerren.“ (SZ, 12.10.)

Auf Grundlage des neuen grünen Dogmas, nach dem der gesunde Geschäftssinn die sicherste Garantie für die Abschaffung der Atomkraft ist – Würde es in Tschechien Wettbewerb geben, ginge Temelin wohl nicht ans Netz, weil es ökonomisch keinen Sinn hat –, droht Trittin mit Geschäftsverboten für unliebsame Konkurrenten: Wir werden deshalb prüfen, ob es möglich ist, nur denjenigen auf den deutschen Markt zu lassen, der auch zuhause Wettbewerb zulässt. Schwer zu unterscheiden, ob hier grüne Werte für deutsches Geld oder deutscher Geschäftserfolg für grüne Regierungsfähigkeit sprechen sollen.

6. Wegen all dieser Werte aber kann Deutschland wiederum der österreichischen Initiative einiges abgewinnen. Schon im Vorfeld haben deutsche Freunde und Feinde der Atomkraft, Stoiber und Trittin in trauter Gemeinschaft, ein eigenes Gutachten über die Verträglichkeit von US-Sicherheitstechnik mit einem russischen AKW-Typ und deutschen Maßstäben in Auftrag gegeben. Auf der anderen Seite der Grenze hat man allerdings das geplante Geschäft, auf das seit der Wende schon etliche Milliarden Kronen verwendet worden sind inkl. verschiedener internationaler Begutachtungen, nicht noch einmal so lange zurückstellen wollen, bis auch die deutschen Gutachter zufriedengestellt worden wären, falls es darum überhaupt geht. Denn auch in Prag dürfte man am Fall der Ukraine mitbekommen haben, wie der Westen nach der Zusage, Ersatz für Tschernobyl zu kreditieren, mit seinen Sicherheitsansprüchen und einschlägigen Überprüfungsprozeduren alle dortigen Geschäftsplanungen in Sachen AKW-Bau hintertreibt.

Seitdem will nun Deutschland ein Recht auf seiner Seite haben, das die tschechische Seite verletzt hat, und im Unterschied zu Verheugen sieht Trittin durchaus einen Zusammenhang zu den Beitrittsverhandlungen: Es wirft einen Schatten auf die Beitrittsverhandlungen. (SZ, 12.10.) Es wird schon so sein, dass der acquis keine europäischen Sicherheitsstandards für AKWs enthält; aber Trittin zitiert die Auflage einer Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem EU-Umweltrecht, befindet, dass eine solche Prüfung noch gar nicht stattgefunden hat, erklärt also kurzerhand die bereits erstellten Gutachten, u.a, eines der IAEO, zu Makulatur und Deutschland zum einzig berufenen Interpreten dieser Klausel. Woran man sieht, dass es bei den „europäischen Standards“ enorm darauf ankommt, wer sie ins Feld führt, bzw. maßgeblich an deren Definition mitwirkt.

7. Der Feingeist an der Spitze der tschechischen Nation, Havel, hat verstanden. Seinerzeit einmal ein Gegner der Atomkraft, die als sowjetisches Teufelszeug über sein Land gekommen war, präsentiert er seine heutige Güterabwägung als oberster Repräsentant einer freien Nation: Erstens kokettiert er damit, dass er – persönlich – zwar Temelin am liebsten gleich nach seinem Amtsantritt beerdigt hätte, besteht aber zweitens gerade mit seinem Nimbus als gestandener Atomgegner darauf, dass seine Nation durch den Pakt mit den USA und der Umrüstung mithilfe einer amerikanischen Firma das sowjetische Teufelszeug im Prinzip entschärft hat. Drittens besteht er gegenüber dem österreichischen Nachbarn auf dem souveränen Recht seiner Nation, über nationale Energiefragen zu entscheiden. Und viertens erteilt er – nachdem er sich ohnehin in einem Dauerclinch mit seinen Regierungen befindet – der heutigen den Verweis, dass sie bei der Durchsetzung der korrekten Entscheidung wieder einmal zu grob und ungeschliffen verfahren sei und zu wenig Rücksichtnahme auf die Sorgen der Nachbarn genommen hätte.

So spiegelt er als leibhaftiger Überbau die Basis der tschechischen Politik wider: Die Inbetriebnahme von Temelin ist ein gewichtiger Posten in einem nationalen Energiegeschäft, das aber ist längst auf Europa berechnet und weiß daher auch mächtige europäische Interessen hinter sich. In dieser Gewissheit nimmt sich Tschechien die Freiheit heraus, gegenüber österreichischer Bevormundung auf die Statur des eigenen Staatswesens zu pochen. Bei der Wahrnehmung dieses Standpunkts ist aber Augenmaß gefragt, was das nötige Verhältnis zwischen Selbstbewusstsein gegenüber weniger wichtigen Mitgliedern der EU und Kriecherei gegenüber deren wichtigen Mitgliedern angeht. Folglich lenkt die tschechische Regierung, nachdem Temelin jetzt erst einmal Strom produziert und der Protest sich leider nicht auf Österreich beschränkt, auch wieder ein Stück weit ein, und signalisiert in Richtung Wien und Berlin Verhandlungsbereitschaft. Die nächsten Runden Streit um die Umweltverträglichkeit von Temelin, was soviel bedeutet wie das Europa gemäße Verhältnis von Geschäft und Aufsicht bei einem Beitrittskandidaten, sind also angesagt.

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Vielleicht hätten sich die Österreicher besser nicht die Heuchelei mit der Umwelt einfallen lassen sollen, sondern gleich zusammen mit Minister Müller und Bündnispartner Stoiber die Hetze auf den ausländischen „Schrottstrom“ angestimmt, der nicht in unser sauberes Europa gehört. Nur – um so viel ehrlichen Geschäftsnationalismus vertreten zu können, dazu ist Österreich wiederum nicht groß genug in Europa.