Die NSA-Affäre
Deutsch-amerikanische Beziehungen in der „Vertrauenskrise“
Nachdem die Enthüllungen Edward Snowdens zunächst für eine Debatte über das Unrecht amerikanischer Überwachung der Privatsphäre deutscher Bürger und über das rechte Verhältnis von bürgerlichen Freiheitsrechten und innerer Staatssicherheit gesorgt hat, wird im Oktober bekannt, dass auch Merkels Handy zu den Zielobjekten amerikanischer Geheimdienste zählt. Dazu die Regierung: „Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht, wir sind nicht mehr im Kalten Krieg!“ Die amtliche Beschwerde ist vernehmlich, und die Verweise auf den ‚Kalten Krieg‘, der vorbei ist, auf die gemeinsamen ‚Herausforderungen‘, vor denen man heute stehe, und das Hervorheben der ‚Partnerschaft‘, die beide Mächte verbinde, unterstreichen das Gewicht, das ihr von deutscher Seite beigelegt wird: Sie machen deutlich, wofür im Verhältnis zwischen Deutschland und den USA die ewig wiederkehrenden Floskeln von „Freundschaft“ und „Vertrauen“ stehen, was also die aufgeflogene Abhöraktion politisch bedeutet, und zwar für die USA wie für Deutschland.
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Länder & Abkommen
Die NSA-Affäre
Deutsch-amerikanische Beziehungen in
der „Vertrauenskrise“
Juli 2013: Durch Enthüllungen Edward Snowdens wird
bekannt, dass die USA weltweit Telefone und Computer
überwachen, auch und gerade in Deutschland. Die Kritik am
großen Bruder – Abhören von Freunden...
– zielt in
erster Linie auf eine Beschwichtigung des Volkes: An die
Bürger, die eine Verletzung ihrer
Freiheitsrechte beklagen, ergeht der Bescheid,
dass die herrschaftliche Kontrolle der Privatsphäre ein
Erfordernis innerer Staatssicherheit und
insoweit in Ordnung ist; weniger in Ordnung freilich gehe
der amerikanische Generalverdacht gegen Bewohner eines
befreundeten Staates. Als Hauptverbündeter der USA in
Europa könne Deutschland die Schnüffelei nur dulden, wenn
sie sich auf gemeinsame Feinde des Freien
Westens beschränkt. So wird der Fall nach innen
demokratisch sachgerecht entsorgt und nach außen
diplomatisch bewältigt: Die Affäre ist bei unseren
Politikern in besten Händen, der Innenminister legt sie
nach einer US-Reise offiziell zu den Akten.[1]
Oktober 2013: Es wird bekannt, dass auch Merkels Handy zu
den Zielobjekten amerikanischer Geheimdienste zählt. Dazu
Merkels Sprecher Seibert: Abhören von Freunden, das
ist inakzeptabel, das geht gar nicht, wir sind nicht mehr
im Kalten Krieg!
Die Kanzlerin selbst:
„Seitdem wir über die NSA sprechen, habe ich immer wieder auch gegenüber dem amerikanischen Präsidenten deutlich gemacht: Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht! Das habe ich im Juni gesagt, als er in Berlin war, im Juli und gestern in einem Telefonat – und zwar aus dem Interesse für die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland. Da geht es nicht vordergründig um mich, sondern da geht es um alle Bürger: Wir brauchen Vertrauen unter Verbündeten und Partnern – und solches Vertrauen muss jetzt wieder neu hergestellt werden. Darüber gilt es jetzt nachzudenken, welche Datenschutzabkommen und welche Transparenz brauchen wir. Wir stehen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa vor gemeinsamen Herausforderungen, wir sind Verbündete, aber solch ein Bündnis kann nur auf Vertrauen aufgebaut sein.“ (Merkel vor dem EU-Gipfel)
Die Beschwerde ist vernehmlich, und die Verweise auf den
‚Kalten Krieg‘, der vorbei ist, auf die gemeinsamen
‚Herausforderungen‘, vor denen man heute stehe, und das
Hervorheben der ‚Partnerschaft‘, die beide Mächte
verbinde, unterstreichen das Gewicht, das ihr von
deutscher Seite beigelegt wird: Sie machen deutlich,
wofür im Verhältnis zwischen Deutschland und den
USA die ewig wiederkehrenden Floskeln von
Freundschaft
und Vertrauen
stehen, was also
die aufgeflogene Abhöraktion politisch bedeutet,
und zwar für die USA wie für Deutschland.
1.
Um mit den USA zu beginnen, so ist der ‚Kalte Krieg‘ für die Führungsmacht des westlichen Bündnisses gewiss auch vorbei; dazu bedarf es sicher keiner Erinnerung durch den Sprecher der deutschen Regierung. Allerdings wollen die USA eine Errungenschaft der vergangenen Zeiten auch heute nicht missen: Die politische Kumpanei mit dem seinerzeitigen Frontstaat BRD und ihre Federführung auf dem gemeinschaftlich beackerten Feld der Spionage.
Beides war seinerzeit existenzieller Teil der Kriegsplanungen des westlichen Bündnisses gegen den Osten. Was die Arbeit von Geheimdiensten generell auszeichnet: sich Einblicke zu verschaffen in die politische Willensbildung anderer Mächte, in die dort laufenden Berechnungen, geplanten Vorhaben und Mittel, um den eigenen Interessen Handhaben zu ihrer Durchsetzung und der eigenen Politik so Vorteile gegenüber ihren Widersachern zu verschaffen – das fand, dem Auftrag der NATO entsprechend, seine Zuspitzung im damaligen Zweck der Spionage: Es galt, den gegnerischen Block auszuforschen, um ihn im Kriegsfall effektiv zu bekämpfen und schon im Vorfeld des Krieges mit allen erdenklichen Mitteln auf die Erosion seiner Macht hinzuwirken. Dieser Zweck bestimmte die Zusammenarbeit der Partner im westlichen Bündnis, und das hieß für Deutschland: Die USA führte, die BRD leistete nützliche Dienste und war Frontstaat auch als ‚Spionagestandort‘. Unter Anleitung der USA wuchs eine komplette Infrastruktur deutsch-amerikanischer Kooperation heran, materiell wie politisch. Westdeutsches Staatsgebiet war Stützpunkt und Operationsbasis amerikanischer Agenten, die zur Ausübung ihres globalen Handwerks seitens deutscher Regierungen lizensiert waren: Man spionierte gemeinsam, weil man imperialistisch gemeinsame Sache machte.
An der Funktionalisierung Deutschlands für die eigenen
Interessen halten die USA auch nach dem Abdanken des
sowjetischen Systemgegners fest. Die Führungsmacht der
imperialistischen Welt sieht sich dauerhaft von allem
betroffen und entsprechend geht sie auch immer alles an,
was die Mitglieder der Staatenwelt so treiben, in ihrem
zivilen Verkehr untereinander und schon gleich dort, wo
unmittelbar Gewaltfragen zwischen ihnen aufgeworfen
werden. Daraus erwächst für eine Macht, die sich selbst
zur Aufsicht über die Staatenwelt und ihre Gewaltaffären
berufen sieht, ganz von selbst das universelle Bedürfnis
wissen zu wollen, was Sache ist bei den
Prozessen der politischen Willensbildung in den Staaten
der Welt, bei der ökonomischen und militärischen
Ausstattung feindlicher wie konkurrierender Mächte und
und welche Vorkehrungen man da im Sinne der eigenen
Interessen zu treffen hat. Dazu unterhält sie ihre
einschlägigen Dienste, und dazu greift sie mit
allergrößter Selbstverständlichkeit auf das Netzwerk
befreundeter Staaten zurück – und unter denen eben auf
Deutschland vorneweg –, mit denen sie sich im
Grundsatz einig weiß im Interesse an einer weltweit
respektierten internationalen Geschäftsordnung und die
sie militärisch auch ohne den überlebten Systemgegner im
NATO-Bündnis weiterhin leitet. Und sie verfügt auch über
ein spezielles Argument für ihr Festhalten an den
bewährten Verfahrensweisen ihres Spionierens im Verbund
der Allianz. In Fragen der nationalen Sicherheit sind an
die Stelle der Gefahr aus dem Osten neue Bedrohungen
getreten, die Sicherheit Amerikas und seiner
Vorherrschaft über die Welt zuallererst, aber auch die
aller anderen Mächte betreffend, die mit der Weltmacht
gemeinsame imperialistische Sache machen und sich zum
‚Westen‘ rechnen: Den internationalen
Terrorismus gilt es seit Nine-Eleven zu bekämpfen,
mit vereinten Kräften selbstverständlich – und aus
amerikanischer Sicht schließt die Vereinigung dieser
Kräfte im Falle Deutschlands eben die Inanspruchnahme
aller geheimdienstlichen Möglichkeiten ein, die man in
der ganzen Republik auf- und ausgebaut hat. Die aus
Berlin an seine Adresse gerichteten Beschwerden, die
Geheimdienste unter seiner Kontrolle wären wohl zu weit
gegangen, weist der Präsident der Weltmacht daher
offensiv zurück: Mit Verweis auf die vielen
Menschenleben
, die deren Machenschaften in
Kooperation mit einheimischen Behörden in Deutschland
gerettet
hätten, teilt er seinem geschätzten
Partner unmissverständlich mit, dass auch zur Wahrung von
dessen ureigenen Sicherheitsinteressen die Freiheiten
einfach unabdingbar sind, die sich amerikanische Spione
auf deutschem Boden herausnehmen.
Nicht vorbei nach dem Kalten Krieg ist also die
politische Kumpanei, die die USA mit der BRD pflegen,
nicht vorbei ist die Zusammenarbeit der
Sicherheitsagenturen. Vorbei jedoch ist offenbar die
Deckungsgleichheit der imperialistischen Interessenlagen,
die über diese – im Vergleich zu den Zeiten des ‚Kalten
Kriegs‘: schon erheblich geschrumpfte – Identität der
Betroffenheit in Sicherheitsfragen hinausginge. Als
Standort und Drehscheibe dafür erforderlicher
Spionagetätigkeiten genießt Deutschland höchste
Wertschätzung, darin aber geht die Rolle dieser Nation in
der Wahrnehmung der USA überhaupt nicht auf, und dies hat
seinen imperialistischen Grund. Als dieser feste Partner
der USA – unverbrüchliche Freundschaft
nennt sich
das hierzulande – betätigt sich die BRD seit einiger Zeit
als Macht mit eigenen imperialistischen
Interessen, insbesondere als Führungsmacht
Europas. Diese Union europäischer Staaten
konstituiert sich als nach außen abgeschotteter Block,
der nicht nur gegen die führende Weltwirtschaftsmacht als
Konkurrent antritt, sondern auch danach strebt, Amerika
das Monopol der weltpolitischen Aufsichtsmacht streitig
zu machen, und auch wenn in Bezug auf letzteres die USA
bislang nicht viel zu befürchten haben: Der Partner
Deutschland ist in der Konkurrenz um Geld und
Macht in eigener Sache unterwegs, und das durchaus in
einem auch der Weltmacht Respekt gebietenden Ausmaß,
nämlich als Vormacht eines eigenen Staatenbündnisses mit
eigenen Absichten. Für Amerika resultiert hieraus ganz
natürlich das Bedürfnis, sich jene Erkenntnisse
zu
verschaffen, auf die sich Geheimdienste verstehen, also
in Erfahrung zu bringen, wer in Europa mit wem oder auch
gegen wen welches politische Programm verfolgt, was da
wirtschaftlich wie weltpolitisch unterwegs ist und
Amerikas Interessen tangiert. Denn woran man mit
Europa ist: Das weiß man in Washington auch ohne Spione.
Was man mit ihnen zusätzlich herausfinden will, betrifft
den dem eigenen politischen Interesse dienlichen Umgang
mit dem machtvollen Konkurrenten: Möglichst vor dem Eklat
von Streitfragen, die sich im Verkehr der konkurrierenden
Mächte unweigerlich ergeben, möchte man Bescheid wissen
über die Stärken und Schwächen des Konkurrenten, darüber
also, was man in Bezug auf erstere in Rechnung zu stellen
hat, was man hinsichtlich letzterer zur Beförderung des
eigenen Vorteils ausnutzen oder zur Androhung eines
empfindlichen Schadens der Gegenseite und derart zu deren
wirksamer Erpressung verwenden kann. Deswegen gesellt
sich zur Kooperation Amerikas mit dem deutschen Partner
in allen maßgeblichen geheimdienstlichen Belangen auch
dessen einseitiges Ausspionieren: Zusätzlich zu
allen eingerichteten Verhältnissen, in denen in bewährter
Manier deutsche Behörden aus eigenem Antrieb oder auf
Weisung ihrer amerikanischen Kollegen ihre
Zulieferdienste für die Wahrung der gemeinsamen
Sicherheitsinteressen verrichten, nehmen sich die USA die
Freiheit, ihren geheimdienstlichen Apparat auch zum
Ausspähen der Entscheidungsprozesse zu nutzen, die in den
Schaltzentralen der Macht in Berlin und Brüssel laufen.
Dieser Wissensdurst umfasst neben vielem anderen, was in
diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, selbstverständlich
auch alles, was die deutsche Kanzlerin via Telefon für
mitteilenswert hält – privat wie politisch, weil sich bei
Frau Merkel beides ohnehin nicht voneinander trennen
lässt: Da ist immer die höchste Amtsperson des Landes in
der Leitung...
Die Beschwerden, die sich gegen diese geheimdienstlichen
Praktiken der USA in Deutschland regen, werden in
Washington zur Kenntnis genommen. Die Reaktionen dort
schwanken einerseits zwischen demonstrativer
Gleichgültigkeit und Versuchen zur Beschwichtigung –
Obama höchstselbst verspricht sich darum zu kümmern, dass
seine NSA ab demnächst wirklich nur tut, wozu er sie
kommandiert –; andererseits machen sie mindestens ebenso
demonstrativ deutlich, dass die USA keinesfalls gewillt
sind, auch nur irgendwie abzurücken von der Praxis ihrer
Sicherheitsbehörden. Die deutsche Kanzlerin macht aus
Informationen des Whistleblowers Snowden einen Skandal
und sieht die Grundlagen des
Vertrauensverhältnisses
zwischen sich und dem
Partner im transatlantischen Verhältnis angegriffen – und
der betreffende Partner stellt klar, dass für ihn nicht
die Informationen, sondern der Informant der
Skandal ist, gegen den es vorzugehen gilt. WANTED
Edward Snowden
heißt es auf dem Steckbrief des FBI,
und eben dies, den Vaterlandsverräter und Großverbrecher
in Sachen nationaler Sicherheit in die Finger zu kriegen
und ihn dann nach allen Regeln der rechtsstaatlichen
Kunst zu vergasen oder zu einer Freiheitsstrafe zwischen
120 und 1200 Jahren zu verurteilen: Nur das und
nicht die Überwachung von Merkels Telefon steht für die
USA an oberster Stelle der Prioritätenliste, die es in
der Affäre um ihre NSA abzuarbeiten gilt. Vor ihrem
nationalen Recht fordern sie weltweit Respekt, also für
sich als die Instanz, die dieses Recht setzt, die
Anerkennung als obersten Marshal, der alle anderen
Staaten zu Hilfssheriffs seiner Strafverfolgung
degradiert und insbesondere von denen, mit denen er
ohnehin schon eng kooperiert
, Beihilfe erwartet:
das ist die schon sehr souveräne Replik der Führungsmacht
auf die Beschwerde seitens ihres vom Vasallen zum
Konkurrenten aufgestiegenen Partners, beim Spionieren die
Grenzen des Vertrauens
überschritten zu haben.
2.
Komplementär zu den USA stellt sich die BRD nach dem Ende
des Kalten Krieges auf. Die im Kampf gegen den Ostblock
gestählte transatlantische Partnerschaft wird auch vom
wiedervereinigten und endlich komplett souveränen
Deutschland gepflegt und ausgebaut, in welchem Ausmaß,
ist in Gestalt der militärischen und geheimdienstlichen
Kooperation der beiden Mächte zu besichtigen. Teils als
Erbe des glorreichen Ost-West-Konflikts, teils neu
zugezogen, gehen 43 000 US-Soldaten, Tausende Diplomaten,
davon 900 im Frankfurter Generalkonsulat, sowie eine
Dunkelziffer von Geheimagenten einer geregelten Arbeit im
Staatsdienst nach. Drei Milliarden Dollar pro Jahr stehen
im US-Haushalt für Militärausgaben in der BRD, das ist
Platz 2 hinter Afghanistan. Von Stuttgart und Ramstein
starten die USA Drohnen-Einsätze in Afrika. Teils als
Erbe des NATO-Statuts, teils neu vereinbart, erteilt
Deutschland die Konzession für Kriege gegen staatliche
wie nichtstaatliche Feinde des zivilisierten Abendlandes
und liefert dazu auch eigene Beiträge. Deutschland ist
Knotenpunkt für grenzüberschreitendes Spionieren gegen
den Rest der Welt, nicht hinter dem Rücken deutscher
Regierungen, sondern von ihnen geduldet und gewollt
unterhalten die US-Dienste beim deutschen Partner ihre
autonomen Zweigniederlassungen und führen sich die
deutschen Dienste ihrerseits wie Filialen der US-Behörden
auf. Näheres ist den veröffentlichten Dossiers von SZ und
NDR zu entnehmen. In Sachen Zusammenarbeit, also
in der Praxis des Zulieferns, des Einräumens rechtlicher
Freiheiten und auch bei der tätigen Mitwirkung im Kampf
gegen den Terror passt die BRD sich nahtlos in das
US-Sicherheitskonzept ein. Sie entspricht dem Antrag, die
gemeinsame Sache aus 40 Jahre Kaltem Krieg ungebrochen
fortzuführen und fortzuentwickeln. In dieser
Sonderbeziehung ist die Nation Teilhaber des
Aufsichtsprogramms des Freien Westens über die
Staatenwelt – und darf sich zu den größten Profiteuren
der gemeinschaftlich ausgeübten Aufsicht rechnen:
Alles, was Deutschland auf dem Globus vorhat und
unternimmt, beruht auf einer Weltordnung, die
von der konkurrenzlos überlegenen Militärmacht der
NATO-Führungsnation USA gesichert wird. Die Unterordnung
unter die amerikanische Vorherrschaft im NATO-Bündnis ist
die Basis, von der aus Deutschland sich zur
wirtschaftlichen Führungsmacht Europas und zum größten
Exporteur des ganzen Globus aufschwingt. Das ist der
politische Gehalt des Verweises auf die herausragende
strategische Bedeutung der deutsch-amerikanischen
Partnerschaft
, den sich deutsche Regierungen
notorisch schuldig sind.
Gerade weil diese Nation auf höchster Sicherheitsebene
mit den USA kooperiert, die Sicherung der Weltordnung des
westlichen Imperialismus Seite an Seite mit dessen
Führungsmacht essentieller Bestandteil der deutschen
Staatsräson ist, wertet sie das Bespitzeln ihrer
politische Eliten als Missbrauch der
partnerschaftlichen Kooperation mit Amerika, die sie
tagtäglich unter Beweis stellt. Insofern
bekräftigt der deutsche Einspruch gegen das
Ausspionieren der Kanzlerin erst einmal nur die Rolle
Deutschlands als weltpolitischer Kompagnon der USA, wenn
es heißt, dass sich derartiges unter Freunden
nicht gehört: da liegt der Akzent des Satzes auf
Freundschaft. Zugleich aber macht derselbe Einspruch
deutlich, was es von deutscher Seite aus betrachtet mit
dieser Freundschaft auch noch auf sich hat: Gerade auf
Basis seiner sehr weitgehenden Kooperationswilligkeit
möchte Deutschland von seinem Partner schon auch als
Macht respektiert werden, die ihre eigenen
imperialistischen Interessen verfolgt – und zwar
ohne vorherige Absprache mit den USA und deren
Wissen. Das ist der politische Inhalt des
Vertrauens
, das Amerika mit dem Abhören der
Kanzlerin gebrochen haben soll: Moniert wird ein
Übergriff auf die imperialistische Intimsphäre
der europäischen Führungsmacht, ein Zugriff auf die
verdeckten politischen Berechnungen und Bestrebungen
Deutschlands, die man nicht zuletzt deswegen so gern vor
seinem dicken Freund verborgen gehalten hätte, weil sie
oft genug gegen dessen Interesse gerichtet sind.
In den Beschwerden an die Adresse des befreundeten
Partners wird so der Widerspruch deutlich, auf
dem der deutsche Imperialismus beruht. Auf Basis des
gemeinsamen Sicherheitsinteresses legt sich Deutschland
auf unbedingte Kooperation mit Amerika fest und
ordnet sich selbst der Führungsmacht unter – nicht
offiziell, de facto aber schon. Darin aber geht die
imperialistische Interessenlage dieser Nation nicht auf:
Den Schutz der Weltmacht will sie um ihrer
Autonomie willen haben, zur Verfolgung
ihrer Interessen und Wahrnehmung ihrer
Rechte, die allesamt auf die Emanzipation vom
Status einer nachrangigen Bündnismacht berechnet sind.
Also betreibt sie stets beides nebeneinander, die
bedingungslose Freundschaft zu Amerika – und das Beharren
auf einer wesentlichen Bedingung: Die Respektierung der
eigenen imperialistischer Interessen, mit denen man sich
von der Vormacht und ihren Vorgaben perspektivisch
freizumachen sucht. Daher ist es auch konsequent, wenn
man hierzulande aus einem Übergriff, den sich US-Behörden
bei der Kooperation in Fragen der Staatssicherheit
geleistet hätten, Schlussfolgerungen zieht, die ein ganz
anderes Feld der Kooperation mit Amerika betreffen. Der
Verdacht von Wirtschafts-Spionage
macht die Runde,
ein Stopp der Gespräche über eine Freihandelszone
wird vom deutschen Präsidenten des Europa-Parlaments
erwogen, und beides dokumentiert nur, dass die
Konkurrenz gegen den Partner die andere Seite
der unverbrüchlichen Freundschaft ist, die man
sicherheitspolitisch mit ihm pflegt.
Entsprechend widersprüchlich geraten auch die
Konsequenzen, die man aus der NSA-Affäre hierzulande zu
ziehen gedenkt. Den Auftakt bildet das höchst offizielle
und immer wieder von neuem abgelegte Bekenntnis dazu,
dass in Deutschland selbstverständlich keiner auch nur
irgendwie daran denkt, die Zusammenarbeit mit Amerika auf
dem Gebiet der Staatssicherheit zu kündigen –
eingeschlossen die dort ganz im Dunkeln oder in
rechtlichen Grauzonen wirkenden Dienste und Behörden.
Freilich: Die Vorwürfe sind gravierend. Sie müssen
aufgeklärt werden. Wichtiger noch: Für die Zukunft muss
neues Vertrauen aufgebaut werden.
(Merkel im Bundestag, 18.11.) Also werden
unter dem Kapitel Datenschutz und Transparenz
Vorschläge ausgearbeitet, die dann schon deutlich machen,
dass man mit seinem unbedingten Willen zur Kooperation
mit der Führungsmacht doch sehr an der fortdauernden
Unterordnung unter sie leidet. Man sucht eine
Grundlage für Kooperation, die dem Charakter von
Bündnispartnern entspricht
(Merkel), tastet sich an Modelle
heran, die Deutschland in seinem Verhältnis zur
Führungsmacht aufwerten, seinem Anspruch, auf
Augenhöhe
mit der Führungsmacht zu verkehren, gerecht
werden könnten. Nicht schlechter möchte man behandelt
werden als der spezielle Verbündete Großbritannien. Ins
Gespräch kommt sogar eine Mitgliedschaft im erlauchten
Club der ‚Five Eyes‘, die sich einander fest versprechen,
voreinander keine Geheimnisse zu haben, und sich das
Versprechen auch noch wechselseitig abnehmen und aufs
Spionieren gegeneinander verzichten. Aber den förmlichen
Antrag auf Mitgliedschaft im Club stellt man dann doch
nicht und kümmert sich statt dessen um näherliegende
Alternativen im Sinne einer von Amerika anerkannten
Autonomie der wiedervereinigten Nation. An die Stelle der
Freiheit, die sich Amerika mit den Operationen seiner
Dienste einseitig herausnimmt, sollte vertraglich
geregelte Wechselseitigkeit gleichberechtigter Partner
auch auf diesem Feld Einzug halten, etwa in Form einer
bilateralen verbindlichen No-Spy-Zusage
der USA.
Bei all diesen und ähnlichen Anläufen, im
Zusammenarbeiten mit den USA den Status der
Nachrangigkeit loszuwerden, setzt Deutschland freilich
nicht allein auf den guten Willen der Führungsmacht. Die
Nation treibt die Emanzipation zur autonomen Macht weiter
voran, zu der sie es als Führungsmacht Europas schon
gebracht hat, und drängt danach, sich die Mittel
zu verschaffen, die im Verhältnis zu Amerika für etwas
mehr Gleichgewicht sorgen könnten: Ein
Cyber-Security-Gipfel
unter Vorsitz der Deutschen
Telekom und des Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz
erörtert Alternativen zur Abhängigkeit von US-Servern,
etwa in Gestalt eines Europäischen Internets
oder
einer Schengen-Cloud
, und mit dem Ausbau des
EU-Satellitennavigations-Systems ‚Galileo‘ geht es den
verantwortlichen Kommissionen in Brüssel viel zu langsam
voran. Und selbstverständlich sind nach deutscher Lesart
all diese Projekte, Amerikas Monopolstellung bei der
Bereitstellung wie bei der Kontrolle des globalen
Datenverkehrs ein wenig zu unterminieren, eines nie und
nimmer: Die Kündigung der Zusammenarbeit mit dem großen
Freund und Partner wird auch nicht im entferntesten
erwogen...
3.
Wie es sich für eine Demokratie gehört, verteilen sich die zwei Seiten des Widerspruchs – Kooperation mit eingebauter Unterordnung einerseits und damit bezweckter autonomer Machtentfaltung andererseits – auf Regierung und Opposition; wenn auch nicht ganz trennscharf, weil mit pro- wie anti-amerikanischen Voten an den „Rändern“ beider Lager Werbung für die eigene Seite gemacht wird. Die Regierung – die noch amtierende wie die nächste – praktiziert diesen Widerspruch und will ihn aufrechterhalten, indem sie den Vorteil für Deutschland unterstreicht, den sie mit ihrer Politik sichert. Die Opposition problematisiert die Nachteile, die aus dieser Politik der Regierung für die Nation erwachsen, und nicht zufällig wird der Dialog zwischen beiden Lagern an der Person Snowden ausgetragen: Am Whistleblower sucht Amerika seinen Rechtsstandpunkt zur international verbindlichen Rechtslage zu machen, also entzündet sich an ihm auch die heiße Frage, wie das souveräne Deutschland es in diesem Fall zu halten gedenkt mit der schwierigen Gratwanderung zwischen Respekt vor der Weltmacht und der Unterordnung unter ihr Diktat auf der einen und autonomer Machtbehauptung auf der anderen Seite.
Dem Mann in Deutschland Asyl zu gewähren, schließt man im Lager der Regierung kategorisch aus: Das wäre eine Brüskierung des Partners, die man sich auf gar keinen Fall leisten will. Ihn irgendwo im Ausland zu befragen und sich aus erster Hand die Erkenntnisse zu verschaffen, die man von den Behörden in den USA einfach nicht überreicht bekommt: Das zieht man unter Umständen schon in Betracht. Das wäre immerhin eine, wenn auch eine kleine, Dokumentation von Souveränität bei der Wahrnehmung eigener Sicherheitsbelange, und läge, ein weiterer Vorteil, noch weit unterhalb der Schwelle des Übergangs zum Anti-Amerikanismus, der sich auf gar keinen Fall gehört.
Die Opposition stochert in demselben Dilemma
herum und kommt zum entgegengesetzten Ergebnis. Die
Linkspartei outet sich als Lordsiegelbewahrer echter
deutscher Souveränität: Deutschland ist erst dann
souverän, wenn es Snowden anhört, ihm Asyl gibt und
seinen Schutz gewährt
(Gysi), Ströbele von den Grünen besucht
demonstrativ den Whistleblower in Moskau und fordert von
der Kanzlerin wenigstens ein symbolisches Zeichen
deutschen Selbstbewusstseins gegenüber Amerika – ‚Frau
Bundeskanzlerin‘, fragt der Grünen-Politiker, ‚haben Sie
mal darüber nachgedacht, sich bei Edward Snowden zu
bedanken?‘ Merkel bleibt still. ‚Sind Sie überhaupt nicht
dankbar? fragt Ströbele weiter. ‚Es wäre eine menschliche
Geste.‘ Merkel bleibt still. ‚Ich hatte etwas anderes von
Ihnen erwartet!‘
(Aus: Die
Welt)
Beide Lager übergreifend warnen die einen deutschen
Patrioten vor zu viel Anti-Amerikanismus, weil sie die
Gefahr der Entfremdung
von dem Partner befürchten,
an dessen Potenzen Deutschland so erfolgreich schmarotzt.
Die anderen Patrioten stehen eher auf dem Standpunkt,
dass die Macht Deutschlands groß genug ist, um gegenüber
Amerika wenigstens ein Zeichen eigener
Machtvollkommenheit zu setzen. Derart teilen sie sich
anlässlich dieses Falls ein bei der Abschätzung von
unbedingt für nötig befundenen Wirkungen und
unerwünschten Nebenwirkungen der Behauptung deutscher
Souveränität gegenüber Amerika. Und was den Anlass ihrer
schönen Kontroversen betrifft, sind sie sich im Grundsatz
so einig wie die Geheimdienste beider Mächte: Die machen
bei ihrer Kooperation genau so weiter wie bisher – und
daran ernsthaft zu rühren haben auch die
parlamentarischen Großschauspieler nicht vor, die das
nationalistische Ressentiment gegenüber der Supermacht
mobilisieren.
[1] Siehe: Edward Snowden enthüllt die Dimension der Überwachung des Globus durch US-Geheimdienste: Böse Wahrheiten über die hochgelobte Freiheit – und ihre demokratische Bewältigung, GegenStandpunkt 3-13.