§ 8
Allgemeinwohl – Wirtschaftspolitik

Wegen der Schranken, die der Staat bei der Erfüllung seiner Funktionen an den Mitteln der Gesellschaft hat, verfolgt er mit seinem Haushalt den Zweck, seine Aufgaben zu vermindern und seine Mittel zu vermehren. Es geht ihm also um den ökonomischen Erfolg aller Bürger, und er reflektiert seine Tätigkeiten in bezug auf die Wirkung, die sie auf den Reichtum der Nation haben. Alle seine Maßnahmen gelten ihm als Mittel zur Steigerung des Allgemeinwohls, d.h. er unterwirft die notwendigen Funktionen seiner Gewalt für die Gesellschaft dem Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums: Wirtschaftspolitik.

Aus dem Buch
1979, 1980, 1999, 2008, 2024 | 144 Seiten | 15 €  Zum Warenkorb
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Gliederung

§ 8
Allgemeinwohl – Wirtschaftspolitik

Wegen der Schranken, die der Staat bei der Erfüllung seiner Funktionen an den Mitteln der Gesellschaft hat, verfolgt er mit seinem Haushalt den Zweck, seine Aufgaben zu vermindern und seine Mittel zu vermehren. Es geht ihm also um den ökonomischen Erfolg aller Bürger, und er reflektiert seine Tätigkeiten in bezug auf die Wirkung, die sie auf den Reichtum der Nation haben. Alle seine Maßnahmen gelten ihm als Mittel zur Steigerung des Allgemeinwohls, d.h. er unterwirft die notwendigen Funktionen seiner Gewalt für die Gesellschaft dem Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums: Wirtschaftspolitik.

Weil das wirtschaftliche Wachstum mit der Vermehrung des Kapitals, mit der produktiven Nutzung des Privateigentums zusammenfällt, ist Wirtschaftspolitik eine einfache und einseitige Sache. Während der Staat in seinen Leistungen für die Eigentümer (§ 5b) recht brauchbare Instrumente für die Erzielung eines „sozialökonomischen Optimums“ entdeckt, fällt ihm an seinen Maßnahmen zur Erhaltung der Lohnarbeiter auf (§ 5c), dass sie Kosten sind, die den nationalen Reichtum vermindern. Mit der Steigerung des Allgemeinwohls, jener noblen Abstraktion vom Gegensatz der Klassen, setzt der Staat das Interesse der Kapitalistenklasse durch. Er begnügt sich nicht damit, die Bedingungen für die Geschäfte dieser Klasse zu sichern, sondern geht dazu über, die Hindernisse zu beseitigen, die der Anwendung seiner Hilfen im Wege stehen. Den dazu nötigen Aufwand bestreitet er durch gekonnte Sparmaßnahmen in seiner sozialpolitischen Abteilung; die Gelder, welche die Arbeiterklasse freiwillig oder zwangsweise spart, befreit er aus den Fesseln ihrer Zweckbindung und macht sie der Wirtschaft dienstbar.

Da die staatlichen Eingriffe in die Ökonomie die Unterwerfung der öffentlichen Gewalt unter die Bedürfnisse des Kapitals darstellen, dienen sie auch den Gesetzmäßigkeiten, welche der Akkumulation des Kapitals immanent sind. Der Staat sorgt dafür, dass alles Geld der Gesellschaft in Kapital verwandelt wird, erlaubt den Kapitalisten die Akkumulation ohne Rücksicht auf die Schranken des Marktes und betreibt nach Kräften die Reduktion der Konsumtionsfähigkeit der Massen, so dass ihm die Krise die Durchführung seiner Wirtschaftspolitik als Konjunkturpolitik aufnötigt. Diese besteht darin, die störenden Wirkungen der Akkumulation zu deren Mitteln zu machen. Die Bewältigung der Krisen beruht darauf, das „wirtschaftspolitische Instrumentarium“ so einzusetzen, dass es sich wieder lohnt, zu investieren. Außer den hierfür erforderlichen Geschenken an die Kapitalisten bedarf es dazu des massiven Einsatzes von Moral und Gewalt für die entsprechende Zurichtung des geschädigten Ausbeutungsmaterials. Der Ohnmacht gegenüber dem kritischen Verlauf der Akkumulation stellt der Staat also die Macht gegenüber ihren Opfern zur Seite.

a)

Wenn sich die Staatsgewalt für den Reichtum der Nation einsetzt, den Standpunkt des Allgemeinwohls gegen die Bürger vertritt, zwingt sie ihr Volk, dem es um privaten Reichtum geht, sich in der Verfolgung dieses Zwecks zum Mittel des gesellschaftlichen Reichtums zu machen, wodurch sich dieser als Abstraktion von den Bedürfnissen der Bürger ebenso erweist wie als Affirmation ihrer Anstrengung, andere vom produzierten Reichtum auszuschließen. Indem der Staat die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums in privater Form zu seinem Anliegen macht, sind seine Maßnahmen eindeutige Akte der Unterstützung für die Bürger, die den Beruf haben, Reichtum zu akkumulieren. Dies schließt die praktische Kritik an den Vertretern der Kapitalistenklasse ein, die sich nicht behaupten können und – weil sie für sich keine Profite herausschlagen – für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Minus statt Plus bringen. Der Staat ist eben ideeller Gesamtkapitalist, d.h. er macht getrennt von der Kapitalistenklasse deren ökonomisches Interesse geltend, weil diese Klasse selbst ihr Interesse nur in der Konkurrenz wahrnimmt.

Den arbeitenden Teil seines Volkes behandelt der Staat wirtschaftspolitisch als das, was er ist: Material für diese Sorte gesellschaftlichen Reichtums. Zwar kann er sich den notwendigen Vorkehrungen für die Brauchbarkeit dieser Klasse und ihre Erhaltung nicht entziehen, doch sind ihm einerseits die Leistungen des Arbeitsvolkes stets zu gering und ihre Ansprüche an den Staat immer zu hoch. Vom Standpunkt der Wirtschaftspolitik her wird klar, warum noch die an allerlei disziplinierende Bedingungen geknüpften sozialpolitischen Aktivitäten dem Staat von den Arbeitern mühsam abgerungen werden müssen: Das Kriterium für ihre Wahrnehmung liegt in ihrem Nutzen für das Wachstum, ist also ein negatives. Alles, was der Staat hier tut, gilt der Vermeidung von Störungen, die dem Akkumulationsprozess von seiten unbrauchbarer Arbeiter drohen. Weil diese Störungen den einzelnen Kapitalisten, solange sie auf ihre Kosten kommen, gleichgültig sind, sieht sich der Staat gezwungen, die Erhaltung dieser wichtigsten Bedingung für ihr Geschäft selbst der Bourgeoisklasse gegenüber gewaltsam durchzusetzen. Die Konkurrenz der Kapitalisten kritisiert der Staat vom Standpunkt der gesamten Klasse aus, beschränkt sie, wenn sie sich rücksichtslos gegen ihre Mittel verhält; das Klasseninteresse der Arbeiter kritisiert er vom Standpunkt ihrer Konkurrenz und zwingt sie zur Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, d.h. zur individuellen Bewältigung aller Konsequenzen der Lohnarbeit, die zu vermeiden nur durch die bewusste Aktion der Klasse, die von der Konkurrenz Abstand nimmt, gelingen kann.

In der Unterordnung aller Aufgaben, um deren Erfüllung willen er sich als politisches Subjekt der Ökonomie betätigt, unter das Kriterium des wirtschaftlichen Wachstums, in der Relativierung aller Funktionen entsprechend dieser Zielsetzung der Wirtschaftspolitik fällt der Grund des bürgerlichen Staates – die freie Konkurrenz – unmittelbar zusammen mit seinem Zweck: er ist bewusster Agent des Inhalts der Konkurrenz, die bekanntlich nicht die Individuen, sondern das Kapital in Freiheit setzt. Es gibt keine staatliche Entscheidung, die nicht in ihrem Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum ihren letzten Maßstab findet, der auch den Idealen der Konkurrenz ihren staatlichen Sinn gibt.

Diese Ideale erhalten einen anderen Sinn, wenn sich die Bürger von ihrem Interesse her mit dem Reichtum der Nation herumschlagen. Jeder Bürger erwartet sich vom wirtschaftlichen Wachstum seinen ökonomischen Nutzen. Er kehrt die Identität von gesellschaftlichem Reichtum und Privateigentum gegen den Staat und verlangt von ihm wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Vermehrung seiner Mittel – die eine Sorte Bürger in der Gewissheit, dass sie die Repräsentanten des Reichtums der Nation sind, die andere Sorte mit der defensiven Moral, ihr Einsatz für das Florieren der Wirtschaft solle auch einmal anders als durch den Zwang zur Entsagung entgolten werden.

Die Enttäuschung solcher Erwartungen der vom Reichtum Ausgeschlossenen ist das Prinzip revisionistischer Kritik, die den Reichtum der Nation gegen seine gesellschaftliche Form, das Privateigentum, hochhält und dem Staat vorwirft, mit der einseitigen Verteilung der Effektivität der Volkswirtschaft zu schaden. Sie propagiert das Ideal eines Staates, der durch die Konzentration der ökonomischen Entscheidungen in seiner Hand die Ausbeutung der Proleten effektivieren will.

Der Revisionismus trifft sich darin mit der Kritik der Faschisten, die dem unbeschränkten Wachstum des nationalen Reichtums nicht nur die unnützen Arbeiter, sondern auch die unnützen Kapitalisten opfern wollen. Sie wollen die Gesellschaft durch den Staat zur Akkumulation ohne Rücksicht auf ihre negativen Begleiterscheinungen zwingen.

b)

Der Staat, der sich mit seiner Wirtschaftspolitik zum ,Motor’ der wirtschaftlichen Entwicklung macht, ist nicht bereit, die Notwendigkeit seiner Funktionen für die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Nützlichkeit gleichzusetzen. Er entdeckt an seinen allein der Erhaltung des Kapitals gewidmeten Anstrengungen, dass sie faux frais darstellen, also die Vermehrung des Privateigentums nur dadurch sichern, dass sie ihm Mittel entziehen. So geht er dazu über, die Leistungen, die er mit der Anwendung der vergesellschafteten Teile des Reichtums vollbringt, an ihren positiven Wirkungen auf die Geschäfte der Privateigentümer zu messen. Er behandelt seine Tätigkeiten als Faktoren der Wirtschaft und gestaltet ihren Einsatz entsprechend ihrem Nutzen für den Gewinn. Durch die Verwandlung der einen in wirtschaftspolitische Instrumente und die Reduktion der anderen auf eine nur widerwillig übernommene notwendige Last verleiht der Staat seinen Funktionen nicht nur die Unterschiede, auf die es ihm ankommt, sondern stellt auch sicher, dass er in keinem Fall als Mittel der Bürger missbraucht wird.

Wenn der Staat in der Organisation von Wissenschaft und Ausbildung den aktuellen Bedürfnissen von Unternehmerverbänden Rechnung trägt; wenn er sich beim Verkehr und Nachrichtenwesen an den finanziellen Belastungen der Geschäftswelt orientiert und sämtliche Vorschriften bezüglich eines rücksichtsvollen Wettbewerbs nur bedingt durchsetzen will, so relativiert er zwar nicht seine Selbständigkeit gegenüber den konkurrierenden Kapitalisten, wohl aber die Schranken, die seiner Funktionalität durch die Trennung der Politik von der Ökonomie gesetzt sind. Die Vorsicht, mit der er seine Gewalt gegen das Privateigentum einsetzt, hat ihren Grund im Zweck seiner Maßnahmen, den er als wirtschaftspolitisches Subjekt bewusst verfolgt: Wer auf die Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums in Form des Privateigentums aus ist, setzt seine Gewalt eben nur dann gegen Privateigentümer ein, wenn es die Vermehrung des Privateigentums begünstigt. Auch der Zwangscharakter der kompensatorischen Maßnahmen, welche die Arbeiter gebrauchen müssen, verdankt sich den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Staates. Der Staat unterwirft jedes Zugeständnis an die arbeitende Klasse seinem Ziel, das Wachstum des privaten Eigentums durchzusetzen. Während Sparsamkeit bei seinen Diensten an der besitzenden Klasse nur soweit gefragt ist, wie sie deren Nutzen befördert, ist sie hier das herrschende Prinzip und die Garantie dafür, dass der Sozialstaat, auf den die Arbeiter angewiesen sind, Mittel des Kapitals ist. Weshalb er sich nicht nur bei der Verwendung von Zwangsersparnissen für die Sparpflichtigen zurückhält, sondern sich zusätzlich seine anderen Segnungen teuer bezahlen lässt.

c)

1. An der Versorgung der Gesellschaft mit Geld bemerkt der Staat nicht nur, dass er ihr einen Teil des privaten Reichtums für die notwendigen Funktionen entzieht, sondern auch, dass die durch ihn bereitgestellte Voraussetzung der Geschäfte allerhand Kosten verursacht. Deshalb ökonomisiert er den Geldumlauf, indem er sich des Kredits bedient und ihn generell die Funktionen des Geldes verrichten lässt, die er im Privatgeschäft begrenzt übernimmt. Die Einrichtung einer Zentralbank bezweckt die von privaten Interessen unbehelligte Verwendung des Kreditgelds. Die durch die staatliche Ausgabe von Banknoten erzielte Ersparnis wird ergänzt durch die Vereinfachung des Zahlungsverkehrs zwischen den Banken, welche weitere Geldmittel überflüssig macht.

2. Die Ersparnis an Zirkulationskosten, die der Staat durch die Garantie für zirkulierende Kreditzeichen zustande bringt, bewirkt zwar eine Senkung seiner Ausgaben und damit der unproduktiven Kosten des Kapitals, trägt aber nichts positiv zum wirtschaftlichen Wachstum bei; sich hat der Staat sogar eine neue Institution eingehandelt, die Zentralbank, die zwar außer der Zusammenfassung der gesamten Geld-und Kreditoperationen der Gesellschaft auch die technische Verwaltung des Haushalts übernimmt, aber selbst kein Instrument der Unterstützung des wirtschaftlichen Wachstums ist. Das Geld, das sich in ihrer Verfügungsgewalt befindet, verwendet er daher so, dass seine Anwendung in privater Hand der Wirtschaft dient und er als Kreditgeber an der Vermehrung privaten Reichtums partizipiert. Als Verleiher von Kapital bestreitet aber die Zentralbank selbst der durch die Form des Kredits bereits fraglichen Identität des ökonomischen Nutzens von Kapitalisten mit dem des Staates ihren Realismus, weil sie sich aus wirtschaftspolitischenE rwägungen heraus zu Krediten bequemt (die kein Privatbankier von seinen Geschäftsbedingungen her geben würde!). Ob der Staat nun bei einer Aktiengesellschaft einsteigt oder über die Vermittlung der Zentralbank den Privatbanken Garantien für außergewöhnliches Kreditgebaren verschafft – stets relativiert er seinen ökonomischen Nutzen vom Standpunkt des Gesamtkapitalisten, der sich der Wirtschaft nur bedient, um ihr zu dienen. Ebenso wie er durch seine Beteiligung an einem Unternehmen dasselbe für volkswirtschaftlich unentbehrlich erklärt, reagiert er mit Diskontbestimmungen auf das Bedürfnis des Kapitals nach Krediten. Im Umgang mit seinen Finanzen bemüht sich der Staat also nach Kräften, die Schwierigkeiten, die ihm von seiten der Kapitalisten zu Gehör gebracht werden, zu bereinigen. Er unterstützt aus seiner Sorge um das Wachstum das Privateigentum noch dann, wenn es sich selbst im Geld-und Kapitalmarkt Schranken geschaffen hat, wobei ihm die Mittel der arbeitenden Klasse sehr gelegen kommen.

3. Die privaten Unternehmen verwenden freudig den gesellschaftlichen Reichtum, den ihnen der Staat zur Verfügung stellt, um ihr Vermögen zu vermehren. Sie erweitern die Produktion bis zu dem Punkt, an dem die Rückflüsse ihres Kapitals stocken und die Beschäftigung von Arbeitern nicht mehr rentabel ist. Am Auftragsmangel und an fehlender Liquidität seiner Lieblingsbürger gewahrt der Staat, dass zuviel Kapital akkumuliert worden ist – er hütet sich aber, die Zahlungsunfähigkeit als das zu nehmen, was sie ist. Ganz dem Standpunkt der Geschäftswelt verpflichtet, stellt er sich der Krise des Kapitals als einem Problem des Geldmangels, das sich auch als zu geringe Anwendungsfreudigkeit zu teurer Kredite deuten lässt. dass die theoretische Fassung, das Aussprechen dieses Standpunkts eine Unzahl von Tautologien hervorbringt, stört das Pflichtbewußtsein des Wirtschaftspolitikers keineswegs – im Gegenteil: die Tautologien von Ursache und Wirkung beflügeln ihn zu konjunkturpolitischen Taten.

Weil der Staat also die Hindernisse, die der Investitionsneigung der Kapitalisten auf dem Geldmarkt entgegenstehen, beseitigen will (nicht aber ihren Grund), offeriert er ihnen durch den Gebrauch von Mindestreservesatz, Diskontsatz und Staatspapieren als wirtschaftspolitische Instrumente billiges Geld. Des weiteren verstärkt er besagte Neigung durch Sonderangebote (die von Investitionsbeihilfen bis zu Aufträgen reichen) und Steuergeschenke.

4. Die dazu nötigen Mittel stellt er auch dann zur Verfügung, wenn e r sie nicht hat. Das Interesse am Wachstum zerstört alle Bedenken gegen die inflationären Wirkungen gesteigerter Staatsschulden, zumal er seinen Willen zum Sparen an den sozialpolitischen Haushaltsposten genügend unter Beweis stellen kann. Der Wirtschaftspolitiker macht also einen Unterschied zwischen ,konsumtiven’ Staatsausgaben und solchen, die dem Kapital Fortschritte ermöglichen, wobei er die Senkung der ,konsumtiven’ Ausgaben gleich doppelt zu bewerkstelligen weiß: Die in der Krise wachsenden Rechtsansprüche auf die Auszahlung von Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Renten) nimmt er zum Anlass, den Beitrags-pflichtigen eine Erhöhung ihrer Zwangsersparnisse zu verordnen –den rechtmäßigen Empfängern von staatlicher Unterstützung diktiert er neue Bedingungen für ihre Anwartschaft. Wenn er den Betroffenen erzählt, ihre Gelder seien produktiv angelegt, so sagt er durchaus die Wahrheit, wenngleich es nicht stimmt, dass ihr Geld nur ,zeitweise’ nicht flüssig ist. Es ist zu Kapital geworden und wird nie mehr für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, was auch für ihre künftigen Beiträge gilt. Die bereits im Grundgesetz weise vorgesehene Verschuldung des Haushalts gebeut, dass sich der Staat stets solcher Sparsamkeit befleißigt. Die andere Seite dieser Zweckentfremdung zweckgebundener Einnahmen besteht in der Anstrengung, das arbeitende Volk dahin zu bringen, durch kontinuierlich gesteigertes Beitragszahlen die unvermeidlichen Unkosten des sozialen Netzes zu decken. Deswegen hat der Staat auch ein Interesse an Vollbeschäftigung, die ihm ein probates Mittel für die Stabilität des Geldwerts resp. der Preise zu sein scheint, welche er durch seine Wachstumspolitik zerstört.

5. Da die Vollbeschäftigung nur Mittel für die wachstumsfördernden Maßnahmen ist, rangiert sie auch weder als absolutes Ziel der Wirtschaftspolitik, noch steht sie im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit (deren staatliche Definition besteht gerade in der Festlegung eines Prozentsatzes Arbeitsloser!). Zunächst einmal verwandelt der realistische Wirtschaftspolitiker die Vollbeschäftigung in ein Ideal, dem man sich über den Umweg der Vollbeschäftigung des Kapitals zu nähern hat. Arbeitsplätze gibt es, wenn die Unternehmen sie sich leisten können, womit aus den Hilfen des Staates für die nötigen Investitionen einerseits die unerlässlichen Voraussetzungen für Arbeitsplätze werden; andererseits bedürfen diese Hilfen der zusätzlichen Beseitigung von Schranken, welche die Investitionsneigung an der Höhe der Lohnkosten findet. Den Unternehmen muss nicht nur Geld gegeben werden; es kommt auch darauf an, dass sie ihre Produktion durch den sparsamen Umgang mit der Arbeit rentabel gestalten können. Ihre Kostenrechnung muss sich jetzt verbessern, damit sie künftig Arbeitsplätze schaffen; die Investitionen von heute sind der Beitrag der Arbeiterklasse zu ihrer Vollbeschäftigung. Die Unterwerfung der Arbeiter unter die Rationalisierung, den Gebrauch von mehr Arbeit, aber weniger Arbeitskräften, welcher die ersten Investitionen des Kapitals zur Bewältigung der Krise gelten, macht die Arbeitslosigkeit zur Vorfreude auf die ,Erweiterungsinvestitionen’, die sich dann einstellen, wenn die Veränderung des Verhältnisses von Lohn und Leistung die Absorption von Teilen der Reservearmee als Mittel weiteren Wachstums empfiehlt. Der Staat ergänzt daher die durch seine Verschuldung erreichte Rationalisierungshilfe durch das Bemühen, den sozialen Frieden zu erhalten, den er stets gefährdet. Der Grund für die Verrechtung des Arbeitskampfes erscheint ihm als Gebot der konjunkturpolitischen Vernunft.

6. Wenn der Staat Wirtschaftspolitik als Konjunkturpolitik betreibt, so hat er sich darauf eingerichtet, dass sein Einsatz Krisen nicht vermeidet, sondern durchsetzt. Er spielt seinen Part als Diener der Wirtschaft, die frei ist, bewußt und setzt seine Maßnahmen als Unterwerfung unter den Zyklus des Kapitals ein. Es geht ihm um das Funktionieren der freien Marktwirtschaft mit ihren an Gegensätzen reichen Verlaufsformen. Er weiß, dass seine Bewältigung der Krise nicht nur dem Aufschwung den Weg bereitet, sondern auch der nächsten Depression. Deshalb ist ihm die Sanierung seines Haushalts nicht Selbstzweck, sondern Erhaltung seiner Funktion: er steuert auch im Boom die Konkurrenz entsprechend ihren Notwendigkeiten, von welcher contradictio in adiecto er in allen konjunkturpolitischen Maßnahmen in dieser Phase des Zyklus Zeugnis ablegt:

  • Die steigende Nachfrage des Kapitals nach Kredit in der Periode seiner Expansion nimmt der Staat zum Anlass, den Geldmarkt zu beschränken, sobald er nicht nur Preissteigerungen, sondern am Kreditvolumen der Banken einen ,Schwund der Geldwertstabilität’ als Wirkung seiner aufschwungfördernden Unterstützung bemerkt. Die Freude an seinem aufgebesserten Haushalt vergeht ihm angesichts der Folgen des Aufschwungs, die sein Ende ankündigen (wobei er hier über das Verhältnis der Wirtschaft nach außen sein viertes konjunkturpolitisches Ziel entdeckt). So besinnt er sich im Unterschied zu den Kapitalisten, die aus den leichten Geschäftsbedingungen noch manches für sich herausschlagen möchten, auf die unerlässliche Funktionsfähigkeit des Finanzwesens, das die industriellen Kapitalisten zu ruinieren drohen. Er verlangt von letzteren, dass sie einen Teil ihres Reichtums opfern zugunsten der Bewahrung der Geldwertstabilität, d.h. er zwingt sie im Interesse der Fortführung ihres Geschäfts, Rücksicht zu nehmen auf dessen Voraussetzung: Die Aufkündigung der ,Politik des leichten Geldes’ leitet zwar auch nur die Krise ein, sorgt aber dafür, dass sie so verläuft, wie es sich für ein Mittel des Kapitals gehört. Beschränkung der Akkumulation ist das Gebot des Staates, weil sie – unbeschränkt fortgeführt – ihre Unterbrechung mit der Ruinierung ihrer Bedingungen verbindet.

  • Weil der Staat es sich also zur Pflicht macht, den Kapitalisten praktisch mitzuteilen, dass sie die nächste Krise vorbereitet haben, verlangt er auch von ihnen, im Boom einen Teil ihres Gewinns zusätzlich zu den gewöhnlichen Steuern zum Zweck der fälligen Krisenbewältigung abzutreten. Konjunkturausgleichrücklagen und ähnliches anderswo stellen die Zwangsversicherung für das künftige Geschäft der Kapitalisten dar, die im Unterschied zum Versicherungswesen bei den Arbeitern wirklich eine Sicherheit bietet, weil dieses Geld auch zweckgebunden bleibt.

  • Die Arbeiter hält der Staat an, die mit dem Aufschwung einher-gehende Nachfrage nach Arbeitskräften nicht für sich auszunützen, also die bösen Konsequenzen der Rationalisierung nicht rückgängig zu machen. Da die Konkurrenz der Kapitalisten der wirtschaftspolitischen Unvernunft der Arbeiter jedoch Vorschub leistet, geht es dem Staat darum, dass Löhne nicht umstandslos für den persönlichen Verbrauch verpulvert werden.

Die Steigerung der Kaufkraft ist in den Zeiten, wo es um sie etwas besser steht, unerwünscht; sie soll der individuellen Vorsorge für schlechtere Zeiten Platz machen, die vorauszusehen sind. Sparen erscheint dem Konjunkturpolitiker als die Tugend des Kaufens, und das einzige Problem besteht darin, dass sich diese Tugend nicht wie der Rücklageneinzug als Vorteil der Betroffenen darstellen lässt: Sparförderung.

7. Jeder bürgerliche Staat betreibt also Konjunkturpolitik, d.h. er ist bestrebt, die Störungen im Wachstum des privaten Reichtums als notwendige Verlaufsform dieses Wachstums anzuerkennen und sie zur positiven Grundlage seiner Sicherung zu machen. Da die ,antizyklischen’ Maßnahmen Reaktionen des Staates auf die Gefährdung der freien Konkurrenz darstellen, die aus dieser selbst entspringt, offenbart der wirtschaftspolitisch agierende Staat auch, dass seine abstrakten Prinzipien (§§ 1-4), die der gewaltsamen Absicherung der Form der Konkurrenz dienen, Mittel sind, durch die der bürgerliche Staat den Zweck der Konkurrenz gegen die ihm immanenten Schranken durchsetzt. Getrennt von der Gesellschaft herrscht er ihr die Akkumulation des Kapitals auf, macht also mit seiner Gewalt den Agenten der kapitalistischen Produktionsweise gegenüber den Zweck ihres Handelns geltend, den sie nicht wissen.

Das Ziel der Politik ist die Verwertung des Kapitals: Der Staat zwingt sowohl die Privateigentümer wie die vom Privateigentum Ausgeschlossenen, sich durch die wechselseitige Benützung in der Konkurrenz ihr Einkommen zu verschaffen, so dass sie im Gebrauch ihrer Revenuequellen, in der Verfolgung ihrer Interessen, das Privateigentum vermehren. Er verhält sich also positiv zu den Gegensätzen der Konkurrenz und der Klassen, daher aber auch negativ zu allen Anstrengungen der Konkurrenten, die das produktive Zusammenwirken der Produktionsagenten verhindern. So wenig er die Austragung der Gegensätze im Verlauf des Zyklus unterbindet, so sehr liegt ihm daran, dass sich der Schaden, den sich die konkurrierenden Privatsubjekte aller Klassen zufügen, auch lohnt. Der Staat regelt die Zerstörung von Arbeitskraft und Kapital in einer Weise, die ihren produktiven Gebrauch garantiert:

  • Ob er seine Wirtschaftsgesetzgebung so einrichtet, dass sich die Konkurrenz zwischen Bank-und Industriekapital in für beide nützlichen Formen abspielt, oder sich per Globalsteuerung u.ä.

  • zum regulierenden Anwalt des jeweils gefährdeten Kapitalistenhaufens macht, stets nimmt er sich der Risiken an, denen sich das ,System der freien Marktwirtschaft’ aussetzt, wenn sich die Konkurrenzinteressen der einen oder anderen Seite hemmungslos betätigen. In jedem Falle zeigt er Einsicht in ein Grundgesetz kapitalistischer Akkumulation, welches besagt, dass die Vermehrung des Reichtums regelmäßig Opfer für die F o r m dieses Reichtums verlangt.

  • Ob er seine Verrechtung des Arbeitskampfes so einrichtet, dass die Gewerkschaften als Mittel der Konkurrenz zwischen den Arbeitern fungieren, oder sich per konzertierter Aktion der Gewerkschafter als Anwalt der Wirtschaftspolitik versichert; ob er die Selbsthilfe den Organisationen der Opfer überlässt und Sozialstaat spielt, stets spricht er das Geheimnis aller Konjunkturpolitik aus. Die Gegensätze im Kapitalistenlager lassen sich nur dann lösen, wenn es dem Staat gelingt, die Besitzer der Revenuequelle Arbeitskraft an die Unbrauchbarkeit ihrer Revenuequelle zu gewöhnen. Die moralischen Geschütze wie Maßhalten, Lebensrisiko, Abschied vom Materialismus, Hallo Sozialpartner, wirtschaftliche Vernunft, also viel arbeiten, kaufen und sparen, haben Erfolg gehabt, wenn es Mitbestimmung, Vermögensbildung, konjunkturgerechte Tarifabschlüsse und Kämpfe um die politische Anerkennung der Gewerkschaft gibt. In anderen Ländern sind solche Konjunkturprogramme Auftakt zu ökonomischen Abwehrkämpfen.

d)

Wenn die Abhängigkeit des Staates vom Reichtum der Nation ihn zum Einsatz seiner Mittel für die Vermehrung des Privateigentums zwingt, entwickelte sich die Wirtschaftspolitik aus den Bestrebungen des Staates, den Verlust seiner ökonomischen Potenz durch den ökonomischen Fortschritt der Gesellschaft auszugleichen, an dem er partizipiert. Er musste die überkommenen Funktionen seiner Machterhaltung dem Kriterium der Reichtumsvermehrung unterwerfen und nicht nur die der Gesellschaft entzogenen Staatsmittel, die Steuern, für die Beförderung des produktiven Eigentums verwenden, sondern auch seine sonstigen Tätigkeiten ihrer ökonomischen Wirkung gemäß einrichten. Der Verlust seiner Rolle als Wirtschaftssubjekt brachte den Staat mit den negativen Wirkungen seiner rücksichtslosen Bereicherungsbemühungen zur praktischen Einsicht, dass die Verschwendung seiner Gelder, die Verschuldung seines Haushalts, sich der Akkumulation von Kapital unterzuordnen hat, und die zyklischen Konvulsionen der Konjunkturbewegung geboten ihm, sich um seiner Selbsterhaltung willen als politisches Subjekt der Wirtschaft zu betätigen und sich mit seinen Reaktionen zum Anwalt d e r Akkumulation zu machen.

Das wachsende Bedürfnis der produktiven Kapitalisten nach Kredit (Industrialisierung) gewöhnte den Staat an die Notwendigkeit rechtlicher Hilfestellungen für Aktien-und Börsenspekulationen und an die Unumgänglichkeit direkter und indirekter Bereitstellung seines Geldes für gewinnversprechende Wirtschaftsunternehmungen, auf deren Erträge er selbst spekulierte. Die Auseinandersetzungen zwischen produktivem und Geldkapital, die in der Verfolgung ihres jeweiligen ökonomischen Vorteils sich gegenseitig und damit der Wirtschaft schadeten, veranlassten ihn frühzeitig, den Streit zugunsten des produktiven Kapitals zu entscheiden und seine Bank als Mittel der Aufrechterhaltung der Kreditfunktionen einzusetzen. Durch die Erfahrung der periodischen Zyklen und der permanenten Wirkungen seiner Verschuldung wurde er auch damit vertraut gemacht, dass die Opferung von gesellschaftlichem und eigenem Reichtum als Mittel des Wachstums unerlässlich ist und dass sich die Mittel der Arbeiter dazu vortrefflich eignen. Deswegen wußte er die Zugeständnisse an sie so einzurichten, dass sie der Wirtschaft dienen und die Arbeiter zum sozialen Frieden verpflichten, den er nicht erst seit 1929 als Grundvoraussetzung ungehinderten zyklischen Wachstums begriffen hat.

e)

1. Die praktischen Schwierigkeiten, die der Staat bei der Bemeisterung der ökonomischen Gegensätze seiner Gesellschaft erfährt, haben die Wissenschaft der Nationalökonomie ins Leben gerufen. Sie ist die bürgerliche Wissenschaft, logisch wie historisch erste Staatswissenschaft. Deshalb lässt sich an ihr studieren, wie das staatliche Interesse an gesellschaftlichen Vorgängen das Interesse an ihrer Erklärung hervorruft und zerstört.

Weil der Staat nichts mehr schätzt als das wirtschaftliche Wachstum, welches zwar stattfindet, aber eben nicht immer und unter Begleitung von regelmäßigen Erschütterungen, weil also das kapitalistische Wachstum die Zerstörung von Reichtum zu seiner Bedingung hat, gehen Volkswirtschaftler nicht vom Reichtum, sondern von der Knappheit der Güter aus. Das staatliche Bestreben, diese Knappheit zu überwinden oder wenigstens in erträglichen Maßen zu halten, übersetzen die ,gelehrten Dolmetscher des Alltagsverstandes’ in die Suche nach den Produktionsfaktoren, die außer der Eigenschaft, begrenzt vorhanden zu sein, auch noch die fragwürdige Eigentümlichkeit aufweisen, dass sie zusammenpassen wie "Notariatsgebühren, rote Rüben und Musik". Das stört die Nationalökonomen nicht, weil sie nur erkunden wollen, was sich mit den schönen Faktoren erstens von ihren Repräsentanten und zweitens für das Wachstum anfangen lässt, was drittens immer wieder zu der Frage führt, was der Staat für ihren Nutzen tun kann. Die ersten beiden ,Fragenkomplexe’ sind zwar nicht klein, heißen aber in Anbetracht der Größe des Staates, dessen Standpunkt Makroökonomie genannt wird, Mikroökonomie. Diese befleißigt sich der Gleichsetzung jeder ökonomischen Kategorie mit dem Nutzen, den ihre Repräsentanten resp. Besitzer aus dem Umgang mit ihr zu ziehen vermögen. Geld ist, wenn man was kauft, und zwar soviel, wie man dafür kaufen kann, was ohne das Geld nicht geht, weil alles einen Preis hat, der ohne Geld schwierig zu schätzen wäre und umständlich. Boden ist nicht beliebig vermehrbar, Kapital dagegen schon, wenn man es nicht ausgibt. Wieviel Güter, ein Quadratmeter und Kapital kosten, hängt davon ab, welchen Preis sie erzielen. Die Makroökonomie betrachtet dies alles noch einmal unter dem Gesichtspunkt, inwiefern alles Kleine im ökonomischen Leben zu Resultaten führt, die dem staatlichen Wunsch nach Wachstum entsprechen. Die Wachstumstheorie denkt sich Modelle aus, in denen die Faktoren des Wachstums so kombiniert sind, dass Störungen ausbleiben, weshalb sie Modelle bleiben, deren mangelnder Realismus mit der Unberechenbarkeit menschlicher Konsum-, Spar- und Investitionsneigungen entschuldigt wird. Die Gleichgewichtstheorie betrachtet dasselbe Zeug explizit vom Standpunkt des Ideals der unangenehmen Disproportionen und holt sich bei der Einkommenstheorie Rat, weil sie die Erreichung ihres Ideals für ein Verteilungsproblem hält. So ist es nicht verwunderlich, dass die Suche nach den Ursachen der Krisen, die den Ökonomen an der sonst über alles geschätzten kapitalistischen Produktionsweise nicht passen, ihren krönenden Abschluss in der Konjunkturtheorie erhält. Diese beruft sich zurecht auf alle anderen Leistungen der Ökonomen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass das widerliche Auf und Ab der Wirtschaft seinen Grund in der Wirtschaft nicht haben kann: von der unzuverlässigen Natur des Menschen bis zu den Sonnenflecken reicht die Liste der Schuldigen, welche die den Menschen angemessene Gestaltung seiner ökonomischen Probleme durcheinanderbringen. Da bleibt nur eines: der Staat muss Wirtschaftspolitik machen, also Preise, das Geld, das Gleichgewicht usw. vor ihrer Zerstörung retten. Keine Unterabteilung der VWL versäumt diesen wichtigen Schluss, dass noch die kleinste Belanglosigkeit im ökonomischen Leben, nachdem sie aus der Konkurrenz tautologisch erklärt worden ist, die schützende Hand von Vater Staat in Anspruch nehmen muss. Ökonomen sprechen in ihrer Dummheit die Wahrheit ihrer Existenzbedingung aus. Sie sagen, dass ihre Theorien nichts gelten, wenn der Staat nicht praktisch für die Fortexistenz der von ihnen nicht erklärten, sondern beweihräucherten Gegenstände sorgt.

Die Leistungen nationalökonomischer Denker gehören vergangenen Tagen an, nämlich denen der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise. Damals hat sich das Interesse am Kapitalismus, das polemisch gegen die herrschenden Klassen der vorkapitalistischen Gesellschaft auftrat, noch der Wahrheit bedient. Smith und Ricardo haben mit Erklärungen des Werts, des Kapitals etc. den Kapitalismus hochgehalten, und Ricardo ist in theoretische Schwierigkeiten geraten, sooft er bemerkt hat, dass seine Hochachtung vor der neuen Produktionsweise mit ihrer Erklärung unvereinbar war. Weil er die Erklärung nicht einfach zugunsten seiner Vorliebe für die praktische Bewährung des Kapitals aufgegeben hat, konnte der Kommunismusvorwurf nicht ausbleiben (vgl. TüM, passim und KI/19ff!). Die Durchsetzung der Vulgärökonomie hat also eine Wissenschaft ihrem Begriff adäquat gemacht.

2. Weil der Staat in seinen wirtschaftspolitischen Aktivitäten gegen alle Bürger vorgeht, d.h. die Interessen derer, denen er nützt, ebenso praktisch kritisiert wie die Ansprüche der Arbeiter, legitimiert er sein Treiben in ideologischen Verbrämungen seines Wirkens, die zwar Grundlage für alle möglichen staatsbürgerlichen Einwände sind, aber in keinem Fall mit der rücksichtslosen Billigung in einem der feindlichen Burgerlager rechnen können. Was in den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Bürgern, wenn sie abstrakte Sphären betreffen, noch möglich ist, prinzipielle Übereinstimmung, gibt es hier nicht. Es geht nämlich nicht um Prinzipien, sondern um ihre aktuelle Anwendung, mithin um die Einschränkungen des jeweiligen materiellen Interesses. Während der Staat alles daran setzt, durch seine Agenten die Weisheit verkünden zu lassen, dass seine Maßnahmen nur scheinbar gegen die Bürger gerichtet sind, wollen die Bürger partout nicht einsehen, dass er für sie eintritt.

Staatsagenten betonen zunächst einmal, dass die Wirtschaftspolitik eine schwierige Sache ist, weil sie mit Zielkonflikten zu ringen hat. Sie jammern darüber, dass jede Wirtschaftspolitik „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“ soll (Stabilitätsgesetz), sie sich also in einem Viereck bewegen, das schon als Dreieck magisch ist. Die ungeliebten Wirkungen seines machtvollen Einsatzes für die Konkurrenz erklärt der Staat zur Folge seiner Ohnmacht. Er besinnt sich darauf, dass er auf die Willkür nur reagieren will, und lastet je nach Konjunkturlage verschiedenen Teilen seines Volkes volkswirtschaftliche Unvernunft an, wobei eine Gruppe immer vorkommt. Stets findet er Schuldige dafür, dass das Volk nicht alles kriegt, was es haben will. Sich selbst stellt er als den einzigen weit und breit dar, dem es um einen Interessenausgleich zu tun ist, und die Notwendigkeit, genauso weiterzumachen wie bisher, lässt er durch die Autorität der Wissenschaft verkünden, die – längst mit seinem Standpunkt ausgerüstet – seine Maßnahmen durch Prognosen begründet. So wird aus den Bedingungen, unter denen er sein Ziel erreicht, zu guter Letzt ein Gesetz, dessen Gewaltcharakter sich mit dem Mantel des Wissens tarnt.

Die Bürger lassen den Vorwurf des Staates nicht auf sich sitzen und beweisen den Nationalökonomen, dass sie ihre Argumentationsweise auch beherrschen. Freilich hat die Metamorphose des Bürgers in einen wirtschaftspolitischen Berater, die Darstellung seines Interesses als allgemeines ganz unterschiedliche praktische Bedeutung für die Durchsetzung des jeweiligen Interesses. Während der Staat den mannigfaltigen Beweisen der Kapitalistenseite dafür, dass die Ansprüche der Arbeiter ein einziges Hindernis für das Wachstum darstellen, ihre prinzipielle Stichhaltigkeit nicht absprechen kann, will er den Gewerkschaften einfach nicht glauben, wenn sie ausgerechnet die Unternehmer für die Zerstörung der Harmonie verantwortlich machen.

  • Den Unternehmern und ihren Verbänden erscheinen die Steuern, die sie zahlen müssen, immer zu hoch. Deshalb rechnen sie dem Staat auch stets vor, wie schlecht ihre Steuern der Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland bekommen und welch unheilvolle Wirkungen von ihnen auf die Preisstabilität ausgehen. Selbstverständlich können sie auch deswegen keine Arbeitsplätze bereitstellen (was ihr eigentlicher sozialer Beruf ist), weil der Staat mit Geld und Kredit wie bei den Steuern immer genau andersherum verfährt, wie es ihnen recht gewesen wäre. Jeder diesbezüglichen Maßnahme halten sie ihr falsches Timing vor: In der jeweils entgegengesetzten Phase des Zyklus wäre es richtig gewesen für die Volkswirtschaft, jetzt schadet es. Schließlich fassen sie ihre Kritik noch dahingehend zusammen, dass der Staat die beste Wirtschaftspolitik dadurch betreibt, dass er sich raushält, womit sie meinen, dass er ihre Geschäfte am besten dadurch befördert, dass er sie nicht stört, sondern bedingungslos unterstützt. Denn im Verhältnis zu den Arbeitern sehen sie Steuerungsbemühungen nicht ungern. Außer dass er immer zuviel Geld für sozialen Kram ausgibt, wird ihm vorgeworfen, dass er die Gewerkschaften nicht zur Ordnung ruft und ihnen immerzu erlaubt, die Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, einen der Wirtschaft äußerst schädlichen Mechanismus, dem der Staat manchmal sogar durch Anschläge auf die Preisfreiheit statt auf die Löhne zu begegnen sucht. Statt allein mit den berufenen Repräsentanten des Allgemeinwohls, den Unternehmerverbänden, die Richtlinien der wirtschaftlichen Entwicklung sachgerecht festzulegen, gestattet er sich sogar die Unverschämtheit, die Gewerkschaften zu fragen, wie sie denn das Wachstum haben möchten, wird darüber zum Gewerkschaftsstaat, der die wirtschaftliche Vernunft den Erpressern von der Klassenkampffront opfert. Darüber hinaus belässt er es nicht beim Zugeständnis der Tarifautonomie, aus der dem Wachstum ungezählte Gefahren drohen – er scheut auch nicht vor der Demokratisierung der Wirtschaft zurück, einem durch und durch marxistischen Vorhaben, und setzt den Eigentümern der Fabriken Mitbestimmungsgremien ins Haus, die, ohne selbst Verantwortung zu tragen, über die Verwendung des Eigentums anderer entscheiden wollen.

  • Dagegen nimmt sich die Stellung der Gewerkschaften zu den Alternativen der Wirtschaftspolitik äußerst positiv aus. Wenn die Unternehmerverbände die Identität des Allgemeinwohls mit ihren Interessen vorführen, dann kritisieren sie den Staat, weil er den Kapitalisten nicht genug Gutes tut und damit die Wirtschaft nicht ordentlich gestaltet. Wenn die Gewerkschaften kritisch werden, werfen sie dem Staat vor, dass er die Arbeiterinteressen nicht richtig für die Wirtschaft ausnützt: Sie nehmen den Standpunkt der Wirtschaftspolitiker ein, erklären sich mit ihnen einverstanden und fangen von der Gemeinsamkeit staatlicher und gewerkschaftlicher Absichten her an, Verbesserungsvorschläge einzureichen. Den interessierten Prognosen der staatlich bestellten Gutachter setzen sie optimistischere ihres gewerkschaftlichen Wirtschaftsgutachterteams entgegen, für das sie die Streikkassen verpulvern. Am Lohn ihrer Mitglieder entdecken sie seine Eigenschaft, Kaufkraft zu sein, weshalb sie für ein optimale Einkommensverteilung plädieren, den Gegensatz der Lohnkosten zum Wachstum glatt bestreiten und am laufenden Band die mögliche Harmonie der Sozialpartner beschwören, die der Staat mit seinem Programm des sozialen Friedens doch auch anstrebe. Diese Lüge ist die Grundlage für ,Drohungen’ der Art, dass die Gewerkschaft ihre Loyalität gegenüber der Wirtschaftsentwicklung nicht bewahren könne, wenn ihre Warnungen stets übergangen würden. Um zur eigenen Unvernunft von Lohnforderungen nicht mehr gezwungen zu sein, bittet sie um Mitbestimmung in möglichst allen Entscheidungen des Staates, mit denen dieser das Allgemeinwohl durchsetzt, und ergeht sich in Offerten des Inhalts, wie sich durch gewerkschaftliche Regelungen der für das Allgemeinwohl unerlässliche Schaden ihrer Mitglieder dosieren lässt. Sie bittet den Staat um Gesetze, die den Arbeitern den Sinn des Sparens mit gewerkschaftlicher Anleitung nahebringen, weil dergleichen Löhne sparen hilft, und versteigt sich im Interesse des kontinuierlichen Wachstums, welches sie als Bedingung der Vollbeschäftigung anerkennt, sogar zu leichten Verstößen in Sachen Investitionslenkung. Dabei wehrt sie sich zurecht, aber vergeblich gegen den Kommunismusverdacht, dem sie sich mit ihrer Bereitschaft zur Mitwirkung am Wachstum aussetzt. Das Ideal der Harmonie, dem sie huldigt, unterschiedet sich nicht von dem, das der Staat hat, doch gebraucht es dieser für sich und die Kapitalisten, während die Gewerkschaften dasselbe für Interessen propagieren, für die es nicht da ist. Ihr Verlangen nach gerechter Behandlung der Arbeiter ist identisch mit einer Kritik, die sich den Notwendigkeiten der Politik nicht nur unterwirft, sondern um diese Unterwerfung nachsucht: Gemeinsame Durchsetzung der wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten als Grundlage des gewerkschaftlichen Nationalismus.

Die Faschisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie den idealen Klassenstaat – der die Geschäfte der verschiedenen Klassen grundsätzlich für gleich ,wertvoll’ erachtet, soweit sie als Dienst am Volksganzen ordentlich verrichtet werden – verwirklichen wollen. Sie kritisieren die Konkurrenz wegen der Störungen, die sie dem Wachstum des nationalen Reichtums bereitet, und sehen die Aufgabe des Staates darin, den Reichtum dadurch zu sichern, dass der Staat die Harmonie, die dem Privateigentum abgeht, gewaltsam herstellt; dass er anstelle der Konkurrenz entscheidet und das Wachstum selbst dann noch befiehlt, wenn sich die Ausbeutung für das Privateigentum nicht mehr lohnt.

Die Revisionisten haben es dagegen auf die Verwirklichung des idealen Sozialstaats abgesehen und wollen das Privateigentum zugunsten der Opfer der Ausbeutung vergesellschaften. Sie verpflichten den Staat auf die Kontrolle der Konkurrenz: Konkurriert soll für den Staat werden, was zwar die Beseitigung der Kapitalisten erfordert, deren Funktionen durch staatliche Lohnarbeiter wahrgenommen werden, aber auf der Ausbeutung der Arbeiter beruht. Die revisionistische Revolution, die bekanntlich in der antimonopolistischen Demokratie ihren Auftakt nimmt, benützt zunächst das Kapital für den Staat, um den Arbeitern zu nutzen – und am Schluss nur noch die Arbeiter, deren Existenz der Staat garantiert. Die Volkswirtschaftslehre haben die Vertreter des Revisionismus um die Ideologie des Stamokap bereichert; wirtschaftspolitisch vertreten sie den staatsmonopolistischen Proletarismus.