Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Chattanooga – ein amerikanischer Kampf um Gewerkschaftsvertretung bei VW

Anlässlich eines Referendums über die Zulassung der amerikanischen Autogewerkschaft UAW im VW-Werk von Chattanooga in Tennessee erfährt man in der deutschen Presse, dass es nach amerikanischer Gesetzeslage eines Mehrheitsentscheids der Belegschaft bedarf, damit eine Gewerkschaft sich als deren Interessenvertretung in einer Fabrik etablieren darf; und dass sich die UAW im Süden der USA, wo sich ausländische Automobilfabrikanten bevorzugt niedergelassen haben, seit Jahrzehnten vergeblich um dieses Privileg bemüht. Die Abstimmung bei VW soll da eine Wende bringen, und – so wird berichtet – der deutsche Vorzeigekonzern unterstützt das Vorhaben sogar. Eine Mehrheit der dort bei VW beschäftigten Arbeiter aber stimmt dagegen. Die hiesigen Berichterstatter äußern einhellig ihr Unverständnis darüber, dass das Wolfsburger Erfolgsmodell „Mitbestimmung“ abgelehnt wird, das sich hierzulande doch so bewährt, und viel Verständnis für das Bemühen der UAW um eine organisierte Arbeitervertretung im Unternehmen; sie hätten sich mit dieser Gewerkschaft die Einführung eines Stücks ‚deutscher Unternehmenskultur‘ in den USA gut vorstellen können...

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Chattanooga – ein amerikanischer Kampf um Gewerkschaftsvertretung bei VW

Anlässlich eines Referendums über die Zulassung der amerikanischen Autogewerkschaft UAW im VW-Werk von Chattanooga in Tennessee erfährt man in der deutschen Presse, dass es nach amerikanischer Gesetzeslage eines Mehrheitsentscheids der Belegschaft bedarf, damit eine Gewerkschaft sich als deren Interessenvertretung in einer Fabrik etablieren darf; und dass sich die UAW im Süden der USA, wo sich ausländische Automobilfabrikanten bevorzugt niedergelassen haben, seit Jahrzehnten vergeblich um dieses Privileg bemüht. Die Abstimmung bei VW soll da eine Wende bringen, und – so wird berichtet – der deutsche Vorzeigekonzern unterstützt das Vorhaben sogar. Eine Mehrheit der dort bei VW beschäftigten Arbeiter aber stimmt dagegen. Die hiesigen Berichterstatter äußern einhellig ihr Unverständnis darüber, dass das Wolfsburger Erfolgsmodell „Mitbestimmung“ abgelehnt wird, das sich hierzulande doch so bewährt, und viel Verständnis für das Bemühen der UAW um eine organisierte Arbeitervertretung im Unternehmen; sie hätten sich mit dieser Gewerkschaft die Einführung eines Stücks ‚deutscher Unternehmenskultur‘ in den USA gut vorstellen können...

Das Argument der UAW für eine Gewerkschaftsvertretung: ihre tätige Einsicht in die Härten kapitalistischer Standortkonkurrenz

Kein Wunder. Tritt doch die UAW mit dem Versprechen an, in den USA neue Standards für innovative Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen einzuführen, die dem Unternehmen, der gesamten Belegschaft, den Shareholdern und dem Gemeinwesen im Allgemeinen Vorteile bringen. (Bloomberg News, 4.2.14). Die Interessenvertretung der Arbeiter wirbt bei ihren Adressaten nicht für sich als deren Partei, die sich mit ihrer organisierten Macht für deren Interesse an Lohn, Altersversorgung und erträglichen Arbeitsbedingungen gegen die Unternehmerseite einzusetzen gewillt ist. Sie bringt sich von vornherein als Sachwalter eines überparteilichen Standpunkts guter Betriebsführung ins Spiel und verspricht, sich als mitwirkende Kraft für ein Gemeinschaftswerk ‚Unternehmen‘ starkzumachen, das alle Beteiligten zu dem Ihren kommen lässt: Mit ihrem ‚innovativen‘ Angebot will sie keinen Gegensatz der Unternehmensinteressen an Gewinn und politischen Interessen an lukrativen Geschäften in der Region zum Lohninteresse der Beschäftigten gelten lassen. Im Gegenteil: Sie distanziert sich ausdrücklich von der Rolle einer Einspruchsinstanz gegen die Ansprüche, die Unternehmen und Politik für einen konkurrenzfähigen Standort an die Belegschaften stellen. Den Vorwurf, die Gewerkschaft würde sich als Störfaktor unternehmerischer Freiheit betätigen, weist ihr Chef Bob King mit Verweis auf die gewerkschaftliche Beteiligung an der Rettung von Unternehmen – und damit von ‚Arbeitsplätzen‘ für die Belegschaft weit von sich:

FAZ: „Hochrangige Politiker aus Tennessee sagen, die UAW sei ein negativer Standortfaktor ...“
King: „Was für ein Unfug, die sollten es besser wissen. Wir haben zum Beispiel maßgeblich dazu beigetragen, dass ein Werk von GM in Tennessee gerettet worden ist. GM investiert wieder viel Geld in diesen Standort.“ (Interview mit UAW-Chef King, FAZ, 14.1.14 )

Die Rettungsleistung, für die King Anerkennung beansprucht, hat einen eindeutigen Inhalt, zu dem er sich in Form einer Selbstkritik ausdrücklich bekennt:

FAZ: „Ihnen schlägt in Tennessee viel Feindseligkeit entgegen. Hier heißt es, die UAW sei für den jahrzehntelangen Niedergang der amerikanischen Autoindustrie verantwortlich.“
King: „Die Schwierigkeiten der amerikanischen Hersteller hatten viele Gründe: zum Beispiel ein Produktportfolio, das an den Erwartungen der Kunden vorbeiging. Aber sicher war auch die Gewerkschaft früher manchmal kontraproduktiv.“ (Ebd.)

Auch wenn der Gewerkschaftsboss nicht gleich alle ‚Schuld‘ für die Konkurrenzsorgen der Automobilunternehmen auf sich nimmt – in der Vergangenheit mit überzogenen Forderungen die Wettbewerbsposition amerikanischer Autokapitale geschädigt zu haben, den Schuh zieht sich der UAW-Funktionär schon an: Wenn den Konzernen das Produzieren in Detroit zu teuer geworden ist und sie zu Protokoll geben, dass ihre Rechnungen sich nicht mit bisherigen Stundenlöhnen, Krankenversicherung für die Beschäftigten samt Familie und womöglich gar noch mit einer Betriebsrente [1] vertragen, dann spricht das nicht gegen diese Rechnungen, sondern gegen die ‚Besitzstände‘ und eine Gewerkschaft, die sie viel zu lange verteidigt hat. So eine Gewerkschaft will die UAW schon seit geraumer Zeit nicht mehr sein. Also, so ihr Selbstverständnis, hat sie die Feindseligkeit der Unternehmen auch nicht mehr verdient und muss sich auch nicht mehr nachsagen lassen, mit irgendeiner gewerkschaftlichen Gegenwehr Unternehmen in den Ruin getrieben zu haben. Sie betätigt sich ja längst als positiver Standortfaktor und ‚rettet‘ ganze Fabriken.

Wie das geht, hat die UAW in den letzten Jahren eindrucksvoll vorexerziert. Die Gewerkschaft beteiligt sich konstruktiv am Abbau einstmals von ihr erstrittener Leistungen, die den Ruf der auto workers als ‚Elite‘ der amerikanischen Arbeiterklasse begründet haben:

„Seit 2007 haben die United Auto Workers den Autofirmen das Recht zugestanden, bei Neueinstellungen bislang übliche Prinzipien der Lohnzahlung außer Kraft zu setzen sowie betriebliche Sozialleistungen zu kürzen oder ganz zu streichen, so die Krankenversicherung für Rentner, das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit, Arbeitsplatzgarantien und Rentenzahlungen; im Gegenzug für den Erhalt von Arbeitsplätzen, die sonst nach Mexiko oder Asien verlagert worden wären.“

Der gewerkschaftliche Beitrag zur Sicherung des Bestands der Arbeitsplätze besteht in der Anerkennung der immer anspruchsvolleren unternehmerischen Maßstäbe für rentable Arbeitsplätze, der schrittweisen Preisgabe des bisherigen Lohns und der sogenannten benefits, die überhaupt erst erlauben, ein Arbeitsleben mit seinen Phasen von Krankheit und Rente halbwegs durchzustehen.[2] Radikal verbilligte Arbeitsplätze – und der Abbau aller nicht mehr lohnenden – sind eine unerlässliche Bedingung für ihren Erhalt: Mit dieser Leitlinie gewerkschaftlicher Vertretung hat es die UAW in kürzester Zeit weit gebracht:

„Die Abkehr von der jahrzehntelang üblichen Gewerkschaftspolitik im amerikanischen Automobilsektor schlägt sich darin nieder, dass die Löhne, die dort neu eingestellten gewerkschaftlich organisierten Arbeitern gezahlt werden, inzwischen weitgehend niedriger sind als der Durchschnitt der Löhne, die in anderen Sektoren der produktiven Industrie, etwa in der Metall- und Holzproduktion oder in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie gezahlt werden.“ (beide Zitate: http://www.bloomberg.com)

Die UAW – durch die antigewerkschaftlichen Fortschritte der kapitalistischen Standortkonkurrenz belehrt

Die selbstkritische Einsicht der UAW, für falsche Privilegien ihrer Klientel gekämpft zu haben, ist durch die Konkurrenz gefördert worden, die die Kapitalisten ihr und ihrem Vertretungsmonopol in den USA zunehmend eröffnet haben. In jahrzehntelangen Kämpfen hatte die UAW bei den damaligen Weltmarktführern der ‚Big Three‘ aus Detroit nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen, sondern gleichzeitig immer auch um ihre gewerkschaftliche Machtposition gestritten und ihren Vertretungsanspruch gegen alle Versuche der Unternehmen verteidigt, den leidigen Einigungszwang mit der Gewerkschaft abzuschütteln.[3] Der lange Arm der UAW reichte dabei stets so weit, dass sie in den industriellen Zentren des Automobilbaus das Vertretungsrecht in jeder neuen Fabrik wie selbstverständlich für sich gewann. Damit ist es inzwischen vorbei. Die Ansiedlung neuer Autofabriken im Süden der USA unterläuft diesen Vertretungsanspruch der UAW und das von ihr erstrittene Lohnniveau. Arbeitskräfte lassen sich angesichts des im Süden vorherrschenden niedrigen Lohniveaus und der Masse an Arbeitssuchenden zu vergleichsweise niedrigen Löhnen akquirieren, weil selbst die immer noch ein besseres Auskommen bieten als die ortsüblichen Jobs. Diesen Standortvorteil gilt es nach dem Interesse der Unternehmen auf jeden Fall zu sichern bzw. auszunutzen, indem bzw. dafür, dass die Gewerkschaft aus den Betrieben herausgehalten wird. Die neu angesiedelten Unternehmen machen sich dafür die Gesetzeslage, die vor jede gewerkschaftliche Vertretung die mehrheitliche Zustimmung der Belegschaft dazu vorschreibt, zunutze: Das erpresserische Argument tut da seine Wirkung, dass sie schließlich gerade wegen der Aussicht, die Arbeitsbedingungen nicht mit der Gewerkschaft aushandeln zu müssen, in den Süden gekommen seien und die ersehnten Arbeitsplätze geschaffen hätten; die deshalb sofort in Gefahr geraten, wenn dieser Standortvorteil entfallen sollte. Diese Logik lassen sich die Arbeiter im Süden so umfassend einleuchten, dass die UAW dort kein Bein auf den Boden bekommt.[4] Und das bleibt auch für die Arbeitsplätze und Löhne in Detroit nicht folgenlos. Die Kombination der Produktivkraft modernster Fabrikanlagen mit billiger Arbeitskraft zu einer Autoproduktion mit überlegener Rentabilität auf dem inneramerikanischen Standort setzt für die Produzenten in Detroit neue Konkurrenzmaßstäbe in puncto rentable Arbeitsplätze. Also machen sie der UAW die Rechnung auf, dass die Produktion nur weitergeht, wenn sie durch eine radikale Senkung der Lohnkosten den neu gesetzten Konkurrenzstandards genügt. Die Drohung besteht dabei nicht allein in der Alternative, ebenfalls gen Süden abzuwandern. Die Produktivkraftsteigerung, mit der die Unternehmen massenhaft bezahlte Arbeitskräfte überflüssig gemacht haben, und die zusätzlichen Massen an Entlassungen wegen anhaltender Krisenlage sorgen schließlich dafür, dass auch im traditionellen Zentrum der Autoindustrie kein Mangel an unbeschäftigten Arbeitskräften herrscht, die bereit sind, den Vergleich mit ihren Schicksalsgenossen aus dem Süden auszuhalten. Diese Fortschritte der Unternehmenskonkurrenz, tatkräftig unterstützt von der Politik,[5] untergraben also die einst errungene Machtposition der Automobilarbeitergewerkschaft. Die UAW stößt damit an die Grenzen ihrer collective bargaining power.

Die Arbeitervertretung zieht aus dieser Sachlage die Lehre, sich den Fortbestand ihres Vertretungsanspruchs dadurch zu sichern, dass sie bei GM und anderswo der Erpressung Stück um Stück stattgibt. Noch stets mit dem Anspruch, Schlimmeres abzuwenden, trägt sie die Opfer zu Lasten der Beschäftigten mit, die von der Gegenseite als Bedingung für den Erhalt der dann noch verbleibenden Arbeitsplätze verlangt werden. Und getreu der Überzeugung, dass dieses so unerfreuliche Dauerprogramm, wie eingangs zitiert, „viele Gründe“ – zu hohe benefits für Arbeitnehmer, ein verfehltes Produktportfolio ... – hat, die nicht sein müssten, zieht die UAW daraus einen weiteren, vorwärtsweisenden Schluss: Wenn die Arbeiter immerzu die Konsequenzen falscher Unternehmensführung ausbaden müssen, dann muss sie sich zum Garanten einer guten Unternehmenspolitik machen, die die Arbeiterinteressen bei allen Widrigkeiten mit dem Betriebswohl vereinbar macht. Was ihr dazu fehlt, ist nur die Gelegenheit, sich auch anderswo als solche konstruktive Kraft zu beweisen.

Worauf die Gewerkschaft setzt – das Unternehmenskonzept von VW: ein produktives Betriebsklima durch kooperative Betriebsräte

In dieser Lage tut sich für die UAW in Chattanooga ein Lichtblick auf: In Gestalt von VW findet sich zum ersten Mal ein Konzern im Süden, der das Abhalten einer Abstimmung über die Zulassung der UAW befürwortet und sich in der Sache wohlwollend „neutral“ verhält. Der Grund für diesen Ausreißer liegt nicht im Verhältnis der Wolfsburger zur UAW. Ihnen geht es vielmehr darum, das Konzept betrieblicher Mitbestimmung in Gestalt eines Betriebsrats in die USA zu importieren. Damit hat VW nämlich in Deutschland und anderswo gute Erfahrungen gemacht; nach Aussage derer, die es wissen müssen, bewährt sich diese Form der Einbindung der Belegschaft beim deutschen Weltkonzern in allen seinen Fabriken als Beitrag zur Rentabilität: „‚Unsere Betriebsräte sind der Schlüssel zu unserem Erfolg und unserer Produktivität‘, sagte Franz Fischer, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen Chattanooga.“ Das mag zwar übertrieben sein; jedenfalls aber soll dieses überall sonst bei VW verwirklichte Erfolgskonzept für die reibungslose Durchsetzung aller Ansprüche an das produktive Personal auch im Werk von Chattanooga Einzug halten.

Mit diesem Vorhaben betritt VW in den USA auch arbeitsrechtlich Neuland. So kommt überhaupt die UAW ins Spiel, die sich im Gegenzug für die Unterstützung des Referendums durch VW für den Fall ihrer Zulassung im Vorhinein auf einen Vertrag mit dem Betrieb festlegt. Die Gewerkschaft erhielte die Zuständigkeit insbesondere für Lohnverhandlungen, würde andere Bereiche der Arbeitnehmervertretung aber an den zu gründenden Betriebsrat übertragen. Ungeachtet dessen, dass es VW also um die UAW nur als Mittel zum Zweck ihrer bewährten betriebseigenen Unternehmensorganisation geht, bestreitet die Gewerkschaft ihren Wahlkampf hoffnungsvoll unter Verweis auf das Interesse von VW. Einen glaubwürdigeren Kronzeugen für das Anliegen, als positiver Standortfaktor anerkannt zu werden, als ein Unternehmen, das deren Mitarbeit an seinen Unternehmenszielen zu schätzen weiß, kann sich die mitwirkungswillige Gewerkschaft nicht vorstellen. Das Beispiel VW soll dann Schule machen und starrsinnige Unternehmen vom Nutzen einer kooperationswilligen Gewerkschaft überzeugen:

„Ich denke, wenn wir erst einmal eine Übereinkunft mit VW haben, dann werden auch die anderen Hersteller sehen, dass es uns um partnerschaftliche Zusammenarbeit geht und dass unsere Präsenz eine gute Sache ist.“ (King im FAZ-Interview).

Die entschiedenen Gegner des UAW-Programms: eine antigewerkschaftliche Belegschaftsinititative im Verein mit den gewerkschaftsfeindlichen Standortpolitikern

Dafür muss die UAW allerdings besagte Abstimmungen gewinnen, also die Belegschaft davon überzeugen, dass sie so eine Gewerkschaft braucht. Und damit hat die UAW ein Problem. Wenn ihr Hauptanliegen darin besteht, den Verdacht zu dementieren, sie könnte Forderungen zu Lasten des Unternehmens stellen wollen, dann unterstellt sie selbst die Sorge um den Arbeitsplatz bei ihren Adressaten als deren obersten und alles beherrschenden Gesichtspunkt, dem Rechnung zu tragen sie sich vornimmt. Dann bleibt als Argument für die Gewerkschaft aber auch nur ihr Anspruch, wirklich der bessere Unternehmernsratgeber und -helfer zu sein, der mit seiner Beteiligung an der Definition von Löhnen und Arbeitsbedingungen am Ende für mehr ‚Sicherheit der Arbeitsplätze‘ sorgt, während die Unternehmer mit Verweis auf ihre Zuständigkeit für die ‚Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen‘ jede gewerkschaftliche Forderung für störend und existenzgefährdend erklären – für das Unternehmen und damit für die Beschäftigten.

Prompt finden und organisieren sich im Unternehmen Belegschaftsmitglieder, die sich durch die Gewerkschaftsinitiative nicht gefördert, sondern im Gegenteil geschädigt sehen. Die Gegner der Gewerkschaft nehmen den Standpunkt der Abhängigkeit von den Kalkülen des Unternehmens ein, den die UAW selbst ins Feld führt, und reklamieren, dass die VW-Arbeiter darin ohne die UAW besser fahren. Erstens materiell, denn bereits heute – so rechnet die Initiative „No2UAW“ mühelos vor – verdienen Berufseinsteiger in Chattanooga mehr als in UAW-Fabriken z.B. von GM. Zweitens und vor allem aber ist eben nichts einfacher als den Verdacht zu unterfüttern, den die UAW selbst mit großem Aufwand dementiert: Mit der Gewerkschaft sind die Arbeitsplätze in Chattanooga nicht mehr sicher! Dafür hat die Belegschaftsinitiative machtvolle Zeugen: Erstens in den vielen gewerkschaftsfreien Unternehmen, deren Konkurrenz ‚ihr‘ Betrieb zu bestehen hat und nach ihrer Auffassung unbedingt bestehen muss, damit sie ‚Arbeit haben‘. Die Mehrheit derjenigen, die gemäß ihrer Geschäftsrechnung Arbeitsplätze schaffen und abschaffen, behandeln die Gewerkschaft ja ganz grundsätzlich als das genaue Gegenteil eines nützlichen Beitrags zu dem Betriebserfolg, der über Beschäftigung entscheidet, umgehen deren Mitsprache, wo immer es nur geht, bestehen mit all ihrer Macht auf ihrer unternehmerischen Freiheit, die keine gewerkschaftliche Mitwirkung und Korrektur verträgt, und propagieren deren rücksichtslose geschäftliche Wahrnehmung als einzig sachgerechtes Mittel, von dem allein sich ihre Arbeiter eine dauerhafte Anstellung erhoffen können.

Zweitens melden sich andere gewichtige Stimmen. Die drohende Gefahr nämlich, dass die UAW doch noch Einzug hält in die säuberlich gewerkschaftsfrei gehaltene Zone des Südens, ruft die für den Standort zuständigen Politiker auf den Plan. Die bilanzieren ihrerseits die Abwesenheit der Gewerkschaft als politischen Besitzstand und Standortvorteil, den sie keinesfalls verlieren wollen. Ein Präzedenzfall VW ist da das Letzte, was sie gebrauchen können:

„‚Unamerikanisch‘ nennt Senator Bo Watson den möglichen Einzug einer Gewerkschaft in eine VW-Fabrik. Der Gouverneur von Tennessee, Bill Haslam, sieht darin: ‚ein Hindernis für die künftige Ansiedlung von Unternehmen in Tennessee‘. Und auf riesigen Anzeigentafeln in Chattanooga und in Werbespots in örtlichen Radiosendern mahnen Slogans, dass die Autogewerkschaft UAW den Niedergang der Stadt einleiten werde.“ (taz, 12.2.)
„Republikanische Politiker in Tennessee warnen die Arbeiter einhellig davor, für die Gewerkschaft zu stimmen. Sollten die Arbeiter von Volkswagen sich von der UAW vertreten lassen, werde es ‚sehr schwer‘ sein, im Senat die Zustimmung zu weiteren Subventionen für das Werk zu erlangen, sagte Tennessee-Senator Bo Watson. Gouverneur William Haslam fürchtet, ein Erfolg der UAW bei Volkswagen werde Zulieferer davon abhalten, sich in dem Bundesstaat niederzulassen. ‚Wir sind über die Folgen besorgt‘, sagt Robert Corker, der Senator für Tennessee in Washington und früherer Bürgermeister von Chattanooga. ‚Schaut auf Detroit!‘ Der Untergang der stolzen Stadt, Mekka der amerikanischen Automobilwirtschaft, gilt den Konservativen im Süden als Symbol für den zerstörerischen Einfluss der Automobilgewerkschaft.“ (FAZ)

Dass die Unternehmen sich mit laufender Senkung der Lohnstückkosten eine erbitterte Konkurrenz liefern, dass sie durch Produktivitätssteigerungen, die bezahlte Arbeitskräfte überflüssig machen, aber auch, und bei negativen Bilanzen schon gleich, durch die unmittelbare Senkung des Lohns und die Erpressung entsprechender gewerkschaftlicher Zugeständnisse rücksichtslos die Rentabilität ihrer Investitionen steigern – das wird von den politischen Gewerkschaftsfeinden auf den Kopf gestellt: Wegen des gestiegenen Maßstabs lohnender Geschäfte wird der ‚zu hohe‘ Lohn und die gewerkschaftliche Vertretung, die von dem jetzt als längst ‚untragbaren Besitzstand‘ behandelten Lohnniveau möglichst viel zu retten sucht, zum Grund für die mangelnden Konkurrenzerfolge und die Gewerkschaft zum prinzipiell zu beseitigenden Geschäftshindernis erklärt. Die alarmierten Politiker halten sich gar nicht erst damit auf, irgendeine konkrete Forderung der UAW als Beleg dafür heranzuziehen, dass mit deren Zulassung unweigerlich der Niedergang der Region drohe. Das Schreckensbild hängt allein an dem, was sie ist: Gewerkschaft. Als solche repräsentiert sie nun einmal den Anspruch, bei Lohnfragen mitzureden, mitzuentscheiden und gehört zu werden; also den vom Standpunkt des kapitalistischen Erfolgs der Betriebe aus betrachtet sachfremden Gesichtspunkt, dass Arbeiter immerhin vom Lohn leben können und ihre Lohnbedürfnisse von daher Berücksichtigung in der Unternehmensrechnung finden müssen. Und die Standortpolitiker, die sich um ‚Arbeitsplätze‘ zu kümmern haben, also um erfolgreiche Kapitalansiedlung in ihrer Region konkurrieren, sehen die Sache genau so. Jede mögliche Beschränkung der freien Konkurrenz der Unternehmen ist ein Anschlag auf free enterprise, bekanntlich das Erfolgsgeheimnis Amerikas, also zutiefst un-american. Die drohende Gefahr, dass die UAW Fuß fassen könnte, muss folglich im Keim erstickt werden. Der dezente Verweis auf die Subventionen macht die Entschlossenheit der Politik deutlich, alle politischen Hebel in Gang zu setzen, um den angestrebten Beweis der Schädlichkeit der Gewerkschaft zweifelsfrei herzustellen. So bringen die für die kapitalistische Standortförderung politisch Zuständigen ihre Macht drohend ins Spiel, um die Prinzipien ihrer Standortkonkurrenz gegen die Gewerkschaft – und gegen die Nutzenerwägungen von VW – durchzusetzen und bei der Belegschaft aktive Abschreckung zu betreiben.

Das alles leuchtet der Mehrheit der Belegschaft bei VW in Chattanooga ein. Mit ihrer Entscheidung gegen die UAW bekennen sie sich zur Einrichtung in den gegebenen (Arbeits-)Umständen ohne Gewerkschaft und damit zur uneingeschränkten Abhängigkeit vom Profitkalkül der Unternehmer und den Berechnungen ihrer Politiker. Sie lassen sich das Argument ‚Arbeitsplatz‘ einleuchten, dessen ‚Erhalt‘ wie dessen ‚Verlust‘ sie so wenig in der Hand haben wie dessen Ausgestaltung. Das spricht in ihren Augen nicht gegen das ‚hohe Gut Arbeitsplatz‘, sondern dafür, die systemgemäßen Rechnungsweisen, die dieses ‚Gut‘ bestimmen, als unabänderliche Bedingung zu akzeptieren, mit der man am besten fährt, wenn man sich ihr bedingungslos anpasst, statt auf irgendwelche gewerkschaftlichen Korrekturen zu setzen.

Die Antwort der Gewerkschaft auf ihre Niederlage: konstruktiv bis zur Selbstaufgabe

Die UAW ihrerseits versteht die eindeutigen Töne, die ihr aus Politik und Öffentlichkeit entgegenschlagen, nicht als Auskunft über die Unversöhnlichkeit des Standpunkts, mit dem sie zu kämpfen hat, sondern als unzulässigen Verstoß von antigewerkschaftlichen Kräften – besonders der Tea-Party – gegen das staatlich fixierte Gebot der Neutralität von Politikern in Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Gewerkschaft. Sie reicht eine Beschwerde beim NLRB (National Labor Relations Board) ein und gibt damit zu Protokoll, wie entschieden sie auch an dem zweiten fundamentalen Vereinbarkeitsbeschluss festhält, der ihrem Einsatz für die Belange der Arbeiter vorausgeht: der Unterwerfung ihres Lohnkampfes unter das staatliche Regelwerk von Erlaubnissen und Verboten gewerkschaftlicher Betätigung als dem Mittel erfolgreicher Arbeitervertretung. Obwohl sie mit ihrem Anliegen einer kollektiven Vertretung der Arbeiterschaft notorisch an den gesetzlichen Konditionen und Einschränkungen ihres Vertretungsinteresses scheitert, bleibt sie auch angesichts ihrer Niederlage ihrer Linie konstruktiver Mitwirkung treu. Sie pocht auf die Wahrnehmung ihrer Anliegen als politisch zu respektierendem Recht. Und selbst auf dem mag sie am Ende nicht bestehen, wenn sie nach ihrem Dafürhalten mit ihrem Rechtsbegehren in Gegensatz zu dem Anliegen zu geraten droht, zu dessen gemeinschaftlichem Gelingen sie beitragen will und beitragen zu können meint: der ‚Sicherung von Arbeitsplätzen‘. So kommt ihr am Ende noch ihre eigene Klage gegen ihre ungerechte Behandlung zu destruktiv vor, sie zieht sie mit folgender Begründung zurück:

„UAW-Präsident Bob King sagte, die Entscheidung (zur Rücknahme der Klage) sei im wohlverstandenen Interesse der Beschäftigten von VW, des Unternehmens sowie der ökonomischen Entwicklung in Chattanooga getroffen worden. Die UAW habe ihre Entscheidung auf die Überzeugung gegründet, dass die Entscheidungsfindungsprozesse der NLRB erfahrungsgemäß dysfunktional und komplex seien und sich über Monate oder Jahre hinziehen könnten.“ Wenn der Rechtsstreit zum Schaden von Unternehmen und Standort führen sollte, dann sei daran zwar der Gouverneur schuld: „Die beispiellose politische Intervention von Gov. Haslam, Sen. Corker und anderen hat die Beschäftigten von VW zutiefst verunsichert und hat auf Abwege geführt, die wirklich wichtigen ökonomischen Anliegen Tennessees betreffend, sagte King“. Den Schaden abwenden will aber die UAW – indem sie ihre Rechtsposition freiwillig preisgibt und statt dessen ‚nach vorne schaut‘: „Die UAW ist bereit, den Schmutz des Wahlkampfs vom Februar hinter sich zu lassen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, sich für neue Arbeitsplätze und Investitionen in Chattanooga einzusetzen. Der Direktor der UAW Region 8, Gary Casteel, der die südliche Region der Gewerkschaft leitet, unterstrich, dass der Schwerpunkt der UAW nun darin liege, VW zur Schaffung weiterer Jobs in Tennessee zu bewegen, und zwar durch die Einrichtung einer neuen Fertigungslinie für SUVs. ‚Die UAW will mithelfen, qualitativ anspruchsvolle Arbeitsplätze zu schaffen und Weltklasseprodukte für amerikanische Konsumenten zu produzieren‘, sagte Casteel.“

Die Gewerkschaft will vor allem vermeiden, auch nur irgendwie in die Nähe des zielstrebig genährten Verdachts zu geraten, sie würde nicht die Sicherung von Arbeitsplätzen als oberste Maxime verfolgen, sondern würde mit ihrer Intransigenz Arbeitsplätze gefährden. Die Wahrnehmung gewerkschaftlicher Verantwortung für Arbeitsplätze, Betrieb und Standort besteht daher am Ende darin, der Erpressung der Gegenseite mit der Streichung von Subventionen vorauseilend stattzugeben und den eigenen Anspruch auf gewerkschaftliche Vertretungsrechte als Hindernis für eine weitere konstruktive Zusammenarbeit mit ihren Gegnern aus dem Weg zu räumen. Aus dieser ‚Vorleistung‘ konstruiert sich die Gewerkschaft dann die Berechtigung zu einer eigenen Forderung an die Adresse der Standortpolitik: In diesem Sinne fordern wir Gov. Haslam auf, umgehend die Zuschüsse auszuweiten, die VW für die neue SUV-Linie angeboten worden sind, und zwar ohne weitere Bedingungen. (alle Zitate: http://uaw.org)

So kämpft die UAW bis zur Selbstaufgabe unerschütterlich um ihre Rolle und ihr Ansehen als positiver Standortfaktor – indem sie durch ihre selbstbeschlossene Ausmischung als Störfaktor unternehmerischer und politischer Freiheit die Politik zur entschiedeneren Unterstützung des Geschäfts von VW und VW vielleicht zu einer freiwilligen Zulassung irgendeiner gewerkschaftlichen Vertretung ‚nötigt‘. Konstruktiver, ohnmächtiger kann gewerkschaftlicher Kampf nicht ausfallen.

[1] Näheres zum System der Betriebsrenten und -krankenkassen findet sich in GegenStandpunkt 4-05: Die reichste kapitalistische Macht betreut ihre Arbeiterklasse. Die proletarische Fassung des „American way of life“ in Punkt II: „Die Gewerkschaft als Organisator des Sozialen“

[2] Ausführlichere Anmerkungen dazu finden sich in dem Artikel Lohnsenkung auf amerikanisch: Das Autokapital beseitigt sozialen Ballast in GegenStandpunkt 2-08.

[3] Durch den Taft-Hartley Act von 1947 wurde die Verpflichtung der Unternehmen auf die ausschließliche Beschäftigung von Gewerkschaftsmitgliedern („closed shop“) in Fabriken, die die Gewerkschaft einmal gewonnen hatte, illegal. Daraufhin erkämpften US-Gewerkschaften die abgewandelte Form des „union shop“ sowie den „agency shop“, der über die finanzielle Beteiligung von Nicht-Mitgliedern am Aufwand für Tarifverhandlungen die Streikfähigkeit der Gewerkschaft finanziert und die Nicht-Mitgliedschaft zumindest unattraktiv machen soll.

[4] Seit der Gründung der NAFTA kann der amerikanische Markt außerdem problemlos auch vom Billiglohnstandort Mexiko bedient werden, was die genannte Logik verschärft.

[5] In den USA versuchen republikanische Gouverneure die Gewerkschaften per Gesetz zurückzudrängen, indem sie sie finanziell ausbluten lassen – nun sogar in ihrem letzten Rückzugsgebiet im Mittleren Westen. (SZ, 31.1.12) Diese sogenannte „Right-to-work“-Gesetzgebung verbietet die Praxis, in gewerkschaftlich organisierten Betrieben zwangsweise Beiträge von allen Beschäftigen einzutreiben („agency shop“).