Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Europäische Gerichtshof bestätigt:
Waffendienst ist Frauenrecht

Die letzte Männerbastion fällt, der Europäische Gerichtshof setzt Gleichberechtigung in der Armee durch: Auch Frau hat fortan das Recht, als Soldatin an der Waffe vollwertigen Dienst am Vaterland zu tun. Das Urteil abstrahiert vom Inhalt des Soldatenhandwerks: Das Töten, die bedingungslose Aufopferung für die Nation, erscheint als eine, nun endlich allen zugängliche, Form bürgerlicher Berufskarriere – als handelte es sich beim „Soldat sein“ um eine stinknormale lohnabhängige „Beschäftigung“.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Der Europäische Gerichtshof bestätigt:
Waffendienst ist Frauenrecht

So weit haben es emanzipierte Frauen mit ihrem Ruf nach Gleichberechtigung schon lange gebracht: Keine Kritik am kapitalistischen Getriebe gilt für sie, außer der, daß Frauen dabei nicht genauso mitmachen dürfen wie die Mitglieder des anderen Geschlechts. Nie wollen sie den Grund und Zweck staatlicher wie geschäftsmäßiger Benutzung der werten Geschlechter bekämpfen oder auch nur wissen. Gegen Lohnarbeit haben Feministinnen nichts, außer wenn Frauen nicht denselben Lohn bekommen wie ihre männlichen Kollegen. An Kapitalisten finden sie nichts auszusetzen, bloß dürfen es Frauen dabei nicht schwerer haben, Vorstandsvorsitzende zu werden. Für Politiker hat „frau“ viel übrig, nur daß es für den speziell weiblichen Geschmack noch viel zu wenig Thatchers oder Riess-Passers auf dieser Welt gibt. Der „Kampf gegen Diskriminierung“ war, wie man nun erfährt, offenbar so überaus erfolgreich, daß sich in der Bundesrepublik nur noch eine „letzte Männerbastion“ hält: Die deutsche Bundeswehr, in der Frauen bislang dazu verdammt sind, ihr Leben in Sanitätseinheiten und Musikkorps zu fristen, keine Waffe in die Hand bekommen und damit um die Chance eines ordentlichen Fronteinsatzes betrogen werden.

Aber damit ist nun Schluß. Eine deutsche Elektrotechnikerin klagt vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg gegen die deutsche Bundeswehr wegen „Diskriminierung beim Berufszugang“. Mag sein, daß dieses tapfere Schwarzwaldmädel schon als Kleinkind ihren Bruder um sein besseres Kriegsspielzeug beneidet oder – aufgeklärter – viel für demokratische Kampfaufträge übrig hat. Jedenfalls will die gute Frau in der Bundeswehr Karriere machen, was zumindest von einer sehr selektiven Wahrnehmung des Militärs – als Berufschance nämlich – zeugt. Das ist ihre Dummheit und wäre nicht weiter schlimm.

Der Europäische Gerichtshof aber gibt ihr auch noch Recht: Die Richter befinden, daß der im Artikel 12a des Grundgesetzes vorgeschriebene vollständige Ausschluß von Frauen vom Dienst mit der Waffe gegen die „europäische Richtlinie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben“ verstößt. Das „Beschäftigungsverbot“ muß aufgehoben werden. „Gleiche Chancen im Berufsleben“ halten nun auch in Kasernen Einzug.

Ex cathedra ergeht durch das Gerichtsurteil eine Einordnung des Soldatenstandes, die ihn von jeglichem Odium befreit, es würde sich bei diesem notorisch tapferen Menschenschlag irgendwie um Agenten in einem Krieg handeln, bereit und willens, für einen nationalen Kampfauftrag über Leichen zu gehen und ihm gegebenenfalls auch das eigene Dasein zu opfern. Sich selbst zum Material der außenpolitischen Freiheit seiner Staatsgewalt zu machen, galt zumindest früher einmal als „höchster Dienst am Vaterland“ und hat bekanntlich Soldaten den Ruf eingetragen, deswegen – je nach Blickwinkel – Helden oder Mörder zu sein. Die Europäischen Richter nehmen nun eine Neudefinition des Kriegshandwerks vor, in der Soldaten in ihrer Rolle als Menschenmaterial im nationalen Überlebenskampf gar nicht mehr vorkommen. Folgerichtig ist damit auch die bisher für den Kriegsfall gültige unterschiedliche Rollenverteilung der Geschlechter – Männer an die Front; dem nationalen Weibervolk bleibt der Auftrag, neben dem Erdulden der bekannten „Kollateralschäden“ ihre „natürliche Mutterrolle“ durch Geburt und Aufzucht neuer Helden zu erfüllen und ansonsten all das zu erledigen, was an der Heimatfront, bei unvermeidlichem Männermangel, an Kriegsdienst zu tun übrigbleibt – gestrichen. In einer fürs Militär irgendwie hinderlichen weiblichen „Natur und Bestimmung“ hatte diese herkömmliche geschlechterspezifische Aufgabenverteilung auch bisher nicht ihren Grund. Es war schon eine mehr zivilisatorische Errungenschaft, beim staatlich angeordneten Töten und Sterben zwischen aktiven Kämpfern und mehr passiven Kämpferinnen zu unterscheiden. Wo Staaten sich – wie zum Beispiel Israel – in einem Dauerkriegszustand befinden, wird das Kriegführen schon längst unter strenger Berücksichtigung des Gleichberechtigungsprinzips erledigt, und Frauen dürfen praktisch unter Beweis stellen, daß sie genauso gutes Kanonenfutter abgeben wie ihre Waffenbrüder.

Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes atmet aber einen anderen Geist. Sie beschwört gerade nicht einen völkischen Überlebenskampf, bei dem Frauen wie Männer unterschiedslos zur Fahne eilen müssen, sondern abstrahiert vollständig von der blutigen Seite des Geschäfts. Das Urteil definiert den „Dienst mit der Waffe“ als Handwerkzeug eines Berufsstandes, Tötungsinstrumente als Maschinerie eines Arbeitsplatzes ohne sonstige Auffälligkeiten, und läßt deswegen keinen Gesichtspunkt gelten, unter dem der zuständige Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung Frauen „diskriminieren“ dürfte.

Das Urteil der europäischen Richter stößt auf einhelliges Lob in der deutschen Öffentlichkeit: Wir erfahren, daß „Soldat sein in erster Linie ein Beruf ist“ (FR, 12.01.), und offenbar erst in zweiter Linie eine Dienstverpflichtung, weswegen es sich bei einem Ausschluß vom Militärdienst „vor allem um einen Ausschluss von krisensicheren und gutbezahlten Arbeitsplätzen“ (SZ, 12.01.) handelt. Die Unterscheidung zwischen dem aktiven und dem „stummen Heldentum“ der Frauen – darüber besteht Konsens – ist als „falsch verstandener Paternalismus“ (SZ) „überwunden“. Das kommt allerdings sicher nicht daher, daß modernes Kriegsgerät so geschlechtsneutral zu bedienen ist. Es ist schon eine politische Abstraktionsleistung, sich das Verhältnis eines Staates zu seinen im Militär dienstverpflichteten Bürgern wie das Verhältnis eines Arbeitgebers zu den glücklichen Besitzern jeder Menge attraktiver und hochqualifizierter Arbeitsplätze vorzustellen. Und die verweist auf einen neuen Standpunkt, den die europäischen Nationen zum Krieg einnehmen. Seltener – am Ende gar so selten, daß er im einschlägigen „Berufsbild Soldat“ gar nicht mehr vorzukommen bräuchte – ist Krieg ja nicht geworden, eher im Gegenteil. Deutschland hat ja gerade seinen ersten High-Tech-Krieg im Kosovo erfolgreich geführt. Aber Kriegführung gilt heute für Nationen, die sich das leisten können wie die europäischen, als Akt hoheitlicher Ordnungsstiftung, der professionell von Berufstätigen ausgeübt wird. Qualifiziert dafür sind nur Nationen, die sich das Recht zusprechen, über den Gewaltgebrauch in anderen Ländern verbindlich zu befinden, und denen alle nötigen Mittel zu Gebote stehen, dieses Recht zu exekutieren. Nationen also, die aus der Position einer sicheren Überlegenheit heraus dem Rest der Welt die Geschäftsbedingungen diktieren, einschließlich der Entscheidung über Krieg und Frieden. Von diesem Standpunkt imperialistischer Aufsicht und Überlegenheit aus malt sich die deutsche Öffentlichkeit ein Idealbild des modernen Soldaten als Kreuzung aus Polizist, Krankenschwester und Elektrotechniker im Staatsdienst – gerade so, als wäre ihr die Freude an der „hochqualifizierten Arbeit“ unserer kämpfenden Einheiten im Kosovo zu Kopfe gestiegen.

So wird die Beurteilung des Soldatenstands als professionelles Dienstleistungsgewerbe im Dienste der Weltordnung zum erschöpfenden Kompliment ans Militär – ein Kompliment, das sich nun auch die weiblichen Arbeitskräfte verdienen können.

Das Geschlecht dieser wehrhaften „Werktätigen“ spielt dabei dann garantiert keine Rolle mehr, aber ob allein deswegen der Unterschied des Soldatenberufes zu anderen Berufszweigen eingeebnet wird, ist sehr die Frage. Das liegt am Arbeitgeber.