Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Streik bei Volkswagen de Mexico und seine ‚Nachbereitung‘
Eine kleine Lektion in „Globalisierung“
Eine aus sachverständiger Sicht unverständliche Lohnerhöhung bei VW in Mexiko verweist auf das, was betriebswirtschaftlich geboten und von VW musterhaft praktiziert wird: globale und nationale Standortpflege
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der Streik bei Volkswagen de Mexico
und seine ‚Nachbereitung‘
Eine kleine Lektion in
„Globalisierung“
Wie es sich für einen modernen Weltkonzern gehört, hat die Volkswagen AG eine homepage, und auf der gibt sie jedem, der es wissen will, bekannt, was das Unternehmen unter dem Schlagwort Globalisierung versteht:
„In der Volkswagen-Welt wollen wir mit neun Marken die in der Qualität besten und attraktivsten Autos entwickeln, kostengünstig herstellen und erfolgreich verkaufen. Wir wollen damit den größtmöglichen Erfolg auf den Weltmärkten und für die eingesetzten Ressourcen erreichen. Die Menschen der Volkswagen-Welt wollen sich dadurch stabile Arbeits-, Lern- und Lebensverhältnisse sichern.“
Die Gewerkschaft von VW de Mexico,
einem Standort dieser kapitalistischen Produktions-Welt,
bezieht die netten Worte, die im letzten Satz stehen, auf
sich und die Interessen ihrer Mitglieder. In Anbetracht
der glänzenden Bilanzen, die das Unternehmen dank deren
Arbeitsleistung vorweisen kann – in Mexiko läuft
weltexklusiv der New Beetle vom Band, der in mehr als
80 Länder exportiert wird
, das „vergangene Jahr
ging als Rekord in die Werksgeschichte ein: Der Umsatz
stieg um 7,7% auf 7 Milliarden Dollar“
(FAZ, 6.9.), der Konzern
plant „in den kommenden fünf Jahren 1,5
Milliarden Dollar“ zusätzliche Investitionen und
in Puebla ein Autoteile-Zentrum für ganz
Nordamerika
(FAZ, 7.9.) –
hält sie ein wenig eigenverantwortliches Kümmern um
stabile Lebensverhältnisse
der Belegschaft nur für
recht und billig. Zur Kompensation der Geldentwertung im
Land, und weil die Angehörigen der einen „Volkswagen-
Welt“ an anderen Standorten ja auch um einiges höher
entlohnt werden, fordert sie eine Lohnerhöhung um 21% und
ruft, nachdem das Unternehmen kein Angebot gemacht
hat
(taz, 20.8.), zum
Streik auf. Am 5.9. einigen sich Unternehmen und
Gewerkschaft auf eine Lohnerhöhung, die nach
Gewerkschaftsangaben einschließlich der
Lohnzusatzleistungen
– Lebensmittelgutscheine und
Schulmaterial – 14,7% beträgt.
Der wirtschaftliche Sachverstand einer ‚Zeitung für Deutschland‘
hält das für einen riesigen Skandal. In den Frankfurter
Redaktionsstuben rechnet man nach und kommt zu dem
Ergebnis, dass der Abschluss schon ohne
Lohnzusatzleistungen ziemlich unerhört ist: „Bei
einer angenommenen Inflationsrate von rund 6
Prozent zum Jahresende ergäbe sich daraus für 2001
eine reale Lohnsteigerung um mehr als 4
Prozent.“ Ein Lohn, der real steigt, und das
auch noch um vier Prozent – wo gibt’s denn so was! Und
berücksichtigt man dann auch noch Lohnzusatzleistungen,
schreit die Ausplünderung des Konzerns durch seine
Arbeiter geradezu zum Himmel: Bei VW erreichen sie
weit mehr als die Hälfte des regulären Arbeitsentgeltes:
Der Durchschnittslohn betrug vor der Erhöhung 226 Peso
(54 DM) am Tag, die Prestaciones (i.e.
Lohnzusatzleistungen) summierten sich auf 130 Pesos (31
DM)
– pro Monat zwar, aber was spielen solche
Kleinigkeiten für eine Rolle, steht doch so wie so außer
Frage, dass die Arbeiter dort einfach überbezahlt sind:
„Bei VW-Mexiko gilt die Sechs-Tage-Woche mit 44
Arbeitsstunden. Ein Kilogramm Tortillas und ein Kilogramm
Bohnen, die Hauptnahrungsmittel der Mexikaner, kosten in
Puebla zusammen etwa 11 Peso.“ (FAZ, 6.9.)
Gemessen also an der ortsüblichen Hungerleiderdiät, ging
es den VW-Arbeitern vor dem Streik blendend. Die hat als
Maßstab für ihre Entlohnung zu gelten – und nicht
irgendeine Preissteigerung von Waren, die ohnehin außer
ihrer Reichweite liegen, deswegen auch gar nicht sie,
sondern vor allem die Mittelschicht
(El País, 7.9.) betreffen. Was einem
VW-Arbeiter in Mexiko gerechterweise zusteht, hat sich am
landesüblichen Existenzminimum zu bemessen – nicht etwa,
weil man in der Frankfurter Redaktion den mexikanischen
Arbeitern nicht mehr gönnen würde. Vielmehr aus ganz und
gar überparteilichen, weil einfach nur für die
maßgeblichen Kalkulationen eines kapitalistischen
Weltkonzerns Partei nehmenden Gründen: Schon jetzt
sind die Stückkosten höher als in Brasilien.
(FAZ, 6.9.) Und wenn die
Volkswagen-Welt
ihren größtmöglichen Erfolg auf
den Weltmärkten
dadurch erzielt, dass sie das
Lohn-Leistungsverhältnis (i.e. „die Stückkosten“) in den
einzelnen Unternehmen beständig optimiert, um es dann den
andernorts Beschäftigten der Volkswagen-Welt
als
Sachzwang zu präsentieren, der allein reguliert, mit wie
viel Geld für ihren Lebensunterhalt sie rechnen dürfen,
dann sind – genau genommen – schon die Löhne, die VW
seinen Arbeitern in Mexiko bislang gezahlt hat,
betriebswirtschaftlich kaum zu rechtfertigen.
Standortpflege global …
VW do Brasil versus VW de Mexico – so vergleicht der
Konzern seine eigenen Standorte am Kriterium der
relativen Billigkeit ihrer Belegschaften, und die
Freiheit, die er so bei der Bemessung des
Lebensunterhaltes seiner Arbeiterschaften genießt, will
er sich nicht nehmen lassen. Seine Reaktionen weisen
dementsprechend in die Zukunft. Was den Streik selbst
betrifft, hat der Konzern selbst zwar nicht übermäßig
viel eingebüßt: VW ist dieses Mal mit einem blauen
Auge davongekommen, denn pikanterweise stärkte die
Absatzschwäche die Verhandlungsposition. (…) Wegen der
Konjunkturflaute in Amerika, (…) muss der Gesamtausstoß
(…) um fast genau die im Streik verloren gegangene
Stückzahl verringert werden.
(FAZ, 7.9.) Aber die Menschen der
Volkswagen-WeIt
haben sich ihre stabilen Arbeits-
und Lebensverhältnisse
eben zuallererst durch
Fügsamkeit zu „sichern“, wenn sie überhaupt in deren
Genuss gelangen wollen: Nachdem es in Puebla zwei
Jahre hintereinander Streiks gegeben hat, stellen manche
in Wolfsburg die Verlässlichkeit des Standorts in Frage.
‚Arbeitsniederlegungen beeinträchtigen grundsätzlich die
Wettbewerbsfähigkeit im Konzern‘, hieß es dazu aus der
deutschen Zentrale.
(ebd.) Nach Angaben der Firma wird VW
die Intransigenz der Gewerkschaft nicht tolerieren, die
bereits letztes Jahr eine 18%ige Lohnerhöhung erreicht
habe.
(www.securities.com) Der Streik habe
sich negativ auf das Betriebsklima ausgewirkt und werde
voraussichtlich Entlassungen nach sich ziehen,
wird
ein Vorstandsmitglied zitiert. Das Betriebsklima eines
kapitalistischen Unternehmens wird eben immer nur durch
die Ansprüche gestört, die von seiner menschlichen
Manövriermasse ausgehen, und die ist es auch, die dafür
haftbar gemacht wird: „Sehr wahrscheinlich müssen
mehr Arbeiter gehen, 600 sind ja schon weg. (…)
Die beabsichtigten Investitionen in Mexiko von 1,5
Milliarden Dollar in den nächsten .fünf Jahren würden
ausgesetzt.(…) VW werde das Modell
Jetta/Bora künftig auch in China produzieren, um weniger
von der mexikanischen Fertigung abhängig zu sein.“
(FAZ, 7.9.) Die rentable
Arbeit seiner über die ganze Welt verstreuten
Belegschaften macht VW zu dem Weltkonzern, der dann auch
die Freiheiten hat und wahrnimmt, sich weiterhin auf die
ganze Welt als seinen Standort zu beziehen und sich so
global um seinen größtmöglichen Erfolg auf den
Weltmärkten
zu kümmern: Weil er allenthalben über
rentabel zu nutzende Arbeitskräfte verfügt, ist er – im
Unterschied zu denen – in der bequemen Position, von
keinem einzigen seiner Standorte abhängig
zu sein,
kann seine Investitionen von einer Ecke der Welt in die
andere schieben bzw. dort mit ‚Investitionsentzug‘
drohen, wo ihn eine streikwillige Belegschaft in seiner
Dispositionsfreiheit zu beschränken droht.
… und national
Freilich sieht sich Volkswagen auch zu einer besonderen
Pflege seines Standorts Mexiko veranlasst – an dem will
das Unternehmen ja schon auch weiterhin gut verdienen. Da
reicht die Macht seiner ökonomischen Mittel bereits zu
einigem: Nicht zuletzt seine Investitionen zur
beständigen Steigerung der Rentabilität der Arbeit sind
es, die Arbeitskräfte freisetzen und VW auf ein Heer von
Arbeitswilligen zugreifen lässt, die sich sehr viel
bieten lassen müssen für wenig Lohn. Beschränkt in der
freien Handhabung seiner ökonomischen Machtmittel sieht
der Konzern sich eigentlich nur noch durch den in Mexiko
amtierenden politischen Souverän. Der hat – wie wiederum
dem Frankfurter Hausblatt von VW zu entnehmen ist –
offenbar noch immer nicht verstanden, dass er als
politischer Filialleiter der Geschäfte eines Weltkonzerns
und sonst nichts gefragt ist, mit seinem Recht und Gesetz
also allein den Ansprüchen
zu dienen hat, die
Volkswagen als Notwendigkeiten seines Geschäftserfolgs
geltend macht: Die Werksleitung fordert zu Recht die
Abschaffung der Neuwagensteuer im Inland; den Freihandel
mit Südamerika und vor allem eine Reform des
Arbeitsrechts. Dieses begünstigt die Beschäftigten in
Tarifverhandlungen und Arbeitsrechtsprozessen und zwingt
die Unternehmen fast immer, sich dem Willen der
Gewerkschaften zu beugen.
Es entspreche nicht den
Ansprüchen einer modernen Industriegesellschaft und
erschwere die Lösung von Tarifkonflikten.
(FAZ, 7.9.) Die mexikanische
Regierung, mit ihrem vorbildlichen,
wirtschaftsliberalen
– so eine maßgebliche Stimme aus
Amerika – Präsidenten an der Spitze, ist in dieser
Hinsicht zwar schon ziemlich auf der Höhe der Zeit und
hat kapiert, dass Streiks einfach nicht mehr in unsere
schöne neue Welt passen – letztes Jahr hatte das
Arbeitsministerium einen Streik für illegal erklärt, weil
die Gewerkschafter die Fahne zu früh gehisst hatten.
(FAZ, 20.8.01) Aber was nützt
das schon, solange sie nicht mit dem passenden
Arbeitsrecht eine Botmäßigkeit der Belegschaft
garantiert, die mindestens der von Wolfsburg entspricht.
Dort werden Tarifkonflikte
im harmonischen
Zusammenspiel zwischen Personalchef und Betriebsrat
gelöst
, und was einer sozialpartnerschaftlichen
Gewerkschaft in einer modernen Industriegesellschaft
gelingt, dürfte in Mexiko bei etwas gutem Willen nur umso
leichter sein: Dort sind es bekanntlich ja nur Bohnen und
Tortillas, für die der Lohn zu reichen hat, und das
vereinfacht die für die Belegschaften fällige
Überzeugungsarbeit doch enorm. Dann hält der mexikanische
Staat auch noch an so etwas Altmodischem wie einer
Besteuerung von Neuwagen fest und lässt auch nicht jeden
Geschäftsartikel einfach so seine Grenzen passieren –
eindeutige Verfehlungen der Regierung, die vom
publizistischen Sprachrohr des deutschen
Wirtschaftsimperialismus mit einer Gewinnwarnung eigener
Art geahndet werden: Das Beispiel VW sollte Investoren
warnen, sich nicht voreilig für Mexiko zu entscheiden und
dem neuen Präsidenten Fox auf den Leim zu gehen, der sein
Land gern als ‚besten Standort der Welt‘ anpreist.
(FAZ, 6.9.) So sehen also die
Segnungen der Globalisierung aus, die es einem
sachverständigen Urteil zufolge einem
Schwellenland
wie Mexiko ermöglichen sollen, einen
erfolgreichen Prozess nachholender industrieller
Entwicklung zu durchlaufen.
(D.
Nohlen, Hg., Lexikon Dritte Welt, Reinbek 2000)
Was da an industriellen Prozessen läuft, wird nach
Maßgabe von Volkswagen
- und anderer
kapitalistischer Konzern- Welten
entschieden. Die
sind es, die weltweit mit dem Kapital, das sie den
Leistungen ihrer Beschäftigten zu verdanken haben,
disponieren und bei ihren Dispositionen in Mexiko längst
nicht mehr nur die nützlichen Armen dort von sich
abhängig wissen: Mit dem positiven Interesse, das der
politische Souverän des Landes an erfolgreichen
Geschäften von VW de Mexico nimmt, wird er dazu
erpresst, seine Macht gefälligst für das Wegräumen aller
nur denkbaren Hindernisse eines reibungslosen Geschäfts
von VW zu verwenden! Noch bestehende arbeitsrechtliche
Schranken bei der Ausbeutung der heimischen Bevölkerung
ebenso abzuschaffen wie die eigenen Verdienstquellen an
dem, was im Land an kapitalistischem Reichtum produziert
wird: Das ist die nachholende Entwicklung, die
ein Schwellenland
wie Mexiko für die Betreiber des
globalisierten Weltgeschäfts zu durchlaufen hat!