Iran - Ölquelle mit Volk

Als das Erdöl noch im persischen Boden ruhte und der Kapitalismus in Europa und Nordamerika noch mit Dampf und Kohle auskam, war der Iran ein Land am Rande der Weltkarte, für das der maßgebliche Rest der Welt sich höchstens unter strategischen Gesichtspunkten interessierte.

Aus dem Buch
1981, 1983 | 256 Seiten | vergriffen
Systematischer Katalog
Länder und Abkommen
Gliederung

Iran - Ölquelle mit Volk

Ein Modell imperialistischer Staatsgründung: Durch Rohstoff zum Kaiserreich

Die Herausbildung eines nationalen Standpunkts gegen den Feudalismus - Der Idealismus des Kaiserhofs: nationaler Fortschritt - Aufrüstung und Industrialisierung - Die 'weiße Revolution': das programmierte Elend

Als das Erdöl noch im persischen Boden ruhte und der Kapitalismus in Europa und Nordamerika noch mit Dampf und Kohle auskam, war der Iran ein Land am Rande der Weltkarte, für das der maßgebliche Rest der Welt sich höchstens unter strategischen Gesichtspunkten interessierte. Ackerbauende Muselmanen durften nach tausendjähriger feudaler Sitte ihre Grundherren ernähren, überwiegend nach der sinnreichen politökonomischen Pachtregel, daß der Ernteertrag gerecht, also zu gleichen Teilen auf die fünf "Produktionsfaktoren" Boden, Wasser, Saatgut, Vieh und Arbeit aufzuteilen sei. Die Grundherren ließen sich ernähren, ohne daß dabei wesentlich mehr als die besseren zwei Fünftel vom Hammel herausgekommen wäre, und dankten es ihren ausgebeuteten Hintersassen, indem sie das alles entscheidende Produktionsmittel Wasser - nämlich das für die inneriranische Landwirtschaft typische Kanalsystem zur Bewässerung des Bodens und Versorgung des Dorfes - fest unter ihrer Verfügungsgewalt hielten, entsprechend souverän die unausbleiblichen Streitigkeiten zwischen ihren Bauern um Wasseranteile und sonstige Schicksalsfragen entschieden, durch einen fest eingestellten Dorf-Mullah auch sonst für ein harmonisches Gemeindeleben sorgten und sich ansonsten mit Kleinkriegen gegen ihresgleichen um den Besitz weiterer und besserer Dörfer befaßten. Der Rest der Bevölkerung bestand aus Nomaden sowie dem Personal der zu ganzen Kleinstädten ausgewachsenen, übers Land verteilten Basare: Handwerkern, die das Landvolk, vor allem aber dessen Herrschaften mit den Gutem versorgten, die sich im Dorf nicht recht herstellen ließen, und Händlern, die die kärglichen Überschüsse an Datteln, Reis und Opium sowie die Produkte des nebenherlaufenden Kunstgewerbes, vor allem die als "Perser" bekannten Teppiche, in Zahlung nahmen und dafür auch aus dem Ausland den mickrigen Luxus beischafften, auf den die feudalen Herrschaften scharf waren: Textilien, Hutzucker und Posamentierwaren aus Europa, Tee und Gewürze aus dem Osten, sogar das Petroleum für die Funzel kam noch aus Arabien.

Zu einer zentralen Oberhoheit über das von den Grundherren besessene Land und Menschenmaterial war es in Persien seit jeher nur dadurch gekommen, daß abwechselnd fremde Herrscher einfielen, besonders viel Grundbesitz raubten, den Grundherren Botmäßigkeit und Abgabepflichten aufnötigten, sich in irgendeinem Wüstennest einen schmucken Palast nebst Moschee errichteten - und dann wieder ein einheimisches Geschlecht, zur Konkurrenz erstarkt, den fremden Potentaten stürzte und seinem Oberhaupt Anerkennung als Schah verschaffte. Zu einer Umgestaltung der Herrschaft im Lande in der Weise, daß es für das Funktionieren des Ganzen auf die Zentralgewalt wirklich angekommen wäre, diese sich also für ihre Basis unentbehrlich gemacht hätte, kam es bis ins 20. Jahrhundert hinein nie; entsprechend beschränkt blieb ihre tatsächliche Macht. Die Kosten für Hofhaltung, Diplomatie und Militär blieben dem jeweiligen Schah nicht erspart; andererseits ließ das Ausmaß seiner Nützlichkeit im Innern bei den feudalen Klassenbrüdern keinerlei Verständnis für Steuern und Tribute aufkommen; die Erträge der Kronlande wiederum waren für die Zwecke internationaler Machtentfaltung zu gering bemessen. Kein Wunder also, daß die kaiserliche Hoheit über Iran sich endgültig als ein völlig substanzloser Schein von Herrschaft erwies, als die konkurrierenden kapitalistischen Mächte Europas sich im Zuge ihres Kampfes um eine möglichst vorteilhafte restlose Aufteilung der Welt für das Gelände zwischen Kaukasus und Indien praktisch zu interessieren begannen: Der von England und dem zaristischen Rußland einvernehmlich vorgenommenen Aufteilung des Landes in eine nördliche russische, eine südliche englische und eine mittlere neutrale Zone, in der die Botschaften beider Länder sich ganz unbefangen die Rechte konkurrierender Souveräne der amtierenden persischen Staatsgewalt gegenüber herausnahmen, hatten die Kadscharen-Schahs keinerlei nationale Macht entgegenzusetzen. Im Gegenteil: Für ihre Herrschaft wurde das Interesse auswärtiger Mächte an ihrem Land sowie an einem aus Konkurrenzgründen angenehmen Anschein persischer Souveränität zu einer ganz neuen Chance. Eben jene nationale Souveränität, die die einheimische herrschende Klasse ihnen nicht zugestehen wollte, begründeten die kaiserlichen Potentaten auf die Bereitschaft des imperialistischen Auslands, sich den Zugriff auf ihr Land dadurch zu sichern, daß es sie wie politische Souveräne im Staate Iran behandelte. Die Kadscharen-Schahs verkauften an England und Rußland Hoheitsrechte auf ihr Land, die nur dadurch zu wirklichen Hoheitsrechten wurden, daß sie von den auswärtigen Käufern entsprechend genutzt wurden, etwa das Fischerei-Recht im Kaspischen Meer, das Recht auf die Errichtung britischer Telegrafen- und Straßenverbindungen nach Indien, versuchsweise sogar gewisse Handelsmonopole, so 1890 das Tabakmonopol, wogegen die betroffenen Basari mit dem Segen der islamischen Geistlichkeit allerdings erfolgreich revoltierten, das Recht auf die Errichtung von Fabriken und schließlich: die ersten Konzessionen für die Erdölsuche und -förderung. Dieselben Pennies, mit denen die britische APOC (Anglo-Persian Oil Company) sich vor dem l. Weltkrieg das Erdöl sicherte - 20.000 Pfund Sterling Abfindung und eine 16 (!) prozentige Beteiligung am Reingewinn (!) der Firma für die Regierung -, wurden zur autonomen Revenuequelle der souveränen Staatsgewalt, also zur materiellen Grundlage für einen von der einheimischen herrschenden Klasse und ihren Interessen emanzipierten nationalen Standpunkt.

Selbstverständlich stieß der Schah mit dieser Politik der Etablierung einer autonomen Staatsgewalt neben und unabhängig von der eigenen herrschenden Klasse auf deren Widerstand; und es macht die Ironie der iranischen Geschichte des 20. Jahrhunderts aus, die die bürgerliche wie die revisionistische Historiographie in lauter unauflösliche Rätsel stürzt, daß dieser Widerstand sich seit der iranischen Verfassungsbewegung ausgerechnet national und bürgerlich vorträgt. Gegen die Errichtung einer politischen Souveränität modernen Zuschnitts über ein Land, das danach von sich aus kein Bedürfnis hat und auch nicht den dafür nötigen Überfluß hervorbringt, beruft die alte "Elite" sich gleichzeitig auf die islamische Tradition und auf sämtliche demokratischen Ideale der parlamentarischen Verklammerung von Volk und Herrschaft; gegen die Begründung nationaler Souveränität auf den Willen fremder Mächte macht sie ihre un-nationalen, (im Sinne moderner bürgerlicher Herrschaft) yorpolitischen Herrschaftsinteressen als das nationale Interesse geltend. Den inneren Kräfteverhältnissen entsprechend, nötigte die feudale Opposition den Kadscharen-Schahs eine Verfassung und ein Parlament auf, in dem die Grundbesitzer, der Stimmen ihrer Quasi-Leibeigenen sicher, stets beinahe unter sich waren; mit englischer Hilfe behauptete sie diese "demokratischen" Errungenschaften gegen vom Zar unterstützte Putschversuche; und als nach dem l. Weltkrieg das Militär, die Stütze kaiserlicher Oberhoheit, unter der von Großbritannien durchgesetzten Anführerschaft des Reza Pahlevi sich vom kaiserlichen Oberbefehl emanzipierte, hatte das Parlament auch keine Schwierigkeiten mehr, dem Schah sein verfassungsmäßiges Vorrecht auf die Besetzung der Position des Kriegsministers streitig zu machen und Reza Pahlevi zum Konkurrenten des letzten Kadscharen aufzubauen. Das alles mit dem sehr folgerichtigen Resultat, daß besagter Reza keineswegs die Republik, sondern sich selbst zum neuen Schah ausrufen ließ. Noch weit entschlossener und erfolgreicher als seine Vorgänger nutzte er das Militär und das unverändert imperialistisch interessierte Großbritannien als Grundlage für eine absolute politische Herrschaft im Innern seines Reiches und ging entsprechend offensiver als je ein Herrscher zuvor gegen die innere Konkurrenz vor. In größtem Stil erweiterte er den kaiserlichen Grundbesitz, machte folgsame Offiziere zu Grundbesitzern, ersetzte, so weit es ging, die Gerichts- und Steuerhoheit der Grundherren durch kaiserliche Verwaltungsorgane, womit nicht nur seine Einkünfte aufs erfreulichste zunahmen, sondern zugleich den lokalen Herren eine Konkurrenz in Sachen Macht und Bereicherung am Ort erwuchs. Er ging mit Gesetzen gegen allerlei islamische Lebensregeln und -gewohnheiten vor, in denen das einfache Volk sich die hergebrachten Formen von Ausbeutung und Herrschaft zu seinem Anliegen und zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Und in dem Maße, wie dem frischgebackenen Britenschützling Reza Schah so die Durchsetzung seiner Souveränität im Innern gelang, verschaffte er sich gegenüber der wirklichen politischen und ökonomischen Grundlage seiner Herrschaft: dem imperialistischen Interesse Englands, immerhin die Freiheit, um höhere Preise für die zum Verkauf anstehenden nationalen Hoheitsrechte zu feilschen - und so die in seiner Herrschaft existierende ,,Nation", symbolträchtig von Reza Schah höchstselbst auf den Namen Iran umgetauft, zu stärken. Der Aufbau der iranischen Nation, was von Anfang an gleichbedeutend war mit der Bewährung der nationalen iranischen Souveränität als Verlaufsform imperialistischer Interessen am natürlichen Reichtum und den strategischen Vorteilen, die das Land nun einmal z bieten hat, nahm unter Sohn Reza Muhammed 30 Jahre lang einen kaum gehinderten Fortgang. Der Versuch der Nationalen Front Anfang der 50er Jahre, mit ihrem dem Schah als Premierminister aufgezwungenen Führer Mossadegh eine Politik durchzusetzen, die die nationale Staatsgewalt und ihren vom Ausland zugestandenen Reichtum in den Dienst eines "anderen Iran" nimmt, scheiterte an der Umsicht der CIA, dem solidarischen Ölboykott der imperialistischen Abnehmerländer und der Kaisertreue der Armee.

Der Sturz des Schah, der zur Episode wurde, zielte auf eine Nutzung der "äußeren Quelle" persischer Souveränität, die mit den traditionellen Herrschaftsinteressen im Lande vereinbar sein und ihnen zugutekommen sollte; wegen der verheerenden Wirkung der Schah-Politik auf die Reproduktion der Massen stand wie immer in solchen Aufständen die nationalistische Berufung aufs Volk an, dem allerdings keinerlei Erpressungsmittel gegen die auf es gar nicht angewiesene Staatsmacht zur Verfügung standen. So nahm nach dem come-back des Schah auch die fortschreitende Zerstörung der alten Gesellschaft ihren Fortgang, nämlich ihrer Produktionsweise und der auf diese begründeten lokalen Machtpositionen, vom Schah selbst ab 1962 zielstrebig unter dem Titel "Weiße Revolution" vorangetrieben. Schon seit die Kadscharen-Schahs begonnen hatten, sich mit der Versilberung von Souveränitätsrechten, die sie bis dato noch gar nicht als Machtposition begriffen hatten, zu modernen, für imperialistische Interessen funktionalen politischen Herrschern zu entwickeln, waren die einheimischen Grundherren mit einer überlegenen Form des Reichtums konfrontiert: mit Devisen in der Hand des Schah und seinem dadurch eröffneten Zugang zu all den Luxus- und Machtmitteln, die der Weltmarkt des Kapitals zu bieten hat. Die entsprechenden Bemühungen der Feudalen, ihre Grundherrschaft in einen gleichermaßen vorteilhaften Reichtum zu verwandeln, indem sie sich von den überkommenen Pflichten einer naturalwirtschaftlich organisierten Ausbeutung auf dem Lande in ihre Stadtpaläste zurückzogen und ihren Pächtern und Fronarbeiten! eine Geldrente abverlangten, führte zur Ruinierung der persischen Landwirtschaft. Denn ein agrarisches Mehrprodukt in einem Land, in dem die Massen mehr schlecht als recht von ihrer Landarbeit leben, anderweitige Verdienstmöglichkeiten kaum bestehen, ein Markt für Agrarprodukte also so gut wie nicht existiert, taugt nun einmal nicht zur Geldakkumulation; und der Entschluß der Grundbesitzer, ihren Bauern das Unmögliche trotzdem abzuverlangen, machte nur die Wucherer glücklich, die die Ernten für so wenig Geld in Zahlung nahmen, daß sie auf Kosten der Subsistenz ihrer Schuldner doch noch ein Geschäft daraus machen konnten. Wie weit die daraus folgende Verelendung der Bauern und Verwahrlosung ihrer Dörfer in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bereits gediehen war, zeigte der bereits erwähnte Versuch Mossadeghs, mit den Erlösen des Ölgeschäfts die alte Produktionsweise noch zu retten: Mit Hilfe von Entschädigungen der Grundbesitzer durch Zugriff auf die Staatseinkünfte aus einem Ölgeschäft zu höheren Preisen gedachte er die Pachtabgaben der Bauern um 10 % zu senken und weitere 10 % für die Erhaltung der dörflichen Infrastruktur, insbesondere der verrotteten Bewässerungssysteme, festzulegen - zur Erinnerung: der islamische Brauch hatte wenigstens nominell noch 20 % der Ernte für den "Produktionsfaktor Wasser" eingefordert. Aus dem Reformplan wurde nichts; der Bauernstand verelendete weiter, und die Städte, vor allem Teheran als Zentrum des auf Öl gegründeten nationalen Reichtums, erhielten Zuzug von pauperisierten Massen, die den sicheren Hunger auf dem Land gegen die Chance eintauschten, mit Tagelöhnerarbeit im Basar oder in einer Ziegelbrennerei als letzte in der Kette noch an ein paar Öl-Pennies heranzukommen.

Die Verallgemeinerung dieses Prozesses, von Staats wegen zwecks endgültiger Entmachtung der Grundherren durchgesetzt und auf wenige Jahre zusammengedrängt, schaffte die Agrarreform des 2. Pahlevi-Schah in den 60er Jahren. Er beschränkte den Großgrundbesitz auf ein einziges Dorf nach freier Wahl des Grundherrn sowie auf bereits kapitalistisch bewirtschaftete Güter: nicht der produktive Einsatz von Eigentum sollte getroffen werden, sondern eine vor Ort mit der Staatsgewalt konkurrierende Herrschaft. Entschädigung wurde gezahlt nach Maßgabe der in der Vergangenheit bewiesenen Botmäßigkeit gegen die Zentralgewalt, nämlich der tatsächlich pro Dorf entrichteten Steuern; und sie wurde gezahlt in Form von Staatsschuldverschreibungen oder Anteilscheinen an vom Schah projektierten Finnen. Aus feudalen Herren wurden durch Transaktionen, die weithin nurmehr auf dem Papier stattzufinden brauchten, teils kapitalistische Agrarindustrielle, teils harmlose Staatsrentner, deren Revenue bequem, sicher und gänzlich vom Gedeihen der Geschäfte des längst konkurrenzlosen Pahlevi-Clans abhängig war - und das alles praktisch ohne Kosten für die kaiserliche Kasse. Im Gegenteil: Mit der Ernennung der ausgedienten Feudalherrn zu Gläubigem des Fiskus machte die Regierung in ihrem zu über drei Vierteln aus Öleinkünften gespeisten Haushalt Mittel frei für die beiden großen Unternehmungen des Schah zur Mehrung von Macht und Reichtum der iranischen Nation: für Aufrüstung und Industrialisierung.

- Mit dem Ausbau und der modernsten Ansprüchen genügenden Ausrüstung seines Militärs wurde der Schah dem alten Prinzip iranischer Nationalstaatlichkeit gerecht, dem Umstand nämlich, daß nationale Souveränität dortzulande nach wie vor einen Zweck ganz jenseits der Bedürfnisse der einheimischen Gesellschaft darstellte; einen Zweck, der - außer im Interesse des herrschenden Souveräns selber und der von ihm abhängigen Schranzen - allein im Interesse des imperialistischen Auslands liegt und daher auch nur in der Form eines Gewaltapparats Existenz und Bestand hat. Der Schah tat dies allerdings unter modernsten Bedingungen: als vorgeschobener Posten amerikanischer Weltherrschaft und ihrer Konfrontation mit dem "sozialistischen Lager". Aus nationalem Egoismus heraus und als ganz eigene iranische Angelegenheit, umkleidet sogar mit einer ganz eigenen, vom 2. Pahlevi-Schah eigenhändig erfundenen altiranischen Reichsideologie und nach einem 1975 reformierten, auf den alten Kyros als den Anfang der Geschichte umgestellten Kalender, betrieb das Herrscherhaus die Ausgestaltung seiner Macht zum perfekt funktionierenden, schlagkräftigen Vorposten der imperialistischen Interessen im mittleren Orient.

- 'Industrialisierung' stand dabei für das zugehörige ergänzende Ideal des nationalen Souveräns, den eigenen Herrschaftsbereich zur ausreichenden wirklichen Grundlage der Macht fortzuentwickeln, die der staatliche Machtapparat in seiner Eigenschaft als vom Westen ausgerüsteter "Freund" bereits besaß. Der Plan einer .industriellen 'Entwicklung' des Iran war nämlich nie etwas anderes als die positive Seite der politökonomischen Kritik, die der nach nationaler Souveränität strebende Herrscher zum einen an dem von ihm beherrschten Volk zu üben hatte, weil es mit seiner überkommenen Produktionsweise nicht als Basis einer souveränen Staatsgewalt taugte, zum ändern aber ebenso an der wirklichen Grundlage kaiserlicher Macht, dem Ölgeschäft, weil der dadurch eröffnete Zugang zu den Mitteln souveräner Herrschaft eben nur die andere Seite der Unterordnung unter das System kapitalistischer Weltherrschaft darstellte. Daß allerdings mit solcher kaiserlicher Unzufriedenheit, auch wenn sie durch den Einsatz etlicher Petrodollars in ein wirtschaftspolitisches Entwicklungsprogramm umgesetzt wird, eine für den Staat einträgliche Ökonomie nicht zu machen ist, beweisen nicht bloß die industriellen Bauruinen in allen Gegenden Irans. Schon mit seinem machtpolitischen Ausgangspunkt hatte das Industrialisierungsprogramm des Schah - und diese Eigenart teilt es mit sämtlichen analogen nationalistischen Unternehmungen anderer Ölländer! - sich freigemacht von eben dem Kriterium der Rentabilität, dem es andererseits doch genügen wollte und auch mußte, um dem Herrscher zur Verfügung über eine eigene nationale Reichtumsproduktion zu verhelfen. Die inneriranische Industrie blieb ein staatlicher Luxus, der die investierten Petrodollars verschluckte, anstatt den Rial zu einer harten kapitalistischen Währung zu machen, um die die USA und die EG sich gerissen hätten; eine Ausnahme bildete nur die Produktion für Luxusbedürfnisse der neuen herrschenden Klasse des Iran sowie der Staatsmacht selbst, soweit die im Irangeschäft ohnehin engagierten ausländischen Firmen die Abwicklung der Endstufen dieser Produktion mit billiger iranischer Arbeitskraft für rentabel befanden. Dabei gab es aber noch nicht einmal für die anfallenden Gewinne im Land selbst eine lohnende Anlagesphäre; sie pflegten vielmehr ins Heimatland des jeweiligen Multi zurückzufließen und trugen so zum "Recycling der Petrodollars" bei, noch lange bevor dies der offizielle Zweck westlicher Geschäftemacherei mit den Ölländern war. Kein Wunder, daß der Schah selbst, als guter Geschäftsmann, sowie seine Hofschranzen und durch staatliche Subventionen aufgepäppelten Industriellen das eigene Land alsbald für eine zu unsichere Anlagesphäre des ihnen gehörenden nationalen Reichtums befanden und jede zu erübrigende Milliarde auf sichere Auslandskonten verbrachten.

Wenn schon nicht zum Aufbau einer nationalen Reichtumsproduktion, so haben Ölgeschäft, kaiserlicher Luxus, Aufrüstung und Industrialisierungsprojekte immerhin doch dazu geführt, daß die Herrschaft der nationalen Zentralgewalt zu einer die iranische Gesellschaft umwälzenden Macht wurde. Der politischen Entmachtung der feudalen Grundherren entsprach die Entstehung einer städtischen Bourgeoisie von müßigen Staatsund Grundrentnem, vor allem aber aus Offizieren, Beamten, Managern und subventionierten Industriellen, die, allesamt von der Herrschaft des Souveräns und seinen Geschäften mit dem imperialistischen Ausland lebend, dessen Standpunkt einer von den traditionellen gesellschaftlichen Gegebenheiten des Landes emanzipierten nationalen Größe teilten und sich damit von den Ideologen der alten Gesellschaft das Verdikt ,Verwestlichung' einhandelten, für das das moderne Persisch sogar ein eigenes Schimpfwort kennt. Der politische Schachzug des Schah, in der ersten, noch von heftigen Protesten der feudalen und der orthodox islamischen Opposition begleiteten Phase seiner "Weißen Revolution" - Khomeini wurde zu dieser Zeit als Haupträdelsführer ins Exil geschickt - das neue Parlament, den 21. Madschlis, so wählen zu lassen, daß die traditionelle Zwei-Drittel-Mehrheit der Grundbesitzer durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Beamten ersetzt wurde und der Anteil der Geistlichkeit von über 20 % auf unter 10 % sank, nahm auf dem Feld der politischen Repräsentation das gesellschaftliche Kräfteverhältnis vorweg, das die kaiserliche Herrschaft durchsetzte. Als flankierende Maßnahme zur Zementierung der politischen Machtverhältnisse wurde in den 60er Jahren die Parteienlandschaft bereinigt. An die Stelle aller bisherigen Gruppierungen traten, auf kaiserliche "Anregung" hin gegründet, eine Regierungs- und eine Oppositionspartei, die zu nichts anderem als dazu taugten, der Konkurrenz der Günstlinge des Kaiserhofs eine offizielle Verlaufsform zu geben.

Durchschlagend waren die Erfolge der nationalen Politik des Schah vor allem für die iranischen Massen. In der ersten Phase der Pahlevischen Landreform wurde Teilen des nationalen Bauernstandes die Chance eröffnet, Eigentümer der bislang von ihnen bebauten Ländereien zu werden - die Landarbeiter, die sich noch nicht einmal zum quasi leibeigenen Pächter hinaufgearbeitet hatten oder diesen Status nicht hatten halten können, blieben also von vornherein, was sie waren. Mit ihrer Erhebung in den Stand von Kleingrundbesitzem wurden diese Bauern allerdings zugleich Schuldner der Pahlevi-Entwicklungsbank, an die der Schätzwert ihrer Grundstücke bei 5-%iger Verzinsung binnen 12 Jahren "zurück"zuzahlen war; sie tauschten also ihre feudale Pacht-Knechtschaft gegen die Ehre, von Staats wegen wie kapitalistische Unternehmer in Sachen Agrarwirtschaft behandelt und einem modernen Kreditwesen unterworfen zu werden, ohne daß an ihrer Produktionsweise sich das Geringste geändert hätte. Ohne Geräte, Dünger usw., auf parzelliertem Boden, ohne Grundherrn, der aus Eigennutz wenigstens für die Bewässerung des Bodens und für Saatgut sorgte, ohne andere Verkaufsorganisation als die in kleinerem Maßstab schon länger tätigen Halsabschneider, denen sich hier eine ganze Welt neuer Geschäftsmöglichkeiten auftat, durften sie ihr selbständiges Glück versuchen. Doppelt und dreifach verschuldet, wurden die stolzen Bauern ihr Grundeigentum schneller wieder los, als sie es sich wohl gedacht hatten: Dank der Regelung, daß enteignet wurde, wer mit der Tilgung seiner Grundschuld mehr als drei Jahre im Rückstand war, wurde der Pahlevi-Fond alsbald zum weitaus größten Grundbesitzer, und die ehemaligen Pächter in feudalen Diensten fanden sich als eigentumslose Landarbeiter auf dem Status ihrer früheren Knechte wieder. Wo es den Bauern dennoch gelang, sich als Grundbesitzer über Wasser zu halten, griff die dritte Stufe der kaiserlichen Agrarreform einige Jahre später ein. Mit Druck von oben und der unsicheren Aussicht auf staatliche Kredite wurde ein großer Teil von ihnen dazu veranlaßt, den eigenen Besitz als Kapitalanteil in eine agrarische Quasi-Aktiengesellschaft einzubringen, die die individuellen Einkommen aus ihrem "Gewinn" zahlte - nach Abzug von Zins und Tilgung für die alten privaten wie für die neuen genossenschaftlichen Kredite bei der Entwicklungsbank. Dieser sinnreiche Finanzmechanismus garantierte zwar nicht das überleben der "Aktionäre", dafür aber den pünktlichen Schuldendienst der ehemaligen Kleingrundbesitzer und nötigte diese, den völligen Mangel an sachlichen Mitteln für eine erfolgreiche, geschweige denn kapitalistisch rentable Betriebsführung nach Kräften durch vermehrte eigene Arbeit wettzumachen. Einstweilen hatte die zweite Phase der Landreform die Quasi-Leibeigenschaft der von Phase l noch nicht betroffenen Masse der Landbevölkerung generell in ein Geldpachtverhältnis umgewandelt, also ohne den Umweg über einen zeitweiligen Grundbesitztitel für die Bauern auf breitester Front quasi-kapitalistische Geldbeziehungen in der Landwirtschaft durchgesetzt - mit allen verheerenden Konsequenzen für die Landbevölkerung.

Über die menschenfreundlichsten Seiten dieses großangelegten Unternehmens, die Masse seiner Untertanen von ihrer bisherigen, dem modernen Staatszweck entgegenstehenden Verwendung freizusetzen und sie stattdessen für das Ideal einer im Interesse kaiserlicher Souveränität produktiveren, möglichst kapitalistischen Verwendung zu verheizen, hat der Schah selbst die offensten Auskünfte gegeben, anläßlich des 7. Jahrestages der Eröffnung des Reformunternehmens mit den folgenden Worten:

"Unser Hauptziel war, dem Feudalsystem und Großgrundbesitzertum, in dem viele Bauern für einen Feudalherrn gearbeitet haben, ein Ende zu bereiten. So wurde die Bodenreform durchgeführt. Dies war jedoch nicht unser Endziel, denn die Verteilung von 2, 4 oder 10 ha Land an die neuen Kleingrundbesitzer kann ihnen in den meisten Fällen ein Einkommen für einen besseren Lebensstandard nicht gewährleisten." (Die Wahrheit ist, daß man davon "in den meisten Fällen" kaum überleben kann!) "Außerdem sollen die Bauern dazu bewogen werden, ihre Aktien an die Landwirtschafts-Aktien-Gesellschaft zu verkaufen. Damit geht die Zahl der Bevölkerung auf dem Lande zurück, wodurch (wodurch!!) den zurückbleibenden Bauern die Gelegenheit gegeben wird, zu einem besseren Leben zu gelangen." (Wahrlich ein Patentrezept, mit dem der Staat sich jeglichen "Eingriff" in die materiellen Produktionsbedingungen erspart.) "Der Überschuß der Bevölkerung wird dann in den agro-industriellen Komplexen bzw. in der ländlichen Industrie absorbiert werden müssen."

Die Schaffung "agro-industrieller Komplexe" ließ auf sich warten - ausgenommen einige Großbetriebe in den fruchtbarsten, aus neu angelegten Stauseen bewässerten Landstrichen, die ausländische Großunternehmer, z.T. unter Beteiligung finanzkräftiger Iraner und stets mit jenen billigen Staatskrediten, die ein einfacher Bauer nie bekam, aufgemacht hatten und kapitalistisch effektiv bewirtschaften ließen. Von einem besseren Leben einer geringeren Zahl von Landarbeitern war erst recht nichts zu bemerken, mehr hingegen von zunehmender "Unterbeschäftigung" auf dem Land und einem wachsenden Heer von Paupers in den Städten. Denn der eine Programmpunkt der "Weißen Revolution" wurde ein voller Erfolg: die Schaffung eines Bevölkerungsüberschusses. Millionen von Habenichtsen - wo es vor der so segensreichen Landreform noch erst Tausende gewesen waren - ließen die Elendszonen im Süden Teherans anschwellen, die Einwohnerzahl der Hauptstadt von 1,5 Mio im Jahr 1956 auf 4,5 Mio 20 Jahre später steigen, den Anteil der städtischen Bevölkerung insgesamt von einem Drittel noch zu Beginn der 70er Jahre auf etwa die Hälfte des Volkes gegen Ende des Jahrzehnts zunehmen. In den Großstädten fanden sie zwar auch keine geregelte Arbeit, geschweige denn ein ausreichendes Einkommen. Denn die Ölindustrie und ihre sekundären Bereiche benötigten schon längst keine zusätzlichen Arbeitskräfte mehr; die paar Industrieunternehmen, die überhaupt neu in Gang kamen, waren entweder ausländische Zweigwerke, die im Interesse ihrer Rentabilität von iranischen Handlangern sparsamsten Gebrauch machten, oder unrentable Staatsbetriebe, die nur für die Dauer ihrer Errichtung eine nennenswerte Anzahl von Arbeitsplätzen schufen, nämlich für Bauarbeiter; und selbst der aufgeblähte Sektor des Handels sowie von Dienstleistungen aller Art, der den ausländischen Experten und inländischen Nutznießern des Regimes ihren Lebensstandard bereitstellte, kam mit einem Bruchteil der Arbeitskräfte aus, die die Unterwerfung der Landwirtschart unter das kaiserliche Projekt einer nationalen Reichtumsproduktion freigesetzt hatte und noch immer freisetzte. Immerhin fanden die verelendeten Bauern in den nationalen Zentren neben dem auf alle Fälle sicheren Hunger auch ein paar Gelegenheiten, an den Abfällen der vom Schah mit Petrodollars in Szene gesetzten Staatsökonomie zu partizipieren, sich vielleicht sogar doch als Lastträger im Basar, als Spitzel bei der SAVAK oder als kleiner Zuhälter ein Auskommen zu schaffen. Wie im übrigen selbst die in der Teheraner Industrie beschäftigten Arbeiter sich und ihre Familie durchbringen, wo schon die Miete für das billigste Wohnloch über dem Durchschnittslohn liegt, kann man sich leicht ausmalen.

Der Erfolg der kaiserlichen Politik nationalökonomischer Entwicklung war also ein zweifacher: auf der einen Seite die ersatzlose Zerstörung der ökonomischen Grundlage der alten Gesellschaft, die zum Mittel einer nationalen Souveränität werden sollte, ohne doch je dafür die Mittel liefern zu können; auf der anderen Seite eine dem Wunsch nach kapitalistische, tatsächlich rein luxuriöse Staatsökonomie auf Grundlage jenes Anteils am kapitalistischen Reichtum, den die imperialistischen Ölverbraucherländer dem Schah-Regime zugestanden, weil seine Herrschaft eine so bequeme Verlaufsform ihres Zugriffs auf den Ölreichtum des Landes und seiner strategischen Benutzung gegen alle sowjetischen Ambitionen im Nahen und Mittleren Osten darstellte. Die gegen Ende der Pahlevi-Herrschaft aufgekommene Kritik des aufgeklärten imperialistischen Jounalistenverstandes an diesen Resultaten: der Schah hätte mit dem rasanten Tempo seiner gutgemeinten Wirtschaftsreformen sein rückständiges Volk überfordert und dabei doch wohl etwas zu schamlos in die eigene Tasche gewirtschaftet und seiner großmännischen Vorliebe fürs Militär zu hemmungslos nachgegeben, diese Kritik übersieht die beiden entscheidenden Kleinigkeiten. Erstens gerät eine von der Landwirtschaft lebende Bevölkerung mit Notwendigkeit in neues Elend, wenn ein absoluter Herrscher ihr Kriterien kapitalistischer Rentabilität aufzwingt, weil er ihren Nutzen für eine konkurrierende Grundherrschaft brechen will, daher auch rücksichtslos gegen die Bedingungen ihrer geringen Produktivität unter den alten Verhältnissen und ohne für die Bedingungen überhaupt irgendeiner Produktivität unter den neuen Verhältnissen zu sorgen. Denn das bedeutet eben nicht Überwindung einer archaischen Produktionsweise - noch nicht einmal durch die Freuden kapitalistischer Lohnarbeit -, sondern ihre bloße Ruinierung. Zweitens gibt es für Gelder, die von kapitalistischen Ländern an einen Herrscher weggezahlt werden, um die Verfügung über die natürlichen Reichtümer seines Herrschaftsgebietes in anständiger Form abzuwickeln, der Natur der Sache nach keinen anderen Nutznießer als die souveräne Herrschaft selbst. Ihr Nutzen ist der der von ihr regierten Nation, weil es den Standpunkt der Nation außerhalb ihrer überhaupt nicht gibt. Auch Petrodollars sind eben nicht für die Beglückung der Massen gedruckt, sondern um die faux frais einer fürs Interesse am Öl nützlichen Staatsgewalt zu begleichen.

Und übrigens drittens: Solche demokratische Kritik an den diktatorischen Entartungen exotischer Herrschaften sieht in vornehmer Borniertheit über die Kleinigkeit hinweg, daß es solche Herrschaft überhaupt nicht gäbe, wenn sie nicht im handfesten Appetit der imperialistischen Länder auf den gesamten Globus ihre ökonomische und politische Grundlage hätte. Solche Kritik am Schah ist folglich nichts als das demokratisch gute Gewissen genau der Prinzipien, nach denen, und der Formen, in denen die kapitalistischen Demokratien den Rest der Welt sich einrichten lassen.

Die islamische Republik: Die Gewalt eines frommen Antiimperialismus

Kompromißloser Aufstand gegen die Herrschaft - Weder Revolution noch Rückfall ins Mittelalter - Islamischer Nationalismus - Der "heilige Krieg" eines Volkes ohne Macht - Die "islamische Republik "

An materiellen Gründen für eine Erhebung der Volksmassen gegen die Herrschaft des Schah hat es im Iran also nicht gefehlt: Sie bekamen voll und uneingeschränkt die Konsequenzen einer Wirtschaftspolitik zu spüren, die den im Ölgeschäft erworbenen staatlichen Reichtum mit seiner gesamten dem Kapitalismus entlehnten Wucht dafür einsetzte, das gesamte Land mitsamt Bewohnern und ihrer Wirtschaftsweise dem Materialismus des nationalen Herrschaftsapparats zu unterwerfen, ohne es dafür tauglich zu machen. Die geringe Chance, sich gegen einen Hungerlohn an einen der vom Kaiserhof begünstigten einheimischen oder ausländischen Unternehmer zu verdingen, und der tägliche Überlebenskampf um die Abfälle des bei der kaiserlichen Herrschaft und ihren Chargen und Günstlingen konzentrierten nationalen Reichtums stellten die einzige positive materielle Beziehung dar zwischen der Masse der Bevölkerung auf der einen, der nationalen Staatsgewalt auf der anderen Seite - eine schlechte Grundlage für das staatsbürgerliche Selbstbewußtsein, ein nützliches und daher anerkanntes, auch zu Ansprüchen gegen den Staat berechtigtes Mitglied des politischen Gemeinwesens zu sein. Sogar die traditionelle Händlerklasse, die in der alten persischen Gesellschaft aus dem Elend des Volkes noch ihr Geschäft gemacht hatte, die unter den vom Schah gesetzten neuen Bedingungen am profitlichen inneren Umschlag des nationalen Ölreichtums nicht unbeteiligt geblieben war, geriet mit ihren Formen vorkapitalistischer Geschäftstüchtigkeit zunehmend in Konflikt mit dem staatlichen Interesse, auch den inneren Handel - sei es durch ein effektiver durchgesetztes modernes Steuersystem, sei es durch die Lizenzierung auswärtigen Handelskapitals - zur Revenuequelle der souveränen Gewalt zu machen.

l. Mit fortdauernder Herrschaft des Schah akkumulierten sich also die materiellen Gründe für das Volk, sich dagegen zu erheben. Und tatsächlich hat es sich erfolgreich dagegen erhoben. Ganz fraglos waren es wirklich die Massen der städtischen Bevölkerung, die sich der Herrschaft ihres Souveräns so entgegengesetzt haben, wie das in einem Staat, der materiell nicht auf den Leistungen seiner Untertanen beruht und deswegen durch die Verweigerung dieser Leistungen auch nicht umzustürzen ist, allenfalls erfolgversprechend sein kann: die massenhafte Demonstration einer allgemeinen Aufkündigung des Gehorsams bis hin zu dem Punkt, daß der nationale Gewaltapparat selber sich dadurch in Frage gestellt sieht. Und - was wirklich nicht auszurechnen war! - sogar diese Konfrontation, deren normale Lösung ein umfängliches Massaker ist, mit dem die Staatsgewalt sich wieder Respekt verschafft - oder, falls die Gegenseite Waffenlieferanten findet, einen internen Krieg eröffnet -, haben die iranischen Massen mit einem bemerkenswerten Maß an Todesverachtung durchgestanden. Ob wirklich falsche Berechnungen auf Seiten der kaiserlichen Herrschaft und ihrer auswärtigen Ratgeber der Grund dafür waren, daß das ganz große Blutbad ausgeblieben ist, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist jedenfalls - was einheimische wie auswärtige Linke so begeistert und die berufenen imperialistischen Beobachter des Geschehens von Anfang an so sorgenvoll gestimmt hat -, daß die Teheraner Volksmassen ihre demonstrative Erhebung ohne nennenswerte Unterstützung durch eine organisierte Gewalt durchgestanden haben: Weder haben Instanzen oder auch die privaten Teilhaber der nationalen Gewalt sich auf ihre Seite gestellt, noch hat ein auswärtiger Interessent sich des Aufruhrs angenommen und ihn entscheiden helfen.

Entsprechend radikal, einfach und kompromißlos war der Zweck des Aufstandes - und umgekehrt: aus der Radikalität, der Einfachheit und der Kompromißlosigkeit des Zieles "Der Schah muß weg!" bezog der iranische Volksaufstand seine eigentümliche Durchschlagskraft. Dieses Ziel relativierte sich nicht an dem Kriterium staatsbürgerlicher Berechnung, wie "es" denn hinterher weitergehen sollte: In dem Punkt war das Volk sich offenbar einig, daß "es", nämlich die im Absolutismus eines Herrscherhauses zusammengefaßte, auf die strategischen und Ölinteressen auswärtiger Mächte gegründete souveräne Staatsgewalt, überhaupt nicht weitergehen sollte. Klar wiederum, daß für dieses kompromißlos negative Ziel machtvolle Verbündete nicht zu gewinnen waren: unter denen nicht, deren politischer Einfluß im Lande sich auf die Beteiligung an der souveränen Macht des Schah gründete; und weder im Westen, dessen einzige Sorge - vorgetragen in den Spekulationen der Journalisten über "vernünftige" Fraktionen im oppositionellen Bündnis - dem Bestand bzw. der Wiederherstellung einer berechenbaren und schon damit garantiert nützlichen Herrschaft galt und gilt, noch im Osten, der sich zwar begierig mit jedem Idealismus nationaler Souveränität einverstanden und solidarisch erklärt, soweit sich daraus weltpolitischer Nutzen ziehen läßt, mit einer wie auch immer gearteten Gegnerschaft gegen ein ordentliches nationales Herrschaftsverhältnis aber auch nichts anzufangen weiß.

Nach dem Sieg des Aufstandes: der Flucht des Schah, dann seines letzten potentiellen Platzhalters Bakhtiar, sowie der Auflösung der Gehorsamsverhältnisse, die die Armee zum Machtmittel des Souveräns gemacht hatten, zog denn auch, der negativen Zielsetzung des Aufruhrs entsprechend, unter politischen Gesichtspunkten "das Chaos" in Persien ein. Und zum Entsetzen der besorgten Außenwelt sind auf Monate hinaus und zum Teil sogar bis heute die Unternehmungen "verantwortungsbewußter" iranischer Politiker, wieder für eine geordnete Herrschaft zu sorgen, immer wieder gescheitert, immer neue "letzte Chancen" vertan worden - ein Stückchen weit wenigstens hat das iranische Volk das für ein bürgerliches Hirn Unvorstellbare praktisch wahrgemacht, nämlich bewiesen, daß die Leute ein politisches ,,Chaos" im Land u. U. besser überleben und sogar lieber aushalten als die "Ordnung" des Regiert-Werdens durch seriöse Liebhaber der politischen Gewalt.

2. Um die praktische Verwirklichung dieser Wahrheit ist es allerdings - leider - den beteiligten Volksmassen von Anfang an nicht gegangen; und so haben auch sie per saldo bloß einen Beleg mehr dafür geliefert, daß der Sturz der Herrschaft und die Beseitigung von Herrschaft zwei verschiedene Dinge sind und letztere ohne bewußten Materialismus nicht zu machen ist. Denn so viele und gute materielle Gründe die aufständischen Iraner auch hatten für ihre Erhebung: als Gründe für eine Erhebung gegen die Herrschaft des Schah haben sie diese nur gelten lassen unter einem höheren, moralisch rechtfertigenden Gesichtspunkt, als dessen Knechte sie logischerweise aus ihrem Aufstand hervorgehen. Dieser Gesichtspunkt war und ist der Islam, vertreten und praktisch geltend gemacht durch den zur Würde eines Imam avancierten Ayatollah Khomeini und die seiner Autorität folgende Mehrheit der 180.000 professionellen islamischen Sittenlehrer.

Die professionellen Beobachter des Weltgeschehens haben in diesem Umstand die Grundlage für eine dem imperialistischen Verstand unbedingt einleuchtende Deutung des Geschehens gefunden - die allgemein akzeptierte Sprachregelung lautet: "Rückfall ins Mittelalter". Und für die Bedürfnisse einer imperialistisch geschulten demokratischen Öffentlichkeit reicht diese Deutung vollständig aus; vor allem erlaubt sie es, den vermuteten oder tatsächlichen Grad des Entgegenkommens wichtiger Figuren der derzeitigen iranischen Szene für das Interesse des Westens am Iran - erstens Öl, zweitens Fernhaltung der SU von den Ölregionen, drittens beides in der verläßlichen Obhut einer stabilen nationalen Staatsgewalt - gemäß einer Skala abzuschätzen und auszudrücken, die vom brutalen, fanatischen Irrationalismus der dem Mittelalter verhafteten Mullahs bis zum vernünftigen, aufgeklärten Bewußtsein übriggebliebener Technokraten über die Erfordernisse eines modernen Staatswesens reicht. Kein wichtiger Politiker von Sandschabi über Bazargan, Bani-Sadr und Ghotbsadeh bis demnächst - wer weiß? - Premier Rajai, der nicht im Laufe weniger Monate auf dieser Skala eine bemerkenswerte Karriere vom einen zum anderen Extrem zurückgelegt hätte - exakt gemäß dem journalistischen Bedürfnis, im Interesse der freien Welt auf Widersprüche in der ,, revolutionären" Führung des Iran zu setzen!

Der einzige richtige Hinweis, den diese bornierte Sprachregelung enthält, ist der ziemlich triviale, daß die höhere Gerechtigkeit, in deren Namen die persischen Massen sich gegen das Regime des Schah empört haben, mit dem Idealismus einer iranischen Großmacht im Sinne der Nationalstaatsideologie des Schah genau so wenig zu tun hat wie mit jener tiefen Sehnsucht nach bürgerlichen Freiheiten und demokratischen Verkehrsformen zwischen Regierung und Regierten, die der imperialistische Verstand den auswärtigen Opfern imperialistischer Weltherrschaft so gern unterstellt, wann immer sich irgendwo möglicherweise ausnutzbare Unruhen andeuten. "Mittelalterlich" ist deswegen die im Iran so populär gewordene Vorstellung eines göttlichen Auftrags, sich gegen die Herrschaft des Schah zu erheben, aber genauso wenig, wie der demokratische Aberglaube an die Nützlichkeit einer wohlgeordneten Herrschaft für deren Untertanen "vernünftig" genannt zu werden verdient.

- Bereits unter der Herrschaft der Pahlevi-Schahs war der Islam nicht mehr die Summe fraglos geltender Lebensregeln und das in frommen Vorstellungen ausgebreitete moralische Selbstbewußtsein einer ,,mittelalterlichen" Feudalgesellschaft. Die Zerstörung dieser Gesellschaft im Zuge ihrer fortschreitenden Unterwerfung unter die politische Souveränität der Zentralgewalt ging immerhin einher mit massiven Angriffen dieser Zentralgewalt auf sämtliche islamische Autoritäten. Den islamischen Richtern wurde eine staatliche Justiz, den Dorfmullahs ein - wie auch immer rudimentäres - staatliches Ausbildungswesen entgegengesetzt; ideologisch machte das Regime sich von seiner Rechtfertigung durch die Erfordernisse göttlicher Gerechtigkeit frei und berief sich in einem sehr weltlich-nationalistischen Mystizismus auf das iranische Volkstum und die persische Reichstradition seit den alten Zeiten der Achämeniden-Herrschaft, die durch die Wahnsinnstat der 2.500-Jahrfeier des Reiches in Persepolis, die Ersetzung der islamischen Jahreszählung durch einen neuen iranischen Reichskalender und nicht zuletzt mit dem Namen Cyrus für den erstgeborenen Schahbengel in Erinnerung gerufen wurden, überdies sorgte die zunehmende Verstädterung viel wirksamer als das Verbot des alten Reza Schah aus den 30er Jahren, den Tschador zu tragen, dafür, daß die überlieferten, im Koran niedergelegten oder aus ihm abgeleiteten frommen Lebensregeln schlicht gegenstandslos wurden - wobei der Schah immer darauf achtete, daß ihm das als Verdienst um den Fortschritt seines Volkes angerechnet wurde. Die Staatsgewalt des modernen Iran tat somit alles, um mit der fortschreitenden Durchsetzung des Kriteriums der Nützlichkeit nicht bloß in der politökonomischen Praxis, sondern ebenso in der Vorstellungswelt des einfachen Volkes den gesamten ideologischen ,,Überbau" der alten Feudalgesellschaft in die Opposition zu treiben. Wenn dieser ,,Überbau" sich überhaupt erhielt, dann deswegen, weil das Volk mangels Möglichkeit, dem modernen Gebot zur Nützlichkeit nachzukommen, auch keinerlei Grund hatte, sich als moderne Staatsbürgergesellschaft vorzukommen und aufzuführen; und er erhielt sich in dem Maße, wie er zur organisierten Verlaufsform und zum ideologischen Selbstbewußtsein der Defensive und später der Opposition des Volkes gegen die souveräne Herrschaft des Schah wurde.

Der iranische Islam wurde darüber auf eine absonderliche Weise nationalistisch. In seiner Gegnerschaft gegen die Bemühungen des Schah, mit seinen Öldollars aus dem Land einen den modernsten Ansprüchen genügenden kapitalistischen Nationalstaat zu machen, reklamierte das islamische Establishment vom Standpunkt der Opfer dieser Bemühungen aus ein dadurch verletztes höheres, überstaatliches, eben: religiöses Recht des Volkes auf Rücksichtnahme seiner Herrschaft und attackierte dementsprechend das Regime als volksfeindliche Fremdherrschaft - ein Vorwurf, für den der Umgang des Kaiserhofes mit seinen ausländischen Beraterteams stets reichlichen Stoff bot: schon 1964 hatte Khomeini sich seine Verbannung eingehandelt mit seiner ziemlich erfolgreichen Agitation gegen ein "Kapitulationsgesetz", das amerikanischen Staatsbürgern Immunität gegenüber der iranischen Justiz zusicherte. Die islamische Opposition übte Kritik an der Herrschaft des Schah und deren Zwecken in Form des Vorwurfs, die kaiserliche Regierung hätte sich den religiösen Ansprüchen und den eigentümlichen frommen Bedürfnissen des iranischen Volkes entfremdet, und proklamierte damit die Fiktion eines speziellen islamischen Volkscharakters, dem eine legitime Herrschaft zu entsprechen hätte. Die Einfälle oppositioneller iranischer Intellektueller über angebliche sozialistische Gehalte und Qualitäten des Islam - wobei unter .Sozialismus' regelmäßig das linke bürgerliche Ideal einer dem Volk nützlichen und entsprechend innig verbundenen Staatsgewalt verstanden ist - haben in dieser Fiktion ihre ideologische Grundlage. Und aus demselben Punkt erklärt sich der leidenschaftliche Antiimperialismus des modernen persischen Islam ebenso wie dessen Borniertheit, der Umstand nämlich, daß er die Herrschaft des Imperialismus ausgerechnet auf dem Felde der Kultur ausmacht und bekämpfen will: im Geschmack, in den Lebensgewohnheiten und in der Moral jener bessergestellten Iraner, die mit dem Diktat des Schah, das Volk nützlich zu machen, für sich durchaus etwas anzufangen wußten.

- So wenig der zeitgenössische iranische Islam eine mittelalterliche Angelegenheit ist, so wenig sind es die Gründe, aus denen das Volk sich massenhaft, bedingungslos und schließlich erfolgreich dieser Deutung seiner Lage angeschlossen hat. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ein in traditioneller Manier ausgebeutetes Volk sich auf islamisch mit seiner feudalen Herrschaft arrangiert, oder ob ein in höchst moderner Weise verelendetes Volk im Namen Allahs gegen seine nationale Zentralgewalt aufsteht. Im letzteren Fall macht ein Volk, von dessen Leistungen die über es ausgeübte Herrschaft praktisch gar nicht abhängt, das also auch weder materielle Mittel gegen seine Herrschaft in Händen hält noch auch nur formell als ideeller Urheber seiner Herrschaft politisch anerkannt ist, gleichwohl sich selbst zum Subjekt seines politischen Schicksals - allerdings ohne sich fortan wirklich als der materielle Urheber seiner politischen Geschicke betätigen zu können und auch nur zu wollen. Es kündigt einen Gehorsam auf, der nie den staatsbürgerlichen Charakter berechnender Loyalität hatte; darum folgt es mit seiner Erhebung auch nicht der bürgerlich-demokratischen Illusion eines gemeinsamen materiellen Anliegens von Individuum und Staatsgewalt, und ebensowenig der revisionistischen Vorstellung, als "Schöpfer" des nationalen Reichtums ein Anrecht auf dessen Genuß zu besitzen; auch der zum bürgerlichen Staat gehörige faschistische Wahn, die herrschende Gewalt bewähre sich zu wenig in der Würdigung der eigenen Beiträge zu ihrer Größe und in der Unterdrückung weniger nützlicher Konkurrenten, ist und bleibt ihm fremd. Wenn ein solches Volk sich als maßgebliches politisches Subjekt aufspielt, das es materiell gar nicht ist, und das sogar erfolgreich, dann tut es das eben auch nicht im Bewußtsein einer besonderen politischen Wichtigkeit, die ihm im Staat zukäme oder wirklich zuzukommen hätte, sondern in der gläubigen Erfindung einer solchen Wichtigkeit: als dienstbare Armee eines fiktiven Subjekts der lokalen und überhaupt weltweiten Ereignisse. Es praktiziert seine Erhebung gegen den Schah und gegen den Imperialismus, für den dessen Nationalismus eingestanden hat, als Gefolgschaft von Allah - ganz entsprechend der Ausdeutung Allahs zum Inbegriff des kulturrevolutionären islamischiranischen Antiimperialismus. Und offenkundig hat sogar beim modern ausgerüsteten und gedrillten Fußvolk der kaiserlichen Armee, das ja nie durch die demokratisch reife Idiotie staatsbürgerlichen Pflichtbewußtseins seinem Herrscher loyal verbunden war, der jenseitige Herrscher den größeren Eindruck gemacht und dessen diesseitiger Repräsentant viel Gefolgschaft gerunden.

- Die islamische Republik schließlich, die dabei herausgekommen ist, hat mit einem mittelalterlichen Kalifat überhaupt nichts gemein. Ihr Entstehungsgrund, ihr Prinzip und ihr Programm ist - bislang - der feste Wille der religiösen Führer des Volksaufstands, ihrer ideellen Gegnerschaft gegen den Imperialismus, so wie sie ihn sehen, materielle Macht zu verschaffen, den Iran und das persische Volk also zum Instrument einer religiösen Gegenmacht gegen die imperialistische Welt zu machen. Nach innen wie nach außen ist dieses Programm von jener Kompromißlosigkeit, die der islamischen Republik in der westlichen Weltöffentlichkeit die gleiche Sorte unbedingter Verurteilung eingetragen hat, wie sie ansonsten nur für das ,,sozialistische Lager" üblich war und ist - aus denselben Gründen. Gegen jede Abwägung von Nutzen und Schaden, und dabei nicht einmal nur - was in der modernen Staatenwelt zu den elementarsten Selbstverständlichkeiten gehört - rücksichtslos gegen die Bedürfnisse, ja gegen die Überlebensnotwendigkeiten des geliebten Volkes, dem ah wichtigste Errungenschaft die heiße Aussicht auf allerlei "Heilige Kriege" versprochen wird, sondern kompromißlos desinteressiert sogar an allgemein anerkannten und respektierten funktionalen Erfordernissen eines modernen politischen Herrschaftsapparats, insbesondere in Sachen Geschäftemacherei und militärischer Gehorsam, widmet die neue islamische Führung des Iran sich ihren Prioritäten, insbesondere dem ideologischen Kampf gegen alle Symptome westlichen Geistes, wobei Willkür notwendigerweise die Szene beherrscht. Die Borniertheit der Treue zur islamischen Umwälzung der Kultur hat entschiedenen Vorrang vor der Borniertheit des politischen Profitums; und nicht nur der als Ideal verkündete Aufbau einer rationellen Landwirtschaft, die das Volk ernährt, auch sogar die Abwicklung von für den Staat und seine Revenue essentielleren Geschäften steht - zum Entsetzen westlicher Fachleute - hinter der Sorge um saubere islamische Verhältnisse in den Ämtern und Behörden zurück. Das alles würde den Westen, der, wo es ihm paßt, die schlimmste Behandlung eines Volkes durch seine Regierung gelassen ignoriert oder sogar unter gewissen Aspekten berechtigt findet, völlig kalt lassen, wenn die iranische Führung nicht auch in den Außenbeziehungen des Landes ihre Absage an den Imperialismus in Form radikaler Gesten praktisch wahrgemacht hätte: Zwar ist mit der Gefangennahme des amerikanischen Botschaftspersonals der iranische Ölexport nicht zum Erliegen gekommen; andererseits kam über ein Jahr lang kein Souverän der Welt in seinen Beziehungen zum Iran über diese Aufkündigung des normalen diplomatischen Verkehrs, also des in der Welt üblichen zwischenstaatlichen Verhältnisses wechselseitiger respektvoller Erpressung, hinweg. Daß der Iran sich nicht einmal durch Handelsembargos und Konfiszierung seiner Auslandsvermögen in die Umgangsformen der imperialistischen Weltordnung zurückzwingen ließ, findet schon gleich überhaupt kein Verständnis im Westen.

3. Nicht ganz unberechtigt ist allerdings auch die im westlichen Journalismus bisweilen schon neben der Gehässigkeit auftretende Schadenfreude über die "Schwierigkeiten" der islamischen Republik, vorgetragen in Form von Schätzungen, wie lange sie es wohl noch machen wird. Denn bei allem Willen zur Kompromißlosigkeit entgeht das Programm einer islamischen Gegenmacht zum imperialistischen Weltsystem nicht seinem immanenten Widerspruch, daß es für seine Verwirklichung - und zwar um so mehr, je radikaler und offensiver diese ausfallen soll - auf die materiellen Mittel eben dieses Weltsystems angewiesen ist: auf kaufkräftige Kunden für iranisches Öl und auf Lieferanten für die Instrumente einer respektablen staatlichen Macht. Gegründet auf eine erfolgreiche Opposition gegen das Unternehmen des Schah, in der Auseinandersetzung mit der traditionellen Verfassung seines Volkes eine auf auswärtige Ölinteressen begründete nationale Souveränität aufzumachen, steht die islamische Republik vor der fatalen Wahrheit des Imperialismus, daß eine iranische Staatsmacht, die den islamischen Antiimperialismus praktisch ins Werk setzt und womöglich auf andere Staaten sich ausdehnen läßt, mit überzeugten Moslems allein nicht zu machen ist, sondern bloß mit dem Anteil am wirklichen Reichtum, den die imperialistischen Länder sich das iranische Öl kosten lassen. Es ist die Ironie des islamischen Umsturzes im Iran, daß seine Grundlage, die Idee einer autonomen Gegenmacht gegen die gegebene Weltordnung, selbst nichts anderes ist als das Ideal einer Umkehrung genau jener Position einer zwar sehr relativen, aber immerhin Autonomie, die der Schah dank seiner Nützlichkeit für diese Weltordnung in dieser dem Iran verschafft hat. Mit dieser Nützlichkeit fällt alles dahin, worauf die Illusion einer wirkungsvollen Gegenmacht sich materiell allenfalls hätte gründen können. Und das ist das innere Dilemma der islamischen Republik, das im Westen begriffslos und schadenfroh am Fortgang der inneriranischen Zerwürfnisse begutachtet wird.

Denn diese Zerwürfnisse, insbesondere zwischen der religiösen Führung des Volkes und Bani-Sadr als dem obersten Repräsentanten funktioneller staatlicher Gewalt, sind die sehr folgerichtige Verlaufsform des genannten Dilemmas. Der gegen den Nationalismus des Schah und den daraus Nutzen ziehenden Imperialismus gerichtete, insofern supranationale Standpunkt einer islamischen Erneuerungsbewegung fordert einerseits, zur Macht gelangt, als Instrument dieser seiner materiellen Macht eine starke Staatsgewalt, verlangt also von der Regierung einen entschieden nationalen Standpunkt. Gleichzeitig richtet er sich jedoch radikal kritisch gegen jeden, der diesen Standpunkt aus eigenem materiellen Interesse verfolgt und nicht aus islamischem Idealismus, also sowohl gegen die übriggebliebenen bürgerlichen Geschäftemacher, die im Interesse ihres Geschäfts zwischen Inland und Ausland, Auslandsgeschäft und auswärtiger Konkurrenz, ,,hartem" und "weichem" Rial zu unterscheiden wissen und nach einer vor allem effektiven Verwaltung verlangen, als auch gegen einen linken Idealismus, der im Interesse des Volkes den nationalen "Fortschritt" voranbringen will. Und selbst der Staatspräsident, dem der Standpunkt der nationalen Stärke nach der derzeitigen inneriranischen Arbeitsteilung offenbar vor allem anvertraut ist, macht sich vor dem übergeordneten Kriterium der rechtgläubigen Alternative, machtvoll vertreten durch die Parlamentsmehrheit, den Premierminister und Khomeini als obersten religiösen Kontrolleur des Geschehens, in dem Maße verdächtig, wie er diesen Standpunkt praktisch geltend macht. So soll Bani-Sadr im Innern, und zwar auf allerhöchsten Befehl, für eine wirksam arbeitende Verwaltung sorgen; seine Kritik an der "absoluten Dummheit" des linientreuen Verwaltungspersonals, das die alte Beamtenschaft großenteils abgelöst hat, trägt ihm aber bereits den Vorwurf des Verrats an den kulturrevolutionären religiösen Idealen der islamischen Republik ein. In der Außenpolitik soll die Regierung für "revolutionäre" Handlungsfreiheit im Interesse eines umfassenderen islamischen Aufbruchs sorgen; gemäß den sinnreichen "Sachzwängen" einer imperialistisch eingerichteten Welt sieht sie sich für diesen Zweck auf Kooperation mit dem ideologischen Gegner angewiesen - also in einer ganz analogen Situation wie der gestürzte Schah mit seinem Traum von einer den westlichen Großmächten gleichrangigen Nation. Die "Geiselfrage" stand dieser "Lösung" jedoch als unüberwindliches Hindernis im Wege; daß ausgerechnet dieser antidiplomatische Wahnsinnsakt zur Würde des Kriteriums für die antiimperialistische Linie der Republik wurde und für jede iranische Außenpolitik bestimmend blieb, bis militärische Notwendigkeiten ein Nachgeben erzwangen, das sagt einiges über die Trostlosigkeit dieser Sorte Antiimperialismus wie über seine "Perspektiven".

4. Denn die imperialistische Welt scheint nicht gewillt, der islamischen Republik die Gelegenheit zu geben, an ihrem inneren Dilemma autonom zugrunde zu gehen; und sie braucht sich für die Beschleunigung dieses Prozesses nicht einmal selbst die Hände schmutzig zu machen. Die westlichen Nachbarstaaten des Iran, von dessen religiöser Führung als nächste Bündnispartner für ein antiimperialistisches Lager auf islamischer Grundlage ausersehen, werden von Herrschern regiert, für die die Festigung ihrer Souveränität, folglich die Verwendung ihrer Öleinnahmen für die Herstellung wenn schon nicht einer regelrechten Nation, dann doch zumindest einer nationalen Staatsmacht, fraglos oberstes Ziel ist. Ohne sich von der CIA erst groß drängen zu lassen, beflügelt allein von dem "nationalen Egoismus", zur respektierten Führungsmacht der Region zu werden, bemüht der Irak sich um den praktischen Nachweis, daß das Projekt eines prinzipiell alternativen Staates nicht zu realisieren ist. Daß sein Überfall auf den allgemein für ziemlich wehrlos erachteten Iran von der fast grenzenlos wohlwollenden Neutralität des über Jordanien und Saudi-Arabien verbündeten Westens begleitet, sich dennoch nicht als sauberer Blitzkrieg erfolgreich abwickeln ließ, eröffnet der islamischen Republik gleichwohl keine rosige Zukunft. Auch auf die intransigentesten Fraktionen der Islamisch-Revolutionären Partei hat der Umstand Eindruck gemacht, daß keineswegs der Westen auf iranisches Öl angewiesen ist, dafür umso mehr die Kämpfer Allahs in ihrem "Abnutzungskrieg" auf ausländische Waffen, auf Devisen, um sie zu bezahlen, und auf eine gewisse "Verständigung" mit dem Ausland, um sie überhaupt in genügender Quantität zu bekommen. Mit der Proklamierung und Praktizierung ihrer islamischen Glaubens-, Blutsund Waffenbrüderschaft mit den Aufständischen in Afghanistan bewegen sie sich auf eine Konsequenz ihres frommen Antiimperialismus zu, die dem strategischen Interesse des Westens an ihrem Land schon wieder ziemlich nahe kommt. Der Feindschaft des islamischen Iran gegen die SU gewiß, leisten sich alle imperialistischen Mächte den Verzicht auf seine Benutzung, bis die einheimischen Machthaber - ob auf islamischer oder technokratischer oder säkularstaatlicher Grundlage, das wäre dann ziemlich gleichgültig - sich wieder kalkulierbar und damit brauchbar machen.