Die Selbstkritik der SED:
Grundverkehrt, bitterernst, hochmoralisch, also stalinistisch
In der SED ist Selbstkritik angesagt, aber was für eine: Der alten Politik erteilen die Genossen eine strikte Absage. Auf einmal wissen alle, daß – fast – alles Bisherige Lüge und Unterdrückung war. Aber mehr will keiner wissen; von den Gründen, die bis gestern noch parteioffiziell für's alte Verfahren gegolten haben, schon gleich nicht. Klarzustellen, wofür das neulich noch gut war und wozu es taugen sollte, das verlogene Schönfärben der Welt und das Niedermachen abweichlerischer Umtriebe, hält niemand für nötig – oder sogar für den untauglichen Versuch einer Rechtfertigung dessen, was heute doch kein Bürger und kein anständiger Genosse mehr leiden kann. Ebensowenig besteht Bedarf danach, einmal für sich und andere stichhaltig zu begründen, daß die SED mit ihrer Politik sich womöglich schon auch ganz zurecht eine Abfuhr verdient hat.