Die Republik Südafrika
Von den ‚homelands‘ der Apartheid zur zivilen Parallelgesellschaft gleichberechtigter Schwarzer

Aus gegebenem Anlass bieten die Auslandsexperten Bilanzen über 15 Jahre „Südafrika ohne Apartheid“, die ziemlich gemischt ausfallen, aber unisono eine „immer noch bestehende Kluft zwischen Arm und Reich“ anprangern. Vom mangelhaften Wirtschaftswachstum über das Unvermögen der politischen Klasse bis zur mangelnden Demokratiefähigkeit der Bürger – alle Beteiligten sollen dabei versagt haben, dem Land jenen „Vorbildcharakter“ für Afrika zu verleihen, den ihm die Begutachter als seine Bestimmung zuschreiben. Grund genug für eine unvoreingenommene Beantwortung der Frage: Was „klafft“ da wie und warum in Südafrika auseinander, also für eine objektive Würdigung der Herrschaft des ANC.

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Die Republik Südafrika
Von den ‚homelands‘ der Apartheid zur zivilen Parallelgesellschaft gleichberechtigter Schwarzer

Das 20jährige Jubiläum der Haftentlassung Nelson Mandelas und vor allem die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft bieten den Auslandsexperten der hiesigen Medien Anlass, das Gastgeberland etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und eine Bilanz der 15 Jahre „Südafrika ohne Apartheid“ zu ziehen:

„Die stärkste Volkswirtschaft auf dem Kontinent ... reich an Bodenschätzen ...“ Aber „etwa jeder Vierte im Land hat keine feste Arbeit. ... Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Und die Lage der Weltwirtschaft ist nicht gut genug, um die Lücke zu überbrücken.“ Diese „erzeugt Spannungen, die der regierende ANC in den kommenden Jahren abbauen muss, wenn sich Südafrikas Demokratie weiter festigen soll. Superreich und Bitterarm liegen oftmals nur einen Steinwurf voneinander entfernt. ... Das Land kämpft mit einer extrem hohen Kriminalitätsrate: ... Finanzminister Trevor Manuel schuf die Voraussetzungen für das Wachstum, ohne das es keine Entwicklung geben konnte. Aber was ökonomisch klug war, hätte man den Menschen auch erklären müssen. ... Wachstum allein war ohnehin kein Garant dafür, dass Südafrika aus der Massenarmut herausfinden würde. ... Schlamperei, Inkompetenz und Korruption erschütterten das Vertrauen in den neuen, vom kolonialen Joch befreiten Staat. ... Die Sehnsüchte der verarmten Bevölkerung indes bleiben weitgehend unerfüllt; das macht Südafrika langfristig zu einem Pulverfass. ... Um als Vorbild zu dienen, muss Südafrika so bald wie möglich nicht nur das Elend eindämmen, sondern auch das grassierende Verbrechen bekämpfen.“ (SZ, 3.3. 2010)

Dergestalt konstatiert der Afrikaexperte der Süddeutschen Zeitung ein Versagen so ziemlich sämtlicher ‚Subjekte‘ an der Aufgabe, die jedenfalls er ihnen hinsichtlich Südafrika stellt: Vom Wirtschaftswachstum, das nicht ausreicht, die berüchtigte „soziale Kluft“ zu schließen, über das Unvermögen der politischen Klasse bis hin zur mangelnden Rechtstreue der Bürger – alle Beteiligten haben dabei versagt, dem Land jenen „Vorbildcharakter“ zu verleihen, den er ihm zuschreibt. So erfährt man mehr über sein Ideal eines gelungenen und vor allem stabilen südafrikanischen Staatswesens als über den Grund und Zusammenhang der von ihm zitierten Phänomene. Was „klafft“ da also wie und warum in Südafrika auseinander?

Das Programm des African National Congress (ANC) nach der Regierungsübernahme: Die kapitalfreundliche Zurichtung des Standorts für den Erfolg der Nation

Nach der Eroberung der politischen Macht im Lande verkündet Nelson Mandela, der „Vater der Nation“, deren programmatischen Anspruch:

„Südafrika, das so lange ein Paria war, soll endlich den ihm gemäßen Platz auf der Weltbühne einnehmen.“ (zit. nach: A. Russell: After Mandela, the battle for the soul of South Africa, S. 1)

Für die ehemaligen Führer des Kampfes gegen das Apartheid-Regime ist eines also von vornherein selbstverständlich: dass der rassistischen Obrigkeit nicht nur die „Rechte“ und Lebensbedürfnisse der schwarzen Bevölkerung, sondern auch die Ehre und die Machtansprüche des südafrikanischen Staates zum Opfer gefallen sind. Sie sehen mit dem Sturz der weißen Burenherrschaft die Nation von ihren Fesseln befreit, und sich dazu beauftragt, der Republik Südafrika den weltpolitischen Status zu verschaffen, der ihr – eigentlich – zusteht.

Der Nachfolger Mandelas im Präsidentenamt, T. Mbeki, bleibt dieser Zielsetzung treu und zieht – eben deswegen – offiziell die Vorstellung aus dem Verkehr, es wäre endlich an der Zeit, die alten Versprechen der sozialen Emanzipation der Schwarzen einzulösen:

„Es gelten nicht mehr die hehren Prinzipien einer Befreiungsbewegung: Die sind für die Regierung einer aufstrebenden Macht völlig unbrauchbar, die um den Wiedereintritt in die Weltwirtschaft kämpft.“ (T. Mbeki, zit. nach: M. Gevisser: The dream deferred, S. 705)

Der Mann stellt klar, dass aus der Befreiungsbewegung ANC eine Regierungspartei geworden ist, für welche die nationale Bewährung in der globalen kapitalistischen Konkurrenz der maßgebliche Kampf geworden ist. Er erklärt die alten Grundsätze zu schönen, aber überholten Idealen – und meint damit vor allem das im sog. „Grundgesetz des ANC“ niedergelegte Kampfziel, dass das Volk sich den Reichtum des Landes teilen soll („Freedom Charter“). So verabschiedet sich die Führung des ANC von dem ehedem propagierten Standpunkt, mit der Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung auch die materielle Befreiung der Schwarzen aus Armut und Elend durchzusetzen. Mit ihrem neuen, ‚realistischen‘ Prinzip besteht sie darauf, dass die Interessen der in Armut lebenden Mehrheit mit den Bedürfnissen einer aufstrebenden Staatsgewalt unvereinbar sind – und deshalb nur deren Bedürfnisse gelten können. Ab sofort geht es um die Mehrung des nationalen Reichtums, für welche die neue, demokratische Herrschaft den Wegfall internationaler Sanktionen, also den erweiterten Zugang zum kapitalistischen Weltmarkt nach Kräften nutzen will; und dieser Zweck schließt eine Umverteilung von Produktions- und Lebensmitteln an zu kurz gekommene schwarze Massen – der politischen Basis des ANC – aus.[1] Vielmehr geht es umgekehrt darum, Land und Leute so herzurichten, dass sie den anspruchsvollen Maßstäben der Weltwirtschaft genügen.

Der südafrikanische Kapitalismus wird von den Schranken der Apartheid befreit

Im Sinne dieses Programms machen sich die neuen Herren über den Wirtschaftsstandort Südafrika an eine gründliche Reform der Hinterlassenschaften der Apartheid, die sich in ihren Augen nicht nur hinsichtlich der Außenbeziehungen als Hindernis für die weltmarktgemäße Entwicklung des Landes bemerkbar gemacht hat. Abgesehen von den protektionistischen Schranken, die die Buren in ihrem „Autarkiewahn“ errichtet hätten, wird ihnen zur Last gelegt, dass sie den Staatskredit zur Schaffung und Aufrechterhaltung zahlreicher Monopolbetriebe aufgebläht, den Finanzsektor einer überflüssigen bis schädlichen Beschränkung unterworfen und in ihrem „bornierten Rassismus“ auch noch für ein „marktwidrig“ hohes Lohnniveau weißer Beschäftigter gesorgt hätten. Diese Bastionen gegen die umfassende Freiheit des Kapitals schleift der ANC durch Privatisierungen, Öffnung des Finanzsektors für auswärtige Konkurrenz, Abschaffung der Wechselkurskontrollen und die endgültige Beseitigung der bereits unter der Apartheid auf Bestreben der Unternehmen gelockerten Jobreservation für Weiße. Vor allem angesichts der letzten Maßnahme mag sich so mancher ANC-Aktivist gedacht haben, die „Freisetzung der Marktkräfte“, die ja einherging mit der Beseitigung der einschlägigen rassistischen Gesetze des alten Burenregimes, sei nur der Auftakt dazu, dass der ANC seine Versprechen einer umfassenden Beteiligung Schwarzer am Reichtum des Landes in die Tat umsetzt:

„Es gab die merkwürdig naive Erwartung, dass die Abschaffung der Apartheid für sich genommen der wirtschaftlichen Verelendung der Schwarzen ein Ende bereiten würde.“ (W.M. Gumede: Thabo Mbeki and the battle for the soul of the ANC, S. 79)

Spätestens das Beharren Mbekis und seines Finanzministers auf der Rückzahlung der Schulden des alten Regimes, gewissermaßen als Eintrittskarte in den Weltmarkt, auf einer unabhängigen Zentralbank und einem ausgeglichenen Haushalt als „fundamentals“ der Wirtschafts- und Finanzordnung machen jedoch deutlich, dass der Staatskredit keinesfalls, wie von vielen im ANC gefordert, für Arbeitsbeschaffung zur Nutzbarmachung bisher einkommensloser Schwarzer „aufgebläht“ wird – so was kann ein Staat nämlich gar nicht:

„Ich möchte, dass mir jemand sagt, wie die Regierung Jobs schaffen kann. Regierungen auf der ganzen Welt sind nicht in der Lage, Jobs zu schaffen.“ (Trevor Manuel, zit. in: Gumede, S. 107)

Das kann eben nur „die Wirtschaft“. Also kommt es darauf an, sie zu fördern. Dafür wird Staatskredit mobilisiert. Mit seiner Hilfe werden unter anderem die weltweit niedrigsten Strompreise für die Herstellung von Aluminium herbeisubventioniert, teilweise „gegenfinanziert“ durch einen um das Mehrfache höheren Endverbraucherpreis. So werden der Lebensunterhalt und die Ansprüche der schwarzen Massen den Erfordernissen des Standorts untergeordnet, immer verbunden mit der Perspektive, dass nur ein umfassendes Wirtschaftswachstum Not und Elend – langfristig, versteht sich – beseitigen könnte. Dieses „Prinzip“ setzt der ANC gegenüber seiner Basis durch und exekutiert es beispielhaft an der „Landfrage“: Dass die Apartheidregierung massenhaft Schwarze in sog. „Homelands“ unter eigener Verwaltung angesiedelt hat, wo sie sich dann ganz ihrer von den Weißen „getrennten Entwicklung“ widmen konnten, gilt schließlich als eines der Verbrechen der weißen Rassisten. Denn darin erreichten die staatsbürgerliche Degradierung und der Ausschluss Schwarzer von der wirtschaftlichen Entwicklung der Weißen ihren gemeinsamen Kulminationspunkt. Dies grundlegend zu korrigieren, war das vorrangige und populäre Anliegen des ANC – und erleidet das Schicksal der alten hehren Prinzipien. Denn die neue Regierung übernimmt in ökonomischer Hinsicht ganz die alte Zweiteilung des Apartheid-Staates. Einerseits tut sie alles, um die einschlägigen Bedürfnisse der einheimischen Großfarmen und ausländischen Agrarfirmen zu befriedigen: Die noch unter der alten Regierung begonnenen riesigen Bewässerungsprojekte werden fortgeführt und dem Agrarmulti Monsanto werden Hunderttausende von Hektar zur Verfügung gestellt, die ihm als Basis für die Eroberung des afrikanischen Marktes für seine gentechnologischen Produkte dienen. Der angestrebte Exporterfolg ist – ganz nach der Logik der Standortpolitik des ANC – eben wichtiger als sozialpolitische und ökologische Gesichtspunkte. Andererseits bleibt den früher in „Homelands“ Ansässigen ihre „Heimat“ in Gestalt der „communal lands“ erhalten. In ihnen gelten nach wie vor die teils von den Buren übernommenen, teils neu eingerichteten quasi feudalen Abhängigkeitsverhältnisse, welche zusätzlich bereichert werden durch den immer akuteren Wassermangel, den die großzügige Bewässerung des lukrativen Agrar-Exportsektors verursacht. Und dort, wo das Apartheid-Regime Schwarze entschädigungslos ihres Landes enteignet hat, müssen diese den Nachweis führen, dass tatsächlich ein Verstoß gegen das Recht auf Privateigentum stattgefunden hat. Die einschlägigen Verfahren gestalten sich entsprechend zäh, so dass eine Restitution des enteigneten Landes nur in geringem Ausmaß erfolgt. Und wo sie stattfindet, hat die dafür aufzubringende Gebühr den durchaus erwünschten Nebeneffekt, dass nur halbwegs kapitalkräftige Schwarze in den Genuss einer Rückgabe des Landes kommen. Auch dort, wo eine Korrektur der von der Apartheid geschaffenen Nutzungsverhältnisse stattfindet, soll diese also nicht irgendwelchen Kleinbauern zugute kommen, sondern ein ordentliches Geschäft in Gang bringen. Der ursprünglich angekündigten Redistribution des Landes ergeht es noch schlechter. Die Regierung kürzt beständig die dafür ursprünglich vorgesehenen personellen und finanziellen Mittel, indem sie im dafür zuständigen Ministerium schlicht Planstellen nicht besetzt. Später verabschiedet sie sich auch in ihren öffentlichen Verlautbarungen zunehmend von der Rückgabe und Umverteilung des Landes als vordringlicher Aufgabe ihrer Politik. Wer sich damit nicht zufrieden gibt und meint, er sei als um seine Existenz ringender schwarzer Kleinbauer dazu berechtigt, das seinen Vorfahren angetane Unrecht zu korrigieren, wird sehr schnell in seine Schranken gewiesen. An der „willing buyer – willing seller“-Regel (will sagen: Erwerb geht nur durch Kauf, und der nur mit Willen des Verkäufers!) darf nicht gerüttelt werden. Mit demonstrativen Polizeieinsätzen macht die Regierung immer wieder deutlich, dass sie „Zustände wie in Simbabwe“ keinesfalls duldet.

Das Versprechen einer Teilhabe aller Schwarzen am Reichtum des Landes wird also einerseits ganz dem Ziel einer erfolgreichen geschäftlichen Nutzung des Eigentums untergeordnet, das als Quelle erweiterter Geld- und Kreditmacht des Staates fungieren soll; der ANC vermeidet jeden Anschein, er wolle seine Souveränität über das Land zu einer Korrektur der von der Apartheid übernommenen Eigentums- und damit Benutzungsverhältnisse „missbrauchen“. Andererseits aber nimmt der ANC das Versprechen, die Partizipation der Schwarzen am – kapitalistisch wohl geordneten! – nationalen Wirtschaftsleben zu stärken, auch nicht zurück. An seinen „affirmative action“-Programmen zugunsten von Schwarzen hält er weiter fest, ja erweitert sie mit der Zeit sogar um die Auflage an Unternehmen, bevorzugt Schwarze auszubilden. Die einschlägigen Vorschriften sollen sich aber – schon wieder – in keiner Hinsicht störend für den erfolgreichen Fortgang der Geschäfte bemerkbar machen. Entsprechend beziehen sich die Förderprojekte für eine verstärkte Beteiligung Schwarzer – „Black Economic Empowerment“ bzw. „Broad Based Black Economic Empowerment“ – lediglich auf 13 % der Betriebe. Und die legen die einschlägigen Vorschriften in der Regel so aus, dass der geforderten Mitsprache Schwarzer bei Unternehmensentscheidungen in Gestalt eines Frühstückdirektors schwarzer Hautfarbe hinreichend Rechnung getragen wird. Ein tatsächliches „empowerment“ Schwarzer findet lediglich im Öffentlichen Dienst statt, wo sie mittlerweile 61 % der Spitzenpositionen einnehmen, auch auf unteren Verwaltungsebenen (und das sind in Anbetracht der zahlreichen Provinzen und ehemaligen Homelands nicht gerade wenige) sowie bei der Besetzung von Managementposten in halbstaatlichen bzw. privatisierten Betrieben.

Der ANC tut also alles, um die oben zitierte „naive Erwartung“ praktisch zu widerlegen. Das nimmt auch die internationale Geschäftswelt nach anfänglichem Zögern zur Kenntnis und entdeckt ihrerseits den doppelten Vorteil der vom ANC durchgesetzten staatsbürgerlichen Gleichstellung der Schwarzen. Denn jetzt gibt es für diese keinen Grund mehr, mit ihrem Beharren auf Gleichberechtigung den Gang der Geschäfte zu stören wie zu Zeiten der Apartheid. Außerdem entfallen alle Schranken, welche schwarzafrikanische Länder wegen der Apartheid gegen in Südafrika ansässige Unternehmen errichtet haben. So nutzt das (inter)nationale Kapital das Land zunehmend als Basis für die Eroberung des afrikanischen Marktes, sodass sich die Beschwerden anderer afrikanischer Staaten häufen, dass ihre einheimischen Industrien darunter leiden. Während sich also mit der Befreiung von der Apartheid für die Masse der Schwarzen an ihrem ökonomischen Status nichts ändert, wirkt sie für die Geschäftswelt wie ein Wachstumsprogramm. Sie beschert Südafrika in den 15 Jahren nach dem Ende der Apartheid einen Zuwachs von bis zu 6 % jährlich, begünstigt von einem weltweiten Aufschwung, der die Nachfrage nach Gold, Platin und Kohle befördert. Aktuell steht Südafrika in der Tabelle der Goldproduzenten zwar nur auf Platz drei, aber die krisenbedingte Nachfrage nach dem Edelmetall sorgt dafür, dass sich der Goldabbau inzwischen bis in eine Tiefe von 4000 m lohnt. Das spornt die Bergbauindustrie des Landes zu weltmeisterlichen Leistungen an. Auch die zunehmende Öl- und Gasförderung in den Nachbarländern und die Weiterverarbeitung der Rohstoffe sorgen für einen Aufschwung der Geschäfte, da in Südafrika ansässige Firmen über die entsprechend fortgeschrittenen Technologien verfügen: MAN investiert aktuell in die erste Werft auf afrikanischem Boden, die Öl- und Gasplattformen herstellt. Der noch zu Zeiten der Autarkiepolitik der Apartheid geschmiedete Konzern South African Synthetic Oil Limited (Sasol) wird mittlerweile weltweit geradezu hofiert. Er ist unbestrittener Marktführer bei der Umwandlung schwer zugänglicher Gas- und Kohlereserven in leicht verwendbare Energieformen wie Dieselkraftstoff und Benzin. (kapstadt.com) Der Aufschwung bleibt nicht auf den Rohstoffbereich beschränkt: Auf dem Gebiet des Automobilbaus brüstet sich das Land mit einer Produktivität, die höher ist als in den USA bzw. in der EU: Vom Oktober 2009 datiert die Meldung, dass BMW mit der gleichen Zahl von Arbeitskräften seine Produktion von 60 000 auf 87 000 Einheiten steigert. Ganz ohne rassistisch diskriminiert zu werden, tragen jetzt also schwarze Beschäftigte mit ihrer gesteigerten Leistung dazu bei, dass tendenziell immer weniger von ihnen gebraucht werden, und vergrößern so den Reichtum des Kapitals. Das mit diesen Erfolgen einhergehende wachsende auswärtige Interesse am Standort Südafrika nutzt die ANC-Regierung zur Durchsetzung von „local content“-Klauseln, die von ausländischen Firmen die Einbeziehung einheimischer Wirtschaftsleistungen fordern, sodass auch südafrikanische Betriebe profitieren. Und auch die finanzkapitalistische Erschließung des Landes, die immer auch den Rest des Kontinents im Visier hat, kommt voran: Die Johannesburger Börse zählt mittlerweile zu den größten der Welt und die Industrial and Commercial Bank of China beteiligt sich an der einheimischen Standard Bank und sorgt so für die größte chinesische Auslandsinvestition.

Insofern ist das Programm der ANC-Regierung also durchaus erfolgreich: Südafrika hat eine ganze Menge kapitalistisches Wachstum vorzuweisen, was auch die für die Verwaltung des Weltmarktes Zuständigen entsprechend honorieren, indem sie Finanzminister Trevor Manuel in den Exekutivrat von IWF und Weltbank berufen. Auch unsere Öffentlichkeit spart nicht mit Lob:

„Die Politik hat so günstige Rahmenbedingungen für Investoren geschaffen, wie sie selten in Afrika zu finden sind.“ (SZ, 17.10.08)

So haben es Südafrikas Großstädte zu jener „glitzernden Konsumwelt“ gebracht, die in keiner der einschlägigen Schilderungen fehlt.

Die Doppelrolle des ANC: Regierung und Gewerkschaft

Die Öffnung des eigenen Marktes für auswärtige Konkurrenz erweist sich allerdings als Wachstumsmotor hauptsächlich für jene Industrien, die schon während der Apartheid als „Devisenbringer“, d.h. als weltmarkttauglich galten. Sie zieht den Niedergang etlicher Branchen, wie der Textilindustrie, nach sich, die den Billigimporten nicht gewachsen sind, was manche Kritiker dazu veranlasst, vor einer „Deindustrialisierung“ Südafrikas zu warnen. Aber das ist eben der Preis, den im Übrigen nicht nur ein Schwellenland dafür zu zahlen hat, dass es den Weltmarkt verstärkt benutzen will. Und den zahlen in erster Linie die in den betroffenen Geschäftszweigen Beschäftigten. Also geht das Wachstum der erfolgreichen Branchen einher mit den Entlassungen, welche durch den Niedergang diverser Kleinindustrien im Konsumgüterbereich verursacht werden. Auch Public-Private Partnerships, mit denen die Rentabilitätsrechungen in den Öffentlichen Dienst Einzug halten, tragen dazu bei, dass der südafrikanische Aufschwung von der Einsparung bezahlter Arbeit, also dem Verlust von Arbeitseinkommen, begleitet ist. Das überdurchschnittliche Wachstum hat die Zahl der Arbeitsplätze nicht signifikant erhöht.

Was sich gegen verschärfte Ausbeutung und Einkommensverluste an Betroffenheit und Protest artikuliert, spielt sich freilich immer im Rahmen des und unter Bezug auf den ANC ab. Der ist nämlich in einer „immerwährenden Dreierallianz“ mit dem Gewerkschaftsbund COSATU (Congress of South African Trade Unions) und der South African Communist Party (SACP) vereint. Doppel- und Dreifachmitgliedschaften sind keine Seltenheit: Der Generalsekretär der SACP ist Mitglied der Regierung und des Obersten ANC-Gremiums (NEC: National Executive Council). Sieben Regierungsmitglieder sind gleichzeitig Mitglieder von COSATU. Die Gewerkschaft und die Kommunistische Partei betätigen sich als Unternehmer im Bereich Versicherungen, Medien, Banken und Informationswesen. Diese Gewerkschaft gehört also zum kapitalistisch aktiven Südafrika. Sie repräsentiert diejenigen, welche im südafrikanischen Kapitalismus als Arbeiter und Angestellte ein Auskommen haben und insofern gegenüber dem großen Rest Vorteile „genießen“. Das konstatiert die Gewerkschaft selbst ganz nüchtern:

„Die erste Schicht der Arbeiter kommt in den Genuss der in der Verfassung enthaltenen Rechte. Ihre Interessen werden in Tarifverhandlungen berücksichtigt und sie kommen in den Genuss einer höheren Arbeitsplatzsicherheit und besserer Bezahlung.“ (Ein Gewerkschaftssprecher, zit. in: The Mail and Guardian, 26.4.10)

Davon ist „die zweite Schicht“, nämlich 58 % der Südafrikaner, ausgeschlossen. So sehr die Gewerkschaft das bedauert, so sehr haben ihre Mitglieder dann aber auch für das zitierte „Privileg“ dankbar zu sein und ihre Interessen denen des Gemeinwesens unterzuordnen, das sie so zuvorkommend behandelt. So macht sich die Gewerkschaft im Namen von ‚Beschäftigung‘ gegen Lohnerhöhungen stark und ist sich der besonderen Verantwortung bewusst, welche der öffentliche Dienst für die Entwicklung des Landes hat. In diesem Sinne stimmt sie den dort verfügten Outsourcing- und Flexibilisierungsmaßnahmen zu, die ein Gutteil ihrer Mitglieder betreffen. Und wenn wie 2007 im Öffentlichen Dienst einmal drei Wochen gestreikt wird, sorgt sie dafür, dass die Streikenden sich im Wesentlichen mit dem ursprünglichen Angebot der Regierung zufriedengeben, und nimmt es anschließend hin, dass die vereinbarte Lohnerhöhung jahrelang nicht ausbezahlt wird. Auch in der Privatwirtschaft beweist sie ihr Verantwortungsbewusstsein für den Standort: Seit dem Ende der Apartheid sterben jährlich durchschnittlich 200 Bergleute aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen. Am 4.12.07 ist dies der Gewerkschaft zum ersten Mal einen demonstrativen Streiktag wert. Die nahe liegende Frage, wofür sie dann überhaupt noch als Organisation der Beschäftigten gebraucht wird, beantwortet sie mit ihrer kräftigen Einmischung in wirtschafts- und außenpolitische Affären: Sie fordert gemeinsam mit den Bergbaukonzernen Devisenmarktinterventionen zugunsten eines niedrigen Wechselkurses des Rand, der nationalen Währung, sowie die Aufhebung eines „zu engen Korridors“ der geldpolitischen Inflationsbekämpfung und droht ferner mit Massenaktionen, um Zinssenkungen durchzusetzen (The Mail and Guardian, 13.6.09). Damit das kapitalistische Geschäft weiter expandieren kann.

2008 macht sich die Gewerkschaft COSATU für eine härtere Gangart gegenüber der Regierung von Mugabe in Simbabwe stark, tritt also in offene Konkurrenz zur Außenpolitik ihres Präsidenten Mbeki, die sie als „Appeasement-Politik“ geißelt. Sie verlangt statt Vermittlung und Beschwichtigung mehr Pressionen gegen die benachbarte Herrschaft, die lauter unerwünschte Flüchtlinge produziert. Das ist ihr dann einen äußerst wirkungsvollen Streik wert, bei welchem die Massen als Nationalisten gefragt sind. Sie versteht es also, ihre Mitglieder für staatspolitische Anliegen auch gegen die offizielle Politik des ANC zu mobilisieren. Da mit dem Ende der Apartheid die Diskriminierung schwarzer Lohnarbeiter abgeschafft ist, scheint für diese Gewerkschaft auch gleich der Kampf um einen ordentlichen Lohn und erträgliche Arbeitsbedingungen im Wesentlichen erledigt zu sein. Das neue Südafrika ist die Heimat der schwarzen Beschäftigten. Also gibt es auch keinen Gegensatz mehr zwischen deren Interessen und denen der politischen Gewalt, so die Logik von COSATU. Der Gewerkschaftsbund versteht sich also als der wahre Vertreter des südafrikanischen Gemeinwohls, der oben wie unten an die nötige Verantwortung für das Gemeinwesen erinnert. Die Regierenden haben gefälligst ihre Macht so einzusetzen, dass mehr Beschäftigung möglich wird, und dazu gehört dann auch die Unterstützung der Opposition in Simbabwe. Denn wenn die an der Macht ist, hört endlich der für den südafrikanischen Arbeitsmann unerträgliche Zufluss von Billigstlöhnern aus dem Norden auf, so das Kalkül dieser Gewerkschaft. Das Arbeitsvolk seinerseits hat durch ordentliche Arbeit seinen Anteil am Gelingen des Gesamtkunstwerks Südafrika beizutragen.[2]

So wäre der südafrikanische Kapitalismus eigentlich fertig: Die Akkumulation von Kapital auf Kosten der Beschäftigten geht ihren Gang, begleitet von einer Regierung, die alles in ihren Kräften Stehende unternimmt, um sie zu fördern, und einer Gewerkschaft, die keinen Zweifel daran lässt, dass mit der erkämpften Gleichberechtigung der Schwarzen der kapitalistische Erfolg des Standorts deren alternativloses Lebensmittel ist. Tatsächlich aber setzt sich die „Regenbogen-Nation“ eben nicht nur aus den geschätzten zehn bis elf Millionen Kapitalisten, Mittelständlern, Arbeitern und Staatsangestellten zusammen. Ihnen gegenüber, eben oftmals nur den viel zitierten Steinwurf entfernt, befindet sich

Die ganz andere Seite Südafrikas: Flächendeckendes Elend

In den Städten: Etwa 12 Millionen Slum- bzw. Townshipbewohner.

Auf dem Land: 15 - 20 Millionen in „communal lands“, das sind Subsistenz- bzw. Kleinbauern, die für lokale Märkte produzieren.

2,4 Millionen, die sich an Kreuzungen nahe irgendwelchen Industrieanlagen, sog. „Crossroads“ angesiedelt haben, welche jetzt „informal settlements“ heißen.

2 - 3 Millionen Landarbeiter auf kommerziellen Farmen.

Viele Millionen Immigranten, die dem Elend anderswo oder politischer Verfolgung entfliehen wollen.

Auf diesem Gebiet, dem der legalen und illegalen Einwanderung, hält die Republik Südafrika einen eher unerwünschten Weltmeistertitel. Beinahe ein Viertel der weltweit gestellten Asylanträge sind an Südafrika gerichtet, die meisten von Flüchtlingen aus Simbabwe, aber auch aus Mosambik, Kongo und Somalia. Die Zahl derjenigen, die in den letzten Jahren illegal eingewandert sind oder als „Saison-Migranten“ immer wieder auf südafrikanischem Boden als Kleinhändler in Aktion treten, wird auf etwa sieben Millionen geschätzt, mehr als die in der gesamten Europäischen Union.

Das hat dem Land den zweifelhaften Charme beschert, dass die Chance, seinen PKW in einer shopping mall von einem examinierten Juristen bzw. diplomierten Ingenieur gewaschen zu bekommen, angeblich nirgends auf der Welt so hoch ist wie in Südafrika. Der wachsende Reichtum der südafrikanischen Bourgeoisie bietet ihnen anscheinend immer noch mehr Perspektiven als ihre Herkunftsländer. An ihnen lässt sich beispielhaft die Realität des von der ANC-Regierung anfangs so häufig zitierten „trickle down“-Effekts studieren. Diese „Durchsickerungs“-Prognose, auf welche früher auch die westlichen Entwicklungsexperten schworen, behauptet eine ‚Wirkungskette‘, derzufolge das Wachstum des kapitalistischen Reichtums irgendwann, dann aber auch zwangsläufig zur Schaffung neuer Jobs bei denjenigen führen müsse, die bislang ganz und gar außerhalb des „produktiven Wirtschaftskreislaufs“ – als überflüssige Bevölkerung eben – ihr Dasein fristen. Weshalb alle Sorten sozial(istisch)er Umverteilung überflüssig bis schädlich seien. Was da allerdings – und das betrifft nicht nur immigrierte schwarzafrikanische Akademiker – an Zusatz-Beschäftigung abfällt, sind in der Regel Gelegenheitsjobs, die bei nachlassender Konjunktur sofort hinfällig werden. Das gilt in noch viel größerem Ausmaß für die Bewohner der ehemaligen Homelands, deren Struktur die ANC-Regierung auch aus politischen Opportunitätserwägungen nicht angetastet hat. Sie wollte die offene Konfrontation mit den noch von der Apartheid-Regierung eingesetzten chiefs vermeiden. Die Kombination von Bevölkerungswachstum und wegen Wassermangels ständig sinkenden Ernteerträgen bewirkt eine zunehmende Landflucht: Frauen und Kinder verbleiben auf dem „communal land“, während der Familienvater versucht, als Wanderarbeiter irgendeine Art von Einkommenserwerb in den Städten aufzutun. Dass sich für die Massen in und aus den Homelands zwar die Rechtslage verändert, nicht aber die ökonomischen Lebensbedingungen verbessert haben, gibt der Staatschef höchstpersönlich unumwunden zu Protokoll:

„Unsere Menschen müssen immer noch täglich mit der Wirkung des Gesetzes (der Zuordnung zu einem Homeland) kämpfen. Viele leben immer noch in Gegenden, die einst für Schwarze reserviert waren, weg von wirtschaftlichen Möglichkeiten und Dienstleistungen.“ (J. Zuma, in The Mail and Guardian, 27.4.10)

Der allergrößte Teil des südafrikanischen Pauperismus ist also nicht das Anhängsel kapitalistischer Akkumulation in Gestalt einer industriellen Reservearmee, deren Größe von der Nachfrage des Kapitals abhängig ist. Er hat vielmehr mit diesem überhaupt nichts zu tun. Die zig Millionen Township– und Settlementbewohner sind ganz prinzipiell von einer Lohnarbeiterexistenz ausgeschlossen. Die „soziale“ Kehrseite der Entfaltung der kapitalistischen Potenzen des Standorts durch den ANC besteht eben darin, strikt die Unternehmen über die Brauchbarkeit des vorhandenen Menschenmaterials entscheiden zu lassen. Sie können, da mag das Wachstum noch so hoch sein, mit den allermeisten Bewohnern von vornherein nichts anfangen. Kein Wunder deshalb, wenn die Betroffenen, wann immer sich ein Journalist in ihre Viertel verirrt, zu Protokoll geben, dass sich an ihrer wirtschaftlichen Lage seit dem Ende der Apartheid wenig bis nichts geändert habe.

Die politische Verwaltung der kapitalistisch unproduktiven Bevölkerung

Davon wissen allerdings die meisten ihren politischen Status deutlich zu unterscheiden: „Wir sind jetzt zwar frei, aber immer noch arm!“ bzw. dasselbe in umgekehrter Reihenfolge und Betonung, ist das häufig kolportierte Urteil der Townshipbewohner. Und das ist nicht einfach als mehr oder weniger resignatives Abwinken misszuverstehen. Im Gegenteil, unser eingangs zitierter Experte von der SZ kann es kaum fassen:

„Die ärmsten Südafrikaner hausen in Wellblechschachteln, sie stehen barfuß in der Kloake, sie kämpfen jeden Tag um ein paar Cent, um ihre Familien durchzufüttern. Von ihren Elendsvierteln blicken sie hinüber auf die Villen der Reichen, mit ihren Swimmingpools und Hausangestellten, mit polierten Limousinen in der Garage und Alarmanlagen auf dem Dach.“

Und dann das:

„Es waren beeindruckende Bilder, die den Wahltag in Südafrika bestimmten: Überall standen Menschen friedlich und geduldig in Schlangen, um ihre Stimme abzugeben... Die Menschen glauben nach wie vor an die Kraft ihrer Stimme... Die Südafrikaner haben ihre Zuversicht trotz herber Rückschläge im Kampf gegen die Armut nicht verloren. Sonst hätten sie nicht in so großer Zahl gewählt. Das ist eine der wichtigsten Botschaften dieser 4. demokratischen Wahl am Kap... selbst wenn viele noch immer auf den großen Wandel warten, den die Befreier vom ANC einst versprochen hatten.“ (SZ, 25./26.4.09)

Obwohl ihre elenden Lebensverhältnisse jeder Beschreibung spotten, ihre reiche Umgebung ihnen ständig vor Augen führt, dass es sich auch ganz anders leben lässt und eigentlich kein Anlass besteht, eine Verbesserung ihrer Lage zu erwarten, gehen diese Menschen wählen und nehmen dabei auch noch allerlei Unannehmlichkeiten in Kauf. In der etwas einsilbigen Form des Wahlkreuzes teilen sie mit, dass sie jedenfalls an den Versprechen des ANC festhalten. Und der tut das Seine, um die Leute in diesem guten Glauben zu bestätigen. Denn selbst der Finanzminister Trevor Manuel, als „Maggie Thatcher und Architekt des südafrikanischen Wachstumserfolges“ über jeden Verdacht sozialer Fürsorge erhaben, lässt sie nicht ohne Hoffnung. Südafrika ist ihm zufolge ein Entwicklungsstaat, im Gegensatz zum ideologisch rückwärtsgewandten Sozialstaat. Will sagen: Eine per Steuererhöhung für die Klasse der Besitzenden oder anderweitig zu bewerkstelligende Umverteilung schließt Manuel zwar kategorisch aus, damit würde man ja den alten, längst über Bord geworfenen Prinzipien folgen. Aber das soll nicht heißen, dass die kapitalistische „Entwicklung“, welcher der Staat alles unterordnet, der Mehrheit der Bürger keine Perspektive zu bieten hätte. Das Urteil „Massenhaft unbrauchbar!“, welches das Kapital über das südafrikanische Volk fällt, will der ANC praktisch nicht korrigieren. Er will es aber auch nicht einfach gelten lassen. Also wird das Volk mit elementarsten Voraussetzungen seiner Brauchbarkeit ausgestattet, ohne dass eine entsprechende kapitalistische Nachfrage danach bestünde. Die Regierung bemüht sich um eine ganze Reihe von Ersatzleistungen, die ihr Vorbild ersichtlich in den Sozialstaaten der Industrieländer haben, ohne dass in Südafrika insgesamt die entsprechende Basis in Gestalt eines vom Kapital rundum beanspruchten Volkes vorhanden wäre, das für die Finanzierung der entsprechenden Mittel herangezogen wird. Das gibt es zwar auch, aber es beschränkt sich eben auf das eine Fünftel der oberen Parallelgesellschaft. Die hat ihre Krankenversicherungen, aus denen Hospitäler mit internationalem Renommee finanziert werden, und deren Prämien insgesamt fast genau so viel ausmachen wie die Summe, die der südafrikanische Staat für das Gesundheitswesen der vier Fünftel spendiert, die von der Reichtumsproduktion ausgeschlossen sind. Denen stehen zwar flächendeckend Gesundheitseinrichtungen (die sog. health facilities) zur Verfügung, in die man sich aber bloß zum Sterben begeben sollte. Ein Kontrastprogramm aus umfänglicher Armutsbetreuung einerseits und deren elender Ausgestaltung andererseits – das ist in allen sozialpolitischen Unterabteilungen zu besichtigen: Nach einschlägigen Statistiken ist Südafrika der größte Sozialstaat unter den Schwellenländern. Mehr als ein Viertel der Bewohner erhält Sozialhilfe. 60 % der weiterführenden Schulen in den ärmsten Gegenden beziehen direkte Nahrungsmittelhilfen. 20 % des Etats werden für Bildung und Erziehung ausgegeben. In den Jahren seit dem Ende der Apartheid werden Millionen neuer Wohnungen errichtet, Strom- und Wasseranschlüsse gelegt etc. pp. Gleichzeitig besteht die sanitäre Einrichtung oft nur aus einer Grube bzw. offenen Wasserstelle, einem Wasserhahn im Hof oder in der Nachbarschaft, was unter anderem das periodische Auftreten von Cholera zur Folge hat. Oft werden Wasser und Strom nur zugeteilt, wenn eine Prepaid-Card vorgezeigt wird. Die Ausstattung der Schulen in den Townships und auf dem Land gilt als völlig unzureichend usw. usf.

Unter Verweis auf derartige Widersprüche können sich skeptische wie wohlmeinende Betrachter des Landes seitenlang über Errungenschaften und Versäumnisse des neuen Südafrika streiten, ohne die grundlegende Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die Sozialpolitik in der unteren Parallelgesellschaft Südafrikas eben nicht in einem funktionellen Verhältnis zu einer dort ansässigen Ökonomie steht – also weder auf einer profitablen Ausbeutung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitskraft beruht, noch auf die Erhaltung von deren produktiver Potenz berechnet ist. Sie verdankt sich allein dem Programm des ANC, welches für ihn mit der politischen Emanzipation der Schwarzen zu gleichberechtigten Staatsbürgern eben noch nicht abgeschlossen ist, andererseits aber auf keinen Fall mit seiner Standortpolitik in Konflikt geraten soll. Also fällt die Alimentierung entsprechend flächendeckend und gleichzeitig armselig aus. Als sein Volk haben die schwarzen Massen grundsätzlich Anspruch auf elementare Existenzbedingungen, Ausbildung und ein Gesundheitswesen; darin lebt das staatliche (Gründungs-)Ideal fort, sie für den Aufbau einer weltweit respektierten afrikanischen Nation in Anspruch zu nehmen. Wie viel „Entwicklung“ ihnen zukommen soll, wie viele Haushaltsmittel sie also kosten dürfen, darüber lässt sich trefflich streiten: Trevor Manuel und Konsorten hätten die Ausgaben für Soziales am liebsten auf das beschränkt, was die Kapitalisten mit ihren Klagen über zu wenig gut Ausgebildete und zu viele Aidskranke fordern. Den Staatskredit für „ideologisch begründete“ Gleichstellungsprogramme zu strapazieren und damit die Währungsstabilität zu gefährden, das kommt nicht in Frage. Der „radikale Flügel“ des ANC in Gestalt des Vorsitzenden der ANC-Youth-League, Julius Malema, bringt dagegen schon einmal die Verstaatlichung der Bergbaugesellschaften ins Gespräch, damit „endlich“ das Versprechen der ANC-„Freedom-Charter“ erfüllt werde. Ihm gilt neuerdings der ganze Abscheu unserer Korrespondenten, weil er auf politischen Versammlungen gerne das Lied „Tötet den Buren!“ anstimmt und nicht zuletzt deshalb verdächtigt wird, er wolle aus Südafrika ein zweites Simbabwe machen. Welche Maßnahmen er vorschlägt, wird weniger zur Kenntnis genommen:

„Die südafrikanische Wirtschaft absorbiert so wenige Arbeitskräfte, dass sie, selbst wenn alle Arbeitsfähigen qualifiziert wären, nicht allen eine anständige Beschäftigung gewähren könnte. Deshalb ist die Schaffung verschiedener arbeitsintensiver Beschäftigungsmöglichkeiten notwendig, um mit der Herausforderung der Arbeitslosigkeit und Armut fertig zu werden.“

Als Mittel der Arbeitsbeschaffung schlägt er dann eine Form staatlicher Beteiligung am Bergbau vor, die folgendermaßen vonstatten gehen soll:

„Sie sollte niemals ein blind vorangetriebenes Projekt sein, sondern äußerst vorsichtig zu Werke gehen, da sie Auswirkungen auf den Staatshaushalt hat und es der ANC-Regierung verunmöglichen könnte, allen ein besseres Leben zu schaffen. ... Ein Teil des Modells, das wir in Betracht ziehen, ist das Botswanas, wo De Beers (der Welt größter Diamantenkonzern) eine 50 %ige Partnerschaft mit der Regierung hat und immer noch Royalties und Steuern zahlt.“ (groups.google.com)

Dass die südafrikanische Wirtschaft eine eigene Welt ist, die dem Prinzip der Rentabilität im Umgang mit den Arbeitskräften folgt, deren Beschäftigung also gar nicht von ihnen und ihrer Qualifikation abhängt, sondern von den einschlägigen Gewinnkalkulationen, das gilt diesem hierzulande als Radikalinski verschrieenen Malema mithin als ein unabänderlicher Sachzwang, dem sie unterworfen ist: Sie kann nur so viele Arbeitskräfte absorbieren, wie sie braucht! Und daran will der gute Mann auch gar nichts ändern. Der Wirtschaft, die er durch unvorsichtige Eingriffe keinesfalls als Quelle für alle möglichen segensreichen Regierungstätigkeiten beschädigen will, soll trotzdem noch eine „beschäftigungswirksame Komponente“ abgewonnen werden. Ob eine Verstaatlichung überhaupt geht, ob sie Geist oder Buchstaben der „Freedom Charter“ bzw. der Verfassung ent- oder widerspricht, wirklich den Massen nützen würde etc. pp., darüber tobt eine äußerst lebendige Diskussion zwischen Malema und anderen führenden ANC-Funktionären, die sich wechselseitig als „Genossen“ titulieren, um sich gleichzeitig als „Reaktionäre“ zu beschimpfen. Eine selten trostlose Debatte, der allerdings das Eine zu entnehmen ist: Den grundsätzlichen Widerspruch, die Entfaltung des Kapitalismus als Lebensmittel der südafrikanischen Nation nach Kräften zu befördern, ohne gleichzeitig das damit von dieser Produktionsweise bzw. ihren Nutznießern und Agenten über den allergrößten Teil der Bevölkerung vollstreckte Urteil „Unbrauchbar!“ einfach gelten zu lassen, wird der ANC nicht los. Der nicht vorhandene Einbezug der unteren Parallelgesellschaft in die obere bleibt eine ständige Herausforderung:

„Ein Land, das nicht sicherstellt, dass alle seine Bürger auf allen Ebenen wirtschaftlicher Tätigkeit einbezogen sind, leistet auf jeden Fall weniger, als es tatsächlich leisten könnte.“ (Vizepräsident Motlanthe)

Folglich gilt die Verfehlung der periodisch ausgegebenen Arbeitsplatzvermehrungs- und „Armutsverminderungs-Ziele“ nicht nur den Kritikern des ANC als Versäumnis, weil massenhaft potenzielle Dienstkräfte der Nation ungenutzt bleiben. Er selbst gibt sich demonstrativ zumindest eine Mitschuld am massenhaften Pauperismus:

„Wir sind seit 15 Jahren an der Regierung. Worauf warten wir? Was haben wir während der letzten 15 Jahre getan?“

So der Arbeitsminister. Mit dieser Selbstkritik leitet der Mann nicht seinen Rücktritt ein, sondern seine Zuständigkeit ab, „es“ künftig besser zu machen. Und seine mündig gewordenen Untertanen steigen auf dieses „Angebot“ massenhaft ein. Zur Verwunderung ausländischer Beobachter wird der ANC nicht nur friedlich gewählt, sondern auch dort, wo der Protest militant wird, erfolgt er noch in seinem politischen Rahmen bzw. unter Berufung auf die Versprechen des ANC. (The African Report 10-11/09)

Die politische Kultur des Pauperismus: Fremdenfeindlichkeit, Kriminalität, Selbstorganisation

Diese Leistung ist dem ANC nicht abzusprechen: Die nach dem Ende der Apartheid befürchteten kommunistischen Umtriebe seiner „militanten Basis“ ebenso wie die tribalistischen seiner Konkurrenzorganisationen sind ausgeblieben. Auch zu den befürchteten politisch motivierten Gewaltakten gegen die weißen Profiteure der Apartheid ist es nicht gekommen. Vielmehr wurde der Gegensatz zwischen den Weißen als den Nutznießern und den Schwarzen als den Opfern der Apartheid konstruktiv in eine Konkurrenz zwischen dem ANC und verschiedenen weißen Parteien überführt. Und auch die hat er bislang erfolgreich dadurch entschärft, dass selbst kleine Parteien der Buren Kabinettsposten erhalten, also an der Macht beteiligt und nicht von ihr ausgeschlossen werden. Rache der schwarzen Volksmehrheit an den alten Unterdrückern ist also erfolgreich verhindert worden; was nicht heißt, dass die reiche Oberschicht keine Übergriffe aus der unteren Abteilung zu befürchten hätte. Das Bedürfnis, etwas vom Reichtum der Weißen abzubekommen, äußert sich ganz unpolitisch in Gestalt von Bandenkriminalität, welche durch aufwändige Sicherheitsvorrichtungen von den weißen Vierteln ferngehalten wird. Daneben kämpfen lauter Elendsgestalten um eine mickrige Existenz, und das auf sehr politische Art und Weise: Ihre rassistisch begründete Diskriminierung als Staatsbürger und die damit einhergehende Verelendung waren die beiden untrennbaren Motive, aus denen der ANC sie gegen die Apartheid mobilisierte. Jetzt ist die rechtliche Diskriminierung beseitigt. Auf die Verbesserung ihrer materiellen Lage warten sie immer noch. Um diese Verheißung fühlen sie sich betrogen. Darauf reagieren sie mit Manifestationen ihres verletzten Rechtbewusstseins. Sie machen die Immigranten dafür verantwortlich, die sich in „ihrem“ Staat breitmachen, an dessen Reichtum teilzuhaben doch ihnen versprochen war, und zünden, wie im Sommer 2008 geschehen, ausgerechnet die ärmsten nach Südafrika geflohenen Teufel aus Mosambik und Simbabwe an. Weiße bringen Investitionen und Beschäftigung, Schwarze aus anderen Ländern nehmen uns die Arbeitsplätze weg. So die vorherrschende Einstellung in den Townships. Auch dort ist das Sich-dienstbar-machen-dürfen als alternativlose Weise, sein Leben zu fristen, prinzipiell anerkannt. Und wer davon ausgeschlossen ist, wendet sich eher gegen Seinesgleichen, die Besitzlosen aus dem nahen oder ferneren afrikanischen Ausland, als gegen diejenigen, welche aus dieser Konkurrenz der Besitzlosen ihren Nutzen ziehen und überall mit staatsgewaltiger Ermächtigung und Rückendeckung für Armut und Hunger sorgen.

Mittlerweile haben die „xenophobischen Exzesse“ ihre Verlaufsform in einer Art von geregeltem Mafiawesen gefunden: Einwanderer, die sich auf Landfarmen und bei den viel gefragten Sicherheitsdiensten in den Städten verdingen oder in Townships Kleinmärkte betreiben und dabei ihre Arbeitskraft bzw. Handelsware billiger anbieten als die Einheimischen, werden unter Androhung von Repressalien oder der Statuierung von gewalttätigen Exempeln auf die erwünschten „business conditions“ festgelegt. Das schafft für die Drangsalierten wiederum den Anreiz, sich in „ethnischer Solidarität“ zu üben, sprich: wehrhafte landsmannschaftliche Gemeinschaften zu bilden. So werden auf jeden Fall die vorhandenen Formen von (Armuts-)Kriminalität um eine mehr oder weniger organisierte Variante bereichert.

Eine andere verbreitete Überlebensstrategie besteht für viele Townshipbewohner darin, Geld zu sparen, das sie nicht haben, indem sie Stromleitungen illegal anzapfen. Dazu sehen sie sich durchaus berechtigt, da die ANC-Regierung ihnen die versprochene „Dienst-Lieferung“ schuldig bleibe. Durch solche Praktiken geraten sie immer wieder mit den Behörden aneinander, die ihnen zuerst Plastiktüten anbieten, mit denen sie doch die Löcher im Dach ihrer Sozialwohnungen stopfen könnten, um die sich auf Demonstrationen und Versammlungen äußernde Unzufriedenheit dann mit Tränengas und Gummigeschossen zu bekämpfen. (Unemployed people’s movement, zit. nach: labour.net) Eine pauschale Kriminalisierung durch die zuständigen ANC-ler findet gleichwohl nicht statt. Gelegentlich wird dem Protest nicht nur verbal Recht gegeben, sondern es erfolgen auch die geforderten Leistungen in Gestalt von zusätzlichen bzw. kostenlosen Stromanschlüssen und Neubauten. Wo die Regierenden des ANC andererseits nationale Anliegen in Gefahr wähnen, wie z.B. bei dem zur Priorität erklärten „Slumbereinigungsprogramm“ zwecks ordnungsgemäßer Durchführung der Fußball-WM, haben sie keinerlei Skrupel, den „informal settlements“ unter Anwendung eines Gesetzes, das praktischerweise von der Apartheidregierung übernommen wurde, zuerst die Stromversorgung zu kappen und ihre Bewohner anschließend gegen allen Widerstand umzusiedeln. Als seine Bürger sind die Paupers also durchaus dazu berechtigt, den regierenden ANC an seine Versprechen – und damit Zuständigkeit – zu erinnern. Umgekehrt erinnert er sie durch den Einsatz seiner Gewalt daran, dass allemal sein und nicht ihr Bedürfnis praktisch darüber entscheidet, was Recht bzw. Unrecht ist.

Der Korruptionsvorwurf eint oben und unten

Die radikalsten unter den Kritikern der ANC-Politik wenden sich vor allem gegen die Kriminalisierung von Protest und Widerstand. Sie geben den Vorwurf des Rechtsbruchs zurück und machen dabei auch nicht vor dem oben zitierten Vorsitzenden der Jugendliga des ANC halt, der sich gerne als Fürsprecher der Armen in Szene setzt:

„Es sind die Malemas dieser Welt, die ins Gefängnis gehören, nicht wir!“ (ebd.)

Dieser Protest hat die englische Sprache um die Wortschöpfung „tenderpreneur“ bereichert. Dessen Reichtum sei – im Unterschied zu dem des „entrepreneur“, welcher sich nach Ansicht der Townshipbewohner durch die echte Schaffung von Arbeitsplätzen auszeichnet – alleine durch das An-Land-Ziehen lukrativer Regierungsaufträge („tenders“) und nicht durch ehrlichen Wettbewerb entstanden. Damit wird die Methode, ein Stück „schwarzen Kapitalismus“ dadurch zu etablieren, dass ANC- Funktionäre leitende Positionen in ehemaligen Staatsbetrieben erhalten, als verbrecherisch angegriffen. Sie habe in der Praxis dazu geführt, dass diese Betriebe von der ANC-Regierung Aufträge erhalten, an denen sie – auf Kosten der Allgemeinheit – klotzig verdienen und einen Teil ihres Gewinns anschließend wieder in die Kassen der Politiker zurückleiten. So mache der ANC sich der permanenten unrechtmäßigen Selbst-Bereicherung schuldig, sowohl als Partei wie in Gestalt seiner staatlichen Funktionäre. Von Zuma bis zum Stadtrat! (ebd.) Gleichgültig, ob die monierten Machenschaften nun illegal oder durch irgendwelche Gesetze zur Parteienfinanzierung gedeckt sind, das verletzte Rechtsbewusstsein wird in jedem Falle fündig: Es entdeckt die Ursache für die eigene beschissene Lage darin, dass die Verantwortlichen im ANC ihre volksfreundlichen Ziele aus eigensüchtigen Motiven verraten haben. Diese Kritik bleibt nicht auf politisierte und ohnmächtige Townshipbewohner beschränkt, sondern reicht bis in die Reihen des ANC selbst. So heißt es in einem internen Papier von COSATU:

„Die schwarzen, per Black Economic Empowerment hochgekommenen Kapitalisten sind wie eine Kompradorenbourgeoisie. Sie tragen nichts bei zu einer Erweiterung der Produktion und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern sind parasitär. Sie haben ihr Kapital nicht durch die Entfesselung produktiver Potenzen, sondern durch besondere Deals, affirmative action, Black Economic Empowerment und den Einsatz ihres wirklichen Kapitals (Zugang zur Staatsgewalt) akkumuliert. Die staatliche Politik fördert sie, indem sie auf das vorhandene Kapital Druck ausübt, dieser aufsteigenden Fraktion ein Stück abzugeben.“ (zit. in: R. Calland: Anatomy of South Africa. Who holds the power, S. 264)

Nicht nur echte Kapitalisten, sondern mindestens ebenso echte, die wirkliche Akkumulation befördernde Staatsmänner braucht das Land!

Das lässt sich die politische Konkurrenz, die weiße Opposition zumal, nicht zweimal sagen. Sie greift den Vorwurf, der ANC sei von Korruption „zersetzt“, berechnend auf oder setzt ihn mit Hilfe einer Öffentlichkeit, die kaum ein anderes Thema kennt, selbst in die Welt. Und Stoff für die allfälligen Machtkämpfe innerhalb des ANC fällt auch noch ab: Ein Verfahren gegen Zuma wegen Bestechung wird nicht wegen dessen erwiesener Unschuld eingestellt, sondern weil es Anzeichen gibt, dass den Indizien „eine politische Absicht“ zugrunde lag. (Mbeki wollte seinen Konkurrenten loswerden und spielte deshalb den Strafverfolgungsbehörden kompromittierendes Material zu.) Gleichzeitig ist der ANC bemüht zu demonstrieren, dass ihm in Sachen Korruptionsbekämpfung niemand etwas vormacht: Momentan laufen Verfahren gegen etwa 30 000 Beamte, die an der Zuteilung von Häusern verdient haben sollen. (Der Spiegel 1/09) Und ganze Kaderebenen werden ausgewechselt. Ein Gesetz soll überdies sicherstellen, dass ehemalige Politiker nicht direkt in die Privatwirtschaft wechseln dürfen. So beantwortet der ANC die ständige Kritik an „Unfähigkeit und Korruption“ durchaus kongenial, indem er sich als der „eigentliche“ ANC per Strafverfahren von den „Verfehlungen“ und der „Inkompetenz“ seiner Funktionäre distanziert. Allerdings ohne dass damit die Unzufriedenheit erledigt wäre. Denn der tatsächliche Grund für den Pauperismus bleibt ja bestehen: das politökonomische „Gesetz“, dass alleine die Brauchbarkeit für das System kapitalistischer Bereicherung über den Lebensunterhalt der Massen entscheidet. Diesem ‚Sachzwang‘ will keiner der Beteiligten zu nahe treten.

Die weltöffentliche Begutachtung des „schwarzen Schwellenlandes“

Die auswärtigen Beobachter der „Entwicklungen“ unter der schwarzen Volksherrschaft sind sich einig: Der ANC hat sich an dem anspruchsvollen Maßstab zu bewähren, den Standort so zu verwalten, dass dessen wirtschaftliche Brauchbarkeit und politische Stabilität gewährleistet ist. Deshalb hat er gefälligst auch die Kluft zwischen Arm und Reich wenn schon nicht zu schließen, so doch sozialpolitisch zu entschärfen, das aber selbstverständlich so, dass das Geschäftemachen am Standort in keiner Weise „belastet“ und die Attraktivität für ausländische Kapitalanleger nicht geschmälert wird. Jeder neue Kandidat für das Präsidentenamt muss sich deshalb von der internationalen Öffentlichkeit daraufhin überprüfen lassen, ob er nicht zu sehr den „Versuchungen des Populismus zu erliegen droht“ und die südafrikanischen Massen mit dem Versprechen sozialer Wohltaten betört, um gewählt zu werden, und dann „die Geister, die er rief“, nicht mehr los wird. Andererseits konstatiert die Presse bisher mit einer gewissen Verwunderung, dass ihre Befürchtung sich, jedenfalls bislang, nicht bewahrheitet hat. So auch anlässlich der Wahl des aktuellen Staatschefs:

„Als er an die Macht kam, gab es jede Menge Zweifler. Einige sagten, der populistische frühere Ziegenhirte mit kaum einer formalen Bildung sei der Aufgabe nicht gewachsen. Südafrika würde sich nach links orientieren. Er würde die Unabhängigkeit der Justiz schwächen und die Pressefreiheit einschränken. Korruption und Nepotismus würden sich weiter verbreiten. Unter Präsident Zuma würde Südafrikas Demokratie erodieren. Die größte Ökonomie Afrikas würde dem Beispiel derer im Norden des Kontinents folgen.
Tatsächlich war Zuma in den 4 Monaten im Amt bemerkenswert pragmatisch. Er hat Südafrikas demokratische Institutionen respektiert und ist nicht nach links gedriftet. ... Er hat die Gewalt streikender Arbeiter und Demonstranten grundsätzlich verurteilt und der Polizei den Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas befohlen. Seine Regierung hat 1300 Soldaten entlassen, die für höhere Gehälter und eine Gewerkschaft demonstrierten.“ (The Economist, 26.9.09)

Kompliment! Dafür sieht es ihm dieselbe Zeitung in ihrer Eigenschaft als Zentralorgan der internationalen Investorengemeinde dann auch nach, dass er auf einer Gewerkschaftsveranstaltung das Kampflied der Zulus „Umshini Wami“ (Bringt mir mein Maschinengewehr!) anstimmt. Wer seine Gewalt so vorbildlich im Sinne unserer Ansprüche an Südafrika gebraucht, der darf sich auch mal ein bisschen militante Folklore leisten, um das Volk bei Laune zu halten.

[1] Die Gründe bzw. Begleitumstände für den Sinneswandel des ANC sind nachzulesen in GegenStandpunkt 3-99: Demokratie auf afrikanisch: Fünf Jahre schwarze Herrschaft in Südafrika – also Herrschaft über Schwarze.

[2] So richtet der Vorsitzende von COSATU anlässlich einer Demonstration gegen die nach wie vor bestehende Ungleichheit im Erziehungswesen seine ersten Forderungen an die dort Beschäftigten, denen er mit Sanktionen wegen mangelhafter Berufsmoral droht: Der Abwesenheit von Erziehern wird entgegengewirkt und von allen gefordert werden, Anwesenheitslisten zu führen... Nicht hinnehmbares und unprofessionelles Verhalten wird nicht geduldet werden... Erzieher werden sich für den Unterricht so vorbereiten, wie man es von engagierten professionellen Erziehern erwarten kann. (Africa Files)