Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Philippinischer Präsident Estrada gestürzt“:
Ein Aufstand, wie wir ihn mögen

Verarmte Massen verlangen nicht ein Ende ihrer Ausbeutung, sondern, angeleitet von Opposition und heimischem Militär, eine saubere Herrschaft. Der staatstragende Machtwechsel trifft auf Zustimmung im Westen, denn die neue Präsidentschaft belässt absehbarerweise alles beim erprobten Alten, nicht zuletzt beim Status des Landes, Manövriermasse des globalisierten Weltmarkts zu sein.

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„Philippinischer Präsident Estrada gestürzt“:
Ein Aufstand wie wir ihn mögen

1. Bei der Beurteilung des Ergebnisses des Umsturzes auf den Philippinen ist man sich hierzulande einig. Der Aufstand geht in Ordnung. Estrada war ein „unfähiger und korrupter Politiker“, „Weiberheld, Säufer und Zocker“. Sein Abgang ist ein Segen für das Land. Unklarheit herrscht nur hinsichtlich der Urheberschaft der Revolte. Ist es die Volksbewegung „People Power II“, die Neuauflage der „People Power, die vor 15 Jahren Diktator Ferdinand Marcos den Garaus machte“? (SZ 22.1.01) Oder handelt es sich um einen „Militärputsch“, der dem alten politischen „Establishment“ wieder zurück an die Macht verhilft? Und was ist, wenn beides richtig ist? Wenn die Ziele von Volk und Militär so gut zusammenpassen, dass sich die „philippinische Militärführung den Demonstranten anschließt“ (SZ 20.1.) und so das Wunder einer „friedlichen Revolution“ geschieht?

2. Das Volk demonstriert auf den Straßen Manilas und feiert einen großen Erfolg, wir sind dabei und feiern mit:

„Jetzt versammeln sich die Filipinos mit Musik und Konfetti zum gemeinsamen Widerstand. Die Protestlieder erschallen zu Popklängen … . Auf Handys verbreitet sich die Nachricht von einer neuen Revolution der „People Power“ in Windeseile, die Straßen füllen sich. Rund um die Uhr tut das Volk seinen Unwillen kund, gibt dem ehemaligen Kinostar keine Ruhe. Als bekannt wird, dass Estrada abtritt, … jubeln die Menschen.“ (NN 22.1.)

Eine Revolution mit alternativem Erscheinungsbild. Kein „Blutvergießen“, wie lobend erwähnt wird, keine Ausschreitungen, keine roten Fahnen, einfach nichts von einer antiquierten Revolution. Statt dessen Ausgelassenheit und Straßenfestatmosphäre. Warum bei den Demonstranten die oft vorhandene „aggressiv-kämpferische Stimmung“ nicht anzutreffen ist, erklärt sich zum einen aus ihrer Forderung: Erap, tritt zurück! Erap ist die Umkehrung von „pare“, deutsch „Pate“. Die Massen sind sauer auf ihren mafiosen Präsidenten, der sich und seinen Clan „schamlos bereichert“ hat. Von so einem Typen möchten sie nicht länger regiert werden. Sie fordern, dass Estrada nicht nur zurücktreten, sondern auch sein ergaunertes Vermögen zurückgeben und bestraft werden soll – „lebenslänglich!“. Es ist gar nicht so, dass die Ausgebeuteten mit ihrer Herrschaft Schluss machen und ihre Lebensumstände in die eigenen Hände nehmen wollten. Sie verlangen noch nicht einmal ein alternatives Staatsprogramm, sondern drängen eben nur auf einen Wechsel des Herrschaftspersonals. Von ihrer neuen Herrscherin wollen sie nichts als die Bestrafung des Vorgängers und die Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Gerechtigkeit.

3. Diese Protestbewegung findet ein offenes Ohr bei denen, die sich vorübergehend auf die Ersatzbank zurückgezogen haben. Die Opposition will zurück an die Macht und hat gerade mit einem Amtsenthebungsverfahren einen zeitweiligen Rückschlag erlitten. Der Zorn des Volkes, das sich seine – mit der Asienkrise zunehmende – Armut damit erklärt, dass es von den Verantwortlichen schlecht regiert wird, kommt ihr gerade recht. Deswegen schürt sie ihn mit tagelangen Fernsehübertragungen vom Verfahren gegen Estrada. So kommen nach schleppendem Beginn die Demonstrationen gegen den einstigen „Liebling der Armen“ so langsam in Gang. Die Führung von Polizei und Militär sowie mehrere Minister sagen sich von Estrada los und stellen sich hinter die Oppositionsführerin Gloria Arroyo. Estradas Angebot vorgezogener Neuwahlen, bei denen er selber nicht mehr zu kandidieren verspricht, lehnt die Opposition mit dem schönen Argument „verfassungswidrig“ ab. Sie unterbreitet dem gewählten Präsidenten ein total verfassungskonformes Ultimatum: Rücktritt bis Freitag, 23 Uhr, oder man läßt die Demonstranten zum Präsidentenpalast marschieren. Anders als beim Sturz von Marcos erkennt das Militär in den Demonstranten die Fußtruppen eines staatstragenden Personalwechsels an der Machtspitze, den es unterstützt. Estrada gibt auf, und die Macht ist wieder da, wo sie schon immer war: „Mit Arroyo kehrt die Macht schließlich nur zu den 200 Familien zurück, die auf den Philippinen schon immer Politik und Wirtschaft beherrschten.“ (SZ 22.1.)

4. Die neuen Herren versprechen glatt, die Macht genau so zu gebrauchen, wie ihr Vorgänger im Amt. Um nichts anderes geht es Frau Arroyo, als um denselben „Kampf gegen die Armut“, mit dem schon Estrada sich beim Volk beliebt gemacht hat, und auch ihr Mittel weicht von dem ihres Vorgängers nicht ab: „Wir müssen das Vertrauen der internationalen Investoren zurückgewinnen!“ Ob es dem alten Machthaber auch nur um dieses Vertrauen gegangen ist, sei einmal dahingestellt; dass die neue Regierungschefin ihrem Volk nichts anderes verspricht, ist aufschlussreich genug. Immerhin macht sie es auf diesem Weg damit vertraut, worin seine und des gesamten Landes Perspektive überhaupt besteht: Das Land mit seinem gesamten produktiven und menschlichen Inventar ist Manövriermasse des globalisierten Weltgeschäfts, hat sich als das zu bewähren und erfährt im selben Maße, was aus ihm wird. Mit dem Schicksal, dass die Philippinen schon seit längerem Anhängsel der internationalen Finanzwelt sind –

„Durch den Risikoaufschlag hatten sich die Philippinen schon vor einer Abstufung durch Standard & Poor auf „negativ“ am 20. Oktober praktisch aus dem internationalen Schuldenmarkt ausgeschlossen.“ (FAZ 22.1.)

bricht Frau Arroyo nicht. Im Gegenteil. Und dass die „Haushaltssanierung“, die sie den maßgeblichen Kreditmächten verspricht, für ihr Volk kein Lebensmittel ist, ändert nichts daran, dass es das einzige ist, das es hat.

5. So ein Umsturz erhält Beifall vom Ausland: „Die USA und UN-Generalsekretär Kofi Annan würdigen den friedlichen Machtwechsel als Sieg der Demokratie.“ Das Prädikat „demokratisch einwandfrei“ möchten kritische deutsche Journalisten dem Machtwechsel auf den Philippinen gleichwohl nicht verleihen. Sie merken an, dass das demokratische Procedere nicht eingehalten wurde, und „dass der Machtwechsel im Grunde ein Militärputsch war, sorgfältig orchestriert durch Ex-Präsident und Ex-General Fidel Ramos.“ (SZ 29.1.) Das ist einerseits verständlich: „Das Militär unterstützte das Volk und die noch zu schwachen demokratischen Institutionen.“ Andererseits sind solche Aktionen aber auch „Gift für das zarte Pflänzchen Demokratie“. Kaum haben sie also in der Sache den Aufstand heftig begrüßt, melden sie unter dem Titel Demokratie auch schon wieder ihre Vorbehalte an. So wissen sie auf das ökonomische Desaster, das die Marktwirtschaft den Philippinen demnächst bescheren wird, auf jeden Fall schon jetzt den richtigen Grund anzugeben: zuwenig Demokratie.