Die Selbstkritik der SED:
Grundverkehrt, bitterernst, hochmoralisch, also stalinistisch

In der SED ist Selbstkritik angesagt, aber was für eine: Der alten Politik erteilen die Genossen eine strikte Ab­sage. Auf einmal wissen alle, daß  fast  alles Bisherige Lüge und Unterdrückung war. Aber mehr will keiner wissen; von den Gründen, die bis gestern noch parteioffi­ziell für's alte Verfahren gegolten haben, schon gleich nicht. Klarzustellen, wofür das neulich noch gut war und wozu es taugen sollte, das verlogene Schönfärben der Welt und das Niedermachen abweichlerischer Umtriebe, hält niemand für nötig  oder sogar für den untauglichen Versuch einer Rechtfertigung dessen, was heute doch kein Bürger und kein anständiger Genosse mehr leiden kann. Ebensowenig besteht Bedarf danach, einmal für sich und andere stichhaltig zu begründen, daß die SED mit ihrer Politik sich womöglich schon auch ganz zurecht eine Abfuhr verdient hat.

Aus dem Buch
1989 | 336 Seiten | vergriffen
Systematischer Katalog
Länder und Abkommen
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