Lotta continua im Krisenstaat Italien
Von den Fortschritten der Gewerkschaftsbewegung im Zeitalter des Kampfes um Arbeitsplätze
Millionen Arbeitsplätze verloren, vierzig Prozent Jugendarbeitslose, zunehmende Tagelöhnerei und Schwarzarbeit, ein wachsender Billigstlohnbereich, staatliche Sozialeinschnitte: so machen sich für die Arbeiterschaft in Italien zehn Jahre Krise und der ökonomische Verdrängungskampf geltend. Das Kapital, das sich in der Krise behauptet, schöpft aus der Lage die Macht, sich radikale Freiheiten im Umgang mit Lohn und Leistung zu verschaffen. Und der Staat bestätigt und ergänzt den Klassenkampf von oben. Die konkurrierenden Gewerkschaften aber ringen darum, mit ihrer Entmachtung fertig zu werden und aus ihrer Ohnmacht eine konstruktive Strategie gewerkschaftlicher Mitwirkung bei der ‚nationalen Krisenbewältigung‘ zu entwickeln. Ein Lehrstück über Spaltung und falsche Einigkeit gewerkschaftlicher Interessenvertretung in Sachen ‚Beschäftigung‘ um jeden Preis.
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Lotta continua im
Krisenstaat Italien
Von den Fortschritten der
Gewerkschaftsbewegung im Zeitalter des Kampfes um
Arbeitsplätze
Millionen Arbeitsplätze verloren, 40 Prozent Arbeitslosigkeit bei der Jugend, Vorzeigefirmen des made in Italy zu Zuliefer-Dependancen deutscher Konzerne degradiert, Billigstlohn-Manufakturen unter chinesischer Regie, Tagelöhnerei und Schwarzarbeit zunehmend als Normalität, Deindustrialisierung statt Wachstum, der Staat spart für die Glaubwürdigkeit eines Euro-Geldes, von dem er nichts mehr verdient – so sieht es aus im bel paese, am Wirtschaftsstandort Italien. So bilanzieren sich für diese EU-Gründungsnation die Jahrzehnte der Binnen- und Weltmarktkonkurrenz, schließlich die bald zehn Jahre der Krise, in deren ökonomischem Verdrängungskampf das Land mehr denn je auf der Seite der Verlierer steht.
Die Arbeiterschaft ist darauf festgenagelt, dass das Kapital mit ihr noch irgendwas anzufangen weiß, das ihm Gewinn bringt; der Staat sorgt sich um diese rentable Benutzung der Arbeit, weil sie auch seine Geld- und Machtquelle ist; das Kapital, das sich in der Krise behauptet und durchsetzt, schöpft aus der Lage die Macht, sich radikale Freiheiten im Umgang mit Arbeit und Lohn und darüber neue Konkurrenzbedingungen zu verschaffen.
I. Neue Sitten des Kapitals im Umgang mit Arbeit und Lohn
1. Das „Projekt“ Fiat
Fiat, noch vor 25 Jahren mit 125 000 Arbeitern so etwas wie das Rückgrat der italienischen Industrie, beschäftigt heute in seinen italienischen Montagewerken noch 25 000, davon einen Teil seit Jahren in Kurzarbeit. Und so tritt 2010 der Konzernchef Marchionne – gleichsam vom auswärtigen Sitz seines globalisierten Imperiums aus – an den krisengeschüttelten Standort heran und macht der alten Heimat ein Angebot, von dem er sich sehr sicher ist, dass man es nicht ablehnen kann: Der Fiat-Chrysler-Konzern investiert für seine Weltmarktoffensive langfristig 20 Milliarden Euro am italienischen Standort, wenn die geforderte Lohnsenkung und Runderneuerung der gesamten Arbeitsverhältnisse ohne Wenn und Aber akzeptiert wird. Als Modell der somit ausgerufenen Fabbrica Italia soll das Werk in Pomigliano dienen; in ihm sollen die neuen Arbeitssitten mustergültig für alle Fiat-Montagefabriken einreißen. Andernfalls schließt Fiat seine Montagewerke in Italien komplett und lagert sie nach Serbien, Polen oder in andere Billiglohnländer aus. So unverblümt bietet sich die Erpressung an: O si o no!
Diese Fabbrica Italia kombiniert die Kapital-Investition in hochmoderne Technologie, welche die Arbeitsleistung durch Digitalisierung und Roboterstraßen in Spitzenwerte der Produktivität treibt, mit einer Verdichtung und Ausdehnung des Arbeitstages, die ohne entsprechende Spitzenwerte an Arbeitsmoral nicht zu haben sind:
Das vorrangige Diktat ist die Organisation eines flexiblen Systems von Kontischichten, das die Produktion rund um die Uhr sicherstellt. Um alle Poren des Arbeitstages zu schließen, werden die Mittagspausen an das Schichtende verlegt, also praktisch gestrichen, sowie die tariflich eigentlich zugestandenen Pausen verkürzt und vor allem vom Schichtkollektiv so verteilt, dass die Arbeit keinesfalls unterbrochen wird.[1]
Um die Produktion bedarfsgerecht hochzufahren, kann die Zahl der Überstunden ungeachtet des tariflichen Maßes von 40 Stunden jährlich auf 120 erhöht werden. Im Werk von Melfi, wo Fiat an der Fortentwicklung der Standards arbeitet, die es in Pomigliano gesetzt hat, fallen Überstunden in der Regel nicht mehr an, weil dort auch die Wochenenden komplett ins Schichtensystem eingebaut sind. So darf sich Fiat damit brüsten, dass erstmals in Europa 160 der 168 möglichen Wochenstunden durchgearbeitet wird (die acht Stunden am heiligen Sonntag müssen für die Wartung der Maschinen herausgerechnet werden) und dass eine solche Auslastung der Produktionsmittel selbst die deutsche oder französische Konkurrenz in den Schatten stellt.
Die extreme Auslastung wird von einem rigorosen Regelwerk begleitet, das unbedingte Arbeitsdisziplin einfordert, was bei der Anwesenheit beginnt: Die Firma streicht die gesetzlich vorgeschriebene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die ersten drei Tage, wenn sie meint, es handle sich um „Blaumacherei“, sie nennt es assenteismo anomalo, den sie ganz einfach daran erkennt, dass er gehäuft auftritt. Generell gilt:
„Verstößt ein einzelner Arbeiter, aus welchen Gründen auch immer, auch nur gegen eine einzige der vorgesehenen Klauseln, liegt ein von der Betriebsführung zu strafendes Vergehen vor, das disziplinarische Maßnahmen bis zur Entlassung nach sich zieht.“ (ilpost.it, 23.6.10) [2]
Der Arbeitslohn definiert sich bei Fiat als Variable des Betriebserfolgs, er ist „ergebnisorientiert“: 2015 wird er für vier Jahre fixiert und sieht ein Grundeinkommen, das auf dem Stand von 2011 eingefroren wird, als Festbetrag vor. Die Zulagen sollen künftig vom Gesamtergebnis des Konzerns abhängig sein. In den ersten drei Jahren wird der monatliche Bonus im besten Fall 120 Euro betragen, ab dem vierten Jahr 230. Falls die Zielvorgaben nicht erreicht werden, können sich die Zulagen auf 25 Euro monatlich beschränken. Für die Arbeiter bedeutet das nicht nur einen entsprechend niedrigen Gesamtlohn, sondern auch das Ende eines berechenbaren Einkommens.
Wenn der Konzernchef all diese Fortschritte in Sachen schäbig bezahlter Arbeitshetze unter die unverhandelbare Ansage setzt, das sei „kein Vertrag, sondern ein Projekt“, so meint er das ziemlich wörtlich: Denn so rigoros die Neuausrichtung der Bedingungen auf die Konkurrenzoffensive des Konzerns ist, so kompromisslos agiert Fiat auch in der Durchsetzung dieses Musterfalls. Die Konzernherren verhandeln erst gar nicht, setzen stattdessen Fakten und lassen sich diese erst vom zustimmungswilligen Teil der Gewerkschaften abzeichnen und dann durch ein betriebsinternes Referendum auch von einer deutlichen Mehrheit der Belegschaft bestätigen. Die einzige Gewerkschaft, die nicht unterschreibt, wirft Fiat kurzerhand aus der Fabrik, auch wenn sich der Konzern damit dem Buchstaben des Gesetzes nach strafbar macht. Dass der Vorstoß sogar dem Unternehmerverband etwas zu weit geht, stört den Konzern mitnichten: Er tritt sowieso aus der Confindustria aus, weshalb er sich an keine der bis dato bestehenden Abmachungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft mehr gebunden sieht.
Auch wenn am Ende des Erpressungsmanövers der Form nach ein Vertrag steht, so ist er nicht das Resultat einer Verhandlung, sondern in Inhalt und Zustandekommen die offensive Demonstration der Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gewerkschaft als Tarifpartner und gegenüber allen Vereinbarungen, die mit ihr allgemein ausgehandelt wurden. Es ist die praktizierte Freiheit des Kapitals von den bisherigen Regularien im Umgang mit der Arbeit überhaupt und erinnert in der quasi gutsherrlichen Art, mit der der padrone seinen dipendenti, also den Abhängigen, diktiert, was Sache ist, eher an weniger zivilisierte Formen und Zeiten des Kapitalismus. Die Arbeiter, zumal im Süden des Landes, sollen froh sein, wenn sie überhaupt Arbeit haben, und diese Diensteinstellung ist eine der moralischen Grundvoraussetzungen, die Arbeit in der Krisenkonkurrenz rentabel zu machen.[3]
2. Die Kapitalistenklasse hört die Signale
Wenn dieser Arbeitgeber, der sich einseitig zum Herrn aller Bedingungen der Arbeit macht, seinen Verband verlässt, heißt das keineswegs, dass sein Modell als solches bei den Unternehmern des Landes für Befremden sorgt, im Gegenteil. Die Fabbrica Italia verdient es in mehrfacher Hinsicht, gerade angesichts der Krise das Leuchtturm-Projekt der nationalen Wirtschaft genannt zu werden, sei es, weil es zentrale Richtungsänderungen derselben aufgreift und radikalisiert, sei es, dass es diese anstößt. Schließlich haben die Unternehmer(verbände) ihrerseits erfolgreich das nationale Lohnniveau gedrückt und die eingerichteten Formen der Lohnfindung unterlaufen. Vom Flächentarifvertrag (contratto nazionale) ist nicht mehr viel übrig. Mehr und mehr sind Betriebsvereinbarungen an seine Stelle getreten und machen die Belegschaften unmittelbar durch und für die Macht des Eigentums erpressbar: Die Verschiebung des Großteils der Vertragsinhalte von der nationalen (primo livello) auf die betriebliche Ebene (secondo livello) geht nicht zufällig mit Lohnsenkungen und schrankenlos flexiblen Arbeitszeiten einher. So reduziert sich der nationale Lohn – wie bei Fiat – auf eine niedrige Basisgröße, die nur etwa die Hälfte der gesamten Lohnsumme ausmacht und durch Zulagen, Prämien etc. je nach Betrieb aufgestockt wird. Dass in der Krise diese Lohnteile das erste und selbstverständliche Objekt der Streichungen abgeben, ist die praktische Durchsetzung des Prinzips, dass der tatsächliche Lohn auf den Geschäftserfolg des jeweiligen Betriebs als Bezugspunkt festgelegt wird. Das gilt anfangs für Abweichungen nach oben, in der Krise eben zunehmend für solche nach unten, d. h. für die mit den schlechten Betriebsergebnissen begründete Lohnsenkung.[4]
Dass das Kapital Lohnteile, die es binden, im Zuge der Krisenbewältigung der letzten Jahre schon so ziemlich losgeworden ist, nimmt es als gute Basis dafür, sich auch noch den Rest vom Hals zu schaffen: Vordem war zumindest der Kampf um die Wiederherstellung der inflationär reduzierten Kaufkraft wesentlicher Inhalt der Flächentarifverträge. Wie gering die Erhöhungen in den nationalen Lohnrunden seit Abschaffung der scala mobile [5] auch gewesen sein mögen, die sog. „Erhaltung der Kaufkraft“ blieb jedoch der Titel der Gewerkschaften, und genau diesen äußerst bescheidenen, aber eben immer noch existierenden Restbestand einer institutionalisierten Kompensation nehmen die Unternehmerverbände (Confindustria, Federmeccanica) aufs Korn. Es gleicht einem zynischen Nachruf auf die scala mobile, wenn das Kapital (Chemie, Metall) heute von den Gewerkschaften Lohnanteile zurückverlangt, denn es herrscht ja Deflation. Musste einst die Umkehrung, dass nicht die Löhne wegen der hohen Preise erhöht werden müssen, sondern die Lohnerhöhungen schuld an der Inflation sind, als Begründung für die Abschaffung der scala mobile herhalten, so beschweren sich die Unternehmer derzeit über die Deflation und kommen natürlich nicht auf die Idee, sie läge am Lohnverzicht. Sondern nach dem Motto: Wenn wir am Markt die Preise nicht mehr erzielen, dann müssen die Löhne weiter runter und den Verlust ausgleichen, spricht also auch die Deflation für Lohnsenkung!
In all dem zeigt sich wie im Fall Fiat: Die Bezahlung der Arbeit fällt pur mit dem Konkurrenzinteresse der Firma zusammen. Der auf die Grundgröße reduzierte Tariflohn hat für das Kapital nicht mehr die Qualität der Bindung, sondern eröffnet ihm die Freiheit, die Lohnzahlung weitestgehend nach dem eigenen Bedarf und so gut wie ohne Bezug zum Interesse des Lohnabhängigen, seinem Lebensunterhalt, zu managen.
In der entsprechenden Tonart springt das Kapital mit der gewerkschaftlichen Arbeitervertretung um: Wenn Tarifverhandlungen auf Branchenebene derzeit nur noch alle drei bis vier Jahre stattfinden und damit die Freiheit des Kapitals, am Verhältnis von Leistung und Bezahlung zu drehen, weiter ausgedehnt ist, wenn von branchentariflichen Lohnerhöhungen de facto nur noch fünf Prozent, nämlich die Niedriglohnempfänger betroffen sind, wenn selbst das noch mit der Angabe „betrieblicher Schwierigkeiten“ unterlaufen werden darf, dann ist das Kapital dem Ideal, den Lohn am besten ganz ohne gewerkschaftliche Mitsprache zu diktieren, nahe gekommen. Wo die Unternehmerschaft zudem in der Krise besonders kreativ in der Erfindung und Einrichtung prekärer Arbeitsverhältnisse ist, von denen kein Mensch leben kann, erhöht das die Erpressungsmacht, mit der sie die Konkurrenz der Lohnabhängigen ausnutzt, und schwächt die Front gewerkschaftlicher Einspruchsmacht.
II. Der italienische Staat bestätigt und ergänzt den Klassenkampf von oben
„Ich bin außerordentlich begeistert von den Projekten Sergio Marchionnes.“ (Regierungschef Renzi)
„Renzi muss weiter machen, er darf sich nicht einschüchtern lassen …; er gefällt mir sehr, weil er ein Macher ist.“ (Fiat-Chef Marchionne)
Das Kapital wird also radikal in der Umwälzung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse sowie rücksichtslos im Angriff auf das sozialverträglich geregelte Verhältnis zu seinen Abhängigen. Der Staat, der immerhin mit Grund und eigenem Interesse dieses Verhältnis eingerichtet hat und kraft seiner Rechtsgewalt politisch gestaltet, steht diesem offensiven Rückbau bemerkenswert wohlwollend gegenüber: Für den italienischen Staat spitzt sich in all den Krisenjahren die Zwickmühle zu, dem Haushaltsdiktat der EU hinterhersparen zu müssen, weil das fehlende Wachstum immer weniger Mittel einspielt und im zunehmend deindustrialisierten Land überhaupt das funktionelle Dreieck von Staat-Kapital-Arbeit flächendeckend gestört ist.
Freilich legt die Regierung mit dem Anspruch, europäische Führungsmacht zu sein und zu bleiben, großen Wert darauf, die sogenannte Konsolidierung aus souveränem Entschluss heraus – von wegen Diktat aus Brüssel ! – zu betreiben, und besteht auf der Umkehrung, auf diese Weise Wachstum und rentable Arbeit als die Quellen staatlicher Potenz, die Staatsnützlichkeit von kapitalistischer Beschäftigung aus eigener Macht herbeiregieren zu können.
So arbeitet die Staatsführung an ihrem politischen Profil der Reformwilligkeit und -fähigkeit, indem sie sich zu der Selbstkritik entschließt, dass der Staat in seiner gegenwärtigen Verfassung eine Schranke des Wachstums ist. Dies betrifft zunächst die Herrschaft als finanzielle Unkosten: Wo staatliches Geld kein Wachstum in Gang setzt, ist – so lautet die schlichte Umdrehung – eben der Staat selbst zu teuer und die Senkung seiner Kosten ein Hebel, das Wachstum anzustoßen.
1. Der Staat spart
– an seinen Kosten und auf Kosten seiner Bediensteten
Als Arbeitgeber hält der staatliche Dienstherr am Einfrieren der Gehälter im öffentlichen Sektor fest und verweigert seinerseits die Erneuerung von Tarifverträgen: Für öffentliche Angestellte gibt es seit siebeneinhalb Jahren keine Lohnrunden mehr, bezahlt wird nach staatlichem Dekret. Monatelang wird in so manchen Regionen überhaupt kein Lohn gezahlt. Ferner kürzt der Staat die Pensionen, z. T. auch über die Flexibilisierung des Pensionsalters, das Renzis Vorgänger bereits kräftig nach oben angehoben haben.
Fiats Vorgehen gegen das diagnostizierte Blaumachen und die Faulenzerei in den Betrieben überzeugt den Staat als Arbeitgeber, er steuert eine öffentliche Kampagne zur Hebung der Arbeitsmoral seiner Beschäftigten bei, eine Hetze gegen die sog. „Nichtstuer“ unter ihnen. Dementsprechend soll die Reform den Wind, der in der Wirtschaft weht, in die Amtsstuben lassen: Leistungsbezogene Bezahlung nach einem Prämiensystem, keine Gehaltserhöhung nach Dienstalter, Mobilität und Flexibilität als Einstellungsvoraussetzung, Kündbarkeit und eine radikale Verjüngung des Apparats öffentlich Angestellter sind durchzusetzen, wobei für die Neueinstellung vor allem computerkompetente Kräfte gefragt sind, da sich der Staat auch von der Digitalisierung seiner Arbeitsplätze Einspareffekte verspricht.[6]
– beim Umbau des Sozialstaats
Angesichts der dauerhaften Nichtbenutzung beträchtlicher Volksteile ist auch der Sozialstaat zu einigen Eingeständnissen gezwungen. Dass die Armut in den Jahren der Krise in Italien größer geworden ist als sonstwo in Europa, wird öffentlich zu Protokoll gegeben.[7] Dabei müsste der Sozialstaat mehr leisten, soll aber weniger kosten: Die sozialstaatlichen Leistungen der Cassa integrazione, ursprünglich von oben zugestanden, um von kurzfristiger Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer über Wasser zu halten, und über den gewerkschaftlichen Kampf der 80er Jahre dann zur Langzeitbetreuung für Entlassene umfunktioniert, werden zum einen beschränkt, was die Dauer der Zahlung betrifft, und zum anderen gar nicht mehr zugelassen für Entlassene von Betrieben, die pleitegegangen sind.
Der folgerichtige und weitgehende Ersatz des alten Instruments durch eine Arbeitslosenversicherung ist das offizielle Eingeständnis, dass tausende von Industriearbeitern nicht nur durch eine vorübergehende Konjunkturkrise bedingt, sondern eben langfristig ohne Arbeit sind und unter dem Ideal, dass sie vielleicht irgendwann wieder gebraucht werden könnten, vom Staat in diesem Status zu (er)halten sind. Diese Neudefinition kostet natürlich Geld; die Unterstützungsleistung für die Betroffenen wird der Sachlage, dass es sich um Leute handelt, die das Kapital für unbrauchbar erklärt, angepasst. Sie müssen dem Arbeitsmarkt, der nichts bietet, zu allen Bedingungen zur Verfügung stehen: Die allgemeine Arbeitslosenversicherung Naspi [8] zahlt erstens deutlich weniger als die Cassa integrazione; die Zahlungen sind beitragsabhängig; sie sind zeitlich beschränkt; der Übergang zur Sozialhilfe ist mit entsprechenden „Arbeitsanreizen“ versehen – ein italienisches Hartz IV mit allen bekannten Schikanen, so lässt sich diese Abwertung des sozialstaatlich verfügten Status zusammenfassen.
In diesen Status gerät von vorneherein eine Million junger Menschen, die ohne (jegliche Aussicht auf) Arbeit und ohne Ausbildung sind, ein Zustand, der nicht nur in Italien eine feste Größe darstellt. Dort nötigt er dem politischen „Macher“ Renzi den groß angekündigten Beschluss ab, vordringlich etwas für die nationale Jugend zu tun. Die ihm folgende Elendsbetreuung bedenkt den Nachwuchs mit einem jährlichen Gutschein über 500 Euro, sachgebunden an den Konsum von Kultur; so geht der Jugend in ihrer Verelendung und drohenden Verwahrlosung das Gefühl für die abendländischen Werte nicht verloren. Ansonsten setzt der Staat auf die Familie – la famiglia in Italien passenderweise abendländischer Höchstwert – und ihre in besseren Zeiten akkumulierten Ansprüche an den Staat oder Privat-‚Vermögen‘: Pensionäre oder Lohnempfänger dürfen für die einkommenslosen Mitglieder aufkommen.[9]
2. Die Politik setzt die „Jobmaschine“ frei
Die andere Seite der staatlichen Selbstkritik, des entsprechenden Reformwillens, zielt auf die Befreiung des Kapitals von allen – so definierten – Hemmnissen, durch die der Staat mit dem überkommenen Bestand rechtlicher Regelungen die Macher der Wirtschaft daran hindert, ihre Geschäfte zu betreiben:
Wenn Renzi von einem „Klassengegensatz“ spricht, meint er damit nicht das Verhältnis von Kapital und Arbeit, das er staatlich verwaltet; sondern dann hat er einen Klassengegensatz der anderen Art erfunden, und zwar den der „privilegierten“ Arbeitsplatzbesitzer auf der einen und der „rechtlosen“ precari auf der anderen Seite. Er erklärt den herkömmlich geregelten Arbeitsplatz einfach zu einem „Vorrecht“, das der Grund für die Benachteiligung all derer sei, die so einen nicht haben.
In dieser verlogenen Art spricht er die desaströse Lage des Volkes an und wird in seiner Kritik an den von Privilegien verwöhnten Arbeitsplatzbesitzern in dem Sinne selbstkritisch, als er im geltenden Arbeitsrecht und den entsprechenden Übereinkommen zwischen Kapital und Gewerkschaft das Beschäftigungshindernis für sein Volk ausmacht. Die arbeitsrechtlichen Bestände werden folglich neu sortiert. Schranken der Ausbeutung, ehedem vom Staat per Recht errichtet, werden als bürokratische Hemmnisse erfolgreichen Wirtschaftens abgeräumt. So werden die zahllosen Formen der Billigstarbeit, die immer mehr zur Normalität geworden ist, staatlicherseits anerkannt und die freizügigen Methoden der Verfügung über Zeit und Kraft der Arbeiter politisch bestätigt.
Weil sich der Staat aber von eben diesem ausgiebigen Gebrauch prekärer Arbeit selbst finanziell betroffen sieht – von prekärer und illegaler Arbeit, aus der keine Sozialversicherungen und keine Steuern bezahlt werden, kann auch der Staat schlecht leben –, beschließt die Regierung in ihrem Jobs Act, mit diesem Widerspruch konstruktiv umzugehen.
In diesem Gesetz definiert sie die Vielzahl an befristeten Arbeitsverträgen, die die Kapitalisten neben den unbefristeten eingerichtet haben, neu. Unter den Titeln „Vereinfachung“, „Vereinheitlichung“ und „Deregulierung“ wird der Renzi’sche „Klassengegensatz“ zwischen den sog. sicheren und den prekären Arbeitsverhältnissen überwunden, indem die sicheren unsicherer und die prekären „sicherer“ gemacht werden: Die unbefristeten Verträge werden so „vereinfacht“, dass sie für drei Jahre Probezeit praktisch befristet sind, sie heißen „Verträge mit wachsendem Schutz“. Der „Schutz“ besteht darin, dass die Kündigung – ohne erforderliche Begründung – mit einer Entschädigung verbunden ist, die mit der Beschäftigungsdauer zunimmt. Die befristeten Verträge werden auf eine Laufzeit von drei Jahren begrenzt – mit dem Ideal, dass sie anschließend in unbefristete überführt werden.
Die extrem flexiblen Formen der Indienstnahme von Arbeitskraft[10] sollen einerseits unter fiskalischem Aspekt abgeschafft bzw. eingedämmt und damit Maßnahmen gegen Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit ergriffen werden. Der Staat legalisiert andererseits die meisten dieser prekären Vertragsformen, indem er sie schlicht mit Fristen versieht. Zudem errichtet er neue bürokratische Hürden für die um sich greifende Tage- bzw. Stundenlöhnerei, die er auf diese Art korrigieren will, um auch aus solcher Beschäftigung Geld abzugreifen: Etwa über den Zwang zum Kauf von Gutscheinen – vouchers – für das Anheuern von Tagelöhnern, die die Unternehmer erwerben müssen und einen Teil sozialer Abgaben enthalten. An diesem Ideal hält die Politik fest, auch wenn es längst kein Geheimnis mehr ist, dass sich mit diesen vouchers die Unternehmer – kreativ, wie sie sind – Billigstarbeitskräfte in die Firma holen, um sie pro forma für ein paar Stunden vorschriftsgemäß und den Rest der Zeit schwarzarbeiten zu lassen.[11] Dass mit den mickrigen Abgaben sich irgendein Mensch einen Rentenanspruch aufbauen könnte, den schlechten Witz glaubt eigentlich sowieso keiner.
Gerade dadurch, dass der Staat die Entlassungen noch mehr
erleichtert, will er die Unternehmer zu festen
Anstellungen animieren, die – siehe oben – am Beginn
eines jeden Arbeitsverhältnisses schon gar nicht mehr so
fest sind, denn diesem „Privileg“ will man ja an den
Karren. Dass diese „Entfesselung“ der
Beschäftigungsverhältnisse für die Arbeitgeber eine
Jobmaschine
und für Italien der Weg aus der Krise
ist, ist zwar mitnichten zu bemerken, aber das auf diesem
Weg verrechtete Prinzip des hire & fire gilt
dessen ungeachtet und grundsätzlich als überfällige
Reform des „verkrusteten Arbeitsmarktes“, als
alternativlos.[12]
In diesem Sinne setzt die Regierung Renzi eine Änderung des politisch jahrelang umkämpften, legendären articolo 18 des Arbeiterstatuts durch, die in der Substanz auf seine Abschaffung hinausläuft. Der Artikel hatte einst Schranken gegen die Entlassungswillkür eingezogen und wurde in Unternehmerkreisen immer als Inbegriff sozialistischer Wirtschaftsfeindlichkeit, als ein einziges Geschäftshindernis geschmäht, so gering seine praktische Relevanz in der betrieblichen Realität auch sein mochte.
Dass es mit der Schlachtung dieser „heiligen Kuh“ der Gewerkschaften in erster Linie um eine politische Demonstration geht, haben alle Seiten gut verstanden, sie ist nicht zuletzt auch auf den Beifall der auswärtigen Freunde des freien Arbeitsmarktes berechnet: Die italienische Regierung stellt damit ihre politische Souveränität und Durchsetzungsmacht vor den Augen der deutsch-europäischen Öffentlichkeit unter Beweis. Indem er tut, was einem Berlusconi nicht gelungen ist, also eine gleichsam symbolische Bastion der Gewerkschaften abräumt, stellt Renzi klar, dass er seine staatliche Handlungsfreiheit keinesfalls von irgendwelchen Gewerkschaften beschränken lässt. Diese sieht und behandelt er als Lobby überholter und sozial schädlicher Interessen, die nur jenen „Klassengegensatz“ verwaltet, den er abschaffen will; vertritt sie doch bloß die „privilegierten“ Arbeiter und schadet so einem großen Teil des Volkes, das ganz schlicht Arbeit um jeden Preis braucht.
3. Antisindacalità
Von daher ignoriert der Sozialdemokrat an der
Regierungsspitze entschieden die gewerkschaftlichen
Einsprüche gegen den Rückbau erkämpfter sozialer
Positionen. Wird den Gewerkschaften schon seit der
Einbindung in den vom Staat geleiteten dialogo
sociale zwischen Kapital und Arbeit – seinerzeit die
Erfindung der Regierung Berlusconi [13] – eine einzige Rolle
zugewiesen: die des konstruktiven Mitgestalters oder gar
keine, so sieht sich Renzi die ersten beiden
Regierungsjahre nicht mal zu jenem dialogo mit
den Dialogbereiten veranlasst. Er begegnet vielmehr den
Gewerkschaften, die in seiner Partei ihren verlängerten
politischen Arm sehen wollten, mit demonstrativer
Verachtung: Ihr redet, ich schaffe Arbeitsplätze
.
Er praktiziert diese Verachtung, indem er den Jobs
Act gegen ihre Demonstrationen und eine
oppositionelle Minderheit in der eigenen Partei
(Partito Democratico) im Pakt mit der
parteipolitischen Rechten (patto del Nazareno
mit der Forza Italia) als rein parlamentarischen
Akt durchpeitscht, als souveräne Regierungssache, die die
Gewerkschaften nichts angeht.[14] In den Schubladen der
Ministerien sollen bereits Gesetzesprojekte liegen, die
die normativen Bereiche (Tarif-, Betriebsverfassungs- und
Streikrecht) aus dem privaten Vertragsrecht (zwischen
Unternehmern und Gewerkschaften) herauslösen. Damit will
die politische Gewalt sich und die Kapitalseite
grundlegend emanzipieren von der Einspruchsmacht der
Arbeitervertretung, die rechtliche Fixierung des
politischen Rahmens soll nicht dem Kräfteverhältnis der
Tarifparteien überantwortet bleiben.
Praktische Klarstellungen, wie die politische Herrschaft
mit widerspenstigen gewerkschaftlichen Positionen
umzugehen entschlossen ist, liefern zudem aktuelle Fälle
wie die paar Sabotage- bzw. Schikaneaktionen von
Basisgewerkschaften im Transportwesen, die sogleich mit
der Androhung eines Militäreinsatzes beantwortet werden;
den angesagten Streik der Fluglotsen hat die Gewerkschaft
nach der Ankündigung des Verbots durch die Regierung, die
sich auf ihre Verantwortung für das öffentliche
Leben
berief, dann gleich selber abgesagt.
Die offensiv vertretene Gewerkschaftsfeindlichkeit – antisindacalità – des Regierungschefs hat dabei etwas von einer – gar nicht italienspezifischen – Ironie: Es ist just die linke Partei an der Regierung, welche die feine Rolle übernimmt, den Rest an überkommenen gewerkschaftlichen Besitzständen abzuräumen, gegen die ein Verfechter aller Freiheiten kapitalistischer Ausbeutung wie Berlusconi sein politisches Leben lang gehetzt hat. Auch sie zählen offensichtlich zu dem „Müll“, den der selbst ernannte „Verschrotter“ Renzi zu entsorgen angetreten ist.
III. Wie die Gewerkschaften mit ihrer Entmachtung umgehen
Wenn das Kapital seine Zumutungen für die Arbeiter verschärft; wenn es auch nur die Regung einer Gegenmacht der Arbeit nicht mehr dulden will; wenn es dabei Rückendeckung und Schützenhilfe seitens der politischen Gewalt erhält, die nicht auf den Rechten der Arbeit besteht, sondern diese ihrerseits beschränkt und mit Arbeitervertretern, die das nicht ohne Weiteres unterschreiben, gar nicht mehr verhandelt; wenn das so ist und so leicht über die Bühne geht in diesem Land, das einst im schlechten Ruf stand, ständig von Streiks lahmgelegt zu werden, dann können sich Staat und Kapital sehr sicher sein, dass sie es mit einer zum Widerstand bewegten Arbeiterschaft nicht zu tun bekommen: Dieser Klassenkampf von oben geht – was sonst – gegen die Arbeiterklasse, aber findet ohne ihre Gegnerschaft statt.
Umso dreister und anspruchsvoller ist der Angriff, mit dem sich Staat und Kapital auf die gewerkschaftlichen Vereine, auf die organisierte und institutionalisierte Einspruchsmacht der Arbeitervertreter als Störfaktor beziehen. Denn diese machen von der Gegenmacht, als die sie angegriffen werden, seit geraumer Zeit gar keinen Gebrauch. Lohnkämpfe, wie sie jahrzehntelang üblich waren, gibt es lange nicht mehr. Vielmehr trifft das Kapital mit seinem Vorstoß auf Gewerkschaften, die offenbar wissen, was im Krisenstaat die Stunde geschlagen hat; die sich damit, dass die Arbeit prekärer, die Arbeiter erpressbarer, sie selbst als deren Repräsentanten übergangen und ausgegrenzt werden, abfinden wie mit einer neuen Sachlage, in der man sich behaupten will, indem man mit dem gebotenen Realismus das Beste aus ihr macht: Zumindest die zwei großen gewerkschaftlichen Dachverbände Cisl (Confederazione italiana sindacati lavoratori) und Uil (Unione italiana del lavoro) sind über den Standpunkt, dass es eine Gegenmacht bräuchte, um gegen die Kapitalmacht und ihr Diktat der Arbeitsbedingungen überhaupt ankämpfen zu können, eindeutig hinaus, sollten sie ihn so je eingenommen haben. Auf die Idee, sich öffentlich für überflüssig zu erklären und aufzulösen, kommen sie aber nicht.
1. Aus Entmachtung wird eine konstruktive Strategie
Die Dezentralisierung der tariflichen Vertragsbildung haben Cisl und Uil gar nicht als Demontage ihrer Macht genommen, ihre Funktionäre haben die betreffenden accordi bereitwillig unterschrieben.[15] Dass die Erpressbarkeit der Belegschaft, ihre Abhängigkeit vom Fabrikherrn sich verschärft, wenn hausinterne Verträge abgeschlossen werden, das sehen diese Arbeitervertreter anders. Sie verstehen nämlich die Abhängigkeit der Beschäftigten, die nun mal Anhängsel des Betriebserfolgs sind, grundsätzlich nicht als negative Voraussetzung, nicht als das Drangsal zur eigenen Gegenwehr, sondern als Chance zur positiven Teilhabe am Gelingen des Unternehmens. Offenbar nehmen sie die öffentlichen Reden von Unternehmern, die die Abhängigkeit ihrer Arbeiter gerne als die eigene Verantwortung für diese buchstabieren, für bare Münze und fordern sie, die Verantwortung, regelrecht ein.
Sich und ihre Basis selbst sehen sie in der Verantwortung, am Geschäftserfolg des Betriebs mitzuwirken; denn dass betriebsinterne Bonuszahlungen und Prämien als solche den Konkurrenzerfolg des einzelnen Betriebs – gerade in der Krise ein Erfolg auf Kosten anderer Betriebe – zum Maß des Auskommens für den Lohnarbeiter machen, ist für diesen Typ Gewerkschafter nichts, was den Lebensunterhalt der Arbeiter aufs Spiel setzt. Vielmehr ist es Ansporn, die Vorgaben der Geschäftsführung zu erfüllen, womit sich jede ausgeschüttete Prämie als Bestätigung und Erfolg dieser kooperativen gewerkschaftlichen Strategie gutschreiben lässt:
„Wenn wir der von der Fiom (Federazione impiegati operai metallurgici: Metallabteilung des dritten Dachverbands Cgil – Confederazione generale italiana del lavoro) propagierten Nein-Strategie gefolgt wären, hätte sich Fiat allein 2015 446 Millionen Prämien gespart.“[16]
Die Redeweise, dass man als Vertreter der Arbeitersache dem Unternehmen doch keine Prämien ersparen, sondern möglichst viele aus ihm herausholen möchte, zielt hier als Polemik auf die weniger kooperativen Gewerkschaftskollegen, die eben anhand der ausgezahlten Prämien blamiert werden sollen: Konstruktives Mitmachen zahlt sich aus – Opposition nicht. Das ist die Botschaft, der dann die quasi realistische Rechnung folgt, dass die Prämie freilich darauf basiert, dass die Kosten des Unternehmens im Namen seiner Wettbewerbsfähigkeit erst einmal gesenkt werden. So jedenfalls leitet der ökonomische Sachverstand des Gewerkschafters die Höhe der Lohnzuzahlung aus dem Umfang der betrieblichen Kostensenkung ab, an der folgerichtig die Arbeiter selbst interessiert sein, also für die sie aktiv werden müssen:
„Die Prämie steigt mit der Senkung der Kosten der einzelnen Werke, so dass die Arbeiter selbst (und die Gewerkschaften) gehalten sind, mit Vorschlägen zur Verbesserung und zur Beteiligung am produktiven Prozess beizutragen.“ (Ebd.)
Ein Vertreter der Arbeit, der sich so in die Berechnungen der Kapitalseite hineindenkt und diese seiner Klientel anträgt, hat dann auch Verständnis, wenn die Prämien selbst jener Kostensenkung zum Opfer fallen, sollte – trotz engagierter Vorschläge und kreativer Beiträge der Kollegen zur Kostensenkung – der Betrieb am Markt die Erfolge nicht einfahren. So oder so, dass sich die Arbeiter die Konkurrenzfähigkeit der Firma als Standpunkt ganz zu eigen machen, erreicht man durch entsprechendes „Verhandeln“:
„Furlan hat dann eine Art Lobrede auf das Verhandeln (contrattazione) angestimmt, das ‚dazu dient, die Arbeiter am Leben der Firma teilhaben zu lassen‘… ‚Gutes Verhandeln‘, sagte des Weiteren die Gewerkschafterin, ‚dient auch dazu, unsere Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und sie am Weltmarkt bestehen zu lassen‘.“ [17]
Eine eigenartige Bedeutungsverschiebung, die das Kerngeschäft Verhandeln im gewerkschaftlichen Sprachgebrauch erfährt: Ziemlich weit weg von der Vorstellung, dass immer konträre Interessen auf dem Tisch sind, wenn verhandelt wird, arbeiten Unternehmer wie Gewerkschaft einträchtig an dem Ziel, die Belegschaft über die Arbeitsleistung hinaus in alle Belange des Firmengeschehens so einzubinden, dass sie die fälligen Vorgaben der Betriebsführung nicht einfach nur erfüllt, sondern sie sich mit dieser gleich selbst setzt. Dann zieht sie – gleich der von Marchionne beschworenen „Kampfgemeinschaft“ – mit der Firma in die Schlacht der globalen Konkurrenz. Weil das Bestehen auf dem Weltmarkt die existenzielle Prämisse ist, der sich alles unterordnet, ist auch klar, dass die globalen Strategien des Kapitals zur Mehrung seines Profits einen Gewerkschafter nicht nur etwas angehen, sondern quasi von ihm mit angestoßen werden müssen:
„Das Positive an der Fusion, so Giovanni Sgambati, nationaler Sekretär der Gewerkschaft Uilm (Metallverband der Uil), bestehe darin, dass sie ‚die Firmenmarke Fiat auf dem Weltmarkt stärker macht… Mit Chrysler wird Fiat zum Weltplayer.‘ Der Regionalsekretär der Gewerkschaft Fim, Giuseppe Terracciano, erklärte, die Fusion sei wichtig, ‚weil sich der neue Konzern damit nicht nur auf Europa und Italien konzentriert, wo noch Stagnation vorherrscht‘.“ (wsws.org, 12.8.14)
Kein böses Wort über das vaterlandslose Kapital aus dem Munde der gewerkschaftlichen Kämpfer für italienische Arbeitsplätze. Mit dem Durchblick eines Wirtschaftskapitäns schauen sie selbst über Italiens Grenzen hinaus und entdecken sogar im Fremdgehen des Konzerns den patriotischen Plan, die nationale Arbeit zu retten. Denn darauf zielt schließlich die ganze gewerkschaftliche Strategie, dem ordnet sich alles unter: Der Arbeitsplatz ist, zumal in Krisenzeiten, ein großes Glück, das weit vor allen Prämien und Zuständen in der Fabrik kommt. Er ist das positive Wort für die Abhängigkeit des Lohnarbeiters, die doch bitte in Anspruch genommen werden soll. Von daher mag ein Manöver des Kapitals wie das des Fiat-Bosses beim Modellfall Pomigliano als Diktat daherkommen, das die Gewerkschaft als Mitstreiterin um die Arbeitsverhältnisse ignoriert, eine Erpressung ist es für diese Arbeitervertreter allein deshalb nicht, weil sie selbst – so, wie der Konzernchef das verspricht – eben diesem Diktat nichts als die Verheißung entnehmen wollen, dem Land und Volk zu Arbeitsplätzen zu verhelfen.
Und da verbietet es sich, um so etwas wie Bedingungen zu
feilschen und zu rechten, wenn die Gegenseite die
bedingungslose Annahme zur Bedingung ihres
Angebots
macht. Gerade die Distanzierung von dem,
was man gemeinhin als Sache der Gewerkschaft versteht,
ist die erste Pflicht eines zeitgemäß denkenden und
agierenden Repräsentanten der Arbeit, der der
Verantwortung für seine Klientel gerecht wird. Diese Art
von Passivität in einem Verhältnis, das die
andere Seite bestimmt, ist just die angezeigte
gewerkschaftliche Strategie – in der Unterwerfung liegt
die einzige Chance:
„Mir scheint das (die Verweigerungshaltung der Fiom) ein sinnloses Verhalten, es ist, als wollten wir die Wasserbrunnen in der Wüste vergiften. Es gibt so wenig Arbeit in Italien, besonders im Süden. Zu denken, man könne den Spitzen der Produktion mit gewerkschaftlichen Mitteln, die mehr an der Vergangenheit als an der Zukunft orientiert sind, begegnen, … hieße, die Opfer der Arbeiter wären umsonst gewesen.“ (Quotidiano, 13.2.15)
Wo das Kapital seine Freiheiten radikalisiert, leidet dieser Vertreter der Arbeit also nicht an seiner Machtlosigkeit, sondern versteht die betrieblichen Imperative ganz im Sinne der Regierung als Vorbedingung zur Ingangsetzung jener „Jobmaschine“ und beauftragt sich als Gewerkschafter mitzuhelfen, dass der Motor anspringt. Diese Mithilfe schließt – das wird nicht verschwiegen – auch ein, den Kollegen die fälligen „Opfer“ von gewerkschaftlicher Warte aus nahezubringen. Sie besteht zudem, wie an der Polemik gegen die falsche Gewerkschaftslinie deutlich wird, nicht zuletzt darin, im eigenen Lager für „Vernunft“ zu sorgen und die Unterwerfung wirksam zu organisieren, also in den Reihen der gewerkschaftlichen Bewegung mit den „Brunnenvergiftern“ aufzuräumen. Die trifft der in diesen Zeiten härteste Vorwurf: Sie gefährden Arbeitsplätze.
2. Die gespaltene gewerkschaftliche Bewegung findet zu neuer Einheit
Die solchermaßen als Verräter an der Arbeitersache
beschimpfte Fraktion ist immerhin der mitgliederstärkste
Verband, nämlich die Cgil. Speziell die unter
diesem Dach aktiven Metaller von der Fiom sind
als Verweigerer
verschrien. Die Cgil hat
– wenigstens anfangs – die accordi zur
Marginalisierung des Flächentarifs, also ihre eigene
Ausbootung, nicht unterzeichnet. Auch das Prinzip der
separaten Verhandlungsführung, das die Spaltung
der Gewerkschaften im Modus des Tarifverfahrens selbst
institutionalisiert und Mehrheitsabschlüsse für
alle verbindlich macht, stößt auf den Widerstand dieser
Gewerkschaft, die in der Folge regelmäßig v.a. von dem
Bündnis aus Cisl und Uil ausmanövriert
wird.[18]
So zeigt sich auch am Fall Fiat, welch leichtes Spiel das Kapital mit einer Gegenseite hat, die sich selbst zerlegt und schwächt: Wenn all die Zumutungen des Konzernherrn von den Metallabteilungen der Cisl und Uil – wie verlangt: ohne Wenn und Aber – mitgetragen werden, dann ist die Fiom mit der Verweigerung der Unterschrift von vorneherein isoliert. Ihr Streikaufruf trifft bei der Basis auf keine Gefolgschaft, sondern nur auf besagte Hetze aus den Reihen der gewerkschaftlichen Konkurrenz.[19] Diese Ohnmacht bzw. die eigene Übermacht ermuntert wiederum die Werksführung, die Fiom als das einzige widerspenstige Relikt aus alten Gewerkschaftszeiten ganz aus dem Fiat-Werk zu verbannen.
Die Fiom, die mit ihrem Streikaufruf gleichsam für die Erinnerung an den Standpunkt steht, dass eine Gewerkschaft, welche mit dem Kapital um Lohn und Arbeitsbedingungen ringen und nicht Arbeit um jeden Preis hinnehmen will, eine Gegenmacht aufbauen muss, sieht sich so ein weiteres Mal kaltgestellt. Aber auch deren Funktionäre denken mitnichten daran, aus ihrer Entmachtung die Konsequenz zu ziehen, den eigenen Laden aufzugeben (oder ihn ganz neu auszurichten, mit einem Klassenkampf von unten zu antworten – das schon gar nicht).
Vielmehr nimmt auch die Fiom die Entmachtung nicht als solche, sondern deutet die dreifache Niederlage, die ihr der Konzern, die Mitgewerkschaften und nicht zuletzt die eigene Basis bereitet haben, prompt in einen Sieg um: Angesichts der sehr eindeutigen Kräfteverhältnisse war der Streikaufruf von Pomigliano offenbar weniger auf einen tatsächlichen Arbeitskampf berechnet, sondern mehr auf die Demonstration, dass sich eine kämpferische Gewerkschaft nicht alles bieten lässt. Und die kann im Nachhinein als gelungen gewertet werden, da der Rauswurf der Fiom aus dem Werk dank eines Spruchs des Verfassungsgerichts zurückgenommen werden muss. Also darf Fiom-Chef Landini dem – so drückt er sich aus – uragano Marchionne, dem „Hurrikan“ des Fiat-Bosses, trotzig den bescheidenen Erhalt der „Mindestfreiheiten einer Gewerkschaft“ entgegenstellen und das als „historischen Sieg“ an der Rechtsfront feiern – man darf anmerken: ohne dass dies an den schäbigen Zuständen in Marchionnes Fabriken irgendetwas ändert.[20]
Überhaupt ist der Vorwurf, diese Gewerkschaft verweigere sich dem, was da als Fortschritt gilt, sie verfolge eine „Nein-Strategie“, sehr ungerecht. Nicht nur dass die Cgil mittlerweile die diversen Vereinbarungen, die sie selbst ins Abseits stellen – wenn auch unter Schmerzen und mit Verwindungen – unterschrieben hat; [21] selbst ihre widerspenstigen Metaller, die die separaten Tarifverträge nach wie vor ablehnen, arbeiten – sozusagen unter Protest – unverdrossen weiter und daran, ihren Weg zu finden, sich mit der Entmachtung zu arrangieren. Waren sie etwa zuerst aus gewusstem Grund dagegen, dass Boni und Prämien an die Stelle wesentlicher Lohnteile treten, haben sie, nachdem das System nun einmal installiert ist, in der Ungerechtigkeit dieser Zuzahlungen ihr kritisches Thema, das sie von den konkurrierenden Arbeitervertretern ein wenig abhebt.
Der Vorwurf schließlich, Cgil und Fiom würden die Anstrengungen des Kapitals, im Einvernehmen mit den willigen Gewerkschaften Arbeitsplätze zu schaffen, hintertreiben, trifft diese ins Mark, so dass sie ihn weit von sich weisen – seiner Stoßrichtung aber praktisch recht geben, sofern auch sie reelle Arbeitskämpfe, die bekanntlich als Gefährdung von Arbeitsplätzen tabuisiert sind, spätestens seit der Tragödie von Pomigliano nicht mehr anzetteln. Im positiven Bemühen um Arbeit haben sie sich jüngst sogar mit den anderen beiden Verbänden und dem Arbeitgeberverband auf das vordringliche Ziel der ricollocazione dei lavoratori geeinigt, also darauf, dass die Leute, in welcher Form auch immer, wieder in Arbeit kommen.[22]
3. Gegen die Konkurrenz der Arbeiter: solidarietà – im Verzicht
Dabei finden die rivalisierenden Gewerkschaften in folgender Art von Enttäuschung bzw. Einsicht zusammen: Wenn die „Jobmaschine“ des Kapitals trotz der wohlmeinenden Zurückhaltung bis Mitwirkung von gewerkschaftlicher Seite eben doch keine Arbeitsplätze generiert, was so ist, dann braucht die Gesellschaft eine andere Lösung oder wenigstens Zwischenlösung. Dem Fakt, dass die Arbeit einfach nicht mehr wird, entnimmt ein Gewerkschafter nicht, dass das Kapital sie für unrentabel und damit überflüssig erklärt, sondern die Botschaft, dass die Arbeit nun mal ein knappes Gut ist. Und da das seit vielen Jahren das Schicksal des Landes ist, bleibt nur eines: das knappe Gut aufzuteilen. Darin, in der gesellschaftlichen Umverteilung der Arbeit, haben alle Gewerkschaften Italiens ihren gemeinsamen Auftrag ausgemacht, den positiven Daseinszweck zeitgemäßer gewerkschaftlicher Aktivität gefunden.
In diesem Sinne beziehen sie sich auf den sog. Contratto di solidarietà, einen Vertrag zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft, der ursprünglich vom Staat als Option eingeführt wurde, um erstens bei Betrieben in Krisenlage anstehende Entlassungen zu vermeiden, und zwar durch eine Reduktion der Arbeitszeit und selbstredend der Entlohnung für die gesamte Belegschaft; und um zweitens damit die Cassa integrazione, sprich: die staatlichen Finanzen zu entlasten. Für die Unternehmer ist es ein Angebot, ihre Lohnkosten zu senken und sich gleichzeitig eine private, für den Betriebsbedarf ausgebildete Reservearmee zu halten, eine Funktion, die ähnlich auch schon die Cassa integrazione erfüllt, in der die Arbeiter zum Teil über Jahre geparkt werden.
Die Gewerkschaften machen anfangs von dieser Vertragsmöglichkeit kaum Gebrauch, weil sie die Cassa in der Pflicht sehen, und nicht die Kollegen mit ihren Lohneinbußen. Das hat sich geändert, und zwar nicht nur, weil der Staat mit dem Jobs Act der Inanspruchnahme der Cassa-Zahlungen den Riegel vorschiebt, sondern auch, weil die Gewerkschaften mittlerweile in diesem staatlichen Instrument ihr passendes Mittel sehen, die Neuorganisation der Arbeit selbst in die Hand und somit ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen.
Von daher unterstützt auch die Fiom etwa den jüngsten Solidaritätsvertrag, den das Karosseriebau-Werk von Fiat in Mirafiori mit den Gewerkschaften aushandelt, nachdem es die Entlassung von 1303 Arbeitern als Alternative angedroht hat: Für 2369 Kollegen bedeutet das eine durchschnittliche Reduktion von Arbeitszeit und Lohn auf 55 Prozent. Dazu merkt ein Fiom-Funktionär nur diese kritische Fußnote an:
„Die Fiom kritisiert die Tatsache, dass die Solidarität nur für ein Drittel des Werks gilt. ‚Wir verlangen, dass … man die gesamte Fabrik einbeziehen sollte, um zu vermeiden, dass die Opfer nur einen Teil der Arbeiter treffen‘.“ (la Repubblica, 31.8.16)
Die Forderung nach einer konsequenteren Verteilung der
„Opfer“ dadurch, dass auch noch die Maserati-Bauer
einbezogen werden, zielt auf die Begrenzung des bereits
unterschriebenen Schadens auf dem Wege seiner
Verallgemeinerung. In eine ähnliche Richtung denkt der
Kollege von der Uil mit dem Argument, dass nur
so für alle Arbeiter die Kontinuität des Arbeitens
sichergestellt wird
, weil es für eine Arbeitskraft
nichts Schlimmeres gibt als nicht verausgabt zu werden.
Aufschlussreich ist, wie ein anderer
Fiom-Funktionär den Vorschlag begründet, statt
Überstunden eine zusätzliche Schicht zu fahren:
„Wenn man die dritte Schicht eröffnet, ermöglicht man es auch den Kollegen aus dem Contratto di solidarietà, sich in den produktiven Zyklus einzugliedern. Die Nachfrageexplosion beim Panda ist ein positives Element, das erlaubt, die Cassa integrazione zu reduzieren, der Einsatz von Überstunden bei ca. 2000 Arbeitern im Contratto di solidarietà ist dagegen ungerecht und unmoralisch. Die Dickköpfigkeit, am Samstag auf Überstunden zurückgreifen zu wollen, scheint der soundsovielte Versuch zu sein, Arbeiter gegeneinander auszuspielen.“ (Michele de Palma laut Quotidiano, 13.4.15)
Ein Gewerkschafter der Fiom, der auf der Höhe der Zeit ist, sorgt sich weniger um den Lohn als um die Unkosten der Cassa, denkt also gesamtgesellschaftlich verantwortungsbewusst. Er folgt der Argumentation seiner gewerkschaftlichen Rivalen und sieht im Geschäftserfolg des Kapitals – viel verkaufte Pandas viel gut – die Chance der Arbeiter. Von daher versteht sich der Aufruf an sie, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, nicht als das praktische Erfordernis eines Arbeitskampfs, der ja auch gar nicht angesagt ist. Sondern die propagierte Solidarität hat einen eher moralischen Impetus, es geht um Gerechtigkeit beim Verteilen des Mangels – an Arbeit. Da hat der Papst gerade noch gefehlt:
„Er (besagter Gewerkschaftler de Palma) zitierte die Worte von Papst Franziskus über die ‚Solidarität, die vereint und das Wenige, das wir haben und das wir sind, wenn wir es teilen, in Reichtum verwandelt‘.“ (Ebd.)
Ob mit oder ohne päpstlichen Segen – wie die Gewerkschaft
ihre Solidarität predigt, gibt jenem
Klassengegensatz
recht, von dem der Regierungschef
spricht, wenn er gegen das ungerechte Privileg
eines Vollzeitarbeitsplatzes zu Felde zieht. Man könnte
auch sagen: Sie versieht die trostlose Realität, dass ein
solcher Arbeitsplatz eine Ausnahme, eine Art Vorrecht
ist, auch noch mit dem moralischen Angriff auf
den angeblichen Egoismus seines Besitzers.
Auch unter der Decke der neuen gewerkschaftlichen Einheit hören die Rivalitäten nicht auf und die Fim/Cisl reibt der Fiom hin, dass sie den artgleichen Vertrag wie in Mirafiori in Pomigliano verweigert habe. Das tut sie, um innerhalb der gewerkschaftlichen Bewegung genau ihren Verein als den konsequenten Vorreiter bei der großen Aufgabe der Arbeits- und Opferverteilung herauszustellen, hinsichtlich deren Bedeutung sich alle Gewerkschaftsbrüder umso einiger sind. Nachdem also die fortschrittliche Gewerkschaftsstrategie der Kooperation mit dem Kapital keine neuen Arbeitsplätze zu Tage fördert, schafft sie – wieder in Eintracht mit dem Kapital – durch die Aufteilung der alten Arbeitsplätze nur solche, von denen dann keiner mehr leben kann. Das ist er dann, der „Reichtum“, der hier in Aussicht steht.
4. Der Kampf geht weiter: für die verlorene Ehre der Arbeit
Die Gewerkschaft organisiert die proletarische Dankbarkeit für das knappe Gut Arbeitsplatz, übernimmt – so sieht sie es selbst – damit auch die eigene Verantwortung für den Zusammenhalt der Klasse – und keiner dankt es ihr:
„Man ignorierte die Funktion der Gewerkschaften und ihre positive Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – und der stand auf dem Spiel.“ (Camusso, Chefin der Cgil, la Repubblica, 10.9.16.)
Die Sorge um den Zusammenhalt des Arbeitsvolkes teilen die Herrschaften von Staat und Kapital so offenbar nicht, wenn sie meinen, die Gewerkschaften aus dem Spiel nehmen zu können. Aber – man entnimmt es schon der rückblickenden Vergangenheitsform – der konstruktive Wille solcher Gewerkschaften ist schwer zu erschüttern: Da selbst die ‚fortschrittlichsten‘ Gewerkschafter ihre Überflüssigkeit in Form der Ignoranz der Gegenseite zu spüren bekommen,[23] verständigen sich die rivalisierenden Fraktionen in letzter Zeit auf Schlachtrufe, die das Interesse des gewerkschaftlichen Standes, seine Selbstbehauptung, hochhalten, indem sie ihr Gegenüber an den Verhandlungstisch zurück beordern: A tavolo! und Contrattazione! Und schon sehen die sindacalisti aller Schattierungen einen Silberstreifen am Horizont, auch wenn der allein darin ausgemacht wird, dass die Gegenseite wieder mit ihnen spricht.
Der Staat wiederum hält den Gewerkschaften vor,
sie seien es, die in puncto nationaler
Mindestbasislohn kein Verhandlungsergebnis zustande
brächten. Nachdem das betreffende Angebot
der
Arbeitgeber so dreist und schäbig ist, dass nicht mal
Cisl und Uil es an- bzw. hinnehmen
wollen, lässt Renzis Drohung, dann eben diesen
Mindestbasislohn ganz ohne gewerkschaftliche Mitsprache
per staatliches Dekret festzusetzen, die Gewerkschafter
enger zusammenrücken. Dafür, dass überhaupt
verhandelt wird, ruft man die Mitglieder auf die Straße
und wertet es als einen Erfolg für sich, wenn sich unter
solchen und ähnlichen Aufrufen die gespaltene Bewegung zu
gemeinsamen Kundgebungen zusammenfindet:
„Zuallererst scheint es mir sehr bedeutsam zu sein, dass die Metall-Gewerkschaften (Fim, Fiom und Uilm), auch wenn sie zwei verschiedene Plattformen präsentiert haben und obwohl sie acht Jahre separater Verträge und Zerrissenheit hinter sich haben – denken wir nur an die ganze Fiat-Geschichte –, gemeinsam zum Generalstreik in Form regionaler Kundgebungen aufgerufen haben.“ [24]
Ein „Generalstreik“ also, den dieser Linksaußen unter den Gewerkschaftern vermelden kann, „in Form (!) regionaler Kundgebungen“. Da macht in der Tat die „Form“ den Inhalt: Wo man sich einig ist, dass schon ein einzelner Arbeitskampf, der die Erpressungsmacht der Arbeitsniederlegung aufbaut, tabu ist, weil er den Kampf um Arbeit hintertreibt, da ist ein Generalstreik, der mindestens eine Branche landesweit lahmlegt, der Gipfel der Verantwortungslosigkeit. Aber eine Gewerkschaft, die das so sieht und zugleich die Vorstellung nicht einpacken will, dass sie was ausrichtet in der Welt der Arbeit, findet eine passende Form, an den überkommenen Bräuchen des Kampfes gleichsam rituell festzuhalten, indem sie sie jeder Qualität von Arbeitskampf und Gegenmacht entledigt. Wenn Italiens Gewerkschaften heutzutage zu solcher Art von Streiks rufen, dann darf das Kapital beruhigt sein, dass da keine Räder stillstehen, und wenn, dann in einer schüchternen Andeutung von ein paar Stunden, sofern die Demonstrationen nicht gleich aufs Wochenende verlegt werden. Die sogenannten „Generalstreiks“ werden in der Regel sowieso auf Sonntag angesetzt, da haben die Leute Zeit zum Streiken und kriegen auf den Kundgebungen in piazza kämpferische Reden zu hören, denn alles gefallen lassen darf man sich nicht.
*
Auf solchen Events bringt sich die Gewerkschaft als Sprecher ihrer Klasse in Erinnerung, und dorthin lässt sich eine gewerkschaftstreue Basis – die Kulisse liefern insbesondere Rentner mit arbeiterbewegter Vergangenheit – mobilisieren. Zu echten Arbeitskämpfen in der Fabrik werden die Mitglieder wie gesagt nicht mehr aufgerufen, und wenn sie, wie vor sechs Jahren in Pomigliano, mal antreten sollen, um ihrer Gewerkschaft die Stange zu halten, geben sie sich dafür nicht her. Die Arbeiter lassen sich vielmehr ein auf die Konkurrenz um Arbeitsplätze, an denen ihre Existenz hängt, und stellen sich ihrerseits auf den Standpunkt, dass die entsprechenden Zumutungen hinzunehmen und auszuhalten ihre einzige Chance ist. Und für diesen Standpunkt brauchen sie keine Gewerkschaft.
Die Gewerkschaft lässt diese von ihr selbst praktizierte Überflüssigkeit freilich nicht resignieren; sie hält ganz im Gegenteil fest an ihrem gesellschaftlichen Auftrag, den sie sich erteilt und auf einer angemessen hohen Ebene von Wichtigkeit neu zurechtschneidet: Ihre Hauptaufgabe ist nicht das undankbare Tagesgeschäft der Arbeitskämpfe, sondern das Eintreten für die Rechte und Würde der Arbeit als solcher. Darin sieht vor allem die Cgil die konsequente Fortsetzung ihres Mitwirkens an der solidarischen Neuorganisation der nationalen Arbeit. Der damit intendierte Zusammenhalt eines Arbeitsvolks, das weder ein Bewusstsein von sich als Klasse hat noch von der Gewerkschaft darauf verpflichtet wird, soll auf einer höheren Etage gestiftet werden, indem nämlich die Rechte aller Arbeitenden „unterschiedslos“ in einer Verfassung verbrieft werden. Dieses „historisch-revolutionäre“ Ansinnen verfolgt die Gewerkschaft mit der Carta dei diritti universali del lavoro, einer „Verfassung für die grundlegenden Rechte der Arbeit“. In dieser Mission fallen für die Gewerkschaft die eigene Unentbehrlichkeit, weil Zuständigkeit für die gesamte Arbeitswelt, und der Kampf für deren Fortschritt in eins:
„Wir richten uns an die Gesamtheit der Arbeitswelt, an die Arbeiter, ob befristet oder unbefristet, öffentlich oder privat beschäftigt, an die in allen Variationen prekär Beschäftigten sowie an die Selbständigen.“ (Camusso auf einer Pressekonferenz am 18.1.16)
Wenn die Funktionärin den Vertretungsanspruch, der ihrem Verein in den Fabriken der großen Kapitale praktisch bestritten wird, hier als universellen proklamiert, zieht sie nicht gegen all die neuen und alten Formen schrankenloser Ausbeutung zu Felde, sondern erkennt sie von ihrer Seite als durchgesetzten, insofern normalen Zustand der italienischen Arbeitswelt an, für den sie ein sozialrechtliches Korsett beantragt. Darin sieht die größte italienische Gewerkschaft denn auch ihr wichtigstes aktuelles Betätigungsfeld. Wenn die modernen Arten der Tagelöhnerei ihren gesetzlichen Rahmen – von der Gewerkschaft initiiert – erhalten, dann haben auch sie den Wert, den jede Art von Arbeit grundsätzlich verdient:
„Das neue Statut will die Instrumente der Vertragsbildung erneuern, indem es die grundlegenden Rechte bewahrt, die anerkannt und ausgedehnt werden müssen auf alle, ohne Unterschied, unabhängig von der Art der Arbeit und dem Arbeitsverhältnis, eben weil sie unabdingbar und universell sind… Noch nie ist ein derartiges Werk geschaffen worden und deshalb betrachten wir es als eine große Herausforderung, der Arbeit wieder ihr Wertprofil zu verschaffen.“ (Ebd.) [25]
*
Die Gewerkschaft sieht sich als die Kraft in der Nation, der diese „große Herausforderung“ zufällt. Das liegt auch daran, dass Kapital und Staat angesichts derselben versagen: Das Kapital entwürdigt die Arbeit, wenn sie das hohe Gut brachliegen lässt und seine gewerkschaftlichen Fürsprecher missachtet; der Staat, dessen hohe Pflicht es eigentlich wäre, die Gleichberechtigung der Arbeit gegenüber dem Kapital zu garantieren, verletzt diese, weil es ihm an der gebotenen Neutralität fehlt, wenn er einseitig die Unternehmer protegiert:
„Die Tendenz der Unternehmen geht dahin, die kollektive Verhandlung als eine Vermittlung (mediazione) zwischen den Interessen des Kapitals und der Arbeit abzuschaffen… Allein das Unternehmen ist dafür zuständig, das Verhältnis zur Arbeit auf einseitige Weise zu bestimmen… Auch die Gesetzgebung entspricht dem in allen Fragen der Arbeit – von den Rechten bis zur Funktionsweise des Unternehmens – gemäß der Logik der größten Handlungsfreiheit für das Unternehmen und seine Interessen.“ (Landini, Interview vom 11.7.16)
Da spricht der Gewerkschafter einerseits den Gegensatz von Kapital und Arbeit an, wenn er den Willen von Staat und Kapital beklagt, diesen rücksichtslos gegen die Arbeit auszutragen, nimmt das aber andererseits nur als gefährliche „Tendenz“ zur Kenntnis, in einem Verhältnis, das lediglich aus dem Gleichgewicht geraten, im Grunde also gar kein Gegensatz ist. Um diese Schieflage zu reparieren, verlangt der Mediator der Fiom:
„Die Arbeit muss auch weiterhin eine wenigstens gleichwertige Würde gegenüber dem Unternehmen besitzen.“ (Ebd.)
Damit die verlorene Ehre der Arbeit wiederhergestellt wird, muss mit dem nationalen Pakt für die Arbeit ernst gemacht werden. In dem patriotischen Selbstbewusstsein, dass diese Rehabilitation derzeit nur die Gewerkschaft konsequent betreibt, kritisiert diese den Staat im Namen der Nation – nach innen wie nach außen. Zur mangelnden Souveränität gegenüber der Privatmacht der Unternehmer kommt die fehlende nationale Souveränität gegenüber Merkels EU, deren Spardiktat die eigene Regierung nur kleinlaut entgegentritt, was Italien Wachstum und damit eben wieder Arbeit kostet.
Im Grundsatz nämlich glauben sich die Repräsentanten des Arbeitsvolks mit dem heimischen Kapital wie dem ‚eigenen‘ Staat völlig einig zu sein, dass die Arbeitsplätze italienisch bleiben oder wieder werden müssen. Im Sinne dieser nationalen Solidarität der Arbeit mit dem Kapital müssen für dessen Bestehen in der Weltmarktkonkurrenz Anstrengungen und Opfer eingebracht werden, ohne die Arbeitsplätze nicht zu haben sind. Dass es die gibt, ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass diejenigen, die an ihnen schuften dürfen, ihre „wenigstens gleichwertige Würde“ erfahren. Lotta continua heute.
[1] Die interne
Mobilität wahrt eine hohe Flexibilität, um eine
homogene Verteilung der Arbeiter in ihrer Schicht zu
sichern. Praktisch werden jeweils in der ersten Stunde
jeder Schicht die Arbeiter umversetzt, um Absenzen,
Ausfälle und technische Probleme zu beheben.
(ilpost.it, 23.6.10)
[2] Maßstäbe in puncto Intensivierung der Arbeit und Disziplinierung der Arbeiter setzen in Italien außer Fiat auch deutsche Autobauer, die die Regie in italienischen Zulieferbetrieben direkt übernommen haben:
Alle zwei Wochen kommt eine Mannschaft deutscher
Techniker, um die Möglichkeiten der Optimierung der
Arbeitsleistung auszuloten. Die halbe Emilia-Romagna
ist in den letzten Jahren von der Heimat des made in
Italy zu einem deutschen Industriedistrikt geworden…
Viele kleine und mittlere Betriebe des Piemont und der
Lombardei haben begonnen für BMW und Volkswagen zu
arbeiten. In einer Fabrik in Corbetta, nahe Mailand,
haben die wachsamen Manager aus München den Arbeitern
auferlegt, sogar Schuhwerk mit Mikrochip zu tragen, um
zu kontrollieren, wann sie sich einen Kaffee holen oder
aufs Klo gehen. Das dürfte leicht verfassungswidrig
sein, aber die Gewerkschaften halten sich mit Protest
zurück, weil ohne Audi der Betrieb schon dicht gemacht
hätte und die Leute ohne Arbeit wären.
(Il Venerdì di Repubblica, 31.12.15)
[3] In seinem „Brief“ an
die Belegschaft vom 9.7.10 unter der Überschrift
Miteinander können wir etwas Großes in Italien
aufbauen
weist Marchionne den Vorwurf, er geriere
sich wie ein padrone, weit von sich, wobei er
die Lohnabhängigen auf eine Kampfgemeinschaft
einschwört, die die Schlacht gegen den Rest der Welt
entweder gemeinsam gewinnt oder gemeinsam untergeht.
[4] Wir glauben an
ein gesundes System der Lohnerhöhungen, die an die
Betriebsergebnisse gebunden sind, der Reichtum wird
verteilt, wo und nachdem er produziert ist. Dieses Ziel
haben wir; wir haben keine Vorbedingungen.
(Stefano Franchi, Generaldirektor
des Metallarbeitgeberverbandes
Federmeccanica) – Vorangetrieben wurde
die Dezentralisierung mit dem accordo von 2009
und 2011 nach der Ablösung Berlusconis durch die
Regierung Monti, die die Vereinbarung
produktivitätsorientierter Löhne steuerlich begünstigt.
[5] Mit der scala mobile hatte die organisierte Arbeiterschaft zu Zeiten der hoch inflationären Lira einst das Recht auf eine, immer wieder neu durchzusetzende, partielle Kompensation des Kaufkraftverlusts erkämpft; abgeschafft mit dem accordo von 1991.
[6] Es gibt wenig
Geld, aber es muss reichen, um denen eine Prämie
zukommen zu lassen, die die Zielvorgaben erreichen, und
um eine öffentliche Verwaltung zu entaltern
(svecchiare), die noch zu schwächlich ist, was die
digitalen Kompetenzen betrifft.
Und: „Ein
Abschied von der unkündbaren Stellung und von den
automatischen Gehaltserhöhungen nach Dienstalter für
die Staatsbediensteten bilden das Herzstück der
Reform [der Ministerin] Madia.“ (la
Repubblica, 27.7.16)
[7] Die ökonomische
Krise der letzten Jahre hat eine Spur hinterlassen: Die
Armut wächst in Italien mehr als in den anderen
Ländern
– wobei die Verarmung laut Istat vor allem
auch die junge Normalfamilie trifft: Vor allem die
Kernfamilie (zwei junge Eltern und zwei Kinder) hat
Schwierigkeiten sich überhaupt durchzuschlagen.
(la Repubblica, 15.7.16)
[8] Nuova
assecurazione sociale per impiego
heißt die seit
Mai 2015 geltende neue Regelung für das
Arbeitslosengeld. Bezugsberechtigung:
unverschuldeter Verlust des Arbeitsplatzes;
Antragsteller muss mindestens 13 Monate in den letzten
vier Jahren eingezahlt haben. Pflichten: u.a.
Flexibilität in Sachen Arbeitsort, -platz, Bezahlung;
Höhe: 75 Prozent des Durchschnittswochenlohns
der letzten vier Jahre (13. Monatsgehalt wird
eingerechnet); gilt für Leute, die 1195 Euro monatlich
oder weniger verdient haben; wer mehr verdient hat,
kann maximal 1300 Euro erhalten; Betrag wird monatlich
ab Bezugsbeginn nach dem vierten Monat um jeweils drei
Prozent pro Monat gekürzt; Höchstbezugsdauer:
24 Monate.
[9] Dabei sind die Rentner ihrerseits das Opfer von Einsparungen: Das Haushaltsproblem – das sind die Rentner aus staatlicher Sicht: die Krise produziert immer weniger Beitragszahler und immer mehr vorzeitige Beitragsempfänger – soll elegant gelöst werden: Die schon von der Monti-Fornero-Reform bekannte Regelung (Rente mit 66; vorzeitiger Renteneintritt mit 63, wenn 42,5 Beitragsjahre erreicht sind, ein Prozent Abzug für jedes Jahr weniger) wird modifiziert durch die Absenkung auf 41 Beitragsjahre und eine Kreditfinanzierung über Bank und Versicherung; die Tilgung der Zinsen kostet 63-65-jährige Rentner jährlich 15 Prozent ihrer Rente.
[10] Die Kreativität der Unternehmer hat auch in Italien eine Palette vielfältigster Formen von Billigstarbeit geschaffen: von der Projektarbeit über Scheinselbständigkeit, Teilzeit, befristete Arbeit, Leiharbeit bis zu Gelegenheitsjobs, die stunden- oder tageweise bezahlt werden.
[11] Die voucher
vervielfältigen sich, und die Schwarzarbeit nimmt immer
mehr zu.
(Susanna Camusso,
Generalsekretärin der Gewerkschaft Cgil,
17.7.16) – Auch mit dem jüngsten staatlichen
Einfall, dass die vouchers vor Arbeitsantritt
per E-Mail oder SMS beim Arbeitsministerium anzumelden
sind, werden die Unternehmer umzugehen wissen, wobei
sie sich vorsorglich schon mal über die
bürokratische Schikane
beschweren.
[12] Das sehen nicht nur die politisch Verantwortlichen im Land so, sondern insbesondere auch berufene Beobachter aus Deutschland:
Plötzlich setzt sich der böse Verdacht in den
Köpfen der Italiener fest, dass Matteo Renzis
schwungvolles Regieren und Reformieren womöglich gar
nichts gebracht hat… Die Jobmaschine? Funktioniert
nicht wirklich… Dennoch wäre es fatal, wenn sich die
Meinung durchsetzte, dass Renzis Reformen nutzlos
waren. Dem Premier gelang es, Italien nach zwei
Jahrzehnten des Leerlaufs aus seiner Starre zu lösen.
Er belebte das Land mit seinem Elan.
(SZ, 17.8.16 – unter der reizenden Überschrift
Italien: Sommerängste
)
[13] Mit dem dialogo sociale als Ersatz der zuvor eingerichteten concertazione zwischen den Tarifparteien zementierte die Regierung Berlusconi die Spaltung der drei großen Gewerkschaften: Teilnehmen dürfen überhaupt nur die, die aktiv sowohl gegenüber den Unternehmern wie dem Staat beweisen, dass sie den Fortschritten in der Lohnpolitik und der Liberalisierung der Arbeit, schließlich ihrer eigenen rechtlichen und politischen Marginalisierung zustimmen. Siehe dazu das folgende Kapitel.
[14] Unser Land
ändert nicht, wer schreit und demonstriert, es ändert
nur der, der was riskiert, nicht der, der pfeift (chi
rischia non chi fischia).
(Renzi, 10.6.16)
[15] Die einschneidenden Weichenstellungen werden in den accordi 2009 und 2011 vorgenommen, 2011 bringt die Regierung Berlusconi ein Gesetz (!) durch, das es einzelnen Betrieben erlaubt, nicht nur von den tariflichen, sondern auch von den gesetzlichen Rahmenbestimmungen abzuweichen.
[16] Ferdinando Uliano von der Fim (Federazione italiana metalmeccanici: Metallverband der Cisl), Messaggero, 3.2.16
[17] Anna Maria Furlan, Generalsekretärin von Cisl/Fim, zitiert in: rassegna.it, 17.7.16
[18] Die Eigenart und Spaltung der italienischen Gewerkschaftslandschaft hat ihre Geschichte: Cisl (christlich) und Uil (sozialdemokratisch) sind nach dem Krieg Kreaturen der Parteien- und Staatsraison gegen die Kommunisten. Ihr Zweck: Ausschaltung des Einflusses des PCI bzw. der Cgil bei Tarifverhandlungen und in den Betrieben. Ihr Mittel: Denunziation der von den kommunistischen Gewerkschaften angezettelten Streiks als ‚politische‘ und Abschluss separater Verträge mit der Confindustria. US-Firmen investieren nicht in Betrieben, in denen kommunistische Betriebsräte die Mehrheit haben. Fiat erklärt, dass mit der Fiom nicht mehr verhandelt wird, Tarifverträge auf Fiom-Mitglieder nicht angewandt werden, und schafft eine eigene, ökonomisch nutzlose, als „Ersatzteillager“ bezeichnete Station, in die 130 Fiom-Funktionäre ausgelagert und von der Belegschaft separiert werden. Die separaten Verträge sind Usus in den 50er und 60er Jahren, bis die Arbeiterbasis sich um den gespaltenen Gewerkschaftsüberbau nicht schert und mit wilden, autonomen Streiks in den großen Betrieben Lohnerhöhungen, Arbeitszeitkürzung und besseren Arbeitsschutz für alle durchsetzt. Damit bringt sie die Dachorganisationen in Zugzwang und zur Einheit (1972-1984). Einig ist man sich v.a. darin, dass die autonomen Umtriebe zu befrieden sind. Nachdem das erledigt ist, trennt man sich wieder in die vormaligen Verbände, die in der ihnen zuerkannten concertazione gemeinsam ihr sozialverträgliches Werk tun, bis Berlusconi mit dem dialogo sociale die Zusammenarbeit aufkündigt bzw. nur mit Cisl und Uil unter Ausgrenzung der Cgil fortsetzt.
[19] So klagt ein
Fiom-Sekretär aus Bologna: Das Neue ist,
dass die Feindschaft nicht mehr zwischen Gewerkschaften
und Unternehmen, sondern unmittelbar zwischen der Fiom
und den anderen Gewerkschaften besteht.
(ilfattoquotidiano.it,
19.4.12)
[20] Im Streit mit
Fiat ist es der Fiom gelungen zu verhindern, aus der
Fabrik gejagt zu werden – im Sinne der Behauptung
unseres Rechts, Vertreter zu haben, um zu verhandeln,
und unseres Rechts auf die Mindestfreiheiten einer
Gewerkschaft – passenderweise dank der Intervention des
Verfassungsgerichts, denn unsere Verfassung verhindert,
dass sich die Unternehmen die ihnen genehmen
Gewerkschafter nach Belieben aussuchen und so die
gewerkschaftliche Freiheit beschränken.
(Landini, Interview vom
11.7.16)
[21] Hatte die Cgil z.B. ihre Zustimmung zu den Ausnahmen vom nationalen Vertrag Ccnl 2009 noch tapfer verweigert, so wird im accordo von 2011 generell (!) ausgeschlossen, dass Betriebsvereinbarungen von Themen und Verfahren abweichen, die nicht in den nationalen Verträgen vorgesehen sind. Dann kommt die Ausnahme: In Krisensituationen und bei bedeutenden Investitionen darf abgewichen werden – also in letzter Zeit so gut wie immer!
[22] Vgl. accordo Confindustria-Cgil-Cisl-Uil vom 1.9.16
[23] So feiert nicht
nur die Cgil-Chefin Camusso allein die Tatsache, dass
z.B. zu den Verhandlungen über die Renten die Regierung
die Gewerkschaft überhaupt wieder einlädt, als eine
alles andere als unbedeutende Neuerung
, die sich
der eigenen Hartnäckigkeit verdanke; auch ihre Kollegin
Furlan von der Cisl beklagt die Missachtung
der Gewerkschaft durch den Staat, wenn sie sich – wie
die Cgil – über die bloße Tatsache freut, dass
der Staat wieder mit ihnen verhandelt:
Ich hoffe, dass das heute wirklich einen Wechsel
markiert in der Beziehung zwischen Regierung und
Gewerkschaften.
(ansa.it,
24.5.16)
[24] Fiom-Chef Landini
im Interview v. 11.07.16. – Für ihre Art von
Streiks
hat die Fiom einen
Streikkalender
im Internet eingerichtet, wo die
Kollegen erfahren, wann sie in ihrer jeweiligen Stadt
für ein paar Stunden zur Kundgebung antreten sollen.
[25] Schon 1998 hat die Cgil die precari in einer eigenen Kategorie gewerkschaftlicher Vertretung eingetütet: Sindacato dei lavoratori atipici. – Der revolutionäre Vorstoß für diese Arbeiterverfassung soll durch basisdemokratische Referenden ergänzt werden, wie etwa dem, dem articolo 18 wieder zu alter Würde zu verhelfen. Sehr passend, wenn sich die Cgil hierbei an den Gerichtsspruch angehängt hat, der an der Aufhebung des Kündigungsschutzes moniert, dass er nicht für Staatsbedienstete gilt. Das ist ungerecht. Und für Ungerechtigkeiten ist bekanntlich die Gewerkschaft zuständig. Da aber die riforma Madia sowieso die Kündbarkeit von Staatsbediensteten einführen will, wird selbst dieser konstruktive gewerkschaftliche Einspruch ins Leere laufen.