Aus der Reihe „Was Deutschland bewegt“
Zwei neue Gesetze für Ausländer

Abschiebung verbessert, Staatsangehörigkeit modernisiert

Im Januar bringt die Regierung zwei Pakete zur Ausländergesetzgebung durch den Bundestag. Von den besorgten Profis der permanent kritischen Beurteilung der Regierungsperformance wird mit gewisser Erleichterung festgestellt, dass das zur Abwechslung endlich mal ein wahrnehmbarer Versuch ist, als Regierung ‚etwas‘ zu unternehmen gegen den Erfolg und die Popularität der AfD. Die AfD selbst wälzt genüsslich aus, dass sie das Original ist und die Regierungsampel bloß die getriebene, matte Kopie. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Zwei neue Gesetze für Ausländer
Abschiebung verbessert, Staatsangehörigkeit modernisiert 

Im Januar bringt die Regierung zwei Pakete zur Ausländergesetzgebung, darunter ein neues Abschiebegesetz, durch den Bundestag. Von den besorgten Profis der permanent kritischen Beurteilung der Regierungsperformance wird mit gewisser Erleichterung festgestellt, dass das zur Abwechslung endlich mal ein wahrnehmbarer Versuch ist, als Regierung ‚etwas‘ zu unternehmen gegen den Erfolg und die Popularität der AfD, auch wenn für die politischen Beobachter unentscheidbar bleibt, ob die Regierung sich damit zu sehr darum bemüht, die AfD populistisch zu überbieten, oder ob sie es nicht umgekehrt gerade an noch mehr von der notwendigen Härte in Migrationsfragen fehlen lässt. Die AfD selbst sieht es ganz ähnlich, wälzt genüsslich aus, dass sie die Regierung vor sich hertreibt, und punktet in ihrem Höhenflug damit, dass sie das Original ist und die Regierungsampel bloß die matte Kopie.

Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Was die Regierung in Sachen Ausländergesetzgebung beschließt, verdankt sich nicht einer Reaktion auf die lautstarke, aber bislang eben ohnmächtige Generalkritik der Opposition von ganz rechts, sondern das ist sie offenbar sich und ihrer hoheitlichen Verantwortung für das Land schuldig: Als mit der entsprechenden demokratischen Mehrheit ausgestattete und handlungsfähige Mannschaft definiert sie das ‚Migrationsproblem‘ und geht es so an, wie sie es für notwendig erachtet – die AfD ist die zu dieser Politik gehörige nationalmoralische Scharfmacherei. Mit ihrem neuen „Rückführungsverbesserungsgesetz“ legt die Regierung schon mit der Bezeichnung Wert darauf, dass sie da etwas zu optimieren hat, was sie als geltenden Bedarf und gültige Rechtslage in Flüchtlingsfragen vertritt und schon längst verwaltet.

Nachdem der Kanzler neulich verkündet hat, dass „endlich im großen Stil“ abgeschoben werden müsse, hat die Regierung sich nun also an die Arbeit gemacht und erleichtert den Vollstreckern der staatlichen Hoheit durch die Ausweitung aller möglichen Befugnisse den Vollzug der nach Recht und Gesetz beschlossenen Ausreiseverpflichtungen unerwünschter Migranten, denn „der Rechtsstaat darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen“ (Faeser, 30.11.23). Darauf legt die Regierung überhaupt großen Wert: Sie handelt nicht aus einer ausländerfeindlichen Haltung heraus, wie es die AfD tun würde, wenn sie nur könnte, sondern ganz pragmatisch im Dienste der geltenden Rechtslage. Sie will „verhindern, dass Abschiebungen scheitern, indem geltendes Recht missbraucht wird, etwa durch offensichtlich aussichtslose Asylfolgeanträge“ (ebd.) – und dieser Missbrauch beim Gebrauch des Rechts durch Flüchtlinge und deren Unterstützer wird eben dadurch unterbunden, dass man die Rechtslage entsprechend ändert: Rechtstitel, die abgelehnten Asylbewerbern bisher im Rahmen ihres Verfahrens zustanden, werden gestrichen; Widersprüche und Klagen gegen Einreiseverbote haben keine aufschiebende Wirkung mehr; die zulässige Dauer des Ausreisegewahrsams wird verlängert; Abschiebungen müssen nicht mehr angekündigt werden, sofern keine Familien mit kleinen Kindern betroffen sind; die Durchsuchungsmöglichkeiten für Vollstreckungsbeamte werden erweitert und neue Maßnahmen zur Identitätsfeststellung gestattet. Zwar sollen, das sind die Grünen ihrem Selbstbild als menschenfreundliche Partei und dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit schuldig, Abzuschiebende einen Rechtsbeistand gestellt bekommen, sofern sie sich selbst keinen leisten können, was die CDU prompt als unnötiges, selbst installiertes Hindernis für das fällige staatliche Durchgreifen kritisiert. Aber diese Sorge wird von den Grünen im Bundestag lässig zurückgewiesen:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ein Anwalt ist kein Zauberer. Er kann keine rechtmäßige Abschiebung verhindern.“ (Limburg, 18.1.24)

Die Bundesinnenministerin stellt abschließend noch klar, dass das neue Gesetz auch seinen Beitrag zur Akzeptanz und Integration von Ausländern leisten wird:

„Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, der muss Deutschland wieder verlassen. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass Migration in der Gesellschaft insgesamt akzeptiert wird und Integration funktioniert. Mit der Rückführungsoffensive arbeitet diese Bundesregierung konsequent daran, dass Abschiebungen von den Ländern schneller und effizienter durchgeführt werden können.“ (Faeser, 18.1.24)

Die Ministerin sagt ihren Kommunen und Bürgern an, was sie als Gesellschaft akzeptieren wollen und müssen: nämlich garantiert nur die Migranten, die bei uns bleiben sollen. Dann kann sie aber auch erwarten, dass deren Integration funktioniert. Und wenn diese Linie von der Bundesregierung an anderer Stelle als „pragmatischer Kompass zwischen Humanität und Ordnung“ (bundesregierung.de, 1.2.24) angepriesen wird, die sich wohltuend von der rechten Alternative unterscheidet, dann weist das Bild vom pragmatischen Kompass, der einen stets zuverlässig dorthin leitet, wo man ihn hinzeigen lässt, der Menschlichkeit ihren gradgenauen Stellenwert bei der Durchsetzung von Recht und Ordnung in Ausländerfragen zu.

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Praktisch zeitgleich wird im Bundestag eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts beschlossen, das von freundlichen Menschen gern als ein (wenn auch mangelhafter) Trost für die neue deutsche Härte in Asylfragen genommen werden darf. Die Innenministerin spricht von der „Krönung einer gelungenen Integration“ (Faeser, 30.11.23), mit der das bunte Deutschland sich zu den Lebensleistungen seiner Einwanderer bekennt: „Das Signal ist sehr klar: Ihr gehört zu Deutschland!“ (dies., 2.2.24) Eine freundliche Grußbotschaft nicht nur an die einstigen Gastarbeiter, die jetzt, ein paar schlappe Jahrzehnte nach ihrer Ankunft – sogar ohne schriftlich nachweisen zu müssen, dass sie die Sprache beherrschen – richtige Deutsche werden können. Sondern auch eine gute Nachricht für viele andere aufenthaltsberechtigte Ausländer im Land, deren Einbürgerung künftig schon nach fünf oder sogar bloß drei Jahren möglich sein wird – schneller als jemals zuvor.

Zugleich lässt die Regierung keinen Zweifel daran, dass sie auch diese Reform niemandem als sich selbst schuldig ist. Denn sie ist damit bei der Frage, an welche Bedingungen sie ihr Einbürgerungsrecht für Neuzugänge zu ihrem Volk knüpfen will. Entsprechend hat die angepriesene Gunst auch ihren Preis: Sie soll nur denjenigen gewährt werden, die sich in zweierlei Hinsicht dafür qualifiziert haben. Zunächst einmal:

„Wer in Deutschland eingebürgert werden will, muss wirtschaftlich integriert sein. Der Lebensunterhalt für sich und die eigenen Familienangehörigen muss daher grundsätzlich ohne Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestritten werden können.“ (Pressemitteilung Bundesinnenministerium, 19.5.23)

Das war zwar irgendwie auch bisher schon so. Mit der Reform gestrichen ist allerdings das bisherige Entgegenkommen des Staates, in besonderen Ausnahme- und Härtefällen Abstriche von seinem Prinzip zu machen und eine Einbürgerung doch noch zuzulassen – in solchen Fällen nämlich, in denen die Passanwärter „die erforderliche Unterhaltssicherung aufgrund von Umständen nicht erreichen können, die außerhalb ihrer Beeinflussungsmöglichkeiten liegen“ (Gesetzentwurf, 1.11.23). Das ist Pech für alle Ausländer „mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, pflegende Angehörige, Alleinerziehende, die wegen Kinderbetreuung nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sein können, oder Schüler/Auszubildende/Studierende, die, ggf. ergänzende, Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen“ (ebd.). Durch Annullierung der bisherigen Ausnahmen besteht die Politik radikal darauf, dass nur jene Deutsche werden dürfen, die dem Staat nicht auf der Tasche liegen.

Der Justizminister fasst das so zusammen:

„Wir machen Einbürgerung für Menschen leichter, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Regeln für Menschen, die vom Sozialstaat leben, werden verschärft. Das setzt Anreize zur Aufnahme von Arbeit und zeigt: Wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Nicht in den Sozialstaat.“ (Buschmann, 19.5.23)

Ein dankenswerter Klartext des Mannes von der FDP, welche Sorte Zuwanderung die Regierung haben will und wozu: Wer die produktive Basis des Landes bereichert und als taugliches Konkurrenzindividuum zweifelsfrei für sich selbst sorgen kann, ist nicht nur willkommen, sondern kann sogar Deutscher werden.

Die verschärfte materielle Zulassungsbedingung, die künftig fast ausnahmslos gelten soll, ist allerdings nicht alles. Für die echte Zugehörigkeit braucht es mehr:

„Deutscher Staatsangehöriger kann nur werden, wer sich zum Leben in unserer freiheitlichen und vielfältigen Gesellschaft bekennt, zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ohne Wenn und Aber... Wer sich antisemitisch betätigt, darf kein Deutscher werden.“ (Faeser, 30.11.23) „Einbürgerungsbewerber müssen sich zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker, insbesondere dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges bekennen.“ (bundesregierung.de, 2.2.24)

Um als Neudeutscher wirklich dazuzugehören, reicht der übliche Patriotismus, der einen roten Faden historisch verbürgter Großartigkeit zieht, nicht aus. Auch dann nicht, wenn man als moralisch gute Seele außerdem keinem Juden je ein Haar krümmen und keinem Angriffskrieger je die Daumen drücken würde: Verlangt ist die distanz- und berechnungslose Identifikation mit allen Werten der Nation, insbesondere mit dem großen deutschen Sündenfall, den diese Nation als Schandfleck in ihr darüber geadeltes Nationalbewusstsein aufgenommen hat und als solchen pflegt – und mit dem die BRD unter Berufung auf ihn ihre Rehabilitation und ihren Wiederaufstieg als europäische Weltmacht vollzogen hat. Was bei kaum einem eingeborenen Deutschen wirklich dessen Alltag begleitet, sondern ihm vor allem zu den Gelegenheiten nationaler Festtage in Erinnerung gerufen wird, sollen die Anwärter auf Einbürgerung, die noch nicht einmal urgroßelterlich etwas mit 1933-1945 zu tun haben, zu ihrer nationalen Identität machen. Diese Forderung nach einem Bekenntnis zu den deutschen Verbrechen hat ihre tagespolitische Aktualität in ihrer offensiven Übersetzung in die Forderung nach unbedingter Parteinahme für den Staat Israel und den Krieg, den dieser derzeit führt.

Das ist – nicht nur für Zuwanderer aus den Kulturkreisen, für die das eine besondere, auch als solche gemeinte, Zumutung darstellt – ziemlich viel verlangt. Denn was da vom Staat gefordert wird, ist nicht nur ein politisches Urteil, sondern der Widerspruch, sich einen Katalog von nationalen Tugenden und Werten zu seiner zweiten Natur zu machen. Diese Identifikation soll auch nicht einfach deswegen geleistet werden, weil sie verlangt wird; das fällige Bekenntnis soll vielmehr ganz aus dem sich Bekennenden selbst entspringen. Obwohl und weil es als Vorbedingung im staatlichen Anforderungskatalog für den Anwärter ein notwendiges Mittel zum Erwerb der Staatsangehörigkeit ist, darf es genau das nicht sein. Der verlangte Widerspruch provoziert beim Staat einen notorischen Zweifel in Bezug auf alle, die von Haus aus nicht seine, sondern fremde Staatsbürger sind. Es muss sichergestellt werden, „dass in den Einbürgerungsbehörden niemand ein bloßes Lippenbekenntnis zu unseren Werten abgibt“ (Faeser, 30.11.23). Er besteht darauf, sich davon nachhaltig überzeugen lassen zu wollen, und operationalisiert seinen Zweifel dadurch, dass die deutsche Staatsbürgerschaft bis zu 10 Jahre nach Erteilung bei erwiesener Falschheit des Bekenntnisses wieder entzogen werden kann; nach Ablauf dieser Frist will er das notwendige Zweifeln dann zugunsten klarer rechtlicher Verhältnisse sein lassen.

So definiert der deutsche Staat sein Volk als seinen Besitzstand und lässt sich auf die Inbesitznahme zusätzlicher Schützlinge ein. Jedenfalls dann, wenn die nicht nur erwiesenermaßen nützlich sind, sondern ihn auch davon überzeugen, sich ihre neue Eigenschaft als williges Eigentum deutscher Staatsgewalt zu ihrer ureigenen Natur gemacht zu haben. Wenn das gegeben ist, stört die Regierung neuerdings noch nicht einmal mehr deren doppelte Staatsbürgerschaft.