Die „Zedern-Revolution“ im Libanon
Auftakt zur Erledigung des letzten verbliebenen Schurkenstaats in der arabischen Welt

Die Kampagne „Freie Wahlen im Libanon“ ist eine weitere Etappe im „Kampf gegen den Terror“, der sich neuerdings auch „Feldzug gegen die Tyrannei“ nennt, die ihre Wirkung weit über das kleine Land am östlichen Mittelmeer hinaus entfalten soll: als eindringliche Mahnung an alle säumigen Staatsmänner der Region, sich vorbehaltlos zum Pro-Amerikanismus zu bekehren und ihren Widerstand gegen die längst „überfälligen und unausweichlichen Reformen“ im eigenen Land aufzugeben; und an die Führer der maßgeblicheren Mächte auf der Welt, das amerikanische Unterwerfungsprogramm der dortigen Staatenwelt als ihr eigenes Interesse zu begreifen und sich ihm vorbehaltlos zuzuordnen.

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Die „Zedern-Revolution“ im Libanon
Auftakt zur Erledigung des letzten verbliebenen Schurkenstaats in der arabischen Welt

Das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri in Beirut nimmt US-Präsident George W. Bush zum willkommenen Anlass, im Nahen Osten einen weiteren Schauplatz seiner Befreiungsmission zu eröffnen. Wenige Tage nach dem Anschlag verkündet er:

„Unser gemeinsames Engagement für den demokratischen Fortschritt wird im Libanon auf die Probe gestellt, einem einst blühenden Land, das nun unter dem Einfluss eines unterdrückerischen Nachbarstaats leidet. Das Regime in Syrien muss größere Anstrengungen gegen die Förderer der Gewalt und Umsturzversuche im Irak unternehmen, die Unterstützung terroristischer Gruppen stoppen, die versuchen, die Hoffnung auf Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu zerstören, sowie die Besetzung des Libanon beenden.
Das libanesische Volk hat ein Recht auf Freiheit, und die Vereinigten Staaten und Europa haben ein gemeinsames Interesse an einem demokratischen, unabhängigen Libanon… In den vergangenen Monaten hat die Welt miterlebt, wie Männer und Frauen von Kabul über Ramallah bis Bagdad ihre Stimme in historischen Wahlen abgaben. Ohne syrischen Einfluss können die libanesischen Parlamentswahlen im Frühjahr ein weiterer Meilenstein der Freiheit werden.“ (Bush, 21.2.2005)

Wie in allen vorausgegangenen Fällen stellt der US-Präsident auch diesmal klar, dass seine Parteinahme für unterdrückte Völker und nach Freiheit lechzende Menschen in fremden Landen mit der Wahrnehmung seiner Amtspflicht nahtlos zusammenfällt, den Interessen der Vereinigten Staaten zu dienen und die Störenfriede der amerikanischen Weltordnung der Reihe nach zu beseitigen. Die Kampagne „Freie Wahlen im Libanon“ ist eine weitere Etappe im „Kampf gegen den Terror“, der sich neuerdings auch „Feldzug gegen die Tyrannei“ nennt, die ihre Wirkung weit über das kleine Land am östlichen Mittelmeer hinaus entfalten soll: als eindringliche Mahnung an alle säumigen Staatsmänner der Region, sich vorbehaltlos zum Pro-Amerikanismus zu bekehren und ihren Widerstand gegen die längst „überfälligen und unausweichlichen Reformen“ im eigenen Land aufzugeben; und an die Führer der maßgeblicheren Mächte auf der Welt, das amerikanische Unterwerfungsprogramm der dortigen Staatenwelt als ihr eigenes Interesse zu begreifen und sich ihm vorbehaltlos zuzuordnen.

Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass eine Nation mit freien Wahlen beglückt wird, um die es selber eigentlich gar nicht geht. Der Libanon interessiert die USA nämlich nur – wie Bush deutlich macht – wegen seines „bösen Nachbarn“, des Regimes in Damaskus. Gegen dessen Einfluss richtet sich die Forderung nach freien Wahlen im Libanon: Syrien soll geschwächt und destabilisiert werden, damit es nicht nur seine anti-amerikanischen Umtriebe einstellt, sondern sich so bald wie möglich von Präsident Assad und seinem Baath-Regime trennt.

Dafür brauchen die Libanesen unbedingt noch vor Ende Mai 2005 freie Wahlen. Bereitwillig geben sich die Bürger des Zedern-Staats dafür auch her, kundig angeleitet von ihren nationalen Führern – in ihrer Mehrzahl Relikte der blutigen Bürgerkriege zwischen 1975 und 1990, von NGOs, die vom Ausland gesponsert werden, und von sonstigen Agenten der Freiheit. Heftig betreut werden sie schließlich von der internationalen Gemeinschaft, allen voran von Frankreich, den USA und der UNO. Ganz nebenbei deutet sich im Vorfeld des Urnengangs an, dass im Libanon nach der Beseitigung syrischer Unterdrückung und dem Ausbruch unverfälschter Demokratie die Aussichten für einen weiteren Bürgerkrieg nicht schlecht stehen. Genug alte Rechnungen sind noch offen, und die involvierten Parteien des In- und Auslands werfen immer neue Machtfragen auf. Folglich braucht das Land in erster Linie viel ausländische Einmischung – diesmal aber von den Richtigen, sprich: eine straffe Aufsicht mit robustem Mandat seitens der freiheitsliebenden, miteinander konkurrierenden Weltmächte.

Regimewechsel in Syrien

Warum er aus der Sicht der USA sein muss

Syrien ist das einzig verbliebene Land in der arabischen Welt, das am Gegensatz zu Israel und damit den amerikanischen Ordnungsvorstellungen für den Nahen Osten festhält. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil alle Bemühungen von Hafez und Baschar al-Assad, mit Israel – ähnlich wie Jordanien und Ägypten – eine Beendigung des Kriegszustands auf Basis des Prinzips „Land gegen Frieden“ zu erreichen, am Widerstand der Regierungen in Jerusalem gescheitert sind. Israel weigert sich strikt, den strategisch wichtigen, von Israel besetzten und 1981 förmlich annektierten Golan zurückzugeben.

  • Syrien praktiziert die Feindschaft, indem es anti-israelische Befreiungsbewegungen (Hamas, Dschihad etc. sowie den Hizbullah) unterstützt und innerhalb des arabischen Lagers unermüdlich darauf dringt, angestammte arabische Rechtspositionen aufrecht- und früher getroffene antiisraelische Vereinbarungen weiter einzuhalten.[1]
  • Als Schutzmacht des Libanon verhindert Damaskus separate Friedens-Verhandlungen zwischen Beirut und Jerusalem, durch die Israel eine endgültige Lösung seiner Sicherheitsprobleme an der Nordgrenze erreichen möchte. Auf diese Weise und durch die Unterstützung des Hizbullah als militante anti-israelische Widerstandsgruppe im Süden des Libanon, versucht sich Syrien ein Faustpfand zu sichern, um Israel die Rückgabe der okkupierten syrischen Gebiete abzutrotzen.
  • Syrien schafft es, trotz US-Sanktionen[2] nicht nur zu überleben, sondern sich militärisch so weit auszurüsten, dass es potentiellen israelischen Angriffen eine gewisse Verteidigungskapazität im Libanon und im eigenen Land entgegensetzen kann. Gemeinsam mit dem Iran statten die syrischen Streitkräfte zudem anti-israelische Gruppierungen mit brauchbarem Gerät für den Guerilla-Kampf gegen Israel und den Kleinkrieg an der Grenze aus. Dazu gehören neuerdings auch Drohnen, die zur Vergeltung für die ständigen Überflüge israelischer Kampfjets im Libanon in den israelischen Luftraum eindringen.
  • Mit anderen Regionalmächten schließt Assad Bündnisse, um das wirtschaftliche Überleben seines Landes sicherzustellen und eine Front gegen die Vormacht Israels und die Oberaufsicht Amerikas über die Region, vor allem dessen massive Militär-Präsenz, zu errichten. Beim Iran findet er uneingeschränkte Unterstützung.[3] Selbst beim Nato-Partner Türkei hat der syrische Staatschef mit seiner Position einen gewissen Erfolg: Im Januar brüskiert Ankara Israel und die USA mit dem Abschluss eines Freihandelsabkommen mit Syrien, einige Wochen später sagt Ministerpräsident Erdogan seinen Besuch in Israel ab, weil Scharon sich weigert, das türkische Angebot einer Vermittlung zwischen Damaskus und Jerusalem anzunehmen. Gegen den ausdrücklichen Rat Washingtons besucht Staatspräsident Sezer schließlich im April Syrien.[4]
  • Wegen des zunehmenden Drucks aus Washington ist die syrische Regierung um gute Beziehungen zu den konkurrierenden Weltaufsichtsmächten bemüht und stößt auf einiges Interesse. Insbesondere Russland, aber auch die EU sehen im Ausbau der Beziehungen zu Syrien ein Mittel, ihren Einfluss im Nahen Osten insgesamt zu verstärken.[5]

Für die USA steht das Urteil daher fest: Syrien stellt „eine anhaltende und außergewöhnliche Bedrohung für die nationale Sicherheit, die außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten“ dar (Bush, FAZ, 7.5.). Assad mag sich noch so sehr bemühen, mit Wort und Tat zu beweisen, dass sich seine Gegnerschaft nur gegen Israel richtet – selbst das nicht einmal prinzipiell, sondern lediglich wegen der andauernden Besetzung des Golan –, dass er kein Antiamerikaner ist, sondern nur die vorbehaltlose Unterstützung Israels durch die USA kritisiert – die US-Regierung bleibt dabei: Syrien ist ein Schurkenstaat, eine Bedrohung für Amerikas vitale Interessen. Weil die Führung in Damaskus an ihrem arabischen Nationalismus festhält und sich den Vorgaben der USA nicht beugt, ist ein Regimewechsel überfällig.

Und wie er begründet wird

Die USA eröffnen ein – stets erweiterbares – Sündenregister Assads und präsentieren es der „internationalen Gemeinschaft“, um die eigene Feindschaftserklärung zu legitimieren und die übrige Staatenwelt darauf festzulegen, Syrien zu isolieren und den Regimewechsel, den die USA betreiben, aktiv oder zumindest passiv zu unterstützen.

  • Beihilfe zum Terrorismus: Syrien biete den militanten Palästinenser-Organisationen, die allesamt auf Amerikas Terrorliste stehen, nach wie vor Unterschlupf und unterstütze heimlich deren Aktivitäten. Weil es deren Anführer nicht an Israel ausliefert und auf der Unterscheidung zwischen „Terrorismus“ und „gerechtfertigtem Befreiungskampf“ beharrt, entlarvt es sich selbst als Terrorist. Darum leuchten der US-Regierung auch die von Jerusalem regelmäßig verbreiteten Anschuldigungen ein, dass Damaskus für jeden Anschlag, der in Israel verübt wird, „direkt verantwortlich“ sei.[6]
  • Sabotage des Nahost-Friedensprozesses: Dass Assad immer noch die Rückgabe des Golan zur Bedingung eines Friedens mit Israel macht, ist in den Augen der Bush-Mannschaft schon schlimm genug. Dass er aber auch noch Kritiker des neuen Palästinenser-Präsidenten Abbas in seinem Land frei herumlaufen lässt, beweist endgültig die böse Absicht, den „Frieden im Nahen Osten“ zu boykottieren. Aus Sicht der USA ist es nämlich ein Verbrechen, den Arafat-Nachfolger, zumindest derzeit noch Washingtons Mann in Ramallah, nicht vorbehaltlos zu unterstützen.[7]
  • Förderung des Aufstands im Irak: Washington wirft Assad vor, die syrische Grenze offen zu halten, um arabisch-islamischen Kämpfern Zutritt zum Irak zu verschaffen. Damit leiste er nicht nur der Ermordung amerikanischer Soldaten und irakischer Freiwilliger Vorschub, sondern trage auch zur Schwächung der demokratisch gewählten irakischen Regierung, also zur Destabilisierung des Landes bei. Die US-Führung verbreitet Geheimdienst- und Pressespekulationen, denen zufolge alte Kader der Saddam-Ära in Syrien Unterschlupf gefunden hätten, von sicherem Versteck aus den Aufstand im Irak lenkten und sich dabei der Schwarzgelder Saddam Husseins bedienen könnten, die er in Damaskus in Sicherheit hätte bringen lassen.
  • Geiselnahme eines ganzen Landes: Das schlimmste Verbrechen aber ist seit einiger Zeit die Intervention der syrischen Armee 1976 zur Beendigung des libanesischen Bürgerkriegs und die Besetzung des Landes durch bis zu 40.000 Soldaten.[8] Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, so der Vorwurf, seien die noch immer anwesenden 14.000 Mann ein untragbarer Zustand, weil sie in erster Linie zur Einschüchterung der Libanesen dienten. Zudem habe der syrische Geheimdienst die politischen Verhältnisse im ganzen Land fest im Griff, sorge für Syrien genehme, anti-israelische Regierungen und schüchtere die Opposition mit Bombenanschlägen und Verschleppungen ein. Zur politischen Unterdrückung komme die ökonomische Ausplünderung des Landes hinzu.[9]
  • Tyrannei im eigenen Land: Brutal unterdrückt werde auch die Bevölkerung in Syrien. Baschar al-Assad habe nie mit der alten Garde der Baath-Partei gebrochen und setze die diktatorische Herrschaft seines Vaters fort. Menschenrechtsverletzungen seien an der Tagesordnung, Oppositionelle würden verhaftet, die Presse zensiert, freie Wahlen nicht zugelassen und die Privatinitiative durch Staatsdirigismus in allen ökonomischen Belangen erstickt.

Das lange Sündenregister macht deutlich, dass die amtierende syrische Regierung – und sei sie noch so sehr sogar zur Verleugnung nationaler Interessen bereit – die US-Regierung von ihrer Feindschaft nicht abbringen kann. Alle bisherigen Versuche, durch Kooperationsangebote und Eingehen auf die US-Forderungen – Lieferung von Geheimdienst-Auskünften über Al Kaida, Beschränkung der Betätigungsmöglichkeiten der palästinensischen Gruppen, Druck auf den Hizbullah, die Lage an der Grenze nicht zu eskalieren, Bereitschaft zur Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Israel „ohne Vorbedingungen“, Verschärfung der Kontrollen an der irakischen Grenze, Auslieferung von Saddam-Getreuen, Offenlegung von irakischen Konten, Reduzierung der syrischen Truppen und Rückzug ins Bekaa-Tal, Entlassung politischer Gefangener in Syrien, Ankündigung politischer Reformen etc. – die Bush-Regierung umzustimmen, sind gescheitert. Washington nimmt die Angebote zwar entgegen, sieht in ihnen aber nur verzweifelte Versuche Assads, sein Schurken-Regime aus der Schusslinie zu nehmen, also zu retten. Auf solche „durchsichtigen Manöver“ fällt das Bush-Regime natürlich nicht herein.

Die schrittweise Umsetzung des Programms

Vorrangiges Etappenziel bei der Entmachtung der syrischen Führung ist nach den Plänen der amerikanischen Regierung, Damaskus den Einfluss auf den Libanon zu nehmen. Damit soll Assad sein wichtigstes außenpolitisches Druckmittel gegen Israel verlieren; die empfindliche politische Schlappe könnte zudem seinen Rückhalt in der politischen und militärischen Elite sowie sein Ansehen im Volke schmälern; schließlich wird mit massiven negativen Auswirkungen auf Syriens Wirtschaft gerechnet.

Im Jahr 2003 beschließt der amerikanische Kongress den „Syria Accountability Act“, durch den er den Präsidenten ermächtigt, aus einem „Menü“ von Sanktionen Maßnahmen auszuwählen, um „Amerikas Sicherheitsinteressen gegenüber Syrien“ durchzusetzen. Eines der Hauptziele dieses Gesetzes ist der Abzug des syrischen Militärs, der Geheimdienste und aller übrigen Sicherheitskräfte aus dem Libanon.[10] Im Sommer 2004 erhöhen die USA den Druck, indem sie zusammen mit Frankreich die Besetzung des Libanon vor den UN-Sicherheitsrat bringen. In der Resolution 1559 vom 2.9. wird festgelegt:

„Der Sicherheitsrat …
  1. bekräftigt seine Forderung nach strikter Achtung der Souveränität, territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit Libanons unter der alleinigen und ausschließlichen Hoheitsgewalt der Regierung Libanons im gesamten Land;
  2. fordert alle noch verbleibenden ausländischen bewaffneten Kräfte zum Abzug aus Libanon auf;
  3. fordert die Auflösung und Entwaffnung aller libanesischen und nicht-libanesischen Milizen;
  4. unterstützt die Ausweitung der Kontrolle der Regierung Libanons auf das gesamte libanesische Hoheitsgebiet;
  5. erklärt seine Unterstützung für einen freien und fairen Wahlvorgang bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Libanon, der im Einklang mit libanesischen Verfassungsbestimmungen durchgeführt wird, die ohne ausländische Einmischung oder Einflussnahme ausgearbeitet wurden.“

Damit erhalten die Vereinigten Staaten den gewünschten Rechtstitel, Syrien zum Abzug seiner Truppen zu zwingen und jegliche Einflussnahme auf die politischen Entwicklungen im Nachbarland als Verbrechen einzustufen. Die Regierung des Libanon wird verpflichtet, die seit Jahren von Jerusalem geforderten Schritte zu unternehmen, die Israels Norden sicher machen sollen: die Entwaffnung des Hizbullah und der Palästinenser in den libanesischen Flüchtlingslagern und die Verlegung regulärer libanesischer Soldaten an die Südgrenze.[11]

Der demokratische Aufbruch im Libanon

Das Attentat auf den Ex-Ministerpräsidenten am 24. Februar ist für Amerikas Freiheitsmission ein Glücksfall. Aus dem Stand heraus inszenieren oppositionelle, proamerikanische Libanesen eine Demokratie-Bewegung, für die auch gleich ein schöner Name gefunden ist: Zedern-Revolution. Laut Washington Post (17.4.) leistet insbesondere eine kleine Gruppe von Werbefachleuten, Journalisten und ‚political operatives‘, die eigentlich mit einer Medienkampagne zur Unterstützung der Opposition bei den Parlamentswahlen im Sommer befasst ist und hierfür die Vorgänge in der Ukraine studiert hat, hervorragende Arbeit: Schnell treibt sie 600.000 Dollar auf, kauft damit zig Tausende Fahnen, Schals und ‚Independence 05‘-Aufkleber, so dass in wenigen Stunden der gesamte „Platz der Märtyrer“ in die Farben rot und weiß getaucht ist. Zum Glück stellt sich die Familie des gemeuchelten Milliardärs sofort hinter die Bewegung und auch „Future TV“, eine Gründung Hariris, in ihren Dienst. Es finden sich außerdem genügend Jugendliche, die auf dem Platz ihre Zelte aufschlagen, 70 Tage lang zu „phantasievollen Aktionen“ aufgelegt sind und danach davon schwärmen, ein „Gemeinschaftsgefühl“ erlebt zu haben, das sie ihr Leben lang nicht vergessen werden. Die politischen Inhalte im engeren Sinne steuern die Oppositionsparteien bei, in dem sie die Parolen ausgeben: Syrer raus; Rücktritt der Geheimdienstchefs, Untersuchung des Attentats durch eine unabhängige, internationale Kommission, Rücktritt der pro-syrischen Regierung Karame, Rücktritt Lahouds, freie Wahlen im Mai unter internationaler Beobachtung.

Der Bewegung gelingt es, der Weltöffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, die Libanesen seien aufgestanden, um sich im Sinne der Hauptparole Freiheit, Einheit, Souveränität zu einem Gemeinwesen zusammenzuschließen, in dem das Bekenntnis zur Freiheit und den demokratischen Grundwerte die Menschen eint, die alten blutigen Streitigkeiten zwischen den Volksgruppen überwunden werden, und das libanesische Volk, das seit der Staatsgründung von auswärtigen Interessen und Mächten beherrscht wurde, dazu übergeht, sich selbst zu bestimmen. Der alles entscheidende Schritt dazu sei die Vertreibung der syrischen Besatzer, die Land und Leute, Regierung und Presse jahrzehntelang kontrolliert, bespitzelt, gegängelt und eingeschüchtert hätten.

Die Wahrheit ist das allerdings nicht, weder über den Charakter des politischen Aufbruchs, der im Lande stattfindet, noch über das Programm der Kräfte, die ihn tragen; weder über die Verfassung, in der sich das Land befindet, noch darüber, wie es um die Wünsche des Volkes bestellt ist:

  • Die Oppositionsparteien sind sich nur in einem Punkte einig: dass die Syrer so schnell wie möglich abziehen sollen. In der Frage, was aus dem souveränen Libanon gemacht, wozu die Macht, die den regierenden „Loyalisten“ dringend entzogen werden muss, genutzt werden soll, herrscht nicht nur Streit, sondern prallen unversöhnliche Gegensätze aufeinander. Die Oppositionsparteien verfolgen nämlich – und darin unterscheiden sie sich nicht von den Pro-Syrern – kein einheitliches nationales Interesse, sondern diverse politische, ökonomische, teilweise auch konfessions-spezifische Belange von Volksgruppen oder von Clans, die kleinere oder größere Regionen des Landes bzw. Bezirke in den Städten kontrollieren. Sie streben die Ausübung der Regierungsgewalt oder den Einfluss auf sie hauptsächlich deshalb an, weil sie auf diese Weise ihre partikularen Interessen sichern und ihre Konkurrenten ausschalten oder zumindest beschränken wollen.[12]
  • Die politischen Paten der Demokratiebewegung geben zu erkennen, dass sie wissen, von wem ihre staatsmännische Karriere im Libanon wirklich abhängt, wie es um die Souveränität des Libanon bestellt ist und was Selbstbestimmung des Volkes heißt. Während die jugendlichen Massen in Beirut mit Fahnenschwenken und der Veranstaltung von Autokorsos beschäftigt sind, geben sich die führenden Oppositionspolitiker wie Saad Hariri, der maronitische Patriarch Sfeir, der christliche Ex-Präsident Aoun und Drusenführer Dschumblatt in den Regierungspalästen Amerikas, Europas und Russlands die Klinken in die Hand. Alle halten es offenbar für nötig, sich das Vertrauen der maßgeblichen Aufsichtsmächte zu sichern, die eigene Person als besonders zuverlässigen Bündnispartner der Aufsichtsmächte zu empfehlen, sowie sich die Genehmigung und Unterstützung für die nächsten Schritte bei der Übernahme der Macht einzuholen.
  • Was die Besatzung durch die Syrer angeht, machen spätestens die Großdemonstrationen des Hizbullah in Beirut und Nabtije, bei der die Schiiten-Organisation jeweils mehrere Hunderttausend Libanesen mit Parolen wie „Dank den Syrern“, „gegen amerikanischen Demokratie-Import“ auf die Beine stellt, deutlich, dass mitnichten das libanesische Volk unter der „Zwangsherrschaft der Syrer“ leidet. Offensichtlich gibt es genügend Leute – womöglich ist es sogar die Mehrheit der Bevölkerung –, die die Schutzmacht der Syrer schätzen und der Ansicht sind, dass ihr die Herstellung bzw. Aufrechterhaltung halbwegs geordneter Verhältnisse im Lande zu verdanken ist.
  • So wenig die Libanesen Anti-Syrer sind, so wenig sind sie mehrheitlich Pro-Amerikaner: Mit ihrem Protest bekunden die arabisch-islamischen Bevölkerungsgruppen, dass ihr Nationalismus gut ohne die westlichen Freiheiten zurecht kommt und der Islam ihnen nach wie vor als die verlässlichste Stütze für ein rechtschaffenes Leben erscheint. Vom Dschihad gegen Israel und gegen amerikanische Oberaufsicht halten sie zudem mehr als von Bushs Kreuzzug gegen den arabisch-islamischen Terrorismus.

Die Einordnung in das Projekt „Demokratisierung des Nahen Ostens“

Die USA und „die internationale Gemeinschaft“ ficht die Differenz zwischen inszenierter demokratischer Aufbruchs-Euphorie und libanesischer politischer Wirklichkeit nicht an. Sie haben nach dem Mord an Hariri den Regimewechsel im Libanon auf die Tagesordnung gesetzt und für dessen Vollzug eine Frist bis Anfang Juni festgelegt. Bis dahin müssen die Syrer das Land endgültig geräumt,[13] die Parteien sich auf ein Wahlverfahren geeinigt, und die Wähler an der richtigen Stelle ihr Kreuz gemacht haben. Sache des neu gewählten Parlaments ist es, eine Regierung zu küren, die anti-syrisch und pro-amerikanisch ist und folgende Aufgaben versieht:

  • gemäß Resolution 1595 hat sie die internationale Gemeinschaft vorbehaltlos dabei zu unterstützen, die jüngste libanesischen Vergangenheit aufzuarbeiten,[14] also mit dem pro-syrischen Kurs der bisherigen Regierungen abzurechnen;
  • Resolution 1559 ordnet an, die palästinensischen Milizen in den Flüchtlingslagern und den Hizbullah zu entwaffnen; der Verteidigungsminister soll Einheiten der libanesische Armee an die „blaue Linie“ schicken, damit Guerilla-Aktionen im Grenzgebiet zu Israel verhindert werden;
  • längerfristig sollen die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon integriert werden, damit Israel die leidige Rückkehrfrage los ist; überhaupt steht die Aussöhnung mit dem südlichen Nachbarn an;
  • aktiv soll sich die künftige Führung an der politischen Isolierung und ökonomischen Schädigung des östlichen Nachbarn beteiligen.

Damit sie diese Auftragsliste in Ruhe abarbeiten kann, muss die Regierung stabil sein; hinreichend viele Parteien müssen sich zusammenraufen, dieses Programm gemeinsam zu tragen und durchzusetzen. Natürlich ist auch die Zustimmung des Volkes zum neuen Kurs der Nation zu organisieren …

Weil die Initiatoren der Demokratisierung mit einigen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Programms rechnen, haben die USA und Frankreich bereits höflich auf diplomatischer Ebene angedeutet, gegebenenfalls auch „peacekeeper“ entsenden zu wollen. Vorerst soll Kofi Annan regelmäßig und in kurzen Abständen über die Lage im Lande und die Umsetzung der Resolutionen berichten, und der Sicherheitsrat versichert, „mit der Angelegenheit weiter befasst zu bleiben“.

„Die internationale Gemeinschaft“ stellt sich mit Fug und Recht darauf ein, dass sie als die neue Aufsicht im Libanon viel zu tun bekommt. Das Projekt rührt nämlich an alle Grundsatzfragen der libanesischen Staatsräson, wegen denen sich die verschiedenen Volksgruppen fünfzehn Jahre lang einen erbitterten Bürgerkrieg geliefert haben, für die die Arabische Liga mit den streitenden Parteien im Taif-Abkommen 1989 einen Kompromiss gefunden hat, der dank syrischer Aufsicht immerhin fünfzehn Jahre lang gehalten hat. Diese alten formellen und stillschweigenden Übereinkünfte zwischen den politischen Gruppierungen gelten ab sofort, nachdem die Syrer der Unterdrückung überführt sind, nicht mehr. Mit dem UN-Beschluss hat sich außerdem die Rechts- und Auftragslage für die Nation verändert. Die politische Lage im Land allerdings nicht: weder in Bezug auf die Interessen der Parteien, noch auf das Kräfteverhältnis zwischen ihnen, noch auf die Verfügung über die Gewaltmittel. Die Auseinandersetzung über die künftig geltende Staatsräson ist aber freigesetzt und längst im vollen Gange. Ob beim Streit ums Wahlgesetz, die Neufassung der Amnestie-Regelungen, die Entlassung der Geheimdienstchefs und deren Nachfolge oder die Entwaffnung des Hizbullah, stets geht es um dieselben Fragen: Soll das alte „Proporz-System“ beibehalten bzw. erneuert werden, das den wichtigsten Volksgruppen und Religionsgemeinschaften eine ihrem Bevölkerungsanteil irgendwie angemessene politische Vertretung im Gesamtstaat garantiert und diesen darüber faktisch in die Einflusszonen von Stammesführern zerlegt, die stets auf dem Sprung sind, einander ihre Machtpositionen streitig zu machen und sich wieder in „War-Lords“ zu verwandeln? Oder soll diesen überhaupt nicht bereinigten Gegensätzen eine einheitsstaatliche Konstruktion übergestülpt werden – mit der allemal nur gewaltsam durchzusetzenden Perspektive, dass die diversen Volksteile zu Anhängern demokratisch rivalisierender Parteien mutieren, die ihrerseits schiedlich-friedlich am Gemeinschaftswerk eines pflegeleichten bürgerlichen Libanon mitwirken? Soll der Libanon auf die Art eines bürgerlich-demokratische Herrschaft nach westlichem Muster kopieren – auch ohne dass so etwas wie eine dafür geeignete „Parteienlandschaft“ überhaupt absehbar wäre –, oder soll er eine irgendwie islamische Herrschaft mit Minderheitenschutz für diverse mehr ausgegrenzte als integrierte Minderheiten erhalten? Und vor allem, dies die eigentliche entscheidende Grundsatzfrage bei allen Verfassungsproblemen: Wie soll das Land sich in das feindselige Verhältnis zwischen israelischer Sicherheits- und amerikanischer Demokratisierungspolitik auf der einen, den Überresten eines gesamtarabischen Nationalismus und dem Nachbarn Syrien als dessen Repräsentanten auf der anderen Seite einordnen? Unterwirft es sich Israel oder bleibt es Syrien verbunden? Um solche fundamentalen Gegensätze geht es im Machtkampf der libanesischen „Parteien“; und die taugen allemal für eine Neuauflage des alten Bürgerkriegs. In letzter Instanz werden sie zwar nicht mehr im Libanon entschieden, die gewaltsame Durchsetzung der neuen Staatsräson geschieht aber vor Ort.

Die Konkurrenz der internationalen Betreuer

Die Befreiung des Libanon ist nur der Auftakt, den Regimewechsel in Syrien voranzutreiben. Für diesen Fall halten sich die USA alle Optionen offen: Bushs Demokratisierungs-Beauftragte Elizabeth Cheney versucht eine syrische Exilopposition zu organisieren, die die Chancen eines Umsturzes in Damaskus ausloten soll; Verteidigungsminister Rumsfeld lässt verlauten, er hätte für israelische Militärschläge gegen Syrien als Reaktion auf terroristische Anschläge viel Verständnis; republikanische Kongressabgeordnete schlagen vor, die syrische Baath-Partei auf die Liste der Terrorgruppen zu setzen.

Das wirft unvermeidlich schon wieder in aller Schärfe den Gegensatz zwischen den interessierten imperialistischen Betreibern der Demokratisierung des „Broader Middle East“ auf. In erster Linie geht es um die Frage, wer von ihnen den Zugriff auf die Region erhält und welches Gewicht sie sich bei der Neuordnung der Staatenwelt gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen können.

Die Strategie Europas in Bezug auf Syrien bestand bis vor kurzem darin, das Land ökonomisch und politisch an sich zu binden, um damit ein Stück weit das Ordnungsmonopol der USA und Israels für den gesamten Nahen Osten aufzubrechen. Nach langen, zähen Verhandlungen, in denen es vor allem um Menschenrechtsfragen und die demokratische Öffnung des Baath-Regimes gegangen ist, hat Brüssel im Oktober 2004 im Rahmen seines Programms für die Mittelmeeranrainer ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen, dessen Ratifizierung – wegen der jüngsten Entwicklungen – allerdings noch aussteht.

Nachdem die USA mit dem „Syria Accountability Act“ in die Offensive gegangen sind, stehen die Europäer vor der peinlichen Situation, dass das Regime, das sie sich zuordnen wollen, von Bush auf die Abschussliste gesetzt ist. Frankreich tritt deswegen die Flucht nach vorn an und versucht, sich an die Spitze der Befreiung des Libanon zu setzen. Im UN-Sicherheitsrat initiiert es einen Beschluss nach dem anderen, der Syrien verpflichtet, nicht nur seine Leute abzuziehen, sondern sich aus sämtlichen Affären im Libanon herauszuhalten und im eigenen Land Reformen zu ermöglichen. Chirac will dadurch unterstreichen, dass Frankreich seinen Anspruch als traditionelle Aufsichtsmacht über Libanon und Syrien aufrecht erhält. Amerikas Zugriff soll dadurch aufgefangen, seine Ordnungszuständigkeit dadurch relativiert werden, dass seine Hauptforderungen gegenüber Beirut und Damaskus – Rückzug der syrischen Truppen, Entwaffnung des Hizbullah, Neuwahlen im Libanon und demokratische Reformen in Syrien – von Europa und insbesondere Frankreich in die Hand genommen werden. Ein Regimewechsel in Damaskus werde überflüssig, so das „Angebot“ an Bush, wenn Frankreich und die EU dauerhaft auf Syrien aufpassen und seinen politischen Reformprozess betreuen. Mit dieser Offerte unterstreicht Frankreichs Präsident: Am europäischen Ziel, sich über Syrien in die Ordnungspolitik im Nahen Ostens, die die USA und Israel seit geraumer Zeit unter sich ausmachen, wieder einzumischen, hat sich für die Europäer nichts geändert.[15]

Die USA lassen sich auf die von Chirac intendierte „Arbeitsteilung“ formell ein ohne ihre oberhoheitliche Zuständigkeit dadurch in Frage stellen zu lassen. Die Europäer dürfen gerne Hilfsfunktionen im amerikanischen Demokratisierungsprogramm übernehmen – wie die Überwachung der libanesischen Wahlen Ende Mai/Anfang Juni. Entscheidungen über sämtliche Ordnungsfragen behalten sich die USA vor.

[1] Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März ist Syrien einer der Hauptgegner der jordanischen Initiative, die eine Verbesserung der Beziehungen der arabischen Staaten zu Israel vorschlägt – als Vorleistung, von der sich König Abdullah mehr Zugeständnisse Israels an die Palästinenser verspricht. Damaskus mahnt auch immer wieder den Wirtschaftsboykott an, den die Liga vor Jahren gegen den jüdischen Staat beschlossen hat.

[2] Ein begrenzter Exportstopp gilt seit 2003, ebenso wie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit syrischer Diplomaten in den USA und die Reduktion diplomatischer Kontakte. US-Handelssanktionen treffen das Land aber nicht sehr, weil ein bilateraler Güteraustausch ohnehin kaum stattgefunden hat. Im Mai 2004 verschärft Bush die Sanktionen gegenüber Syrien noch einmal, das Exportverbot wird auf den gesamten Warenverkehr ausgedehnt – Ausnahmen Lebensmittel und Medikamente –, syrische Airlines werden mit Start- und Landeverbot in den USA belegt und das Finanzministerium wird dazu ermächtigt, syrische Guthaben zu beschlagnahmen, wenn der Verdacht besteht, dass die Gelder für die Unterstützung von Terroristen oder zur Beschaffung von Massenvernichtungswaffen verwendet werden sollen.

[3] Der iranische Vizepräsident Reza Aref erklärt: Angesichts der besonderen Lage Syriens wird der Iran seinem Nachbarland alle seine Erfahrungen insbesondere im Bezug auf den Umgang mit Sanktionen übermitteln … angesichts der diversen Herausforderungen müssten beide Länder eine gemeinsame Front bilden. Der syrische Ministerpräsident erwidert: Wir hoffen, beide Seiten schaffen die Grundlage für eine gemeinsame Freihandelszone … Iran realisiert derzeit Projekte im Wert von 600 Mill. $ im Bereich Stromversorgung, Ölindustrie und Transportwesen. (Oxford Business Group, Briefing, 17.2.)

[4] Nach massivem Druck der Bush-Administration hat Erdogan inzwischen den Besuch in Jerusalem nachgeholt.

[5] Als Auftakt zum Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen hat Russland im vergangenen Jahr Syrien Schulden erlassen, die sich auf 13,4 Mrd. Dollar beliefen, d.h. 40 Prozent seiner gesamten Auslandsschulden. Im Februar 2005 besucht der russische IHK-Präsident, Jewgeni Primakow, Damaskus und verspricht wichtige Beiträge zur Entwicklung der syrischen Wirtschaft: bei der Erkundung und Gewinnung von Erdöl und Erdgas bei der Wiederherstellung und beim Ausbau des Straßennetzes und im Hinblick auf die Errichtung eines Industriezentrums. Zudem werden Waffenlieferungen vereinbart. Im Oktober 2004 wurden die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der EU erfolgreich abgeschlossen, die Ratifizierung steht allerdings noch aus. Neben der Entwicklungshilfe der einzelnen Mitgliedsländer unterstützt Brüssel kontinuierlich „Projekte in den Bereichen Energie, Gesundheit, Ausbildung und Industrie“; die Zuschüsse seit 1995 belaufen sich auf über 235 Mio. Euro. (Arab News, 25.2.)

[6] Israel beschuldigte Syrien, hinter dem Selbstmord Anschlag in Tel Aviv zu stehen. Es bestehe kein Zweifel daran, daß der Anschlag von der Gruppe Islamischer Dschihad in Syrien angeordnet worden sei, sagte Scharon. (FAZ, 28.2.) Bush: Die Vereinten Nationen und andere Länder wissen auch, dass der jüngste Terroranschlag in Tel Aviv von einer radikalen von Damaskus aus agierenden Palästinensergruppe ausgeführt wurde. Syrien hat wie Iran in der Vergangenheit immer wieder Terroristengruppen unterstützt, um im Nahen Osten Konflikte und Chaos zu schüren, und es ist in höchstem Maße wahrscheinlich, dass sie erneut auf diese Strategie zurückgreifen werden. Es ist an der Zeit, dass Syrien und Iran aufhören, Mord als politisches Instrument zu verwenden und Terrorismus zu unterstützen. (Rede vom 8.3.)

[7] Mahmud Abbas hat sich Bushs Gunst zugezogen, weil er die radikalen Palästinenser als „Terroristen“ bezeichnet und versprochen hat, sie zu entwaffnen und einzusperren. Gegenüber Israel reduziert er die palästinensischen Ansprüche auf ein Minimum und gilt als Hoffnungsträger, der bei den demnächst anstehenden Parlamentswahlen in den Autonomiegebieten einen Sieg der Hamas verhindern kann.

[8] Früheren US-Regierungen war es durchaus recht, dass die Syrer im Libanon für Stabilität sorgten und den Hizbullah unter Kontrolle hielten.

[9] Libanesische Zeitungen bebildern derzeit die von Amerika und der libanesischen Opposition erhobenen Vorwürfe mit eindrucksvollen Zahlen: An Nahar spricht von einem Verlust der libanesischen Ökonomie von 20 Mrd. $ in den letzten 12 Jahren, der auf die syrische Präsenz zurückzuführen sei. Die Studie hat herausgefunden, dass zwischen 1993 und 2005 syrische Arbeiter im Libanon 6,7 Mrd. $ nach Hause transferiert haben. Im gleichen Zeitraum musste der libanesische Markt eine Flut billiger syrischer Produkte aushalten, deren Wert sich lt. Studie auf 4 Mrd. $ belief. (Daily Star Libanon – im folgenden DS –, 22.3.) Warum die Studie nicht zum Ergebnis kommt, dass durch die jahrzehntelange Ausbeutung Hunderttausender syrischer Gastarbeiter das Bruttosozialprodukt im Libanon immens gesteigert wurde und billige Importe die Wirtschaft zusätzlich ankurbelten, werden ihre Verfasser schon wissen.

[10] Daneben wird gefordert, Syrien müsse die Unterstützung von Terroristen einstellen, die Entwicklung von ballistischen Raketen und die Entwicklung und Produktion von biologischen und chemischen Waffen stoppen sowie sämtliche UN-Resolutionen erfüllen.

[11] Die Wirkungen der Resolution bleiben zunächst aber eher bescheiden: Syrien reduziert nur geringfügig seine Truppen; nach Absprache mit Syrien ändert das libanesische Parlament gegen das Diktum des Sicherheitsrats die Verfassung und verlängert die Amtszeit des pro-syrischen Präsidenten, Emile Lahoud, um drei Jahre; gemeinsam bezeichnen die syrische und die libanesische Regierung in einer Erklärung die Resolution als Einmischung in libanesische Angelegenheiten. Die syrische Präsenz in Libanon beruhe auf gegenseitigen Abmachungen und gehorche lokalen und regionalen Notwendigkeiten, nicht den Launen der Großmächte. (NZZ, 21.10.04)

[12] Der ehemalige Ministerpräsident und jetzige „Märtyrer“, Rafik Hariri, war ein Meister in diesem Metier: Große Teile des Staatsbudgets flossen in den Wiederaufbau Beiruts, wo seine Familie die meisten Grundstücke besitzt und seine Firmen die Bauarbeiten ausführen. Seinen Hinterblieben hinterlässt er ein riesiges Firmenimperium und ein Milliardenvermögen. Gute Voraussetzungen für seine Nachkommen, auch politisch das Erbe des „großen libanesischen Patrioten und Helden“ anzutreten.

[13] Die US-Regierung hat Assad ein Ultimatum gestellt: vollständiger Abzug bis zum 30. April. Bush präzisiert: Wir erwarten von den Syrern völlig draußen zu sein. Dabei meine ich nicht nur die Truppen, sondern auch die Geheimdienstleute, die sie in Regierungsstellen und andere Positionen eingeschleust haben. Sie müssen komplett aus dem Libanon raus. (Interview mit der „Libanese Broadcasting Corporation“, 18.4.)

[14] Der Sicherheitsrat richtet eine unabhängige internationale Untersuchungskommission ein, die alle Aspekte des Terroranschlags auf Hariri untersuchen soll, mit der die libanesischen Behörden uneingeschränkt zusammenarbeiten müssen. Die Kommission hat Befugnis, alle Informationen und Beweise …, die sich auf den Terrorakt beziehen, zusammenzutragen, sowie alle Amtsträger und sonstigen Personen in Libanon zu befragen … im gesamten libanesischen Hoheitsgebiet Bewegungsfreiheit genießen … Zugang zu Orten und Einrichtungen, die die Kommission als relevant für die Untersuchung erachtet. (Resolution 1595)

[15] Eine ähnliche Politik betreibt Russland: Auch Putin fordert den Rückzug Syriens aus dem Libanon, wenn er dabei auch – wegen der labilen Verhältnisse im Land – mehr „Augenmaß“ fordert. Er ist explizit gegen einen Sturz Assads und demonstriert gleichzeitig, dass er mit dafür sorgen will, dass die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten so erhalten bleiben, wie die USA sie – bisher – gewünscht und eingerichtet haben. Syrien verweigert er russische Mittelstreckenraketen, weil er an der unbestrittenen militärischen Überlegenheit Israels nichts ändern will. Zugleich liefert Putin aber – trotz Jerusalemer Proteste – Luftabwehrraketen mit geringer Reichweite und erklärt gegenüber israelischen Journalisten: Diese Raketen … sind für Israel keine Gefahr. Um mit ihnen Bekanntschaft zu machen, muss man Syrien überfallen. Das wollen Sie doch nicht? (RIA Nowosti, 28.4.)