Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Richtungsstreit“ in der SPD:
Eine Regierungspartei wird ehrlich

Das sozialdemokratische Gerechtigkeitsdenken wird als altmodisch ausgemustert. Schröder will seine Partei nicht mehr an Kriterien wie Solidarität oder Gerechtigkeit messen lassen. Rücksichtnahme auf die Armen ist mit dem Gemeinwohl einfach nicht mehr vereinbar.

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„Richtungsstreit“ in der SPD
Eine Regierungspartei wird ehrlich

Der Kampf um eine „moderne SPD“

Der regierende Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Schröder hält seine eigene Partei für untragbar. Zusammen mit dem Kollegen von ‚New Labour‘ verfaßt er ein Papier, dem seine Genossen entnehmen dürfen, daß sie ziemlich gründlich modernisiert gehören. Unter ihnen macht ihr Chef nämlich reihenweise Traditionalisten aus, und daß sich mit denen die Herausforderungen keinesfalls bewältigen lassen, die eine Zukunft allemal aufzuwerfen pflegt, liegt für ihn auf der Hand. Ihr Fehler ist einfach, daß sie noch immer der Irrlehre von einer sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik anhängen, wo ihr Chef längst beschlossen hat, daß sich Politik generell nur noch am Maßstab modern oder unmodern beurteilt gehört. Davon geht er jedenfalls aus, und die Summe seiner Wortmeldungen, mit denen er ein ums andere Mal wiederholt, daß er die SPD gnadenlos in Richtung Moderne umzukrempeln gedenkt, zieht eine andere Führungskraft, die das auch so sieht wie der Chef: Wir müssen weg vom Standpunkt einer Arbeiterpartei, denn den Reichen nehmen um den Armen zu geben, paßt nicht zu unserer heutigen Zeit. (Fraktionsvorstand Struck).

Nun sehen das aber nicht alle so. Manche Genossen haben es mit diesem Standpunkt in der Konkurrenz innerhalb der Partei und um die Zuneigung des Wahlvolks sehr weit gebracht, sitzen in Führungsgremien und sind Landesvater. Einer von denen sieht auf Anhieb überhaupt nicht ein, wieso er, der doch alles richtig gemacht hat, plötzlich unmodern sein soll. Seine Karriere und der Wahlerfolg seiner Partei sind für ihn ein einziger Beweis, daß gerade sozialdemokratische Politik moderne Wirtschaftspolitik ist (Klimmt, FR 29.7.). Die Idee der sozialen Gerechtigkeit und damit die Seele der Sozialdemokratie ist und bleibt für ihn ein Evergreen, der beim Publikum überhaupt nichts von seinen betörenden Reizen verlieren kann, weswegen er seinem Parteivorstand schriftlich und der restlichen Öffentlichkeit per Interview sein Nichteinverständnis mitteilt, daß aus dem erfolgreichen Zweiklang der Bundestagswahl, jener harmonischen Verbindung von Innovation und Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit ausgemustert werde (ebd.).

Damit liefert er allerdings dem Chef der SPD nur wieder den nächsten Beweis, wie traditionalistisch es in diesem Haufen noch zugeht, und der legt dann von der Modernität der Partei, die ihm vorschwebt und für die er sich stark macht, in Sachen ‚Diskussionskultur‘ gleich vorbildlich Zeugnis ab. Mag schon sein, daß da irgendwer über den Kurs der SPD anderer Auffassung ist als er. Aber was geht ihn das an: Schröder warnt die SPD vor Kritik an seinem Kurs (SZ, 2.8.) – und Ende der Diskussion.

Die „Tradition einer Arbeiterpartei“

Auf alles, was diese Partei jemals als ihr politisches Programm vertreten hat, bezieht sich ihr amtierender Vorsitzende, als hätte es gar keinen politischen Inhalt und in keinerlei Hinsicht sachliche Bedeutung. Er hakt es ab als Tradition, als SPD-Vergangenheitspflege, einfach ein Firlefanz, mit dem er Schluß machen will. Interessanterweise stören sich auch die, die er mit seiner Initiative aus ihren Löchern scheucht, gar nicht an der Einordnung, daß ‚Arbeiterpartei‘ bloße Tradition sein soll, sondern daran, daß ihnen jemand diese Tradition wegnehmen will – mit der wollen Klimmt, Eppler und andere Genossen ja unbedingt weiter hausieren gehen. Die 100-jährige Gründungslüge der SPD, die bescheidenen Interessen der Arbeiterschaft im Lande bedürften einer Partei, die sich auf der Ebene der Politik um die Arbeitersache verdient macht; die elende, einfach typisch sozialdemokratische Heuchelei, im Grunde bestünde der Daseinszweck dieser Partei allein darin, den in der kapitalistischen Konkurrenz notorisch Zukurzgekommenen durch ausgleichende Gerechtigkeit auf einen grünen Zweig zu verhelfen; die Lüge, letztlich wolle diese Partei nur immer an die Macht gewählt werden, damit sie die der Macht des Geldes ohnmächtig Ausgelieferten unter Rechtsschutz stellt und damit Wohlstand verströmt – die ganze berechnende politische Verlogenheit also, die die Tradition dieser Partei ausmacht, will der Modernisierer Schröder unbedingt beerdigt haben und wollen sich seine Opponenten nicht nehmen lassen.

Und das sind nicht nur die, die sich öffentlich zu Wort melden. Wie man hört, ist auch die sogenannte ‚Basis‘ dieser Partei von ihrem Chef ein wenig in Unruhe versetzt worden. Dort, wo in den ‚Ortsmannschaften‘ der Nahkontakt mit dem Bürger gepflegt wird, will man das schlecht vermitteln können, was der Schröder sagt. Offenbar hat die organisierte Mitgliedschaft bisher im wesentlichen auch nur den Traditionsbestand dieser Partei kultiviert und mit symbolträchtigen Fahnen, Lasalle- und womöglich sogar Marx-Portraits vermittelt, daß die SPD eigentlich ganz anders ist, als man sie vom Regieren her kennt. Und wenn sie zur Unterstreichung ihres Antrags, die Partei doch bitte so zu lassen, wie sie ist, auf die SPD-Wählerschaft verweisen, der Schröder schwer zu vermitteln sei, so wird auch an der das Gewicht deutlich, das die Tradition für die SPD besitzt. Wie die Sozialdemokraten selbst, so ist zwar auch der dumme Spruch Wer hat uns verraten? aus der Geschichte der Arbeiterbewegung nicht wegzudenken; aber eben auch der unverwüstliche Stammwähler dieser Partei nicht, so daß auch von dieser Kreatur feststeht, das sie sich gewiß nie sachlich befaßt hat mit dem Vergleich zwischen politischer Absichtserklärung und dem, was einem dann so alles als Segen einer sozialdemokratisch ausgeübten Macht serviert wird. Der gewohnheitsmäßige SPD-Wähler mag sich vielleicht irgendwann einmal irgendetwas von dieser Partei erhofft haben, hat aber dann ganz sicher das Hoffen aufgegeben und sich zu der Auffassung durchgerungen, daß man der SPD, wenn man sich von ihr sonst schon nichts zu erwarten hat, jedenfalls als das kleinere Übel seine Stimme schenken kann. So konnte die praktizierte Politik dieser Partei ihre Selbstdarstellung noch so sehr Lügen strafen: Der Wille, ihr dieses leider zu honorieren, mit dem sie ihre gar nicht so besonders arbeiterfreundlichen Regierungswerke zu begleiten pflegte, war einerseits nie richtig totzukriegen, andererseits hat er über vier Wahlperioden hindurch der Partei nicht zur Macht verholfen. Andere Erwägungen, derer Nationalisten fähig sind, haben offenbar die Oberhand gewonnen über die Partei-Ethik ‚Solidarität & Gerechtigkeit‘.

Die Zeiten, in denen die Partei diesen – für ihren Aufstieg zwar nicht ganz unwichtigen, zunehmend aber weniger Erfolg verbürgenden – Zirkus pflegte, immer etwas anderes sein zu wollen, als sie dann war, sind nach dem Willen Schröders vorbei. Die Selbstdarstellung, immer speziell für die ‚kleinen Leute‘ unterwegs sein zu wollen, will er der SPD austreiben und ihr statt dessen ein neues Erscheinungsbild verpassen. Das ist ihm offenbar wichtiger als die Wichtigkeit, die das alte für die SPD besaß, so daß sich schon fragt, was ihm da so wichtig ist.

Vom Ethos des Sozialen zum Kanzlerwahlverein

Nach dem Urteil von Sachverständigen aus Öffentlichkeit und SPD zielt der Kurs des Kanzlers eindeutig darauf, bei den nächsten Wahlen ganz viel Stimmen für sich und seine Partei an Land zu ziehen. Genau so wird es dann wohl auch sein, und wenn der Ort, an dem er diese vielen Stimmen vermutet, neue Mitte heißt, dann ist es auch ganz logisch, wenn die Volkspartei SPD sich ab sofort auch noch als Partei ganz speziell dieses Ortes präsentiert. Doch wie immer in der Demokratie, so paßt sich auch hier nicht der passiv Wahlberechtigte den Stimmungen im Volk an, läuft nicht er seinen Wählern hinterher, sondern macht sich selbst zum Angebot für sie, das sie dann abnicken sollen. Und in dieser Dreiecksbeziehung zwischen ihm, dem Chef der Regierung, der Partei, die als ‚Transmissionsriemen‘ zwischen ihm und dem Volk zu funktionieren hat, das ja seine Mannschaft und darüber ihn an die Macht wählen soll, stört ihn seine eigene Partei. Die paßt in ihrem überkommenen sozialen Ethos einfach nicht zu den Gesichtspunkten, unter denen er allein gewählt werden will. Angesichts der Freiheiten, die er sich beim Regieren herausnehmen will, hält er es für schier unerträglich, daß da im ideellen Überbau seiner eigenen Partei noch immer so etwas wie ein – noch so windiges, noch so sehr allseits als berechnender Schwindel durchschautes, aber eben doch: – höheres Weiß-Warum des Regierens fortgeschleppt wird, an dem er sich womöglich zu messen hätte. Ihn stören die hehren Prinzipien von ‚Solidarität‘ bis ‚Gerechtigkeit‘, weil sie zu ihm, zu der Macht, die er hat, und zur Nation, für die er sie ausübt, in Distanz stehen, weil sie in all ihrer Idealisierung eben doch auch noch so etwas anmelden wie einen Vorbehalt, eine Norm, wie SPD-Politik als dauernde Korrektur an nationalen Interessen zu gehen habe. Genau daran will Schröder nicht mehr erinnert werden. Ehrlich, wie er nun einmal ist, kann er die Differenz zwischen dem, was er will und tut, und dem ideellen Überbau seiner Partei, in dem steht, was er eigentlich zu tun hätte, einfach nicht mehr ertragen, und geradlinig, wie dieser Mann auch noch ist, paßt er einfach seine Partei sich selber an und wirft den ganzen legitimatorischen Überbau seiner Partei einfach auf den Müllhaufen. Freilich nicht, ohne darauf zu bestehen, daß sich die Partei neue, zweckmäßige Werte zulegt: Kategorisch verlangt er eine Neudefinition der Parteiprogrammatik, die die Politik, die wir machen, legitimiert (SZ, 15.7), dekretiert also, daß seine Partei als Kanzlerwahlverein und sonst nichts zu funktionieren und die demokratische Öffentlichkeit sich anzugewöhnen hat, seine Regierungskunst an dem einzigen Maßstab zu messen, den er allenfalls noch gelten läßt: Dem Gemeinwohl wird gedient, und sonst niemandem.

Armut als Regierungsprogramm

In diesen Richtungsstreit, den der Vorsitzende der SPD in seiner Partei vom Zaune bricht, sollte man sich besser nicht einmischen. Entschieden nämlich wird der nicht theoretisch und mit Argumenten, sondern – ganz demokratisch-sachgerecht – praktisch und mit Erfolgen an der Wahlfront. An welchen verbindlichen Sprachregelungen man demnächst das unverwechselbare ‚Profil‘ dieser Partei erkennen kann, hängt erstens von dem Wahlergebnis ab, das der betreffende Trendsetter vorzuweisen hat: Genau richtig liegt er mit seiner Kursbestimmung, wenn er beim Wahlvolk nachzählbar gut ankommt. Deswegen hängt vom Ergebnis allein überhaupt nichts ab, weil zweitens von viel entscheidenderem Gewicht die Frage ist, wer die Deutungshoheit über es gewinnt: Man muß schon seinen Erfolg erfolgreich als den des eigenen Kurses und nicht desjenigen der Gegenpartei deuten, umgekehrt dafür sorgen können, daß ein Mißerfolg nicht an einem selbst kleben bleibt, sondern der grundverkehrten Generallinie der anderen in die Schuhe geschoben werden kann.

Viel interessanter also als der Ausgang dieses Streites ist das, was man schon jetzt der Absicht dessen entnehmen kann, der ihn anzettelt. Denn wenn der Chef der Regierungspartei davon ausgeht, daß die ganzen bewährten Techniken zur Legitimierung seiner Politik absolut untauglich sind, dann kann man das ja auch einmal als sachliche Auskunft darüber nehmen, was er sich bei seinem Dienst am Gemeinwohl politisch so vorgenommen hat. Und da geht der Kanzler und Vorsitzende einer Volkspartei offenbar davon aus, daß sich an den politischen Maßnahmen, die er für den Umgang mit der alten SPD-Klientel genauso wie für den Rest des wählenden Volkes vorsieht, einfach nichts mehr beschönigen läßt – mit Textbausteinen aus der Uraltdatei ‚soziale gerechtigkeit.txt‘ jedenfalls nicht mehr. Wenn er sich auf den Standpunkt stellt, er müßte sich glatt verbiegen, würde er bei seinen Vorhaben weiterhin die alten Kalauer seiner Partei hochhalten, so kündigt er klar und eindeutig an, was er vorhat. Sein Regierungsprogramm für die Abteilung ‚Soziales‘ ist nicht, die Armut in der Gesellschaft zu verwalten, sie mit den Mitteln zu dämpfen und zu mäßigen, die im Sozialstaat dazu eingerichtet wurden; er hat sich vorgenommen, seine politische Kommandogewalt über die sozialstaatlichen Mechanismen der Armutspflege genau andersherum, nämlich zur Wiederherstellung funktioneller Armut zu nutzen. Das Gemeinwohl gebietet für ihn, daß der Reichtum, von dem der Standort lebt, denen überlassen bleibt, die auf seine Vermehrung spezialisiert sind, und für die und ihren vornehmen Zweck hat die Arbeit, die ihn schafft, so billig wie nur möglich zu werden. Genau dafür will er alles tun, was in seiner Macht steht: Wo immer der Staat über seine sozialstaatlichen Regelungsverfahren Zugriff auf Bestandteile des Lohneinkommens seiner arbeitenden Bürger hat, will Schröder diese Macht nutzen und politisch die Senkung des nationalen Lohnniveaus herbeiführen.

Regieren ist sozial!

Wegen dieses Programms – und nicht, weil gerade der ‚Neoliberalismus‘ oder ‚Kapitalismus pur‘ in wäre, eine ‚Arbeiterpartei‘ dagegen out, und ein konturenloser Windbeutel wie Schröder ohnehin nur immer dem Zeitgeist hinterherläuft – führt der Mann seinen Kampf für eine moderne SPD. Nichts anderes als ‚Kapitalismus pur‘ war schon die ganze Zeit vor Schröder im deutschen Standort der Regelfall – nur soll der jetzt, wo er die Macht hat, mit einer anderen SPD ein wenig anders gemacht werden. Immerhin war ja das unverwechselbare Kennzeichen seiner Partei, ganz besonders viel für den ‚sozialen Gedanken‘ übrig zu haben, in all seiner berechnenden Verlogenheit auf eine Marktwirtschaft bezogen, in der dieser Gedanke selbst praktisch etabliert war. Seit dem konservativen Vater des ‚Wirtschaftswunders‘ konnte sich der Kapitalismus in Deutschland auch von sich aus mit dem Attribut ‚sozial‘ schmücken, weil in ihm dem Grundsatz nach anerkannt war, daß ein Volk, das sich willig benutzen läßt, bei der Bewältigung der sozialen Folgen seiner Benutzung schon auch Anrecht auf eine gewisse obrigkeitliche Fürsorge hat. Daß dies richtig und gerecht ist und die sozialpflegerischen Maßnahmen des Staates nur immer doch noch ein wenig gerechter auszufallen hätten: Das war das Ethos, der ganze höhere moralische Rechtfertigungsgrund der SPD und zugleich ihr ganzer Unterschied zu allen anderen Vereinen der Parteienlandschaft. Daher wird, wenn Schröder diese Doktrin seiner Partei zersägt, nicht nur besagte Landschaft einförmiger: Zusammen mit der Partei, die für ihn stand und ihn parlamentarisch-institutionell repräsentierte, wird auch dieser ‚soziale Gedanke‘ selbst aus dem Verkehr gezogen. Die Auffassung, in der Marktwirtschaft gäbe es in sozialer Hinsicht etwas zu korrigieren; der Anspruch, als Gegenleistung für so manche willig ertragene Zumutung wenigstens mit ein bißchen sozialer Kompensation rechnen zu dürfen – das alles verliert mit der Partei, die ‚das Soziale‘ politisch repräsentierte und damit offiziell ins Recht setzte, seine ganze legitimatorische Grundlage. Ab sofort ist sozial, wenn Schröder regiert, und dieser Linie haben sich alle sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Fossile unterzuordnen, die noch immer meinen, zuviel Armut wäre das Problem der Demokratie.

PS. Die demokratische Öffentlichkeit hat etwas anders gelagerte Gesichtspunkte, unter denen sie sich mit dem Richtungsstreit in der SPD befaßt. Schwerpunktmäßig studiert sie, wer sich wie gegen Schröder das Maul aufzureißen traut – und diagnostiziert dann eine gewisse Führungsschwäche in dieser Partei. Umgekehrt ist es für alle diese Freunde der pluralistischen Meinungsbildung ein Zeichen extremer Führungsstärke dieses Kanzler, wenn der dann mit einem schlichten Schnauze! seinen einzigen Diskussionsbeitrag einreicht. Und wenn dann doch noch ein ‚Traditionalist‘ herumpiepst, fangen sie mit der Diagnose Führungskrise wieder von vorne an. Daneben aber versteht man sich auch sehr gut darauf, sich selbst zum Anwalt der Sache zu machen, um die es dem Kanzler geht. Auf eigene Weise, versteht sich, so daß die Sprachregelungen, die der SPD-Chef für die zukünftige Selbstdarstellung seiner Partei verbindlich machen will, zu Richtlinien des Zeitgeistes werden. Da muß ein Schröder nur zu verstehen geben, daß er sein politisches Wirken ab sofort nicht mehr daran messen lassen will, ob da irgendjemand unter dem Gesichtspunkt einer sozialen Gerechtigkeit an ihm etwas zu beanstanden findet – schon wissen die Vertreter der Öffentlichkeit, wie sie und alle anderen fortan über Gerechtigkeit und ähnliches nachzudenken haben: Was heißt soziale Gerechtigkeit? (SZ, 3.8.), fragt da einer von ihnen, nur um in seiner Antwort loszuwerden, daß ‚sozial‘ und ‚gerecht‘ einfach ein Widerspruch sind, der Sozialstaat ein Ding der Unmöglichkeit ist und die Millionen von Arbeitslosen – wenn überhaupt etwas – allenfalls zweierlei gebieten. Erstens genau das, was der Kanzler ohnehin vorhat, nämlich die zügige Weiterverarmung aller, die noch Arbeit haben – wenn Lohnerhöhungen Arbeitsplätze kosten, dann erschweren sie die Beteiligung an der Gesellschaft, dann ist Lohnzurückhaltung sozial gerecht. Und zweitens genau das, was der Kanzler mit seiner SPD vorhat – sozial gerecht ist, sich alter Symbole zu entledigen.

PPS: Kaum von Schröder auf den dafür vorgesehenen Haufen verfrachtet, findet sich auf dem prompt der Mistkäfer, der sich über die alten SPD-Ideale hermacht. Genosse Gysi von der PDS ist der Meinung, daß sich aus dem ideologischen Überbau, mit dem die SPD-Führung einfach nicht mehr renommieren will, durchaus noch etwas machen ließe, für seinen Haufen nämlich, beim Wähler. Womöglich wählt dieses demokratische Vernunftwesen tatsächlich immer genau die Partei, die unter der Parole steht, die sie hochhält, und wenn so viele wegen der Gerechtigkeit, der sozialen, SPD gewählt haben, dann wählen vielleicht ein paar von denen, wenn sie demnächst noch ärmer sind, die PDS – wenn die nur verkündet: Gerechtigkeit ist modern! Vielleicht aber auch nicht, und die vielen, die wegen der Gerechtigkeit SPD gewählt haben, wählen genau deswegen weiterhin die SPD, weil sie von der gesagt bekommen, daß es für die Wahl dieser Partei gar keinen speziellen Grund mehr braucht. PDS-Chefideologe Brie jedenfalls hat so seine Bedenken, ob dieser alte SPD-Köder zum Stimmenfang noch wirklich zieht – wirft ihn doch gerade eine veritable Volkspartei mit dem Argument weg, daß mit ihm keinesfalls mehr Staat zu machen ist. Das beeindruckt ihn, denn schließlich will auch die PDS mindestens so modern sein wie alle anderen, also mit den Stimmen des Volkes Staat machen – und nicht gemeinsam mit ihren dahinsterbenden Mitgliedern als Politsekte veraltetes Gedankengut zu Tode pflegen.