Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Neues aus Brüssel über die Afghanistan-Geberkonferenz
Vorbild Deutschland: Endlich mal ein guter Deal mit der Regierung Ghani
Die Öffentlichkeit vermerkt für die Afghanistan-Konferenz Anfang Oktober 2016 in Brüssel im Wesentlichen zwei Ergebnisse. Beim ersten weiß sie selber gar nicht so recht, ob sie es überhaupt als Erfolg
verbuchen soll. Eher nicht: Afghanistan erhält in den nächsten vier Jahren wieder einmal die stattliche Summe
von weiteren 13,7 Milliarden Euro von den 75 Geberstaaten, obwohl in dem vom Krieg geschundenen Land
weder die Armut besiegt
noch der Frieden gebracht worden ist
. Der zweite Deal ist gerade in der deutsch-europäischen Welt aufmerksam registriert worden und hat die Beobachter ein bisschen gespalten. Die staatstragenden Medien finden es zumeist gut, dass es das Geld nicht mehr einfach so geben
soll. Die EU bzw. Deutschland verlangen nämlich eine Gegenleistung
von der afghanischen Regierung, die in den nächsten Jahren bis zu 80 000 nicht anerkannte Asylbewerber aus Europa zurücknehmen soll.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Neues aus Brüssel über die
Afghanistan-Geberkonferenz
Vorbild Deutschland: Endlich mal ein
guter Deal mit der Regierung Ghani
Die Öffentlichkeit vermerkt für die Afghanistan-Konferenz
Anfang Oktober 2016 in Brüssel im Wesentlichen zwei
Ergebnisse. Beim ersten weiß sie selber gar nicht so
recht, ob sie es überhaupt als Erfolg
verbuchen
soll. Eher nicht: Afghanistan erhält in den nächsten vier
Jahren wieder einmal die stattliche Summe
von
weiteren 13,7 Milliarden Euro von den 75 Geberstaaten,
obwohl in dem vom Krieg geschundenen Land
(alle Zitate, sofern nicht anders
vermerkt, aus den deutschen Leitkulturmedien der
betreffenden Woche) weder die Armut besiegt
noch der Frieden gebracht worden ist
. Der zweite
Deal ist gerade in der deutsch-europäischen Welt
aufmerksam registriert worden und hat die Beobachter ein
bisschen gespalten. Die staatstragenden Medien finden es
zumeist gut, dass es das Geld nicht mehr einfach so
geben
soll. Die EU bzw. Deutschland verlangen nämlich
eine Gegenleistung
von der afghanischen Regierung,
die in den nächsten Jahren bis zu 80 000 nicht anerkannte
Asylbewerber aus Europa zurücknehmen soll.
Was die Geldzusagen der Geberstaaten angeht, lässt sich
die unbestechliche deutsche Öffentlichkeit von der in
ihren Augen optimistisch-interessierten
Rechtfertigungsgemeinschaft
von westlichen Gebern
und afghanischen Nehmern – alle haben die Fortschritte
gepriesen
– nichts vormachen: Wenn sie dem guten Geld
des deutschen Steuerzahlers – Deutschland ist als Staat
mit der dritthöchsten Summe von 1,7 Mrd. wieder dabei –
hinterherschaut, blickt sie in einen düsteren Abgrund:
Weit über 100 Milliarden Euro sind die letzten 13, 14
Jahre schon in das Land geflossen, große Teile davon
seien in dunklen Kanälen
der Korruption versickert
oder von Kriegsfürsten
gleich wieder ins Ausland
geschafft worden, so dass ‚nichts gut ist in
Afghanistan‘: Fast kein Tag vergeht ohne einen Anschlag,
die von den Taliban kontrollierten Gebiete nehmen
überhand, das BIP pro Einwohner und Jahr dieses nach
wie vor bitterarmen Landes
beträgt an die 600
US-Dollar, davon der größte Teil aus illegalem
Opiumanbau, dessen Erträge in die Hände von Kriegsfürsten
fließen, viele haben nichts zu essen, kein
Trinkwasser
usw. usf., so dass sich die 18 Millionen
Afghanen, die laut US-Außenminister Kerry mittlerweile
über ein Mobiltelefon verfügen, vor allem darüber
informieren können, wo es gerade mal Strom oder
Trinkwasser gibt, wie sie einem Anschlag aus dem Weg
gehen oder am besten gleich nach Europa fliehen können,
weil das Land selbst keinerlei Perspektiven bietet… Und
auch die westliche Gebergemeinschaft selbst – da sind die
Kommentatoren ganz unbefangen – trägt für diese Zustände
Mitverantwortung: Das Geld sei mit der Gießkanne
,
an die falschen Ansprechpartner
ganz ohne Auflagen
und Kontrolle verteilt worden.
So klingen eigentlich Absagen. Im Fall Afghanistan ist
das aber nicht das letzte Wort in diesem sich so
abgeklärt und ungeschminkt gebenden Länderbericht. Auf
Abbruch der Zahlungen mag niemand plädieren. Da
entdeckt man andererseits
doch auch Fortschritte,
die man nicht aufs Spiel setzen dürfe, da gehen dann doch
Millionen Kinder in die Schule
, über die Hälfte
der Afghanen hat Zugang zu Gesundheitsversorgung und
Trinkwasser etc. pp. Die Hilfsgelder
müssen also
weiter fließen, damit die bisherigen Gelder nicht umsonst
waren und nicht alles noch schlimmer wird
.
Für Afghanistan-Experten ist dieses liebevoll ausgemalte
Bild von ‚Licht und (viel) Schatten‘ beim ‚nation
building‘ in Afghanistan offenbar kein Widerspruch,
zumindest nicht in ihrer Urteilsbildung. Stimmig wird es
für sie durch die gedankliche Klammer, dass es
eigentlich
seit über 10 Jahren um den zivilen
Aufbau des Landes geht, dieser aber wegen zahlloser
Fehlleistungen – Stichwort Korruption
– nie
zustande kommt und trotzdem weitergehen muss – wir
sind ja der Humanität verpflichtet… Das klingt nicht sehr
überzeugend. Soll man wirklich glauben, dass ausgerechnet
die Crème de la Crème der Staatenwelt, deren
Haushälter und Rechnungshöfe sonst mit Argusaugen auf die
zweckmäßige Verausgabung der Steuergelder achten, es sich
geleistet haben soll, über ein Jahrzehnt zig Milliarden
fehlzuleiten
und zweckwidrig in ein Fass ohne
Boden zu schütten? Dass die Führer der mächtigsten
Staaten so unermüdlich wie erfolglos darum ringen, dass
gerade den jungen Menschen dort Perspektiven
eröffnet
werden, sich aber mit ihrem wohlmeinenden
Bemühen an der unfähigen wie unwilligen Regierung eines
der windigsten Staaten die Zähne ausbeißen? Die
Vorschläge für die Behebung der Missstände klingen noch
absurder: Die Paschtunen sollen mehr Macht bekommen, die
Gelder sollen zweckgebunden an die richtigen
Adressaten
verteilt werden – dann soll dem Aufbau
eines zivilen Lebens nichts mehr im Wege stehen? Dieser
kritische Skeptizismus der Öffentlichkeit nimmt die so
zählebige wie verlogene Legende von der
vergeblichen Mühe der westlichen Staaten um einen zivilen
Aufbau des Landes, die die Macher selbst für den
unbezweifelbar guten Ruf ihres Projekts am Hindukusch in
Umlauf halten, für bare Münze. Dabei könnten es die
Kommentatoren selber besser wissen. Ihre Berichte über
die Hauptakteure in Afghanistan, die Größenordnungen und
die Verwendung ihrer Gelder künden nämlich eher von etwas
anderem.
*
Jeder weiß, dass das Hauptquartier der sog.
Afghanistan-Hilfe
seit 15 Jahren die NATO ist. Das
westliche Militärbündnis hat unter der Führung der USA
das amerikafeindliche Taliban-Regime beseitigt und damit
Afghanistan überhaupt erst zu einem Dauerbetreuungsfall
gemacht: Gegen alle lokalen und regionalen Widerstände
wird mit überlegener Militärgewalt eine
amerikafreundliche Regierung eingesetzt, und die
zeitweise über 100 000 NATO-Soldaten umfassende
Besatzungsmacht wird für den Dauerkrieg zur
Aufrechterhaltung dieser Regierung benötigt. Wenn
humorvolle Afghanistan-Experten die auf eine halbe bis
ganze Billion Dollar hochgerechneten
Kriegskosten in die lange Liste der
Unterstützungsleistungen einrechnen, dann geht das schon
in Ordnung, allerdings in einem ganz anderen Sinne, als
sie es meinen. Herausgestrichen werden soll mit dieser
Riesenzahl das große Engagement
der
Staatengemeinschaft für das Land; tatsächlich deutet
dieser finanzielle Aufwand darauf hin, dass der
afghanische Staat, wie er existiert, nichts ist als das
Geschöpf des kriegerischen Willens der USA und
ihrer Bündnispartner, sich dieses Land politisch
eindeutig zuzuordnen, was ohne die Anwesenheit eigener
Truppen offenbar nicht zu haben ist. Dann ist das – die
Selbstbehauptung der vom Westen eingesetzten Regierungen
Karsai/Ghani als Garanten eines proamerikanischen und
-europäischen Standpunkts – aber auch der einzige
Daseinszweck dieses Staates, der gegen die vor
Ort existierenden Interessen gewaltsam durchgesetzt
werden muss.
Dieser Auftragslage entsprechend sehen dann
dieser Staat und die von ihm geforderten
Leistungen
im Großen und Ganzen aus. Der
allergrößte Teil der gesamten Hilfe
fließt in die
Sicherheit
, und daran könnten dieselben Experten
schon auch ablesen, welcher militärische Gewaltbedarf
wofür dauerhaft am Hindukusch vonnöten ist. Den verlangt
offenbar ein derart widersprüchliches imperialistisches
Vorhaben wie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines
souveränen Staates, dessen Interessen in nichts als der
Erfüllung eines von außen definierten Auftrags bestehen:
in der militärisch-polizeilichen Dezimierung, wenn schon
nicht Verhinderung jeglichen Antiamerikanismus bzw.
-europäismus, wie er in der ganzen Region präsent ist und
mit dem Gründungskrieg dieses westorientierten
Afghanistans so richtig aufgestachelt worden ist. Einen
Haufen Geld kostet da schon – oft beklagt als
Korruption
– der Kauf von Loyalität der
konkurrierenden Machteliten (warlords
) durch und
für die Zentralregierung in Kabul. Seit dem Rückzug der
USA und der Bündnisstreitmächte Ende 2014 darf die
afghanische Regierung auch noch mit dem Hauptanteil ihres
vom Ausland gesponserten Budgets selber dafür
geradestehen, sich militärisch gegen Taliban und Co zu
behaupten. Als Staat mit einem BIP von einem Hundertstel
Deutschlands soll eine Armee von 180 000 Soldaten,
zahlenmäßig größer als die Bundeswehr, und eine Polizei
von 140 000 Mann aufgebaut und ausgebildet werden. Die
NATO wird schon wissen, warum und wofür: für einen der
eskalierenden Kriegslage angemessenen Sicherheitsapparat
nämlich, dem die NATO aus guten Gründen von vorn bis
hinten misstraut. Deswegen beschließt sie mit Resolute
Support
dann doch eine weit umfassendere
Nachfolgemission der ISAF als vor einigen Jahren noch
geplant, die sie sich inklusive ihrer 12 500 Soldaten
auch noch fünf Milliarden Dollar pro Jahr für unabsehbare
Zeit kosten lässt.
Angesichts dessen nimmt es sich schon etwas unsachlich
aus, diesen Staat notorisch an zivilen,
versorgungsmäßigen Leistungen
zu messen, die er
dann wegen Korruption
und anderer Unfähigkeiten
angeblich nicht in dem Maße erbringt, wie es sich gehört.
Die Budgetmittel Afghanistans stammen sowieso nur von
auswärts, andere Machtmittel als die Zuwendungen der
edlen imperialistischen Spender hat dieser Staat nicht;
und was davon – ca. 10 % der 17 Milliarden US-Dollar – in
Schulen, Krankenhäuser oder Ausbildungsplätze außerhalb
des Regierungsviertels fließt, speist sich aus dem Rest,
der nach Abzug der Gelder für den Sicherheitsbedarf noch
übrig ist. Damit darf die Regierung in Kabul im Dienst
der Gebernationen beweisen, dass sie auch noch für ihr
Volk etwas übrig hat – damit das nicht vergisst, dass der
westliche „way of life“ in Afghanistan eindeutig
die besseren Perspektiven
bietet als ein
islamistisches Taliban-Regime oder eine Flucht in den
Westen…
Insgesamt also ganz schön teuer, das Weltordnen. Und es
ist bestimmt so, dass die westlichen Paten mit
den Leistungen, die sie von ihrer
staatlichen Kreatur erwarten, nicht so ganz zufrieden
sind. Kerry und Steinmeier sind so frei, neben dem
Lobpreis der Fortschritte
im Absatz von
Mobiltelefonen der afghanischen Regierung zur Last zu
legen, dass die mit den Feinden ihrer politischen
Aufsicht nicht so recht fertig wird, dass den
afghanischen Soldaten mit ihrer Uniformierung nicht auch
gleich die westliche imperialistische Gesinnung
zuverlässig mit eingebaut ist und dass das Volk mit den
Kriegszuständen nicht viel mehr anzufangen weiß, als
Fluchtgründe zu akkumulieren. Aber gerade in dieser
Hinsicht ist der EU und ihrer deutschen Führungsmacht ein
zweiter Deal eingefallen, wie sie aus ihren
Hilfsgeldern
noch eine andere imperialistische
‚Rendite‘ herausschlagen können.
*
Es ist in gewisser Weise ein schöner imperialistischer
Scherz, wenn die verantwortlichen Figuren der EU und
Deutschlands inklusive ihrer staatstragenden
Kommentatoren gegenüber der afghanischen Regierung darauf
bestehen, dass die jetzt endlich einmal eine
Gegenleistung
erbringen muss, indem sie etwa 80 000
Flüchtlinge in Europa ohne gültigen Asylstatus
zurücknimmt – als wären die bisherigen Milliarden für
prowestliches Regieren einer selbstlosen Gunst des
Westens entsprungen, die von Karsai und Ghani bisher
schamlos und eigenmächtig für weiß Gott was missbraucht
worden wäre. Den Flüchtlingen verpflichtete
Menschenrechtsgruppen finden den Deal niederträchtig,
eine Schande für Europa und unmoralisch
. Ob sich
diese imperialistische Verantwortung Deutschlands für die
menschliche Last auch seiner eigenen Kriegsbeteiligung an
den Kategorien der humanistischen Moral orientiert, ist
mehr als zweifelhaft; und niederträchtig ist es bestimmt,
dass Steinmeier mit seinem offensiv ausposaunten Junktim
von Flüchtlingspolitik und Hilfe für Afghanistan
den Seehofers in seinem Land den Wind aus den Segeln
nehmen will. Aber das Entscheidende ist sowieso, was das
zwischenstaatlich, also für das Verhältnis Deutschlands
zu den Fluchtnationen bedeutet: Die 80 000
Elendsgestalten, oft genug als Exkollaborateure des
Westens in Lebensgefahr vor den Taliban geflohen, dürfen
sich darauf gefasst machen, diesmal zum Stoff eines
Exempels zu werden, das Deutschland als europäische
Weltflüchtlingsmacht an Afghanistan statuiert. Steinmeier
und Mogherini machen nämlich die Verhältnisse dort als
Fluchtursache
ausfindig und nehmen die Regierung
in Kabul dafür in Haftung: Die soll ihr vagabundierendes
Volk, auch wenn das im Land keine
Überlebensgrundlage hat, wieder einsammeln und überhaupt
in Zukunft besser unter Kontrolle halten, so dass es
Europa nicht weiter auf den Wecker fällt – eine
unmissverständliche Ansage an die afghanische Regierung,
deren Staat auf diese Weise gleich ein neuer
Status in der Fluchtstaatenwelt zugewiesen wird.
Der afghanische Souverän bekommt von Deutschland
Machtmittel, wenn und damit er sich als Erfüllungsgehilfe
deutsch-europäischer Zuständigkeit für die Opfer der
Weltordnung bewährt. Als nobles Zeichen dieses Stücks
neuer afghanischer Staatsräson spendiert Steinmeier der
Regierung in Kabul glatt ein neues Terminal am Flughafen.
Insgesamt also ein starkes Stück deutscher Verantwortung
in Sachen Fluchtursachenbekämpfung am Hindukusch!