Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Besuch von Zhu Rongji in den USA:
Imperialistische Regelkunde für China
China will in die WTO. Zhu Rhongji erfährt dazu bei seinem USA-Besuch, dass der Zugang zu den internationalen Märkten nach WTO-Maßstäben eine Frage der (US-)Konzession ist. Die wird aber von der Weltmacht nicht erteilt, da im Moment das Hauptaugenmerk der US-Interessen nicht so sehr auf der ökonomischen Benutzung Chinas, sondern auf der politischen Disziplinierung der chinesischen Großmacht liegt.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der Besuch von Zhu Rongji in den
USA:
Imperialistische Regelkunde für
China
Chinas Ministerpräsident Zhu Rongji bricht Anfang April
zu einem Besuch in die USA auf. Es ist der Gegenbesuch zu
Clintons letztjähriger Visite, deren reichhaltige Agenda
einen kleinen Höhepunkt in der Verkündung einer
„strategischen Partnerschaft“ zwischen der etablierten
westlichen und der ambitionierten östlichen Macht fand.
Wie es guter diplomatischer Brauch ist, bringt diesmal
der Chinese dem Gastgeber die Agenda mit, die seine
Anliegen in Bezug auf die weitere Gestaltung der
beiderseitigen Beziehungen umfaßt – und die fällt
erstaunlich kurz aus: Die Mitgliedschaft in der WTO
möchte China von den USA genehmigt bekommen, sonst
eigentlich nichts. Und auch der mit dem Antrag
konfrontierte Gastgeber bescheidet sich bei seiner
Antwort mit dem Nötigsten: Nicht immer höflich, dafür
aber umso eindeutiger sagt er – wie schon seit 13 Jahren
– ‚njet!‘ auf englisch. Erstaunlich ist daran, daß die
beiden Partner, die an sich doch sehr viel miteinander zu
tun haben, sich so wenig zu sagen haben, und ein Besuch,
der sich nach öffentlicher Einschätzung um die
Auslotung der inzwischen gespannten Situation beider
Großmächte
(FAZ,10.4.)
kümmern sollte, so ganz ohne die Befassung mit den
„Spannungen“ verläuft, die zwischen beiden Partnern
offenbar vorhanden sind. Doch erstens sind die in der
Diplomatie auch dann Thema, wenn sie ausdrücklich nicht
thematisiert werden, und sie werden zweitens manchmal
auch dort thematisiert, wo es dem Thema nach um sie gar
nicht geht.
1. Was zunächst die ‚gespannte Situation‘ zwischen diesen beiden Mächten betrifft, so rührt die eindeutig aus den weltpolitischen Fortschritten her, die der größere der beiden Partner seit seiner letzten Visite in China angestrengt und in die Tat umgesetzt hat. Die USA führen mit ihren Verbündeten einen Krieg gegen Jugoslawien. Dabei übergehen sie die UNO, d.h. vor allem die Veto-Mächte im Sicherheitsrat, der nach den Regeln des Völkerrechts für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Kriegsakten zuständig ist. Am Fall Kosovo bedeuten sie dem Weltsicherheitsratsmitglied und „strategischen Partner“ China, daß die politischen Strategien, nach denen die Welt geordnet gehört, US-amerikanisches Monopol sind und Partnerschaft daher nur in Form der Unterordnung unter sie zu haben ist: Zwar ist und bleibt China „Veto-Macht“, vom Veto dieser Macht hängt aber einfach nichts mehr ab.
2. China ist nicht nur als asiatische Großmacht, die zur Mitverantwortung in der Staatenwelt berechtigt ist, mißachtet und zurückgesetzt, sondern wie alle anderen Souveräne des Globus auch vom betätigten Aufsichtsmonopol der USA selbst bedroht. Die Rechtsgrundsätze, an denen entlang die globale Aufsichtsmacht über die Anerkennungswürdigkeit fremder Souveräne entscheidet, lassen sich – wenn man will – sehr schnell auf China selbst anwenden. Von einer Art „Präzendenzfall“, den die NATO im Kosovo geschaffen hat, weiß man jedenfalls auch in Amerika, wenngleich man die Befürchtungen Chinas, demnächst selbst zum Fall erklärt zu werden, schon für übertrieben hält:
„Hauptgrund für die heftige Reaktion und das Aufpeitschen der chinesischen öffentlichen Meinung gegen die NATO ist, daß Peking im Vorgehen des von den USA angeführten Bündnisses das Schaffen eines Präzedenzfalls sieht, der eine künftige allfällige Entsendung von NATO-Truppen auch nach Taiwan, Tibet oder in Chinas von ethnischen Türken bewohnte Region Xinjiang nicht mehr ausschließen lasse.“ (Sicherheitsberater Lake, NZZ, 7.4.)
Auf das vom Westen in Anspruch genommene Monopol für die
Weltordnung reagiert man in China im Vorfeld des
Besuches. Man stellt die Untragbarkeit des
Hegemonialanspruchs der USA
heraus, gibt also zu
verstehen, daß man sich durch die von Amerika
angeführten NATO-Angriffe zur Etablierung einer neuen
hegemonialen Weltordnung unter humanitärem Vorwand
(China Daily, 11.4.) sehr
wohl selbst betroffen weiß und sich dieser Neuordnung des
weltpolitischen Machtverhältnisses keineswegs einfach so
unterzuordnen gedenkt. Man stellt in China sogar in
Frage, ob denn angesichts dieser Lage zwischen beiden
Mächten eine Reise des chinesischen Regierungschefs nach
Amerika überhaupt sinnvoll ist.
3. Sie findet dann aber doch statt. In Peking entschließt man sich, die Verletzung eigener Rechte, ja die implizite Bedrohung durch die USA nicht mit einer Verschlechterung der Beziehungen zu beantworten; man will sich mit der Supermacht nicht anlegen, klammert die hochaktuellen Streitfragen der weltpolitischen Konkurrenz ausdrücklich aus, und ist bemüht die „freundschaftlichen Beziehungen zum amerikanischen Volk“ auszubauen. Dafür rückt man die gemeinsamen Interessen als konkurrierende Wirtschaftsmächte ins Zentrum der Beziehungen. Den Zugang zu den internationalen Märkten auf Basis der Meistbegünstigung möchte China als eigenes, international verbrieftes Recht und Verpflichtung seiner Handelspartner gewährt bekommen, und zwar in Form seiner Aufnahme in den Kreis der etablierten WTO-Handelsnationen. Im Gegenzug unterbreitet man den USA das Angebot, dafür auch uneingeschränkt auf Chinas Märkte zugreifen zu können: Das ist das diplomatische Tauschgeschäft, an dessen Gelingen dem chinesischen Regierungschef so sehr gelegen ist, daß er jeden Eklat vermeidet und die recht „gespannte“ politische Lage zwischen beiden Staaten gar nicht erst zur Sprache bringt.
4. Dem schließt sich auch die
gastgebende Weltmacht an. Auch sie verspürt keinen
Bedarf, zusätzlich zu der China erteilten Klarstellung in
Sachen weltpolitischer Kompetenz in einen
Meinungsaustausch über den Stand des Kräfteverhältnisses
zu treten – und läßt sich auf die
wirtschaftsdiplomatische Agenda der Gäste ein; nur um auf
diesem Feld dann den Zwist abzuwickeln, der das
Verhältnis der USA zum Reich der Mitte bestimmt: Die von
China begehrte Konzession, als WTO-Mitglied Handel
treiben zu dürfen, wird verweigert, und bei der
Bekanntgabe der Gründe klammert man dann überhaupt nichts
aus von dem Katalog der feststehenden Urteile, aus denen
nur immer wieder hervorgeht, wie wenig China den USA
paßt. Wo Chinas Ministerpräsident den weltpolitischen
Dissens seines Landes mit den USA ausdrücklich nicht zum
Thema macht und kein Wort darüber verliert, wie wenig die
Politik der Weltmacht sein Einverständnis findet, erfährt
er von dieser, was in denselben Beziehungen, für die er
gerade einen Beitrag zur Versachlichung
(Rongji, NZZ,14.4.) leisten
möchte, überhaupt Sache ist: Präsident Clinton erinnert
ihn daran, daß aus seinen Wünschen die WTO betreffend
solange nichts werden kann, wie sein Land politisch von
den Standards abweicht, die Amerika für es vorgesehen hat
– die Welt kann nur gewinnen, wenn China dazu gebracht
werden kann, sich an international akzeptierte Regeln zu
halten
(SZ, 10.4.). Daher
wird während des Besuches immer deutlicher
, daß
eine Aufnahme Chinas in die WTO derzeit politisch
nicht durchsetzbar ist
(Clinton,
IHT,12.4.), und den Grund dafür darf ein
Kongreßmitglied so formulieren: Wir sollten eher
darauf bestehen, daß in China endlich konkrete Schritte
zur Einführung einer unabhängigen Justiz, einer freien
Presse und zur Garantie von Recht und Ordnung unternommen
werden. Wie kann man mit einer Regierung über Fragen des
internationalen Marktzugangs verhandeln, die keinen
Respekt vor den Grundsätzen der westlichen Werteordnung
kennt?
(IHT, 6.4.) Wie
immer mosert man an China in der alten Manier herum –
zuwenig Wachstum dort, zuwenig Gewinne für die USA, noch
immer viel zu viel Protektionismus; aber große Mühe geben
sich die amerikanischen Verhandlungsführer nicht mehr,
die Nichtzulassung der Chinesen in den Kreis der
WTO-Teilnehmer durch handelspolitische Versäumnisse zu
begründen. Von der obersten Schutzmacht des freien
Welthandels ergeht die Klarstellung, daß das
uneingeschränkte Mitkonkurrieren eine Frage der
Konzession ist – also keine Frage des Geschäfts in dem
Sinn. Diese Konzession erteilen die USA nach politischer
Botmäßigkeit: Solange Chinas Machthaber nicht beweisen,
daß ihre Bereitschaft zur Einführung von Freiheit,
Recht und Ordnung glaubhaft ist
(NYT, 12.4.99), kann aus China auch keine
‚normale‘ Handelsnation werden.
5. Die Öffentlichkeit im Land der
Freiheit umrahmt den Besuch aus China dann auf ihre
Weise. Geschlossen macht sie sich an die Aufdeckung von
Skandalen, aus denen die Hinterhältigkeit, Gemeinheit und
bösen Absichten dieser verkehrten Macht hervorgehen.
China betreibt Atomspionage in den USA und sucht das
amerikanische Wahlkampfkomitee zur unerlaubten
Einflußnahme auf den Präsidentschaftswahlkampf zu
bewegen; anständige Staaten tun solches nicht, also
muß man die Öffentlichkeit mit der Aufklärung dieser
Fälle über die eigentlichen Ziele der chinesischen
Regierung in Kenntnis setzen
(NYT, 6.4.) und ganz deutlich machen,
welche eigentlichen Ziele die eigene Regierung beim
Umgang mit China zu verfolgen hat: Sie amerikanische
Öffentlichkeit verlangt von Chinas Ministerpräsidenten
jedenfalls schon mal die Etablierung einer freien Presse
in China, die Freiheit für Zhe Jiming, völlige politische
Liberalisierung, die Zulassung von Parteien, eine
unabhängige Justiz, die Freiheit für Ji-Chang, eine
unabhängige Rechtsordnung, Respekt vor Recht und Gesetz,
die Freiheit für Shing Jamin, die Souveränität Tibets,
die Verurteilung Chinas wegen der Mißachtung der
Menschenrechte vor einem Genfer UNO-Tribunal, die
Freiheit für Bao Tong, der Chinas System eine Schande für
die Menschlichkeit nennt, und eine offene Debatte über
den Abriß des Drei-Schluchten-Dammes wegen zunehmender
Menschenrechtsverletzungen am Ufer. (IHT, 4.4.-10.4.) Ein Kommentator
entdeckt in der New York Times ein neues ‚credibility
gap‘, indem er die Aktionen gegen den Diktator Milosevic
solange für moralisch unglaubwürdig erachtet, solange man
gegen Leute wie den chinesischen Ministerpräsidenten und
seinesgleichen nicht militärisch interveniere. Usw.
6. Täglich dreimal wird dem Mann
aus dem Fernen Osten neun Tage lang abgefordert, daß er
sich für die westlichen Herrschaftsprinzipien ausspricht,
und das führt dann zu den eigentlichen diplomatischen
Höhepunkten des Besuchs. Sein Versuch, den Vorwürfen den
Wind aus den Segeln zu nehmen und einzuräumen, daß
seine Nation in der Frage der Einführung der
Menschenrechte sicherlich Defizite aufweist
,
beschwichtigt die Vorwürfe nicht, sondern macht sie nur
umso feinseliger. Denn was stört, ist sein Beharren auf
Selbständigkeit und gleichrangige Partnerschaft, welches
er noch im Nachgeben deutlich werden läßt: Von guten
Freunden muß man sich ja auch einmal die Wahrheit sagen
lassen
. Diese Stellung einer großen, aus eigenem
Recht bestehenden Macht, die nach wie vor nicht in das
amerikanische Imperium eingeordnet ist – und sich so
leicht auch nicht von den USA unterordnen und
kontrollieren läßt –, ist es dann auch, was die ständige
Kritik der Verletzung westlicher Herrschaftsprinzipien
ausdrückt: Ein großes, mächtiges, weltpolitisch
eigenständiges China mit Mehrparteiensystem und
Bild-Zeitung wäre den USA doch um keinen Deut lieber als
das jetzige. Das Ringen um diese Unterordnung unter die
amerikanische Richtlinienkompetenz in der Welt- und
Asienpolitik bestimmt den Verkehr dieser beiden großen
Staaten so sehr, daß die USA in ihrem Widerspruch
zwischen der Benutzung Chinas als Markt und Anlagesphäre
einerseits und der politischen Disziplinierung der
chinesischen Großmacht andererseits das Gewicht klar auf
Disziplinierung legen. Die „strategische Partnerschaft“
mit China, um die die USA wegen dessen Gewicht
nicht herumkommen, ergänzen sie deshalb um ein
eindeutiges militärisches Containment: Wenige Tage nach
Abreise des chinesischen Partners beschließt die
Weltmacht die Einrichtung eines Raketenschirms über ihre
„natürlichen Verbündeten“ Südkorea, Japan und Taiwan.