Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Merkels Israel-Besuch:
Imperialistische Einmischung der korrekten Art – deutsche Staatsräson unterwegs in Nahost
Die deutsche Kanzlerin reist nach Israel, um, wie man im zwischenstaatlichen Verkehr zu sagen pflegt, „die Beziehungen zu vertiefen“ und sie „für die nachfolgenden Generationen … mit Initiativen, Projekten und Austauschen zu sichern.“ Die Reise soll allerdings, wer hätte hier anderes erwartet, weder hinsichtlich ihres Zieles noch der historischen Terminlage ein gewöhnlicher Staatsbesuch sein: Ihr Bestimmungsort wäre ohne das Wirken der Rechtsvorgänger der deutschen Kanzlerin nämlich gar nicht auf der Landkarte zu finden – „Israel würde es ohne die Deutschen nicht geben“ – und die Gründung des besuchten Staatswesens jährt sich heuer zum sechzigsten Mal.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Merkels Israel-Besuch:
Imperialistische Einmischung der korrekten Art – deutsche
Staatsräson unterwegs in Nahost
Die deutsche Kanzlerin reist nach Israel, um, wie man im
zwischenstaatlichen Verkehr zu sagen pflegt, die
Beziehungen zu vertiefen
und sie für die
nachfolgenden Generationen ... mit Initiativen, Projekten
und Austauschen zu sichern.
(SZ,
19.3.08) Die Reise soll allerdings, wer hätte hier
anderes erwartet, weder hinsichtlich ihres Zieles noch
der historischen Terminlage ein gewöhnlicher Staatsbesuch
sein: Ihr Bestimmungsort wäre ohne das Wirken der
Rechtsvorgänger der deutschen Kanzlerin nämlich gar nicht
auf der Landkarte zu finden – Israel würde es ohne die
Deutschen nicht geben
(SZ,
ebd.) – und die Gründung des besuchten
Staatswesens jährt sich heuer zum sechzigsten Mal.
„... den Festreigen eröffnet hat Deutschlands Kanzlerin ganz allein – und nicht etwa George W. Bush ... Angela Merkel wollte sich nicht anstellen in der Reihe der Gratulanten, sondern wollte sie anführen.“ (SZ, ebd.)
Auch die Gastgeber haben einen Sinn für diesen Willen zur
historischen Inszenierung: Nach dem routinemäßigen
Holocaust-Gedenken der Kanzlerin aus dem Täter-Land
veranstalten sie erstmals die zukünftig regelmäßigen
gemeinsamen Regierungskonsultationen
, halten eine
gemeinsame Kabinettssitzung ab und lassen die Kanzlerin
als erste Regierungschefin in ihrem Parlament eine Rede
halten, die, was die Parteilichkeit der Gratulantin für
die Belange des jüdischen Staates betrifft, eine solche
Auszeichnung rechtfertigt.
*
Die beglückwünscht Israel zu 60 Jahren Aufbauarbeit
der Menschen unter schweren Bedingungen
und zu
seinem Kampf gegen Bedrohungen und für Frieden und
Sicherheit
, zeigt sich beeindruckt von seiner
Vitalität
und seinen technologischen
Spitzenleistungen
und bekräftigt die besondere
Verbundenheit
zwischen Deutschland und Israel –
und zwar für immer
– durch die Erinnerung an
die Shoa
, die uns Deutsche mit Scham erfüllt.
Von diesen einzigartigen Beziehungen
will sie sich
auch nicht durch Umfragen
abbringen lassen, in
denen – vielleicht in Würdigung der israelischen
Vitalität und technologischen Spitzenleistungen auf
militärischem Gebiet sowie der Erfolge Israels im Kampf
um Frieden zu seinen Sicherheitsbedingungen –
eine deutliche Mehrheit der Befragten in Europa sagt,
die größere Bedrohung für die Welt gehe von Israel aus
und nicht etwa vom Iran ...
Trotz solch deutlicher
Mehrheiten in der öffentlichen Meinung Europas muss
Deutschland für schärfere Sanktionen gegen den
Iran
eintreten, weil es anderenfalls weder die
Herausforderungen unserer Zeit
, noch seine
historische Verantwortung verstanden
hätte.
Nach der Beschwörung der heutigen gemeinsamen
Zugehörigkeit zum gleichen Weltsystem von freedom &
democracy - Werte, die wir gemeinsam teilen
–
beklagt und verurteilt die Kanzlerin entschieden
Terrorangriffe, die ein Verbrechen sind und keine
Lösung bringen
, und meint damit die Raketenangriffe
der Hamas auf israelische Siedlungen, um dann die
deutsche Sicht auf wirkliche Lösungen für die
regelungsbedürftigen Verhältnisse in Palästina, Libanon
und im Iran vorzutragen. An ihrem parteilichen Standpunkt
lässt sie keinen Zweifel: Deutsche Vorschläge für die
politische Neuordnung in Israels weiterer Nachbarschaft
gehen aus vom Erfolg und der Durchsetzung israelischer
Interessen und befassen sich damit, wie auf dieser
nicht verhandelbaren Grundlage nach deutscher
Auffassung in der Region zu verfahren wäre. Das alles, so
Merkel, wegen
„der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels. Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich niemals verhandelbar – und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben ... Ja, es sind besondere, einzigartige Beziehungen- mit immerwährender Verantwortung für die Vergangenheit ... In diesem Geist wird Deutschland Israel nie allein lassen, sondern treuer Partner und Freund bleiben.“ (Rede der Bundeskanzlerin vor der Knesset, www.bundeskanzlerin.de, 20.3.)
*
Die Kanzlerin, das ist unverkennbar, hat die
Geburtstagsaufwartung beim Judenstaat für eine Mitteilung
grundsätzlicher Art genutzt. Unter Berufung auf die
historische Verantwortung Deutschlands für die
Sicherheit Israels sieht sie sich gedrängt, im Sinne
dieses Anliegens verstärkt in die Regelung der
Probleme der nahöstlichen Region einzugreifen.
Unter denen leidet bekanntlich die Sicherheit des
jüdischen Gemeinwesens so unsäglich, dass
Deutschland als geschichtlicher Mitverursacher seiner
staatlichen Existenz die Drangsale dieser Nation nicht
länger aushalten kann, ohne seine Zuständigkeit für
Israel als immerwährenden und parteiübergreifenden
Bestandteil deutscher Staatspolitik zu beschwören. Um ein
Stück deutscher Staatsräson soll es sich bei
dieser grundsätzlichen Parteilichkeit pro Israel handeln.
Und so, wie einst die Politik der Wiedergutmachung
nationalsozialistischen Unrechts
an den Juden den
Neustart Deutschlands in die Weltpolitik nach dem Zweiten
Weltkrieg begründet hat, so soll heute noch die Berufung
auf die faschistischen Untaten ihren Dienst tun: Sie soll
das Ausgreifen deutscher weltpolitischer Ansprüche als
einen Akt der Verantwortlichkeit erscheinen lassen und
als einen nicht verhandelbaren
Teil des
staatlichen Weißwarum aller Deutschen.
So kommt es dazu, dass sich die Staatsräson des demokratischen Deutschland und die Israels in der Welt der höheren Werte, in der Staaten Verantwortung kennen, historische Pflichten auf sich nehmen und uneigennützige Freundschaften pflegen, aufs glücklichste treffen und aufs widerlichste ergänzen: Die in der Region unschlagbare israelische Staatsmacht zitiert ihrerseits anlässlich des offiziellen Besuchsrituals einmal mehr die Opfer des deutschen Faschismus, um ausgerechnet vermittels deren Andenkens das eigene brutale Zuschlagen mit der offiziell gültigen Aura des Opferstaates zu veredeln. Und die führende Dame der deutschen Republik macht die übliche Tour durch die israelischen Nationalgedenkstätten mit, in denen das Grauen der Vernichtungslager sinnfällig inszeniert und zum Berufungstitel des modernen Israel stilisiert wird. Sie glotzt ergriffen und nimmt den aufgenommenen sittlichen Schwung mit, um kaltblütig vor der Knesset und dem Rest der Welt mit allem Respekt vor den getöteten Juden darzulegen, dass sich Deutschland mit den ehrenwertesten Gründen künftig eine verstärkte Einbindung in die imperialistische Betreuung der nahöstlichen Krisenregion wünscht: Weil allein die deutsche Nachkriegsrepublik mit ihrem Volk der demokratisch geläuterten Totschläger die Zuständigkeit für diese Weltgegend seit dem Tag ihrer Gründung quasi historisch eingebaut hat, darf Deutschland nie wieder übergangen werden, wenn es um die Sicherheit des jüdischen Staates in einem politisch stabilen Nahen Osten geht!
*
Unter solch hochmoralischen Vorzeichen findet eine
wichtige sachliche Verschiebung innerhalb der deutschen
Außenpolitik in dieser Region statt: Weg von der Rolle
des ehrlichen
– aber irrelevanten –
Maklers
, der darauf aus war, über eine gewisse
finanzielle Betreuung der palästinensischen Seite und
eine begrenzte Befürwortung von deren politischen
Anliegen sich Einfluss auf die Nahostverhältnisse zu
sichern, hin zu der des erklärten Parteigängers der
israelischen Konfliktpartei, die seit vielen Jahren auch
die deutschen Bemühungen, sich mit vermittelnden
Vorschlägen zur Ordnung der Region größere politische
Wirkungsmöglichkeiten zu eröffnen, durch Nichtbeachtung
blamiert und durch die entschlossene Bekämpfung jedes
palästinensischen Staatlichkeitsanspruch erledigt hat.
Wenn der Status des Mitspielers auf dem nahöstlichen
Szenario nicht anders zu haben ist, so scheint die
deutsche Außenpolitik zu kalkulieren, dann eben lieber zu
den Bedingungen der Israelis als gar nicht.
Die weltöffentliche Deklaration einer deutschen Garantenstellung für Israel und der auf Dauer angelegte und demonstrativ bedingungslose Zusammenschluss des deutschen Interesses mit dem Bestand und Erfolg der angefeindeten Regionalmacht sollen für eine felsenfeste Verankerung Deutschlands im Lager der Stärksten unter den politischen Akteuren des Nahen Ostens sorgen: dem der Weltmacht USA und des von ihr gestützten israelischen Militärstaates. So will Deutschland politischen Nutzen ziehen aus der überragenden Regelungsmacht Washingtons und aus der anspruchsvollen Selbstdefinition israelischer Sicherheit, die nicht mit Landnahme, ethnischer Säuberung und Entmachtung aller Gegner in der Nachbarschaft zufrieden ist, solange es noch einen Rest von Widerstand in den Palästinenserreservaten gibt. Wenn Deutschland Mitglied dieser unschlagbaren Wertegemeinschaft wäre, dann sollte es doch auf mehr Gehör hoffen und Vorschläge machen können, die nicht mehr einfach übergangen werden.
Die Neupositionierung der deutschen Nahostpolitik auf der
Grundlage des ausdrücklichen Bündnisversprechens an
Israel entbehrt dann auch nicht eines drohenden Untertons
gegenüber dessen islamischen Feinden, wenn Merkel in
ihrer Rede vor der Knesset darauf verweist, dass es sich
bei der deutschen Parteinahme für Israel nicht um
leere Worte
handeln dürfe, gerade dann, wenn es
darauf ankommt
. Aber auch wenn die deutsche
Außenpolitik noch so parteilich von den Palästinensern
oder Israels staatlichen Nachbarn die Duldung der
israelischen Politik verlangt, egal wie viele Probleme
dieses Land seinen Opfern macht, präsentiert sich
Deutschland gerade mit all seiner fundamentalistischen
Kumpanei mit Israel dem betroffenen Umfeld des
stets gewaltbereiten Judenstaates als alternativer und
eigentlich einzig richtiger Ansprechpartner und
die einzige Macht außer den eigennützigen USA,
der man wegen ihrer erklärten Freundschaft mit
Israel noch irgendeinen mäßigenden Einfluss zutrauen
könnte. Wer der intransigenten Regionalmacht mit seinem
guten Rat beikommen und in Nahost ein Rolle
spielen will, der darf die bedingungslose Unterstützung
Israels eben nicht den USA überlassen, ebenso wenig wie
den nächsten Krieg gegen den Iran.
Bei alledem legen die Deutschen viel Wert auf ihre
historische Schuld
gegenüber den Juden und auf das
Singuläre
an den Verbrechen der Nazis, einem
beispiellosen Zivilisationsbruch
in der Geschichte
der Völker (Merkel in der Knesset). Von der ekelhaften
Heuchelei einer immerwährenden Scham von Amts
wegen wollen sie gar nicht mehr lassen. Das hat seinen
guten politischen Grund: Schließlich erwächst daraus nach
Auffassung der demokratischen Führer von heute auch eine
beispiellose Pflicht zur immerwährenden Wiedergutmachung
und jener ganz eigenständige und einzigartige
deutsche Rechtstitel, der seinem Inhaber erlauben soll,
(mindestens) in allen Fragen, die den Bestand Israels
betreffen, mitzureden. Für dieses Recht brauchen die
Deutschen keine Verleihung durch UNO oder Völkerrecht und
keine Gewährung durch die mächtigen USA. Sie verdanken es
ganz ihrer eigenen geschichtlichen Leistung.
Schuldbewusste Angeberei mit einem ganz besonders
einzigartigen Massenmord als Anspruchsgrundlage für
weltpolitische Einmischung: Das macht den Deutschen so
leicht keiner nach.