Sachdienliche Auskünfte zur Modernisierung des amerikanischen Imperialismus

Amerikas Geld beherrscht die Weltmärkte für Waren und Kapital. Amerikas Cyber-Industrien dominieren die globale Kommunikation. Amerikas Kriegsflotten kontrollieren die Weltmeere. Amerikas strategische Waffen zerlegen bei Bedarf jedes feindliche strategische Potenzial. An der weltweiten Ächtung und praktischen Zerstörung der russischen Macht wird gearbeitet. Chinas Bemühungen um eine Revision der herrschenden Weltordnung kontert Amerika mit einer kalten Kriegserklärung der Demokratien – der Guten – gegen die Autokraten – die Bösen.

Woran fehlt es ?

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Sachdienliche Auskünfte zur Modernisierung des amerikanischen Imperialismus

Amerikas Geld beherrscht die Weltmärkte für Waren und Kapital. Amerikas Cyber-Industrien dominieren die globale Kommunikation. Amerikas Kriegsflotten kontrollieren die Weltmeere. Amerikas strategische Waffen zerlegen bei Bedarf jedes feindliche strategische Potenzial. An der weltweiten Ächtung und praktischen Zerstörung der russischen Macht wird gearbeitet. Chinas Bemühungen um eine Revision der herrschenden Weltordnung kontert Amerika mit einer kalten Kriegserklärung der Demokratien – der Guten – gegen die Autokraten – die Bösen.

Woran fehlt es ?

Aus amerikanischer Sicht: an einer absoluten zukunftsfesten Erfolgsgarantie. Dass die womöglich nicht zu haben ist in einer Welt konkurrierender Souveräne, lassen die USA nicht gelten. Sie wissen, wo die zu haben ist: Sie verlangen sie sich ab.

Nähere Auskünfte erteilt der Sicherheitsberater der Regierung, Jake Sullivan, in einer Rede vom September letzten Jahres. [1]

I.

Sullivan beginnt seine Ausführungen mit einem Rückblick:

„Vor etwas über einem Jahr ... hatte ich Gelegenheit, ein paar Überlegungen zur digitalen Revolution vorzutragen. Ich stellte dar, dass nach der liberalisierenden Welle von Innovationen der frühen Internet-Ära und der autoritären Gegenrevolution der 2000er Jahre, wo unsere Konkurrenten und Gegner unsere Selbstzufriedenheit und inhärente Offenheit ausnutzten, wir nunmehr eine ‚dritte Welle‘ der digitalen Revolution einleiten müssen, um sicherzustellen, dass neu entstehende Technologien für und nicht gegen unsere Demokratien und unsere Sicherheit arbeiten. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Fortschritte in Wissenschaft und Technologie die geopolitische Landschaft des 21. Jahrhunderts bestimmen werden.“

Er sagt es ihnen trotzdem. Vielleicht auch deswegen, weil es dann doch nicht so selbstverständlich ist, nicht einmal für Amerikaner, bei technischem Fortschritt gleich an die Rivalität von Großmächten zu denken. Genauso wenig selbstverständlich wie seine Gleichsetzung dieser Rivalität mit einem Ringen zwischen Wertesystemen, einem guten und einem bösen. Und ob wirklich jeder an das denkt, woran Sullivan denkt, wenn er die jüngere Geschichte digitaler Technologien als ein kindermärchenreifes wellenförmiges Ringen zwischen Freiheit und Unterdrückung schildert? Dennoch: Ein Moment dieses Märchens, nämlich das entscheidende, ist tatsächlich Realität: Die wahre Bedeutung der mit „früher Internet-Ära“ angesprochenen Produktivitätsfortschritte des Kapitals, der neuen Dimension globaler Märkte, militärischer Innovationen und der global tonangebenden Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens liegt tatsächlich in der erfolgreichen amerikanischen Beherrschung des Globus. Die „liberalisierende Welle“, sprich: die von Amerika ausgehende, weltumspannende Vernetzung von allem und jedem war gerade in ihrer „Offenheit“ das Modell der amerikanischen Dominanz der „one world“ des globalen Kapitalismus. So wurde der Rest der Welt ganz praktisch von amerikanischen Unternehmen abhängig gemacht — und für ihre Geheimdienste auch zugänglich gemacht. Eine selten schöne Revolution.

Doch dann kam leider die Gegenrevolution der Autoritären. Das sind diejenigen, die die „inhärente Offenheit“ der Amerikaner genauso verstanden haben, wie sie immer gemeint war, aber die von ihnen verkündete Freiheit der globalen Konkurrenz trotzdem genau so benutzt haben, wie sie ihnen angeboten wurde: als die Gelegenheit zur Benutzung und zum Benutztwerden durch amerikanisches Geld und Kapital, um sich zu stärken. Und zwar – da wird es problematisch, sogar verbrecherisch – inzwischen so erfolgreich, dass sie die Identität zwischen der Offenheit der Konkurrenz und ihrer Vorentschiedenheit zugunsten Amerikas praktisch bestreiten. Und das natürlich auch wollen. Dass diese Infragestellung fraglos gültiger amerikanischer Suprematie ein Verstoß gegen ein amerikanisches Vorrecht ist, scheint klar zu sein. Aber auch, dass dieses Recht schon immer nur so viel wert gewesen ist wie die Überlegenheit, für die Amerika selbst sorgen muss:

„Wir wissen, dass es nicht zwangsläufig so ist, dass wir unsere Kernstärke und unseren vergleichsweisen Vorteil in der Welt sichern. Er muss erneuert, wiederbelebt, betreut werden. Und das gilt insbesondere für die technologische Führungsrolle der USA.“

Oder wie Sullivan an anderer Stelle seiner Rede vermerkt: Es geht um

„die enorme Aufgabe der Neugestaltung des Feldes, auf dem sich der künftige technologische Wettbewerb abspielen wird. Und wir stehen einem Konkurrenten gegenüber, der entschlossen ist, die technologische Führungsposition der USA zu übernehmen, und der bereit ist, nahezu unbegrenzte Ressourcen für dieses Ziel einzusetzen.“

Amerika muss also besser werden, was damit zusammenfällt, dass es der Weltmarkt auch muss. Denn die Offenheit und Freiheit der globalen Konkurrenz sind nur so und nur solange gut, wie sie Amerikas ökonomische Führerschaft garantieren. Und zugleich gibt es genau dafür keine Garantie – Letzteres drückt Sullivan gleich als die Zusicherung aus, dass die US-Regierung auf keinen Fall den Fehler begehen will, der in einer Nation von Konkurrenznaturen als Kardinalsünde gilt: die Selbstzufriedenheit der Überlegenen. Amerika weiß, dass es konkurrieren muss, um wieder konkurrenzlos überlegen zu sein; dass umgekehrt sein angestammtes, heiliges Recht auf Führerschaft erkämpft werden will.

Diese „enorme Aufgabe“ nennt Sullivan die „Neugestaltung“ eines „Feldes“ – und das ist schon ein sehr höflicher Hinweis darauf, was Amerika unter der Konkurrenz um technologische Führerschaft versteht.

II.

Mit der Umsetzung des Projekts, die USA in der Weltmarktkonkurrenz neu aufzustellen, fängt die Regierung Biden zuhause an:

„Unter der Führung von Präsident Biden haben wir eine tiefgreifende Integration von Innen- und Außenpolitik ... in die Grundlage unseres Ansatzes eingebaut... Wir verfolgen eine moderne Industrie- und Innovationsstrategie, um in unsere Stärken im eigenen Land zu investieren, die auch unsere Stärke in der Welt ausmachen... Wir sehen vier Säulen im Zentrum unserer Strategie:
  • Investitionen in unser Wissenschafts- und Technologie-Ökosystem
  • Förderung der besten MINT-Talente
  • Schutz unserer Technologievorteile
  • Vertiefung und Integration unserer Allianzen und Partnerschaften.“

„Erstens: Investitionen in unser Wissenschafts- und Technologie-Ökosystem“

„Ökosystem“ bringt zum Ausdruck, dass es hier um einen für die Nation lebenswichtigen Gesamtzusammenhang geht. Die Gesamtheit der Institutionen und Einrichtungen, in denen in den USA staatlich wie privat mit unterschiedlichen Zielsetzungen und im Dienste verschiedener, auch konkurrierender, geschäftlicher wie politischer Kalkulationen gelehrt, geforscht und entwickelt wird, [2] darf und soll man sich als System denken, als einen ebenso funktionalen wie für alle nationalen Zwecke einsetzbaren Organismus, der damit befasst ist, nützliche Erkenntnisse aller Art auszubrüten und dem Staat zur Verfügung zu stellen. Welche Technologien es sein werden, die zukünftig konkurrenzentscheidend sein werden und deshalb aktuell besonders zu fördern sind, dazu hat Sullivan ein paar Ideen:

„Grundsätzlich glauben wir, dass einige wenige Technologien im kommenden Jahrzehnt von besonderer Bedeutung sein werden: Rechentechnologien ... Biotechnologien ... saubere Energietechnologien ...“

Warum und inwiefern, das versteht sich praktisch von selbst:

„Rechentechnologien ...“ etc. „sind neue Quellen des Wirtschaftswachstums ... der Motor für fortschrittliche militärische Modernisierungsbemühungen.“ „Biotechnologien ...“ etc. machen „die Biologie programmierbar“ und taugen „für Durchbrüche in allen Bereichen, von der Arzneimittelentdeckung bis zur chemischen und Materialherstellung.“ „Der weltweite Übergang zu sauberer Energie ... wird ... eine wichtige Quelle für Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum sein“ und „die langfristige Energieunabhängigkeit und Energiesicherheit der USA gewährleisten.“

Das ist nicht bloß kapitalistisch gedacht, entlang der Gleichung: Gebrauchswerte sind fürs Wachstum da; vielmehr weltherrschaftlich in einem mehrfachen Sinn: Geschäft und Gewalt sind Rechengrößen, ihr Erfolg beruht auf Algorithmen, und wer die perfekt entwickelt und beherrscht, ist prinzipiell unschlagbar. Mit der technologischen Beherrschung der Biologie unterwirft man die gesamte Macht der organischen Natur dem Interesse, sie umfassend und lückenlos – „programmierbar“ – auszunutzen. Und die industrielle Eigenproduktion von Energie in Amerika fällt damit zusammen, dass die ganze Welt dabei mitzieht. Den Sinn der einschlägigen Investitionen sieht Sullivan nicht im privaten Profit, sondern im Nutzen für die Nation; und das auch nicht so, dass dem Land und seiner Führung da lauter schöne Beiträge zu Macht und Reichtum zuwachsen, sondern umgekehrt im Sinne einer Herausforderung, die für Amerikas Weltmacht geradezu einen Sachzwang darstellt:

„Computergestützte Technologien, Biotechnologie und saubere Technologien sind echte ‚Kraftmultiplikatoren‘ im gesamten technologischen Ökosystem. Und eine Führungsrolle in jedem dieser Bereiche ist ein Gebot der nationalen Sicherheit.“

Amerikas Existenz als ihrer selbst sichere Macht – so der Profi in dieser Angelegenheit – steht und fällt mit der ausschließlichen Verfügungsgewalt über die ökosystemischen Quellen aller Fähigkeiten und dinglichen Potenzen, die je als Herrschaftsmittel infrage kommen können; über die Bedingungen der Möglichkeit erfolgreicher Macht. Und weil der nötige Erfolg naturgemäß in der Zukunft liegt, muss Amerika der Zukunft einen Schritt voraus sein und festlegen, worauf es ankommt.

Wie das gehen soll? An materiellen Erfolgsmitteln fehlt es den USA jedenfalls nicht. Sie sind laut Sullivan in der glücklichen Lage, das anstehende Sicherheitsproblem per Anordnung zu lösen. Exemplarisch:

„Die EO [executive order] über Biotechnologie und Biomanufacturing stellt sicher, dass wir die nächste Generation von Medikamenten, Materialien und Kraftstoffen nicht nur hier entwickeln, sondern auch hier herstellen – from lab to fab, wie man so schön sagt.“

Geld spielt keine Rolle – das hat man. Man muss es nur einsetzen. Dann funktioniert der kurze Schluss vom exklusiven Können zum monopolisierten Machen ganz von selbst.

Ein Vorbild dafür: die Wiederherstellung amerikanischer Führung in einer Branche, deren Beherrschung die Nation fahrlässig aus der Hand gegeben hat, durch Bidens CHIPS-Gesetz:

„Mit dem Gesetz werden 52 Mrd. $ investiert, um die Führungsposition der USA in der Halbleiterherstellung und in der Forschung und Entwicklung wiederherzustellen und unsere übermäßige Abhängigkeit von im Ausland hergestellten Chips zu verringern. Das ist eine Investition, die die tatsächlichen Kosten des Manhattanprojekts übersteigt.“

Auf den Vergleich mit dem Aufwand für die Entwicklung der Atombombe im Zweiten Weltkrieg muss man auch erst mal kommen. Kommt ein Sicherheitsberater aber ganz leicht, wenn er sowieso die Welt unter dem Gesichtspunkt monopolisierter amerikanischer Verfügungsmacht über gegenwärtige und zukünftige unschlagbare Gewaltmittel durchmustert und keinen Unterschied mehr kennt: zwischen ziviler und militärischer Überlegenheit seiner Nation; zwischen angestrebter, als Tatsache verbuchter und praktisch vollzogener Unterwerfung der Staatenwelt unter das Regime der USA; am Ende zwischen dem Rivalen China und dem japanischen Kaiserreich, zwischen Taiwan und Pearl Harbor.

Das zivile kapitalistische Geschäftsleben gerät darüber nicht in Vergessenheit – lohnen muss sich das Ganze nebenher schließlich auch noch; das versteht sich für einen guten Amerikaner von selbst. Das Kapital kriegt daher seine Funktion zugewiesen im Rahmen des nationalen Sicherheitsprogramms; freilich mehr als Helfer bei der Geldbeschaffung und erst dann als Profiteur:

„Bei jeder dieser Investitionen ist es unser Ziel, privates Kapital ‚einzuschleusen‘, nicht zu ersetzen, und ‚geduldiges Kapital‘ anzuziehen, um kritische Technologien zur Marktreife zu bringen. Insbesondere bei den Energietechnologien der nächsten Generation ... kann eine proaktive Investitionsstrategie uns später Milliarden von Dollars sparen.“

Langfristig rentiert sich die Indienstnahme des privaten Reichtums für Amerikas Weltherrschaft unweigerlich für alle Seiten.

„Zweitens: Förderung der besten MINT-Talente“

„Die zweite Säule ist die Entwicklung, Anwerbung und Bindung von Spitzentalenten. Am einfachsten können wir dieses Ziel erreichen, indem wir sicherstellen, dass die Vereinigten Staaten das bevorzugte Ziel für alle erstklassigen MINT-Talente auf der ganzen Welt bleiben.“

Auch in der Frage des durchaus umfänglichen Personals, das für das großangelegte Projekt strategischer Innovation benötigt wird, nimmt Bidens Sicherheitsberater den Standpunkt des Zugriffs ein. An der Stelle kann er konstruktiv anknüpfen an den Standpunkt, den die USA in dieser Frage schon immer einnehmen: Was immer es wo immer in der Welt an hellen Köpfen gibt, die dabei nützlich sein könnten, aus dem amerikanischen Ökosystem die führendsten Technologien emergen zu lassen – sie gehören nach Amerika, wohin sonst. „Investition in heimische Forschung und Ausbildung“ findet sowieso statt; aber auch im Ausland gibt es ein riesiges Reservoir fertig ausgebildeter Talente, die in Amerika gut zu gebrauchen sind. Da trifft es sich gut, dass die minderbemittelten Gemeinwesen, die diese intellektuellen Nachwuchskräfte für ihre staatspolitischen Zwecke und Berechnungen haben ausbilden lassen, denen nach ihrer Ausbildung die finanziellen und karrieremäßigen Perspektiven nicht bieten können, die in Amerika winken. Für diese hellen Köpfe hat Amerikas Zugriff den Charakter eines Angebots; den Aufwand für ihre Ausbildung können sich die USA glatt sparen. Was den globalen Arbeitsmarkt für „Spitzenkräfte“ betrifft, kann Amerika mit der Freiheit grenzüberschreitender Migration also gar keinen Fehler machen; es muss nur die Hürden des Zugangs ins gelobte Land für solche Figuren etwas senken, also dafür sorgen, dass sie „in die Vereinigten Staaten kommen und dort bleiben können“. Ein paar Rechtsvorschriften ändern, mehr braucht es nicht, um den „brain drain“ auf Trab zu bringen:

„Wir haben neue Richtlinien herausgegeben, die die Notwendigkeit des Sponsorings durch einen Arbeitgeber für hochqualifizierte Personen mit einem fortgeschrittenen Abschluss in einem MINT-Bereich, der für die nationale Sicherheit der USA entscheidend ist, beseitigt. Solche Personen können nun eine Ausnahmegenehmigung (National Interest Waiver) beantragen...“

Für die nationale Sicherheit der Supermacht nachdenken: Eine schönere Lebensperspektive für die Jugend der Welt ist doch kaum denkbar.

„Drittens: Schutz unserer Technologievorteile“

Mit der Monopolisierung technologisch entscheidender Entwicklungen in den USA ist das anspruchsvolle Projekt der Wiederherstellung amerikanischer Führerschaft auf dem Felde der Technologie noch lange nicht fertig. Konkurrenten und Feinde der USA lassen nichts unversucht, um sich anzueignen, was ihnen nicht zusteht; dagegen gilt es sich zu wappnen. Was da alles an Umstellung fällig ist, ist Gegenstand der „dritten Säule“:

„Die dritte Säule ist der Schutz unserer technologischen Vorteile und das Verhindern, dass unsere Konkurrenten Amerikas geistiges Eigentum stehlen und unsere Technologien gegen uns oder ihre eigenen Bevölkerungen einsetzen... Bei den Ausfuhrkontrollen müssen wir die langjährige Prämisse überdenken, bei bestimmten Schlüsseltechnologien relative Vorteile gegenüber den Wettbewerbern zu behalten. Früher verfolgten wir einen ‚gleitenden Ansatz‘, der besagte, dass wir nur ein paar Generationen voraus sein müssen. Das ist nicht das strategische Umfeld, in dem wir uns heute befinden. Angesichts des grundlegenden Charakters bestimmter Technologien müssen wir einen möglichst großen Vorsprung halten. Anfang dieses Jahres haben die USA und unsere Verbündeten Russland die strengsten Technologiebeschränkungen auferlegt, die je gegen eine große Volkswirtschaft verhängt wurden. Die Maßnahmen haben enorme Kosten verursacht... [gemeint ist: für Russland] Dies hat gezeigt, dass Technologieexportkontrollen mehr als nur ein präventives Instrument sein können. Sie können ein neues strategisches Instrument für die USA und ihre Verbündeten sein, um dem Gegner Kosten aufzuerlegen und mit der Zeit sogar seine Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld zu schwächen.“

Das ist der Klartext zum Zweck amerikanischer Führerschaft in Sachen Technologie: Vorsprung heißt Überlegenheit, und die ist dazu da, Feinde nicht nur zu überholen, auch nicht nur um „ein paar Generationen“, sondern von dem amerikanisch definierten und realisierten Weltniveau in der Gleichung „Wissen ist Macht“ auszuschließen, auf das es in der Welt von Geschäft und Gewalt ankommt. Dass andere Nationen in der Hinsicht den USA nicht das Wasser reichen können, ist als selbstverständlich unterstellt.

Fragt sich nur noch, wie man einen derart uneinholbaren Vorsprung, wenn man ihn denn praktisch schon in der Tasche hat, vor unbefugtem Zugriff schützt. Das Problem: Forschungsergebnisse sind, weil Wissen, ihrer Natur nach allgemein, als Theorie für alle Welt verfügbar; sie müssen erst unzugänglich gemacht werden. Es ist da nur ein erster Schritt, sie als „Amerikas geistiges Eigentum“ zu deklarieren und ihre unerlaubte Nutzung zum Diebstahl zu erklären, um dessen Bestrafung sich die weltweit wirksame Gerichtsbarkeit der Weltmacht kümmert. Sicher, gemäß Sullivans Empfehlungen kommen auch auf das „US-Patent- und Markenamt“ neue Aufgaben und Befugnisse zu, die für private Monopolisten Nützliches leisten werden. Eine effektive nationale Diebstahlsicherung braucht aber mehr. Teil des Problems, aber auch Ansatzpunkt zu seiner Lösung ist der Umstand, dass der technologische Fortschritt im Cyber-Raum zirkuliert und in technischem Gerät vergegenständlicht ist, das im Kapitalismus nun einmal als Ware existiert und nach den alten, „langjährigen“, nun nicht mehr passenden Regeln des Weltmarkts im Prinzip für jedermann käuflich ist. Den Bereich der digitalen Existenz des Wissens und den Handel mit fortschrittlicher Ware kann eine Weltmacht aber und muss sie eben kontrollieren; und solche Kontrollen „können ein neues strategisches Instrument für die USA ... sein, wenn sie auf eine robuste, dauerhafte und umfassende Art umgesetzt werden“. Die Möglichkeit ist ein Imperativ; und die gemeinte „Art“ hat sehr Grundsätzliches zum Inhalt: Im Welthandel mit „sensibler“ Ware sind rigide durchgesetzte Einschränkungen nicht mehr Ausnahmen von der Regel freizügiger Bereicherung an fremden Märkten und Produkten anderer; durchgesetzt werden muss umgekehrt ein Generalvorbehalt, der unliebsame Konkurrenten vom Erwerb solcher Güter ausschließt. Und das muss nicht nur für die fertigen Produkte gelten, sondern erst recht für die Fähigkeit, sie zu produzieren, was im Kapitalismus eben auch – bloß – eine Frage des Geldes ist:

„Die Regierung hat auch eine Reihe von Schritten zur Modernisierung unserer Investitionssicherungssysteme unternommen. Erst gestern hat Präsident Biden eine Exekutivanordnung erlassen, die die erste präsidiale Anleitung für das CFIUS in der Geschichte des Ausschusses darstellt. Mit dieser Anordnung sind wir dem Spiel wieder einen Schritt voraus...“

Das Committee on Foreign Investment in the United States, eingerichtet schon zu Beginn des einstigen Kalten Kriegs, darf jetzt einen historischen Fortschritt im großen „Spiel“ um die Weltherrschaft begleiten und mit organisieren: die strategisch fällige Weiterentwicklung der Wunderwaffe der amerikanischen Beherrschung des globalen Kapitalismus, der Freiheit des internationalen Kapitalverkehrs hin und her über Amerikas Außengrenze, hin zur Abschottung der USA „gegen die sich entwickelnden Risiken im Zusammenhang mit bedenklichen Ländern“. Das schließt z.B. die Entscheidung ein, „ob eine Transaktion die Führungsposition der USA bei für die nationale Sicherheit relevanten Technologien beeinträchtigt“ – und wo ließe sich das schon ausschließen! Fortan gilt ganz generell nicht mehr der Grundsatz, dass kapitalistische Geschäfte in US-Dollar im Prinzip nicht und nur ausnahmsweise verkehrt sein können und dass US-Firmen an Investitionen mitnehmen und tätigen dürfen und sollen, was sich für sie lohnt. Sie werden vielmehr, ob sie wollen oder nicht, „vor räuberischen ausländischen Investitionen“ geschützt; „Auslandsinvestitionen in sensible Technologien“ unterliegen auch dann einem restriktiven „Behandlungskonzept“, wenn sie noch gar „nicht von Exportkontrollen erfasst werden“. Vorbild sind die „robusten Leitplanken“ des neuen CHIPS-Gesetzes, „die verhindern, dass Unternehmen, die Steuergeld erhalten, sich umdrehen und Investitionen in China [!] tätigen, die unsere nationale Sicherheit untergraben“. Womit das neue „strategische Umfeld“ für amerikanischen Forschergeist und Fortschritt wieder ungescheut beim Namen genannt wäre.

Dass diese neuen Geschäftsbedingungen, die sie damit dekretiert, manche Rechnung von Kapitalisten durcheinanderbringt oder gar zunichtemacht, ist der Regierung selbstverständlich bewusst. Von deren Einverständnis kann sie sich allerdings nicht abhängig machen:

„Wir haben die Absicht, der Industrie die Möglichkeit zu geben, sich zum richtigen Zeitpunkt einzubringen, und wir beabsichtigen, in einer Weise vorzugehen, die für die Beteiligten klar ist und unserer nationalen Sicherheit Rechnung trägt.“

Oder wie Sullivan so schön sagt:

„Die Bewahrung unseres Vorsprungs in Wissenschaft und Technologie ist keine ‚innenpolitische Frage‘ oder eine Frage der ‚nationalen Sicherheit‘. Es ist beides.“

„Viertens: Vertiefung und Integration unserer Allianzen und Partnerschaften“

Abschließend klärt Sullivan seine Zuhörer darüber auf, welche Rolle die Regierung Biden bei der und für ihre Neuausrichtung des Weltmarkts an den strategischen Interessen Amerikas für ihre „Verbündeten und Partner“ eingeplant hat. Das ist keine offene Frage, vielmehr durch deren Ernennung zur vierten Säule des amerikanischen Projekts in gewissem Sinne bereits beantwortet. Sie sind als dessen maßgebliche Unterstützer vorgesehen – was sollte eine Säule denn auch sonst tun?

Klar: Diese Feststellung enthält, objektiv betrachtet, durchaus das Eingeständnis, dass die USA bei der Durchsetzung ihres Programms auf das Mitmachen der anderen Weltwirtschaftsmächte angewiesen sind. China zur inferioren Macht degradieren, Russland per Wirtschaftskrieg als Militärmacht unumkehrbar schwächen – das schaffen selbst die großmächtigen USA nicht alleine. Damit das gelingt, ist der gleichsinnige Einsatz der anderen Weltwirtschaftsmächte verlangt. Amerikas Exportkontrollen entfalten ihre Wucht erst richtig, wenn die anderen mächtigen Teilhaber am Weltmarkt mitziehen; Amerikas strategische Erpressungen bekommen den Charakter der Unhintergehbarkeit erst, wenn es den USA gelingt, die maßgeblichen Konkurrenten dabei hinter sich zu versammeln. Usw. Das globale Monopol auf die lückenlose Kontrolle der Verbreitung und Verwendung aller entscheidenden Mittel des Wirtschaftens und Staatmachens, das die USA sich sichern wollen, ist nur eines, wenn es von mächtigen Verbündeten mitgetragen wird.

Gemeint ist Sullivans Kennzeichnung der Allianzen als „Säule“ des amerikanischen Projekts allerdings etwas anders. Nämlich so: Es ist ein Gütesiegel der amtierenden Regierung, dass sie Amerikas „Partner“ überhaupt in ihr Projekt einbezieht. Das darf man – hier kann und soll zum Vergleich an den verfehlten Ansatz des Vorgängers gedacht werden – als „echtes Markenzeichen der Regierung Biden“ wertschätzen; und das ist wieder sehr amerikanisch gedacht. Eindeutig einziges Subjekt der in Angriff genommenen Neuordnung sind nämlich die USA; und daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Supermacht – bzw. stellvertretend ihr Sicherheitsberater – sich dem Thema zuwendet, wozu sie dabei ihre Verbündeten gebrauchen kann. Die werden deshalb gleich konsequent als Helfershelfer bei der Durchsetzung dessen eingeführt, was die USA sich aufgrund ihrer Interessen und Notwendigkeiten vorgenommen haben; eben als vierte Säule, also nachdem feststeht, was zu tun ist. Das liest sich dann so:

„Von der Umwandlung der G7 in ein Lenkungsgremium der Freien Welt in Fragen wie Sanktionen und Energiesicherheit bis hin zur Einführung einer innovativen und weitreichenden Sicherheitspartnerschaft ... namens AUKUS vertiefen wir unser riesiges Netzwerk von Bündnissen und Partnerschaften und treiben eine strategische Ausrichtung über den Atlantik und Pazifik voran.“

Keine Frage, wer hier „umwandelt“ und wer sich umwandeln zu lassen hat. Aus der Sicht der USA jedenfalls ist das eine prima Idee: Wenn die maßgeblichen Wirtschaftsmächte schon in der G7 zusammenkommen, dann können sie doch auch gleich die Aufgabe übernehmen, als eine Art global zuständiger Transmissionsriemen von Entscheidungen und Maßnahmen im und gegen den Rest der Welt zu fungieren. Was da dann entschieden werden soll, sagen ihnen die USA schon rechtzeitig.

*

Das ist der „strategische“ Blick, mit dem der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten die eingerichteten Beziehungen der USA zu anderen Mächten in Augenschein nimmt: Wenn die Führungsmacht der Freien Welt sich eine strategische Wende vornimmt, dann verfügt sie in diesen Beziehungen über ebenso viele Hebel, sich die befreundeten Dependancen des american way of life für ihr Vorhaben zunutze zu machen:

„Wir verknüpfen unsere Bemühungen mit gleichgesinnten Volkswirtschaften zu einer integrierten Strategie, die auf der Prämisse beruht, dass wir stärker sind, wenn wir die Fähigkeiten und das gemeinsame Ziel unserer Freunde und Verbündeten nutzen.“

So einfach ist das: Angesichts dessen, dass die wichtigen „Volkswirtschaften“ ja schon längst „gleichgesinnt“ sind, steht ihrer Indienstnahme durch Amerika, ihrer „Integration“ in eine Gesamtstrategie mit klarem Verhältnis zwischen Macher und Genutzten, nichts im Wege. So wird sich nach dem Willen der Führungsmacht unweigerlich ein neues amerikadienliches Regime über die Staatenwelt herauskristallisieren. Was Amerika sich unter Bidens Vorgänger an Hilfsdiensten verscherzt hat, wird wiederhergestellt. Da sieht Sullivan die USA auf einem guten Weg:

„In den fast zwei Jahren der Biden-Administration haben wir das Fundament gestärkt, auf dem Macht und Einfluss Amerikas beruhen.“

[1] Alle Zitate aus: Remarks by National Security Advisor Jake Sullivan zum Special Competitive Studies Project Global Emerging Technologies Summit

[2] Insofern ist das neue Programm der Regierung in Sachen Forschungsförderung auch eine Ansage an die einschlägige Community. Die begreift sich nämlich keineswegs als ein nationales, an einem Strang ziehendes System, ganz im Gegenteil: Dort herrscht ein Hauen und Stechen in Sachen staatlicher Fördergelder, das die Zerwürfnisse der Politik – etwa auf dem Felde der Energiepolitik und des „green deal“ – ziemlich genau abbildet.