Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Reform der US-Einwanderungsgesetze im Interesse der Homeland Security:
Null Toleranz für Illegale

Seit 9/11 behauptet Amerika, ein neues, modernes Einwanderungsgesetz zu brauchen, das seinen gewachsenen Sicherheitsinteressen Rechnung trägt. Ein solches hat mittlerweile das Repräsentantenhaus im Dezember letzten Jahres auch verabschiedet. Dieser Gesetzesentwurf zur Grenzsicherung sieht vor, dass letztlich so gut wie alle in den USA lebenden illegalen Einwanderer das Land zu verlassen haben. Nun wird im Senat an einer abgewandelten Version gebastelt, die auch ein Aufenthaltsrecht vorsieht und regeln soll

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Reform der US-Einwanderungsgesetze im Interesse der Homeland Security:
Null Toleranz für Illegale

Seit 9/11 behauptet Amerika, ein neues, modernes Einwanderungsgesetz zu brauchen, das seinen gewachsenen Sicherheitsinteressen Rechnung trägt. Ein solches hat mittlerweile das Repräsentantenhaus im Dezember letzten Jahres auch verabschiedet. Dieser Gesetzesentwurf[1] zur Grenzsicherung sieht vor, dass letztlich so gut wie alle in den USA lebenden illegalen Einwanderer das Land zu verlassen haben. Nun wird im Senat an einer abgewandelten Version gebastelt, die auch ein Aufenthaltsrecht vorsieht und regeln soll.

Plötzlich entdecken die USA, dass sich auf ihrem Boden mehrere Millionen Leute aufhalten, die dies nach Recht und Gesetz eigentlich gar nicht dürfen. Zur amerikanischen Bevölkerung gehören nämlich jede Menge illegale Einwohner, die – teilweise seit Jahren oder Jahrzehnten – amerikanische Städte und Landschaften bevölkern. Dass die es dahin gebracht haben, liegt nicht zuletzt am amerikanischen Staat und seinen Berechnungen bezüglich dieser jetzt zum dringlichen ‚Sicherheitsproblem‘ erklärten Mannschaft. Staatsrechtlich gesehen hat die Obrigkeit diese Menschen einfach ignoriert, praktisch hat sie sie zynisch geduldet[2] wegen der nützlichen Dienste, die sie fürs nationale Wachstum erbringen. Ihr Status als nicht-legale Ausländer, die im Prinzip jederzeit über die Grenze abgeschoben werden können, macht sie zum absolut billigen und willigen Menschenmaterial ganzer Wirtschaftszweige, angefangen von der Landwirtschaft über das Dienstleistungsgewerbe bis hin zur Fleischverpackungsindustrie. Die nützlichen Rechtlosen haben zwar Zugang zu staatlichen Sozialeinrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen; zugleich stehen sie aber unter der ständigen Drohung, bei der geringsten Auffälligkeit abgeschoben werden zu können.

Diese Rechtslage hat der amerikanische Staat auch im Zuge seiner inneren Terrorbekämpfung weidlich genutzt, um Leute zu inhaftieren und abzuschieben. Das reicht ihm nun nicht mehr. Sein Bemühen, die Heimatfront terrorsicher zu machen, rückt die illegalen Massen in ein neues Licht. Obgleich nicht einmal die rechten Republikaner die katholischen Latinos zu Bin Ladins Fünfter Kolonne oder auch nur zu dem Sumpf rechnen, in dem der islamistische Terror gedeiht, gilt die Masse der unkontrollierten Einwanderer jetzt als Index sträflich vernachlässigter Sicherheit und viel zu offener Grenzen des Landes. Jetzt wird das wirtschaftsdienliche Laisser-faire als fehlende Aufsicht und Kontrolle nicht nur über die Grenze, sondern über eine ganze Abteilung des – jedenfalls faktisch – amerikanischen Staatsvolks ins Visier genommen. Dieser Missstand muss aus der Welt – so weit sind sich alle Fraktionen der amerikanischen Politik einig.

Nicht einig sind sie in der Frage, wie der staatliche Kontrollbedarf in Übereinstimmung zu bringen sei mit dem unübersehbaren Nutzen, den diese Sorte Menschheit – vom Tomatenpflücker bis hin zum billigen Kindermädchen der Besserverdienenden – für das Funktionieren des amerikanischen Gemeinwesens hat. Scharfmacher aus der republikanischen Partei fordern in der öffentlichen Debatte eine Massendeportation aller Illegalen. Präsident Bush profiliert sich ihnen gegenüber mit der überaus menschenfreundlichen Haltung, dass die illegalen Ausländer in ihrer Mehrzahl doch ehrbare Menschen („decent human beings“) seien, also sorgfältig nach erwünscht und unerwünscht sortiert und Aufenthalt und Verwendung der Zugelassenen nur gehörig unter staatliche Kontrolle gebracht und wirksam beaufsichtigt werden müssten.

Die im Senat debattierte Einwanderungsreform sieht ein dreiteiliges Sicherheitspaket vor: Erstens müssen die Außengrenzen der USA in Zukunft wirklich unüberwindlich gemacht werden. Zweitens muss mit der Bestrafung des illegalen Grenzübertritts im Land ernst gemacht werden. Drittens soll ein ‚Gastarbeiter‘-Status geschaffen werden, der den bisher Illegalen unter bestimmten Vorrausetzungen einen zeitlich begrenzten Aufenthalt ermöglicht.[3]

1. Die Grenze undurchlässig machen!

Die Illegalen kommen auf zwei Wegen über die südlichen Grenzen in das Reich der Freiheit. Entweder kommen sie ganz legal im Rahmen der vereinbarten Kontingente von Erntearbeitern in die USA, „versäumen“ aber bei Ablauf ihres Kontrakts die Rückkehr und diffundieren stattdessen unregistriert in die amerikanische Gesellschaft hinein. Oder sie kommen gleich illegal über die Grenze; schwimmend, buddelnd, zu Fuß oder mit Hilfe von Schleusern, die sie direkt auf die nächsten Felder bringen. Um da die Schlupflöcher zu verbarrikadieren, hat der Staat bereits in den letzten 5 Jahren die Zahl der Grenzpolizisten um mehr als 30% vergrößert; weitere 12% sollen dieses Jahr hinzukommen.[4] Mit über 2 Milliarden Dollar soll die ohnehin paramilitärische Ausstattung der Grenzpolizei durch unbemannte Kontrollfahrzeuge und Suchdrohnen weiter aufgerüstet, der Grenzzaun zu Mexiko um 1100 km verlängert und auf neuestes Stacheldrahtniveau gebracht werden. Ergänzt wird die Staats-Maschinerie durch amerikanische Freizeitmilitaristen, die in schwer zugänglichem Grenzgelände die Jagd auf Coyotes (Schlepper) zu ihrem patriotischen Privatvergnügen machen.

All diesen Anstrengungen zum Trotz schaffen es immer noch zu viele, das Gebiet der USA zu erreichen. Über 6 Millionen wurden in den letzten 5 Jahren zurück über die Grenze geschickt, darunter – man denke! – 400.000 Vorbestrafte. Der sicherheitspolitisch geschärfte Blick wird dessen gewahr, dass das Elend Lateinamerikas, das da über die Grenzen schwappt, nicht nur die geschätzten billigen undocumented worker, sondern tatsächlich auch ‚Kriminelle‘ einschließt, dass auch Drogenschmuggler den Weg über die Grenze nehmen, und sogar Banden aus zentralamerikanischen Staaten in Texas und Kalifornien Niederlassungen gründen. Was könnten erst Terroristen aus solchen Gelegenheiten machen!

2. Die Immigrationsgesetze auch durchsetzen!

Damit dieses „Fenster der Verwundbarkeit“ wirklich geschlossen wird, wird auch der Umgang der Grenzbehörden mit den Latinos korrigiert, die bei der illegalen Einreise erwischt werden. Ein effektives Grenzregime soll nicht nur den illegalen Grenzübertritt verhindern, sondern auch der Versuch dazu soll bestraft werden, um die Aufgegriffenen von einem zweiten Mal und andere Einwanderungswillige gleich im Vorhinein abzuschrecken. Das alles habe man bisher sträflich vernachlässigt, so der neue Standpunkt zur bisherigen Vorgehensweise. Bisher haben die Behörden die meisten, die beim Überschreiten der grünen Grenze aufgegriffen wurden, gleich darauf mit der Auflage entlassen, sich zum Gerichtstermin wieder einzufinden. Dabei währte die Zeitspanne von Festnehmen und Freilassen bis zur Gerichtsverhandlung praktischerweise gerade so lange wie die Erntehochzeit in den südlichen Bundesstaaten. Die in diesen Phasen ausgedünnte Grenzpolizei verstärkte dann zum Ende der Erntezeit ihre Tätigkeit im Inneren wieder, um die Illegalen von den Feldern zu sammeln und sie mit Bussen nach erkennungsdienstlicher Behandlung über die Grenzübergänge abzuschieben. So wurden Generationen von ‚Chicanos‘ vom jahreszeitlichen Rhythmus der US-Landwirtschaft aufgesogen und ausgespuckt als ein nach Preis und Umfang fester Bestandteil des agrikolen Kapitals der USA.

Nun ist Krieg gegen den Terror, und die alten Zugangswege von Feldarbeitern werden als mögliche Gefährdung der inneren Sicherheit entdeckt. Jetzt gilt als Skandal, dass es durchschnittlich 66 Tage dauert, bis ein Fall von illegaler Einwanderung abgearbeitet ist, und die große Mehrzahl der Fälle nie zur Verhandlung kommt, weil die Delinquenten erst gar nicht in Haft genommen werden oder längst wieder entlassen sind, – eine regelrechte Einladung zum illegalen Daueraufenthalt! Daher soll die Abschiebung beschleunigt und ihre Durchsetzung juristisch vereinfacht werden. Für illegale Einwanderer folgt auf die Festnahme nicht mehr Freilassung, sondern Ausweisung: Wer aufgegriffen wird, wird zur Abschiebung überstellt. Bei der Frage, wie bei der zu verfahren sei, unterscheidet der Staat zwei Hauptgruppen: Aufgegriffene Mexikaner, die absolute Mehrheit, wurden bisher einfach zurück über die Grenze eskortiert. Das kommt nicht mehr in Frage, es führt ja nur zu neuen Versuchen der Einreise. Eine Praxis aus Arizona verspricht da mehr Erfolg: Man bringt ungebetene Immigranten gleich zurück in ihre jeweiligen Heimatorte. Viele, die aus dem Süden Mexikos kommen, so die Berechnung, werden die Kosten für einen weiteren Versuch nicht aufbringen, weil ihr Hab und Gut für die erste ‚Reise‘ samt Schlepper draufgegangen ist. Die übrigen Latinos, passend OTMs (Other Than Mexicans) genannt, sollen gesammelt und en bloc in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Um diese schwere Aufgabe zu bewältigen, werden die Gefängniskapazitäten vergrößert und Schnellgerichte eingerichtet, die mit sofort vollstreckbaren Urteilen die gewünschte Abschiebung sicherstellen sollen. Außerdem wird das bisherige Gesetz, dem zufolge Illegale nur mit Zustimmung ihres Heimatlandes deportiert werden können, aufgehoben. An die lateinamerikanischen Herkunftsstaaten ergeht die Aufforderung, ihrerseits alle bürokratischen Hindernisse zu beseitigen, die der neuen Gesetzeslage im Wege stehen könnten. Sie sollen das Problem der USA mit ihren Auswanderern gefälligst zu dem ihren und sich zu Helfershelfern von deren Grenzregime machen sowie gelegentliche Repatriierung ins falsche Herkunftsland unter sich regeln.[5]

Auch diejenigen, die schon im gelobten Land Arbeit und Bleibe gefunden haben, dürfen sich nicht sicher fühlen, wenn der Staat mit der Existenz einer illegalen Wohnbevölkerung aufräumen will. Niemand kann mehr auf ein halbwegs unbehelligtes Dasein in der Illegalität rechnen. Die Behörde für Heimatschutz stellt ein neues Sondereinsatzkommando auf, das mit großen Razzien die typischen Arbeits- und Wohnstätten der Latinos terrorisiert, Illegale aufspürt, festnimmt und sofort abschiebt. Ferner geraten die informellen Netzwerke der Immigranten und deren Leistungen für das Überleben in der Illegalität ins Visier: Die inoffiziellen Kanäle zur Beschaffung von Personaldokumenten, Wohnungen, Arbeit sollen ausgetrocknet werden – schließlich könnten sich auch Terroristen ihrer bedienen oder haben das sogar schon. In den personalausweis-freien USA werden die sonstigen Erfassungspapiere fälschungssicher gemacht, allen voran die Sozialversicherungskarte. Die wird als Ausweisersatz immer wichtiger und ist inzwischen erforderlich, wenn einer sich für den Führerschein anmeldet, ein Handy oder Auto kauft bzw. zulässt oder ein Konto eröffnet. Dieses alle Amerikaner betreffende Überwachungsinstrument, macht es illegalen Einwanderern besonders schwer, sich in die amerikanische Gesellschaft einzunisten. Zudem sollen ‚Gastarbeiter‘ einen eigenen fälschungssicheren Ausweis erhalten.

3. Schluss mit den Illegalen: Raus oder registrierter „Gastarbeiter“ werden!

Nun ist genau diese Sorte geduldeter Illegalität die Grundlage der proletarischen Verhältnisse, die das US-Kapital so schätzt. Auch der amerikanische Staat weiß, wer im Lande die Billigarbeit zu Dreckslöhnen macht, und will diese Quelle amerikanischer Prosperität nicht stilllegen. Die Reform zielt also auf das kleine Kunststück, das illegale Einwanderungswesen abzuschaffen, nicht aber die Billiglöhne, die es nur auf Basis der Ausbeutung illegaler Einwanderer gibt. Präsident Bush will einen legalen Weg anbieten, auf dem willige amerikanische Arbeitgeber mit willigen ausländischen Arbeitern Arbeitsplätze besetzen können, auf denen kein Amerikaner zu arbeiten bereit ist, was seiner Auffassung nach umgekehrt wiederum der geeignetste Weg ist, dem staatlichen Sicherheitsbedarf wirklich verlässlich Geltung zu verschaffen.

Die im Senat diskutierte Gesetzesvorlage für das befristete Gastarbeiterprogramm zielt auf eine strikte Scheidung zwischen illegalen Immigranten, die das Land verlassen müssen, und anderen Illegalen, die, sofern ihr Antrag auf Legalisierung ihres Aufenthalts genehmigt wird, registriert, kontrolliert und zeitlich begrenzt die Rolle der Domestiken weiterspielen dürfen. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse können für zwei mal drei Jahre erteilt werden. So bleibt der segensreiche Druck auf die Immigranten, die Unsicherheit, die sie so arbeitsam und bescheiden macht, erst einmal erhalten. Selbstverständlich wird die beantragte Erlaubnis an Bedingungen geknüpft. Wer vorbestraft ist und nicht einen Aufenthalt von wenigstens 5 Jahren in den USA nachweisen kann, ist ohne Chance. Da so ein Nachweis bei einem Illegalen naturgemäß schwer zu führen ist, haben sich die Gesetzesgeber einen wahrhaft amerikanischen Ersatz für diesen Nachweis einfallen lassen: Wer sich legalisieren lassen will, muss nachträglich 1000 $ Strafe für den illegalen Grenzübertritt sowie weitere 2000 $ als Steuerpauschale für fünf Jahre Schwarzarbeit an die Staatskasse abführen. Die hübsche Summe scheidet diejenigen, die es mit ihrer Billigarbeit zu irgendetwas gebracht haben, sich also offenbar im gelobten Land und für es nützlich gemacht haben, von Leuten, die sich nur mit gelegentlicher Arbeit und mit Hilfe der landsmannschaftlichen und verwandtschaftlichen Netzwerke haben durchschlagen können und dabei bettelarm geblieben sind. Die fliegen raus.[6]

Der von McCain und Kennedy vorgeschlagene Gesetzentwurf sieht vor, denjenigen, die sich beim Gastarbeiterprogramm melden und durch ihre Registrierung wie durch ihren kontrollierten untadeligen Lebenswandel mithelfen, den Sumpf der illegalen Einwanderung auszutrocknen, einen – natürlich langwierigen und nie garantierten – Weg zur US-Staatsbürgerschaft zu eröffnen. Sofern sie sich keiner Rechtsverletzung schuldig machen und ihre Fähigkeit zu „finanzieller Selbstverantwortlichkeit“[7] wiederholt und dauerhaft beweisen, wird ihnen zuerst eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung um weitere drei Jahre in Aussicht gestellt; nach insgesamt vier Jahren, können sie eine Permanent Resident Card (eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung – Green Card) beantragen. Sofern dies positiv beschieden wird, steht es ihnen frei, nach weiteren fünf Jahren den Antrag auf amerikanische Staatsbürgerschaft zu stellen, nochmals Lebenswandel und Englischbrocken überprüfen zu lassen und auf endgültige Einbürgerung zu hoffen.[8] Und noch ein Weg steht ihnen – wie bisher schon – offen: Wer bereit ist, für das Vaterland in spe schon mal vorab den Kopf hinzuhalten,[9] erhält nach dem Militärdienst im Irak oder Afghanistan die US-Staatsbürgerschaft. Mehr als 20.000 ehemalige Ausländer haben davon schon Gebrauch gemacht. Einige haben die Zeit bis zur Einbürgerung nicht lebend überstanden; aber Amerika sorgt sich um die, die sich um Amerika sorgen: Auch die Angehörigen gefallener Soldaten, die mit ihrem Tod zu Amerikanern geworden sind, erhalten die Staatsbürgerschaft.

Für die nationale Sicherheit werden auf der anderen Seite auch die Kapitalisten in die Pflicht genommen, mag das auch mit gewissen Kosten und geschäftlichen Beschränkungen verbunden sein. Sie haben künftig darauf zu achten, wem sie die Niedriglöhne anbieten. Der Staat drängt ihnen weiterhin und verstärkt sein kostenloses „screening“ von Bewerbern auf; dafür können „Arbeitgeber, die illegale Immigranten

einstellen, in Zukunft nicht mehr mit einem kulanten staatlichen Umgang rechnen, wenn sie die Gesetze verletzen.“ (Boston Globe, 22.4.06.)[10]

4. Die Hispanics verteidigen sich sehr amerikanisch

Mit einem Federstrich entzieht der amerikanische Staat den lateinamerikanischen Elendsfiguren also die Grundlagen ihrer bisherigen miserablen Existenz und stellt damit klar, dass die stillschweigende Duldung ihrer Präsenz im Land eine Gnade seinerseits ist, die er nach seinen Rechnungen eröffnet und zurückzieht. Es kennzeichnet die trostlose Lage der Latinos, dass sie diese Existenz außerhalb des Rechts und daher unterhalb all dessen, was in den USA an Armut sowieso üblich ist, als ihre Lebenschance verteidigen, die sie sich nicht nehmen lassen wollen.[11] Es kennzeichnet aber auch die US-amerikanische politische Reife, die sie sich längst erworben haben, dass sie ihren Kampf gegen die drohende Deportation eines Großteils von ihnen und gegen die Zerstörung ihrer familiären und nachbarschaftlichen Netzwerke mit einem einzigen großen Bekenntnis zu dem Land führen, das sie so schlecht behandelt hat und noch schlechter behandeln will. Unterstützt von Kirchen und Bürgerrechtsgruppen bringen sie schon zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen mehr als eine Million Demonstranten auf die Straßen der großen Städte, um das Sternenbanner gegen die Pläne der Regierung zu schwenken. Ihr Protest bemüht ausdrücklich das Argument, dass sie doch brave Leute seien, die sich nichts zuschulden kommen lassen und die für eine Hand voll Dollar immer zuverlässig und gerne die Drecksarbeit für die richtigen Amerikaner erledigt haben. So unterstreichen sie ihre Loyalität gegenüber Amerika und finden es ungerecht, dass man sie unter die Terrorismusgefahr subsumiert und als Sicherheitsproblem behandelt. Sie hätten es verdient, wenn schon nicht als richtige US-Bürger, dann doch zumindest nicht als unerwünschte Ausländer behandelt zu werden und wenigstens den Status des dauerhaft geduldeten Aufenthaltsberechtigten zuerkannt zu bekommen. Ihre Rolle als billige Unterklasse der US-Ökonomie wollen sie rechtlich „abgesichert“ bekommen. Um die Leistung, die sie dem Land als Arbeitskräfte und als Konsumenten bringen, vor Augen zu führen, rufen sie als radikalsten Schritt den 1. Mai zu einem „day without immigrants“ aus und nehmen sich vor, einen Tag lang zu demonstrieren, Arbeitsstätten und Schulen zu bestreiken und keinen Dollar auszugeben. Prompt geraten sie untereinander in Streit darüber, ob das nicht zu sehr wie ein Kampf gegen die US-Gesellschaft aussieht und ihrem Antrag bei der weißen Mehrheitsgesellschaft eher Sympathien entzieht, anstatt deren Unterstützung gegen Bushs Republikaner zu gewinnen. Also hält man sich am 1. Mai mit dem Streiken ziemlich zurück und demonstriert öffentlich seine Verbundenheit mit Amerika mit Parolen wie „Let me love your country!“ und setzt noch einen drauf: Illegale und ihre schon etablierten Latino-Brüder singen gemeinsam die US-Hymne auf Spanisch.

Dieser Loyalitätsbeweis wird vom amerikanischen Präsidenten allerdings gar nicht geschätzt. Auf dem Feld der nationalen Symbole versteht er keinen Spaß – sondern nur Englisch.[12] Eine Ergebenheitsadresse in der falschen Sprache, das erscheint ihm als eine einzige Anmaßung, als eine symbolische Inbesitznahme der südlichen USA durch die Hispanics, die die guten Amerikaner in mehreren Eroberungskriegen vor gut eineinhalb Jahrhunderten vertrieben haben. Die Frage der nationalen Sicherheit in Zeiten des Antiterrorkriegs und nach der politischen Zuverlässigkeit der Wohnbevölkerung landet so konsequent bei der grundsätzlicheren Sorge um die nationale Identität des amerikanischen Volkes, d.h. bei der Sorge vor Überfremdung durch die massenhaft hereinströmenden, übermäßig gebärfreudigen, nicht weißen und nicht protestantischen Südamerikaner.

[1] House Resolution 4437: The Border Protection, Antiterrorism, and Illegal Immigration Control Act of 2005

[2] Die US Steuerbehörde (IRS) hat fast 7 Millionen nicht erfasste Immigranten (undocumented immigrants) seit 1996 auf deren Antrag hin Steuernummern zugeteilt, ohne dass die damit einen anerkannten Status gewonnen hätten. (LA Times, 17.04.06)

[3] Bush: Eine umfassende Einwanderungsreform muss schließlich, um den Druck auf unsere Grenzen zu nehmen, ein befristetes Gastarbeiterprogramm anbieten. Ein solches Programm schafft einen legalen Weg, willige ausländische Arbeiter mit willigen amerikanischen Arbeitgebern zusammenzubringen. Mit der Einrichtung eines legalen Angebots für Leute, die zeitlich begrenzt in Amerika arbeiten wollen, würde man die Zahl derjenigen reduzieren, die versuchen, illegal über die Grenze zu schleichen. Das würde Polizeipersonal freisetzen, das sich um die Bekämpfung von Kriminellen, Drogen Dealern, Terroristen und anderen, die unseren Schaden wollen, kümmern kann. Das Programm würde zudem die Sicherheit erhöhen, indem es fälschungssichere Ausweispapiere für diese Arbeiter einführt, damit wir dann genau erkennen können, wer sich hier legal aufhält und wer nicht. (Aus whitehouse.gov/ radio address 8. Apr.)

[4] Der Kongressentwurf sieht vor, die Anzahl der Grenzer bis 2011 mit weiteren 14.000 Mann nochmals zu verdoppeln.

[5] Im Zuge dessen wird auch der kleine Trick mancher Indios entwertet, sich durch ein möglichst akzentfreies mexikanisches Spanisch vor einer Deportation in die ferne Heimat zu schützen. Neuerdings bietet der US-Grenzschutz einigen Sprachgewandten unter den ursprünglich Illegalen einen echten Job: Sie haben die Aufgabe, anhand des Indio-Dialekts der Aufgegriffenen ihre Herkunftsregion und damit das Zielland ihrer Abschiebung zu bestimmen.

[6] Das Pew Hispanic Center (eine Pro-Latino Organisation) hat wohlwollend errechnet, dass gut 7 Mill. der Illegalen einer mehr oder minder geregelten Arbeit nachgehen. Für den Rest, mindestens 4 Mill., erwarten auch sie nicht, dass sie überhaupt die Kriterien einer Legalisierung erfüllen können.

[7] Zur Fähigkeit gehört auch: der Nachweis von Gesundheitschecks und bei Arbeitsplatzverlust eine Ersatzbeschäftigung innerhalb von 60 Tagen.

[8] Bei all dem ist noch gar nicht entschieden wie viele H-5A Visas (so die offizielle Bezeichnung) es geben soll. Fest steht nur, dass die Anzahl der zugelassenen ‚Gastarbeiter‘, dem Bedarf der Wirtschaft gemäß nach oben oder unten anzupassen ist.

[9] Über 16% der Rekruten bei den Marines waren lt. Boston Globe vom 25.4.06 im letzten Jahr Hispanics.

[10] WalMart, Amerikas größter privater „Geber“ von legaler Arbeit musste z.B. kürzlich seine ebenfalls umfangreiche illegale Abteilung gegen Zahlung einer Millionenstrafe und unter Androhung von Gefängnisstrafen legalisieren.

[11] Von der Reform sind selbstverständlich auch die Angehörigen der Einwanderer in den südamerikanischen Heimatländern betroffen, die in großem Umfang von den Dollars leben, die die aus ihren Billiglöhnen abzweigen und zurückschicken. In manchen Staaten stellen diese Dollars die größte Devisenquelle dar; in Mexiko liegt sie gleichauf mit den Öleinnahmen; in Ecuador ist der Zugriff des Staates auf diesen Dollarstrom der größte Haushaltsposten. Folglich werden auch die Staaten durch das neue US-Programm unliebsam daran erinnert, dass ihr eigener sozialer und nationaler Bestand mit ein Abfallprodukt der Schattenwirtschaft der Großmacht im Norden ist. Deshalb beklagen sie sich in Washington darüber, dass ihnen der Nutzen aus der auswärtigen Ausbeutung ihrer Elendsfiguren, die ihre eigenen ökonomischen Verhältnisse in Massen hervorbringen und mit denen sie bei sich nichts anzufangen wissen, beschnitten wird, wenn die nach dem Willen des großen Nachbarn demnächst wieder an sie abgeschoben werden sollen. Im Interesse der Geldzuflüsse, die bei den armen Volksteilen die „soziale Stabilität“ fördern und im Staatshaushalt Löcher stopfen, protestieren mittel- und südamerikanische Regierungen gegen die ruppige Behandlung ihrer Staatsbürger durch die Gringos, erklären sie zu einer Respektlosigkeit gegen sich selbst und bitten dann doch sehr vorsichtig um Rücksicht, um es sich in dieser Angelegenheit nicht mit den USA zu verderben. Also wehren sie sich auch nicht allzu heftig dagegen, mit eigenen nationalen Opfern für die inneren Sicherheitsbedürfnisse der USA in Anspruch genommen zu werden.

[12] Längst ist Spanisch in Kalifornien, Texas, Arizona de facto so etwas wie die zweite Amtssprache, und auch andere Elemente des kulturellen Erbes der Hispanics sind in dem Land, in dem alle Bürger ursprünglich Einwanderer waren, mehr oder weniger gelitten. Bei den nationalen Symbolen aber hört die Toleranz endgültig auf.