Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Reform des Sexualstrafrechts – Nein heißt Nein!
Schärfere Strafen und rechtsstaatliche Ausländerfeindlichkeit im Dienst der weiblichen Würde
Am 7.7.16 beschließt der Bundestag mit überwältigender Einstimmigkeit und stehendem Applaus
eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Künftig macht sich nicht mehr nur derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt; künftig gilt als Delikt auch, sich über den erkennbaren Willen
des Opfers hinwegzusetzen. Die Strafbarkeit wegen Vergewaltigung setzt nicht mehr voraus, dass der Widerstand des Opfers mit körperlicher Gewalt überwunden wird, sondern dass das Opfer erkennbar Widerwillen gegen die sexuellen Handlungen zeigt
. Darüber hinaus werden nunmehr auch unerwünschte Berührungen als sexuelle Belästigung
unter Strafe gestellt. Endlich, so jubeln die Befürworter des neuen Gesetzes, gilt: Nein heißt Nein!
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Reform des Sexualstrafrechts – Nein
heißt Nein!
Schärfere Strafen und rechtsstaatliche
Ausländerfeindlichkeit im Dienst der weiblichen
Würde
Am 7.7.16 beschließt der Bundestag mit überwältigender
Einstimmigkeit und stehendem Applaus
(FAZ, 21.7.16) eine Verschärfung des
Sexualstrafrechts. Künftig macht sich nicht mehr nur
derjenige strafbar, der Sex mit Gewalt oder
Gewaltandrohung erzwingt; künftig gilt als Delikt auch,
sich über den erkennbaren Willen
des Opfers
hinwegzusetzen. Die Strafbarkeit wegen Vergewaltigung
setzt nicht mehr voraus, dass der Widerstand des Opfers
mit körperlicher Gewalt überwunden wird, sondern dass das
Opfer erkennbar Widerwillen gegen die sexuellen
Handlungen zeigt
. Darüber hinaus werden nunmehr auch
unerwünschte Berührungen als sexuelle Belästigung
unter Strafe gestellt. Endlich, so jubeln die Befürworter
des neuen Gesetzes, gilt: Nein heißt Nein!
*
Was da als sittlicher und nun auch rechtlicher Fortschritt verbucht wird, hat seine Grundlage in der Entwicklung der Sexualmoral der letzten Jahrzehnte, die moderne Konkurrenzsubjekte nach und nach, ganz selbstbestimmt und angeregt von Film, Funk und Fernsehen entwickelt haben. Was sie in ihrer Privatsphäre an intimen Umgangsformen für angebracht, also für den jeweils gerade geltenden Anstand in solchen Angelegenheiten halten, reklamieren sie als ihre eigene Angelegenheit im Zuge ihrer Bemühungen um Selbstverwirklichung im Reich der privaten Freiheit. Das schließt für eine gelungene Persönlichkeit ein gediegenes Maß an Selbstdarstellung und Angeberei ein, betreffend die Freizügigkeit, Vorurteilsfreiheit und überhaupt den Erfolg im eigenen Geschlechterleben, in dem das moderne Individuum so ganz über sich selbst bestimmt.
Dieser moralische Fortschritt im Geist eines freiheitlichen Erfolgswillens auch auf dem Feld des aufgeklärten Intimlebens war und ist sich selbst nie genug. Der verlangt nach Rechtsform, also der Anerkennung durch die höchste Gewalt, die sich ausgerechnet durch das Streichen von Verboten und, wo nötig, den Erlass von Erlaubnissen aus dem Liebesleben der Bürger heraushalten soll, wenn die – nach den Maßstäben des Rechts – halbwegs bei Trost und mit wechselseitiger Zustimmung ihre höchstpersönliche Privatfreiheit aneinander exekutieren. Dem hat das Recht bei der Ausgestaltung seiner Einmischung in das Privatleben der Leute ein gutes Stück weit nachgegeben und lässt jetzt manches straflos, was früher als kriminelle Schweinerei galt. Allerdings ergibt sich in einer Lage sexuell befreiter Sitten, in der im Prinzip alles erlaubt sein soll, wenn rechtswirksame Einigkeit zwischen Erwachsenen herrscht, der paradoxe, aber für den bürgerlichen Verstand sehr folgerichtige Bedarf nach verschärfter Strafgewalt, in all den Fällen, in denen es an solcher Übereinkunft fehlt. Da, bei der Strafbarkeit erzwungener Sexualkontakte, musste sich der Rechtsstaat lange schwerwiegende Defizite vorwerfen lassen, die mit der neuen Gesetzgebung nun behoben sein sollen:
„Wir leben im Jahr 2016, das Sexualstrafrecht steckt jedoch noch in den 50er Jahren fest. Die Zynikerinnen unter uns würden sagen: Was soll man erwarten in einem Land, in dem bis 1997 Vergewaltigung in der Ehe noch legal war?“ (Zeit Online, 6.3.)
„Eine Neuerung, die überfällig war – darin waren sich die Redner aller Fraktionen im Bundestag einig. Bisher sei es darum gegangen, was das Opfer getan habe, jetzt wende sich der Blick endlich auf den Täter, sagte Karin Maag (CDU), Vorsitzende der Unionsfrauen. ‚Dem ‚Nein‘ wird endlich strafrechtliche Bedeutung beigemessen‘, sagte auch Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Sie sprach von einem ‚Meilenstein‘.“ (SZ, 7.7.)
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So wird die Emanzipation aus alten Restriktionen erst für vollständig gehalten, wenn sie umgemünzt ist in ein erweitertes und verschärftes Strafrecht – natürlich ganz im Namen und Interesse der Opfer:
„Positiv würdigten die Sprecher auch, dass künftig sexuelle Übergriffe wie der ungebetene Griff in den Schritt oder an den Busen rechtlich geahndet werden können – durch die Einführung des sogenannten ‚Grapschparagrafen‘. ‚Grapschen ist kein Flirten‘, sagte dazu SPD-Vizefraktionschefin Carola Reimann. ‚Wir wollen Frauen dazu ermutigen, diese Taten auch anzuzeigen.‘“ (SZ, 7.7.)
Niemand misst die als Meilenstein
gefeierte
Gesetzesverschärfung ernsthaft daran, ob weniger
Vergewaltigungen stattfinden oder auch nur die
Hemmschwelle der Täter erhöht wird, sich über die Absagen
ihrer unwilligen Opfer hinwegzusetzen. Ob aus den
Anzeigen, zu denen die Frauen ermutigt werden sollen,
irgendetwas folgt, ist ungewiss, und die einschlägigen
Fachleute verweisen in aller Deutlichkeit darauf, dass
die allfälligen Beweisfragen, die für eine Verurteilung
gelöst werden müssen, durch die Neuregelung ja nicht
weniger werden:
„Rechtsexperten melden Bedenken gegen eine Gesetzesverschärfung an, die sie für reine ‚Symbolpolitik‘ halten: Ausgemacht sei weder, ob die bisherige Regelung ein wirklich bedeutendes Hindernis für die Bestrafung der Täter gewesen ist; noch, ob die neue Regelung den angegriffenen Frauen wirklich hilft. Die Beweislast bleibt nämlich beim Opfer und im Falle einer Vergewaltigung nach wie vor ziemlich schwer zu erbringen. Umgekehrt wird die Gefahr einer Zunahme an falschen Anschuldigungen an die Wand gemalt.“ (SZ, 7.7.)
*
Eine Leistung erbringt die Gesetzesverschärfung aber auf
jeden Fall: Die nachdrückliche Anerkennung des
Fortschritts der gesellschaftlichen Moral durch die
staatliche Gewalt. Sie stellt sich hinter die Opfer und
macht es zu ihrer Sache, den weiblichen Willen
als Rechtsgut zu schützen, und dessen
Verletzungen auf sich zu beziehen. Das ist der
Fortschritt, um den es der staatlichen Rechtsgewalt geht
– von wegen bloße Symbolpolitik
–, und ihr
Beitrag zur Würde der Frau und aller sexuell
Drangsalierten. Die wird mit der ausgeweiteten
Kriminalisierung von Verstößen gegen die „sexuelle
Selbstbestimmung“ endlich ins Recht gesetzt, das schon
immer den Grundsatz hoch hält: Je härter die
strafrechtliche Sanktion, desto mehr glänzt das
geschützte Rechtsgut.
*
Dass diese strafrechtliche Grußadresse an die
kämpferisch-fortschrittliche Sexualmoral der
Zivilgesellschaft so zügig im Bundestag Gesetz wurde,
liegt auch daran, dass sie inzwischen mit einer höheren
politischen Bedeutung aufgeladen ist. Schon seit 2011
gibt es eine Vorgabe des Europarechts, welche die
abendländischen Fortschritte der zwischenmenschlichen
Sittlichkeit europaweit zu innerstaatlichem Recht machen
und damit allerlei üblicher Diskriminierung und
häuslicher, insbesondere sexueller Gewalt gegen Frauen
und Mädchen mit geeigneten Gesetzen entgegenwirken will.
Damit hat sich der Bundestag fast ein halbes Jahrzehnt
Zeit gelassen und der zuständige Minister konnte noch
2014 keinerlei Handlungsbedarf
entdecken.
Inzwischen aber hat sich im Zuge der Auseinandersetzung
mit der islamistischen Gefahr im nahöstlichen Aus- wie im
europäischen Inland schon vor, erst recht aber nach
Köln
die Erkenntnis durchgesetzt, dass unsere
überlegenen christlich-abendländischen Sitten, gerade
auch auf dem Feld freizügiger Sexualmoral, ein
vorzügliches Abgrenzungskriterium gegenüber der
mittelalterlichen Sittlichkeit des terroristischen
Feindes abgeben. So greifen dann Feindbildpflege und
akuter antiislamisch-ausländerfeindlicher Handlungsbedarf
ineinander und schlagen sich in einem dann doch noch
flott verabschiedeten Gesetzeswerk nieder, das es
hinbekommt, zugleich der Würde der deutschen Frau neue
Anerkennung und den Behörden neue Ausweisungsgründe für
missliebige Ausländer zu verschaffen: Wenn nämlich
künftig Sexualstraftaten aus Gruppen heraus
begangen
werden, dann sollen dafür Mitglieder der
Gruppe belangt werden können; und ein solcher Verstoß
gegen das neu gefasste Sexualstrafrecht soll künftig
schneller zu einer Ausweisung führen. So werden sich
grüne und sozialdemokratische Frauenfreunde in Fragen
gesetzlich geschützter Emanzipation sogar mit
CSU-Abgeordneten einig, die die Perspektive, künftig
Flüchtlinge, die auf dem Volksfest beim Grapschen
erwischt werden, gleich bündelweise ausweisen zu können,
einfach unwiderstehlich finden.
Bei den Kräften des emanzipatorischen Fortschritts in der
Frauenfrage führt die Fremdenfeindlichkeit der
Gesetzesnovelle zu keinen praktisch wirksamen
Irritationen. Zwar halten die Grünen ... den neuen
‚Gruppen‘-Straftatbestand für verfassungswidrig und die
Aufnahme dieser Straftat in den Katalog
abschiebungswürdiger Gesetzesverstöße für
ausländerfeindlich...
(SZ,
7.7.); und sie finden es ärgerlich, dass auf
Wunsch der CSU noch der verfassungswidrige
Straftatbestand zum Angriff aus Gruppen in den
Gesetzentwurf aufgenommen wurde
(Bild,
7.7.), aber manchmal muss man sich eben
entscheiden im Leben.